Chefarzt Dr. Holl 1931 - Katrin Kastell - E-Book

Chefarzt Dr. Holl 1931 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Hoteltesterin Anni Winter hat privat sehr schwere Jahre hinter sich. Umso glücklicher ist sie über ihren beruflichen Erfolg. Als Hoteltesterin bereist sie die ganze Welt und entdeckt immer neue Paradiese. Auch jetzt steht sie kurz vor der Abreise nach Portugal.
Dass sie seit einigen Tagen starke Rückenschmerzen quälen, schiebt sie auf die Kälte in Deutschland. Doch bevor sie ins Flugzeug steigen kann, bekommt sie plötzlich auch noch hohes Fieber. Statt im Luxusresort an der Atlantikküste liegt sie Stunden später als Sterbenskranke in der Berling-Klinik. Die Ärzte tun, was in ihrer Macht steht, aber nicht immer hat das Schicksal Erbarmen. Und als sie hören, dass Anni noch einen letzten großen Wunsch hat, beschließen sie, ihr diesen zu erfüllen ...


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Seitenzahl: 125

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Sehnsucht nach Meer

Vorschau

Impressum

Sehnsucht nach Meer

Doch dann erkrankt Hoteltesterin Anni an einerlebensbedrohlichen Sepsis

Von Katrin Kastell

Anni Winter hat privat sehr schwere Jahre hinter sich. Umso glücklicher ist sie über ihren beruflichen Erfolg. Als Hoteltesterin bereist sie die ganze Welt und entdeckt immer neue Paradiese. Auch jetzt steht sie kurz vor der Abreise nach Portugal.

Dass sie seit einigen Tagen starke Rückenschmerzen quälen, schiebt sie auf die Kälte in Deutschland. Doch bevor sie ins Flugzeug steigen kann, bekommt sie plötzlich auch noch hohes Fieber. Statt im Luxusresort an der Atlantikküste liegt sie Stunden später als Sterbenskranke in der Berling-Klinik. Die Ärzte tun, was in ihrer Macht steht, aber nicht immer hat das Schicksal Erbarmen. Und als sie hören, dass Anni noch einen letzten großen Wunsch hat, beschließen sie, ihr diesen zu erfüllen ...

»Mama, weißt du, wo meine Turnschuhe sind? Gestern standen sie noch im Flur, und jetzt sind sie spurlos verschwunden«, beschwerte sich der fünfzehnjährige Chris.

Vor ein paar Minuten war er vom Frühstückstisch aufgesprungen, um Zähne zu putzen und sich wie seine jüngere Schwester Juju für die Schule fertig zu machen. Auch die Zwillinge Marc und Dani saßen nicht mehr am Tisch, sondern rumorten irgendwo im Haus herum.

Eigentlich hatte Mama Julia gehofft, mit ihrem Mann noch in aller Ruhe eine Tasse Kaffee trinken zu können, bevor sich Stefan auf den Weg in die Klinik machte. Aber diesen Wunsch konnte sie sich wohl abschminken.

»Ich wusste noch gar nicht, dass es in unserem Haus spukt«, hallte Danis Stimme durch den Flur, gefolgt von einem schaurigen »Uuuhuuuh!«, das nur von Marc stammen konnte.

»Iiih, ein Gespenst!«, kreischte Juju.

Stefan trank einen Schluck Kaffee und rollte mit den Augen.

»Ich nehme an, der Geist heißt Cäcilie und hat gerade die Schuhe dorthin geräumt, wo sie hingehören«, klärte er das Rätsel auf.

Die gute Cäcilie, ihre alte Haushälterin, wurde gerne von den Kindern aufs Korn genommen, besonders, wenn sie unter ihrer weißen Schürze mal wieder ihr ebenso weißes Lieblingskleid trug.

Das Geschrei verstummte, Füße trappelten, ein Kind nach dem anderen tauchte noch einmal im Esszimmer auf, um sich zu verabschieden. Stefan gab seiner Frau noch schnell einen innigen Kuss und zog sich schon einmal den Mantel über.

»Ihr müsst heute nicht auf mich warten. Nach der Uni treffe ich mich mit Lara.«

Marc beugte sich über seine Mutter, um ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken.

»Lara? Interessant. Ist das dein neues medizinisches Studienobjekt?«, platzte seine Zwillingsschwester heraus.

Für diese freche Bemerkung erntete Dani einen freundschaftlichen Knuff.

»Du bist ja nur neidisch, weil sich dein Noah noch sträubt.«

»Noah? Pah, was will ich denn mit diesem arroganten Kerl?«

Dani machte eine wegwerfende Handbewegung, doch die hektischen roten Flecken auf ihren Wangen verrieten sie.

Es flogen noch ein paar Bemerkungen hin und her, und dann war es plötzlich still. Julia war allein.

Jeden Morgen, wenn alle nacheinander das Haus verließen und sich jeder auf seine Art von ihr verabschiedete, durchströmten sie widerstreitende Gefühle: das Bangen darum, ob sie alle wieder gesund nach Hause kommen würden – und die Erleichterung darüber, ein paar Minuten ganz für sich allein zu haben.

In Erwartung der Zwillinge waren Stefan und Julia in das geräumige Haus am Stadtrand von München gezogen. Damals verloren sie sich in den kahlen Räumen und insgeheim hatte Julia daran gezweifelt, sich jemals darin heimisch zu fühlen.

Diese Zeiten gehörten längst der Vergangenheit an. Inzwischen zählte die Familie sechs Köpfe, und jeder Winkel war besiedelt.

Geselligkeit wurde groß geschrieben im Hause Holl, die Tür stand auch den Freunden der Kinder stets offen. Dieses Angebot wurde gerne angenommen und häufig tummelten sich über die Bewohner hinaus viele weitere Menschen in dem gemütlichen Heim.

Während die Zwillinge immer seltener zu Hause waren, drückten ihre jüngeren Geschwister Chris und Juju ihre Liebe zu den Eltern durch Gemeinschaft aus. Die beiden wären ihren Eltern auch bis an den Nordpol gefolgt, wenn ihnen nach Gesellschaft zumute war.

Die nahe Kirchturmuhr schlug viermal für die volle Stunde. Julia zählte die folgenden Stundenschläge: acht Uhr. Höchste Zeit, ihr Tagwerk zu beginnen, damit die Haushälterin Cäcilie nicht zu viel Arbeit hatte.

Im ersten Stock nahm Julia Bettwäsche aus dem Kleiderschrank, um sie auf die Betten der Zwillinge zu legen. Sie wollte schon wieder kehrtmachen, als sie innehielt.

Was war das? Sie drehte sich um, ihr Blick wanderte über den Kleiderhaufen auf dem Stuhl in der Ecke über Zeitschriften und schmutzigen Socken auf dem Boden hinüber zum Schreibtisch.

»Der Computer, dachte ich es mir doch!«

Wie oft hatte Julia ihren Sohn ermahnt, sämtliche Stromfresser am Morgen vor Verlassen des Hauses auszuschalten! Besonders dann, wenn er erst spät am Abend zurückkommen würde.

Julia haderte mit sich. Nichts lag ihr ferner, als in die Privatsphäre ihrer Kinder einzudringen. Den Computer einfach laufen lassen, wollte sie trotzdem nicht. Aber was, wenn Marc ein wichtiges Update gestartet hatte?

Zum Glück gab es die moderne Technik. Kurz entschlossen nahm Julia ihr Mobiltelefon zur Hand und schrieb ihrem Ältesten eine Nachricht.

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Hab's vergessen. Tut mir leid. Darfst ihn gerne ausschalten. Kuss M.

Lächelnd trat Julia an den Schreibtisch und griff nach der Maus. Der Bildschirm flammte auf. Das Lächeln auf den Lippen der Mutter erstarrte.

***

Ein bitterkalter Windhauch strich um Ecken und durch Häuserfluchten. Anni Zacharias rieb sich die Hände.

Wie sehr sie diese Kälte verabscheute, die ihr nicht nur die Laune verdarb, sondern obendrein wahrscheinlich auch noch für den Zug im Rücken verantwortlich war, den sie seit einigen Tagen verspürte. Und das ausgerechnet jetzt, wo sie endlich wieder arbeiten konnte!

Anni zog die Schultern hoch und ließ den Blick an der Fassade des Bürogebäudes hochwandern, dorthin, wo im vierten Stock der Name der Firma stand, für die sie arbeitete. Wunderlich Reisen prangte in fetten Lettern an der Hausfassade des Frankfurter Hochhauses.

Anni hatte schon befürchtet, zu spät zum Termin mit ihrem Chef zu kommen. Doch eine gewiefte Taxifahrerin hatte den stockenden Berufsverkehr geschickt umfahren und sie pünktlich am Hauptsitz des Reiseveranstalters abgesetzt, für den Anni nun schon seit drei Jahren tätig war.

Im Bürogebäude herrschte eine angenehme Wärme. Anni klappte den Kragen des Wintermantels herunter und sah sich um. Der Pandemie war es geschuldet, dass sie seit knapp zwei Jahren nicht mehr hier gewesen war. Sie musste sich erst wieder orientieren.

Ein Pling! wies ihr den Weg zu den Aufzügen. Wenig später schritt sie über den sandfarbenen Teppichboden Richtung Chefbüro.

»Frau Behrens, wie schön, dass wir uns endlich wieder einmal in die Augen sehen können.« Mit ausgestreckter Hand eilte Konrad Rütting auf seine Mitarbeiterin zu. »Diese Pandemie hat unser Leben ja ganz schön auf den Kopf gestellt. Aber jetzt kehren wir allmählich wieder zur Normalität zurück, wie Ihr Besuch beweist. Wie geht es Ihnen?«

Bevor Anni antworten konnte, servierte eine Sekretärin Tee und Gebäck.

»Ehrlich gesagt hätte ich liebend gerne mal wieder echten Sand unter den Füßen«, gestand Anni und biss auf einen der Kekse, die offenbar schon vor der Zwangspause gebacken worden waren.

»Ich weiß, dass die Reisen durch die deutsche Hotellandschaft nicht Ihr Traum sind.« Auch Konrad machte es sich bequem. Sein väterlicher Blick ruhte auf Anni, die Kekskrümel von ihrer Hose klopfte. »Aber Sie können von Glück sagen, für ein renommiertes Unternehmen zu arbeiten. Andere Reiseveranstalter konnten dem Druck nicht standhalten und mussten schließen.«

»Ich weiß und wollte auch ganz bestimmt nicht jammern«, beeilte sich Anni zu versichern. »Aber Sie haben mich gefragt, und ich habe eine ehrliche Antwort gegeben. Das erwarten Sie doch von einer professionellen Hoteltesterin, oder?«

Konrad Rütting legte den Kopf in den Nacken und lachte herzlich.

»Genauso treffsicher wie Ihre Berichte!«, lobte er. »Deshalb freue ich mich, Ihnen heute gute Nachrichten überbringen zu können.«

Das klang vielversprechend. Anni rutschte auf die Kante des Sessels, auch, um ihren schmerzenden Rücken zu entlasten.

»Ich bin gespannt.«

»Wo habe ich denn ...?« Eine ganze Weile raschelte Konrad Rütting mit den Papieren in seiner Mappe. »Ah, hier ist er ja, Ihr neuer Auftrag!« Endlich hatte er gefunden, wonach er gesucht hatte. Er strahlte Anni an. »Es geht in den Süden.«

»Fantastisch.« Ihre Augen begannen zu glitzern.

Seit Anni denken konnte, übte das Meer eine fast magische Anziehungskraft auf sie aus. Diese Leidenschaft war auch der Grund gewesen, warum sie Tourismus studiert hatte.

Eines Tages, dessen war sie sich als Kind schon sicher gewesen, würde sie ein urgemütliches Häuschen am Meer besitzen. Tatsächlich war dieser Traum schon zum Greifen nahe gewesen. Doch dann ...

Annis Herz schlug schneller. Auch nach all den Jahren genügte ein einziger Gedanke, um sie wieder aus der Fassung zu bringen.

»Frau Winter? Haben Sie gehört, was ich gesagt habe?«

Anni zuckte zusammen. »Tut mir leid. Ich war gerade mit den Gedanken woanders.«

»Das habe ich gemerkt«, brummte der Abteilungsleiter verstimmt. »Also noch mal: Ihre nächste Reise führt Sie ins Boutique-Hotel ›Gasthaus‹ mitten im Herzen von München.«

Die Enttäuschung schmeckte bitter. Das war nicht gerade das, was sich Anni unter Süden vorgestellt hatte ...

»Oh! Klingt gut«, erwiderte sie matt.

Ihr Vorgesetzter bedachte sie mit einem belustigten Funkeln in den Augen.

»Aber das ist nur eine Zwischenstation«, fuhr Konrad Rütting schmunzelnd fort. »Wie bereits erwähnt, führt Ihre Reise Sie direkt im Anschluss nach Portugal. Hier ist eine Liste der Hotels, die Sie für unser Herbstgeschäft testen werden.«

Annis Hand zitterte, als sie das Papier in Empfang nahm. Auf keinen Fall durfte ihr Chef ihren inneren Aufruhr bemerken.

»Das ist ja großartig. Ich kann es noch gar nicht glauben. Endlich wieder Sonne und Meer!«

»Vor lauter Euphorie sollten Sie aber Ihr erstes Reiseziel nicht aus den Augen verlieren. Wir erwarten eine erstklassige Berichterstattung über das ›Gasthaus‹ in München.« Konrad Rüttings Augen wurden schmal. »Es gibt genügend Kollegen, die nach diesen harten Zeiten auf so eine Chance warten.«

Anni verstand die versteckte Warnung.

»Natürlich. Ich werde Sie nicht enttäuschen«, versicherte sie und stand schon fünf Minuten später bei der Chefsekretärin, um ihr Zugticket in Empfang zu nehmen.

***

Wie jeder von Julia Holls Tagen war auch dieser vollgepackt mit allen erdenklichen Aufgaben. Und doch lief alles anders als gewohnt.

Julia schrieb einen Einkaufszettel, den sie auf dem Tisch liegen ließ. Prompt vergaß sie die Hälfte der Besorgungen. Sie kam zu spät zu dem Termin im Frauenhaus, wo sie alleinerziehende Mütter in Gesundheitsfragen ihrer Kinder beriet. Auf dem Rückweg nach Hause lief sie versehentlich bei Rot über die Straße.

Um weitere Missgeschicke zu vermeiden, beschloss Julia, den Rest des Tages daheimzubleiben. Dort erreichte sie ein Anruf ihrer Cousine.

Gegen die Schicksalsschläge, die Andrea in den vergangenen Jahren hatte einstecken müssen, schämte sich Julia fast für ihre Sorgen. Sie sagte es ihrer Cousine.

»Aber ihr habt ja auch schwere Zeiten hinter euch«, gab Andrea zu bedenken.

Julia wusste, dass sie auf Jujus Leukämie-Erkrankung vor einigen Jahren anspielte.

»Das stimmt«, räumte sie ein und spürte in sich hinein.

Dieser Schicksalsschlag fühlte sich unendlich weit entfernt an. So viele gute Tage hatten sie seither als Familie erlebt, so viele Erfahrungen gesammelt und so viel Glück, Liebe und Geborgenheit gemeinsam genossen. Jeder Tag war ein Geschenk – diese Binsenweisheit war tief in Julias Herzen verankert. Nicht erst seit damals wusste sie um die Zerbrechlichkeit des Glücks und versuchte, jede Sekunde des Lebens zu genießen.

Doch an diesem Tag half der beste Vorsatz nichts. Obwohl sich Julia Holl auf diesen Moment innerlich bereits vorbereitet hatte und die Zwillinge immer mal wieder davon gesprochen hatten, hatte sie der Anblick der Immobilienseite auf Marcs Bildschirm komplett aus der Bahn geworfen.

»Stell dir vor, was ich heute zufällig entdeckt habe«, überfiel Julia ihren Mann, kaum dass er den Fuß über die Türschwelle gesetzt hatte.

»Ich wünsche dir auch einen schönen guten Abend, mein Schatz«, entgegnete Stefan schmunzelnd und gab seiner Frau einen Begrüßungskuss.

Doch selbst diese Zärtlichkeit konnte Julia nicht beschwichtigen.

»Wusstest du, dass die Zwillinge ausziehen wollen?«, platzte sie mit der Neuigkeit heraus.

In aller Seelenruhe hängte Stefan seine Jacke an die Garderobe.

»Nicht direkt. Aber wir wissen doch beide, dass das früher oder später passieren wird.« Er nahm seine Frau zärtlich in die Arme. »Und sehnen wir uns insgeheim nicht manchmal sogar danach?«

»Wie kannst du so etwas behaupten?«, erwiderte Julia bestürzt.

»Denk doch zum Beispiel an die vielen Male, wenn unsere Sprösslinge um Mitternacht an die Schlafzimmertür geklopft haben, um zu fragen, ob sie die letzte Tiefkühlpizza essen dürfen«, erinnerte Stefan seine Frau. »Oder wenn Cäcilie mal wieder keinen Kuchen backen konnte, weil irgendjemand die letzten Eier in die Pfanne gehauen hat.« Sein zärtlicher Blick streichelte Julias Gesicht. Eine dunkelblonde Locke hatte sich aus ihrem unordentlichen Dutt gelöst. Stefan strich sie aus ihrer Stirn. »Dann erbaut uns insgeheim doch immer der Gedanke, dass eines Tages hier Ruhe einkehren wird.«

»Ja, schon«, räumte Julia zähneknirschend ein. »Aber die Aussicht darauf, plötzlich zusammenzuschrumpfen und von unseren Kindern nur noch besucht zu werden, statt den Alltag mit ihnen zu teilen, gefällt mir auch nicht.«

Stefan legte den Kopf in den Nacken und lachte.

»Glücklicherweise bleiben uns ja noch Chris und Juju.« Ein Gedanke kam ihm in den Sinn, und er zog seine Frau noch näher an sich. »Und ehrlich gesagt gefällt es mir, dich nicht mehr mit so vielen Menschen teilen zu müssen«, raunte er ihr zu. »So wie damals, bevor wir unsere hübschen Kinder in die Welt gesetzt haben.«

Dieser verlockenden Erinnerung hing Julia einen kurzen Moment nach, doch dann wurde sie bereits unsanft aus ihren Tagträumen gerissen.

»Hol sie dir doch, wenn du sie haben willst!«

Mit einem Schwall kalter Luft wehte Chris' Stimme von draußen herein. Die Tür war aufgestoßen worden. Im selben Moment sauste ein Geschoss um Haaresbreite an Stefan vorbei und zerplatzte auf Julias Wange. Schnee spritzte zu allen Seiten.

»Oh, Mami, das tut mir so leid.« Die elfjährige Juju war außer sich vor Entsetzen. »Eigentlich wollte ich Chris treffen, weil er meine Mütze geklaut hat. Hast du dir wehgetan?«

»Nein, nein, schon gut. Ist ja nichts passiert«, versicherte Julia.

Sie wischte den Schnee aus dem Gesicht und schickte ihrem Mann ein vielsagendes Lächeln.

Stefan hatte recht. Auch ohne Marc und Dani würde es ihnen ganz bestimmt nicht langweilig werden.

***

Drei Stunden, dreizehn Minuten! So lange dauerte die Bahnfahrt von Frankfurt nach München.

Vorsichtig, um ihren Rücken nicht zu sehr zu strapazieren, setzte sich Anni Zacharias auf einen Fensterplatz und breitete ihre Siebensachen auf dem Tisch aus. Eine Tüte mit dem Aufdruck einer Frankfurter Bäckerei, eine Flasche Wasser und ein Reisemagazin, das sie jedoch noch nicht aufschlug. Sie hatte es für den unwahrscheinlichen Fall gekauft, dass ihr langweilig werden würde.

Anni lächelte vor sich hin. Was für ein absurder Gedanke! Sie liebte es, unterwegs zu sein, die Landschaft an sich vorbeiflitzen zu sehen, einem unbekannten Ziel, neuen Abenteuern entgegen.

Nach der langen Durststrecke war selbst eine Reise nach München ein aufregendes Unterfangen. Und dann erst Portugal, das direkt neben Spanien lag ... Aber halt! Nein! Daran wollte – daran durfte sie nicht denken!

»Schön, wenn zur Abwechslung mal jemand lächelt.«