Chefarzt Dr. Holl 1958 - Katrin Kastell - E-Book

Chefarzt Dr. Holl 1958 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Dumpf hört Jasmin noch die Worte von Chefarzt Dr. Holl in ihrem Ohr, die ihr Schicksal besiegelt hatten: "Was Ihre Schmerzen im Bein verursacht, ist ein Osteosarkom, Frau Gersthoff. Dabei handelt es sich um einen bösartigen Tumor des Knochengewebes. So bald wie möglich sollten Sie sich einer Chemotherapie unterziehen, und so leid es mir tut, Ihr Bein muss danach teilamputiert werden."
Teilamputiert ... Krebs ... Jasmin fühlt sich hinabgezogen in einen pechschwarzen Strudel. Die Chemotherapie zehrt an ihren Kräften. Ihre Wangen fallen ein, ihre Haare aus. Sie fühlt sich hässlich, ungeliebt - und allein. Bis auf ihrem Facebook-Profil eine Nachricht aufpoppt. Der Absender: ein attraktiver Fremder. Hallo, wie geht’s?, liest sie die wenigen Worte. Jasmin lässt sich auf die Konversation ein. Was hat sie schon zu verlieren? In der Unterhaltung mit ihm fühlt sie sich wenigstens wieder gesund, sogar begehrenswert - ja, geliebt! Gierig saugt sie bald jedes schmeichlerische Wort auf, das der Fremde ihr schreibt. Doch ahnt sie nicht, dass seine Zuneigung nur vorgetäuscht ist. Mit seiner charmanten Art verfolgt er bloß ein einziges Ziel, und das hat rein gar nichts mit Liebe zu tun ...


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Seitenzahl: 124

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Es begann mit einem Klick ...

Vorschau

Impressum

Es begann mit einem Klick ...

Wie Krebspatientin Jasmin einem Liebesbetrüger ins Netz ging

Von Katrin Kastell

Dumpf hört Jasmin noch die Worte von Dr. Holl in ihrem Ohr, die ihr Schicksal besiegelt hatten: »Was Ihre Schmerzen im Bein verursacht, ist ein Osteosarkom, Frau Gersthoff. Dabei handelt es sich um einen bösartigen Tumor des Knochengewebes. So bald wie möglich sollten Sie sich einer Chemotherapie unterziehen, und so leid es mir tut, Ihr Bein muss danach teilamputiert werden.«

Teilamputiert ... Krebs ... Jasmin fühlt sich hinabgezogen in einen pechschwarzen Strudel. Die Chemotherapie zehrt an ihren Kräften. Ihre Wangen fallen ein, ihre Haare aus. Sie fühlt sich hässlich, ungeliebt – und allein. Bis auf ihrem Facebook-Profil eine Nachricht aufpoppt: Hallo, wie geht's? Jasmin stutzt, lässt sich aber dann auf die Konversation ein. Was hat sie schon zu verlieren? In der Unterhaltung mit ihm fühlt sie sich wenigstens wieder gesund, sogar begehrenswert – ja, geliebt! Gierig saugt sie bald jedes schmeichlerische Wort auf, das der Mann ihr schreibt. Doch ahnt sie nicht, dass seine Zuneigung nur vorgetäuscht ist. Mit seiner charmanten Art verfolgt er bloß ein einziges Ziel, und das hat rein gar nichts mit Liebe zu tun ...

»Guten Tag, liebe Frau Gersthoff.«

Stefan Holl, Chefarzt der Berling-Klinik, betrat mit schweren Schritten sein Sprechzimmer, in dem die junge Patientin bereits auf ihn wartete.

Er war Arzt seit bald dreißig Jahren, er hatte mehr schwere, ja sogar hoffnungslose Fälle behandelt, als er zählen konnte, und dennoch würde er sich, solang er praktizierte, nie an diese Situation gewöhnen.

Sein Beruf war der schönste der Welt, wenn er einem Menschen sagen konnte, dass er gesund war, dass die Diagnose nicht besorgniserregend war, dass die Heilung wie erhofft erfolgt war, oder – das war das Allerschönste – dass ein ersehntes Kind sich auf den Weg gemacht hatte.

Es war jedoch ein harter, belastender und trauriger Beruf, wann immer er einem Menschen genau die gegenteilige Nachricht überbringen musste. Ein schlimmer Verdacht hatte sich bestätigt, eine Behandlung schlug nicht an, ein Ergebnis vernichtete alle Hoffnung.

Stefan Holl war ein normaler Mann, den eigene Sorgen plagten, wie wohl jeder Vater von vier Kindern sie gelegentlich hatte: Seine große Tochter, die ebenso wie ihr Zwillingsbruder erst vor Kurzem aus dem elterlichen Haus ausgezogen war, kam aktuell mit ihrem Geld nicht aus, sein jüngerer Sohn hatte Probleme in der Schule, und Juju, die Kleinste, trauerte zurzeit um ihr verstorbenes Meerschweinchen.

In Augenblicken wie diesem, wenn er sein Sprechzimmer betrat und die Angst im Gesicht einer Patientin ihm förmlich entgegensprang, wurden all seine Probleme mit einem Mal verschwindend klein.

Er war gesund, seine wunderbare Frau Julia war wohlauf, sie waren auch nach all den Ehejahren noch immer verliebt und unendlich glücklich miteinander, und sie hatten vier großartige, kerngesunde Kinder.

Jasmin Gersthoff, die ihm aus ihren großen dunkelbraunen Augen wie ein erschrockenes Reh entgegenblickte, war noch so jung, hatte all dies noch vor sich. Erst sechsundzwanzig Jahre alt war sie. Noch vor Kurzem hatte sie ebenso wie seine Tochter Dani und sein Sohn Mark studiert und erst vor einem Jahr voller Stolz ihren Abschluss entgegengenommen. Lehrerin für Französisch und Spanisch war sie nun – ihr Traumberuf, wie sie Stefan Holl bei ihrem Erstgespräch anvertraut hatte.

»Ich liebe Sprachen, und ich liebe junge Leute, die gern Sprachen und die Welt kennenlernen wollen«, hatte sie voller Begeisterung erzählt. »Ich hatte das Glück, schon früh mit meinen Eltern viel reisen zu dürfen. Das ist es, was ich anderen Menschen auch wünsche, und mit meinem Sprachunterricht möchte ich ein wenig dazu beitragen. Sprachen und Begegnungen sind es doch, die unsere Welt verbinden, denken Sie nicht auch, Doktor?«

Ja, das denke ich auch, hatte Stefan Holl gedacht und diese junge, lebensmutige Frau unendlich sympathisch gefunden.

Man musste schon eine ganze Menge an innerer Kraft besitzen, wenn man sich nach einem Schicksalsschlag, wie Jasmin Gersthoff ihn hatte erleiden müssen, dennoch als glücklichen Menschen einschätzte.

Ihre Eltern, mit denen sie als einziges Kind offenbar ein von inniger Liebe geprägtes Verhältnis gehabt hatte, waren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, als Jasmin erst sechzehn Jahre alt gewesen war. Zwar hatten sie ihr ein wenig Geld hinterlassen, sodass sie ihr Studium finanzieren konnte und nicht in Not geriet, aber sie hatte von einem Tag auf den andern allein in der Welt gestanden.

Bei dem übellaunigen Onkel, der zu ihrem Vormund ernannt worden war, war sie ausgezogen, kaum dass sie volljährig geworden war, und hatte sich auf eigene Beine gestellt. Von ihrem Erbe hatte sie sich eine gemütliche Eigentumswohnung im quirligen Herzen Münchens angeschafft, hatte mit Bravour ihr Studium absolviert und an einer Sprachenschule ihre erste Stellung angetreten. Auch einen Verlobten gab es, den sie bei ihrem liebsten Hobby, dem irischen Volkstanz, kennengelernt hatte. Offenherzig, wie sie war, hatte sie Stefan Holl sogar ein Foto von ihm gezeigt.

Ein perfektes Leben, wie es aussah.

Bis die Schmerzen gekommen waren. Anfangs hatte Jasmin einen Muskelkater vermutet.

»Ich hatte wirklich ein bisschen viel trainiert in letzter Zeit«, hatte sie Dr. Holl erzählt. »Also dachte ich, ich muss meinem Bein nur etwas mehr Ruhe gönnen, dann würde der Spuk schon wieder aufhören.«

Aber der Spuk – ein beständiger, stechender Schmerz im rechten Oberschenkel – hatte nicht aufgehört. Tanzen konnte Jasmin damit nicht mehr, und recht bald konnte sie bei ihrer Arbeit in der Sprachschule auch nicht mehr über längere Zeit stehen.

Nur ging man zum Arzt, wenn man sechsundzwanzig Jahre jung war und außer merkwürdigen Schmerzen im Bein keinerlei Symptome zu beklagen hatte?

Jasmin Gersthoff war erst zu ihrem Hausarzt gegangen, als sie ihre Arbeit nicht länger ausüben konnte, bereits an kurzen Wegen verzweifelte und nachts kaum noch Schlaf fand. Dieser hatte sich die Sache schildern lassen und sie unverzüglich in die Berling-Klinik überwiesen. Er war ein alter Studienkollege von Stefan Holl und wusste, dass seine Patientin in dessen Krankenhaus in den besten Händen war.

»Im Vertrauen«, hatte er dem Klinikleiter am Telefon gesagt. »Mir ist die Sache nicht geheuer. Ein Ermüdungsbruch scheint nicht vorzuliegen, eine Sportverletzung hatte sie nicht, und für arthritische Erkrankungen ist sie zu jung. Mir fällt beinahe gar nichts halbwegs Harmloses mehr ein, das bei ihr vorliegen könnte.«

Stefan Holl ging es nicht anders. Seine beiden eisernen Regeln lauteten jedoch: Versuch dich niemals an einer Diagnose, ehe du dir den Patienten nicht genau angesehen hast, und: Wo Leben ist, da ist auch Hoffnung.

Im Fall Jasmin Gersthoffs hatte diese Hoffnung sich jedoch leider nicht erfüllt ...

***

»Bitte setzen Sie sich doch«, forderte Dr. Holl die hübsche Frau mit den schulterlangen, dunkelbraunen Locken nun auf, der das Stehen sichtlich Schmerzen bereitete. »Warum haben Sie das denn nicht längst getan?«

»Ich bin so furchtbar nervös«, gab Jasmin Gersthoff zu. »Wann immer ich versucht habe, mich hinzusetzen, musste ich gleich wieder aufspringen.«

»Wo ist denn Ihr Verlobter?«, wollte Stefan Holl wissen. »Wollte er Sie nicht begleiten?«

Es war Gold wert, wenn Patienten in dem Augenblick, in dem sie eine schlechte Nachricht erhielten, einen vertrauten Menschen bei sich hatten. Er hatte Jasmin Gersthoff eigens angeboten, den Termin für ihre Untersuchungsergebnisse so zu legen, dass auch ihr Partner Zeit haben würde, aber hier stand sie nun allein vor ihm.

»Marcel hasst alles, was mit Krankheit zu tun hat«, sagte die junge Frau entschuldigend und setzte sich in den bequemen Stuhl vor Dr. Holls Schreibtisch, den er ihr angeboten hatte. Verlegen lachte sie auf, obwohl nichts daran komisch war. »Ich weiß auch nicht, warum. Er ist sehr sportlich und will gar nicht daran erinnern werden, dass das auch einmal anders sein könnte – wie Männer eben manchmal so sind.«

Stefan Holl kannte eine ganze Reihe Männer, die auch sportlich waren, die aber deswegen noch lange nicht auf den Gedanken gekommen wären, ihre Partnerin mit einer so ernsten Angelegenheit alleinzulassen. Aber das behielt er besser für sich.

»Liebe Frau Gersthoff ...«, begann er, doch weiter kam er nicht.

»Es ist doch nichts Schlimmes, nicht wahr?«, fiel sie ihm ins Wort. »Marcel und ich wollen Ostern heiraten und als Hochzeitsreise zum Tauchen nach Mauritius fliegen. Es ist Marcels Lebenstraum. Da wird diese Sache mit meinem Bein doch nicht dazwischenstehen?«

»Nun, Ihr Verlobter ist ja noch kein alter Mann«, konnte Stefan Holl sich nicht verkneifen zu bemerken. »Selbst wenn in diesem Fall Ihre Gesundheit wichtiger zu sein hat als Tauchen auf Mauritius, wird er noch genug Gelegenheit haben, sich seinen Lebenstraum zu erfüllen.«

Jasmin Gersthoff schlug erschrocken ihre Hände vor den Mund.

»Also habe ich doch etwas Schlimmes!«

Dr. Holl nickte. Es gab keinen guten Weg, diese Nachricht zu überbringen, höchstens einen, der ein wenig schonender war als die anderen.

»Die Untersuchung der Gewebeprobe, die wir aus der Geschwulst an Ihrem Oberschenkelknochen entnommen haben, hat leider nicht das Ergebnis erbracht, das wir uns alle für Sie gewünscht hätten«, gab er zu. »Was Ihre Schmerzen verursacht, ist ein Osteosarkom, Frau Gersthoff. Dabei handelt es sich um einen bösartigen Tumor des Knochengewebes.«

»Gott im Himmel, nein!«, rief Jasmin Gersthoff verzweifelt. »Das bedeutet Krebs, richtig? Ich habe Krebs!«

»Leider ja, Frau Gersthoff«, erwiderte der Chefarzt so sanft und ruhig, wie er es nur vermochte. »Bitte hören Sie mich aber zu Ende an: Krebs ist heute beileibe nicht mehr das Todesurteil, das es einst war. Es gibt ständig neue Behandlungsmethoden, und das Osteosarkom gehört zu den Formen, die gut auf diese Behandlung ansprechen.«

»Von welcher Behandlung sprechen wir?«, fragte die junge Frau tonlos vor Entsetzen. »Von einer Chemotherapie?«

Wieder musste Stefan Holl nicken.

»Ich weiß, allein schon das Wort löst furchtbare Vorstellungen aus«, begann er mit ruhiger Stimme. »Die Chemotherapie, die wir bei Ihnen durchführen möchten, ließe sich jedoch ambulant verabreichen, sodass Sie in Ihrer vertrauten Umgebung, unter Menschen, die Sie lieben, bleiben könnten. Natürlich, eine solche Therapie ist weder für den Körper noch für die Seele eines Menschen leicht zu verkraften. Wenn es keine Metastasen gibt und Ihr Tumor so auf die Behandlung anspricht, wie wir es uns erhoffen, sind Sie jedoch nach drei Zyklen damit durch.«

»Und dann?«, hakte Jasmin Gersthoff mit schreckgeweiteten Augen nach.

»Dann würden wir, wenn der Tumor hoffentlich entsprechend geschrumpft ist, operieren«, antwortete Stefan Holl.

»Das heißt ...«, stammelte Jasmin, »das heißt, Sie nehmen mir mein Bein ab?«

»Nicht das ganze Bein«, schränkte Dr. Holl ein, der nur zu gut wusste, wie hart der Schlag war, den er der liebenswerten, jungen Frau gerade versetzte. »Die Operation, die wir Ihnen vorschlagen, ist eine sogenannte Umkehrplastik. Unser orthopädisches Team wird Ihnen das alles noch in sämtlichen Einzelheiten erklären. Vorerst ist nur wichtig, dass Sie wissen: Sie können damit so gut gehen lernen, dass selbst ein geschultes Auge keinen Unterschied in Ihrem Gang wahrnehmen wird. Sie können Ihr Leben mit nur wenigen Einschränkungen weiterführen und genießen, Frau Gersthoff. Und Sie können damit ohne Probleme ein hohes Alter erreichen – genau wie ich oder jeder andere.«

»Ohne Probleme?«, rief Jasmin Gersthoff fassungslos aus. »Ohne Probleme mit einem amputierten Bein? Lieber Herr Doktor Holl, ich weiß, das alles ist nicht Ihre Schuld und Sie geben Ihr Bestes – aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie ich ohne mein Bein weiterleben soll!«

Damit vergrub sie das Gesicht in ihren Händen und brach in haltloses Schluchzen aus.

So sehr ihr Anblick Stefan Holl schmerzte, war er darüber doch beinahe erleichtert. Durch Tränen löste sich oft Anspannung, und wenn ein Mensch ausreichend getrauert hatte, wurde er danach auch wieder offen für Hoffnung und Trost.

Sie hätte nur nicht allein sein dürfen, dieser sportbegeisterte Verlobte hätte unbedingt bei ihr sein müssen!

Dr. Holl ging zu ihr und legte die Arme um sie.

»Was Sie jetzt empfinden, ist völlig normal«, sprach er ihr gut zu. »Das alles ist viel zu viel, um es auf einmal zu verkraften, es fällt wie ein Orkan über Sie her. Nehmen Sie sich ein, zwei Tage Zeit, es zu begreifen, sprechen Sie mit Ihrem Verlobten und mit Ihren Freunden darüber. Danach reden wir weiter. Natürlich ist es wichtig, dass wir so schnell wie möglich mit der Behandlung beginnen. Außerdem müssen wir auch durch Untersuchungen ausschließen, dass der Tumor gestreut hat und Metastasen vorhanden sind. Dass Sie Zeit haben, sich mit den neuen Gegebenheiten zurechtzufinden, ist aber auch wichtig. Ich mache Ihnen einen neuen Termin in zwei Tagen am Freitag, einverstanden?«

Jasmin Gersthoff nickte mühsam. »Danke, Doktor.«

»Danken dürfen Sie mir erst, wenn Sie wieder gesund sind«, entgegnete er und sandte ihr ein flüchtiges, aufmunterndes Lächeln. »Melden Sie sich bitte jederzeit, wenn Sie Fragen haben oder einfach reden möchten. Ich schreibe Ihnen meine Handynummer auf.«

Mechanisch, ohne hinzusehen, nahm die junge Frau seine Karte entgegen, auf der er seine private Nummer notiert hatte.

»Und am Freitag kommen Sie gemeinsam mit Ihrem Verlobten, ja?«, beschwor der Chefarzt sie noch einmal. »Er wird seine Scheu vor Krankheiten wohl hinter sich lassen und Ihnen in der nächsten Zeit bei der Überwindung Ihrer ersten Hürden zur Seite stehen müssen. Aller Erfahrung nach wird er nicht daran zerbrechen, sondern daran wachsen.«

Zitternd hievte sich Jasmin Gersthoff aus dem Stuhl hoch und griff nach Ihrem Mantel. Stefan Holl half ihr hinein und holte aus einem Wandschrank eine Krücke, die ihr beim Gehen helfen würde.

»O mein Gott«, stieß Jasmin hervor. »Damit fühle ich mich endgültig wie eine alte, kranke Frau.«

»Sie brauchen Sie ja nicht Ihr Leben lang«, erwiderte Stefan Holl. »Und ich habe schon so manche alte, kranke Frau erlebt, die mit ihrer Lebensfreude uns Jüngere leicht in die Tasche gesteckt hätte.«

***

Jasmin musste es ihrem Verlobten sagen.

Sie hatte das Fußballturnier abgesagt, bei dem sie als Zuschauerin dabei sein und Marcel hatte anfeuern wollen, und nun auch noch die Party bei seinen besten Freunden Paul und Maya, auf die sie sich beide seit Wochen gefreut hatten. Marcel hatte längst Verdacht geschöpft, dass etwas nicht stimmte.

»Seit wann bist du denn zum Partymuffel mutiert?«, fragte er Jasmin nun am Handy.

Seit in meinem Bein ein Tumor wächst, der mich umbringt, wenn er nicht entfernt wird, hätte sie ihm am liebsten geantwortet, doch sie brachte die Worte nicht über die Lippen.

»Ich habe einfach so viel für die Prüfungen vorzubereiten«, log sie stattdessen.

»Das Leben besteht nicht nur aus Arbeit, Jasmin«, rügte sie Marcel. »Dir geht es doch finanziell gut. Ich begreife nicht, warum du dir für diese Schule, die dich nicht einmal sonderlich gut bezahlt, ein Bein ausreißt.«

Damit hatte er natürlich recht. Als Anfängerin in einer kleinen, noch relativ jungen Sprachenschule verdiente sie kein Vermögen. Aber die Arbeit machte ihr Spaß.

Durch ihre Wohnung sowie das kleine finanzielle Polster, das sie noch von ihren Eltern auf ihrem Bankkonto hatte, war sie zurzeit zwar finanziell abgesichert, doch sie wollte sich eine Zukunft aufbauen. Langsam und mit kleinen Schritten wollte sie sich diesem Ziel nähern.