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Johanna Meinhard ist Kinder- und Jugendpsychologin. Wenn Außenstehende sie bei der Arbeit erleben, fällt ihnen nichts Außergewöhnliches an ihr auf. Die brünette Endzwanzigerin ist professionell, freundlich, hübsch und intelligent - also alles, was sich Patienten von einer guten Psychologin wünschen. Niemand ahnt, dass seit jeher ein dunkles Geheimnis auf ihrer Seele lastet. Eines, das Johanna die Ausübung ihres Berufes eigentlich unmöglich machen müsste - sie leidet an Prosopagnosie, von Geburt an kann sie keine Gesichter erkennen.
Seit dem tragischen Unfalltod ihres Zwillingsbruders weiß bloß noch eine einzige Person über ihre Einschränkung Bescheid: Johannas bester Freund Simon. Selbst vor ihrem Lebenspartner Patrick hält die junge Psychologin ihren Gendefekt geheim. Immerhin könnte sie ihren Beruf verlieren, wenn das Wissen darüber publik würde! Das will Johanna auf keinen Fall riskieren.
Doch besitzen Geheimnisse wie dieses in der Regel ein Verfallsdatum, insbesondere, wenn die eifersüchtige Lebensgefährtin des besten Freundes und die neue Schwiegermutter in spe ihre Finger mit im Spiel haben ...
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Wer bist du noch mal?
Vorschau
Impressum
Wer bist du noch mal?
Ergreifendes Schicksal einer Psychologin mit Gesichtsblindheit
Von Katrin Kastell
Johanna Meinhard ist Kinder- und Jugendpsychologin. Wenn Außenstehende sie bei der Arbeit erleben, fällt ihnen nichts Außergewöhnliches an ihr auf. Die brünette Endzwanzigerin ist professionell, freundlich, hübsch und intelligent – also alles, was sich Patienten von einer guten Psychologin wünschen. Niemand ahnt, dass seit jeher ein dunkles Geheimnis auf ihrer Seele lastet. Eines, das Johanna die Ausübung ihres Berufes eigentlich unmöglich machen müsste – sie leidet an Prosopagnosie, von Geburt an kann sie keine Gesichter erkennen.
Seit dem tragischen Unfalltod ihres Zwillingsbruders kennt bloß noch eine einzige Person ihr Geheimnis: Johannas bester Freund Simon. Selbst ihrem Lebenspartner Patrick gegenüber verschweigt die junge Psychologin ihren Gendefekt. Immerhin könnte sie ihren Beruf verlieren, wenn das Wissen darüber publik würde! Das will Johanna auf keinen Fall riskieren.
Doch besitzen Geheimnisse wie dieses in der Regel ein Verfallsdatum, insbesondere, wenn die eifersüchtige Lebensgefährtin des besten Freundes und die neue Schwiegermutter in spe ihre Finger mit im Spiel haben ...
Je näher Johanna ihrem Ziel kam, desto intensiver empfand sie das Gefühl der Beklemmung. Sie blieb kurz stehen und versuchte, es mit zwei, drei tiefen Atemzügen niederzuringen.
Nach einigen Sekunden wurde das Gewicht auf ihrer Brust leichter, bis es schließlich gänzlich verschwand. Nun etwas beruhigt, setzte sie ihren Weg fort.
Zu Hause war sie fest entschlossen gewesen, sich die Bilder von Phineas Grandier unbedingt anzuschauen, vielleicht sogar im Atelier gleich eins zu erwerben, wenn es ihr gefiel.
Dieser Maler gehörte nach Aussagen von etlichen Kunstexperten zu einer Gruppe von aufstrebenden jungen Künstlern, deren Bilder man jetzt kaufen sollte. In ein paar Jahren würden seine Werke unbezahlbar sein.
Johanna betrachtete Kunst zwar nicht als Geldanlage, aber wenn der Wert der sich in ihrer Hand befindlichen Gemälde rasant ansteigen sollte, hätte sie auch nichts dagegen einzuwenden.
Auch die Galeristin Freya Kruger, die Grandiers Werke aktuell in ihren Räumlichkeiten ausstellte, stimmte in das Lob der Kritiker ein. Da sie mit ihren Prognosen oftmals richtiglag, war Johanna durchaus geneigt, ihr zu vertrauen und sich heute eines der Bilder zu gönnen.
Johanna bedauerte nur, dass sie ausgerechnet heute auf Simons Begleitung verzichten musste. Sie vermisste ihn. Aber ihr war auch klar, dass sie lernen musste, ohne ihn zurechtzukommen. Dennoch, mit Simon an ihrer Seite wäre sie sicher besser durch den Abend gekommen. Das stand außer Frage ...
***
Freya Kruger, die Inhaberin der Schwabinger Galerie, war bereits von einigen Besuchern mit Beschlag belegt worden, doch als sie Johanna sah, löste sie sich aus der Gruppe und kam eilig auf sie zu.
Die beiden Frauen begrüßten sich mit den üblichen Wangenküsschen.
»Wo ist Simon?«, wollte Freya gleich wissen. »Er hat mir sein Kommen fest zugesagt.«
In ihren Worten hielten sich Enttäuschung und Ärger die Waage.
»Du weißt doch, wie er ist ...«, druckste Johanna herum und seufzte. Freyas Lippen wurden schmal. »Simon ist der hilfsbereiteste Mensch, den die Welt je gesehen hat. Und darum hat er heute spontan die Schicht für einen Kollegen übernommen.«
»Okay, ist klar. Außer ihm gibt es niemanden in dieser gigantischen Hochglanzklinik, der das übernehmen könnte.«
»Komm schon, Freya. Nimm ihm das nicht übel.«
»Am Nachmittag haben wir noch telefoniert. Ich habe mich so gefreut, ihn endlich mal wiederzusehen. Und jetzt? Alles umsonst ...«
Johanna strich ihre langen, honigfarbenen Haare über die Schultern nach hinten.
»Du darfst nicht zu streng mit ihm sein. Er kann nicht anders. Wenn du ihn einfach nimmst, wie er ist, ersparst du dir diese Enttäuschung.«
»Du redest wie eine Therapeutin.«
»Na ja, die bin ich in einer gewissen Weise ja auch.«
Auch wenn Freya darunter litt, dass Simon so wenig Zeit für sie hatte, so empfand sie doch eine gewisse Befriedigung, dass Johanna ebenfalls auf Simons Gesellschaft verzichten musste.
Was die Freundschaft zwischen Simon und Johanna betraf, so befand sich Freya stets im Zwiespalt. Zwar lebte sie, Freya, in einer Beziehung mit Dr. Simon Winter, aber auch zwischen ihm und Johanna gab es eine enge Verbindung. Eine Verbindung, die Freya schon seit dem Beginn ihrer Beziehung zu Simon ein Dorn im Auge war.
Seit dem Tod von Johannas Zwillingsbruder Max steckten Simon und sie oft zusammen – viel zu oft für Freyas Geschmack.
Natürlich verstand sie, dass Johanna, die sich noch in der Trauerphase befand, Simons Beistand brauchte. Schließlich war er Maximilians bester Freund gewesen und damit neben ihr die einzige Person auf der Welt, die ihren Bruder in- und auswendig kannte. Freya wusste auch, dass die drei von Kindesbeinen an als festes Trio immer gemeinsam unterwegs gewesen waren.
Nun musste Johanna ohne ihren Zwilling weiterleben, und Simon fühlte sich wohl verpflichtet, ihr über diese Zeit des Abschieds hinwegzuhelfen. All das war nur zu verständlich. Darum bemühte sich Freya auch nach Kräften, gelegentliche Aufwallungen von Eifersucht zu unterdrücken. Aber immer gelang es ihr nicht. Immer wieder tauchten Zweifel auf.
Die Kunst bestand darin, dieses nagende Gefühl immer wieder in den Hintergrund zu drängen. Seufzend umarmte sie Johanna und drückte sie an sich.
»Wenigstens bist du da. Schau dir gern in Ruhe alle Bilder an. Ich bin sicher, sie werden weggehen wie warme Semmeln. Wenn du eins kaufen willst, sag mir am besten gleich Bescheid. Du hast natürlich Vorrang.«
»Ich danke dir«, erwiderte Johanna mit einem warmen Lächeln.
Freyas Mund kam Johannas Ohr jetzt so nahe, dass eine Strähne ihres roten Haares Johannas Wange streifte.
»Ich möchte dir außerdem gern jemanden vorstellen. Er heißt Patrick und ist ein erfolgreicher Anwalt. Komm, er wird dir gefallen.«
Johanna war etwas unangenehm überrascht. Als ob sie ein Sozialfall wäre! Sie wollte niemanden kennenlernen, war nicht darauf angewiesen, verkuppelt zu werden, und sträubte sich, doch Freya ließ nicht locker. Ihrem Griff entkam Johanna nicht.
Da sie nicht die Aufmerksamkeit der anderen Besucher auf sich lenken wollte, folgte sie der Freundin, nahm sich aber vor, mit Freya später unter vier Augen ein ernstes Wörtchen zu reden.
***
Johanna hatte zurzeit genug damit zu tun, sich in einem Leben ohne Max einzurichten. Leicht war das nicht. Er war nicht nur ihr Bruder gewesen, sondern auch ein Beistand und so etwas wie ein Wegweiser durchs Leben, den sie jetzt schmerzlich vermisste.
Nun musste sie lernen, ohne ihn klarkommen. Doch bis es so weit war, würden noch viele Tage ins Land gehen.
Wenigstens hatte sie noch Simon. Wie lange durfte sie noch seine Hilfe in Anspruch nehmen, ohne einen Keil zwischen ihn und Freya zu treiben?
»Darf ich vorstellen?«, riss sie Freyas Stimme in die Gegenwart zurück.
Die Galeristin hatte vor einem eleganten, gut aussehenden Mann haltgemacht.
»Das ist meine Freundin Johanna, ganz korrekt Doktor Johanna Meinhard. Johanna, darf ich dich mit Patrick Brandner bekannt machen? Er ist genauso kunstinteressiert wie du. Ich bin sicher, ihr werdet euch bestens verstehen. Nehmt euch ein Glas Prosecco, und bedient euch am Büfett.«
Mit diesen Worten schwebte sie davon, um weitere Neuankömmlinge zu begrüßen.
»So ist sie, unsere Freya«, kommentierte Patrick trocken. »Immer bereit, die passenden Leute zusammenzubringen.«
Um ihre Verlegenheit zu überspielen, lachte Johanna zustimmend. Vielleicht konnte die Gesellschaft mit diesem Fremden ja auch angenehm werden.
»Ich schlage vor, ich hole uns jetzt erst mal was zu trinken«, beschloss ihr Gegenüber. »Sekt oder Wein?«
»Lieber Wein. Weißen, wenn möglich«, erwiderte Johanna.
Sekunden später hielt sie schon ein Glas in der Hand, und sie stießen miteinander an.
Johanna versuchte, sich die Gesichtszüge des Mannes einzuprägen. Hinter der hohen Stirn begann ein dichter, dunkler Haarschopf. Sein Kinn war fast eckig, die Ohren ziemlich groß. Er roch gut. Seine Stimme würde Johanna eher der Bariton-Tonlage zuordnen.
»Darf ich fragen, woher Sie Freya kennen?«, erkundige sich Patrick Brandner.
»Sie ist die Freundin eines Freundes«, erwiderte Johanna, ohne ins Detail zu gehen. »Ich besuche immer ihre Ausstellungen. Sie hat ein gutes Gespür für aufgehende Sterne am Kunsthimmel.«
»Da kann ich Ihnen nur beipflichten«, erwiderte er lächelnd. »Kommen Sie, drehen wir eine Runde«, forderte er Johanna gut gelaunt auf.
Der Geräuschpegel in den beiden Räumen hatte sich durch neu hinzugekommene Gäste deutlich erhöht.
Es war etwas mühsam, die Werke des Künstlers in Ruhe zu betrachten. Johanna fühlte sich unwohl und entschied, die Ausstellung in den nächsten Tagen, wenn nicht mehr ein derart hoher Andrang herrschte, noch einmal zu besuchen.
Innerlich angespannt, wartete sie darauf, erkannt und angesprochen zu werden.
»Eigentlich ist es mir hier zu laut«, stellte Patrick fest.
»Oh, mir geht es auch so.«
»Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten. Warum gehen wir nicht einfach woanders hin, wo es ruhiger ist?«
Johanna überlegte nicht lange.
»Gute Idee«, erwiderte sie. »Gleich in der Nähe gibt es ein Bistro. Dort sitzt man ganz gut.«
Patrick bot ihr den Arm.
»Na, dann kommen Sie.«
Johanna schaute sich nach Freya um, um ihr ein unauffälliges Zeichen zu geben, doch von der Freundin war nichts mehr zu sehen. Um ihren vorzeitigen Weggang zu entschuldigen, würde sie die stolze Galeristin später noch einmal anrufen.
***
Es war schon dunkel, als Patrick und Johanna aus der Galerie an die frische Luft hinaustraten.
Johanna atmete tief durch. Aus der Ferne kam Donnergrollen, aber es roch intensiv nach Frühling.
»Sie bestimmen das Ziel, ich folge Ihnen blind«, entschied Patrick.
Johanna lachte leise. »Haben Sie keine Angst, dass ich Sie an einen entlegenen Ort entführe?«
»Keineswegs.« Er streifte seine attraktive Begleitung mit einem Seitenblick. Ihr schönes langes Haar faszinierte ihn. Nur zu gern hätte er es berührt, es musste unwahrscheinlich weich sein. »Und selbst wenn, wäre ich damit einverstanden.«
Patrick und Johanna hatten das Café noch nicht ganz erreicht, als urplötzlich ein warmer Regen einsetzte. Sie gingen schneller.
»Geben Sie mir Ihre Hand!«, rief Patrick. Gemeinsam bewältigen sie im Laufschritt die letzten Meter und betraten schließlich atemlos das Bistro. »Das ist noch einmal gut gegangen«, meinte er und wischte sich ein paar Regentropfen aus dem Gesicht. »Was möchten Sie trinken?« fragte er, nachdem sie an einem freien Tisch Platz genommen hatten.
Johanna schaute kurz in die Getränkekarte.
»Einen Orangensaft«, entschied sie.
»Den nehme ich auch. Vielleicht möchten Sie ja auch etwas essen?«
»Danke, aber im Augenblick nicht. Jetzt bin ich erst einmal froh, dass wir im Trockenen sitzen.«
Ihr Blick wanderte hinaus ins Dunkel. Der Wind peitschte den Regen gegen die Fensterscheiben.
»Hoffentlich hört das Unwetter heute noch mal auf«, murmelte Johanna. »Sonst sitzen wir hier fest.«
Patrick betrachtete die attraktive Psychologin mit einem feinen Lächeln. Gern hätte er jetzt über ihre langen Haare gestrichen, die etwas feucht geworden waren. Ja, ihre Haare hatten es ihm angetan, diese Frau hatte es ihm angetan.
»Finden Sie das etwa schlecht? Also, was mich angeht, ich kann mir durchaus Schlimmeres vorstellen, als hier mit Ihnen in einem gemütlichen Bistro festzusitzen«, meinte er schmunzelnd und bestellte die Getränke.
***
Dr. Simon Winter vertauschte seine grüne Tunika und die farblich identische Hose mit Jeans und Pullover, angelte sich seine Wetterjacke vom Haken und warf sie lässig über die Schulter.
Schon in der Halle hörte er, dass es draußen in Strömen schüttete. Einen Schirm hatte er nicht zur Hand, aber sein Wagen parkte nicht weit vom Hintereingang entfernt. Die kurze Distanz konnte er leicht mit ein paar schnellen Schritten überwinden.
Ihm lag daran, so schnell wie möglich in die Galerie zu kommen. Er hatte Freya versprochen, dort noch aufzutauchen, wenn es zeitlich irgendwie machbar war. Bei der Gelegenheit konnte er vielleicht auch noch Johanna sehen.
Sicher kam sie auch ohne ihn zurecht, aber er wusste, dass sie sich in seiner Begleitung wohler fühlte. Das spürte er, und sie sagte es ihm auch immer wieder.
Dennoch musste sie lernen, auf Dauer ohne seinen Beistand klarzukommen. Andererseits – ein kleines Lächeln huschte über sein markantes Gesicht – genoss er es, in ihrer Nähe zu sein und von ihr gebraucht zu werden.
Unter dem Vordach der Klinik blieb er abrupt stehen. Nicht nur, weil es wie aus Eimern schüttete und er sich für einen Sprint bereitmachte, sondern auch, weil er in Gedanken versunken beinahe den Chefarzt umgerannt hätte.
»Guten Abend, Doktor Holl«, grüßte Simon überrascht.
Dr. Stefan Holl wandte sich um und deutete seufzend auf die dichte Regenwand.
»Das sieht wenig einladend aus. Und wir beide haben keinen Schirm. So geht es immer.«
Simon zog seine Wetterjacke von der Schulter und schlüpfte hinein. Trotz der Wassermengen war er immer noch fest entschlossen, einen Spurt zum Fahrzeug zu wagen.
»Und ausgerechnet heute bin ich mit dem Rad da«, fuhr Dr. Holl fort, wobei er das Gesicht verzog. »Hoffentlich ist das Unwetter bald vorbei.«
»Danach sieht es nicht aus«, stellte Simon fest. »Mit dem Rad können Sie jedenfalls nicht fahren. Sie werden binnen Sekunden total durchnässt sein, und die Sicht ist miserabel, also höchste Unfallgefahr bei Münchens Verkehrsverhältnissen.«
»Sie haben leider recht«, erwiderte Stefan Holl mit einem resignierten Lächeln. »Ich werde das Rad wohl besser stehen lassen und mir ein Taxi rufen.«
Er griff nach dem Telefon.
»Ach, sparen Sie sich doch das Geld. Ich kann Sie nach Hause fahren«, bot Simon dem Chefarzt spontan an und deutete auf seinen nicht weit entfernt stehenden Wagen. »Wer weiß, wie lange Sie auf ein Taxi warten müssten. Und der Regen wird heute sicher nicht mehr aufhören.«
Stefan Holl überlegte nicht lange. »Wenn es Ihnen nicht zu viele Umstände macht, nehme ich Ihr Angebot sehr gern an.«
»Ist doch klar«, erwiderte Simon, hielt den Schlüssel hoch und entriegelte das Fahrzeug.
Die beiden Männer warfen sich einen einvernehmlichen Blick zu. Dr. Holl zog den Kragen seiner Jacke hoch.
»Bereit?«, fragte Simon und zog die Kapuze seiner Jacke tiefer.
Der Chefarzt nickte. »Los geht's!«
Obwohl sie nach wenigen Atemzügen das Auto erreichten, die Türen aufrissen und sich auf die Sitze fallen ließen, waren sie schon nass bis auf die Haut.
»Ein Weltuntergangswetter«, kommentierte Dr. Holl. »Danke noch mal für Ihre Hilfe.«
»Das ist doch selbstverständlich.«
Simon fuhr vom Klinikgelände auf die Straße. Die Scheibenwischer arbeiteten auf Hochtouren, trotzdem war er seinem Chef dankbar, dass er ihn immer wieder vor möglichen Gefahren warnte.
»Sie können direkt vor der Haustür parken«, schlug Stefan Holl nach einer Weile vor. »Und wenn Sie nichts Besseres vorhaben, würde ich Ihnen gleich gern noch einen Tee oder Kaffee zum Aufwärmen anbieten.«
Simon überlegte nur kurz, dann sagte er zu.
Die Ausstellung konnte er sich auch später noch anschauen. Er empfand es ohnehin als viel angenehmer, allein und in aller Ruhe durch die Räume zu gehen und nicht ständig andere Leute begrüßen zu müssen.
Stefan Holl stieß die Wagentür auf und hechtete zum überdachten Eingang. Er schloss auf und winkte Simon, der aus dem Auto sprang, um es seinem Chef gleichzutun.
»Gerettet«, stellte Dr. Holl erleichtert lachend fest. »Geben Sie mir Ihre Jacke. Brauchen Sie einen trockenen Pullover?«
»Danke, aber ich glaube, es geht schon. Die Jacke hat viel abgehalten.«
Cäcilie, Haushälterin bei den Holls, erschien in der Küchentür.
»Herr Doktor!«, rief sie leicht vorwurfsvoll. »Sie sind ja pitschnass.«
»Der Regen hat uns überrascht. Hängen Sie die beiden Jacken zum Trocknen auf, bitte.«
»Geben Sie her.« Cäcilie nahm die Kleidungsstücke entgegen und verschwand.
»Kommen Sie!« Stefan Holl ging voran ins Wohnzimmer.
Die himmlischen Sturzbäche draußen hatten die Luft deutlich abgekühlt, doch in dem Raum mit den großen Fenstern herrschte eine angenehme Temperatur.
»Sehr schön haben Sie es hier«, stellte Simon fest.
»Bitte nehmen Sie Platz. Was möchten Sie trinken? Ich glaube, ein Schwarztee täte uns beiden jetzt gut.«
Simon nickte. »Sehr gern.«
Dr. Holl ging in Richtung Küche.
Auch Cäcilie war inzwischen zurück.
»Ich habe die Jacken in die Waschküche gehängt«, berichtete sie.
»Sehr gut. Zum Glück war mein Kollege so nett, mich herzubringen, sonst hätte ich wahrscheinlich noch ewig auf ein Taxi warten müssen.«
»Um Himmels willen, Herr Doktor, das wäre sehr unvernünftig gewesen. Sie hätten sich ja den Tod geholt.«
»Na ja, so schnell geht das auch nicht.« Stefan Holl schmunzelte.
Er mochte es, wenn Cäcilie gelegentlich solche Bemerkungen von sich gab. Sie betreute schon seit Urzeiten den Haushalt und war aus der Familie nicht mehr wegzudenken.
Es war ihrem Alter geschuldet, dass sie seit einiger Zeit in der wesentlich jüngeren Therese Obermeier eine tatkräftige Hilfe zur Seite gestellt bekommen hatte.
»Meine Frau ist noch nicht zurück?«
Cäcilie schüttelte den Kopf.
»Sie wollte sich eine Ausstellung ansehen. Juju ist bei ihr. Nur Chris ist da, in seinem Zimmer.«
Wie auf ein geheimes Zeichen hin läutete Stefan Holls Handy.
»Hallo, mein Schatz«, hörte er die Stimme seiner geliebten Frau. »Bist du gut zu Hause angekommen?«