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Nach mehreren Jahren im Einsatz für "Ärzte ohne Grenzen" in verschiedenen Krisengebieten der Welt kehren Cornelie und Alexander Götzenberger endgültig an die Berling-Klinik zurück. Dr. Stefan Holl und seine Frau Julia freuen sich sehr über die Rückkehr ihrer Freunde, die sich schnell wieder in München einleben. Gefährliche Auslandseinsätze sollen nun der Vergangenheit angehören.
Als Cornelie bald darauf schwanger wird, ist ihr Glück vollkommen. Doch eines Tages ruft Dr. Mertens an und bekniet Alexander, noch einmal einzuspringen und als Arzt in den Südsudan zu gehen. Nach langem Zögern stimmt er schließlich zu.
"Es ist nur für vier Monate", beruhigt er seine Frau beim Abschied. Doch nach drei Monaten wird die mobile Klinik überfallen und niedergebrannt, und von Alexander fehlt jede Spur. Als Cornelie die Schreckensbotschaft erhält, bricht sie zusammen und verliert beinahe ihr Baby ...
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Seitenzahl: 110
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Dein Vater wird dich niemals sehen
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock/Syda Productions
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4450-9
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Dein Vater wird dich niemals sehen
Ein Anruf zerstört alle Zukunftsträume
Von Katrin Kastell
Nach mehreren Jahren im Einsatz für „Ärzte ohne Grenzen“ in verschiedenen Krisengebieten der Welt kehren Cornelie und Alexander Götzenberger endgültig an die Berling-Klinik zurück. Dr. Stefan Holl und seine Frau Julia freuen sich sehr über die Rückkehr ihrer Freunde, die sich schnell wieder in München einleben. Gefährliche Auslandseinsätze sollen nun der Vergangenheit angehören.
Als Cornelie bald darauf schwanger wird, ist ihr Glück vollkommen. Doch eines Tages ruft Dr. Mertens an und bekniet Alexander, noch einmal einzuspringen und als Arzt in den Südsudan zu gehen. Nach langem Zögern stimmt er schließlich zu.
„Es ist nur für vier Monate“, beruhigt er seine Frau beim Abschied. Doch nach drei Monaten wird die mobile Klinik überfallen und niedergebrannt, und von Alexander fehlt jede Spur. Als Cornelie die Schreckensbotschaft erhält, bricht sie zusammen und verliert beinahe ihr Baby …
„Alex und Cornelie sind spitze! Die tun etwas, damit die Welt zu einem besseren Ort wird, und reden nicht nur darüber. Wenn ich meine Ausbildung abgeschlossen habe und Arzt bin, möchte ich auch für eine Weile für ‚Ärzte ohne Grenzen‘ arbeiten“, erklärte Marc Holl am Sonntagmorgen am Frühstückstisch.
Marc Holl studierte im ersten Jahr Medizin und trat damit in die Fußstapfen seiner Familie. Sein Großvater, Dr. Walter Berling, hatte die Berling-Klinik in München gegründet. Marcs Vater, Dr. Stefan Holl, leitete sie inzwischen, und auch seine Mutter, Dr. Julia Holl, war Kinderärztin, wenn sie es auch vorgezogen hatte, ihren Beruf zugunsten ihrer eigenen vier Kinder nicht mehr auszuüben.
„Ich habe nach meiner Assistenzarztzeit selbst mit dem Gedanken gespielt, für ein halbes Jahr mit ‚Ärzte ohne Grenzen‘ rauszugehen“, erzählte Julia Holl, die sich über die idealistische Einstellung ihres Sohnes freute.
„Du?“, kam es fassungslos von ihren Kindern und ihrem Mann.
„Ja! Ich! Was ist daran so verwunderlich?“, fragte Julia leicht gekränkt zurück.
„Das passt gar nicht zu dir, Mama“, meine Dani Holl, Marcs Zwillingsschwester, die sich für ein Biologiestudium entschieden hatte und damit dem Interesse ihrer Familie am Leben und wie es funktionierte treu blieb.
„Tatsächlich? Weil ich eine Frau bin oder weil ich viel zu brav und langweilig und angepasst bin, um auch einmal etwas zu riskieren?“ Was für ein Bild hatten ihre Kinder da von ihr? Julia war entrüstet. Gut, sie war Mutter aus Leidenschaft und mochte ihr Leben, aber das bedeutete doch nicht, dass sie nie andere Pläne gehabt hatte.
„Mama, so habe ich es nicht gemeint!“, beteuerte Dani sofort.
„Doch! Hat sie!“, stichelte der fünfzehnjährige Chris. Sonst war immer er es, der in alle Fettnäpfchen trat, und er fand es witzig, dass es diesmal Dani war, die sich wand und nach einem Ausweg suchte.
„Woher willst du das wissen? Steckst du in meinem Kopf?“, fauchte Dani ihren Bruder an. „Du bist einfach immer so vernünftig und zielorientiert, Mama. Ich hätte nicht gedacht, dass du in Kauf nehmen wolltest, ein halbes Jahr zu verlieren. Es ist schließlich eine Zeitfrage, ob du als Ärztin in einem Krisengebiet arbeitest oder gleich deine Facharztausbildung in Angriff nimmst. Das passt nicht zu dir“, versuchte Dani, sich geschickt aus der Affäre zu ziehen.
„Ich finde nicht, dass man als Arzt Zeit verliert, wenn man in den schlimmsten Krisengebieten dieser Welt alles tut, um die Not zu lindern. Dafür ist man in erster Linie Arzt geworden“, stellte Julia richtig, war aber versöhnt. Für zielorientiert durften ihre Kinder sie gerne halten. Daran war nichts auszusetzen.
„Alexander wollte damals eigentlich auch nur für ein halbes Jahr oder ein Jahr raus, aber jetzt sind es schon fünf Jahre, die Cornelie und er in immer anderen Krisengebieten arbeiten. Wenn man all die Not gesehen hat, ist es nicht leicht, wieder als normaler Arzt in Deutschland zu arbeiten“, meinte Stefan Holl.
Alexander und Cornelie Götzenberger waren eben erst von einem Einsatz in einem afrikanischen Bürgerkriegsland zurück. Es hatte Tradition, dass sie während ihrer mehr oder weniger kurzen Aufenthalte in Deutschland bei den Holls einen Sonntag verbrachten. Die ganze Familie freute sich schon auf ihren Besuch zum Mittagessen an diesem Sonntag.
„Glaubst du, dass sie es diesmal schaffen, sesshaft zu werden und zu bleiben? Cornelie ist Mitte dreißig. Sie möchte unbedingt Kinder, und allmählich wird es eng“, wandte sich Julia an ihren Mann.
„Keine Ahnung. Sie planen es immer wieder, aber dann kommt die nächste dringliche Anfrage, und schon sind sie wieder weg. Freuen würde ich mich, wenn sie blieben. Ich könnte die beiden gerade zurzeit gut in der Berling-Klinik brauchen“, antwortete Stefan.
„Was bringt Tante Cornelie mir wohl diesmal mit?“, überlegte Juju, mit elf Jahren das Nesthäkchen der Familie. „Das letzte Mal hat sie mir einen Ohrenreiniger aus Eisen mitgebracht. Ich hab ihn auf meinem Nachttisch liegen, aber die Ohren würde ich mir damit ganz bestimmt nicht putzen wollen. Gruselig.“
„Juju, unsere Pragmatikerin!“, spottete Marc.
„Ich bin keine Prag … Prag … – was immer das auch ist. Ich bin das nicht, und du bist blöd!“, griff Juju ihn empört an, die instinktiv ahnte, dass es nichts Nettes sein konnte.
„Hey, eine Pragmatikerin ist nichts Schlimmes, du Urmel. Es bedeutet nur, dass du an die angenehmen Sachen des Lebens denkst wie zum Beispiel Geschenke und gut für dich sorgst“, erklärte ihr Bruder rasch.
„Ach so!“ Juju beruhigte sich. „Sag das doch gleich!“
Stefan und Julia Holl warfen sich einen amüsierten Blick zu, dann ging Julia in die Küche. Sie wollte zu Ehren ihrer Gäste ein typisch bayrisches Essen zubereiten. Es sollte Semmelknödel und einen klassischen Schweinekrustenbraten geben, und da hatte sie einige Arbeit vor sich, bevor alles auf dem Tisch stand. Mit Freude machte sie sich ans Kochen.
Als Alexander und Cornelie Götzenberger gegen zwölf Uhr eintrafen, war der Tisch gedeckt, und die ganze Familie Holl stand zum Empfang bereit. Es war ein herzliches Umarmen und Lachen.
„Ist das schön, dass ihr da seid – sicher und gesund!“ Julia konnte Cornelie kaum loslassen, so sehr freute sie sich, die Freundin wiederzusehen. Aus einem Telefonat wusste sie, dass das Paar bei diesem Einsatz in ernster Gefahr gewesen war. Ihre Behelfsklinik war von Rebellen angegriffen worden.
„Du wirst uns noch überbekommen!“, warnte Cornelie sie verschmitzt und warf ihrem Mann einen zärtlichen Blick zu. „Wir haben vor, Stefans Angebot anzunehmen und in der Berling-Klinik anzufangen. Einmal muss Schluss sein“, verriet sie.
„Das ist ja wunderbar!“, freute sich Stefan Holl. „Wie fest ist euer Entschluss?“, fügte er dann aber an und sah Cornelie und Alexander abwechselnd an.
„Felsenfest!“, sagte Alexander mit Entschiedenheit. „Diesmal sind wir dem Tod zu knapp von der Schippe gesprungen. Ich hatte die Waffe eines Rebellen am Kopf, während ich seinen Anführer operierte. Es ist genug. Mehr an Warnung brauche ich nicht.“
Die vier Kinder der Holls hingen neugierig an seinen Lippen. Eine Waffe am Kopf – das war aufregend und spannend, fast wie in einem Actionfilm. Warum erzählte er nicht weiter?
„Was ist passiert?“, fragte Chris schließlich atemlos, als Alexander beharrlich schwieg.
„Ich hatte Glück. Der Anführer überlebte die Operation, ansonsten wäre ich tot. So etwas gibt einem zu denken. Man fragt sich, ob man schon bereit ist, aus dem Leben zu gehen, oder ob es noch etwas gibt, was man unter keinen Umständen verpassen möchte“, erklärte Alexander, dem der Schock noch aus den Augen sprach.
„Und da gibt es so einiges, was wir unbedingt erleben wollen. Sonntagmorgens im Bett schmusen und als einzig drängendes Problem darum streiten, wer zuerst ins Bad muss und Brötchen holt. Wir wollen ein ganz normales, zufriedenes Leben, und, na ja, irgendwann soll es da noch ein oder zwei kleine Persönlichkeiten geben, die uns auf Trab halten“, sprach seine Frau für ihn weiter.
„Wird euch das nicht ganz schnell langweilig werden? Da passiert doch nichts, und ihr seid ein aufregendes Leben gewohnt“, fragte Marc spontan, ohne nachzudenken.
Alexander sah ihn ernst an und schüttelte ruhig den Kopf. Er verstand den Jungen. Früher hatte er gar nicht so anders gedacht und empfunden.
„Mit unzureichender Ausrüstung, kaum Medikamenten und weitgehend ungeschützt in einer Behelfsklinik zu arbeiten und Tag für Tag einem schier unfassbaren Leid zu begegnen, das hat nichts Abenteuerliches, Marc. Man lernt genau das zu schätzen, was dir so langweilig erscheint. Ein Leben in relativer Sicherheit und all dem Luxus, den wir hier in Deutschland haben, ist etwas Kostbares“, erklärte er.
Marc verstand und nickte beschämt. Er fühlte sich oberflächlich und dumm. Natürlich ging es nicht um das Abenteuer, aber das Abenteuerliche daran faszinierte ihn dennoch.
Während des Essens erzählten die Götzenbergers noch einiges über ihren Einsatz und sprachen von ihren Plänen für ihr neues Leben. Sie wollten sich in einem Randviertel von München ein schönes, kleines Haus suchen, und schon am Montag machten sie einen Termin mit Dr. Stefan Holl aus, um ihre Verträge näher zu besprechen.
„Ihr kommt so etwas von richtig!“, freute sich der Klinikleiter. „Ich suche händeringend Ärzte, die etwas von ihrem Fach verstehen, und bei euch kann ich mir da sicher sein.“
Alexander hatte seine Ausbildung zum Allgemeinchirurgen in der Berling-Klinik absolviert und mehrere Jahre in der Klinik gearbeitet. Er war für seine Einsätze bei „Ärzte ohne Grenzen“ freigestellt worden und hatte im Prinzip noch seine Stelle.
Cornelie und er waren seit drei Jahren ein Paar. Sie hatten sich bei einem Einsatz in einem Flüchtlingslager kennengelernt. Als sie sich bei ihrem nächsten Einsatz zufällig wieder begegneten, erklärten sie es für Schicksal, und einige Monate danach hatten sie geheiratet.
Cornelie war Spezialistin für Infektionskrankheiten und Intensivmedizin. Für Stefan Holl war sie ein besonderer Glücksgriff, denn er brauchte dringend jemanden für die Intensivstation.
„Dann werden wir uns in Zukunft öfter sehen“, sagte Julia Holl zum Abschied zu Cornelie und hielt lange ihre Hand. „Ich freue mich so, euch von nun an hier zu haben. In letzter Zeit wurden zu viele Kliniken bombardiert, und Ärzte und Krankenschwestern sind gestorben. Ich hatte Angst um euch“, gestand sie.
„Ich kann es noch nicht ganz glauben, dass unser Leben ruhiger und planbarer werden wird. Keine Angst mehr zum Frühstück – das wird eine Umstellung“, seufzte Cornelie glücklich. „Normalität – allein das Wort hat für mich einen Wohlklang, der mir die Augen feucht werden lässt.“
„Na, hoffentlich ist das noch so, wenn unser Baby dich nachts wachhält und ich ständig Überstunden schieben muss“, spöttelte Alexander, und alle lachten.
Marc war heimlich ein wenig enttäuscht, hütete sich aber, einen Ton darüber zu verlieren. Alexander und Cornelie waren seine Helden gewesen, und es befremdete ihn, dass seine Helden einfach nur wollten, was für ihn selbstverständlich schien.
***
Dankbar und voller Freude tauchten Cornelie und Alexander Götzenberger in ihr neues Leben ein. Es erwies sich als schwierig, ein passendes und vor allem bezahlbares Haus in München zu finden. Die Preise waren spektakulär, und es waren so wenige Häuser auf dem Markt, dass sie meist im Handumdrehen verkauft waren trotz der überhöhten Preise.
Zum Glück bestand kein Grund zu übertriebener Eile. Alexander war in München geboren und aufgewachsen. Seine Mutter lebte noch in München und nahm das Paar liebend gerne bei sich in ihrer Dreizimmerwohnung auf. Es war etwas eng, aber Alexander und Cornelie waren Schlimmeres gewohnt.
Einen Monat gönnte sich das Paar Urlaub, bevor es seine Stelle in der Berling-Klinik antrat. Es tat gut, alles erst einmal etwas langsamer anzugehen, denn das Leben in Deutschland war ihnen fremd geworden. Vieles befremdete sie, weil es allen so selbstverständlich schien.
Sie schlenderten öfter Arm in Arm durch die Münchner Fußgängerzone, beobachteten die Passanten und versuchten, ihren Platz in all dem Getriebe zu finden. Immer wieder sprachen sie über ihre Erfahrungen und Gefühle und bemühten sich, das Vergangene tatsächlich hinter sich zu lassen und einen völligen Neuanfang zu wagen.
„Wie reich die Menschen hier sind, und kaum einer sieht froh und zufrieden aus. Seltsam!“, überlegte Cornelie immer wieder verstört.
„Wenn man den Hunger oder die Ungewissheit des Flüchtlingslebens nicht erfahren hat, erwartet man vom Leben, dass es einem alles gibt, was man sich so wünscht. Man kann sich nicht vorstellen, was es bedeutet, ständig um das reine Überleben kämpfen zu müssen. Du kannst den Menschen hier nicht vorwerfen, dass sie mehr haben, als sie brauchen“, meinte Alexander.
Er kam mit der Umstellung besser zurecht als seine Frau.
„So sieht das Himmelreich aus!“, seufzte er am Abend nach seinem ersten Arbeitstag zufrieden. „Ein steriler Operationssaal, eine Unmenge an guten Instrumenten und Medikamenten und ein echtes Operationsteam, bei dem jeder weiß, was er zu tun hat. Gott, ist das schön! Wie war es bei dir?“
„Eigentümlich“, gestand Cornelie, die sich noch etwas benommen fühlte von all dem Überfluss. „Die Intensivstation hat hauptsächlich Zweibettzimmer. Kannst du dir das vorstellen? Jedes Bett hat Monitorüberwachung. Der Tod ist keine öffentliche Angelegenheit, die zwanzig, dreißig Patienten und mehr mitbekommen. Im Medikamentenraum findest du einfach alles und kannst wählen, was für diesen Patienten wohl das Beste ist. Du hast die Wahl!“
„Und warum bist du nicht begeistert, sondern klingst fast ein wenig verärgert?“, fragte ihr Mann verständnislos.