Chefarzt Dr. Holl 1899 - Katrin Kastell - E-Book

Chefarzt Dr. Holl 1899 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Stille senkt sich über den OP, als Dr. Jens Brockmann mit einem gezielten, sicheren Schnitt die Schädeldecke öffnet. Nun ist er ganz der konzentrierte Chirurg, dem es einzig darum geht, das Leben der jungen Frau vor sich zu retten und dafür zu sorgen, dass sie nach der Entfernung des aggressiven Hirntumors ein beschwerdefreies Leben führen kann. Alles andere verliert in diesen angespannten Stunden für Jens seine Bedeutung - auch, dass die Patientin auf der Tabula die Frau ist, die er vor Jahren mehr als alles andere auf der Welt geliebt und durch eine unsägliche Dummheit verloren hat: Leonie ...
Chefarzt Dr. Holl, der bei dieser Operation nur assistiert, lässt seinen Kollegen nicht aus den Augen, auch wenn er nur ahnen kann, was Jens bewegt. Doch die schöne Patientin Leonie Martens hat Stefan Holl vor dem Eingriff ihr größtes Geheimnis anvertraut: eine Wahrheit, die alles verändern, aber auch alles zerstören kann - ihr letztes Vermächtnis ...


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Seitenzahl: 126

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Himmel ist noch fern

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Bastei Verlag / von Sarosdy

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0463-2

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Der Himmel ist noch fern

Leonies verzweifelte Bitte an den Chefarzt

Von Katrin Kastell

Stille senkt sich über den OP, als Dr. Jens Brockmann mit einem gezielten, sicheren Schnitt die Schädeldecke öffnet. Nun ist er ganz der konzentrierte Chirurg, dem es einzig darum geht, das Leben der jungen Frau vor sich zu retten und dafür zu sorgen, dass sie nach der Entfernung des aggressiven Hirntumors ein beschwerdefreies Leben führen kann. Alles andere verliert in diesen angespannten Stunden für Jens seine Bedeutung – auch, dass die Patientin auf der Tabula die Frau ist, die er vor Jahren mehr als alles andere auf der Welt geliebt und durch eine unsägliche Dummheit verloren hat: Leonie ...

Chefarzt Dr. Holl, der bei dieser Operation nur assistiert, lässt seinen Kollegen nicht aus den Augen, auch wenn er nur ahnen kann, was Jens bewegt. Doch die schöne Patientin Leonie Martens hat Stefan Holl vor dem Eingriff ihr größtes Geheimnis anvertraut: eine Wahrheit, die alles verändern, aber auch alles zerstören kann – ihr letztes Vermächtnis ...

Schon eine ganze Weile stand sie vor der gepflegten Villa in der Tulpenallee, die auch bei einem nur flüchtigen Blick sofort den Eindruck vermittelte, dass hier Leute wohnten, die nicht unbedingt von finanziellen Problemen geplagt waren.

Leonie Martens versuchte mühsam, die Fassung zu bewahren, aber unaufhaltsam breitete sich ein Spannungsgefühl in ihrem Körper aus, das immer unerträglicher wurde, je länger sie hier stand. Es war eine Mischung aus Angst und Kopflosigkeit, von einer dünnen Spur Erwartung durchzogen. Die Vorfreude auf das bevorstehende Wiedersehen fehlte gänzlich, und das, obwohl sie jahrelang diesem einen Moment entgegengefiebert hatte.

Im letzten Augenblick wurde der Fluchtreflex in ihr so stark, dass sie fast davongelaufen wäre, doch zur Umkehr war es zu spät. Sie hatte schon geklingelt – und nun näherten sich energische Schritte.

Unwillkürlich hielt sie die Luft an, als die Tür geöffnet wurde.

Und dann stand er vor ihr, der Mann, an den sie in den letzten sechs Jahren jeden Tag gedacht hatte. Er sah gereizt aus, wie jemand, der eine wichtige Tätigkeit wegen einer unerwünschten Störung unterbrochen hatte.

»Ja? Was gibt›s?« Dann stutzte er. »Mein Gott, Leonie! Bist du es wirklich? Das darf nicht wahr sein! Wo kommst du denn her? Was ... aber so komm doch herein!«

Hinter ihm tauchte eine rothaarige Frau auf, die kurz einen neugierigen Blick auf die Besucherin warf und dann wieder in den Tiefen des Hauses verschwand.

Hat er sich nach Marions Tod so schnell getröstet?, schoss es Leonie durch den Kopf. Beim Eintreten strich sie sich rasch eine lästige Haarsträhne hinters Ohr, eine anmutige Geste, die der Hausherr wie gebannt verfolgte.

»Grüß dich, Jens«, sagte sie mit einem unsicheren Lächeln. »Ich bin gekommen, um mein Patenkind zu sehen. Seit Monaten habe ich nichts mehr von ihr gehört. Ich war beunruhigt.«

Verärgert presste er die Lippen zusammen. Mit einem solchen Motiv für ihren Besuch hatte er nicht gerechnet.

»Nun, das ist völlig unnötig«, erwiderte Jens abweisend. »Um meine Tochter brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Es geht ihr gut. Warum sollte es ihr auch schlecht gehen?« Er wies mit der Hand auf eine offen stehende Tür. »Dort im Wohnzimmer sind wir ungestört.«

Leonie bemerkte, wie er rasch auf seine Armbanduhr sah. Wollte er sie so schnell wie möglich wieder loswerden?

Erst einmal nahm sie Platz. Jens setzte sich mit deutlichem Abstand in einen Sessel ihr gegenüber und betrachtete sie jetzt mit unverhohlenem Missfallen.

»Was kann ich für dich tun?«

»Müssen wir so förmlich miteinander reden?«

»Was heißt hier förmlich? Ich würde gern wissen, warum du gekommen bist. Warum du glaubst, dir um Kathrin Sorgen machen zu müssen.«

»Ich bin ihre Patentante ...«

Sein abschätziger Blick verletzte sie.

»Das bist du seit ihrer Taufe, soviel ich weiß. Trotzdem hast du die ganzen Jahre nichts von dir hören lassen.«

»Da hatte Kathrin auch noch ihre Mutter. Aber jetzt ist Marion tot.«

»Bist du der Meinung, dass ich mit meiner Tochter überfordert bin?« Er machte eine bedeutungsvolle Pause, und im Zeitlupentempo stahl sich ein verächtliches Lächeln in seine Mundwinkel. »Mach dich nicht lächerlich! Ich sorge gut für sie, ihr fehlt es an nichts. Sie ist mein Ein und Alles. Ich bin immer für sie da. Und wenn ich arbeiten muss, ist sie in Brigittes Obhut.«

»Deine neue Freundin?«

»Unsinn!«, erwiderte er mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Brigitte ist Kathrins Kinderfrau. Eine sehr tüchtige Person. Früher war sie Pflegefachkraft in der Berling-Klinik.«

»Und du? Arbeitest du auch immer noch dort?« Leonie registrierte, dass er ihr bis jetzt kein Getränk angeboten hatte. Er schien wirklich nur darauf zu warten, dass sie endlich wieder verschwand.

»Ja«, erwiderte er. »Die Zusammenarbeit mit Chefarzt Dr. Holl könnte besser nicht sein. Wir verstehen uns ausgezeichnet. Er wohnt übrigens mit seiner Familie ganz in der Nähe.«

Wieder entstand ein längeres Schweigen. Er ist also immer noch in der Berling-Klinik, dachte Leonie. Das ist gut. Er wird mir helfen müssen.

»Ich möchte Kathrin sehen«, bat sie.

Dr. Jens Brockmann erhob sich. »Bei dem schönen Wetter wird sie im Garten sein.«

Er ging voraus. Leonie folgte ihm. Schon von Weitem sah sie den in der Sonne schimmernden Haarschopf des Kindes, das erst aufschaute, als es die Schatten spürte.

»Wir haben Besuch, mein Schatz«, sagte Jens zu seiner Tochter. Jetzt erst fiel ihm auf, dass die Besucherin die gleiche Haarfarbe hatte wie Kathrin. »Das ist Leonie, deine Patentante. Mamas Cousine.«

Leonies Herz setzte aus. Der jetzt so zärtliche Tonfall seiner Stimme riss schlagartig die hohe Barriere ein, die sie um sich herum aufgebaut hatte, und der alte Schmerz schwappte wie eine große Flutwelle über sie hinweg.

Erst als das Kind ihr völlig arglos eine kleine Hand entgegenstreckte, kam sie wieder zu sich. Leonie zwang sich zu einem Lächeln.

»Grüß dich, Kathrin«, sagte sie. »Wie schön, dich zu sehen.«

***

Sanft setzte die Maschine auf dem Rollfeld auf.

»Sicher gelandet«, sagte Stefan Holl und warf seiner Frau Julia einen liebevollen Blick zu. »Die Erde hat uns wieder.«

»Und bald auch die Familie und die Klinik«, ergänzte die schöne Frau des Chefarztes mit einem wehmütigen Seufzer. »Schade, dass sie vorbei sind, die schönen Tage, auch wenn sie nur gestohlen waren.«

Stefan griff nach ihrer Hand und zog sie an die Lippen.

»Gestohlen?«, wiederholte er. »Das sehe ich aber nicht so. Wir haben doch auch mal Anspruch auf eine kurze Zeit nur für uns allein. Die Kinder werden schon keinen Schaden genommen haben. Im Gegenteil. In der Obhut ihrer Großeltern geht›s vor allem den beiden Kleineren doch besser als bei uns, weil Papa und Nessy ihnen viel mehr erlauben.«

Die aparte Frau an seiner Seite schloss die Augen und legte den Kopf zurück, um die letzten Minuten ihrer kostbaren Auszeit noch auszukosten. Ein wunderschöner Urlaub auf den Kapverden, der Insel Boa Vista, lag hinter ihnen.

Sie beide ganz allein. Tage voller Wohlgefühl, Ruhe und Nichtstun. Lange Spaziergänge, intensive Gespräche, entspanntes Schweigen. Julia hatte jede Minute genossen. Und ihren Mann nach all den Ehejahren wieder neu entdeckt.

»Was denkst du?«, fragte Stefan, als die Maschine von der Landebahn abschwenkte und langsam ihrer Parkposition zurollte.

Dr. Julia Holl seufzte leise. »Dass es wunderschön war. Dass es leider schon zu Ende ist. Dass ich mich auf die Familie freue. Und dass ich nicht ein einziges Mal in meinem Leben bereut habe, mit dir verheiratet zu sein.«

»Kommt ja vielleicht noch«, meinte er heiter.

Sie lächelte sanft. »Nein. Das zwischen uns ist Liebe«, antwortete sie und streichelte seine Wange. »Ganz einfach Liebe. Sie ist das wichtigste im Leben. Und wenn das auch unsere Kinder verstanden haben, dann hätten wir unsere Aufgabe doch annähernd gut erfüllt.«

Eine Viertelstunde später, als sie zum Gepäckband gingen, erspähte Julia schon das Empfangskomitee hinter der Absperrung. Sie winkte erfreut. Und sechs Hände winkten zurück. Zeitweise waren es sogar sieben, weil Juju beide Arme hochriss und laut nach Mama und Papa rief.

Alle waren gekommen, um Stefan und Julia abzuholen. Außer den Großeltern auch alle vier Sprösslinge: Marc und Daniela, die bereits erwachsenen Zwillinge, Chris, der fünfzehnjährige Sohn, und Juju, ein lebhaftes Mädchen von elf Jahren.

Dann gab es erst einmal Begrüßungsszenen, die schon fast einem Aufruhr gleichkamen. Juju sprang von einem zum anderen und sprudelte eine Frage nach der anderen hervor:

»War es schön? Habt ihr mir was mitgebracht? Gab es dort auch Krokodile? Seid ihr Wasserski gefahren? Habt ihr einen Hai gesehen? Wie warm war es im Wasser ...«

Stefan nahm seine Tochter auf die Arme und drehte sich mit ihr einmal um sich selbst. Doch dann kam überraschend schnell das Gepäck, um das er sich erst einmal kümmern musste. Sein Sohn Marc half ihm dabei, während Juju jetzt die Mutter mit Beschlag belegte.

Und endlich machte man sich auf das letzte Stück der Reise. Während Julia sich freute, wieder zu Hause zu sein, dachte Chefarzt Dr. Holl schon mal vorsichtig darüber nach, ob er es heute noch schaffen würde, seiner Klinik einen ganz raschen Besuch abzustatten.

***

»Natürlich habe ich sie nicht wiedererkannt«, erwiderte Leonie auf Jens‹ Frage. »Sie war ja ein Baby, als ich sie das letzte Mal sah.«

»Kathrin sieht dir sogar etwas ähnlich«, bemerkte der Arzt nachdenklich. »Aber das ist ja kein Wunder, man hat dich und Marion ja auch oft für Schwestern gehalten.«

»Wie du ja weißt, waren wir nach dem Tod ihrer und meiner Eltern aufeinander angewiesen. Mit fünfzehn hatten wir nur noch uns beide. Vielleicht wurden wir uns darum auch äußerlich immer ähnlicher. Die Jahre im Internat haben uns aneinander geschmiedet ...« Sie brach ab.

Bis du kamst.

Jens betrachtete sie nachdenklich. Man hörte Kathrins Lachen von draußen.

»Marion hat mir vom tödlichen Skiurlaub eurer Eltern erzählt. Die Gondel ist abgestürzt. Es muss schrecklich für euch Kinder gewesen sein.«

Für ein paar Sekunden barg Leonie ihr Gesicht in den Händen. Als sie wieder aufschaute, war ihr Gesicht noch eine Spur blasser.

»Sie waren in der Gondel vor uns, zwei Mütter und zwei Väter. Wir blieben verschont, aber wir haben den Absturz mit ansehen müssen. Es war schrecklich.«

»Das kann ich gut nachempfinden, Leonie. Es muss furchtbar sein, gleich beide Eltern zu verlieren.«

»Es ist schon lange her, aber diesen Moment werde ich nie vergessen«, sagte sie so leise, dass er sie kaum verstand.

Immer wieder betrachtete er Leonie aufmerksam. Es musste jetzt ungefähr sechs Jahre her sein, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Ihm kam es so vor, als wäre sie seitdem noch schöner geworden. Aber sie machte auch einen ziemlich nervösen Eindruck. Ihre Bewegungen waren fahrig, manchmal sogar unkontrolliert. Irgendetwas stimmt nicht mit ihr, wurde ihm klar.

»Wie ist Marion gestorben?«

Leonies Stimme erreichte ihn wie aus weiter Ferne. Sein Gesicht, das sich ein wenig aufgelockert hatte, verschloss sich wieder.

»Bei einem Autounfall. Sie war schuld.« Die Undurchdringlichkeit seiner Miene vertiefte sich. »Und noch dazu war Alkohol im Spiel«, stieß er hervor.

»Das tut mir leid, Jens, wirklich!« Am liebsten hätte sie ihn tröstend in den Arm genommen, aber das wagte sie nicht. Zwischen ihnen durfte es keine Intimitäten mehr geben.

Jens wechselte das Thema. »Du warst bis jetzt in Dubai, nicht wahr? Marion hat mal so was erwähnt.«

»Nachdem ich den Job als Stewardess aufgegeben hatte, fing ich in einem Luxushotel in Dubai an. Ich arbeitete gern dort. Der Job war interessant. Berühmtheiten aus der ganzen Welt waren bei uns zu Gast.«

Verwundert schüttelte er den Kopf. Warum hatte Marion das nie erwähnt?

»Hast du diese Stelle etwa aufgegeben? Wie lange willst du bleiben? Bist du wirklich nur gekommen, um dein Patenkind wiederzusehen?«

Obwohl es ihr schwerfiel, hielt sie seinem Blick stand.

»Nein«, sagte sie leise. »Nein, das ist es nicht allein. Ich bin krank, Jens. Mein Arzt in Dubai hat mir empfohlen, nach Deutschland zurückzukehren, um mich dort behandeln zu lassen. In meinem Kopf ... da ist irgendetwas nicht in Ordnung.« Obwohl es ihr schwerfiel, hielt sie seinem Blick stand. »Du arbeitest an einer renommierten Klinik. Du musst mir helfen!«

»Das werde ich, wenn ich kann. Erzähl mir von deinen Problemen!« Plötzlich hatte er es gar nicht mehr eilig, an seinen Computer zurückzukommen. Das medizinische Gutachten, das er gerade erstellte, musste warten.

»Möchtest du einen Kaffee? Oder irgendetwas anderes? Entschuldige bitte, dass ich so ein schlechter Gastgeber bin, aber irgendwie hat mich dein Besuch ganz aus dem Konzept gebracht.«

Einen winzigen Moment lang glaubte Leonie, in seinen Augen das leidenschaftliche Funkeln zu sehen, an das sie sich so oft erinnert hatte, doch da war er schon aufgestanden und hinausgegangen. Sie hörte ihn nach Brigitte rufen. Die beiden redeten draußen so leise miteinander, dass Leonie kein Wort verstand.

Schließlich kam er zurück.

»Brigitte ist so lieb, uns etwas herzurichten«, verkündete er. »Sie hat Kathrin zu Bett gebracht. Die Kleine schläft jetzt. Aber du wirst nachher noch Zeit haben, sie zu sehen. Jetzt möchte ich wissen, was mit dir los ist.«

Während Leonie im Geiste schon die Aufzählung der beunruhigenden Symptome vorwegnahm, fühlte sie sich von seinem ärztlichen Blick taxiert, aber das machte ihr jetzt nichts mehr aus. Sie war froh, endlich den ersten Schritt getan zu haben.

Dazu brauchte es viel Mut, auch weil Dr. El Medih, ihr Arzt in Dubai, seine Besorgnis deutlich gezeigt hatte.

»Kehren Sie nach Europa zurück, Frau Martens, so bald wie möglich!«

Leonie war Dr. El Medihs Rat gefolgt. Und nun war sie da, saß hier bei Jens Brockmann, einem qualifizierten Chirurgen, der an einer Klinik arbeitete, deren Ruf bis weit über die Grenzen Münchens hinausreichte.

»Anfangs waren es nur Kopfschmerzen. Dann wurde mir immer häufiger übel, ich musste ohne erkennbaren Grund erbrechen. Dazu kamen Flimmern vor den Augen und Gleichgewichtsstörungen.«

»Was hat dein Arzt in Dubai vermutet?«

»Dass irgendwas in meinem Kopf ist, was da nicht hingehört«, flüsterte Leonie erstickt.

Weiter kam sie nicht, denn die rothaarige Kinderfrau verkündete einladend, dass auf der Terrasse der Tisch gedeckt sei – in einer Art, als wäre sie in diesem Haus die Gastgeberin.

Jens erhob sich, reichte Leonie die Hand und zog sie aus dem Sessel hoch.

»Komm«, forderte er. »Jetzt trinken wir erst einmal Kaffee. Brigitte macht einen sehr guten.«

***

Zwei Tage später, als Leonie bereits auf dem Weg in die Berling-Klinik war, ließ sie noch einmal die Bilder des Wiedersehens erstehen. Nach dem Kaffee war Kathrin wieder aufgestanden und hatte sie mit einer endlosen Reihe von munteren Fragen eingedeckt.

Was für ein fröhliches Kind! Was für ein kluges kleines Mädchen, das trotz seiner knapp sechs Jahre eine bemerkenswerte Art zu sprechen hatte! Im Herbst kam sie in die Schule. Und das, so versicherte Kathrin immer wieder, könne sie gar nicht erwarten.

Mit ihrem kindlichen Schmelz wickelte die Kleine in Sekundenschnelle alle ein. Ja, sie war ein ganz besonderes Kind. Wenn andere Kinder schrien und quengelten, um auf sich aufmerksam zu machen, zog Kathrin mit ihrer berührenden Ernsthaftigkeit die Erwachsenen in den Bann.