Chaos? Hinhören, singen - Ingrid Caven - E-Book

Chaos? Hinhören, singen E-Book

Ingrid Caven

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Beschreibung

Gesten, Posen, Auftreten ... und modern. Ingrid Caven gilt als die letzte deutsche Diva, wird verglichen mit Édith Piaf und Marlene Dietrich. In Deutschland ist sie durch die Filme von Rainer Werner Fassbinder bekannt geworden, mit dem sie auch verheiratet war und der – wie Hans Magnus Enzensberger – Lieder für sie schrieb. Seit Ende der siebziger Jahre lebt die Tochter eines Saarbrückener Tabakwarenhändlers in Paris, wo sie als Chansonnière Erfolge feierte. Und auch mit über 80 steht die Caven noch auf der Bühne: An der Volksbühne spielte sie zuletzt neben Helmut Berger. Ihr Lebensgefährte ist der Schriftsteller Jean-Jacques Schuhl, der für seinen Roman über ihr Leben mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde. Caven selbst erhielt zahlreiche Preise, u.a. wurde sie als einzige deutsche Interpretin zum Chevalier des Arts et des Lettres und zum Commandeur des Arts et des Lettres ernannt. Ingrid Caven und Ute Cohen trafen sich in Berlin und Paris und sprachen über die wilden Siebziger, über Sex, Drugs und Rock 'n' Roll, über Dekadenz, Kokain und Champagner. Caven blickt zurück auf nächtliche Treffen mit RAF-Mitgliedern in München oder mit Mick Jagger in New York, plaudert über Religiosität und Erotik, Kunst und Politik, MeToo, Populismus und das Altern. Ein schillerndes Porträt einer Ausnahmekünstlerin.

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Ingrid Caven

Chaos? Hinhören, Singen

Gespräche mit Ute Cohen

Kampa

Die ganze Welt ein Tinnitus

Friedrich Schiller sagte: »Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir.«

Ah, Sie beginnen mit einem unserer größten Dichter. Da will ich jetzt aber nicht so auf die Schnelle interpretieren. Ich weiß nicht einmal, woher der Satz stammt.

Wie gut kennen Sie sich, Frau Caven?

Zu gut, um wahr zu sein. Am liebsten erkenne ich mich ja in dem, was andere über mich denken und sagen. Da gibt es ja – und das ist auch gut so – mehrere Versionen über mich.

Ich glaube, ich bin mir selbst ein Rätsel, weil ich so gut jonglieren kann mit dem, was mir geboten wird. Ich sehe mich aber selbst nicht als rätselhaft oder als Rätsel. Vieles an mir entsteht, weil ich etwas lebe oder tue. Mein Körper ist oft in Aufruhr, mein Geist ändert seine Meinungen, aber meine Seele ist zuverlässig.

Sehen Sie andere Menschen ebenso klar wie sich selbst?

(Überlegt.) Mir fällt da ein Traum ein, den ich vor etwa zwanzig Jahren hatte. In dem Traum sah ich meine Mutter in der Wüste: als Sphinx, aber aufrecht stehend. Eine Sphinx, wie es sie gar nicht gibt, noch dazu aus Metall. Ich rufe »Mama, Mama!«, aber sie antwortet mir nicht, schaut über mich hinweg, und mein Rufen kommt als verzerrter, metallischer Ton zurück. Das Rätselhafte umgibt mich also doch!

Kultivieren Sie das Mysterium?

Nee, nee, nee, nee! Mir wurde schon ganz früh angehängt, mysteriös zu sein. Das einzige Mysterium aber ist, dass ich wirklich keines habe, absolut nicht. Ich strebe das auch nicht an, weil mir das zu anstrengend wäre. Da atme ich lieber tief durch und lass dann Sachen kommen oder auch nicht. Wenn nichts da ist, ist es auch nicht schlimm.

Für mich ist jeder Tag ein Wunder. Dass es eine Fliege gibt, ist für mich sehr geheimnisvoll, genauso eine Blume oder der Dreck, den wir hinterlassen. Der ganze Lebensprozess, das Alltägliche, ist ein Wunder! Da brauch ich nicht mysteriös zu tun. Was ich selbst mir bewahre, ist ein Bereich des Intimen und Individuellen. Ich habe sehr früh eine Technik entwickelt, mich wohlzufühlen in meiner Haut, da ich oft krank war als Kind. Ich weigere mich, zu etwas gezwungen zu werden. Das heißt aber nicht, dass ich die Freiheit vertrete oder frei bin!

Kein kokettes Spiel aus Entblößen und Verhüllen?

Diese Frage erinnert mich an die Enthüllung von Denkmälern oder Statuetten. Wenn es etwas Geheimnisvolles gibt bei mir, dann ist es der Moment, in dem ich mich erotisiert fühle oder nicht. Das hat aber nichts mit Entblößen, Verhüllen oder Entdecken zu tun. Ich spüre genau, wenn ich unlebendig werde, zur Statue werde. Die Kraft, lebendig zu bleiben, ist geheimnisvoll. Auch wie Lust entsteht, ist ein Geheimnis. Wie jeder Mensch habe ich mit anderen Menschen nicht zweimal dieselbe Art von Beziehung. Die Lust zum Beispiel, mit Ihnen zu sprechen, erklärt sich nicht nur aus den intellektuellen Fragen, sondern ebenso mit Ihrer Ausstrahlung. Das sind geheimnisvolle Dinge, die ich nicht mechanisch oder schematisch auflösen kann.

Ist das Rätselhafte gefährlich? Versucht man die Undurchschaubaren zu unterdrücken?

Ah, dieser Ruf nach Transparenz! Alles, was wir nicht kennen und nicht definieren können, macht uns Angst. Was Angst macht, weckt aber bei Künstlern Interesse. Die größte Angst, die Angst vorm Sterben, ist so nah an der Angst vor dem anderen.

Zur Angst kommen wir noch, das ist ein großes Thema.

Weiß ich ja nicht, was da noch kommt. Das interessiert mich auch nicht, wenn ich gerade auf ’nem Trip, in einer Sache drin bin. Die Angst auch, sich mit Gefühlen zu konfrontieren. Man tötet sehr viel ab, was einem Angst macht, und damit tötet man natürlich auch sein Gefühls- und Gedankenleben ab. Kritik und Nuancen machen uns ja schon Angst. Wenn man anders ist als andere, macht das ihnen schon Angst. Ich hab aber wenig Interesse daran, wie die Gesellschaft mich sieht. Ich bin so verwöhnt durch die Musik und gestärkt durch die Krankheit, die ich immer hatte: Allergien, die mich lehrten, mich zu konzentrieren und mir ein Körpergefühl zu verschaffen, das mir guttut. Jede körperliche Äußerung von mir ist gebunden an Musikalität. – Was man von außen kaputtmachen will, darüber will ich nicht einmal nachdenken.

Was sehen Sie als Ihre charakterliche Grundkonstante?

Etwas gehört zu mir unabdingbar: das Gefühl, dass da eine Struktur ist, die ich immer wieder aufsuchen muss. Da will ich aber auch gar nicht zu viel fragen, warum. Wie bei jedem Menschen ist da sicher auch ein Abgrund, in den jeder fallen kann, wenn er ein bisschen nachdenkt oder wenn er das Gefühl hat, nicht mehr wirklich da zu sein, nichts wert zu sein. Ich habe den Vorteil, mit Musik aufgewachsen, aber auch immer krank gewesen zu sein. Da hatte ich die Zeit, solche Hilfsgebäude und Strukturen aufzubauen. Ich jongliere gern mit Wörtern. Die Wörter machen mir heute noch viel Spaß, weil sie für mich nur ansprechend sind, wenn sie lebendig bleiben dürfen. Ich glaube an die Kraft des Wortes.

Zum Wort gehört die Stimme. Ihre Stimme ist Teil Ihrer Struktur. Stimmen verweben ja einerseits das Soziale, offenbaren zugleich aber den intimen Kern eines Menschen. Fürchten Sie, Ihre Subjektivität preiszugeben?

Ich habe nichts zu verheimlichen, auch nicht durch die Stimme. Wenn es etwas zu verraten gäbe, dann in einer poetischen Form und über die Musik. Ich habe großes Vertrauen in diese Formen. Das Individuellste und Intimste drückt sich in Form und Struktur aus; es drückt sich ein Stil aus, den man hat oder nicht. Da geschehen bestimmte Dinge, die mit Sehnsüchten zu tun haben. Auch mit dem Wunsch, geliebt zu werden, und dem Wunsch nach einem Objekt, das man lieben könnte. Jeder möchte ja, wenn er noch ein bisschen gesund ist in Körper und Geist, lieben. Goethe sagte in »Willkommen und Abschied« ja so schön: »Und doch, welch Glück, geliebt zu werden, Und lieben, Götter, welch ein Glück!« Wenn man das kann, ist das wunderbar!

Erinnern Sie sich an Ihre Babystimme? Schreie eines weiblichen Säuglings sind übrigens tiefer als die eines männlichen.

Das wusste ich nicht. Also dann ist meine Mutter, die immer eine tiefe Stimme hatte (lächelt), in einer Babyphase stecken geblieben. Meine Mutter hatte eine wunderschöne Altstimme, immer die Ruhe weg, konnte aber keinen Ton halten. Da konnte ich mich ganz früh schon mokieren und meine Mutter, die ja eben in diese musikalische Familie hineingeraten war, auf die richtige musikalische Linie lenken. Da war ich noch ganz klein, das war noch vor der Schule. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht, dass ich besser singen konnte mit meinem Vater am Klavier als meine Mutter. Das ist wohl einer der Gründe, die mich in meiner musikalischen Entwicklung so autark gemacht haben.

Hat man versucht, auf Ihre Stimme Einfluss zu nehmen?

Nee. Ich hatte ja Gesangsunterricht, da ging es darum, gut zu atmen, den Ton locker zu halten, es ging um die Vorstellung des Tons, bevor man ihn setzt, frei nach Maria Callas. Mich stören Stimmen, die zu hoch klettern in einer hysterischen Situation. Hysterie ist das Gegenteil von Entspannung. Wenn du gute Musik machen willst, bist du angespannt und relaxt zugleich. Sicher hat man mir oft gesagt: »Bohr nicht weiter! Frag nicht so viel!« Meine Stimme kritisierte man aber nicht. Das hätte man sich auch nicht erlauben dürfen.

Wie würden Sie ein Kind auf seine eigene Stimme aufmerksam machen?

Ich würde das Kind erst mal fragen, was es will. In bestimmten Situationen könnte ich sagen: »Hier bist du am ruhigsten, hier gefällt es dir, im Moment zu sein.« An diesen Moment soll sich ein Kind dann erinnern, wenn es sich mal nicht so wohlfühlt. Vielleicht noch ein Gedicht hinzunehmen, um einen Rhythmus zu finden. Und schreien darf es auch mal.

Zeigt die Stimme für Sie Normalität an? Die Stimme eines Neugeborenen, sagt man, müsse in der Tonlage zwischen a1 und h1 liegen. Alles andere gilt schon als Normabweichung.

Das ist mir zu allgemein. Nummerierungen, Nummerisierungen sind nötig, um Geschäfte zu machen, aber tödlich für Lebendiges. Mich interessieren Dinge erst, wenn sie individuell werden. Ich war ein Kind, das sich immer weggeschrien hat. Ein Kind, das immer wieder den Atem angehalten hat oder umgefallen ist. Ich hab mich hängen lassen, wenn mir etwas nicht gepasst hat. Meine Mutter war dann natürlich sehr beunruhigt von dieser Situation. Der Arzt sagte ihr dann, da müssen Sie ihr auf den Popo klopfen, dann kommt sie wieder zu sich. Das hab ich aber auch überlebt! Das ging bis zu meinem vierten, fünften Lebensjahr, da wurde ich immer wieder mal ohnmächtig.

Also, was ist schon normal? Die Stimme verändert sich, wenn man Angst hat oder hysterisiert ist; wenn man ein Gedicht liest; wenn man singt. Es kommt immer darauf an, welche Nuance man bevorzugt. Normalität ist kein Kriterium für mich. Normalität ist geschaffen, um in einer Norm zu sein und nummerierbar zu sein. Für die Verwaltung ist das nützlich, nicht aber, um etwas Lebendiges zu fördern.

Ist es Ihnen schon einmal passiert, dass Sie von einer Stimme so gefangen waren, dass Sie das Äußere der Interpretin oder des Interpreten vergaßen? Johann Gottlieb Herder ging so weit zu behaupten, mehr als die Schönheit selbst bezaubere die liebliche Stimme.

Das ist mir mit Musik oft passiert. Als Kind war ich absolut fasziniert von den Stimmen von Maria Callas und Édith Piaf. Diese Stimmen wollte ich sofort imitieren, weil sie für mich Ausdruck von absolutem Leben waren. Bei der Piaf habe ich die dramatischen Texte nicht verstanden, lediglich die Lebendigkeit. Mit der Callas habe ich die extreme Schönheit des Gesangs verbunden. Bei ihr habe ich meine eigene Sehnsucht nach dem wunderbaren Ton gespürt. Aber ich glaube nicht, dass es nur die Stimme war, sondern die Verbindung von Stimme und Melodie. Diese italienischen Arien wirken eben auf das Gefühl. Wenn sie Schönberg gesungen hätte, wäre mir das wohl erst später als absolutes Wunder aufgefallen.

Was empfinden Sie bei in Ihren Augen vielleicht abstoßenden Menschen, die aber eine schöne Stimme haben?

Es ist für mich schwer, Menschen als abstoßend zu sehen. Abstoßend können sie sein, weil sie so hässliche Gedanken haben und schreckliche Taten begehen oder weil sie so leblos und wie tot aussehen. Dann haben sie aber auch keine schönen Stimmen, wenn sie so halb tot sind. Abstoßend und schöne Stimme? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es das gibt.

Wie empfanden Sie Fassbinders Stimme?

Ah, seine Stimme war viel musikalischer und differenzierter als die Stimme von manch anderem. Das Ideal der männlichen Stimme, das habe ich aber, glaube ich, nie kennengelernt. Tiefe russische Stimmen wie aus den Kosakenchören. Ich bin immer diesen hellen, sensiblen Stimmen begegnet.

Ihre Gesangsstimme spielte in Ihren Filmen erst spät eine Rolle. Aus heutiger Perspektive ist es erstaunlich, dass Sie in Daniel Schmids La Paloma Opernarien mittels Playback mimten; Sie haben schließlich eine ausgebildete Stimme …

Ich bin aber keine Opernsängerin! Außerdem spiele ich in dem Film so eine Hupfdohle in einem Nachtclub. Die wird doch da nicht mit Opern ankommen. Aber das Lied »Shanghai« habe ich selbst gesungen, und zwar mit einem Vibrato, das ich extra dafür einstudiert hatte. So, wie es dargebracht und arrangiert war von Peer Raben, wurde es dann auch zum internen Hit.

Hatten Sie nicht das Gefühl, dass man Ihre Stimme unterschätzte?

Nein, nie. Um Gottes willen, wirklich nicht!

Wer hat denn so viele Lieder von so vielen tollen Leuten auf den Leib geschrieben bekommen wie ich, zum Beispiel von Hans Magnus Enzensberger, Rainer Werner Fassbinder, Wolf Wondratschek, Jean-Jacques Schuhl, Peer Raben, Rosa von Praunheim, und, und, und … Danke diesen Poeten, deren Sätze und Gedanken in Wort und Ton ich immer wieder feiern werde mit der mir möglichen Interpretation! Auch anderen Sängerinnen, die hoffentlich diese Lieder auch später noch singen werden können.

Ich war aber überhaupt nicht auf Karriere aus, ich hatte auch nie einen Agenten, der mir Rollen angeschafft hätte. Ich war immer damit beschäftigt, etwas zu entwickeln, was mit meiner Stimme und dem Leben zu tun hat. Da durfte man nicht damit stören, mich irgendeinen Abklatsch machen zu lassen. In diesem Punkt war ich recht egozentrisch. Ich konnte mir das leisten, weil ich immer zu tun hatte. Das war ein großer Luxus! Aber habe ich jemals gedacht, das hätte ich singen müssen und nicht der andere? Nun ja, beim Film Suspiria fand ich, man hätte mich ein paar mehr Gesangsszenen machen lassen können als nur »Guten Abend, gute Nacht« in der Szene mit Tilda Swinton als Dr. Klemperer. Ein paar Töne in der Küche und »Hänschen klein«. Luca, der Regisseur, hatte es gerne, wenn ich singe; wäre aber für den Film vielleicht zu viel gewesen. Schade.

Ihre Schwester war Opernsängerin.

Trudeliese war Opernsängerin, und zwar eine hervorragende. Sie war jünger als ich und ist viel zu früh gestorben. Schrecklich. Sie hat mit Karajan und Böhm gearbeitet, stand mit Ridderbusch in Bayreuth auf der Bühne. Sie hatte, da sie außer in Saarbrücken auch in Italien ausgebildet war, eine sehr schöne, warme Opernstimme, eine mit Patina, ein Belcanto. Sie war, was damals sehr rar war, eine hochmusikalische Opernsängerin und eine sehr gute Darstellerin.

Hätte Sie eine klassische Musikkarriere gereizt?

Was heißt reizen … Ich war immer gebunden an die Notwendigkeit, an das Wort, an den Text. In den meisten Opern zählt das weniger, ausgenommen die modernen Opern. Ich glaube, ich wäre in diesem Bereich nicht sehr glücklich geworden. Der Bereich, den ich dann auch ganz gut, glaube ich, ausgefüllt habe, das war das literarische Lied nach Kurt Weill und Schönberg und vor allem mit den Kompositionen für mich von Peer Raben. Das ist an den Text gebunden, das ist meine Stärke. Der literarische Inhalt und die Verbindung zur Musik reizen mich. Die Art, wie Musik den Inhalt untergräbt, umgeht oder auch verstärkt.

Im Film Mutter Küsters’ Fahrt zum Himmel von Fassbinder hatten Sie als Corinna Coren Ihre erste Rolle als Sängerin.

Nee, die erste kleine Rolle mit Gesang war die, die ich an unserem Hochzeitstag gesungen habe in Der amerikanische Soldat. Gut, das war keine wirkliche Rolle. Das habe ich gedreht an dem Tag, an dem wir geheiratet haben; in München in der Casanova Bar, in der ich jeden Abend mit Rainer unterwegs war. Da hab ich gesungen »I’m sitting on the river with my tears«, mit so einer Art Verlorenheit gesungen. Der Text war von Ulli Lommel und die Musik von Peer Raben. Das war mein erstes Lied in einem Film. Obwohl, nein: Ich hab vorher einen Film gemacht in Schwabing, als Schwabinger Sängerin. Den Film hab ich nie mehr gesehen, er ist verschwunden. Es stimmt aber, dass Corinna Coren meine erste richtige Gesangsrolle war.

Wie kam es dazu?

Rainer hat nicht verstanden, warum ich nicht dauernd singe; er fand das so toll, wenn er mich singen hörte. Deshalb hat er einfach die Initiative ergriffen und mir Lieder geschrieben. Das wollte er natürlich dann auch hören. Daraufhin hab ich mit Peer Raben in Frankfurt in der Oper ein Studio mit Klavier gemietet, in dem wir dann wochenlang rumgemacht haben, Peer und ich. Ich hab die Texte von Rainer erst nur gesprochen, dann rhythmisiert, dann kleine Melodien ausprobiert, und Peer hat komponiert. Dabei sind die ersten Strukturen dieser Lieder für den Film entstanden. Dann passierte aber etwas Dummes: Die Synchronizität stimmte nicht zwischen Ton und Kamera. Darüber war ich zunächst unglücklich, denn bei meiner Art zu interpretieren ist auch technische Präzision wichtig, sonst geht vieles verloren vom Leben dieser Lieder. Für die Rolle aber war es nicht schlecht, denn Corinna Coren war auf dem Weg, als Sängerin unbedingt Karriere machen zu wollen. Zu mir als Sängerin passte es nicht und auch nicht zur Raffinesse von Peer Rabens Vertonung. Man erahnt nicht, weshalb, spürt aber eine Kälte, die für die Lieder nicht richtig, für die Rolle aber vielleicht nicht verkehrt war. Voilà, ich war nicht zufrieden damit.

Auch im Hinblick aufs Theater hat sich Fassbinder für Ihre Stimme interessiert.

Ja, ja. Rainer ist hinter mir her gewesen, als ich die Theaterleute alle noch nicht kannte. Er wollte unbedingt mit mir etwas am Theater machen. Als er Katzelmacher in München inszenierte, schrieb er mir eine Rolle, obwohl ich gar nicht spielen wollte. Die Rolle hieß Ingrid und kündigte schon an, dass ich Sängerin werden würde. Da hat er mich singen lassen (singt): »Wo meine Sonne scheint und wo meine Sterne stehen« als Version von Harry Belafontes »Island In The Sun«, mit Petticoat und Hochfrisur à la Farah Diba. Den Film aber wollte ich nicht machen, weil ich mit meinen Eltern unterwegs war. Rainer konnte das natürlich nicht verstehen und war ganz unglücklich darüber. Also hat er den Namen der Figur für den Film geändert. Im Originalbühnenstück hieß sie jedoch Ingrid und war für mich geschrieben. In dem Stück sag ich auch: »Ich lass jetzt Fotos von mir machen und werde Sängerin«, und die Mädels sagen alle: »Die spinnt!«

Und im wirklichen Leben?

Im wirklichen Leben war ich immer Sängerin. Ich hab ja immer gesungen, schon als Kind, vor allen möglichen Leuten.

Haben Sie sich auch darüber definiert als Person?

Nein. Für mich waren das Singen und die Musik so etwas Normales. Wir haben bei uns zu Hause immer Musik gemacht, mein Großvater schon. Das war normal. Da konnte ich gar nicht denken, ich mache das als Beruf. Im Gegenteil, ich konnte lange nicht von mir sagen: »Ich bin Sängerin oder Schauspielerin.« Das war mir zu eng alles. Ich bin Musikerin, d’accord!

Ein Sprung in die Gegenwart: In Albert Serras Liberté- Inszenierung an der Volksbühne 2018 ist Ihr Singen ein Schwanengesang, ein Abgesang auf die Liberté.

Ich wollte eigentlich kein Theater mehr machen, doch das Thema Liberté hat mich gereizt, und Albert Serra hat insistiert. »Wir machen das«, sagte er, »ob mit oder ohne Erfolg bei Kritik und Publikum!« Das finde ich eine sehr gute Haltung heute, wo alles immer nur Erfolg haben muss. Die Volksbühne hatte noch etwas von einem alten Theater, mit diesen Ateliers und all den wunderbaren, professionellen Leuten. Dieses Castorf-Dings hatte ja auch seine Funktion: Er zog die Jungen an mit seiner Art zu inszenieren. Meine Generation war noch zu sehr kulturell eingebaut – traditionell aus Sicht der jungen Leute – mit Literatur und Poesie. Serra ist einer der Besten heute. Anstrengend war es nur in dieser Kabine, dieser Sänfte auf der Bühne; obwohl mir die Idee sofort einleuchtete. Es fiel mir nicht leicht, mich zurückzuhalten in dieser Beengtheit, da ich nicht tun konnte, was ich gut kann: Ausdruck von Empfindungen und Gedanken durch Körpersprache zu vermitteln.

Das war grandios. Ihre Interpretation war völlig unpathetisch, aber ausdrucksstark.

Serra hat ja eine ganz moderne künstlerische Intelligenz. Ein, zwei Mal hat er mit mir alleine geprobt. Da ging es um Intensität ohne Emphase. Ich kann woandershin denken, über den Moment hinaus, nicht angstbesetzt, nicht nur um meinen eigenen Bauchnabel herum. Er weiß, dass ich eine Kraft ausstrahle, ohne was zu machen, aber doch möglichst mit einer Perspektive oder einem kleinen Hintergedanken. Nicht einfach nur Realismus: »Ich bin da, und das reicht.« Das würde mich langweilen.

Ungefähr vierzehn Tage vor der Premiere wollte Serra ein Lied von mir gesungen haben am Ende des Stücks. Ich habe ihm dann vorgeschlagen, mit dem »Ave verum« von Wolfgang Amadeus Mozart zu arbeiten aus einer Motette, die in der Eucharistie gesungen wurde. Der Text ist grausam: Christus ans Kreuz geschlagen. Sein Tod ist Pregustatum, Vorgeschmack auf unseren eigenen Tod. Diese verrückte Wahnsinnsidee der Katholiken, wo der Körper Christi in die Hostie eintritt. Ein Schauer läuft einem da über den Rücken. Ich singe die Mozart’sche Originalmelodie, eingebaut in eine elektronische Komposition von dem Spanier Marc Verdaguer. Das Stück ist eine Transsubstantialisation, es geht vom Körper aus. Der Moment, in dem man etwas verliert, woran man Halt gefunden hat. Da müsste es etwas anderes geben, das es aber nicht gibt. In der Heiligen Messe ist es der Tod Christi, dessen Körper dann in die Hostie eingeht.

Das Artifizielle, Divenhafte ist heute verpönt. Alles muss natürlich sein.

Ja, diese Art von artifice, die darf partout nicht sein! Aber schauen Sie sich wilde Tiere an. Wilde Tiere haben eine totale Eleganz. Die Leute, die sagen, dass wir alle natürlich sein sollen, sind eigentlich dafür, dass wir fad sind oder am besten schon halb tot. Ist das natürlich? Meine Raffinesse besteht darin, dass ich Künstlichkeit nicht zum Manierismus verkommen lasse. Nicht als Leere, sondern als Lust an Körper und Geist.

»Wo sind wir, wenn wir Musik hören«, fragt der Philosoph Peter Sloterdijk. Wo sind wir dann, Frau Caven?

Nietzsche sagte doch, das Ohr ist an jeden kleinsten Muskel des Körpers gebunden. Wenn man Musik nicht als Playback anhört, sondern richtig zuhört, hinhört