Chefarzt Dr. Holl 1943 - Katrin Kastell - E-Book

Chefarzt Dr. Holl 1943 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Was passiert bloß mit ihr? Ein mulmiges Gefühl breitet sich in Katharinas Magengrube aus. Seit einigen Wochen lässt die Kraft der jungen Grundschullehrerin rapide nach. Vor allem beim Sport, den sie zusammen mit ihrem fitnessbegeisterten Freund Michael regelmäßig betreibt, merkt sie eine deutliche Verschlechterung. Doch der ehrgeizige Michael hat kein Verständnis dafür. Er schimpft sie "Faulpelz" und "Jammerlappen", fordert, sie solle sich einfach mal zusammenreißen und triezt sie zu Leistungen, die sie an den Rand des Kollapses bringen. Dabei hat er längst eine andere, eine durchtrainierte Schönheit aus dem Fitnessstudio.
Auch in der Schule fällt Katharina immer häufiger aus. Der strenge Schuldirektor setzt sie massiv unter Druck, schikaniert die junge Frau sogar vor dem versammelten Kollegium.
Als Katharina endlich Dr. Holl aufsucht, sind ihre Beschwerden kaum noch auszuhalten. Für den Chefarzt ist die Diagnose eindeutig. Ihr Herz ist entzündet, eine lebensbedrohliche Situation. Doch was steckt dahinter? Jede Sekunde zählt, um das Leben der jungen Frau zu retten ...


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Seitenzahl: 133

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Angst vor morgen

Vorschau

Impressum

Angst vor morgen

Als der Alltag einer Lehrerinzur Tortur wurde

Von Katrin Kastell

Was passiert bloß mit ihr? Seit einigen Wochen lässt die Kraft der jungen Grundschullehrerin rapide nach. Vor allem beim Sport, den sie zusammen mit ihrem fitnessbegeisterten Freund Michael regelmäßig betreibt, merkt sie eine deutliche Verschlechterung.

Doch der ehrgeizige Michael zeigt kein Verständnis dafür. Er beschimpft sie als »Faulpelz« und »Jammerlappen«, fordert, sie solle sich einfach mal zusammenreißen, und triezt sie zu Leistungen, die sie an den Rand des Kollapses bringen. Dabei hat er längst eine andere, eine durchtrainierte Schönheit aus dem Fitnessstudio.

Als Katharina endlich Dr. Holl aufsucht, sind ihre Beschwerden kaum noch auszuhalten. Für den Chefarzt ist die Diagnose eindeutig. Ihr Herz ist entzündet, eine lebensbedrohliche Situation. Doch welche Diagnose steckt dahinter? Jede Sekunde zählt, um das Leben der jungen Frau zu retten ...

»Los, Katharina, ein bisschen schneller! Wir wollten doch die fünf Kilometer heute in Bestzeit schaffen!«, rief Michael Busch seiner Freundin ungeduldig zu, die zehn Schritte hinter ihn zurückgefallen war.

Was ist nur in letzter Zeit mit ihr los?, fragte sich der CEO einer Münchener Firma für Fitnessprodukte, die vornehmlich Eiweißpulver für Sportler herstellte, gereizt, während er in gleichmäßigem schnellem Trab über den Waldweg joggte.

Nervös warf er einen Blick auf seine Sportuhr.

O verdammt! Jetzt konnte er seinen Streckenrekord sicher nicht mehr unterbieten. Und das alles nur, weil Katharina so trödelte!

»Mach schneller, du lahme Ente! Los, los, los!«, rief er ihr zu.

Katharina Selig hörte die Ungeduld in seiner Stimme. Ihr Freund war beim Sport sehr ehrgeizig, und es war oft schwer, seinen hohen Ansprüchen gerecht zu werden.

Bis vor einigen Wochen hatte die Achtundzwanzigjährige es wenigstens noch mit ihm aufnehmen können. Da war ihr Freund mit ihr zufrieden gewesen. Und wenn Michael zufrieden war, dann wurde er wieder so zärtlich wie zu Beginn ihrer Beziehung, als sie sich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte. Er schmeichelte ihr, war leidenschaftlich. Dann war alles harmonisch.

Doch in letzter Zeit hatte sich etwas verändert. Sie hatte immer größere Mühe, mit Michaels unverwüstlicher Energie mitzuhalten. Sie schaffte die fünf Kilometer Laufstrecke kaum mehr, und auch im Fitnessstudio ließen ihre Leistungen nach. Und sie konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was der Grund dafür war.

Für Katharina wäre das eigentlich keine Tragödie gewesen. Sie hätte einfach weniger trainiert und gewartet, bis es wieder besser geworden wäre. Aber mit Michael an ihrer Seite war das nicht möglich. Er nahm es regelrecht persönlich, wenn ihre sportlichen Leistungen nachließen.

Dementsprechend schlecht war die Stimmung zu Hause. Immer öfter verzog sich Michael grollend ins Fitnessstudio. Dort traf er auf Menschen, die wie er verbissen an den Sportgeräten trainierten. Vor allem war da aber auch seine Sabrina.

Die würde die fünf Kilometer federleicht durchspurten, sinnierte Katharina verdrossen. Sicher denkt er auch gerade an sie, so aufgeplustert wie er da gerade vor sich hin joggt.

Tatsächlich waren Michaels Gedanken gerade bei Sabrina. Vielmehr bei Sabrinas sportlicher Figur, ihren glänzenden, dunklen Haaren und ihren grünen Augen, die immer so frech aufblitzten, wenn sie ihn sah. Ja, das war eine tolle Frau ...

»Jetzt mach doch schon, verdammt noch mal!«, rief Michael Katharina ungehalten zu, die nun sogar stehen geblieben war.

Ihre Schritte waren stetig schleppender geworden, bis sie schließlich angehalten hatte. Sie beugte sich keuchend vornüber und stützte sich mit den Händen auf den Knien ab.

Ihr Puls raste. Der Schweiß lief ihr in Strömen über ihr Gesicht, das wegen der Anstrengung hochrot glänzte. Sie spürte das Pochen ihres Herzens bereits im Kopf ... bu-bumm-bu-bumm-bu-bumm. Jeder Schlag tat weh.

Dann setzte ihr Herz kurz aus, schlug dann zweimal ganz schnell, setzte wieder drei Schläge aus und pochte daraufhin umso schneller. Eine nie gekannte Panik überkam die junge Frau. Sie griff sich instinktiv an die Brust und schloss die Augen. Dann beruhigte sich ihr Atem allmählich wieder, und auch ihr Herz verfiel wieder in ein gleichmäßiges Tempo.

Alles in Ordnung. Komm runter. Konzentriere dich einfach auf deinen Atem, sagte sich Katharina.

In den letzten Wochen war das immer mal wieder vorgekommen und schnell wieder vergangen. So hatte sie sich bereits eine Notfallstrategie zurechtgelegt.

»Lauf allein weiter, Michael! Ich bin heute nicht in Gang! Wir sehen uns zu Hause!«, rief sie ihrem Freund atemlos hinterher.

Sie sah, dass Michael den Arm hob zum Zeichen, dass er verstanden hatte und joggte davon.

So etwas Wehleidiges. Wie kann man sich nur so hängen lassen?, fragte er sich verständnislos, und war er froh, dass er nun allein das Tempo bestimmen konnte.

Wieder kam ihm Sabrina in den Sinn. Ihm wurde noch ein bisschen heißer. Ob er sie mal ansprechen sollte, wenn er mit ihr allein war? Es war ja schließlich nichts dabei, als vergebener Mann mit anderen Frauen zu reden ...

Na ja, vielleicht kann ich ja jetzt die Bestzeit doch noch reißen, kam ihm in den Sinn.

Dann legte er einen ehrgeizigen Spurt hin.

Katharina sah ihren Freund hinter einer Kurve des Waldwegs verschwinden.

Sie war sehr erleichtert.

Wahrscheinlich muss ich mir zu Hause wieder was anhören, von wegen untrainiert und faul, dachte Katharina augenrollend.

Doch das war ihr im Moment völlig egal. Hauptsache, sie bekam dieses randalierende Herz wieder in den Griff.

Katharina atmete wieder ruhig. Sie massierte die schmerzenden Beinmuskeln, bis das Gefühl von Überanstrengung endlich nachließ. Sie war wohl wirklich schlecht in Form. Fast schämte sie sich für ihr Versagen.

Es waren noch drei Kilometer bis nach Hause. Langsam ging sie los.

Die junge Frau liebte es, in der Natur unterwegs zu sein. Der warme Wind streichelte ihre feuchte Stirn, und die Kopfschmerzen ließen nach. Sie strich das nassgeschwitzte blonde Haar aus ihrem Gesicht und sog die würzige Luft des sonnigen Herbsttags tief in ihre Lunge.

Nun war es nicht mehr weit bis zu ihrer Dreizimmerwohnung am Ortsrand des oberbayerischen Städtchens Großkirchen, das dreißig Kilometer von München entfernt lag. Die letzten Meter lief Katharina in gemütlichem Trab nach Hause.

Na also, geht doch wieder!, bemerkte sie gut gelaunt.

Ein Blick auf die Uhr verriet der Grundschullehrerin, dass ihr noch zwei Stunden bis zum Unterrichtsbeginn blieben. Heute musste sie erst zur vierten Stunde bei ihrer Klasse sein, denn vorher hatten die Kinder Religion und Kunst. Blieb noch Zeit genug, um ausgiebig zu duschen, Haare zu föhnen und gemütlich zu frühstücken.

In diesem Schuljahr hatte sie die Klassenleitung einer dritten Klasse übernommen. Sie liebte die quirligen Kinder. Die Lebenslust der Kleinen steckte sie an. Dennoch war die Arbeit als Lehrerin anstrengend und fordernd. Zwanzig acht- und neunjährige Kinder zu bändigen und ihnen etwas beizubringen, war keine leichte Arbeit. Gute Nerven waren bei ihrem Job unerlässlich.

Die Kraft, den Kindern tagtäglich gerecht zu werden und ihnen einen angemessenen, spannenden Unterricht zu bieten, holte sich Katharina aus der Natur. Das hatte sie von ihren Eltern übernommen. Seit jeher hatten sie mit ihr und Sven, ihrem kleinen Bruder, regelmäßige Wanderurlaube unternommen. Und das war immer das Größte für die ganze Familie gewesen. Die gute Luft, die körperliche Betätigung und die gemeinsame Zeit mit den Liebsten hatten die Seligs schon damals für den Alltag gestärkt.

***

Einige Tage waren vergangen. Nun war es bereits Ende der Woche.

Tom Baier befand sich in großer Eile. Im Stehen stürzte er seinen schwarzen Kaffee hinunter und begann dann, den Frühstückstisch für sich und seine kleine Tochter Josefine zu decken.

Müslischale, Milchbecher, Löffel ... und das Pausenbrot musste auch noch gestrichen werden.

»Josefine, beeil dich! Frühstück ist fertig! Wir müssen in einer Viertelstunde los!«, rief er in den Flur hinaus.

Die Badezimmertür öffnete sich, und heraus kam ein achtjähriges Mädchen mit langen dunklen Haaren, deren Mähne vom Schlafen noch ganz zerzaust war. In der einen Hand hielt sie eine Bürste, in der anderen einen Haargummi. Sie war ganz in Pink gekleidet, ihre aktuelle Lieblingsfarbe.

»Du musst mir noch einen Pferdeschwanz binden, Papa. Das kann ich nicht allein«, bat sie und streckte Tom die nötigen Utensilien entgegen.

»Setz dich schon mal hin, und iss was. Dabei kann ich dir die Haare machen«, schlug ihr Vater vor und bemühte sich um Geduld.

Er selbst hatte um halb neun einen wichtigen Termin mit einem neuen Kunden, doch er wollte Josefine nicht unter seinem Zeitdruck leiden lassen. Die Kleine hatte in ihrem jungen Leben schon so viel durchmachen müssen, denn viel zu früh hatte sie ihre Mutter verloren.

Vor zwei Jahren war Theresa an Brustkrebs gestorben. Der Verlust war für die kleine Josefine ein herber Schlag gewesen, den sie kaum hatte verkraften können. Auch Tom hatte der Tod seiner Frau zunächst schwer zugesetzt. Was dachte sich das Schicksal dabei, eine neunundzwanzigjährige junge Frau an Brustkrebs sterben zu lassen?

Es war ihm damals so unwirklich erschienen. Sein hatte alle Grenzen des Erträglichen gesprengt. Tom war in ein tiefes Loch gefallen, wäre da nicht ihre gemeinsame Tochter Josefine gewesen. Theresas Tod hatte ein tiefes Loch in das Leben der kleinen Familie gerissen. Aber seine Tochter war auf ihn angewiesen. Für sie hatte sich Tom zusammengerissen und ins Leben zurückgefunden.

Fortan hatte er Josefine dabei geholfen, den Verlust der Mutter zu verarbeiten, und war von da an Vater und Mutter für sie geworden. Gelegentlich hatte er sich wieder an Dates herangewagt. Doch jede dieser Frauen, war ihre Zeit noch so vielversprechend gestartet, hatte letzten Endes ein Problem damit gehabt, dass es ihn nur im Doppelpack mit seiner Tochter gab. Doch er suchte nun einmal eine Partnerin, die auch Josefine in ihr Herz schloss. Und so war er bis heute ein Single-Vater geblieben.

Josefine saß auf ihrem Stuhl am Küchentisch, schüttete sich ihr Lieblingsmüsli – »Schoko-Crunch« – in die Schüssel und goss Milch darauf.

Sie liebte es, zuerst das Müsli zu essen und danach die Milch zu schlürfen, die durch die Schokostückchen süßer schmeckte. Währenddessen machte sich Tom an ihrem Haar zu schaffen. Josefine lehnt sich mit dem Kopf bei ihrem Vater an.

»Ich hab dich so lieb, Papa!«, nuschelte die Kleine mit vollem Mund.

Dann nahm sie sich bereits einen zweiten großen Löffel Müsli aus der Schale. Ein Klecks Milch tropfte auf ihren frisch gewaschenen pinken Pullover.

Tom seufzte innerlich, doch dann beugte er sich zu Josefines Gesicht herunter und drückte ihr einen Kuss auf die weiche, volle Wange.

»Mann, Papa!«, beschwerte sich Josefine sofort, die sich bei Toms Liebesbekundung fast an ihrem Müsli verschluckt hätte.

Ihr Vater lachte herzlich. Geschickt bürstete er das lange, glänzende Haar und fasste es dann zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen.

»Passt! So ist es perfekt!«, verkündete Tom und legte die Bürste weg.

Josefine befühlte mit der Hand ihre Haare.

»Ja, gut gemacht, Papa. Du bist fast wie eine Friseurin«, meinte sie kichernd.

Tom kitzelte seine Tochter prompt.

»Du kleiner Frechdachs, ich bin doch keine Friseurin!«

»Ich weiß, du bist ein Manager«, erklärte Josefine beschwichtigend, während sie sich noch vor Lachen kringelte, und sprach es aus wie »Mänädscha«.

Das Wort gefiel ihr, auch wenn sie nicht so genau wusste, was ihr Papa eigentlich als »Mänädscha« machte. Aber das war ihr im Grunde auch egal, denn er war ihr Papa, der immer für sie da war. Das war das Wichtigste.

Während Josefine noch die Müslischüssel leerte, ging Tom ins Kinderzimmer, griff nach einem frischen Pullover – ebenfalls in Pink – und warf ihn seiner Tochter zu.

»Hier, Mäuschen, zieh den an! Den anderen hast du ja gerade mit Milch dekoriert.«

Nachdem die Kleine ihre beiden pinken Pullover gegeneinander ausgetauscht hatte, meinte Tom: »Gut, und jetzt komm, Schatz, nimm die Schultasche und die Jacke. Heute weht ein kühler Wind.«

Josefine schlüpfte in ihren hellblauen Lieblingsanorak und schwang sich den pinken Einhörner-Schulranzen auf den Rücken, ihr Vater warf sich seinen Parker über und beide verließen das Haus. Sie durchquerten den verwilderten Garten und stiegen ins Auto.

In dem Moment fiel Tom ein, dass er sein Handy im Haus liegen gelassen hatte. Eilig sprang er noch einmal aus dem Wagen, schloss die Eingangstür auf und griff nach dem Smartphone neben der Garderobe. Jetzt konnte es endlich losgehen!

Auf dem kurzen Weg zur Grundschule fragte Tom: »Sag mal, wie kommst du denn eigentlich mit deiner neuen Klassenlehrerin zurecht? Wie heißt sie noch? Kathrin ...?«

»Katharina Selig heißt sie. Ja, sie ist voll lieb. Sie hat gleich am ersten Schultag die Namen von allen Kindern aus meiner Klasse gekannt. Mit jedem hat sie geredet und gefragt, was sie gerne mögen und so. Ich habe gesagt, dass ich gerne mit dir wandern gehe und dass ich Einhörner liebe und Babykatzen. Und sie hat gesagt, dass sie auch gerne wandert und immer schon eine Katze wollte, aber ihr Freund ist da allge ... äh ...«

Josefine fiel das richtige Wort nicht ein.

»Allergisch«, half ihr Tom weiter.

»Ja, genau! Er muss immer niesen, wenn eine Katze in der Nähe ist. Wie blöd für Frau Selig, wo sie doch so gerne eine Katze hätte«, stellte Josefine mitleidig fest.

Tom lächelte. Insgeheim beschloss er, seiner kleinen Tochter zum nächsten Geburtstag eine Babykatze zu schenken.

»Na, immerhin klingt sie sehr nett«, meinte er dann. »Ich werde deine Lehrerin sicher auch mal bei einem Elternabend oder bei der Sprechstunde kennenlernen.«

Schon kamen sie bei der Schule an, einem modernen, hellen Gebäude, in das so kurz vor Unterrichtsbeginn größere und kleinere Kinder hineinströmten.

Josefine gab ihrem Papa einen Kuss, ergriff die Schultasche und sprang aus dem Auto. Ein letztes Mal winkte sie ihrem Vater zu und hopste dann mit wippendem Pferdeschwanz ins Schulgebäude.

Tom sah ihr voller Liebe nach, doch ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er sich beeilen musste, um rechtzeitig zu seinem wichtigen Termin zu kommen.

Sein Arbeitsplatz, eine IT-Beratungsfirma, lag nicht weit entfernt in einem großen Bürokomplex, der ganz aus Glas und Chrom zu bestehen schien. Das Hauptgeschäft machte die Firma mit dem Verkauf von selbst entwickelter Computersoftware, die die Arbeitsabläufe in Betrieben vereinfachen sollte.

Als Tom in der Tiefgarage parkte und nach seinem Aktenkoffer griff, fiel sein Blick auf die Rückbank. O nein, Josefines Brotzeitbox!

»Dieses kleine Vergissmeinnicht«, seufzte er.

Tom würde sie ihr in der Pause bringen müssen, schließlich sollte sein kleines Mädchen nicht hungern müssen. Doch zuerst kam das Kundengespräch. Bis zur Pause hatte er noch fast eineinhalb Stunden Zeit.

***

Zwei Stunden nach Tom und Josefine frühstückte auch Chefarzt Dr. Holl gemütlich mit der Familie in seiner Villa am Stadtrand Münchens. Er war heute später dran, denn die Nacht zuvor hatte ihn ein dringender Notfall in der Berling-Klinik aufgehalten.

Alle saßen gut gelaunt um den großen Tisch im Esszimmer: seine geliebte Ehefrau Julia Holl, der fünfzehnjährige Chris und das elfjährige Nesthäkchen Juju.

Wie für ihren Vater begann auch für die Schulkinder der Tag heute erst später. Die ersten Unterrichtsstunden fielen aus, sodass die Familie in beinahe voller Zahl anwesend war. Nur Marc und Dani fehlten. Dass die Zwillinge jetzt in einer eigenen Wohnung wohnten, war für Stefan und Julia noch immer ungewohnt ...

Doch Stefan genoss diese neue Morgenrunde fast genauso. Sein Blick schweifte von einem zum anderen und blieb schließlich an den feinen Gesichtszügen seiner schönen Frau hängen.

»Warum lächelst du so, Schatz?«, fragte Julia und ergriff seine Hand.

»Schau dich doch mal um, Liebling. Haben wir nicht einfach nur ein unverschämtes Glück? Dieses wunderschöne Haus, unsere absolut fantastischen Kinder und uns, Julia, unsere einzigartige Liebe.« Er küsste sie auf die Wange. »Aber genug des Lobes. Jetzt habe ich Hunger!«, beschloss er und griff nach einer goldgelben Semmel.

Julia schüttelte belustigt den Kopf und deutete einen Kuss an.

Auf dem Frühstückstisch hatte die gute Seele der Holls, Haushälterin Cäcilie, ein reichhaltiges Frühstück vorbereitet. Es gab köstlich knusprige Semmeln vom Bäcker, Butter und Marmelade, aber auch deftigen Schinken und Käse, zwei Sorten Müsli, frische Milch, Orangensaft und natürlich Kaffee – darauf konnte vor allem Stefan nicht verzichten.

»Cäcilie, diese Erdbeermarmelade ist einfach ein Gedicht. Da haben Sie ein richtiges Wunder vollbracht, denn ich kann die Erdbeeren aus unserem Garten regelrecht herausschmecken«, lobte Julia die langjährige Bedienstete, die soeben frischen Kaffee hereinbrachte und bei diesem Lob unmerklich errötete.