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Die vierjährige Ella ist der pausbäckige Sonnenschein in Sabrinas Zellers Leben. Doch zurzeit liegt ihr kleines Töchterchen mit hohem Fieber im Bett. Ihre Hände und Füße sind beängstigend stark geschwollen. Natürlich wendet sich die alleinerziehende Mutter in ihrer Sorge sofort an Professor Ulrich von Swanstein. Regelmäßig nimmt sie an seinen Südtiroler Seminaren teil oder gönnt sich die Ferntherapien des Wunderheilers. Dafür blättert sie nicht wenig Geld hin. Geld, das sie nicht hat. Aber trotz Swansteins Behandlung geht es dem niedlichen Mädchen immer schlechter. Ella ringt nach Luft, Schweißperlen glitzern auf der Kinderstirn - und Sabrina fehlen die Mittel für eine weitere Therapie. Doch damit nimmt das Unglück gerade erst seinen Lauf ...
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Seitenzahl: 129
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Angst um Ella
Vorschau
Impressum
Angst um Ella
Eine alleinerziehende Mutter bangt um ihre herzkranke Tochter
Von Katrin Kastell
Die vierjährige Ella ist der pausbäckige Sonnenschein in Sabrina Zellers Leben. Doch zurzeit liegt ihr kleines Töchterchen mit hohem Fieber im Bett. Ihre Hände und Füße sind beängstigend stark geschwollen.
Natürlich wendet sich die alleinerziehende Mutter in ihrer Sorge sofort an Professor Ulrich von Swanstein. Regelmäßig nimmt sie an seinen Südtiroler Seminaren teil oder gönnt sich die Ferntherapien des Wunderheilers. Dafür blättert sie nicht wenig Geld hin. Geld, das sie nicht hat.
Aber trotz Swansteins Behandlung geht es dem niedlichen Mädchen immer schlechter. Ella ringt nach Luft, Schweißperlen glitzern auf der Kinderstirn – und Sabrina fehlen die Mittel für eine weitere Therapie. Doch damit nimmt das Unglück gerade erst seinen Lauf ...
Nur noch wenige Kilometer, dann war Sabrina Zeller endlich zu Hause.
Die Fahrt von Südtirol nach München hatte sich doch erheblich in die Länge gezogen. Immer wieder hatten Regen und Sturmböen die Fahrt erschwert.
Prüfend schaute Sabrina in den Rückspiegel. Ihr kleiner Schatz lag auf den hinteren Sitzen und schlief selig.
Zufrieden dachte sie an das vergangene Wochenende. Noch nie waren ihr so viele Einsichten über die Zusammenhänge zwischen Gesundheit, Krankheit und negativen Lebenseinflüssen bewusst geworden.
Zwar kannte sie Professor Ulrich von Swanstein schon seit längerer Zeit. Sie hatte etliche Sitzungen per Videotelefonie mit ihm absolviert, aber ihn leibhaftig zu erleben, war ein Erlebnis der ganz besonderen Art gewesen.
Falls das überhaupt möglich war, fühlte sie sich nun noch besser bei ihm aufgehoben. Der Mann war nicht nur ein ganzheitlicher Arzt, sondern auch ein fantastischer Menschenkenner. Er sah einen Patienten nur an und erfasste schon dessen Problem. Und obendrein war er der Entdecker des Universellen Heilkonzepts, abgekürzt UHK.
Wieder fielen erste Regentropfen. Sabrina drückte auf das Gaspedal. Sie wollte so schnell wie möglich nach Hause kommen, das Kind ins Bett bringen und dann bei einem heißen Tee die Ereignisse der letzten beiden Tage noch einmal genüsslich Revue passieren lassen.
Insgesamt fünfundzwanzig Swanstein-Begeisterte, mehr Frauen als Männer, waren in einer großen umgebauten Scheune in Südtirol zusammengekommen, wo sie der Lehre des Professors gelauscht hatten. Sie hatten in ihren mitgebrachten Schlafsäcken geschlafen. Im hinteren Teil der Scheune hatten drei Kinder gespielt, die ihre Mütter begleitet hatten.
Und da alle bereits eingeweihte Schüler des Professors gewesen waren, hatte sich rasch ein tiefes Gefühl der Zusammengehörigkeit unter den Teilnehmern entwickelt.
Als Verpflegung hatte es nur Brot, Äpfel und klares Bergwasser gegeben. Doch alle waren satt geworden und hatten ganz nebenbei noch die wertvolle Erfahrung gemacht, dass auch einfache Lebensmittel dem menschlichen Organismus Nutzen brachten.
Das hohe Honorar für diese beiden Tage bereute Sabrina nicht. Keinen Cent davon. Eigentlich konnte sie sich eine solche Ausgabe nicht leisten, aber auf diese Weise alles über die neuen Erkenntnisse im Bereich des UHKs zu erfahren, war es wert gewesen.
Das Wichtigste, was sie aus diesem Wochenende mitgenommen hatte, war die absolute Gewissheit, sich vor Krankheiten nicht mehr fürchten zu müssen, da sie nun wusste, wie man richtig mit ihnen umging.
Einige seiner Sätze hatten sich tief in ihre Gedanken eingebrannt:
»Wenn dir dein Stern einen Weg beleuchtet, dann gehe ihn und weiche nicht von ihm ab.«
»Ihr allein seid die Meister eures Lebens.«
»Wenn andere euch giftige Gedanken einpflanzen wollen, wehrt sie ab, denn sie machen euch nur krank.«
Ja, das waren einige der Thesen, die sie begeisterten. Der Mann besaß ein umfassendes Wissen, eine bewundernswerte Weitsicht und war bereit, die eigenen Erkenntnisse mit seinen Schülern zu teilen. Sabrina fühlte sich selbstsicher wie schon lange nicht mehr.
Ein rotes Licht riss sie urplötzlich aus ihren schwärmerischen Gedanken. Im Näherkommen bemerkte sie eine Polizeikelle. Sabrina bremste den Wagen ab und wurde angewiesen, in einer Bucht hinter einem anderen Wagen zu parken. Polizisten gingen um das Fahrzeug vor ihr herum.
Eine uniformierte Person machte ihr ein Zeichen, das Fenster zu öffnen.
»Guten Abend, Fahrzeugkontrolle. Stellen Sie bitte den Motor ab.« Die Stimme war weiblich und außerordentlich streng.
»Ich hab nichts getrunken«, rechtfertigte sich Sabrina sofort reflexartig.
»Aber Sie haben die erlaubte Geschwindigkeit überschritten. Und zwar genau um zwanzig Kilometer pro Stunde. Das ist schon eine ganze Menge. Dafür muss ich Sie verwarnen. Sind Sie mit einem Bußgeld von dreißig Euro einverstanden?«
So viel hatte sie gar nicht mehr bei sich. Sabrina begann zu schwitzen. Die soeben noch gefühlte Selbstsicherheit schlich sich klammheimlich davon.
Die Polizistin leuchtete mit ihrer Taschenlampe in das Fahrzeug.
»Und wen haben wir denn da auf dem Rücksitz?«
»Das ist meine Tochter Ella. Bitte sprechen Sie nicht so laut, sonst wacht sie auf.«
»Wie alt ist das Kind?«
»Vier«, gab Sabrina Auskunft.
»Sie wissen schon, dass Sie die Kleine im Kindersitz transportieren müssen.«
Sabrina schaute hoch. Im Licht der Straßenlaterne sah sie das Gesicht der Frau. Es kam ihr bekannt vor.
»Das würde eine weitere Verwarnung bedeuten«, fügte die Polizistin hinzu.
»Kennen wir uns nicht? Du bist doch Charlotte.«
Für den Bruchteil einer Sekunde war die Beamtin irritiert.
»Ich bin Sabrina, Sabrina Zeller. Hölderlin-Gymnasium. Mensch, Charlotte, wir haben zusammen Abi gemacht. Ist zwar schon eine Weile her, aber ...«
»Sabrina, na so was!« Die Stimme der Verkehrswächterin klang jetzt hell und freundlich. »Das ist ja wirklich eine Überraschung. Wie geht es dir?«
»Ganz gut«, erwiderte die junge Mutter.
»Und du hast ein Kind!«
»Ja, sie ist das schönste Geschenk meines Lebens. Hast du auch Kinder?«
Charlotte schüttelte den Kopf und warf einen schnellen Blick zu dem vorderen Wagen.
»Hör zu, Sabrina, mein Kollege ist gleich fertig mit der Überprüfung des Wagens dort. Fahr einfach weiter. Wenn er zur Kontrolle herkommt, kann ich nichts mehr für dich tun. Ich regle das. Und bitte behalte meine Entscheidung für dich, sonst bekomme ich Probleme.«
»Danke, Charlotte. Das ist wirklich unfassbar lieb von dir. Ich hab nämlich fast kein Geld mehr. Wir sollten uns mal treffen. Ich würde mich freuen.«
»Ja, das sollten wir.«
»Mama, wann sind wir zu Hause?«, erklang es von hinten.
Ella war aufgewacht. Charlotte nannte noch schnell ihre Telefonnummer, die Sabrina gleich in ihrem Handy speicherte.
»Nochmals danke. Das werde ich dir nicht vergessen.«
Sabrina startete wieder. Charlotte winkte die ehemalige Schulfreundin auf die Straße zurück. Der nächste Verkehrssünder würde natürlich nicht so glimpflich davonkommen.
Die junge Mutter setzte ihren Weg mit großer Erleichterung fort und ermahnte sich, in Zukunft vorsichtiger sein. Wie es allerdings weitergehen sollte mit dem knappen Budget, das ihr zur Verfügung stand, das wusste allein der Himmel.
Immerhin hatte der alte Wagen noch brav durchgehalten. Seine technische Überprüfung war schon überfällig, aber sie wagte es nicht, zur Prüfstelle zu fahren. Er käme nicht mehr ohne Beanstandungen über den TÜV. Und Geld für größere Reparaturen hatte sie nicht.
Zum Glück war Charlotte dieser weitere Missstand nicht aufgefallen, sonst hätte sie bestimmt doch noch Ärger bekommen.
***
Kurz vor Beginn seiner Schicht betrat Dr. Manuel Delius die Berling-Klinik und lief gleich dem Chefarzt in die Arme.
»Guten Morgen, Herr Kollege. Ich hoffe, Sie hatten ein gutes Wochenende«, grüßte Dr. Holl freundlich.
»Jedenfalls habe ich keinen Grund zur Klage«, erwiderte Manuel Delius.
Während die beiden Ärzte miteinander sprachen, erntete der Jüngere nebenbei interessierte Blicke von vorübergehenden Frauen. Manuel nahm keine Notiz davon, Dr. Holl hingegen schon.
Natürlich war der Chefarzt einsichtig genug, um zu erkennen, dass die verstohlenen Blicke nicht ihm galten, sondern dem unglaublich attraktiven Kollegen. Auch als Mann erkannte Stefan Holl, dass so viel perfekte männliche Schönheit eher selten war. Wäre Dr. Delius ein Model, die Agenturen würden sich bestimmt um ihn reißen.
Erst vor zwei Monaten war der junge Kollege an die Berling-Klinik gekommen und hatte sich sofort in das Ärzteteam eingefügt, als wäre er schon immer hier gewesen.
Dass er ein ausgesprochen guter Mediziner war, hatte Stefan Holl von Anfang an gesehen. Er war sehr froh über die Bereicherung seines Teams.
»Meine Frau würde Sie gern zum Essen einladen«, richtete Dr. Holl aus. »Sie ist Kinderärztin und sehr daran interessiert, welche Fortschritte auf ihrem Fachgebiet zu verzeichnen sind. Sie wird sicher viele Fragen haben, davor sollte ich Sie vielleicht warnen.«
»Danke, Doktor Holl, die Einladung nehme ich sehr gern an. Und gegenüber Fachgesprächen bin ich sowieso immer aufgeschlossen.«
»Gut, wie würde es Ihnen denn terminlich passen? Vielleicht am kommenden Freitag neunzehn Uhr?«
»Ja, gerne«, sagte Manuel zu. »Da habe ich einen freien Tag.«
Er war noch dabei, die Stadt zu erkunden, und hatte bis jetzt nur wenige Kontakte außerhalb der Klinik knüpfen können.
Wenig später wurde Manuel schon zu einer Not-OP gerufen. Der Facharzt für Pädiatrie spurtete los und machte sich fertig für den Eingriff.
Auf der Tabula im OP zwei lag bereits ein kleiner Junge, der von einem Auto angefahren worden war. Der Kinderchirurg Dr. Seefelder informierte ihn in Stichworten über die in aller Eile erhobene Diagnose: innere Blutungen, Schock, drohende Lebensgefahr.
Eine sofortige Behandlung war das Gebot der Stunde. Der Junge wurde künstlich beatmet. Eine Intubation dafür war schon gelegt worden.
»Sind die Eltern da?«, wollte Dr. Delius wissen.
»Die Mutter ist draußen. Sie hatte völlig die Fassung verloren, wollte sich über das Kind werfen. Wir mussten sie fast gewaltsam aus dem OP entfernen.«
»Verständlich«, murmelte Manuel. »Sie hat Angst um den Kleinen.«
Dr. Andrea Kellberg, die Anästhesistin, drängte zur Eile. Die Blutdruckwerte fielen. Der Volumenverlust durch die inneren Blutungen versetzte den Jungen in einen kritischen Zustand. Unter ständiger Kontrolle bekam er Infusionen. Die ersten Röntgenaufnahmen ergaben eine deutliche Verschattung des rechten oberen Bauchquadranten.
Dr. Delius setzte das Skalpell an und zog einen sauberen Rippenrandschnitt. Dr. Seefelder stillte die diffusen Blutungen mit temporären Mulltupfern, er und sein Kollege wechselten sich stets mit den Operationen ab. Ein kleines offenes Blutgefäß fasste er mit der spitzen Pinzette und verschloss es mit elektrischem Strom.
Assistent Lohmann hielt die OP-Wunde mit Haken auseinander, während Dr. Seefelder absaugte.
Es dauerte eine Weile, bis Manuel Delius in der Tiefe die Blutungsquelle entdeckte. Ein kleines Stück der Leber war so tief eingerissen, dass es ziemlich aussichtslos erschien, diesen Teil an den übrigen Leberlappen anzunähen. So entschied sich der Kinderchirurg zur Resektion, trennte das nutzlos gewordene Stück ab und ließ es in eine Schale gleiten.
»Wächst wieder nach«, ließ Dr. Delius verlauten.
Das Team nickte zustimmend.
Sofort entstanden neue Blutungen. Immer mehr Bauchtücher wurden notwendig, um das Blut aufzunehmen. Während die beiden Ärzte absaugten und Blut stillten, tropfte zusätzlich zu den Blutkonserven in langsamer Folge eine Glukose-Kochsalz-Lösung durch die Verweilkanüle in die äußere Drosselvene.
Nach siebzig Minuten ging ein hörbares Aufatmen durch den OP-Saal. Blutdruck, Puls und Atmung des Kindes stabilisierten sich, ebenso die Sauerstoffsättigung des Blutes. Die Leberblutung war gestoppt. Dr. Delius war beruhigt, wieder ein junges Leben gerettet zu haben.
»Der Kleine wird es schaffen«, prophezeite er optimistisch.
Die Wunde wurde bis auf einen Spalt für die Bauchdrainage verschlossen.
Nach dem Eingriff brachten zwei Pflegerinnen den Jungen auf die Kinder-Intensivstation.
Manuel sprach mit der Mutter, hatte aber nicht den Eindruck, dass sie seine Worte verstand. Viele Haarsträhnen hatten sich aus der Hochsteckfrisur gelöst. Ihre Mundpartie zitterte.
»Mein kleiner Junge ist alles, was ich habe!«, rief sie immer wieder aufschluchzend. »Mein armes, unschuldiges Kind wird so schwer verletzt. Wie kann Gott so etwas zulassen?«
Er kann seine Augen und Ohren halt nicht überall haben, dachte Manuel und versicherte der Mutter indes, dass ihr Kleiner in der Klinik bestens versorgt werde und dass sie ihn jetzt besuchen könne. Sie solle sich allerdings ruhig verhalten und das Kind nicht mit ihren Tränen ängstigen.
Nach vielen tröstenden Worten verabschiedete sich der Kinderarzt von der Mutter mit dem unguten Gefühl, sie mit seinen Worten nicht genügend getröstet zu haben. Aber was hätte er ihr sonst sagen sollen? Das Kind war operiert worden. Ob es den schweren Eingriff gut überstand, würden erst die folgenden Tage zeigen.
Nun sehnte sich Dr. Delius nach einem Kaffee. Es war Mittag. So ging er auf einen Espresso und einen Imbiss in die Cafeteria. Am Morgen hatte er ohne Frühstück das Haus verlassen. Nun fühlte er sich wohl und angenehm gesättigt.
Zufrieden schaute er sich in dem hellen, freundlichen Raum um. Nur die Hälfte der Tische war besetzt. Nicht weit von ihm steckten ein paar Schwestern die Köpfe zusammen, tuschelten, lachten und schauten gelegentlich verstohlen zu ihm herüber.
Mit seiner Größe von einem Meter fünfundachtzig, seiner muskulösen Figur und dem verwegenen Dreitagebart kam Manuel bei den Frauen gut an, sehr gut sogar. Ihm war's recht.
Allerdings hatte er bis jetzt noch keine gefunden, die in ihm einen Wunsch nach einer tieferen Bindung ausgelöst hatte. Dabei befand er sich schon seit fünfunddreißig Jahren auf dieser Welt. Langsam wäre es wohl mal an der Zeit, an eine Familiengründung zu denken.
Doch in Ermangelung der richtigen Frau blieb Manuel nichts anderes übrig, als die Entscheidung dem Schicksal zu überlassen – oder dem Zufall, je nachdem, wie man unerwartete Ereignisse bewertete.
***
Stefan Holl ging an diesem Mittag ausnahmsweise nach Hause, um mit seiner Familie zu Mittag zu essen. Eigentlich hatte er sich heute ohnehin einen freien Tag nehmen wollen, aber wie immer konnte er es nicht lassen, doch mal schnell in der Klinik nach dem Rechten zu sehen.
Julia Holl legte gerade Teller und Bestecke auf, als ihr Mann das Haus betrat.
»Da bist du ja!«, rief sie. »Ich hatte schon befürchtet, du würdest es nicht schaffen.«
»Wenn ich etwas zusage, kannst du mich meistens beim Wort nehmen, Liebes«, raunte ihr Stefan ins Ohr.
Julia lächelte wissend. Sie kannte ihren Mann besser. Es war nicht leicht, ihn von der Klinik loszueisen.
»Dani kommt auch zum Essen«, verriet sie ihm nun.
Seit dem Auszug der erwachsenen Zwillinge Daniela und Marc hatten sich die Eltern noch nicht an die kleinere Tischrunde gewöhnt, waren sich aber sicher, dass sich schon alles einspielen würde.
Noch kam Daniela mehrmals in der Woche, um sich irgendwas aus dem elterlichen Haushalt »auszuleihen«, wie sie es formulierte. Julia rechnete nicht damit, diesen Topf oder jene Schüssel jemals wiederzusehen. Dani setzte auf Mutters Großmut.
Stefan gab seiner Frau eine kurze Einschätzung des neuen Kinderarztes: »Ich bin sehr zufrieden mit ihm. Er geht gut mit den Kindern um. Sie vertrauen ihm sofort. Ich denke, ich werde ihn für die Kollegin Sanders einsetzen, die ja für maximal sechs Monate zu ›Ärzte ohne Grenzen‹ geht. Sie will einfach mal raus aus dem Klinikalltag. Doktor Delius ist bereit, sie zu vertreten. Wenn sie wiederkommt, sehen wir weiter.«
»Scheint ein kompetenter Mann zu sein.«
»Er hat für das Essen am Freitag zugesagt.«
»Ach, das ist schön. Ich freue mich, ihn kennenzulernen«, sagte Julia lächelnd.
Juju kam aus ihrem Zimmer und begrüßte ihren Vater. Ebenso ließ sich nun Chris blicken, der mittlere der vier Holl-Sprösslinge.
Stefan wandte sich an seine beiden Kinder: »Na, habt ihr Neuigkeiten für euren alten Vater?«
Juju stöhnte auf. »In der Schule war es heute ätzend. Wenn sich das nicht bald ändert, gehe ich nicht mehr hin.«
»Was ist denn passiert?«
Stefan schaute die Elfjährige aufmerksam an.
»In diesem Land herrscht Schulpflicht«, erklärte Chris von oben herab. »Wenn du nicht mehr erscheinst, erscheint bei uns die Polizei. Schule ist keine Frage von Lust und Laune.«
»In der Klasse waren alle so laut und überdreht. Die Lehrerin war neu und konnte sich nicht durchsetzen. Irgendwie hat sie mir leidgetan.«
»Dann sprich doch mal mit den anderen Kindern. Vielleicht gibt es noch mehr in der Klasse, denen das unangenehm ist.«
»Ja, das ist vielleicht echt keine schlechte Idee ...«
Grübelnd stocherte Juju jetzt im Essen auf ihrem Teller herum.
Wenige Minute später schneite Dani mit dem üblichen flüchtigen »Hallo!«, herein.
»Stellt euch vor, irgendjemand hat mein Auto gerammt und ist abgehauen.«
Sie setzte sich an den Tisch.