Chefarzt Dr. Holl 1891 - Katrin Kastell - E-Book

Chefarzt Dr. Holl 1891 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Wütendes Geschrei hat Dr. Stefan Holl auf die Frauenstation gelockt, und als er alarmiert das Zimmer seiner Patientin Eva Faller betritt, findet er die junge Frau in Tränen aufgelöst vor. Erst beim Anblick des Chefarztes verstummt ihr Mann Thomas und stürmt zornig davon.
Die Geschichte, die Eva Dr. Holl nun weinend anvertraut, erschüttert ihn bis ins Mark. Nie zuvor hat ihn ein Frauenschicksal so berührt wie das der schönen, hochschwangeren Eva, die völlig unverschuldet von ihrem Mann verstoßen worden ist!
Nach Thomas‘ gemeinen Vorwürfen verlässt Eva überstürzt und gegen den Rat der Ärzte die Berling-Klinik und zieht sich, ohne jemanden zu informieren, in ein weit abgelegenes Haus zurück. Doch dieser Entschluss soll sich als geradezu fatal erweisen - fatal für die werdende Mutter und ihre ungeborenen Zwillinge! Denn noch in derselben Nacht setzen bei Eva die Wehen ein! Und Dr. Holl ist in München viel zu weit entfernt, um das Leben der drei retten zu können ...

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Seitenzahl: 130

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Stunden zwischen Leben und Tod

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Africa Studio / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9910-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Stunden zwischen Leben und Tod

Eine Hochschwangere verschwindet aus der Berling-Klinik

Von Katrin Kastell

Wütendes Geschrei hat Dr. Stefan Holl auf die Frauenstation gelockt, und als er alarmiert das Zimmer seiner Patientin Eva Faller betritt, findet er die junge Frau in Tränen aufgelöst vor. Erst beim Anblick des Chefarztes verstummt ihr Mann Thomas und stürmt zornig davon.

Die Geschichte, die Eva Dr. Holl nun weinend anvertraut, erschüttert ihn bis ins Mark. Nie zuvor hat ihn ein Frauenschicksal so berührt wie das der schönen, hochschwangeren Eva, die völlig unverschuldet von ihrem Mann verstoßen worden ist!

Nach Thomas‘ gemeinen Vorwürfen verlässt Eva überstürzt und gegen den Rat der Ärzte die Berling-Klinik und zieht sich, ohne jemanden zu informieren, in ein weit abgelegenes Haus zurück. Doch dieser Entschluss soll sich als geradezu fatal erweisen – fatal für die werdende Mutter und ihre ungeborenen Zwillinge! Denn noch in derselben Nacht setzen bei Eva die Wehen ein! Und Dr. Holl ist in München viel zu weit entfernt, um das Leben der drei retten zu können …

Die blonde Frau, die den Flur der gynäkologischen Station betrat, bewegte sich langsam und vorsichtig. Schwester Annegret eilte ihr entgegen.

„Frau Faller, kommen Sie, stützen Sie sich auf mich! Ich habe dem Chef schon Bescheid gesagt. Sie sind sofort dran.“

Schwer hing Eva Faller am Arm der älteren Schwester. Die Hochschwangere atmete gepresst, und ihr bleiches, schweißnasses Gesicht ließ befürchten, dass sie kurz vor einem Zusammenbruch stand.

Veronika Zumstetten, eine elegante Mittvierzigerin, beobachtete missmutig, wie Schwester Annegret die junge Frau zur Ordination führte.

„Geht es hier der Schönheit oder der Reihe nach, Schwester?“ Messerscharf durchschnitt Veronikas Stimme den schmalen Flur. „Immerhin warte ich schon …“

Die ältere Schwester ließ Eva Faller kurz los und wandte sich halb um.

„Das ist ein Notfall, Frau Zumstetten. Wenn Sie Beschwerden haben, können Sie sie anschließend bei Doktor Holl vorbringen.“ Schwester Annegret wandte sich wieder ihrem Sorgenkind zu, und jetzt klang ihre Stimme weich und mitfühlend, als sie leise sagte: „Ganz ruhig, Frau Faller, gleich haben wir es geschafft.“

Dr. Holl verabschiedete rasch eine grauhaarige Dame und ging Eva Faller entgegen. Ein Blick in ihr Gesicht genügte dem Chefarzt, um alle Fragen auf später zu verschieben.

„Sofort ins Untersuchungszimmer, Annchen!“, ordnete er knapp an.

Schwester Annegret war Eva beim Ausziehen behilflich, und zehn Minuten später lag die hochschwangere Frau auf dem gynäkologischen Stuhl.

„Ich habe Schlimmeres befürchtet“, sagte Dr. Holl, nachdem er sie eingehend untersucht hatte. „Schwester Annegret, Sie bleiben bei Frau Faller. Wir sehen uns gleich im Sprechzimmer.“

Schnell streifte Schwester Annegret das blassblaue Umstandskleid über Evas Kopf, reichte ihr den Arm und führte sie ins Sprechzimmer.

Dr. Holl ließ es sich nicht nehmen, seiner hübschen Patientin, die er schon seit Monaten betreute, den Stuhl zurechtzurücken.

„Sitzen Sie gut?“, fragte er mitfühlend.

„Ach, Herr Doktor …“ Sie lächelte flüchtig. „Es ist wie beim Zahnarzt. Sobald man die Praxis betritt, sind die Schmerzen wie weggeblasen.“

Der Chefarzt der Berling-Klinik, der Eva Faller schon seit Jahren betreute und wusste, dass sie bereits zwei Fehlgeburten erlitten hatte, musterte sie besorgt.

„Frau Faller, Schmerzen sind nur ein Symptom“, sagte er ernst. „Sie sagten Schwester Annegret, dass Sie heute Morgen leichte Blutungen hatten?“ Er räusperte sich leicht. „Bei der Untersuchung stellte ich fest …“

„Nicht schon wieder eine Fehlgeburt, Herr Doktor!“, fiel sie ihm aufgeregt ins Wort, und ein paar Tränen lösten sich von den Wimpern.

„Nun, es käme allenfalls zu einer Frühgeburt, Frau Faller“, korrigierte er sie sanft. „Sie sind immerhin schon in der fünfunddreißigsten Woche.“ Er lächelte nachsichtig. „Darf ich jetzt fortfahren?“

„Verzeihung.“ Dunkles Rot überzog ihr hübsches Gesicht. „Ich wollte nicht unhöflich sein.“

„Schon gut.“ Für Frauen, die um ihr Baby bangten, hatte Dr. Holl mehr Verständnis als für alles andere. „Bei der Untersuchung stellte ich fest, dass Ihr Muttermund sehr locker ist. Deswegen schlage ich vor, dass Sie sofort in der Klinik bleiben.“

„Aber … aber ich habe doch gar nichts dabei!“

„Oh, ich denke, das können Sie telefonisch regeln. Ihr Mann oder Ihre Eltern bringen Ihnen sicher das Notwendigste“, meinte er. „Jedenfalls brauchen Sie jetzt absolute Ruhe, wenn Sie das Baby nicht in Gefahr bringen wollen.“

Dieser Hinweis genügte, um Eva zu überzeugen. Wehmütig schaute sie den Chefarzt an.

„Die Schwangerschaft hat alles verändert, Herr Doktor. Erinnern Sie sich noch daran, dass ich Ihnen erzählte, dass es in meiner Ehe kriselt?“

„Natürlich“, sagte er.

„Seit mein Mann weiß, dass wir ein Kind bekommen, ist er wie ausgewechselt.“ Ihre großen blauen Augen, die einen Schimmer Lila zeigten und an wilde Veilchen denken ließen, strahlten. „Er verwöhnt mich, er liest mir jeden Wunsch von den Augen ab und spricht nur noch von unserer kleinen Familie. Mein Gott, wenn ich bedenke, dass ich schon an Scheidung dachte …“

„So schlimm war es?“, warf er mitfühlend ein.

„Ach, Herr Doktor, schlimm? Es war manchmal die Hölle. Ich starb tausend Tode, wenn seine Ex anrief und …“

„Bitte? Seine Ex? Sagten Sie nicht, dass Sie schon fünf Jahre verheiratet sind?“ Verblüfft schaute er sie an. „Das ist ungewöhnlich.“

„Der Meinung bin ich auch, aber Thomas behauptet, er und Tina seien nur gute Freunde, sonst nichts.“ Sie verzog das Gesicht. „Tina hasst mich wie die Pest, Herr Doktor. Sie wird nie vergessen, dass sie abtreten musste, als Thomas mich kennenlernte. Ich weiß, dass sie alles tun würde, um unsere Ehe zu zerstören. Aber auf diesem Ohr war Thomas stets taub. Erst jetzt, in den letzten Monaten, distanziert er sich von seiner Ex, weil er weiß, wie sehr ich mich immer aufrege, wenn sie anruft.“

„Das ist ja wohl das Mindeste, was man von Ihrem Mann verlangen kann“, warf er grollend ein. „Aber darüber können wir immer noch reden, Frau Faller. Einen Augenblick bitte. Sie bekommen doch ein Einzelzimmer, nicht wahr?“

Eva nickte, und Dr. Holl telefonierte kurz, um ein Einzelzimmer vorbreiten zu lassen. Als er auflegte, wandte er sich schmunzelnd seinem Gegenüber zu.

„Und Sie tun keinen unnötigen Schritt mehr. Schwester Annegret bringt eine fahrbare Trage, auf der Sie sich ausruhen können, bis alles vorbreitet ist.“ Der Chefarzt stand auf und ließ sie kurz allein. Als er zurückkam, krümmte Eva sich laut stöhnend zusammen. „Schnell, Annchen, nun machen Sie schon!“, rief Dr. Holl und packte selbst mit an, als die ältere Schwester die Trage ins Sprechzimmer schob.

***

Vor drei Jahren, als Sandra in einem Traum von einem Hochzeitskleid vor dem Altar gestanden und ihrem Arno ewige Liebe und Treue geschworen hatte, war die Welt noch in Ordnung gewesen.

Dass Arnos Mutter ihr keine große Sympathie entgegenbrachte, war für Sandra nicht so wichtig gewesen. Irgendwann, so hatte sie sich eingeredet, würde Hildegard Wiesner schon erkennen, dass ihr Sohn keine bessere Frau finden konnte.

Diese Illusion war längst verflogen, und Sandra dachte oft an die Warnung von Freunden: Alt und Jung unter einem Dach ginge nicht gut. Sandra hatte nur darüber gelacht und völlig zu Recht behauptet, man wohne nicht unter einem Dach, sondern ein jeder in seiner Doppelhaushälfte.

Schon am ersten Tag nach den Flitterwochen erkannte Sandra, dass sie in Hilde keine Mutter, sondern eine Rivalin bekommen hatte.

Fast täglich tauchte die Ältere unangemeldet bei Sandra auf und schaute sich im Haus um, als suchte sie nach einem Fehler. Selbst vor dem Schlafzimmer des jungen Paares machte Hilde nicht halt, und als Sandra ihr den Zutritt zu diesem Raum verwehrte, verließ Hilde fluchtartig das Haus.

Hatte Sandra geglaubt, die Schlacht gewonnen zu haben, so wurde sie am Abend eines Besseren belehrt. Arno hatte sich mit verdrossener Miene an den Tisch gesetzt und kaum ein Wort mit ihr gesprochen. Sandra hatte vermutet, dass ihn geschäftliche Probleme quälten, doch als sie ihn darauf angesprochen hatte, rastete Arno aus.

„Weißt du eigentlich, dass ich alles nur Mama zu verdanken habe?“, hatte er sie angeschnauzt. „Wieso darf sie nicht durch unser Haus gehen, das im Grunde immer noch ihr gehört? Verdammt, ich will Ruhe, wenn ich abends geschafft nach Hause komme.“

Das hatte Sandra die Sprache verschlagen, und als ihr Mann auch noch hervorgehoben hatte, dass es ihm nicht unangenehm sei, wenn seine Mutter einen Blick in das eheliche Schlafzimmer werfe, kam es zum ersten Ehekrach.

Sandra hatte es nicht geduldet, dass die Schwiegermutter nicht nur einen Blick ins Schlafzimmer warf, wie Arno betonte, sondern auch noch die Schränke inspizierte, um der Jüngeren Unordnung vorzuwerfen.

An dem angespannten Verhältnis hatte sich bis heute nichts geändert. Sandra hätte mit Arno glücklich und zufrieden leben können, wenn seine Mutter sich aus der jungen Ehe herausgehalten hätte.

Doch Hilde Wiesner dachte gar nicht daran. Sie kritisierte alles und ließ keine Gelegenheit aus, Sandra vor Augen zu halten, was für eine unfähige Hausfrau sie sei.

Zwei Jahre war Sandra verheiratet, als sie endlich schwanger wurde. Bis dahin hatte sie sich Hildes spitze Bemerkungen über Unfruchtbarkeit anhören müssen.

Es war ein Trugschluss gewesen zu glauben, dass ein Enkelkind alles ändere. Hilde wollte ihr sogar vorschreiben, wie sie sich in der Schwangerschaft zu verhalten habe. Oft waren Sandras Nerven zum Zerreißen gespannt. Regelmäßig, wenn Arno seine Mutter verteidigte, kam es zu Auseinandersetzungen.

Inzwischen war Sandra so weit, dass sie immer öfter an eine Trennung dachte. Bei der Vorstellung, noch jahrelang den Attacken der Schwiegermutter ausgesetzt zu sein, bekam die junge Frau Gänsehaut.

Auch Leons Geburt änderte nichts. Hilde ging sehr liebevoll mit ihrem Enkel um, sang Lieder an der Wiege, lächelte verklärt, wenn sie den Kleinen in den Armen hielt. Für die Schwiegertochter hatte sie immer noch kein gutes Wort.

Sandra befand sich in einem Zustand zwischen Resignation und grenzenloser Wut. Am liebsten hätte sie Hilde Hausverbot erteilt. Vielleicht hätte sie sich sogar durchgesetzt, doch sie konnte der Schwiegermutter nicht verwehren, ihren Enkel zu besuchen – und das tat Hilde ausgiebig.

Leon war jetzt drei Monate alt und ein richtiger kleiner Wonneproppen. Sandras Glück wäre ohne die Schwiegermutter vollkommen gewesen.

Leon lag im linken Arm seiner Mutter und nuckelte mit geschlossenen Augen am Fläschchen. Sandra betrachtete ihn hingerissen. Sie war sicher, noch nie ein schöneres Baby gesehen zu haben.

Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, als sie die Haustür leise ins Schloss fallen hörte. Hilde hatte noch immer einen Schlüssel zur Doppelhaushälfte, und Arno hatte die Bitte seiner Frau, Hilde den Schlüssel abzunehmen, entschieden zurückgewiesen.

„Mama ist doch keine Fremde“, hatte er sie verteidigt. „Wie oft hast du dich schon ausgesperrt. Da warst du froh, dass du den Schlüssel von nebenan holen konntest!“ Damit war für ihn das Thema erledigt.

Aus dem Augenwinkel sah Sandra ihre Schwiegermutter in der offenen Tür auftauchen.

„Was soll denn das?“ Hildes Empörung war nicht zu überhören.

„Was soll was?“, entgegnete Sandra aggressiv und warf der Älteren einen kurzen Blick zu.

Händeringend kam Hilde zum Sofa. „Was bist du doch für eine Rabenmutter! Hast wohl Angst, dass deine Brüste später nicht mehr so schön sind? Arno liebt dich auch so – leider!“

Nur noch zwei Schlückchen, dachte Sandra. Komm, Kleiner, trink ein bisschen schneller, damit ich dich hinlegen kann. Für die Schwiegermutter, die wie ein Racheengel neben dem Sofa stand, hatte Sandra keinen Blick.

Kaum war das Fläschchen leer, stand die junge Mutter auf.

„Entschuldige, ich muss Leon hinlegen“, sagte sie kühl und ließ die Schwiegermutter allein.

Obwohl Leon sofort einschlief, blieb Sandra noch lange bei ihm, in der stillen Hoffnung, Hilde habe vielleicht schon das Haus verlassen, wenn Sandra wieder nach unten kam.

Das war ein frommer Wunsch, und die junge Frau wusste das auch. Als sie ins Erdgeschoss kam, wartete Hilde schon an der Treppe auf sie. Sandra ging wortlos an ihr vorbei in die Küche, um das Abendbrot vorzubereiten.

Ihre Schwiegermutter folgte ihr, lehnte sich an den Türrahmen und kreuzte die Arme vor der Brust.

„Wieso stillst du Leon nicht mehr?“

„Weil mein Arzt es so angeordnet hat“, antwortete Sandra knapp. Sie stand an der Spüle und wusch Salate, da sie für heute Abend eine Rohkostplatte geplant hatte.

„Was ist das für ein Arzt! Je länger eine Frau stillt, desto gesünder wird das Kind! Mit der Muttermilch wird der Grundstein fürs spätere Leben gelegt. Schau dir Arno an! Er ist ein Prachtkerl. Und warum? Fast ein Jahr lang habe ich ihn gestillt. Aber dir liegt scheinbar nichts an …“

„Halt endlich die Luft an!“, fauchte Sandra zornbebend. „Ich habe eine Entzündung in der Brust, und wenn Doktor Holl sagt, dass ich nicht stillen soll, dann halte ich mich an seinen Rat, nicht an deinen!“

„Pah! Brust entzündet!“ Hilde machte eine abwertende Handbewegung. „Deswegen kann man trotzdem stillen. Aber die jungen Frauen von heute sind ja alles Zimperliesen. Ihr habt alle nur erdenklichen Erleichterungen. Ich hatte nicht mal Pampers und habe trotzdem alles geregelt bekommen. Nein, nein, der arme Leon!“

„Bitte, Hilde, geh jetzt!“, forderte Sandra die Ältere hart auf. „Ich möchte mich nicht schon wieder streiten.“ Noch immer nannte sie ihre Schwiegermutter beim Vornamen. Das Wort „Mutter“ wollte nicht über Sandras Lippen kommen.

Feindselig starrten sie sich an.

„Arno hat was anderes verdient. Aber er wollte ja nicht auf mich hören“, stieß Hilde Wiesner zwischen schmalen Lippen hervor, und in ihren hellen kalten Augen lag grenzenlose Verachtung. „Aber ich werde nicht zuschauen, wie du meinem Enkel das Beste vorenthältst! Das verspreche ich dir!“

Die Schwiegermutter verließ die Küche. Hatte Sandra erwartet, dass Hilde die Tür hinter sich zuwarf, so wurde sie enttäuscht. Selbst in ihrem Zorn dachte Hilde noch an ihren Enkel, den sie nicht aus dem Schlaf reißen wollte.

Die junge Mutter spürte, wie ihre Knie zitterten. Leise weinend sank sie auf einen Stuhl und stützte den Kopf in die Hände. Sie erschrak, als sie sich bei der Vorstellung ertappte, wie wunderbar es doch wäre, wenn Arnos Mutter endlich unter der Erde läge.

„Verdammt, so weit bin ich schon?“, flüsterte Sandra erschrocken, nahm ein Taschentuch und wischte sich energisch übers Gesicht. „Jetzt ist aber endgültig Schluss!“

Sie stand auf, um ihre Arbeit fortzusetzen. Immer wieder ging sie zum Fenster und schaute zum hellen länglichen Flachbau hinüber, in dem das Dentallabor ihres Mannes untergebracht war. Kurz nach der Hochzeit hatte Arno sich – natürlich mit einer kräftigen Finanzspritze der Mutter – selbstständig gemacht. Bis zur Schwangerschaft hatte Sandra, eine gelernte Zahntechnikerin, eifrig mitgearbeitet.

Inzwischen beschäftigte Arno acht Angestellte, und das Auftragsbuch war gut gefüllt. Oft sprach Arno davon, dass er in ein paar Jahren das Darlehen an seine Mutter zurückgezahlt habe, dass er dann endlich alles sein Eigen nennen könne.

Sandra schwieg dazu. Das Grundstück gehörte immer noch seiner Mutter, ebenso die Doppelhaushälfte, in der sie wohnten. Ginge es nach Sandra, würde sie diesem Haus lieber heute als morgen den Rücken kehren.

„Schatz, ich bin da!“

Sandra schreckte auf. Sie war so tief in ihre düsteren Gedanken verstrickt, dass sie Arnos Kommen überhört hatte. Im nächsten Augenblick tauchte er auch schon in der Küche auf.

Sandras Herz klopfte schneller, sie ging rasch zu ihm und kuschelte sich an ihn.

„Endlich“, sagte sie, „ich bin so froh, dass du da bist!“

Der große blonde Mann legte die Stirn in Falten. Wenn Sandra ihn so sehnsüchtig begrüßte, wenn sie so erleichtert war, ihn zu sehen, konnte das nur bedeuten, dass sie sich wieder mit seiner Mutter gestritten hatte. Doch davon wollte Arno jetzt nichts hören. Zwölf Stunden Arbeit lagen hinter ihm, und er wollte sich entspannen.

„Ich habe einen Bärenhunger mitgebracht.“ Er gab ihr einen Kuss. „Ich wasche mir nur schnell die Hände.“

„Lass dir Zeit, ich muss noch das Hühnchenfilet braten!“, rief sie ihm nach.