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Ungläubig betrachtet Nina Baumann den Farbstreifen auf dem Schwangerschaftstest. Blau! Kein Zweifel, sie bekommt ein Baby! Ihr sehnlichster Wunsch wird endlich wahr.
Auch wenn die Umstände denkbar schlecht sind und Nina sich erst vor wenigen Tagen von ihrem langjährigen Freund Jörg getrennt hat, empfindet sie überschäumende Freude: Schon in wenigen Monaten wird sie ihr Kind in den Armen halten!
Die Schwangerschaft verläuft ohne Komplikationen, und Chefarzt Dr. Holl ist sehr zufrieden mit seiner Patientin - zunächst. Aber in der sechsundzwanzigsten Woche kommt es zu einer dramatischen Kehrtwende: Ninas Baby drängt viel zu früh auf die Welt! Zu diesem Zeitpunkt wäre es kaum lebensfähig! Die werdende Mutter setzt all ihre Hoffnungen auf Dr. Stefan Holl. Doch kann er das Wunder wirken, dass Ninas Baby leben darf?
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Seitenzahl: 115
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Ich will sehen, wie du groß wirst
Vorschau
Impressum
Ich will sehen, wie du groß wirst
Dr. Holl und das Drama um Ninas Baby
Von Katrin Kastell
Ungläubig betrachtet Nina Baumann den Farbstreifen auf dem Schwangerschaftstest. Blau! Kein Zweifel, sie bekommt ein Baby! Ihr sehnlichster Wunsch wird endlich wahr.
Auch wenn die Umstände denkbar schlecht sind und Nina sich erst vor wenigen Tagen von ihrem langjährigen Freund Jörg getrennt hat, empfindet sie überschäumende Freude: Schon in wenigen Monaten wird sie ihr Kind in den Armen halten!
Die Schwangerschaft verläuft ohne Komplikationen, und Chefarzt Dr. Holl ist sehr zufrieden mit seiner Patientin – zunächst. Aber in der sechsundzwanzigsten Woche kommt es zu einer dramatischen Kehrtwende: Ninas Baby drängt viel zu früh auf die Welt! Zu diesem Zeitpunkt wäre es kaum lebensfähig! Die werdende Mutter setzt all ihre Hoffnungen auf Dr. Stefan Holl. Doch kann er das Wunder wirken, dass Ninas Baby leben darf?
»Nicht schon wieder dieses Thema, Nina! Irgendwann müssen sich deine Hormone doch endlich beruhigen! Wie lange dauert das denn noch?«, schimpfte Jörg Wolfarth und schenkte sich verärgert einen doppelten Weinbrand ein.
Der ehrgeizige Anwalt hatte eine anstrengende Woche hinter sich und anderes im Kopf als Ninas leidigen Kinderwunsch. Normalerweise ließ er sie reden und täuschte Interesse vor, aber an diesem Abend hatte er nicht den Nerv dafür. Er fand, es war allmählich an der Zeit, dass sie den Tatsachen ins Auge sah: Für lästiges Kindergeplärr war in seinem Leben kein Platz.
Nina Baumann erstarrte und sah ihren Freund fassungslos an.
Hatte er das gerade wirklich gesagt? Waren all seine Versprechungen nur strategische Manöver gewesen in der Hoffnung, dass sich ihr Kinderwunsch mit der Zeit schon von allein legen würde? Das konnte doch nicht wahr sein!
»Nina, eigentlich müssten wir heute mit Champagner feiern. Dr. Maurer hat mir einen unserer wichtigsten Klienten übertragen, und wenn ich mich bewähre, dann habe ich es geschafft. Ich ...«
Jörg wechselte das Thema, ohne zu merken, wie betroffen Nina war. Seine Karriere bedeutete ihm alles. Er redete immer weiter und ging davon aus, dass Nina ihm wie sonst aufmerksam zuhörte, wenn er seine Zukunftsperspektiven ausführlich erörterte, wie er es oft und gerne tat.
»Du wolltest nie Kinder, oder?«, fragte sie mit tonloser Stimme in seine Überlegungen hinein. »Seit fünf Jahren vertröstest du mich und sagst, dass wir bald eine Familie gründen, aber im Grunde möchtest du das nicht und wolltest es nie. Jörg, wann wolltest du mir sagen, dass du mich von Anfang an belogen hast? Wann?«
»Verdammt, was ist los mit dir? Es geht uns doch gut. Besser könnte es uns nicht gehen. Wir sind die Maden im Speck. Du hast dir als Graphikerin einen Namen gemacht und hast mehr Aufträge, als du annehmen kannst. Ich bin in einer der besten Kanzleien Hamburgs angenommen worden und auf dem Weg nach ganz oben. Nina, ich begreife nicht, was du mit Kindern willst. Sie wären uns nur im Weg«, hielt er ihr vor.
»Du hast immer beteuert, dass du genau wie ich einmal Kinder möchtest«, erinnerte sie ihn mühsam beherrscht.
»Nina, du bist eine tolle Frau, und ich möchte mit dir zusammen sein. Wenn es dafür notwendig ist, unterschreibe ich dir auch eine Petition für rosarote Elefanten in der U-Bahn. Ich will dich«, rechtfertigte er sich ungeduldig.
»Mein Gott, Jörg, weißt du, was du da sagst? Schon bei unserem ersten Date habe ich klargemacht, dass ich ein Familienmensch bin und dass Kinder zu meinem Leben gehören. Du hast mir fünf Jahre gestohlen. Jetzt bin ich dreiunddreißig, und meine biologische Uhr fängt allmählich an zu ticken. Wie konntest du nur!«
Genervt verdrehte er die Augen.
»So ein Unsinn! Es waren herrliche fünf Jahre, und du wolltest keinen Tag davon missen – genau wie ich. Lass andere Frauen Kinder bekommen und Windeln wechseln! Du kannst etwas Besseres haben.«
»Besser? Karriere, Macht und Geld – ist das alles, was du dir vom Leben wünschst? Merkst du denn nicht, dass uns etwas Entscheidendes fehlt?«, fragte sie ungläubig.
»Nein! Mir fehlt nichts. Wir schwelgen im Luxus und genießen unser Leben. Wenn wir Lust haben, können wir jederzeit ins Flugzeug steigen und an einen beliebigen Ort der Welt fliegen, um Urlaub zu machen. Wir können tun und lassen, was wir wollen, wann wir wollen und wie wir es wollen. Das ist Freiheit und Lebensgenuss«, schwärmte er. Dann fügte er noch hinzu: »Kinder sind wie Ketten, mit denen man sich an einen faden Alltag bindet, und das Ende jeder Spontaneität. Ständig muss man auf sie Rücksicht nehmen, und im Gegenzug bekommt man nichts dafür. Sie kosten Geld, Zeit und Energie, sind eine Investition, die sich nicht lohnt. Ich finde unser Leben schön, wie es ist.«
Nina wurde bleich und musste sich abwenden. Sie konnte seinen Anblick nicht länger ertragen. Er hatte sie belogen und betrogen.
Mit unsicheren Schritten trat sie ans Fenster des exklusiven Penthouses und ließ einen langen Blick über die Lichter Hamburgs schweifen. Die Aussicht beruhigte sie nicht wie sonst.
Das war Teil des Luxus, den sie mit Jörg geteilt hatte und der sie nun vielleicht ihren Traum von einer eigenen Familie kostete. Sie war mindestens so wütend auf sich selbst wie auf ihn. Warum war sie so blind gewesen? Warum hatte sie ihm immer wieder geglaubt und sich geduldet, anstatt ihm die Pistole auf die Brust zu setzen?
Wie ein Esel hatte sie sich mit der Möhre über die Straße locken lassen, aber die Möhre war nur eine Attrappe gewesen. Fünf Jahre war sie inzwischen mit Jörg zusammen und hatte ihn immer für die große Liebe ihres Lebens gehalten. Fünf Jahre lang hatte er sie konsequent belogen, und sie hatte ihm vertraut. Der Boden unter ihren Füßen brach weg, und sie wusste nicht, woran sie sich noch halten sollte.
»Nina, du musst mir recht geben. Komm schon! Du bist eine intelligente Frau und mindestens so ehrgeizig wie ich. Was wollen wir mit Kindern? Sie passen nicht in unser Leben. Irgendwann musst du das doch merken und diesen leidigen Kinderwunsch ablegen, den dir sicher deine Mutter eingetrichtert hat!«, forderte er und erkannte noch immer nicht, wie tief er sie enttäuscht und verletzt hatte.
»Kinder passen nicht in dein Leben, Jörg. Ich mag meinen Beruf, und ich habe nichts dagegen, mehr Geld zu haben, als ich ausgeben kann, aber das ist mir auf Dauer zu wenig. Ich will mehr. Ich will Kinder heranwachsen sehen und so etwas Banales mit ihnen teilen, wie Ostereier färben oder Weihnachtssterne basteln. Ich will ein auf traditionelle Weise erfülltes Leben und irgendwann Enkel, die auf meinem Schoß herumkrabbeln.«
»Du bist unverbesserlich!« Genervt winkte er ab. »Lass uns morgen weiter streiten!«
»Warum sollten wir? Das wäre eine unnötige Investition an Zeit und Energie. Du hast mit Verspätung unmissverständlich deutlich gemacht, dass unsere Lebensentwürfe nicht zueinander passen. Da gibt es nichts mehr zu sagen«, erwiderte sie hart.
Verblüfft musterte er sie genauer. Das war ein Ton, den er nicht an ihr kannte.
»Nina, was meinst du damit? Du spielst doch nicht mit dem Gedanken, mich zu verlassen? Wir führen eine gute Beziehung und ergänzen uns in so vielen Punkten. Das kann nicht dein Ernst sein! Du hängst einem Klischee nach, das nichts für dich ist. Ich kenne dich doch!«
»Du kennst vor allem dich. Von mir und dem, was ich brauche, hast du keine Ahnung. Jörg, das ist nicht mein Leben. Ich habe mich angepasst, aber zufrieden war ich nie. Du arbeitest zwischen achtzig und neunzig Stunden in der Woche und hast meist nicht einmal am Sonntag wirklich frei. Ich komme selten vor Mitternacht vom Computer weg. Zum Genießen bleibt uns kaum Zeit und zum Reden oder Schmusen auch nicht. Ist das dein Luxusleben?«, fragte sie und schüttelte traurig den Kopf.
»Ich dachte, alles würde anders werden, wenn wir erst Kinder haben, aber du möchtest, dass es so bleibt«, sagte sie dumpf. »Es tut mir leid, aber ich sehe keine gemeinsame Zukunft mehr für uns.«
»Wir gehören zusammen. Du liebst mich!«, rief er fast flehend.
»Ich habe dich lieb, und das macht es schlimmer. Ich werde nicht all meine Träume für dich aufgeben. Sogar wenn ich es wollte, könnte ich es nicht. Irgendwann würde ich einsam und verbittert auf dir herumhacken und dir das Leben zur Hölle machen. Ich würde dir die Schuld daran geben, unglücklich zu sein. Glaub mir, das wäre weder für dich noch für mich schön«, sagte sie und fühlte sich plötzlich unendlich müde.
Nach einer kurzen Pause setzte sie hinzu: »Du hättest ehrlich zu mir sein sollen, Jörg, dann wären wir erst gar nicht zusammengekommen und müssten jetzt nicht durch diese harte Trennungsphase gehen. Es tut mir leid.«
Sie wollte nach oben ins Gästezimmer fliehen. Es schien ihr unmöglich, auch nur noch eine Minute mit ihm in diesem Raum zu verbringen.
Ganz langsam begriff er, dass es ihr tatsächlich ernst war.
»Nina, das kannst du nicht! Bitte! Wir gehören zusammen. Bitte! Wenn du unbedingt Kinder möchtest, dann bekommen wir eben welche. Gib mir noch ein Jahr oder zwei, um meine Karriere auszubauen, und dann ...«
»Du kannst mich nicht mehr vertrösten, Jörg. Darauf falle ich nicht mehr herein. Hast du eine Ahnung, wie arrogant und herablassend es von dir ist, es überhaupt noch einmal zu versuchen? Du liebst mich nicht. Mit einem Menschen, den man liebt, spielt man nicht solche billigen Spielchen. Es ist aus«, erwiderte sie zutiefst empört.
»Das machst du nicht! Ich bin das Beste, was dir je passiert ist. Ich ...«
Nina hörte ihm nicht mehr zu und verließ wortlos das Wohnzimmer. Die Nacht verbrachte sie im Gästezimmer. Bevor Jörg die Wohnung am anderen Morgen verließ, klopfte er an die Tür.
»Nina, lass uns reden, wenn ich heute Abend wiederkomme! Wir finden eine Lösung!«
Sie gab vor zu schlafen und antwortete nicht. Als er gegangen war, packte sie das Wichtigste zusammen und lud ihre Arbeitsausrüstung ins Auto. Sie liebte Jörg trotz allem, aber sie wusste, dass sie nicht länger bei ihm bleiben konnte. Was er getan hatte, war in ihren Augen unverzeihlich.
Und selbst wenn sie ihm seine Lügen vergab, änderte das nichts an ihrem Problem. Nina hoffte, dass sie einen Partner fand, der wie sie Kinder liebte. Ein Leben, wie Jörg es im Sinn hatte, kam für sie nicht infrage. Sie musste sich von ihm lösen, wenn sie einen Neuanfang schaffen wollte, so weh es auch tat.
Je größer der räumliche Abstand war, den sie zwischen ihn und sich brachte, desto besser und sicherer. Daher blieb sie nicht in Hamburg, sondern fuhr auf die Autobahn in Richtung Süden. Sie weinte während der Fahrt unentwegt und wischte sich mit dem Handrücken in unbewusster Regelmäßigkeit die Tränen aus dem Gesicht. Etwas in ihr schrie vor Schmerz, aber sie drehte nicht um, sondern fuhr immer weiter und weiter.
Gegen Abend erreichte sie München. Da sie erschöpft war, nahm sie die Autobahnabfahrt und suchte sich ein Hotelzimmer. Ihre Auftraggeber saßen in ganz Deutschland und Europa. Es war nicht wichtig, von wo aus sie arbeitete, und München war so gut wie jede andere Stadt. Nina beschloss, sich eine Wohnung zu suchen und in München zu bleiben.
***
Ein Neuanfang mit gebrochenem Herzen erwies sich als schwieriger, als Nina gedacht hatte. Sie nahm ein Vollbad in einem Meer der Tränen, und bei allem verzweifelten Paddeln konnte sie keinen sicheren Strand erreichen und fürchtete zu ertrinken.
Zum Glück gab es viel zu regeln und zu arbeiten. Nachts im Bett überließ sie sich ihrem Liebeskummer, und ansonsten schuf sie sich in Rekordgeschwindigkeit ein neues Zuhause in München. Die praktischen Probleme ließen sich leicht lösen und halfen ihr, den Kopf über Wasser zu halten, wenn der Schmerz sie wieder schlucken wollte.
Jörg war Vergangenheit und gehörte nicht mehr zu ihrem Leben! Es musste sein!
Da sie finanziell einen großen Spielraum hatte, fand sie umgehend eine schöne Dreizimmerwohnung in einem der teuren Randviertel der Stadt. In der ruhigen Gegend, die von Ein- und Zweifamilienhäusern mit kleinen Vorgärten und gepflegten Parks geprägt war und fast ländlichen Charme hatte, würde sie gut arbeiten können, stellte sie fest.
Kindergarten und Grundschule lagen um die Ecke, und sie versuchte, sich einzureden, dass diese Tatsache keine Rolle bei ihrer Entscheidung gespielt hatte. Ohne neuen Partner keine Kinder – und ein Partner war weit und breit nicht in Sicht. Ninas Wut auf Jörg wuchs von Tag zu Tag.
Der Eigentümer des Hauses wohnte im Erdgeschoss und war etwa in ihrem Alter. Sie traf Till Böhrer erst, als der Makler mit ihr und ihm den Mietvertrag in der Wohnung besprach. Anscheinend war ihm nicht sonderlich wichtig, wer in sein Haus zog, und er hatte die Entscheidung völlig dem Makler überlassen.
Nina fand das unklug. Schließlich würden sie miteinander auskommen müssen als Hausgenossen. Im Alltag würden sie einander vermutlich kaum zu Gesicht bekommen, aber in einem Haus lief man sich immer einmal wieder über den Weg, und es fielen Dinge an, die man gemeinsam regeln musste. Da war es von Vorteil, wenn man sich einigermaßen verstand.
»Ich bin eine leise Mitbewohnerin, von der Sie kaum etwas merken werden«, sagte sie, als sie ihm zur Begrüßung die Hand reichte, und lächelte ihn mit dem Rest von Charme an, den sie zusammenkratzen konnte.
»Leben und leben lassen. Bisher hat das immer gut geklappt, und ich hatte nie Schwierigkeiten mit Mietern. Solange Sie pünktlich Ihre Miete zahlen, bekommen Sie mit mir keine Probleme«, antwortete Till Böhrer und musterte sie mit einem Blick, der ihr nicht gefiel.
Er hatte stahlblaue Augen, in denen weder Wärme noch rein menschliches Interesse stand. Kühl schien er bis auf den Grund ihrer Seele zu blicken, und was er sah, gefiel ihm nicht. Seine Brauen runzelten sich, und Nina fühlte sich, als wäre sie durch eine Prüfung gefallen. Innerlich verwahrte sie sich dagegen. Dieser Mann konnte ihr vollkommen gleichgültig sein. Sollte er doch von ihr denken, was er wollte! Trotzdem verunsicherte er sie.