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"Nur wer vergessen wird, ist wirklich tot. Du wirst in meiner Erinnerung ewig weiterleben."
Als ihr geliebter Mann vor fast vier Jahren bei einem Brand ums Leben kam, hat Eva-Maria Bucksteller sich selbst und ihm dieses Versprechen gegeben. Immer noch hält sie gern eine stille Zwiesprache mit ihm, erzählt ihm in Gedanken die Dinge, die sie am Tag erlebt hat, was sie bedrückt und glücklich macht.
Doch alles wird anders, als Jörg ihr plötzlich "antwortet". Laut und deutlich hört sie seine Stimme, so, als befinde er sich mit ihr im selben Raum!
Empfindet Eva-Maria im ersten Augenblick pure Freude, fürchtet sie im nächsten Moment den Verstand zu verlieren ...
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Seitenzahl: 111
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Stimmen im Kopf
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: sanneberg/shutterstock
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-6203-9
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Stimmen im Kopf
Warum eine Frau glaubt, verrückt zu werden
Von Katrin Kastell
Nur wer vergessen wird, ist wirklich tot. Du wirst in meiner Erinnerung ewig weiterleben.
Als ihr geliebter Mann vor fast vier Jahren bei einem Brand ums Leben kam, hat Eva-Maria Bucksteller sich selbst und ihm dieses Versprechen gegeben. Immer noch hält sie gern eine stille Zwiesprache mit ihm, erzählt ihm in Gedanken die Dinge, die sie am Tag erlebt hat, was sie bedrückt und glücklich macht.
Doch alles wird anders, als Jörg ihr plötzlich „antwortet“. Laut und deutlich hört sie seine Stimme, so, als befinde er sich mit ihr im selben Raum!
Empfindet Eva-Maria im ersten Augenblick pure Freude, fürchtet sie im nächsten Moment den Verstand zu verlieren …
„Das ist seelische Grausamkeit! Ich komme nach Hause, und du musst los zur Arbeit. Sag mir eine Beschwerdestelle im Universum, und ich beschwere mich!“, brummelte Dr. Jörg Bucksteller. Er umarmte seine Frau und hielt sie fest, obwohl sie sich zu befreien versuchte und zur Tür strebte. Sie war spät dran und musste zur Arbeit.
„Jörg, du bis unmöglich!“, schimpfte Eva-Maria Bucksteller lachend und gab ihm noch einen spielerischen Kuss auf die Nasenspitze. „Ich muss los! Du weißt doch, wie wichtig es ist, dass ich bei der Übergabe dabei bin. Wärst du pünktlich gekommen, Mann meines Herzens, hätten wir noch einen Tee zusammen trinken können.“
„Du weißt doch, wie wichtig es ist, dass ich bei der Übergabe …“, wiederholte er ihren Satz. „Hans kam etwas später, und ich musste noch etwas wegen der Schmerzbehandlung einer Patientin mit ihm durchsprechen.“
„Unsere Liebe droht zum Opfer der modernen Medizin zu werden – merkst du das? Ich glaube, wir müssen ein Zeichen setzen und in aller Form protestieren!“ Er zog sie noch einmal an sich und küsste sie wieder.
„Hmmmm! Protestieren ist schön! Daran könnte ich mich gewöhnen, aber ich muss trotzdem los! Leider.“ Sie schmiegte sich einen Moment an ihn und genoss seine Zärtlichkeit, dann machte sie sich resolut frei. „Es ruft die Pflicht!“
„Oh, lass sie rufen! Hör nicht hin, mein holdes Weib und …“
„Und was sage ich dann Doktor Holl, wenn er mich wegen Pflichtvergessenheit im Dienst einbestellt? Am besten schiebe ich die ganze Schuld auf dich. Assistenzärzte sind auch nicht mehr, was sie einmal waren …“, drohte Eva-Maria.
Sie warf ihm einen verschmitzten Blick zu und setzte ihre Rede fort.
„Und wenn er das deinem Vater erzählt, dann wirst du einbestellt zum Familienkonzil und bekommst einmal mehr zu hören, dass ein Arzt in der dritten Generation unter keinen Umständen und nie und nimmer eine Krankenschwester ehelicht. Bei Standesverrätern wundert es nicht, wenn sie den Anforderungen ihres Standes …“
„Aufhören!“ Er hielt sich die Ohren zu.
„Vor der Wahrheit, der reinen Wahrheit, kann man nicht die Ohren verschließen. So wird das kommen, wenn du mich nicht gleich und auf der Stelle loslässt. Willst du das, mein Herz?“, neckte sie ihn.
„Biest!“ Jörg schüttelte den Kopf, gab sie aber widerstrebend aus seiner Umarmung frei. Er war Assistenzarzt auf der onkologischen Station der Berling-Klinik in München, und Eva-Maria arbeitete dort als Krankenschwester auf der Intensivstation.
Dr. Stefan Holl war der Leiter der Klinik, mit dem sie nicht nur beruflich, sondern in gewisser Weise auch privat verbunden waren.
Jörgs Vater war wie Dr. Holl Gynäkologe, und die Männer waren eng befreundet und kamen regelmäßig zum Medizinerstammtisch mit anderen Kollegen zusammen. Dr. Holl kannte Jörg seit seinen ersten Studienjahren und war eher ein väterlicher Freund. Der Klinikleiter hütete sich, je ein Wort über Jörgs Arbeit gegenüber dessen Vater zu verlieren, weil er wusste, dass Vater und Sohn ein schwieriges Verhältnis hatten. Trotzdem neckten sich Jörg und Eva-Maria öfter damit.
„Ich bringe morgen früh frische Brötchen mit und halte mich für eine Tasse Kaffee mit dir wach!“, versprach Eva-Maria und war schon in der Tür.
„Ich will ein Baby mit dir haben und Papa werden!“, rief er ihr da aus heiterem Himmel zu.
Sie blieb wie angewurzelt stehen. Eva-Maria liebte Kinder und wünschte sich eigene. Bisher hatte Jörg sie immer um noch etwas Zeit gebeten, weil er erst Stationsarzt sein und besser verdienen wollte, bevor er daran dachte, eine Familie zu gründen.
„Ist das dein Ernst?“, fragte sie unsicher und wagte noch nicht, sich zu freuen. Plötzliche Meinungsänderungen waren eigentlich nicht Jörgs Art.
„Mit so etwas mache ich keine Scherze. Heute Nachmittag ging mir auf, was für ein Idiot ich bin. Das Leben kann so entsetzlich schnell vorbei sein. Du möchtest Kinder, ich möchte Kinder, und anstatt es immer wieder zu verschieben, sollten wir es angehen. Es ist nicht gut, auf später zu verschieben, was wirklich wichtig ist.“
„Und das sagst du mir zwischen Tür und Angel? Bist du wahnsinnig?“ Sie strahlte vor Freude und warf sich in seine Arme.
„Ich musste es dir gleich sagen, falls ich heute Nacht wieder Angst bekomme vor der Verantwortung. Falls ich ein miserabler Vater werde, baue ich darauf, dass du als Mutter nur umso besser bist und für einen Ausgleich sorgst.“
„Du wirst ein toller Papa sein! Mein mutiger, wunderbarer, einmaliger, großartiger, unvergleichlicher Mann!“ Eva-Maria bedeckte sein Gesicht mit Küssen.
„Geh schon!“ Lachend schob er sie von sich. „Morgen früh machst du genau an dieser Stelle weiter!“ Er deutete auf die Stelle an seinem Kinn, an der sie ihn eben geküsst hatte.
„Wird gemacht! Ich liebe dich!“
„Und ich dich. Verschwinde! Sonst werde ich doch noch von meinem Vater vor das Familiengericht beordert, und darauf habe ich gar keine Lust.“
„Irgendwann wirst du ihm sagen müssen, dass er Opa wird. Das wird neckisch. Bin ich froh, dass ich nicht dabei sein werde. Glück braucht der Mensch.“
„Verschwinde!“
Eva-Maria summte auf der Fahrt zur Berling-Klinik glücklich vor sich hin. Jörg und sie hatten sich auf einer Gartenparty der Holls kennengelernt. Jeden Sommer lud der Klinikleiter zu einer Gartenparty mit zahllosen Lampions, Musik und kaltem Büffet ein. Alle, die keinen Dienst hatten, ließen es sich dort gut gehen, und die Party war immer über Wochen hin das Thema in der Berling-Klinik.
Für Jörg und Eva-Maria war jener Abend unvergesslich geblieben. Bei ihnen war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Zwei Jahre lag das nun zurück, und sie hatten von jenem Abend an nie daran gezweifelt zusammenzugehören.
Dabei hatten sich ihnen unerwartete Hindernisse in den Weg gestellt. Jörgs Eltern lehnten Eva-Maria kategorisch ab, weil sie nur eine Krankenschwester war. Ihrer Überzeugung nach hatte ihr Sohn bessere Chancen auf dem Heiratsmarkt. Ihre Ablehnung reichte so tief, dass sie demonstrativ nicht zu der kleinen Hochzeitsfeier vor einem Jahr erschienen waren.
Da Eva-Maria keine Familie mehr hatte, war es Stefan Holl gewesen, der die Braut zu ihrem Bräutigam an den Altar geführt hatte. Für das junge Paar war der Klinikleiter so etwas wie ein Schutzpatron, dem sie vertrauten.
„Heutzutage sind Scheidungen nur noch eine Formsache. Wenn du irgendwann wieder zu Verstand kommst, lässt sich der Schaden beheben.“ Jörgs Mutter hatte ihren Sohn ein paar Tage nach der Trauung mit diesen Worten begrüßt.
„Papa hat den Schaden nie behoben. Soweit ich weiß, stammst du zwar aus einer angesehenen Münchner Industriellenfamilie, aber Medizin hast du nicht studiert, oder?“ Nach dieser Antwort hatte sie ihn wortlos stehen lassen und war für einige Monate beleidigt gewesen, was ihn wenig gekümmert hatte.
Erstaunlich, dass deine Krankenschwester dich zu uns gehen lässt … So wurde Jörg jedes Mal spöttisch von seinem Vater, Dr. Bernhard Bucksteller, begrüßt, wenn er ohne seine Frau zu einem Familienfest kam. Eva-Maria wurde nie direkt ausgeladen, aber sie tauchte auch nie auf einer Einladung auf.
„Eva-Maria hat mich überredet zu kommen. Ohne ihren Einfluss wäre ich mit Sicherheit nicht hier!“, antwortete Jörg dann ärgerlich.
In der Tat ließ Eva-Maria nicht zu, dass er den Kontakt zu seinen Eltern einschlafen ließ, obwohl sie in deren Haus nicht willkommen war.
„Du hast noch Eltern, Jörg. Glaub mir, ganz egal, wie schwierig es gerade ist, das ist kostbar. Ich wünschte, ich hätte dir meinen Vater und meine Mutter vorstellen können. Sie hätten dich gemocht. Irgendwann merken deine Eltern vielleicht, dass sie sich in mir täuschen und dass ich dir eine gute Frau bin.“
„Es ist doch vollkommen egal, was diese zwei arroganten Sturköpfe denken. Sie haben keine Ahnung“, schimpfte er zu solchen Gelegenheiten.
„Mir ist es wichtig, Jörg, weil ich weiß, dass sie dich lieben – genau wie ich.“
Ob ein Enkelkind etwas an der Meinung ihrer Schwiegereltern ändern würde? Eva-Maria wünschte es sich sehr. Zu ihrer Vorstellung von einer Familie gehörten Oma und Opa, die Anteil am Leben ihres Enkels hatten. Mama – sie würde endlich Mama sein. Am liebsten hätte sie die ganze Welt umarmt.
***
Für die Übergabe auf der Intensivstation kam sie auf die Minute pünktlich und lächelte ihre Kollegin vom Spätdienst entschuldigend an. Es war immer schöner, wenn etwas mehr Zeit blieb. Für gewöhnlich war sie immer zehn Minuten früher auf der Station, damit sie ganz entspannt ihre Patienten übernehmen konnte.
„Alles gut, Eva-Maria!“, winkte die ältere Kollegin beruhigend ab. „Wir sind nicht voll belegt, und bei einigen Patienten steht eine Verlegung auf die Normalstation morgen früh auf dem Plan, weil sich ihr Zustand stabilisiert hat. Ich denke, ihr werdet eine ruhige Nacht haben. Das wünsche ich euch zumindest sehr. Die letzten drei Nächte hatten es in sich. Ich habe es in euren Aufzeichnungen gesehen.“
Eva-Maria war in dieser Nacht für fünf Patienten zuständig, denen es aber dafür, dass sie noch auf der Intensivstation lagen, bereits deutlich besser ging. Tagsüber betreute sie oft nur zwei oder drei Patienten. Es hing immer davon ab, wie viel Pflege ein Kranker brauchte und wie ernst sein Zustand war.
Da sie ihre Arbeit äußerst sorgfältig ausübte, bedeuteten fünf Patienten trotz allem, dass sie fast die ganze Nacht auf den Beinen war und selten dazu kam, sich auch einmal hinzusetzen, um die schriftlichen Eintragungen vorzunehmen, die nun einmal auch zu ihrer Arbeit gehörten.
Kurz nach vier Uhr ging sie zu den Überwachungsmonitoren, die im vorderen Bereich der Station aufgestellt waren. Ihre zwei Kolleginnen saßen bereits dort, gönnten sich eine Tasse Kaffee und gaben dabei in den Computer ein, was dokumentiert werden musste. Sie unterhielten sich dabei.
„Schrecklich, wenn so etwas passiert! Was wohl die Ursache für den Brand war?“, hörte Eva-Maria die eine sagen.
„Man kann nur hoffen, dass es kein menschliches Fehlverhalten war. Wenn ich mir vorstelle, ich wäre für so eine Katastrophe verantwortlich und Menschen würden durch mich alles verlieren und sogar sterben – damit könnte ich nicht leben!“
„Ich auch nicht“, stimmte die erste Kollegin zu.
„Was ist denn passiert?“, fragte Eva-Maria, die bis eben bei ihren Patienten gewesen war und nichts mitbekommen hatte.
„Ein Brand in einem Mehrfamilienhaus in einem Viertel nahe der Innenstadt. Wir bekommen in etwa einer halben Stunde zwei neue Patienten hoch von der Notaufnahme. Eine Einundachtzigjährige mit schwerer Rauchvergiftung und einem Herzinfarkt durch die Aufregung. Es sieht nicht gut aus“, wurde sie informiert.
„Ihr dreiundfünfzigjähriger Sohn schlief im Zimmer neben ihr und hat auch eine schwere Rauchvergiftung. Sein Zustand ist etwas besser, und er wird es hoffentlich schaffen. Übel! Für einen Mann, der vier Stockwerke über den beiden in seiner Wohnung schlief, kam jede Hilfe zu spät. Er konnte nur noch tot von der Feuerwehr geborgen werden. Der Schwelbrand muss direkt im Zimmer unter ihm ausgebrochen sein“, sagte die andere Kollegin.
Eva-Maria lief ein Schauder über den Rücken, aber sie schob die dunkle Ahnung weg. So etwas passierte nicht! Das waren zufällige Ähnlichkeiten und nicht mehr.
„Gut, dass wir noch Sommerferien haben. Die drei anderen Wohnungen waren leer. Die Leute sind wohl noch im Urlaub mit ihren Kindern. Wenigstens etwas!“, fügte ihre Kollegin noch an und redete weiter.
Eva-Maria hörte nicht mehr zu. Das war eine Ähnlichkeit zu viel. Und wenn so etwas Entsetzliches doch zweimal in einem Leben passieren konnte? Was war, wenn ihre Kolleginnen tatsächlich von dem Mietshaus sprachen, in dem sie mit Jörg wohnte?
Ein Fünf-Familienhaus am Rande der Innenstadt, im Erdgeschoss eine alte Dame mit ihrem älteren Sohn, dann drei Stockwerke mit Familien mit Kindern, die gerade im Urlaub waren, und im obersten Stock ihre Wohnung. Das passte alles. Und doch konnte sie es nicht glauben.
Vor fünf Jahren, sie hatte gerade ihre Zusatzausbildung zur Intensivschwester begonnen, waren ihre Eltern bei einem schweren Auffahrunfall auf der A81 gestorben. Eva-Maria hatte bei der Arbeit von dem Unfall erfahren, der über fünfzehn Autos betroffen hatte.
Erst als die Polizei sie später informiert hatte, hatte sie begriffen, dass ihre Eltern, die von einem Kurzurlaub im Schwarzwald zurückgekommen waren, in den Unfall verwickelt gewesen waren. Ihre Mutter war noch am Unfallort gestorben und ihr Vater im Hubschrauber auf dem Weg zur Klinik.
Mit Jörg war alles in Ordnung, und es war nur ihre alte Angst, die sie glauben ließ, ihr Haus könne von dem Brand betroffen sein. Eva-Maria merkte, dass es ihr den Angstschweiß aus den Poren trieb. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte sie ein halbes Jahr lang unter solchen Panikattacken gelitten.