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Nach sieben Jahren glücklicher Ehe mit seiner Frau Carla und der Geburt von Tochter Leni wird bei Paul Voigt HSP diagnostiziert, eine vererbte Querschnittlähmung. Es ist ein Schock für die ganze Familie. Nicht nur Pauls Leben ändert sich komplett. Mit der unheilbaren Krankheit sieht sich auch Carla mehr und mehr gefordert. Zwischen Berufsalltag, Haushalt, Kinderbetreuung und der Pflege ihres Mannes gerät sie bald an die Grenze des Belastbaren. Und als wäre das alles nicht genug, zeigt ihre sechsjährige Tochter Leni plötzlich auch noch die gleichen Lähmungserscheinungen in den Beinen wie ihr Papa Paul.
Panisch bringen die Eltern ihr Kind zu Chefarzt Dr. Holl in die Berling-Klinik. Nach zahllosen Untersuchungen und einigen Tagen bangen Wartens steht das Ergebnis fest. Leni leidet am Segawa-Syndrom im Anfangsstadium. Und es gibt noch eine weitere Hiobsbotschaft, die Dr. Holl den Eltern überbringen muss: Die Tests haben zweifelsfrei ergeben, dass Paul nicht Lenis Vater ist ...
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Seitenzahl: 124
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Leben im Rollstuhl
Vorschau
Impressum
Leben im Rollstuhl
Können die Ärzte seinem Kind dieses tragische Schicksal ersparen?
Von Katrin Kastell
Nach sieben Jahren glücklicher Ehe mit seiner Frau Carla und der Geburt von Tochter Leni wird bei Paul Voigt HSP diagnostiziert, eine vererbte Querschnittlähmung. Es ist ein Schock für die ganze Familie. Nicht nur Pauls Leben ändert sich komplett. Mit der unheilbaren Krankheit sieht sich auch Carla mehr und mehr gefordert. Zwischen Berufsalltag, Haushalt, Kinderbetreuung sowie der Pflege ihres Mannes gerät sie bald an die Grenze des Belastbaren. Und als wäre das alles nicht genug, zeigt ihre siebenjährige Tochter Leni plötzlich auch noch die gleichen Lähmungserscheinungen in den Beinen wie ihr Papa Paul.
Panisch bringen die Eltern ihr Kind zu Chefarzt Dr. Holl in die Berling-Klinik. Nach zahllosen Untersuchungen und einigen Tagen bangen Wartens steht das Ergebnis fest. Leni leidet am Segawa-Syndrom im Anfangsstadium. Und es gibt noch eine weitere Hiobsbotschaft, die Dr. Holl den Eltern überbringen muss: Die Tests haben zweifelsfrei ergeben, dass Paul nicht Lenis Vater ist ...
»Oh, Paul, ich kann dir gar nicht sagen, wie aufgeregt ich bin.«
Carla Voigt rutschte nervös auf dem Autositz herum. Ihr Blick fiel aus der großzügigen Windschutzscheibe hinaus in den sonnigen Aprilnachmittag.
Um diese Uhrzeit herrschte nicht allzu viel Verkehr. Die Büsche auf dem Mittelstreifen hinter der Leitplanke rauschten an ihnen vorüber. Ab und zu überholte sie ein Auto.
Ihr Mann Paul, der hinter dem Steuer des Lieferwagens saß, lachte.
»Das merkt man fast gar nicht.«
»Hab Nachsicht, Schatz! Schließlich ist es das erste Mal, dass ich meine Lampen einem größeren Publikum präsentiere.« Carla kaute auf der Unterlippe. »Ob den Leuten meine Kreationen gefallen?«
»Das werden wir morgen erfahren«, erwiderte Paul und legte seine große, warme Hand beruhigend auf den Oberschenkel seiner Frau. »Mach dir nicht so viele Sorgen. Nicht umsonst hast du letztes Jahr den deutschen Nachwuchspreis für Lichtdesign erhalten.«
»Ja, schon ...«, meinte sie gedehnt. »Aber das heißt ja noch lange nicht, dass meine Kunst auch beim Publikum ankommt. Schließlich will ich mit meinem Laden eines Tages auch etwas zum Familieneinkommen beitragen.«
»Das ist einer der hunderttausend Gründe, weshalb ich dich liebe«, raunte Paul zärtlich. »Aber bis es so weit ist, verdiene ich als Chemiker an der Ludwig-Maximilians-Universität genug, um meine Frau und meine kleine Tochter ernähren zu können.«
Carla rollte mit den Augen. Sie konnte nicht mehr zählen, wie oft sie diese Diskussion schon geführt hatten.
Paul schmunzelte. »Ich weiß, Schatz, du kennst die alte Leier bereits.«
»Ja, in- und auswendig. Und ich will auch nicht undankbar klingen«, lenkte sie um des lieben Friedens willen ein. »Aber ich bin nun einmal dazu erzogen worden, mein eigenes Geld zu verdienen.«
Dieser Tag fühlte sich viel zu sehr nach Urlaub an. Auch Paul hatte nicht das geringste Interesse daran, ihr altbekanntes Streitthema heute auf ihrer gemütlichen Reise in die Modemetropole Mailand weiterzuverfolgen.
Wozu auch? War er nicht der glücklichste Mann der Welt? Er hatte eine wunderschöne, talentierte Frau, mit der er ein paar Tage in Italien verbringen würde, während seine bezaubernde Tochter die Großeltern in München auf Trab hielt.
Ganz besonders freute sich Paul allerdings auf ein paar ungestörte Stunden zu zweit nur mit Carla. Denn die waren seit Lenis Geburt vor zwei Jahren ausgesprochen selten geworden.
»Ich werde dich nicht daran hindern. Wenn du dir das Gefühl nach finanzieller Unabhängigkeit so sehr wünschst, werde ich dich unterstützen. Bedingungslos. Deshalb begleite ich dich auch heute«, erinnerte er Carla und deutete auf den Wegweiser Richtung Mailand. »Nur noch einhundertdreißig Kilometer.«
Carla drückte seine Hand.
»Bitte versteh mich nicht falsch. Ohne dich und deine Unterstützung wäre ich nie so weit gekommen ...«
»Das stimmt nicht. Immerhin hattest du den Laden schon, als wir uns kennenlernten.«
»Damals habe ich noch alte Werkzeuge und Küchengeräte zu Lampen und Lichtobjekten zusammengeschweißt und mich wie eine richtige Künstlerin gefühlt.« Die Erinnerung brachte Carla zum Lachen. »Ein Wunder, dass du nicht gleich wieder Reißaus genommen hast.«
»Mir haben deine Kreationen schon immer gefallen.«
»Ich glaube ja eher, es lag an meinem bunten Kleid«, hielt Carla grinsend dagegen.
Das muntere Plaudern entspannte sie ein wenig. Sie lehnte sich zurück und dachte an diese traumhafte Phase ihres Lebens.
»Oder auch an dem Funkeln in deinen wunderschönen blauen Augen«, ergänzte Paul sanft. »An dieser geheimnisvollen Aura, die dich noch immer umgibt. An deiner Stimme, die mich sofort verzaubert, in ihren Bann gezogen und bis heute nicht mehr losgelassen hat ...«
»Oh, mein Schatz, du machst mich ganz verlegen«, seufzte Carla. Tatsächlich breitete sich eine zarte Röte auf ihren Wagen aus. »Da behaupte noch einer, Naturwissenschaftler seien nüchterne Menschen.«
»Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel«, gab Paul zurück und lachte zusammen mit seiner Frau.
Unschwer zu erkennen, dass er auch nach zwei gemeinsamen Jahren noch genauso verliebt war wie an jenem Tag, als er auf der Suche nach einem Geschenk das Geschäft der jungen Designerin zum ersten Mal betreten hatte. Zu gerne hätte er noch länger in Erinnerungen geschwelgt, doch mit der Ankunft in dem Vorort von Mailand war es zunächst vorbei mit der Muße.
Mithilfe des Navigationsgeräts rangierte Paul den Lieferwagen durch die Straßen des Messegeländes und parkte schließlich vor einer Halle.
Die Stimmung wirkte hier sehr geschäftig. Paul Voigt und seine Frau waren bei Weitem nicht die Einzigen, die Kartons und Schachteln auf Gepäckwägen stapelten und ins Innere der Halle an ihren Stand brachten.
»Bleib du hier und fang schon mal mit dem Aufbau an!«, empfahl Paul seiner Frau. »Ich hole inzwischen die restlichen Kisten.«
Stöhnend richtete sich Carla auf und drückte die Hände in den schmerzenden Rücken. Trotz der vielen Arbeit bemerkte sie, dass etwas mit ihrem Mann nicht stimmte.
»Alles in Ordnung mit dir?«, hakte sie nach.
»Ja, klar! Alles bestens!«, versicherte Paul und machte sich auf den Rückweg, bevor seine Frau weitere Fragen stellen konnte.
Er konnte einfach nichts vor Carla verbergen. Dabei musste er selbst erst herausfinden, was plötzlich anders war.
Auf dem Rückweg blickte Paul hinab auf seine Füße. Sie steckten in seinen Lieblingssportschuhen, in denen er stundenlang laufen konnte, ohne müde zu werden oder Schmerzen zu bekommen. Nur an diesem späten Nachmittag stieß er immer wieder mit der Schuhleiste an den Knöchel des anderen Fußes.
»Jetzt reicht es aber!« Auf einer Toilette rollte er den Socken herunter und betrachtete den Knöchel. Die dünne Haut war gerötet und an einer Stelle aufgerissen. »Das kommt von der Eile.«
Paul rollte den Socken wieder hoch und nahm sich vor, sich an den kommenden Messetagen mehr Zeit zu lassen.
Trotzdem stolperte und strauchelte er in den nächsten Tagen und Wochen immer häufiger. Doch erst nach einem kapitalen Sturz und einem Aufenthalt in der Berling-Klinik von Dr. Stefan Holl kam das ganze Ausmaß des Unglücks ans Tageslicht, auf das Paul Voigt und seine ganze, kleine Familie unaufhaltsam zurasten ...
***
Wie manches Mal, wenn sie vor dem Klingeln des Weckers wach wurde, lag Carla mit geschlossenen Augen im Bett und lauschte auf den Atem ihres Mannes. Wie so oft drifteten ihre Gedanken ab und kehrten zurück zu den Messetagen in Mailand. Zu den letzten Tagen, in denen ihre kleine Welt noch in Ordnung gewesen war. Seither waren mehr als vier Jahre vergangen, und kein Stein ihres Lebens lag mehr auf dem anderen.
Carla rollte sich auf die Seite und blinzelte in das erste Licht des Septembermontags.
Langsam, aber sicher neigte sich der Sommer dem Ende. Das erkannte sie an den Bäumen vor dem Fenster. Ihre Blätter kräuselten sich an den Rändern, von Tag zu Tag wurde ihr Grün dunkler.
Während Carla in den klaren Himmel blickte, dachte sie darüber nach, was sie in den nächsten Tagen alles erledigen musste.
Die inzwischen sechsjährige Leni musste zum Ballett und zur Logopädie, Paul zur Untersuchung und anschließenden Therapie in die Klinik gebracht werden. Nach der Therapie musste sie Paul nach Hause bringen und ihre Tochter gleich darauf vom Logopäden zum Zahnarzt fahren und beim Kinderarzt einen Vorsorgetermin vereinbaren. Sie musste die Mahlzeiten planen, einkaufen gehen, die Rechnungen bezahlen, die Ausgaben im Blick behalten und nebenbei das Lampengeschäft führen. Tags darauf wollte Leni zu den Verabredungen mit ihren Freundinnen und zu einer Geburtstagsparty, für die Carla noch ein Geschenk besorgen musste.
Die Bettdecke neben ihr raschelte, fast im selben Moment klingelte der Wecker. Obwohl sich Carla so erschöpft und müde fühlte, als hätte sie seit Wochen kein Auge mehr zugetan, war die Nacht unwiderruflich vorbei. Seufzend drehte sie sich um.
»Guten Morgen, Schatz!« Sie schob eine Hand hinüber auf die andere Bettseite und berührte die warme, glatte Haut.
»Morgen«, brummte Paul und rutschte weg.
Carla wusste sofort, was das bedeutete. Am liebsten hätte sie die Bettdecke über den Kopf gezogen und ihren Kummer, ihre Verzweiflung laut hinausgeschrien.
Natürlich tat sie es nicht. Wie fast immer unterdrückte sie ihre Gefühle, schlug die Bettdecke zurück und stand auf. Im Gegensatz zu Paul war sie gesund und hatte keinen Grund zum Jammern.
»Schaffst du es heute allein, oder soll ich dir helfen?«
»Vielen Dank, die Krankenschwester hat heute früh frei.«
Pauls Blick war vernichtend. Aber wenigstens beschimpfte er sie nicht. Dann stemmte er sich aus dem Bett hoch ...
***
Während Carla ihre Tochter weckte und in die Küche ging, um das Frühstück für die Familie vorzubereiten, steuerte Paul auf wackeligen Beinen das Bad an. Die drei Meter quer über den Flur zogen sich ins Endlose, und schon bereute er, seine Frau so angefahren zu haben. An ihrem Arm und mit einem munteren Spruch von ihr wäre ihm der Weg deutlich leichter gefallen. Aber was war er für ein Mann, wenn er immer die Hilfe seiner Frau in Anspruch nahm, statt es selbst zu versuchen?
Mit den Symptomen seiner Krankheit kam Paul halbwegs zurecht. Es waren diese Minderwertigkeitskomplexe, die ihm und seinen Lieben das Leben so schwer machten.
Mit dem Rollstuhl fuhr er hinüber in die Küche. Paul überlegte einen Moment, entschied sich dann aber dafür, auf seinen Stuhl zu wechseln.
Carla saß allein am Tisch und schmierte Pausenbrote. Ihr Anblick – die blassen Wangen, die dunklen Ringe unter den Augen – rührte ihn.
»Guten Morgen, mein Liebling«, schlug er einen versöhnlichen Ton an.
Carla hob den Kopf. Ganz kurz blitzten ihre Augen auf, genauso wie damals, als sie sich in ihrem Lampengeschäft zum ersten Mal gegenübergestanden hatten.
»Kaffee?«, fragte sie freundlich und schenkte eine Tasse ein, ohne auf die Antwort zu warten, die sie eh schon kannte.
»Wo ist Leni?«, erkundigte sich Paul.
»Sie zieht sich an.«
»Hat sie schon gefrühstückt?«
»Haferflocken und Tee.« Carla verstaute die Pausenbrote und Gemüseschnitze in Boxen und steckte sie in die Schultasche. Mit einer Tasse Kaffee gesellte sie sich wieder zu ihrem Mann an den Tisch. »Du hast heute um halb zwölf einen Termin in der Klinik«, sagte sie nach einem Blick in ihren Kalender. »Soll ich dich vorher noch in die Uni bringen, oder gehst du erst nach dem Termin auf die Arbeit?«
»Ich habe einen halben Tag freigenommen, um dir keine Umstände zu machen.«
Carla wusste, dass diese Geste nett gemeint war. Trotzdem kämpfte sie plötzlich mit den Tränen.
»Das wäre nicht nötig gewesen«, schniefte sie und versteckte ihr Gesicht hinter der Kaffeetasse. »Auf dem Weg in den Laden komme ich doch sowieso an der Uni vorbei.«
Mit einem Schlag war alle Freundlichkeit aus Pauls Gesicht verschwunden.
»Sag mal, kann ich es dir überhaupt mal recht machen? Auf der einen Seite beschwerst du dich, dass alles an dir hängen bleibt«, wetterte er. »Aber wenn ich dann versuche, dir das Leben leichter zu machen, passt es dir auch wieder nicht.«
Carla presste die Lippen aufeinander.
Manchmal hatte sie das Gefühl, dass die Krankheit ihres Mannes nicht nur nach und nach die Beweglichkeit seiner Beine, sondern ihnen auch das Verständnis füreinander raubte.
Sie kämpfte noch mit einer Antwort, als Leni atemlos in die Küche galoppierte.
»Mama, Mama, wo sind meine Sammelkarten?«
»Leni, du bist ja noch im Schlafshirt!«, rief Carla, froh über diese Unterbrechung. »Vergiss die Sammelkarten. Geh und zieh dich an!«
»Aber ich hab Nina versprochen, meine Karten mitzubringen. Wir wollen in der Pause tauschen.«
»Leggings, Shirt und Jacke liegen auf deinem Stuhl. Und was ist mit deinen Zähnen? Sind die schon geputzt? Nein? Dann aber schnell. Die Lehrerin wartet nicht auf dich.«
Schnaubend warf Leni den Kopf in den Nacken, dass die blonden Haare nur so flogen, schoss aus der Küche und zurück in ihr Zimmer.
In diesen Momenten fragte sich Carla immer öfter, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn Paul damals nicht ihr Geschäft betreten hätte.
Neun Jahre war es jetzt her, als sie von Berlin nach München gezogen war und dort den kleinen Laden übernommen hatte. Ursprünglich waren dort altmodische Leuchten, Kronleuchter und Deckenlampen verkauft worden. Wegen des Internets waren die Geschäfte zunehmend schlechter gegangen, sodass Carla den Laden zu einem günstigen Preis hatte übernehmen können. Die Wiedereröffnung unter dem Namen »Lichtblick« war mit einer großen Feier begangen worden. Seit dieser Zeit gab es in dem kleinen Geschäft ausschließlich Unikate, die Carla von Künstlern gekauft oder selbst angefertigt hatte.
Anfangs lief der Laden mehr schlecht als recht, sodass sich Carla gefragt hatte, ob die Entscheidung richtig gewesen war. Diese Frage hatte sie auch ihrem ehemaligen Dozenten gestellt, den sie anlässlich eines Besuchs in Berlin ein Jahr nach Eröffnung ihres Geschäfts wiedergesehen hatte. Gregor Haas hatte ihr Mut gemacht.
Und dann, nur zwei Tage nach ihrer Rückkehr aus Berlin, war Paul Voigt in Carlas Laden gestolpert, und alle Fragen hatten sich in Luft aufgelöst.
Paul bemerkte die Miene seiner Frau.
»Du kannst ruhig schon ins Geschäft fahren. Ich erledige das hier.«
Wie aus einem Traum erwacht, zuckte Carla zusammen.
»Bist du sicher?«
Leni stürmte in die Küche zurück.
»Mama, kann Larissa heute Nachmittag zum Spielen kommen?«
»Was habe ich gesagt, das du anziehen sollst?«, stellte Carla eine Gegenfrage, bekam aber keine Antwort. »Es ist September. Du kannst unmöglich mit einem Trägerkleidchen in die Schule gehen«, stöhnte sie mit einem Blick auf die Armbanduhr.
»Aber das T-Shirt ist blöd«, maulte Leni.
Carla wollte schon schimpfen, als sich Paul in das Gespräch einmischte.
»Komm schon, Mäuschen, wir suchen dir was Besseres aus, ja?«
Lenis Augen leuchtenten auf.
»Darf ich mit dem Rollstuhl fahren?«
Paul lachte auf. »Natürlich.«
Zähneknirschend sah Carla den beiden nach. Ganz automatisch half Leni ihrem Vater aufzustehen, bevor sie sich in den Rollstuhl setzte. Paul folgte seiner Tochter mit unsicheren Schritten.
Carla dagegen war wieder einmal wütend auf sich selbst. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Paul gar nicht mehr laufen konnte. Statt ständig herumzuzicken, sollte sie sich über jeden Augenblick freuen, in dem er ohne Fremdhilfe ging.
Doch das war leider leichter gesagt als getan.
***
Normalerweise fuhr Julia Holl ihren Mann nicht in die Arbeit. Ein Termin beim Steuerberater brachte Dr. Holl an diesem Morgen allerdings in den Genuss dieses seltenen Glücks.
Julia setzte den Blinker. Nach einem Blick in den Rückspiegel bog sie auf den Parkplatz der Berling-Klinik ab.
»Sie haben Ihr Ziel auf der rechten Seite erreicht«, ahmte sie die Stimme eines Navigationssystems nach.
Stefan schreckte hoch.