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Nachdenklich betrachtet Dr. Stefan Holl seine Kollegin Charlotte Ringer, die trotz eisiger Temperaturen im Klinikgarten auf einer Bank sitzt und traurig vor sich hin starrt. Was bedrückt sie bloß so sehr?
Schon seit einigen Wochen ist die hübsche Chirurgin, der Stefan Holl eine glänzende Karriere voraussagte, kaum noch wiederzuerkennen. Sie wirkt blass und übernächtigt und schleicht wie ein Geist durch die Gänge der Berling-Klinik. Nicht, dass ihr am OP-Tisch noch ein folgenschwerer Fehler unterläuft! Dr. Holl beschließt, zeitnah ein klärendes Gespräch mit Charlotte zu führen ...
Doch dazu soll es nicht mehr kommen. Denn nur Stunden später überschlagen sich die Ereignisse auf dramatische Weise ...
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Seitenzahl: 123
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Ein Garten der Liebe nur für dich
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Blinova Olga / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9213-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Ein Garten der Liebe nur für dich
Dr. Holl verspricht: Es gibt keinen Grund zu weinen
Von Katrin Kastell
Nachdenklich betrachtet Dr. Stefan Holl seine Kollegin Charlotte Ringer, die trotz eisiger Temperaturen im Klinikgarten auf einer Bank sitzt und traurig vor sich hin starrt. Was bedrückt sie bloß so sehr?
Schon seit einigen Wochen ist die hübsche Chirurgin, der Stefan Holl eine glänzende Karriere voraussagte, kaum noch wiederzuerkennen. Sie wirkt blass und übernächtigt und schleicht wie ein Geist durch die Gänge der Berling-Klinik. Nicht, dass ihr am OP-Tisch noch ein folgenschwerer Fehler unterläuft! Dr. Holl beschließt, zeitnah ein klärendes Gespräch mit Charlotte zu führen …
Doch dazu soll es nicht mehr kommen. Denn nur Stunden später überschlagen sich die Ereignisse auf dramatische Weise …
Dr. Charlotte Ringer blinzelte in den sonnigen Wintertag. Ihre Augen brannten. Sie wollte nicht weinen, aber sie spürte die heißen Tränen hochsteigen. So fest sie konnte, presste sie die Lippen zusammen. Sie zitterten trotzdem, je mehr sie dagegen ankämpfte, desto heftiger.
Nein, sie wollte kein kümmerliches Häufchen Elend auf einer kalten Bank im winterlichen Park sein. Eine wie sie mit einem Traumberuf musste es verkraften, wenn sie von einem Mann verlassen wurde. Erst recht dann, wenn sie sich ihm schon längst entfremdet hatte.
Der Liebste ging. Es war vorbei. Ja, und?
Sie schluchzte auf. Die ersten Tränen drängten sich ins Freie.
Menschen trennten sich täglich millionenfach auf dieser Erde. Weil man sich nichts mehr zu sagen hatte. Weil das Glück weitergezogen war. Weil dritte Personen in der Paarbeziehung störten. Nun war es also auch ihr passiert.
Jörg, dieser Mistkerl, hatte sie nicht verdient! Der Kummer schüttelte sie, die Schluchzer kamen häufiger. Sie sah die Welt nur noch verschleiert.
Drei Jahre lang waren sie glücklich gewesen … na ja, die letzten Wochen und Monate klammerte sie lieber aus. Lange hatte sie die Realität nicht wahrhaben wollen, doch im Rückblick sah sie nun, wie es wirklich gewesen war: Es hatte jeden Tag endlose Streitigkeiten gegeben, die sich in Schuldzuweisungen und Schmähungen erschöpften.
Sollte sie nicht froh sein, dass diese Lebensphase jetzt hinter ihr lag?
Eigentlich konnte sie doch glücklich sein, dass er so sang- und klanglos ausgezogen war. Aber es schmerzte sie dennoch. Ihr Herz verkrampfte sich. Die scharfen Krallen der Eifersucht wüteten in ihren Eingeweiden.
Allmählich ließ der Ausbruch nach. Mit klammen Fingern kramte sie in ihrer Jackentasche nach einem Taschentuch. Sie fand nur ein zerknülltes. Es musste reichen, um das Wasser aus den Augen zu wischen.
„Für Sie!“
Erschreckt drehte sie den Kopf nach links, in die Richtung, aus der die mitfühlende Männerstimme kam – und erblickte eine wunderschöne weiße Blüte.
„Wie bitte?“, fragte sie mit belegter Stimme und fuhr sich mit der Handfläche über die feuchten Spuren im Gesicht. Sonst steckte immer ein angebrochenes Päckchen Papiertücher in einer ihrer Taschen. Heute aber fand sie nichts. Das Gesicht des Mannes blieb verschwommen.
„Das ist eine Christrose“, sagte er mit einer Betonung, als wäre dies die wichtigste Information des Tages.
Noch immer konnte sie ihn nicht richtig sehen. Mit seiner großen Gestalt stand er in der Sonne, die großzügig vom blauen Winterhimmel strahlte. Charlotte kniff die Augen zusammen. Das Licht war so unglaublich intensiv, dass sie die Hand als Schatten benutzen musste. „Was wollen Sie?“, fragte sie.
„Die Christrose blüht im Winter, ja sogar im Schnee. Ist das nicht ein Wunder?“
Endlich fand Charlotte in der linken Jackentasche nun doch noch ein zerknülltes Taschentuch, mit dem sie noch einmal übers Gesicht wischte, um die letzten Tränenspuren zu beseitigen. „Mag schon sein, aber ehrlich gesagt ist mir dieses Wunder egal.“
Er lächelte sie ausgesprochen liebenswürdig an.
„Ich möchte sie Ihnen trotzdem schenken. Menschen früherer Zeiten glaubten, die Christrose sei mit besonderen Kräften ausgestattet. Probieren Sie es aus! Sie braucht nur ein bisschen Wasser, und Sie werden einige Tage lang Ihre Freude daran haben.“
„Sie kennen sich wohl gut mit Pflanzen aus.“
„Mein Hobby“, bekannte er.
Jetzt sah sie, dass seine Augen die Farbe schwarzer Oliven hatten. Der Mann betrachtete sie mit einer Aufmerksamkeit, die ihr ziemlich übertrieben vorkam.
„Aber bleiben Sie nicht länger auf dieser Bank sitzen, sonst erkälten Sie sich noch.“
Spielte er den Fürsorgenden, um sie anzumachen? Ein Flirt war jetzt bestimmt nicht das, was sie aufgemuntert hätte. Charlotte hüllte sich in Schweigen und wandte sich dem Klinikgebäude zu.
Er ließ nicht locker. „Sie haben Kummer.“
„Ja, und? Dazu habe ich doch wohl ein Recht, oder?“
„Selbstverständlich. Jeder soll nach seiner Fasson traurig sein. Darum dachte ich ja, dass diese schöne Christrose Ihrer Stimmung auf die Beine hilft, wenigstens ein bisschen. Weihnachten ist doch das Fest der Liebe.“
Eigentlich verspürte sie wenig Lust, sich jetzt noch weitere salbungsvolle Bemerkungen anzuhören. Außerdem musste sie wieder ins Haus zurück. Sie hatte sich auf der Station für eine halbe Stunde abgemeldet, um ein wenig an die frische Luft zu kommen.
Mit einem Blick auf die Uhr stellte sie mit leichtem Schrecken fest, dass sie die Pause schon deutlich überzogen hatte. Seltsam, dass man nicht nur in großen Glücksmomenten die Zeit vergaß, sondern auch in traurigen Phasen!
„Erstens ist noch gar nicht Weihnachten, und zweitens ist es mir ziemlich gleichgültig“, log sie und reckte den Kopf etwas mehr in die Höhe. Er sollte sie um Himmels willen nicht für eine Heulsuse halten. „Hatte gerade einen kleinen Durchhänger. Jetzt ist wieder alles okay.“
„Das freut mich“, sagte er, und es klang richtig überzeugt. „Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen?“
Sofort winkte sie ab. „Nein, völlig unmöglich. Ich habe überhaupt keine Zeit. Bin schon spät dran.“
Das Lächeln auf seinem Gesicht verschwand nicht.
„Einen angenehmen Tag wünsche ich Ihnen noch. Und bitte, vergessen Sie die Christrose nicht!“ Wie ein kostbares Geschenk bot er sie ihr an. Der Stängel war mit einem Stück Papier umwickelt. „Aber seien Sie vorsichtig mit dieser Schönheit! Sie ist sowohl eine Heil- als auch eine Giftpflanze, die Hautreizungen hervorrufen kann.“
Als sie zögernd nach der Blüte griff, berührten sich kurz ihre Hände. Wenn er außer Sichtweite war, würde sie die Blume, Christrose hin oder her, diskret im nächsten Abfalleimer verschwinden lassen. Doch als sie Minuten später das Arztzimmer auf der Chirurgie betrat, hielt sie die Christrose immer noch in der Hand. Und jetzt?
Sie füllte ein leeres Glas mit Wasser auf und steckte den Stängel achtlos hinein. Ob mit oder ohne Zauber, morgen würde sie verblüht sein.
***
„Möchten Sie einen Kaffee?“, erkundigte sich Chefarzt Dr. Holl bei seinem Besucher und wies einladend auf die Sitzgruppe am Fenster.
„Gern.“ Dominik Gerwald, ein erfolgreicher Landschaftsarchitekt, nahm in dem angebotenen Sessel Platz. „Nach einem ersten Überblick kann ich schon sagen, dass die Umgestaltung des Klinikgartens in ein paar Tagen erledigt ist.“
Während sie noch über die beste Jahreszeit für diese Aktion sprachen, servierte Dr. Holls Sekretärin Moni Wolfram wohlduftenden Kaffee und ein paar Plätzchen dazu.
Das warme Getränk belebte Dominiks Lebensgeister. Bei seinem Streifzug durch die Gartenanlagen war er doch ziemlich ausgekühlt. Lediglich das kurze Treffen mit der schönen Frau hatte ihn ein wenig gewärmt.
„Ich habe mir entsprechende Notizen gemacht und werde Ihnen in den nächsten Tagen einen Plan zukommen lassen. Die Wege sollten an einigen Stellen verbreitert und eingeebnet werden. In die großen Rasenflächen könnte man immergrüne Pflanzen setzen. Auch zwei, drei zusätzliche Baumgruppen halte ich für sinnvoll.“
„Es würde mich freuen, wenn wir uns einig werden könnten. Bis jetzt haben wir die Umgestaltung immer aufgeschoben, aber jetzt wird es höchste Zeit dafür.“
Dominik nippte an seinem Kaffee. „Das hoffe ich sehr. Mit einer durchdachten Pflanzenauswahl können Sie, Ihre Mitarbeiter und die Patienten die Schönheit jeder Jahreszeit in vollen Zügen genießen. Ich biete Ihnen eine Ganzjahresbetreuung zu einem guten Preis an.“
Dr. Holl fand den gut aussehenden Gartengestalter sehr sympathisch. Der bisherige Gärtner hatte seine Arbeit aus Altersgründen aufgegeben, und nach einem passenden Nachfolger war noch nicht gesucht worden. Aber dieser Mann hier machte schon mal einen guten Eindruck.
Stefans Schwiegervater Walter Berling, Gründer der gleichnamigen Klinik, hatte anlässlich seines letzten Besuches den Zustand des Gartens moniert, woraufhin Dr. Holl sofortige Abhilfe versprochen hatte.
Jetzt allerdings, da der Boden gefroren war, konnten die notwendigen Arbeiten noch nicht begonnen, aber schon die Planungen in die Wege geleitet werden.
„An der Südseite des Gartens im Schutz eines Holzschuppens habe ich erstaunlicherweise Christrosen gefunden, was mich sehr freute. In Deutschland sind sie nur in Bayern heimisch.“
„Sie müssen mir die Stelle zeigen“, meinte Dr. Holl. „Wenn ich mich recht erinnere, ist diese Pflanze giftig. Als Kind hatte ich davon öfter mal Blasen auf der Haut.“
Dominik nickte zustimmend. „Sie gehört zur Gattung der Nieswurze, die ja alle giftig sind. In der Homöopathie wird sie allerdings auch als Heilpflanze gegen verschiedene Beschwerden eingesetzt. Aber das wissen Sie sicher viel besser als ich. Danke für den Kaffee. Ich schicke ihnen die Pläne mit einem Kostenvoranschlag in den nächsten Tagen zu. Wenn Sie zu einer Entscheidung gekommen sind, rufen Sie mich bitte an!“
„Ich bin sicher, dass wir uns einig werden“, versprach Dr. Holl. „Danke für Ihren Besuch. Wenn ich mir alles angesehen habe, melde ich mich bei Ihnen.“
Nach dem Besuch beim Chefarzt machte sich Dominik auf den Heimweg. Er wohnte südlich von München in Unterhaching. Dort hatte er vor Jahren einen alten Bauernhof gekauft und ihn ganz nach seinen Wünschen und Bedürfnissen umgestaltet. Auch wenn er sich manchmal etwas einsam fühlte, so liebte er dieses alte Gebäude, das schon so viele Generationen beherbergt hatte.
Dominik hielt den Wagen vor der breiten Eingangstür an und stieg aus. Die Sonne war inzwischen verschwunden. Sie hatte sich nicht länger gegen die von Westen aufziehenden Wolken behaupten können.
Drinnen im Haus empfing ihn eine gemütliche Wärme. Dominik hatte eine Fußbodenheizung legen lassen. Zusätzlich verfügte der große Wohnraum über einen großen Kamin. An langen Winterabenden saß er gern davor und schaute fasziniert dem knisternden Spiel der Flammen zu. Heute allerdings war ihm nicht nach Romantik zumute. Er setzte sich gleich an den Computer und begann, die ersten Ideen in Plänen festzuhalten. Diese Tätigkeit beschäftigte ihn fast zwei Stunden.
Gegen sieben hörte er mit der Arbeit auf und schaltete den Fernseher ein, aber die neuesten Nachrichten fesselten ihn nicht. Gegen halb acht machte er sich etwas zu essen. Da er wieder mal nicht ausreichend eingekauft hatte, blieb es, wie leider viel zu oft, bei zwei Käsebroten und einem Glas Rotwein dazu.
Während er etwas lustlos auf den ersten Bissen herumkaute, machten sich seine Gedanken wieder selbstständig und flogen zu der Unbekannten im Klinikgarten, deren Weinen seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Sie glaubte sich wohl ganz allein in diesem hinteren Bereich des Klinikgartens.
Eine Weile war er wie erstarrt gewesen und hatte nicht gewusst, was er tun sollte. Schließlich pflückte er die Christrosen-Blüte und ging vorsichtig auf die Unbekannte zu. Er wollte sie nicht erschrecken, doch sie schien gar nichts von ihrer Umwelt mitzubekommen – und bemerkte ihn erst, als er ganz nah neben ihr stand.
Selten hatte er eine Frau so abgrundtief traurig erlebt. Selbst seine Tante Elli weinte nicht so verzweifelt. Bei ihr hatte er ohnehin den Eindruck, dass sie die Tränen ganz bewusst einsetzte. Aber dennoch liebte er Elli Gerwald von ganzem Herzen. Nicht nur, weil sie die einzige Verwandte war, die er noch hatte, sondern weil sie, von ihren Heulattacken einmal abgesehen, ein sehr warmherziger Mensch war.
Die Fremde im Park – musste er sich Sorgen um sie machen? Jetzt empfand er ein diffuses Schuldgefühl, weil er sich nicht intensiver um sie gekümmert hatte. Angesichts ihres Kummers war er ziemlich hilflos gewesen.
Nun war es eigentlich zu spät, sich wegen dieses Vorfalls noch Sorgen zu machen. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde er ihr nicht ein zweites Mal begegnen.
Nach dem Essen hörte er noch Musik von Beethoven. Gegen elf ging er ins Bett und schlief sofort ein. Am nächsten Morgen hatte er die Begegnung mit der Weinenden fast vergessen. Zwar tauchte sie noch ein paar Mal in seinen Gedanken auf. Aber das Bild von ihr wurde immer blasser. Und gegen Abend konnte er sich schon gar nicht mehr an ihr Aussehen erinnern.
***
Am Freitagnachmittag schickte sich Charlotte an, die Berling-Klinik zu verlassen. Sie war sich noch nicht im Klaren darüber, ob die Aussicht auf das vor ihr liegende Wochenende ihr Mut machen oder sie in neue Trauer stürzen würde.
Nun mach endlich mal den Blick frei für die Tatsachen!, ermahnte sie sich. Jörg ist ein Schmarotzer. Er verstand es hervorragend, dir auf der Tasche zu liegen. Gut, dafür war er ein zärtlicher Liebhaber, jedenfalls bis vor einigen Monaten. Aber ewig hättest du die Augen vor seinen schlechten Eigenschaften auch nicht verschließen können.
„Frau Dr. Ringer!“
Charlotte wandte sich um. Schwester Marion kam auf sie zu und wedelte mit der Christrose.
„Was soll damit geschehen? Soll ich sie wegwerfen? Das Zeug ist ja ohnehin giftig.“
Die Chirurgin blieb stehen. „Ja, ich weiß. Und Sie kennen sich mit solchen Sachen wohl auch gut aus.“
„Während meiner Ausbildung habe ich mich eingehend mit Gift- und Heilpflanzen beschäftigt“, erwiderte Marion.
„Sie blüht immer noch so schön“, stellte Charlotte mit leichter Verwunderung fest. Und nach kurzer Überlegung streckte sie die Hand nach der Christrose aus. „Geben Sie her! Ich nehme sie mit nach Hause. Mal sehen, wie lange sie noch durchhält!“
„Vielleicht bis Weihnachten“, meinte Marion. „Warten Sie, ich hole Ihnen etwas zum Verpacken.“ Nach wenigen Augenblicken kam sie mit einer Papiertüte zurück und steckte die Blume hinein. „So wird sie die Reise überleben. Schönes Wochenende, Frau Doktor!“
„Ihnen auch, Schwester Marion! Bis Montag dann!“
Eine halbe Stunde später betrat Charlotte das kleine Haus, in dem sie mit ihren Eltern gewohnt hatte. Vater und Mutter waren durch ein schreckliches Unglück in den Bergen ums Leben gekommen. Die Ski-Gondel mit zwölf Menschen war aus großer Höhe abgestürzt. Niemand überlebte. Fünf Jahre war das jetzt her. Charlotte vermisste die Eltern immer noch. Und das würde sich wohl auch noch lange nicht ändern.
Kaum hatte sie Schuhe und Daunenjacke abgestreift, bimmelte das Telefon. Es war Clemens, ihr zwölf Jahre älterer Bruder. Eigentlich war er ihr Halbbruder. Ihr Vater hatte den Jungen mit in die Ehe gebracht, als er Charlottes Mutter heiratete.
„Hallo, Kleines“, sagte er. Seine Stimme verriet ihr sofort, dass irgendetwas Ungewöhnliches passiert sein musste. „Wie geht es dir? Immer noch Liebeskummer?“
„Es geht so. Was ist los?“, fragte sie ungeduldig. „So rede schon! Ich merke doch, dass was nicht stimmt.“
„Wie recht du hast!“ Clemens seufzte tief. „Katrin und ich … wir trennen uns. Und vielleicht lassen wir uns sogar scheiden.“
„Oh nein!“, stöhnte Charlotte auf. „Warum herrscht ausgerechnet in unserer Familie das große Chaos?“