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Es ist nicht immer leicht für Katrin Maiwald, mit ihrer Tante Frieda unter einem Dach zu leben, denn die neunundfünfzigjährige Frühpensionärin ist oft unleidlich und nörgelig und macht ihren Mitmenschen das Leben schwer. Ewiger Streitpunkt zwischen Tante und Nichte ist Katrins Freund Ben, den Frieda für wenig vertrauenswürdig hält. Katrin hingegen liebt ihren Freund und zweifelt nicht an der Ehrlichkeit seiner Gefühle.
Da wird Tante Frieda schwer krank und muss sich einer äußerst komplizierten Schädel-Operation unterziehen. Weil sie nicht weiß, ob sie den Eingriff überleben wird, ruft sie Katrin an ihr Krankenbett. Jetzt ist die Stunde für ein erschütterndes Geständnis ...
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Seitenzahl: 127
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Denn niemand weiß, was morgen ist
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock/Tyler Olson
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-2833-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Denn niemand weiß, was morgen ist
Vor der schweren Operation gibt Katrin ihrer Tante ein Versprechen
Von Katrin Kastell
Es ist nicht immer leicht für Katrin Maiwald, mit ihrer Tante Frieda unter einem Dach zu leben, denn die neunundfünfzigjährige Frühpensionärin ist oft unleidlich und nörgelig und macht ihren Mitmenschen das Leben schwer. Ewiger Streitpunkt zwischen Tante und Nichte ist Katrins Freund Ben, den Frieda für wenig vertrauenswürdig hält. Katrin hingegen liebt ihren Freund und zweifelt nicht an der Ehrlichkeit seiner Gefühle.
Da wird Tante Frieda schwer krank und muss sich einer äußerst komplizierten Schädel-Operation unterziehen. Weil sie nicht weiß, ob sie den Eingriff überleben wird, ruft sie Katrin an ihr Krankenbett. Jetzt ist die Stunde für ein erschütterndes Geständnis …
Wenn ich genug Mut hätte, würde ich sie erwürgen, dachte Katrin und biss sich so fest auf die Lippen, dass es schmerzte. Im nächsten Moment ließ der Zorn schon etwas nach. Noch einmal ganz tief durchatmen und jetzt bloß nichts äußern, was ihr später leid tun könnte.
Es blieb ihr nun mal nichts anderes übrig, als Frieda so zu nehmen, wie sie eben war – weiß Gott keine leichte Prüfung. Aber der Mensch wuchs ja bekanntlich mit seinen Aufgaben.
„Wie du meinst, Tante Frieda“, sagte sie betont locker. „Wenn du den Kuchen nicht magst, lässt du ihn einfach stehen. In diesem Haus wird niemand gezwungen, etwas zu essen, was ihm nicht schmeckt.“
„Ich habe schon mehrfach erklärt, dass Streuselkuchen ein furchtbar langweiliges Gebäck ist. Und dieser hier …“ Frieda griff nach dem Teller, hielt ihn direkt vors Gesicht und betrachtete ihn mit giftigen Blicken. „… ist auch noch von gestern. Dann schmeckt er erst recht scheußlich.“
„Okay, er ist nicht mehr ganz frisch, lass ihn einfach stehen. Ben wird ihn sicher noch gern verspeisen.“
„Ich möchte aber was Süßes zum Kaffee.“
„Im Schrank sind noch verpackte Kekse“, erklärte Katrin ungerührt. Zum Glück hielt sich ihre Empörung nie lange. So schnell sie aufflammte, so rasch legte sie sich wieder. Im Grunde ihres Herzens war sie nicht nachtragend, auch wenn Frieda sie manchmal in den Zustand der Weißglut trieb.
„Kommt dein Freund etwa heute noch?“, erkundigte sich die Neunundfünfzigjährige mit dem gewissen Lauerton in der Stimme, in den sie immer dann verfiel, wenn sie von Ben sprach.
„Hast du was dagegen?“, konterte Katrin und brachte sogar ein Lächeln zustande.
„Nun, ihr könnt euch natürlich so oft treffen, wie ihr wollt. Ihr seid ja beide erwachsen“, teilte Frieda ungerührt mit, während sie prüfend ihre Fingernägel betrachtete. „Aber ich finde, ein Mädchen sollte sich rar machen. Das sagte meine Mutter auch immer. Ich habe mich stets daran gehalten.“
Und deshalb hast du keinen gefunden und bist heute allein, dachte Katrin.
„Und überhaupt, was findest du nur an diesem Burschen?“ Da Katrin nicht antwortete, gab Frieda gleich noch eine Bewertung ab. „Ihr passt doch gar nicht zusammen.“
„Lieb von dir, dass du dich um meine Herzensangelegenheiten sorgst, aber die nehme ich schon selbst in die Hand.“ Die Ironie in Katrins Kommentar war unüberhörbar, doch ihre Tante überhörte sie einfach, stand auf und verschwand türenschlagend in ihrem Zimmer.
Hoffentlich bleibt sie dort eine Weile, dachte Katrin. Aufseufzend ließ sie sich am Tisch nieder. Das Leben mit der Schwester ihres verstorbenen Vaters war wirklich kein Zuckerschlecken. Ständig hatte Frieda etwas zu kritisieren.
Waren es ausnahmsweise einmal nicht die Eigenschaften ihrer Nichte, schimpfte Frieda auf alles, was ihr gerade so unterkam, auf die Politik, die Nachbarn, die Preise im Supermarkt und schließlich auch auf das Wetter, das nie so war, wie sie es gern gehabt hätte. Alles, was sie im Alltag erlebte und erdulden musste, empfand sie als eine gegen sie persönlich gerichtete Gemeinheit. Selbst die Unpünktlichkeit der öffentlichen Verkehrsmittel, die sie ohnehin nur höchst selten benutzte, regte sie zu endlosen Schimpfkanonaden an.
Einmal hatte sie wütend erklärt, ab jetzt nur noch schwarz zu fahren.
„Für einen so schlechten Service gebe ich kein Geld mehr aus.“
„Dann lass dich bloß nicht erwischen“, hatte Katrin ihr geraten. „Dann sind nämlich sechzig Euro fällig. Da kommt dich eine gelöste Fahrkarte billiger.“
Liebend gern hätte Katrin die Tante vor die Tür gesetzt, aber das ging leider nicht ohne ihr Einverständnis. Zwar gehörte Katrin das vom Vater geerbte Haus allein, seit ihre Eltern vor neun Jahren bei einem Unfall gemeinsam ums Leben gekommen waren. Gleichwohl befand sich im notariellen Testament ein Passus, der Frieda ein lebenslanges Wohnrecht einräumte. Sie hatte an Katrins Vater praktisch Mutterstelle vertreten, weswegen er auch als Erwachsener Dankbarkeit für sie empfand und über ihr oft unzumutbares Verhalten hinwegsah.
Nach dem Tod der Eltern hatte Katrin daher Papas Schwester am Hals, ein Umstand, mit dem sie nicht immer gut klarkam.
Walter Maiwald war wohl davon ausgegangen, dass dies wegen der Größe des Hauses, in dem zwei Familien bequem leben konnten, kein Problem darstellen würde.
Einerseits war Katrin froh, dass sie in ihrem Elternhaus nicht allein wohnte, andererseits fühlte sie sich von Friedas ständigem Nörgeln mehr als genervt. Jetzt war erst einmal wieder Funkstille. Auch gut.
Ben hatte ihr schon mehrmals vorgeschlagen, doch zu ihm in seine Wohnung zu ziehen. Sollte Frieda doch zusehen, wie sie allein klarkam. Aber das ging wegen des Klaviers nicht, für das Bens Apartment leider zu klein war.
Katrin rief ihren Freund an, um sich bei ihm zum wiederholten Mal über die Tante zu beklagen, doch Ben war zurzeit nicht zu erreichen. Er hatte sein Telefon ausgeschaltet. Einen weiteren Versuch musste sie auf später verschieben, denn es klingelte. Das musste einer ihrer Klavierschüler sein. Sie öffnete.
„Grüß dich, Lukas“, sagte sie, „geh schon mal hinein. Ich komme gleich.“
Vielleicht konnte sie doch noch irgendwann an Friedas Vernunft appellieren und ein klärendes Gespräch mit ihr führen. Man sollte die Hoffnung nie aufgeben.
Es musste doch möglich sein, dass sie und ihre Tante einvernehmlich miteinander lebten, ohne sich gegenseitig das Leben schwer zu machen! Sie hatten ein Heim, von dem andere nur träumen konnten, sie lebten in Steinhausen, einem der angenehmsten Wohnviertel in München – und finanzielle Sorgen kannten sie nicht.
Katrin verdiente ihren Lebensunterhalt als Lehrerin in einer Musikschule, zusätzlich gab sie noch privat Klavierunterricht. Tante Frieda lebte von ihrer Pension als Grundschullehrerin. Außerdem verfügte sie über ordentliche Ersparnisse, die sich im Laufe der Jahrzehnte angesammelt hatten. Auch besaß sie ein Aktien-Depot, über das sie jedoch strenges Stillschweigen bewahrte.
Mit ihren sechsundzwanzig Jahren konnte und wollte sich Katrin nicht ständig von der Tante bevormunden lassen. Das musste sie ihr klarmachen. Wenn nicht jetzt, wann dann?
***
„O Gott, eine Operation! Das macht mir Angst.“
Nach dem eingehenden Studium der Befunde hatte Dr. Stefan Holl ein langes Gespräch mit seiner Patientin geführt. Jetzt beugte er sich vor und lächelte sie freundlich an.
„Sie brauchen keine Angst zu haben, Frau Maiwald. Die Gallenblase mitsamt den Steinen kann problemlos durch einen kleinen Schnitt in der Bauchwand entfernt werden. Das ist keine große Sache. Und danach haben Sie wieder Ruhe.“
Frieda wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn. Ihr Herz klopfte ängstlich. Der Besuch bei Dr. Holl regte sie auf.
„Wir können natürlich noch abwarten, ob die Steine von allein abgehen. Das passiert immer wieder. Manchmal wachsen sie aber auch, dann müssen sie raus.“
„Ich dachte mir schon so was – wegen der Schmerzen im Oberbauch. Wie komme ich dann ohne Gallenblase zurecht?“
„Sie müssen gar nichts weiter tun, als nur ein wenig Ihre Ernährung umstellen. Weniger Fett, weniger cholesterinhaltige Nahrung, dafür mehr Gemüse, Obst und Getreideprodukte.“ Dr. Holl lächelte optimistisch. „Jetzt bringe ich Sie zu meinem Kollegen Dr. Wolfram, der mit Ihnen einen passenden OP-Termin vereinbaren wird.“
Frieda lehnte sich zurück. Dr. Holl war ihr durchaus sympathisch. Sie genoss seine Aufmerksamkeit.
„Ich sollte mich schon längst mal richtig durchchecken lassen. In der letzten Zeit habe ich oft Kopfschmerzen. Und manchmal sehe ich die Dinge doppelt.“
Stefan Holl horchte auf. Diese Symptome hatten allerdings nichts mit der Galle zu tun.
„Das sollten wir unbedingt abklären“, erwiderte er. „Dafür müssen Sie sich einen Extratermin geben lassen.“
„Geht das nicht gleich? Jetzt bin ich schon mal da …“
„Für solche Untersuchungen sind bestimmte Voraussetzungen nötig. Sie müssen nüchtern kommen und am besten einen ganzen Tag einplanen.“
„Werden Sie diese Untersuchung durchführen?“
Dr. Holl legte ihr beruhigend eine Hand auf den Arm.
„Sie werden verstehen, dass ich nicht alles allein machen kann. Aber ich versichere Ihnen, dass wir hier in unserer Klinik ganz hervorragende Ärzte haben. Ohne meine Mitarbeiter wäre ich vollkommen aufgeschmissen.“
Frieda unterdrückte einen kleinen unzufriedenen Seufzer. Sie fand, dass ihr eine Behandlung durch den Chefarzt persönlich durchaus zustand.
Für den heutigen Besuch in der Berling-Klinik hatte sie sich schließlich eigens elegant zurechtgemacht. Sie trug ein schmal geschnittenes Kostüm, schwarze Schuhe mit einem halbhohen Absatz und einen kleinen flotten Hut auf ihren gepflegten grauen Haaren. Ihr Hausarzt hatte sie in die Berling-Klinik überwiesen.
Wenig später stellte sie fest, dass auch Dr. Michael Wolfram ein sehr charmanter Mann war, aber bestimmt verfügte er noch nicht über die Berufserfahrung des Klinikchefs. Ein Termin für die Gallenblasenentfernung wurde festgelegt. Die OP-Belegung war für die nächsten Wochen bereits verplant. Erst in zwei Monaten konnte der Eingriff stattfinden.
„So spät?“, murrte sie, aber eigentlich war sie ganz froh darüber, noch etwas Zeit zu haben.
Nach dem Gespräch mit Dr. Wolfram ließ Frieda sich mit einem Taxi nach Hause bringen. Unterwegs freute sie sich schon auf die Reaktion ihrer Nichte. Natürlich rechnete sie mit Katrins Zerknirschung. Dem Kind blieb nichts anderes übrig, als bei ihr Abbitte zu leisten, denn Probleme mit der Galle wiesen darauf hin, dass die betreffende Person immer wieder großem Ärger ausgesetzt war.
***
„Du musst ein paar Tage weg?“, wiederholte Katrin gedehnt. Wieso kam Ben erst jetzt damit?
„Das hat sich gestern erst ergeben, Liebes. Es handelt sich um eine Probezeit in einem Call-Center. Ich musste sofort zusagen. Und wenn alles klappt, bekomme ich einen neuen Job.“
„In einem Call-Center?“ Katrin verzog das Gesicht. „Und wo soll das sein?“
„Genau weiß ich es noch nicht, aber auf jeden Fall im Norden Deutschlands. Die Auswahl der Bewerber findet morgen in Frankfurt statt.“
„Aber dann musst du ja von München weg.“ Die Vorstellung, von Ben für länger getrennt zu sein, sorgte nicht eben für gute Laune bei ihr. Von einer Fernbeziehung hielt sie überhaupt nichts, auch wenn manche Zeitgenossen behaupteten, dass Distanz der Liebe guttat.
„Noch ist es ja nicht so weit. Außerdem kann ich dann doch jedes Wochenende zu dir kommen.“
Katrin seufzte bekümmert.
„Ich bin jetzt schon ein paar Wochen ohne Job“, fuhr Ben eindringlicher fort. „Darum ist es wichtig für mich, endlich was Neues anzufangen. Und heutzutage muss man nun mal mobil sein, sonst ist man irgendwann völlig abgehängt.“
„Das verstehe ich.“ Ob sie wollte oder nicht, in diesem Punkt musste sie ihm recht geben. Und gleichzeitig fielen ihr Friedas abfällige Bemerkungen über Ben ein, dass er nur deshalb nichts fand, weil er zu bequem war, sich eine passende Arbeit zu suchen.
„Sei nicht traurig, Liebes. Ich rufe dich an, sobald ich Neuigkeiten habe. Allerdings muss das Handy während der Schulung ausgeschaltet bleiben. Telefonieren können wir dann erst abends. Ich melde mich bei dir.“
„Und heute sehen wir uns nicht mehr?“ Sie hatte sich von ihrem Schrecken noch nicht erholt. „Willst du wirklich ohne Abschied fort?“
„Mein Zug geht schon in einer Stunde. Und ich habe noch nicht mal gepackt. Ich hab dich lieb, mein Schatz. Bald bin ich wieder da. Lass dir die Zeit ohne mich nicht lang werden.“
„Ich werde es versuchen“, versprach Katrin. Sie legte auf. Eigentlich hätte sie ihn wenigstens zum Bahnhof begleiten können. Die Klavierstunde heute Vormittag fiel aus. Ihr Schüler hatte kurzfristig wegen Krankheit abgesagt.
Nach ein paar Sekunden des Nachdenkens checkte sie an ihrem Laptop, wann in ungefähr einer Stunde vom Hauptbahnhof ein Zug nach Frankfurt fuhr. Elf Uhr dreißig. Das musste der sein, den Ben meinte.
Sie rief ihn zurück, doch er war nicht mehr erreichbar. Aber sie ließ es sich nicht nehmen, Ben zu überraschen. Und sie freute sich darauf, ihn vor seiner Abfahrt noch mal zu sehen.
Für den Hinweg bestellte sie ein Taxi. Eine halbe Stunde vor Abfahrt des Zuges stand sie bereits auf dem Bahnsteig und ließ suchend ihre Blicke schweifen. Noch war Ben nicht da. Wahrscheinlich kam er, wie immer, auf den letzten Drücker.
Der Zug rollte pünktlich in den Bahnhof ein und ebenso pünktlich wieder hinaus – ohne Ben. Sie hatte ihn nicht gesehen.
Verwundert drückte sie erneut auf ihrem Handy seine Nummer, doch er meldete sich nicht. Was war da los? So gern hätte sie sich mit einem heißen Kuss von ihm verabschiedet. Damit er wusste, wie sehr sie ihn liebte. Ihm schien das weniger wichtig zu sein. Warum?
Ziemlich frustriert verließ sie den Bahnhof. Jetzt fing es auch noch an zu regnen. Und sie hatte in der Eile vergessen, einen Schirm mitzunehmen. Also nahm sie wieder ein Taxi und ärgerte sich über die unnötige Geldausgabe.
Als sie im Fond des Wagens saß, spürte sie es warm über ihre Wangen laufen. Verstohlen wischte sie die Tränen weg. Doch das unsichere Gefühl, dass irgendwas nicht stimmte, ließ sie nicht mehr los. Jetzt konnte sie nur noch darauf hoffen, dass sich bei Bens nächstem Anruf alles klärte.
***
Schon beim Betreten des Hauses hörte Frieda das Klavier. Das konnte nur Katrin sein, denn das Spiel war leicht und klar. Wenn einer ihrer Schüler spielte, verzog Frieda oft das Gesicht, als habe sie Zahnschmerzen. Und wenn es noch ärger wurde, stopfte sie sich Watte in die Ohren, um die Stümperei auf dem armen Instrument nicht ertragen zu müssen.
Eigentlich hatte Katrin es gar nicht nötig, all diesen unmusikalischen Sprösslingen Unterricht zu geben, nur weil das Klavierspiel für viele Eltern zum guten Ton gehörte. Aber Katrin ließ sich nun mal nichts sagen. Und auf Friedas Kritik ging sie schon gar nicht ein, sondern hielt dagegen, dass alle Kinder musikalisch waren. Was Frieda nur zu einem höhnischen Lächeln veranlasste.
Als sie jetzt an die Tür des Musikzimmers klopfte, war sie einigermaßen friedlich gestimmt.
„Hallo, ich bin wieder da!“, rief sie so laut in ein Klavierstück von Schubert hinein, dass Katrin sofort die Hände von den Tasten nahm.
„Bitte, Frieda, wenn ich spiele, möchte ich nicht gestört …“
„Gerade komme ich aus der Berling-Klinik“, erklärte Frieda und setzte sofort eine beeindruckende Leidensmiene auf. „Willst du denn nicht wissen, wie übel das Schicksal mit deiner Tante spielt?“ Sie holte tief Luft. „Ich muss mich auf den OP-Tisch legen. Und die Ärzte werden an mir herumschneiden. Daran führt kein Weg vorbei.“
„Wegen deiner Galle? Ach, mach dir keine Sorgen, Frieda. So was ist heutzutage doch Routine.“
„Was weißt du denn schon davon?“, gab Frieda grollend zurück. „Wenn man selbst nicht betroffen ist, sollte man nicht so leichtfertig daherreden.“
„Entschuldige bitte, so war das doch gar nicht gemeint. Ich wollte dir doch nur Mut machen.“
Katrin klappte den Klavierdeckel zu und ging ihrer Tante entgegen, um sie herzlich in den Arm zu nehmen, was sich Frieda gern gefallen ließ.
„Komm, wir reden ein bisschen“, schlug Katrin vor. Friedas Verletzlichkeit war vielleicht eine gute Ausgangslage für ein Gespräch. „Soll ich uns Kaffee machen?“
„Um Himmels willen!“, fuhr Frieda auf. „Kaffee tut meiner Galle nicht gut. Nur einen Kräutertee.“