Chefarzt Dr. Holl 1894 - Katrin Kastell - E-Book

Chefarzt Dr. Holl 1894 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Seit Tagen ist die dreiundzwanzigjährige Nora Eckert auf der Flucht. Tagsüber irrt sie durch die Stadt, nachts sucht sie irgendwo im Freien Unterschlupf. Es ist mehr als ein glücklicher Zufall, dass sie eines Morgens im Garten der Familie Holl erwacht.
Anstatt die obdachlose junge Frau davonzujagen, gewähren die Holls ihr ein paar Tage Unterschlupf. Offenbar befindet sich die obdachlose Frau in einer Lebenskrise. Welch ein furchtbares Martyrium tatsächlich hinter Nora liegt, das können sie nicht einmal erahnen ...


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Seitenzahl: 127

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

An alle, die weggesehen haben

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: creativemarc / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9913-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

An alle, die weggesehen haben

Erst Dr. Holl erkennt die Hilflosigkeit seiner Patientin

Von Katrin Kastell

Seit Tagen ist die dreiundzwanzigjährige Nora Eckert auf der Flucht. Tagsüber irrt sie durch die Stadt, nachts sucht sie irgendwo im Freien Unterschlupf. Es ist mehr als ein glücklicher Zufall, dass sie eines Morgens im Garten der Familie Holl erwacht.

Anstatt die obdachlose junge Frau davonzujagen, gewähren die Holls ihr ein paar Tage Unterschlupf. Offenbar befindet sich die obdachlose Frau in einer Lebenskrise. Welch ein furchtbares Martyrium tatsächlich hinter Nora liegt, das können sie nicht einmal erahnen …

„Ja, was machen Sie denn da?“

Cäcilie, die Wirtschafterin im Hause von Chefarzt Dr. Holl, stemmte die Arme in die Hüften und schaute grimmig auf das eingerollte Bündel, das sich nun zur Seite drehte und sich mit einem Schreckenslaut aufrappelte.

„Entschuldigung, ich …“

Cäcilie, die aus dem Haushalt der Holls gar nicht mehr wegzudenken war, trat noch einen Schritt näher. Das Bündel stemmte sich jetzt hoch und entpuppte sich als junge Frau, die aussah wie alle jungen Frauen, die gerade aus dem Schlaf gerissen worden waren. Nur ihre Augen waren anders. Sie hatten den Ausdruck eines waidwunden Tieres.

„Ich bin schon weg.“

„Nun mal langsam. So einfach verschwinden geht nicht. Was haben Sie hier zu suchen? Sie befinden sich in einem fremden Garten, das ist Ihnen klar, oder? Wie sind Sie überhaupt hier reingekommen?“

Cäcilie hielt die zierliche Person mit prüfenden Blicken gefangen. Das Haar hing ihr ziemlich zerzaust um den Kopf. Aber sie hatte wohl noch keine Gelegenheit gehabt, es zu kämmen.

Die Sachen, die sie am Leibe trug, na ja, die zeugten auch davon, dass sie die Nacht im Freien verbracht hatte. Das T-Shirt war schmutzig. Die Füße steckten in Stoffschuhen, die so verdreckt waren, dass man ihre Farbe nicht einmal mehr erahnen konnte.

Die zerrissene Jeans irritierte die Wirtschafterin der Holl-Familie weniger. Sie wusste, dass Löcher und Risse in den Hosen der aktuellen Mode geschuldet waren. So etwas trug auch die große Holl-Tochter Dani gelegentlich.

„Ich bin über den Zaun gestiegen. Ich dachte …“

„Und dann haben Sie sich einfach hier im Freien schlafen gelegt? Waren Sie betrunken?“ Cäcilie konnte es nicht fassen.

Die junge Frau schüttelte heftig den Kopf.

„Ich war so müde und …“

„… und dann haben Sie es sich bei uns bequem gemacht? Lassen Sie mal sehen, was Sie da in Ihrem Rucksack haben. Vielleicht sind da ja Sachen drin, die Ihnen nicht gehören.“

„Ich habe nichts gestohlen“, stieß die Fremde hervor. „Ich war wirklich nur …“

„Was ist denn hier los?“ Unerwartet trat Julia Holl aus dem Haus. Schnell kam sie näher und schaute fragend zwischen den beiden Frauen hin und her.

„Obwohl sie nicht eingeladen war, hat die junge Dame hier bei uns übernachtet“, erklärte Cäcilie ironisch und legte jetzt die Arme gekreuzt vor die Brust. „Behauptet sie jedenfalls. Vielleicht wollte sie aber auch einbrechen und hat erst mal neue Kraft gesammelt, bevor es an die Tat ging.“

„Ich bin keine Einbrecherin“, rief die junge Frau und hob flehend die Hände. „Bitte, glauben Sie mir. Lassen Sie mich gehen.“

„Haben Sie auch einen Namen?“, erkundigte sich Julia, deren anfänglicher Argwohn sich schon ein wenig legte. Sie hatte genug Menschenkenntnis, um zu erkennen, dass die Fremde nur Angst hatte und dass es ihr nicht gut ging. Und gefährlich sah sie schon gar nicht aus. Aber natürlich musste man trotzdem vorsichtig sein.

Die junge Frau schien mit sich zu ringen.

„Nora“, antwortete sie schließlich.

„Und weiter?“, mischte sich Cäcilie wieder ein.

„Nora Eckert.“

Auch Julia nannte ihren Namen und wollte dann wissen, ob Nora aus der Gegend sei.

Kopfschütteln.

„Wie sind Sie hier hereingekommen?“

„Es war sehr dunkel. Ich wusste nicht, wo ich war, und dachte, ich wäre in einem Park. Und ich war so müde …“

„Ja, das sagten Sie bereits“, fuhr Cäcilie streng dazwischen. „Offenbar sind Sie aber doch noch über den Zaun gekommen, der ja nicht gerade niedrig ist.“ Sie deutete mit dem Kopf auf das Hindernis.

„Lassen Sie mich gehen“, wiederholte die junge Frau, die sich Nora nannte, ihre Bitte. „Ich bin schon weg. Entschuldigen Sie nochmals …“

Sie raffte ihre Sachen zusammen. Dazu gehörten außer dem Rucksack und einer Kapuzenjacke noch eine leere Wasserflasche und eine zerknüllte Semmeltüte.

„Moment mal.“ Cäcilie streckte ihr die flache Hand wie ein Stoppschild entgegen. „Der Rucksack! Öffnen!“

Die junge Frau folgte der Aufforderung bereitwillig. Julia registrierte zerknüllte Wäsche, drei ebenso zerknüllte T-Shirts, eine Geldbörse, eine Taschenlampe und ein Notizbuch.

„Wo kommen Sie her?“

Nora Eckert verschloss den Rucksack und warf ihn über die Schulter.

„Ich habe kein Zuhause.“

„Was soll das heißen? Sind Sie obdachlos?“

Auf diese Frage bekam Julia Holl keine Antwort, sondern nur einen ängstlichen Blick.

„Gut, dann gehen Sie, diesmal aber durch das Haus. Ich begleite Sie.“

Jetzt erst bemerkte Julia, dass die junge Frau Schwierigkeiten beim Gehen hatte.

„Sie humpeln. Sind Sie verletzt?“

„Ich bin mit dem Fuß umgeknickt, aber es geht schon wieder. Danke, dass Sie nicht die Polizei rufen.“

„Das ist Hausfriedensbruch“, murrte Cäcilie, die hinter Julia die Tür zum Garten schloss. Ihr war anzusehen, dass sie mit Frau Holls Entscheidung nicht so ganz zufrieden war.

„Schon gut, Cäcilie“, sagte Julia leise und umfasste Noras Arm. „Augenblick mal, zeigen Sie mir die Verletzung. Ich bin Ärztin.“

„Das ist wirklich nicht nötig. Ich will Ihnen keine Mühe machen.“ Die junge Frau versuchte sich dem Griff der Hausherrin zu entziehen, doch Julia blieb Siegerin.

„Setzen Sie sich auf den Stuhl. Bitte krempeln Sie die Hose hoch.“

Nora gehorchte. Das linke Fußgelenk war leicht geschwollen.

„Wie ist das passiert?“

„Ich bin beim Übersteigen des Zauns abgestürzt.“

„Tut es weh?“

„Nur ein bisschen“, murmelte Nora. „Aber es ist sicher nichts gebrochen. Ich muss jetzt aber wirklich weiter.“

Vorsichtig berührte Julia die Schwellung mit den Fingerkuppen. Die Verletzte zuckte zusammen.

„Haben Sie schon etwas gegessen?“

Nora schüttelte den Kopf.

„Wenn Sie möchten, können Sie duschen. Anschließend lege ich Ihnen einen Stützverband an. Und Cäcilie macht uns dann sicher ein Frühstück. Einverstanden?“

Auch das noch!, sagte Cäcilies Miene, doch dann wandte sie sich seufzend ab und ging Richtung Küche, wo sie gleich zu werkeln begann. Julia wusste aus Erfahrung, dass ihr Widerstand nicht mehr lange anhalten würde.

Nora zögerte immer noch. Sie war hin- und hergerissen. Eigentlich durfte sie das freundliche Angebot nicht annehmen. Immerhin hatte sie den Bewohnern des Hauses schon viel zu viel zugemutet. Andererseits tat es unendlich gut, so freundlich umsorgt zu werden. Und da sie schon ein paar Tage auf der Flucht war, sehnte sie sich nach einer warmen Dusche.

„Na, dann kommen Sie mal. Ich zeige Ihnen, wo Sie sich herrichten können.“

Als Nora die Jacke auszog, sah Julia auf dem T-Shirt grüne Flecken von Gras und braune von Erde. Die junge Frau hatte wohl schon öfter im Freien übernachtet.

Julia zeigte ihr das Bad, in dem sich Dusche und Toilette befanden.

„Handtücher sind dort im Hängeschrank. Bedienen Sie sich. Kommen Sie mit dem Fuß allein zurecht?“

„Ja, vielen Dank, Frau Holl. Ich weiß gar nicht, wie …“

„Schon gut. Ich bringe Ihnen gleich noch ein frisches T-Shirt, dann müssen Sie das getragene nicht mehr anziehen. Und wenn Sie doch ein Problem mit dem Fußgelenk haben, rufen Sie.“

„Aber ich …“

„Sie sind hier in einem Ärztehaus gelandet. Mein Mann und ich sind Ärzte. Es ist unser Beruf, Ihnen zu helfen, wenn Sie ein gesundheitliches Problem haben.“

***

„Schwester Nora hat uns verlassen“, sagte Guru Pandu, der eigentlich Richard Brinkmaier hieß.

Seine Miene verdunkelte sich, und in seinen Augen sammelten sich Tränen. Als er weitersprach, klang seine kummervolle Stimme heiser. Aber er fing sich wieder und fand schnell zum eindringlichen Ton zurück.

„Ganz sicher war es nur eine Kurzschlusshandlung unserer lieben Mitschwester. Ihre Seele braucht neue Stärkung. Die findet sie nur bei uns. Wir müssen alles tun, um ihr zu helfen.“

Zehn Augenpaare hingen an seinen Lippen. Sieben Frauen und drei Männer saßen kreisförmig im Schneidersitz auf dem mit Teppichen ausgelegten Fußboden. Die Frauen waren schätzungsweise zwischen achtzehn und dreißig Jahre alt, von den Männern zwei Mitte zwanzig, einer deutlich darunter.

Neben Pandu saß Lakma, seine Angetraute. Zu jedem seiner Worte nickte sie bekräftigend und schaute immer wieder in die Runde, um zu sehen, ob auch alle Anwesenden aufmerksam zuhörten. Sie schien zufrieden zu sein. Des Meisters Worte verfehlten ihre Wirkung bei der Gruppe nicht.

„Das war dumm von unserer Nora. Statt über ihre Probleme mit uns zu sprechen, hat sie die Flucht vorgezogen. Die Flucht aus unserer Gemeinschaft, in der sie lange Zeit geschützt leben durfte. Irgendjemand muss ihr Lügen ins Herz gepflanzt haben. Davon muss sie geheilt werden. Darum werden wir sie wiederfinden.“

Pandus Blick glitt während des Sprechens von einem zum anderen.

„Haltet die Augen offen und forscht nach, auch bei den Leuten, die sie früher kannten. Ihr wisst, wie gefährlich die Welt ist. Aber wir sind nicht nachtragend und wollen ihr helfen, wieder zu sich selbst zu finden. Auch wenn sie gegen die Regeln unserer Gemeinschaft verstoßen hat. Wir werden sie wieder aufnehmen, wenn sie bereut. Wir verzeihen. Und jetzt schließen wir sie in unsere Gedanken ein.“

Die Menschen im Kreis setzten sich ganz gerade hin und reckten ihre Köpfe zur Decke.

Meister Pandu wechselte den Ton und verfiel in ein monotones Beschwören.

„Nora, du gehörst zu uns. Wir unterstützen dich. Weil wir auserwählt sind. Wir helfen einander. Die Gruppe ist unser Zuhause. Die Gruppe beschützt uns. Wir sind glücklich und haben keine Sorgen. Wir reinigen täglich unsere Seele. Wir helfen einander. Wir stoßen niemanden aus. Wir sind die Elite. Wir werden überleben, wenn die Welt zugrunde geht. Lass ab von deinem Irrweg. Nora, kehre um. Wir empfangen dich mit offenen Armen.“

Nach jedem seiner Sätze machte er eine Pause und gab der Gruppe Gelegenheit, die Worte langsam nachzusprechen. Als er geendet hatte, fassten sich alle bei den Händen. Pandu stand auf. Der Saum seines weißen Leinengewands reichte ihm jetzt bis zu den Füßen. Die Jünger verneigten sich sitzend vor ihm, bevor sie sich ebenfalls erhoben.

„Lakma wird jetzt wie immer die Beiträge kassieren.“ Er lächelte liebevoll. „Jede Spende darüber hinaus ist uns willkommen und dient einem guten Zweck. Ich danke euch, meine Lieben.“

Renate Brinkmaier, die sich jetzt Lakma nannte, lächelte ebenfalls, doch ihr kontrollierender Blick war das Beherrschende in dem gepflegten Gesicht mit einem geradezu perfekten Make-up. Ihre Frisur zeugte von einem ebenso guten wie teuren Haarstylisten. Und auch ihrer sportlich-eleganten Kleidung sah man an, dass sie nicht in einem Billigladen gekauft worden war.

Während sie das Geld entgegennahm, ließ sie gelegentlich eine Bemerkung über eine zu liederliche Kleidung oder einen dringend notwendigen Haarschnitt fallen.

„Das sollte in die Altkleidersammlung“, sagte sie zu einem jungen Mann namens Markus und deutete auf dessen Hemd, das am Kragen durchgescheuert war. „Du wirst doch bald Gruppenleiter werden und solltest nicht wie ein Penner aussehen.“

„Du hast recht, Lakma, verzeih meine Unachtsamkeit.“ Markus senkte demütig den Kopf.

Von jedem nahm sie Banknoten entgegen, zählte sie sorgfältig nach und machte dann einen Haken auf ihrer Liste. Lob und Tadel verteilte sie gleichmäßig.

„Robert, bitte keine Münzen, wie oft soll ich das denn noch sagen? Münzen machen meine Tasche so schwer.“

„Ich hab’s leider nicht anders.“

„Dann geh und tausch es irgendwo ein. Heute noch.“

Beim nächsten Jünger zog sie tadelnd die Brauen hoch.

„Was soll das? Das sind nur hundertfünfzig“, sagte sie.

„Den Rest zahle ich nächste Woche.“ Konrad schluckte. Sein Gesicht drückte tiefes Schuldbewusstsein aus. Er wirkte noch sehr jung und kindlich.

„Konrad, Konrad, du bist beim Verkauf etwas nachlässig geworden“, tadelte Renate, ohne auf seinen letzten Satz einzugehen. „Da muss mehr drin sein. Hast du vergessen, wie man die Leute dazu bringt, tiefer in ihr Geldtäschchen zu fassen? Du hast eine Auffrischung nötig und wirst bei Richards Coaching am Freitag mitmachen. Verstanden, oder soll ich es dir aufschreiben?“

„Nein, schon gut“, sagte Konrad. Weil er fürchtete, Lakma könnte etwas von seiner Angst bemerken, wagte er nicht, ihr in die Augen zu schauen.

„Das macht dann noch mal hundert fürs Coaching. Ich möchte, dass du nächste Woche deine Schulden bezahlst. Vergiss nicht, das Geld kommt uns allen zugute. Wenn einer ausschert, müssen auch die anderen leiden. Seit Noras Verschwinden ist ihr Platz in der Villa frei. Du möchtest doch sicher zu den Privilegierten gehören, die hier wohnen dürfen. Aber dann musst du auch zeigen, dass du ein guter Verkäufer bist.“

„Ja, Lakma“, sagte Konrad ergeben und verneigte sich dreimal, was ihr ein falsches gnädiges Lächeln entlockte.

Als alle gezahlt hatten, packte Renate Brinkmaier ihre Sachen zusammen und ging hinauf in den ersten Stock, wo sie mit Richard wohnte. Er saß an seinem Schreibtisch vor dem aufgeklappten Notebook. Sein Guru-Gewand hatte er achtlos über die Couch geworfen.

„Wie viel?“, fragte er.

„Bei Weitem nicht genug“, sagte Renate seufzend. „Du musst eine Initiative im Internet starten. Und unsere Leute müssen viel mehr anwerben als bisher. Verstärke deine Schulungen. Vergiss nicht, das Dach muss erneuert werden. Der nächste starke Regen kommt bestimmt, und dann sitzen wir nicht mehr im Trockenen.“

„Das wird schon alles, mach dir keine Sorgen. Was gibt es zu essen?“

„Ich habe nichts vorbereitet, aber wir können uns etwas kommen lassen. Wonach steht dir der Sinn?“

„Nach einem zünftigen Schweinsbraten mit Knödeln und Kraut.“

Renate rief in einem nahe gelegenen bayrischen Wirtshaus an, das sie schon öfter beliefert hatte. Sie bestellte für sie beide das typisch bayrische Gericht, zusätzlich zwei Stück Apfelstrudel zum Nachtisch.

Die Mitglieder der Gruppe versorgten sich selbst. Entweder kauften sie sich belegte Semmeln beim Metzger oder irgendetwas im Supermarkt. Oder jemand raffte sich auf, einen großen Eintopf zu kochen. Das sollten sie unter sich ausmachen. Pandu und Lakma waren nur für das geistige Wohl ihrer Jünger zuständig, nicht für das leibliche.

Während sie auf das Essen warteten, schaute Renate ihrem Mann über die Schulter.

„Bist du weitergekommen?“

„Heute geht es nicht so gut“, erwiderte er und klappte das Notebook zu. „Schreibblockade, du verstehst? Aber das wird schon.“

Der Autor des Werks „Der wahre Weg zu Glück und Reichtum“, veröffentlicht im Eigenverlag, verfasste bereits einen Folgeband mit dem Titel: „Der wahre Weg zum inneren Paradies.“ Die Varanas, wie das Paar seine Anhänger nannte, verkauften die Bücher auf der Straße, allerdings mit nur mäßigem Erfolg.

Trotz großer Bemühungen hatte Guru Pandu keinen Verlag für sein Buch gefunden, sonst wäre er längst auf der Bestsellerliste gelandet. Davon war er fest überzeugt.

***

Nora konnte immer noch kaum glauben, dass die Bewohner dieses Hauses so freundlich zu ihr waren, obwohl es nicht den geringsten Grund dafür gab. Die ältere Frau hatte zunächst ja kein Hehl daraus gemacht, wie ungehalten sie darüber gewesen war, dass Nora im Garten der Villa geschlafen hatte. Doch Nora hatte schnell begriffen, dass die verständnisvolle Frau Holl hier die Hausherrin war und die Entscheidungen traf. Und so hatte sich der Wind zu ihren Gunsten gedreht.

Das T-Shirt von Frau Holls Tochter Dani passte Nora gut. Sie empfand es als sehr angenehm, etwas Sauberes auf der Haut zu spüren.