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"Zehn, neun, acht, sieben", grölt es am Friedensengel aus abertausend Kehlen. "Sechs, fünf, vier ..." Plötzlich - eine laute Explosion! Ein Teil der Menge stiebt auseinander, am Boden - eine zierliche Frau, blutüberströmt, regungslos. Während sich eine kleine Traube um die Schwerverletzte bildet, zählt die Masse herunter: "Drei, zwei, eins - Prosit Neujahr!"
Gläser klirren, Korken knallen, und mitten im Getümmel irrt ein hochgewachsener Mann umher, zwei Wasserflaschen presst er an seine breite Brust. Verloren schaut er sich um. "Theresa!" Wo ist sie nur? "Theresa!"
In der Ferne ertönt das Martinshorn. Blaulicht durchzuckt die Nacht, und Rettungssanitäter kämpfen sich durch die Traube Schaulustiger. Buntes Feuerwerk erhellt Daniels verzweifeltes Gesicht. Theresa wird doch wohl nicht ...?
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Seitenzahl: 132
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Countdown zum (Un)Glück
Vorschau
Impressum
Countdown zum (Un)Glück
Als Silvester eine tragische Wende nahm
Von Katrin Kastell
»Zehn, neun, acht, sieben«, grölt es am Friedensengel aus abertausend Kehlen. »Sechs, fünf, vier ...« Plötzlich – eine laute Explosion! Ein Teil der Menge stiebt auseinander, am Boden – eine zierliche Frau, blutüberströmt, regungslos. Während sich eine kleine Traube um die Schwerverletzte bildet, zählt die Masse herunter: »Drei, zwei, eins – Prosit Neujahr!«
Gläser klirren, Korken knallen, und mitten im Getümmel irrt ein hochgewachsener Mann umher, zwei Wasserflaschen presst er an seine breite Brust. Verloren schaut er sich um. »Theresa!« Wo ist sie nur? »Theresa!«
In der Ferne ertönt das Martinshorn. Blaulicht durchzuckt die Nacht, und Rettungssanitäter kämpfen sich durch die Traube Schaulustiger. Buntes Feuerwerk erhellt Daniels verzweifeltes Gesicht. Theresa wird doch wohl nicht ...?
Tiefblau lag der letzte Tag des Jahres über der bayrischen Landeshauptstadt. Schneekristalle glitzerten in der Wintersonne, deren Wärme die Menschen in den Isarauen durch ihre dicken Jacken hindurch spürten.
Theresa hängte sich bei ihrer Kollegin ein. Die beiden Frauen waren mit einer Gruppe von Kollegen unterwegs, um Silvester gemeinsam zu feiern. Zunächst zog es sie zum Eiszauber am Stachus, der größten mobilen Eislaufarena der Stadt. Theresa und Ella liehen sich Schlittschuhe aus.
Einige der Kollegen genehmigten sich lieber am Getränkestand einen Glühwein, was Theresa für verfrüht hielt. Es war erst Nachmittag. Viele Stunden bis zum Countdown lagen noch vor ihnen.
Die brünette Journalistin wollte den Jahreswechsel nicht benebelt erleben, sondern das neue Jahr mit klarem Kopf und viel Freude im Herzen begrüßen. Danach hätte sie gegen ein Glas prickelnden Schaumweins nichts einzuwenden.
»Wir machen nachher noch große Wintergaudi beim Eisstockschießen!«, rief Bastian Beyer den Frauen nach.
Trotz seiner spiegelnden Brille leuchteten seine Augen mit dem Blau des Himmels merklich um die Wette. Er freute sich, dass Theresa heute auch dabei war.
In letzter Zeit hatte sie sich ziemlich rar gemacht und bei Unternehmungen des Teams kaum noch blicken lassen. Gemeinsam arbeiteten sie in einem Münchener Verlagshaus. Schon lange waren aus den Kollegen auch gute Freunde geworden.
Auf Bastians kleine Avancen war Theresa bis jetzt nicht eingegangen, doch er gab nicht auf und versuchte es weiter. Er war davon überzeugt, dass sie nur etwas mehr Zeit brauchte, bis sie seine Qualitäten erkannte.
Der Abteilungsleiter der Buchhaltung übte sich also in Geduld, auch wenn es ihm oft schwerfiel. Er verstand nicht so recht, warum eine Frau so lange brauchte, bis sie einwilligte, mit ihm essen zu gehen. Bastian wollte diesen Tag heute nutzen, die Dinge ein wenig zu beschleunigen.
Er schaute den beiden Frauen zu, wie sie in ihre Schlittschuhe hineinschlüpften. Wagemutig gingen sie aufs Eis. Theresa war vorsichtiger als Ella, die gleich einmal mit viel Energie lossauste.
Aber auch Theresa fand schnell zu ihrer alten Form. In eleganter Haltung glitt sie über die Eislaufbahn. Ja, sie machte eine sehr gute Figur.
***
Bunt gekleidete Menschen tobten sich auf dem Münchener Eiszauber aus. Alle hatten einen Mordsspaß. Es wurde gelacht und gejuchzt, geschrien, und hin und wieder stürzte auch jemand.
Inzwischen hatte Theresa die Freundin aus den Augen verloren. Es war ausgemacht, eine Stunde hier zu verbringen und dann zur Eisstockbahn zu laufen. Gegen Abend wollte man dann langsam zum Friedensengel ziehen und dort mit vielen anderen Feierlustigen das neue Jahr willkommen heißen.
Theresa kurvte vor der Bande nach links, ein wenig zu schwungvoll, wie sie feststellte, als sie in der nächsten Sekunde strauchelte – und direkt in den Armen eines Mannes landete, der sie fest umfangen hielt, bis sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte.
»Oh, hallo«, kicherte sie und schob sich von ihm ab. »Ich bin wohl doch nicht mehr so fit auf dem Eis, wie ich dachte.«
»Hauptsache, Sie haben sich nicht wehgetan.«
»Es ist alles in Ordnung«, versicherte sie ihm. »Danke fürs Auffangen.«
Erst jetzt kam Theresa dazu, ihren Samariter genauer zu betrachten.
Ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer. So einem gut aussehenden Kerl auf Schlittschuhen begegnete man nicht alle Tage!
»Vielleicht sollten Sie sich doch eine kleine Pause gönnen. Nur um sicherzugehen, dass Sie sich nichts getan haben.«
»Ich bin mit einer Freundin hier, also ...«, begann Theresa und schaute sich suchend um.
Von Ella war jedoch nichts zu sehen.
»Nehmen Sie doch mit mir vorlieb, bis Ihre Freundin wieder auftaucht. Kommen Sie, ich lade Sie auf einen Drink ein.«
Theresa wusste selbst nicht, warum sie jetzt aufs Ganze ging, aber der Mann gefiel ihr.
»Ach, lassen wir doch das alberne Sie. Wir sind doch alle hier auf einer großen Party. Und alle wollen Spaß haben. Also, ich bin Theresa.«
»Freut mich.« Er lächelte sie so strahlend an, dass ihre Knie ein bisschen weich wurden. Was für ein Prachtexemplar eines Mannes! Er legte seine Hand aufs Herz und unterstrich die Geste mit einer angedeuteten Verneigung. »Daniel«, stellte er sich mit seiner wohlklingenden Stimme vor.
Sie schoben sich vorsichtig vom Eis und gaben die Schlittschuhe ab.
Wieder normal beschuht, schlenderten sie zu einem der Trinkstände.
»Worauf kann ich dich einladen, Theresa?«
»Eine Cola wäre nett.« Sie lächelte. »Danke.«
Daniel kaufte zwei Becher und drücke ihr einen in die Hand. Und so standen sie am Rand der Eisfläche und betrachteten eine Weile das wuselige Treiben der Eislaufbegeisterten.
Währenddessen versuchte Theresa vergeblich, Ella unter ihnen auszumachen. Wo steckte sie nur?
»Toll, so ein Eislaufplatz mitten in der Stadt«, stellte ihr charmanter Begleiter anerkennend fest. »Ich bin früher viel gelaufen.«
»Ich auch.« Theresa grinste selbstironisch. »Trotzdem bin ich vorhin fast zu Boden gegangen. Vielleicht hat mir jemand ein Bein gestellt?«
Ein kleiner Flirt hatte ja schließlich noch niemandem geschadet. Doch obwohl die junge Journalistin die Gesellschaft dieses Mannes durchaus als angenehm empfand, war sie heute nicht darauf aus, mit jemandem anzubandeln. Ihre Trennung von Robin lag schon fast ein Jahr zurück, daran lag es nicht. Vielmehr fühlte sie sich als Single ziemlich wohl und hatte keine Eile, sich so bald wieder zu binden. Es sei denn, sie würde einem Märchenprinzen begegnen ...
»Das würde ich einer so attraktiven Frau doch niemand antun.«
Wow, der Mann wusste, wie man mit Frauen umzugehen hatte!
»Ach, du vielleicht nicht. Aber gerade heute sind sicher jede Menge Rowdys unterwegs.«
»Was hast du noch vor?«, erkundigte sich Daniel plötzlich hoffnungsvoll.
Theresa leerte den Becher, der ihr sofort von einem Barmann aus der Hand genommen wurde. Das Pfand legte sie Daniel hin.
»Wir sind zu mehreren unterwegs. Wo es uns noch hintreibt, weiß ich nicht, aber ganz sicher sind wir zum Jahreswechseln beim Friedensengel.«
»Dort ist also was los?«
Verwundert schaute sie ihn an.
»Viele Münchener treffen sich dort an Silvester. Auch dieses Jahr wird es eine Riesenparty geben.«
»Danke für den Tipp«, meinte Daniel aufrichtig. »Ich komme aus dem Norden und bin neu in München. Natürlich kenne ich von vorherigen Besuchen schon ein paar Sehenswürdigkeiten, aber wo sich das Leben so abspielt, muss ich erst noch herausfinden.« Er zwinkerte ihr zu. »Vielleicht kannst du mir dabei helfen?«
Da jemand ihren Namen rief, wurde sie einer Antwort enthoben. Ella wedelte mit den Armen und legte dann einen tollen sterbenden Schwan hin.
»Sie kann es besser als ich«, kommentierte Theresa und klatschte Beifall. »Jedenfalls fällt sie nicht hin. So, es war mir eine Freude dich kennenzulernen, aber ich werde mich jetzt wieder zu den anderen gesellen.«
»Darf ich dich noch begleiten?«
Sie standen voreinander, ihre Blicke ineinander versunken.
Eine total verrückte Idee nistete sich in Theresas Kopf ein. Was wäre, wenn sie sich ab jetzt mit dem schönen Fremden treiben lassen würde? Mit Daniel zusammen konnte dieser Silvestertag noch ganz anders verlaufen als geplant. Viel schöner und aufregender.
***
Chefarzt Dr. Holl befand sich am letzten Tag des Jahres in der Berling-Klinik. Nach dem Frühstück war er gleich von Rottach aus losgefahren.
Sein Aufbruch war so nicht vorgesehen gewesen, aber einige Mitarbeiter der Klinik waren an Grippe erkrankt, andere befanden sich noch im Weihnachtsurlaub.
Da erfahrungsgemäß an einem solchen Tag mit erhöhten Notfällen gerechnet werden musste, war ihm gar nichts anderes übrig geblieben, als mit einigen anderen Kollegen die Bereitschaft zu übernehmen. Seine Familie und die seiner Schwester Beatrix befanden sich bereits seit zwei Tagen in den beiden gemeinsamen Ferienhäusern, um dort den Jahreswechsel zu feiern und ein paar Tage auszuspannen.
Juju, seine jüngste Tochter, hatte ein bisschen gemault, dass ihr heiß geliebter Papa um Mitternacht nicht anwesend sein würde. Aber es war ausgemacht, dass er sich dann per Videoanruf bei der Familie melden würde.
»Wenn ich nicht gerade eine OP habe«, hatte er eingeschränkt. »Dann kann es auch ein bisschen später werden, mein Schatz.«
Außerdem musste er noch versprechen, so bald wie möglich zurückzukommen, spätestens am Neujahrsmorgen.
Der Familienvater hoffte, sein Wort halten zu können. Viele von den weniger schwer erkrankten Patienten waren über die Feiertage in häusliche Pflege geschickt worden und würden erst am zweiten Januar zurückkehren.
Nun besprach er mit Dr. Donat und Dr. Deyle das Vorgehen an diesem besonderen Tag. Noch war nichts Besonderes los. Aber es fühlte sich an wie die Ruhe vor dem Sturm.
Letztes Jahr hatte es laut Polizei und Notärzten besonders viele Unfälle mit Feuerwerkskörpern gegeben. Ein Jugendlicher war sogar getötet worden.
Dr. Holl machte einen Rundgang in der Chirurgie, unterhielt sich mit den Kranken und wünschte ihnen schon einmal einen guten Rutsch – falls er später nicht mehr dazu kam.
Er besuchte auch die Patientin, der vor zwei Tagen Gebärmutter und Eierstöcke entfernt worden waren. Eigentlich hatte sie sich schon ganz gut von der Operation erholt, doch seit gestern hatte sich Fieber eingestellt. Bei seinem Anblick fing sie an zu weinen.
Der Chefarzt setzte sich zu ihr.
»Haben Sie Schmerzen, Frau Gellert?«
Die aparte Mittvierzigerin schluchzte auf.
»Ja, aber die haben nichts mit der Operation zu tun. Mein Mann will sich von mir scheiden lassen. Das hat er mir heute am letzten Tag des Jahres mitgeteilt, er wollte es wohl schnell noch loswerden, um befreit nach vorn schauen zu können.«
»Oh, das tut mir leid. Und Sie sind davon völlig überrascht worden?«
»Das kann man wohl sagen. Es lief nicht mehr so richtig gut zwischen uns. Aber dass er jetzt die Trennung will, ist doch ziemlich rücksichtslos von ihm. Oder, Doktor Holl? Ich liege im Krankenhaus und muss erst mal wieder auf die Beine kommen, und dann dieser Schock.«
Energisch wischte sie sich die Tränen weg. »Dieser Mistkerl.«
»Versuchen Sie, sich möglichst nicht aufzuregen. Eigentlich ist das unmöglich, ich weiß. Aber Sie müssen jetzt in erster Linie an sich und Ihre Genesung denken. Es wird ja auch bekanntlich nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Vielleicht besinnt sich Ihr Mann noch.«
Dr. Holl reichte ihr das Päckchen Taschentücher, das auf dem Beistelltisch lag. Andrea Gellert wischte sich die Tränen weg.
»Sind Sie schon lange verheiratet?«
»Inzwischen sind es sechsundzwanzig Jahre. Wir waren seit unserer Schulzeit zusammen. Aber die große Liebe verliert sich mit den Jahren, sie wird flacher, wenn Sie verstehen, was ich meine. Wir hatten eine ganz normale Ehe mit Höhen und Tiefen. Doch jetzt sind die Kinder aus dem Haus, und plötzlich gibt es bei uns keinen Gesprächsstoff mehr.«
Sie brach ab, schien zu überlegen, ob sie weiterreden oder schweigen sollte.
»Natürlich hat er auch schon eine Neue, und natürlich ist sie jünger als ich.«
Stefan Holl empfand Mitleid, aber helfen konnte er nur mit tröstenden Worten.
»Sechsundzwanzig Jahre!«, fuhr die Patientin in bitterem Ton fort. »Ist das nicht verrückt? Thomas ist sechsundvierzig. Was denkt er sich nur? Und dann ist seine Geliebte auch noch die Freundin unserer Tochter. Bin schon gespannt, was unsere Kleine dazu sagt, falls sie es schon weiß.«
»Kann ich verstehen«, stimmte der Arzt zu.
Was würde seine Tochter Daniela wohl sagen, wenn sie von einem Seitensprung ihres Vaters erfahren würde – und dann noch mit ihrer besten Freundin Mona? Stefan Holl schüttelte es allein bei dem Gedanken. Wahrscheinlich würde sie versuchen, ihn davon abzubringen. Und das mit allem Recht der Welt.
Dr. Holl ließ die Vorstellung sofort wieder fallen. Er war zwar noch zwei Jahre älter als Frau Gellerts Mann, aber seine Julia zu hintergehen, erschien ihm vollkommen unmöglich. Dazu würde es nie kommen, bis an sein Lebensende nicht.
»Was verspricht sich eine so junge Frau von einem Mann in der Midlife-Crisis?«, schniefte Heike Gellert. Die Patientin schüttelte verständnislos den Kopf. Eine Antwort erwartete sie nicht. »Sie lieben sich, hat er am Telefon gesagt. Und gegen die Liebe komme man eben nicht an. Der macht sich doch was vor!«
»In solchen Fällen ist es oft besser, einfach abzuwarten«, erwiderte Dr. Holl. »Sie können ohnehin nichts tun. Oder wollen Sie ihn festbinden? Ich kenne Ihren Mann nicht, könnte mir aber vorstellen, dass er aus Angst vor dem Alter noch mal was Neues erleben will. Vielleicht hofft er, mit einer jungen Frau selbst jung zu bleiben.«
»Die Gründe interessieren mich nicht. Es ist verwerflich, was er getan hat und damit basta. Ich werde sicher nicht um ihn kämpfen, dazu bin ich einfach zu stolz. Wenn er gehen will, dann soll er gehen. Ich halte ihn nicht zurück. Ich werde mich schon wieder fangen, zwangsläufig. Sobald ich entlassen bin, stehe ich wieder in meiner Apotheke. Der Laden muss ja weiterlaufen.«
»Als Ihr Arzt bitte ich Sie dennoch, sich Zeit zu lassen. Vielleicht müssen Sie jetzt auch für eine Weile Hormone nehmen.«
»Ich werde nichts überstürzen, hab ja auch eine tüchtige Vertreterin, die sich um alles kümmert. Da brauche ich mir keine Sorgen zu machen.«
»Arbeitet Ihr Mann auch in der Apotheke?«
»Nein, um Himmels willen, er hat mit Pharmazie nichts an Hut. Er arbeitet in einem Autohaus. Mein Geschäft ist für ihn tabu.«
»Frau Gellert, ich wünsche Ihnen, dass sich die Dinge im neuen Jahr für Sie klären, ganz in Ihrem Sinne. Jetzt muss ich aber weiter. Später schaue ich noch mal bei Ihnen vorbei.«
»Es hat mir sehr gutgetan, dass Sie mir zugehört haben. Danke, Doktor Holl. Meine Tochter wird heute noch vorbeikommen. Bin gespannt, ob sie von den Machenschaften ihres Papas schon weiß.«
Dr. Holl drückte ihren Arm, bevor er ging.
»Wenn Sie was brauchen, auch Zuspruch, dann klingeln Sie. Sie wissen ja, wo der rote Knopf ist.«
Solche Ereignisse im Leben eines kranken Menschen konnten durchaus auch die Heilung verzögern, ging es Stefan Holl durch den Kopf, nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte. Er würde das Pflegepersonal auf der Station anweisen, regelmäßiger nach der Patientin zu schauen.
***
Die ganze Zeit stand Theresa schon mit einem Fremden da und unterhielt sich. Das sah er an ihren Gesten und Lippenbewegungen. Nach einer Weile entschloss sich Bastian einzuschreiten. Er verließ seinen Platz am Glühweinstand und ging zu den beiden hinüber.
»Theresa, wir wollen weiter!«, rief er in gebieterischem Ton.
Was so viel hieß, wie: Dein Platz ist bei uns und nicht bei diesem Kerl da.
Die attraktive Brünette kam auf ihn zu.
»Er kommt mit uns«, entschied sie. »Ist ein ganz sympathischer Typ.«
»Du kennst ihn doch gar nicht.« Seine Miene war eine einzige Ablehnung. »Wir wollen keinen Fremdkörper in der Gruppe. Das haben wir einstimmig beschlossen. Denk doch an den versoffenen Kerl vom letzten Jahr, der uns so viele Scherereien gemacht hat.«
»Meine Güte, stell dich nicht so an. Daniel ist neu in München. Er kommt aus Hamburg und sucht netten Anschluss. Warum soll er Silvester allein feiern?«
Bastian warf einen abwertenden Blick in die Richtung des anderen.
»Auch noch ein Saupreiß«, kritisierte er erbost. »Der will dich doch nur anmachen. So jemanden wollen wir nicht.«
Theresa konnte sich ein ironisches Lächeln nicht verkneifen. Ausgerechnet Bastian musste so was sagen. Sie wandte sich zu Daniel um, der inzwischen ein paar Schritte zurückgegangen war und Anstalten machte, sich zu entfernen. Er hob zum Abschied die Hand.
Theresa winkte zurück, aber für einen Moment war sie doch enttäuscht und traurig. Sie fand, dass Daniel eine angenehme Bereicherung gewesen wäre, aber sie hatte sich nun einmal mit der Gruppe für den heutigen Tag verabredet und ließ sich deshalb notgedrungen von Bastian wegziehen.