1,99 €
Michael Binder war Pilot aus Leidenschaft. Doch als man ihm mitteilte, dass er nicht mehr fliegen darf, brach für ihn eine Welt zusammen.
Grund für das Flugverbot sind plötzliche, unerklärliche Aussetzer. Immer wieder schläft Michael von einem Moment auf den anderen ein, redet wirres Zeug, ist ständig schlapp und leidet unter Schmerzen. Das geht nun schon seit Jahren so, und er hat bereits eine wahre Odyssee an Arztbesuchen hinter sich. Doch niemand konnte ihm helfen, und die Symptome werden immer schlimmer.
Auch Michaels Lebensgefährtin Katharina ist mit ihrer Geduld langsam am Ende. Sie erkennt ihren Partner nicht mehr wieder. Immer häufiger reagiert er gereizt, ständig streiten die beiden, die Beziehung steht vor dem Aus.
Gibt es denn wirklich niemanden, der Michael helfen kann?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 131
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Bleib wach!
Vorschau
Impressum
Bleib wach!
Dr. Holl und das Rätsel um Michaels mysteriöse Schlafattacken
Von Katrin Kastell
Michael Binder war Pilot aus Leidenschaft. Doch als man ihm mitteilte, dass er nicht mehr fliegen darf, brach für ihn eine Welt zusammen.
Grund für das Flugverbot sind plötzliche, unerklärliche Aussetzer. Immer wieder schläft Michael von einem Moment auf den anderen ein, redet wirres Zeug, ist ständig schlapp und leidet unter Schmerzen. Das geht nun schon seit Jahren so, und er hat bereits eine wahre Odyssee an Arztbesuchen hinter sich. Doch niemand konnte ihm bislang helfen, und die Symptome werden immer schlimmer.
Auch Michaels Lebensgefährtin Katharina ist mit ihrer Geduld langsam am Ende. Sie erkennt ihren Partner nicht mehr wieder. Immer häufiger reagiert er gereizt, ständig streiten die beiden, die Beziehung steht vor dem Aus.
Gibt es denn wirklich keinen, der Michael helfen kann?
Im Laufschritt brachten zwei Sanitäter einen Patienten auf der Rolltrage in die Unfallambulanz der Berling-Klinik.
»Mann um die sechzig mit Atemstillstand. Musste wiederbelebt werden. Sauerstoffsättigung unter achtzig!«, rief einer von ihnen.
Dr. Theresa Reichert, die heute ihren Dienst in der Ambulanz versah, telefonierte gerade.
»Ich rufe zurück«, sagte sie hastig und legte auf.
Die Kita-Leiterin hatte mit ihr über Leni reden wollen. Das musste warten. Sie würde das Kind gegen siebzehn Uhr abholen, dann war immer noch Zeit für ein Gespräch.
Die Assistenzärztin eilte dem Rettungsteam entgegen und ließ den Patienten in einen freien Behandlungsraum bringen, wo er auf eine schmale Liege umgebettet wurde. Sofort begann sie mit der ersten Untersuchung.
Der Mann bekam zu wenig Luft und war nicht ansprechbar. Jedenfalls gab er auf ihre Fragen keine Antwort. Sein Zustand verschlimmerte sich sichtbar von Sekunde zu Sekunde.
Sie horchte ihn ab. Der Brustkorb war mit Flüssigkeit gefüllt, die wahrscheinlich aus Blut und Sekret bestand und die Lunge zusammendrückte, was wiederum die Atmung erschwerte.
»Er muss in den OP, sofort. Rufen Sie Doktor Jordan oder Doktor Wolfram«, trug sie Schwester Maria auf. »Beeilen Sie sich.«
»Es ist kein OP frei. Und die Chirurgen sind beide in der Zwei bei einer Lebertransplantation«, berichtete die Pflegerin nach einigen Anrufen.
»Und Doktor Holl?«
»Der ist doch auf einem Kongress in Hamburg. Und Doktor Falk operiert gerade ebenfalls mit den anderen beiden diensthabenden Chirurgen in der Eins.«
Theresa begriff in diesem Moment, dass es nun einzig und allein auf sie ankam. Jede Minute zählte. Sie absolvierte ihr erstes Jahr als Assistenzärzten und musste nun zeigen, was sie konnte.
Um den Patienten zu retten, musste dringend eine Thoraxdrainage vorgenommen werden. Zwar hatte sie schon einige Male bei solchen Eingriffen zugesehen, aber noch keinen selbst durchgeführt, auch nicht unter Aufsicht.
Sollte sie mutig ins kalte Wasser springen? Aber wenn es schiefging?
Nein, ihr lief die Zeit davon. Wenn sie ein Leben retten wollte, musste sie es jetzt tun, sofort.
Als dann noch die Nachricht kam, dass es bei der Lebertransplantation Probleme gab und immer noch kein Chirurg abkömmlich war, traf sie ihre Entscheidung.
»Holen sie den Notfallwagen. Sie assistieren mir.«
»Wollen sie hier in der Ambulanz operieren?« Maria runzelte die Stirn.
»Wo denn sonst? Nun machen Sie schon.«
Maria nickte entschlossen. Sekunden später schob sie den Notfallwagen an die Liege des Patienten und kam nun allen Anweisungen der Ärztin nach, ohne weitere Bedenken zu äußern.
Sie schnitt die Kleidung des Mannes am Oberkörper auf.
»Wo soll ich desinfizieren?«
»Unterhalb des Schlüsselbeins, zwischen zweiter und dritter Rippe.«
Eilig verabreichte Dr. Reichert ein lokal wirkendes Schmerzmittel.
»Zehnerskalpell«, verlangte sie und streckte die Hand aus.
Noch einmal durchatmen, dann stach sie das Skalpell beherzt in den Rippenzwischenraum. Mit dem Finger tastete sie sich vorsichtig zur Oberkante der dritten Rippe, weitete die Muskulatur ein wenig und eröffnete das Brustfell.
Sofort floss eine rötlich wässrige Flüssigkeit heraus. Theresa griff nach dem Metallstab, der mit einem Kunststoffschlauch verbunden war, und schob ihn in die kleine Wunde. Nun konnte das Sekret problemlos abfließen. Um den Schnitt gut nach außen abzudichten, vernähte sie den Schlauch mit einer Naht an der Haut. So konnte er auch nicht herausrutschen.
Die Flüssigkeit wurde abgesaugt und lief in einen speziellen Behälter. Die Lunge dehnte sich wieder aus. Der Patient atmete problemlos.
Theresa genoss den Erfolg. Es machte sie sehr zufrieden, diesen Eingriff ohne Hilfe oder Anweisungen geschafft zu haben.
Sie gehörte zu den Spätberufenen, die erst nach einer längeren Auszeit die unterbrochene Ausbildung wieder aufgenommen hatten. Und dass sie nach Abschluss des Studiums gleich hier in der Berling-Klinik einen Job bekam, betrachtete sie bis heute als eine große Chance. Sie wusste von anderen aus dem Studium, dass die immer noch vergeblich suchten.
Allerdings wurde es nun auch schwieriger für sie, ihren Arbeitstag mit Lenis Ansprüchen zu verbinden. Leni kam im Herbst in die Schule. Bis dahin musste Theresa noch unbedingt eine Nachmittagsbetreuung organisieren.
»Was haben wir hier?«
Das war die ungeduldige Stimme von Oberarzt Dr. Jordan.
Theresa gab einen knappen Bericht.
»Wer hat die Drainage gelegt?«
»Ich«, gestand Theresa kleinlaut.
»Wie bitte? Hier in der Ambulanz? Bei allem Respekt, aber das war eine Nummer zu groß für Sie.«
Die junge Assistenzärztin spürte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg.
Eigentlich war Dr. Jordan ein verträglicher Kollege, aber leider manchmal auch etwas überheblich. Er ließ die Assistenzärzte gerne merken, dass er als Oberarzt auf der Karriereleiter einige Stufen über ihnen stand.
»Sie waren nicht abkömmlich. Und Doktor Wolfram oder ein anderer Kollege ebenfalls nicht. Der Patient befand sich in Lebensgefahr.«
»Ach? War es wirklich so dringend? Warum haben Sie nicht zuerst eine Röntgenaufnahme veranlasst?«
Theresa holte tief Luft. Ruhig bleiben!
»Die Sauerstoffsättigung war zu niedrig. Wir hätten ihn verloren. Wären Sie das Risiko eingegangen?«
»Nun machen Sie mal halblang«, verlangte Dr. Jordan. »Es ist Fakt, dass Sie zu einem solchen Eingriff noch nicht berechtigt sind. Und was, wenn die Thoraxdrainage schiefgegangen wäre?«
»Ich wusste, wie es geht.«
»Bringen Sie ihn zum Röntgen und zum CT. Außerdem brauchen wir ein großes Blutbild«, entschied Dr. Jordan, bevor er seine Kollegin mit einem kritischen Blick streifte. »Der OP Eins ist in wenigen Minuten frei. Er wird gerade wieder hergerichtet.« Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Ich muss Ihr eigenmächtiges Handeln melden. Wir werden ja sehen, wie Doktor Holl Ihr Vorgehen einschätzt. Meiner Meinung nach haben Sie sich ganz schön weit aus dem Fenster gelehnt.«
»Was macht das schon, wenn es geholfen hat?«, versetzte Theresa, hoffte aber, dass sie ihn sich nicht zum Feind gemacht hatte.
***
Seit Michael Binder nicht mehr als Pilot um die Welt flog, hatte sich sein Leben von Grund auf verändert. Sehr zum Negativen, wie er fand.
Die Schreibtischarbeit im Luftfahrtkonzern sorgte bei ihm für eine permanente Unzufriedenheit, die wiederum sein Immunsystem destabilisierte und ihm durchgängig Infektionen bescherte.
So jedenfalls stellte er sich die Abläufe in seinem Körper vor. Seit einiger Zeit nahm Michael eine Auszeit, von der er noch nicht wusste, wann sie enden würde.
Er war nun einmal mit Leib und Seele Pilot. Im Büro fühlte er sich eingesperrt. Er brauchte die weite Sicht am endlosen Himmel, die Blinkleuchten im Cockpit und das gute Gefühl, Menschen sicher an ihr fernes Ziel zu bringen.
Schon als kleiner Junge hatte er Pilot für große Passagiermaschinen werden wollen. Diesen Wunsch hatte er nie aufgegeben und mit Freude und Ehrgeiz seine Ausbildung absolviert.
Er erinnerte sich noch sehr gut an diesen Moment, als er vor seinem ersten Flug als Co-Pilot mit dem Kapitän die Checkliste durchgegangen war und einen unbändigen Stolz empfunden hatte ...
»Was ist los, Schatz? Wir müssen los, und du bist noch gar nicht umgezogen.«
Michael hob den Kopf von der Rücklehne seines Sessels und blinzelte. Nur ungern verließ er seine Erinnerungen.
»Wir müssen los? Ja – wohin denn?«
»Oh Gott, du hast es schon wieder vergessen! Heute habe ich doch meine Vernissage um acht.«
Katharina ließ ihn nicht aus den Augen. Sie ahnte schon, was jetzt kommen würde.
»Bitte, Kathi, kannst du heute nicht mal auf mich verzichten?«
»Was ist denn nun schon wieder?«, stöhnte sie.
»Ich fühle mich nicht wohl. Der Rücken ...«
»Dein Rheuma?«, spöttelte Katharina.
»Na ja, so was Ähnliches ...«
»Du solltest dich endlich mal wieder gründlich untersuchen lassen.«
»Wie oft denn noch? Ich bin es leid, mit Ärzten zu reden. Die tun immer so, als wenn sie alles wüssten, aber noch niemand hat mit mir Klartext gesprochen. Ich kann mir was Schöneres denken, als meine Zeit in Wartezimmern zu verschwenden. Und ich bin es leid, ständig neue Medikamente zu schlucken. Auf Dauer helfen sie mir ja doch nicht. Dabei fühle ich mich bei den ganzen gescheiterten Therapien langsam wie ein Versuchskaninchen.«
Während er gesprochen hatte, war sein Ton aggressiver geworden.
Obwohl sie es nicht wollte, schoss jetzt auch Katharina die Zornesröte ins Gesicht.
»Du übertreibst mal wieder maßlos. Ich sage dir jetzt mal ganz ehrlich, was ich von deinen Wehwehchen halte ...«
»Bitte, nur zu.« Michael rutschte vor bis zur Sesselkante und machte sich auf einen Vorwurfshagel gefasst. Er liebte seine Katharina von ganzem Herzen, aber manchmal ging sie ihm auch gehörig auf die Nerven.
»Du bist einfach nur faul und möchtest lieber auf ewig mit deinem Sessel verschmelzen – in Schlabberhosen und ausgeleierten T-Shirts.«
»Ist doch bequem! Soll ich hier etwa in Anzug und Krawatte sitzen?«
Sie hob abwehrend die Hände. »Schon gut, schon gut. Ich weiß selbst, dass du in den letzten Jahren gehäuft krank warst. Aber dennoch halte ich es für falsch, dass du dich in dein Schneckenhaus zurückziehst. Okay, du machst dir nicht so viel aus Kunst, aber ein bisschen Interesse könntest du an meiner Galerie schon zeigen.« Sie machte eine Pause und seufzte anklagend, bevor sie fortfuhr: »Immerhin ist die Eröffnung heute Abend in aller Munde. Die Presse wird da sein. Ich stelle die Bilder von Angelo Romano aus! Mein heller Stern am Künstlerhimmel. Aus dem wird mal ein millionenschwerer Weltstar. Und ich habe ihn an Land gezogen ...«
»Kathi!« Michael sprach jetzt eindringlich. »Ich habe doch gar nichts gegen die Kunst und erst recht nichts gegen deine Galerie gesagt. Warum kannst du nicht einfach akzeptieren, dass ich mich nicht wohl genug fühle, um andere Leute zu sehen?«
»Aber wir Menschen sind doch soziale Wesen«, versuchte sie ein letztes Mal, ihn zu überreden.
»Das bestreite ich ja gar nicht. Aber ich bringe es heute nicht fertig, mit einem Glas Sekt in der Hand herumzuspazieren und am Smalltalk der anwesenden Gäste teilzunehmen.«
Katharina beherrschte sich, auch wenn ihr nicht danach zumute war.
Einen Moment lang fürchtete Michael, sie würde anfangen zu weinen. Dann hätte sie ihn rumgekriegt.
»Das ist doch gar nicht gegen dich gerichtet, Schatz. Ein Mann von Mitte vierzig darf doch auch mal müde sein, oder?«
»Müde? Immer öfter schläfst du einfach mitten in einem Satz ein. Da stimmt doch was nicht.«
Michael ging auf Katharinas Vorhaltungen nicht ein, er sah sie nur liebevoll an. Was sollte er auch anderes tun? Zu jeglichem weiteren Protest fehlte ihm die Kraft.
Seine Lebensgefährtin war von einer aparten Schönheit und verstand es, bei ihren Outfits Eleganz und Lässigkeit so geschickt zu verbinden, dass sie in jeder Situation eine Augenweide war.
»Ich liebe dich doch. Ein Leben ohne dich kann ich mir gar nicht mehr vorstellen.«
»Ach, wirklich?«, entgegnete sie spitz. »Und warum sind wir dann nicht längst verheiratet?«
»Das weiß ich auch nicht so genau. Früher war ich rund um die Uhr am Himmel unterwegs, heute hetzt du von einem Termin zum nächsten. Vielleicht fehlte uns bisher einfach die Zeit?«
»Stimmt gar nicht.« Katharina sah auf die Uhr ihres Handys. Sie konnte jetzt nicht länger mit Michael diskutieren. In der Galerie war noch einiges bis zur Eröffnung zu erledigen. »Also gut, ich gehe jetzt. Aber bitte tu mir den Gefallen, und komm später nach.«
»Vielleicht. Ich werde es versuchen, aber versprechen kann ich nichts.«
Ohne eine weitere Bemerkung war Katharina schon zur Tür hinaus. Einen Wimpernschlag später krachte diese bereits hinter ihr ins Schloss.
***
Chefarzt Dr. Holl hatte sich den Bericht des Kollegen Jordan mit unveränderter Miene angehört.
»Und nun? Was schlagen Sie vor?«, fragte er jetzt bedächtig.
»Gar nichts. Ich wollte nur, dass Sie es wissen.«
»Dann fasse ich zusammen: Doktor Reichert hat nicht auf Sie gewartet und selbständig eine Thoraxdrainage durchgeführt. Dabei ist niemand zu Schaden gekommen, es wurde vielmehr ein Leben gerettet.«
»Als Anfängerin sollte sie noch keine Drainage ohne Aufsicht legen. Erst seit drei Monaten ist sie bei uns. Diese Art von Eingriff ist erst nach dem Staatsexamen ihr Job. Außerdem will sie sich nicht auf die Chirurgie spezialisieren – so sollte sie noch viel eher von OP-Instrumenten die Finger lassen.«
»Eine Thoraxdrainage ist ein Noteingriff, der von allen Ärztinnen und Ärzten beherrscht werden sollte. Selbst von Praktikanten und Praktikantinnen. Das kann Leben retten, wie wir sehen.«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Chef. Aber Doktor Reichert hat wirklich noch zu wenig Erfahrung ...«
Dr. Holl hob beschwichtigend die Hände. »Im Prinzip haben Sie recht, Kollege. Aber wir müssen auch die Situation berücksichtigen. Der Patient hätte sterben können. Das hat Doktor Reichert mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert. Nach dem Eingriff hat sich seine Lunge wieder voll entfaltet. Dann erst konnten bei dem Patienten weitere umfangreiche Untersuchungen durchgeführt werden.« Stefan Holl sah seinem Oberarzt ernst in die Augen. »Bei allem Verständnis, Doktor Jordan, ich sehe da keine Notwendigkeit für einen Vermerk.«
Dr. Jordan nickte unwillig. »Ich wollte Sie nur informieren. Denn wir sollten meiner Ansicht nach verhindern, dass solch ein Verhalten bei den Anfängern Schule macht.«
»Ich denke, dass Doktor Reichert nur helfen und sich nicht profilieren wollte. Ich habe sie befragt. Sie war sich sicher, den Eingriff ohne Probleme durchführen zu können. Irgendwann waren wir alle mal in der Situation, das erste Mal selbstständig operieren zu müssen. Wir können von Glück sagen, dass ihr erster Eingriff nur eine Thoraxdrainage war. Denken Sie auch einmal darüber nach.« Dr. Holl wollte sich abwenden, doch da fiel ihm noch etwas ein. »Reden Sie bitte noch mal mit ihr, und räumen Sie alle Unstimmigkeiten aus.«
Jan Jordan nickte ergeben.
Als er den hellen Gang entlang wieder in Richtung der Chirurgie ging, hatte der Oberarzt innerlich stark damit zu kämpfen, seinen aufsteigenden Ärger zurückzudrängen. Die Missbilligung hinter den Worten des Chefarztes war ihm nicht verborgen geblieben. Eigentlich war er davon ausgegangen, dass Dr. Holl der Kollegin wenigstens eine mündliche Rüge erteilen würde. Aber dem war nicht so.
***
Dr. Jordan traf Theresa Reichert mittags in der Cafeteria. Sie saß allein an einem Fenstertisch, also ging er direkt auf sie zu.
»Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
»Aber klar.« Obwohl Theresa innerlich auf der Hut war, lächelte sie.
»Sie haben Ihre Sache gut gemacht. Ich rate Ihnen dennoch, beim nächsten Mal auf einen Chirurgen zu warten«, knüpfte der Oberarzt wieder an das Thema der eigenmächtigen Thoraxdrainage an.
»Selbstverständlich. Nur in diesem Fall war das nicht möglich, weil der Patient sich kurz vor einem weiteren Atemstillstand befand. Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür.«
Theresa betrachtete den Oberarzt prüfend. Was würde er jetzt sagen?
Eigentlich mochte sie ihn gern. Bis jetzt waren sie gut miteinander ausgekommen. Auch rechnete sie ihm hoch an, dass sie oft bei seinen Operationen assistieren oder wenigstens zusehen durfte. Aber was war ihm am Ende wichtiger – die Einhaltung der klinikinternen Regelungen oder die Rettung eines Menschenlebens?
»Sie sagten, dass Sie keine Weiterbildung im Fachbereich Chirurgie anstreben. Warum nicht?«
Dr. Jordan ging nicht weiter auf das Thema ein. Theresa war irritiert.
»Ich möchte meine Ausbildung zur Fachärztin für Allgemeinmedizin nicht gefährden.«
Der Oberarzt betrachtete die Kollegin interessiert. »Und wieso fangen Sie jetzt erst an? Bei allem Respekt, aber ich habe gehört, dass Sie ein paar Jahre älter sind als der Durchschnittsanfänger ...«
Theresa hob eine Braue. »Ich habe das Studium gleich nach dem Abi begonnen. Aber dann musste ich aus persönlichen Gründen pausieren. Und es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich es wieder aufnehmen konnte.«
Bevor der Oberarzt sich dazu äußern konnte, klingelte Theresas Telefon.