Chiemseeträume - Franziska Blum - E-Book
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Chiemseeträume E-Book

Franziska Blum

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Beschreibung

Chiemsee, Sehnsucht, Sonnenschein: Willkommen auf der Liebesinsel

Töpfern ist Christinas Leidenschaft – seit Jahren wünscht sich die junge alleinerziehende Mutter nichts mehr, als der Lakritzmanufaktur ihres Vaters zu entfliehen und ihrem Traum zu folgen. Als sie erfährt, dass auf der Fraueninsel eine Nachfolgerin für eine Töpferwerkstatt gesucht wird, ist sie sofort Feuer und Flamme. Obwohl Christina fürchtet, ihre Familie mit ihren Plänen zu enttäuschen und sie sich um ihren Sohn Michael sorgt, kann sie das verlockende Angebot nicht ablehnen. Kaum ist sie auf der kleinen Insel mitten im Chiemsee angekommen, greift ihr sofort die tatkräftige wie liebenswürdige Klosterschwester Maria unter die Arme und auch der sympathische Fischer Benedikt heißt Christina herzlich willkommen. Seine offene und charmante Art imponiert ihr, doch als ihr Ex – Michaels Vater – sie plötzlich um eine zweite Chance bittet, findet sie sich in einem großen Gefühlschaos wieder …

Noch mehr Sommer- und Inselfeeling erleben Sie in Band 1 »Chiemseesommer«, der unabhängig von »Chiemseeträume« gelesen werden kann.

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Seitenzahl: 369

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Franziska Blum, geboren 1978, lebt am schönen Chiemsee im Süden Bayerns. Dort betreut sie zwei Kinder, zwei Katzen und ein gering motorisiertes Auto namens Wanderdüne, das zwar alt ist, aber dafür eine Sonne auf der Motorhaube trägt. Nach einigen sehr ­erfolgreichen Küstenromanen, die sie unter dem Pseudonym Lotte Römer veröffentlichte, wollte sie sich als Autorin nun endlich einmal ihrer Heimat­region zuwenden – denn ihre Liebe gilt seit Langem schon der herrlichen Landschaft rund um den Chiemsee, in dem sich die Berge spiegeln. Chiemseeträume ist der zweite Band der beliebten Chiemsee-Reihe.

Außerdem von Franziska Blum lieferbar:

Chiemseesommer

Franziska Blum

Chiemseeträume

Roman

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Copyright © 2023 der Originalausgabe by Franziska Blum

Copyright © 2023 by Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Literarische Agentur Michael Gaeb

Redaktion: Susann Rehlein

Covergestaltung: www.buerosued.de

Coverabbildungen: LOURDEL Lionel / hemis / laif,

www.buerosued.de

Gesamtherstellung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-27488-7V002

www.penguin-verlag.de

1. Kapitel

Pasta mit Basilikumpesto, ein gegrillter Fisch mit Kartoffelsalat oder vielleicht einfach nur eine Bratwurstsemmel, dachte Christina, das wäre jetzt was.

Sie wischte den Tresen sauber und schaute sich im Laden um. Jedes Bonbonglas stand auf seinem Platz, die Lakritzlutscher, die sich als Verkaufsschlager erwiesen und seit einem halben Jahr ein eigenes Regal neben dem Likör hatten, waren in Reih und Glied angeordnet. Christina wusste, dass kein Staubkorn sich in den Regalen befand – dafür hatte sie eigenhändig gesorgt. Der Raum duftete wie immer nach Lakritze, Gewürzen und einem Hauch Erdbeeraroma von den Gummibärchen. Wenn der Tresen gewischt war, wäre Christina fertig für heute, wie sie erleichtert feststellte. Die Kunden hatten sich, wie so oft am Samstag, die Klinke in die Hand gegeben, und erst jetzt, als draußen die heiße Mittagssonne die Straßen aufheizte, riss der Strom der Süßigkeitenfans langsam ab.

Nelly war hinter Christina aufgetaucht, und die Schwestern tauschten einen wohlwollenden Blick.

»Was fehlt uns denn noch für Montag?« Nelly trug wie üblich ihre Küchenschürze und hatte die langen, dunklen Haare zu einem Dutt gebunden, aus dem sich schon wieder erste Strähnen lösten. »Brauchen wir noch was? Dann leg ich eine Sonderschicht ein.« Nelly strahlte. Die Vorstellung, länger arbeiten zu müssen, schien für sie eher eine ­Belohnung als eine Strafe zu sein, während Christina heute mal wieder nur darauf wartete, aus der lakritzgeschwängerten Luft der Manufaktur hinaus in den warmen Junitag zu entkommen. Mühsam drängte sie das schlechte Gewissen, das sie bei der sichtlichen Freude Nellys überfiel, beiseite.

Sie wollte, sie hätte auch nur die Hälfte des Engagements für das Geschäft und ein Viertel der Leidenschaft für Lakritze, die ihre Schwester Nelly empfand. Aber für sie selbst, das musste sie zugeben, war die Tätigkeit im Lakritzgeschäft ihre Arbeit, nicht mehr und nicht weniger, auch wenn sie das gegenüber ihrem Vater nie zugegeben hätte. Schließlich hatte er den Laden aufgebaut und Jahre seines Lebens in das Geschäft investiert. Wie sollte sie ihm da sagen, dass sie mehr aus familiärer Verpflichtung denn aus Freude bei ihm arbeitete? Für sie war der Job im Laden tatsächlich nur ein Job, der sie und ihren Sohn ernährte.

Nelly schaute sie noch immer erwartungsvoll an.

»Ich glaube, du kannst guten Gewissens Feier­abend machen. Hast du nicht eh schon Chillibömbchen, Lavendelleckerli und diese neuen Lakritzen mit dem flüssigen Kern gezaubert?«, erwiderte Christina und wischte ein letztes Mal über den Tresen. »Ich mach noch Kasse.«

»Na gut. Aber ich glaube, ich probiere rasch ein neues Rezept aus. Ich hab da eine Idee für Kardamomlakritze, mit so einer weihnachtlichen Note, weißt du. Die könnten wir in Gläsern mit weihnachtlichen Chiemsee-Motiven verkaufen. Schnee, der zugefrorene See, vielleicht ein glitzernder Eiskristall auf dem Deckel – das könnte ein regelrechter Verkaufsschlager werden.« Nelly stand ihre Leidenschaft für den Beruf ins Gesicht geschrieben. Von ihren vor Begeisterung glühenden Wangen lenkten allerdings der Haarreifen mit den Hasenohren und das T-Shirt mit der rausgestreckten Zunge ab, das sie heute trug. Nelly hatte sich schon immer, seit Christina sie kannte, extravagant gekleidet, und daran änderte sich auch nichts, obwohl sie mittlerweile Bayerin mit Leib und Seele war. Seit sie vor zwei Jahren angefangen hatte, in der Süßen Liebe zu arbeiten, war sie ein unverzichtbarer Bestandteil des Ladens, ja sogar eine der Säulen, auf der die Manufaktur ruhte. Anton Rieger, Nellys und Christinas Vater, kam nämlich langsam in die Jahre und gehörte – wie er nicht müde wurde zu betonen – zum alten Eisen. Umso erleichterter war er, dass Nelly mit in den Produktionsprozess eingestiegen war. Das Tempo, mit dem Nelly sich in ihrem Beruf etabliert hatte, war wirklich erstaunlich. Sie war in null Komma nichts zu einer hervorragenden Bonbonherstellerin geworden, und das, obwohl sie keine Vorerfahrung in dem Beruf gehabt hatte.

Christina musste über den Feuereifer ihrer Schwester lachen. »Tu, was du nicht lassen kannst. Aber du könntest natürlich auch Zeit mit Quirin verbringen, bei dem schönen Wetter.«

»Der gibt einen Segelkurs. Außerdem bin ich nachher mit meinem Lieblingsneffen verabredet. Hast du etwa vergessen, dass Michael heute bei mir schläft?«

»Oh, nein, Michael hat schon dafür gesorgt, dass ich das nicht vergesse.« Christina lachte. »Die ganze Fahrt von Rosenheim nach Prien über hat er erzählt, was er alles vorhat: Hühner füttern, die ­Alpakas streicheln und mit Quirin in die Werkstatt gehen.« Bei Nelly zu übernachten war für Michael immer ein echtes Highlight, und wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er noch viel häufiger Zeit mit seiner Tante und deren Lebenspartner verbracht.

»Papa hat angerufen und gesagt, der Kleine ist so aufgeregt, dass er seit Stunden ständig auf die Uhr schaut, wann du endlich kommst. Und das, obwohl er heute mit seinem Opa Schach spielen durfte.« Christina hatte angefangen, nebenbei das Geld aus der Kasse zu zählen.

»Oh. Dann sollte ich vielleicht wirklich die Kardamomlakritze ein andermal machen.« Nelly griff entschlossen nach dem Band ihrer Schürze und zog die Schleife auf, um herauszuschlüpfen. Dann ging sie zu den Lollis und zog einen großen, sternförmigen Lutscher aus der Halterung. »Den bring ich Michael mit.«

Christina lächelte. »Da wird er sich freuen. Aktuell interessieren ihn Planeten und Gravitation. Gestern haben wir in der Bücherei einen ganzen Stapel Bücher dazu ausgeliehen.«

»Klingt super. Wir können uns auf unser Bett legen, wenn es dunkel wird. Da ist doch die große Dachluke direkt oben drüber, und er kann mir die Sternbilder erklären.« Nelly war wohl die Einzige, die immer ein offenes Ohr für Michaels jeweiligen Spleen hatte. Sie hörte ihm zu, wenn er von Arachniden sprach, war bereit, sich von seiner Begeisterung über Velociraptoren anstecken zu lassen, und fand es sogar am Esstisch noch klasse, wenn Michael die komplexen Funktionen des Verdauungssystems erörterte, während jedes andere Mitglied der Familie schon leicht angeekelt die Augen verdrehte. Kurz gesagt: Nelly war gut für Michael und genau die Tante, die er brauchte.

Ärgerlich stellte Christina fest, dass sie beim Geldzählen rausgekommen war. Sie fluchte leise. »Ich bin sicher, Supertante, dein Neffe wird sich freuen«, sagte sie in Nellys Richtung, bevor sie damit begann, erneut zu zählen.

»Dann geh ich mal, ja?«, vergewisserte sich Nelly, und Christina nickte, ohne aufzublicken. Ein drittes Mal würde sie nicht anfangen, Kasse zu machen, sie musste sich jetzt konzentrieren.

Als Christina später die Ladentür schloss, piepte ihr Handy. Nelly hatte ein Selfie geschickt, das einen strahlenden sommersprossigen Michael neben ihr zeigte, und beide streckten sie die Zunge he­raus. Kein Wunder, dass Michael so begeistert von Nelly war. Sie hatte genau die Lässigkeit, die ihm selbst, obwohl er das Kind war, manchmal fehlte. Zack, da war sie wieder: die mütterliche Sorge, die Christina immer wieder mal befiel, wenn sie über ihren besonderen Sohn nachdachte, der vermutlich das schlaueste Mitglied der eher alltagspraktisch veranlagten Familie Rieger war und der auch in seiner Klasse immer wieder Probleme wegen seiner altklugen Sprüche und seiner eher ungewöhnlichen Interessen hatte. Christina machte drei Kreuze, wenn das Schuljahr vorbei war und er endlich die weiterführende Schule besuchen konnte. Vielleicht fand sich dort eher ein Kind, das zu ihm passte.

Als Christina den Schlüssel in der Handtasche verstaut hatte und in Richtung ihres Autos ging, wuchs in ihr die Vorfreude auf den Nachmittag. Gleich würde sie an dem Ort auf der Welt sein, wo sie am glücklichsten war. Und sie hatte ein wenig Zeit nur für sich.

Allein der Geruch! Christina nahm einen tiefen Atemzug. Hätte sie sich im Spiegel gesehen, wäre ihr überrascht aufgefallen, dass sie lächelte. Es war ein Lächeln, das ihr ganzes Gesicht einnahm. Eilig hängte sie ihre Handtasche an die Türklinke und schlüpfte aus ihrer Jeansjacke, wollte nur noch zum Tisch, der den Raum dominierte und Christina jetzt magisch anzog. Da war ihre Töpferscheibe, das Regal, in dem die Zuckerdöschen mit den herzförmigen Griffen trockneten, die sie zuletzt gehenkelt hatte. Da waren die Blumen, die noch auf ihre Glasur warteten. Das Muster auf den Blütenblättern würde die Herausforderung sein, dachte Christina zum wiederholten Male. Aber sie wusste, es würde ihr gelingen. Ihr Blick fiel auf die Katze, die sie engobiert hatte, eine Technik, bei der man mit sehr dünnflüssigem Ton die Oberfläche des Keramikprodukts gestaltete. Sie war im Moment ihr Lieblingsstück, war es ihr doch tatsächlich gelungen, der Skulptur eine katzenhafte Eleganz zu verleihen. So wirkte sie beinahe lebendig.

Es duftete nach Ton, dem Holz, aus dem der Schuppen gebaut war, und der Glasur, die sie zuletzt verwendet hatte.

Sie setzte sich auf den Hocker an der Drehscheibe neben dem Tisch und genoss für einen Moment die Stille. Es war warm hier drin, fast stickig. Gleich würde sie das große Fenster öffnen, das Quirin, Nellys Freund, auf einer Seite der Gartenhütte eingepasst hatte, um das Raumklima zu verbessern und für mehr natürliches Licht zu sorgen. Er und Nelly hatten Christina das Fenster im letzten Jahr zu Weihnachten geschenkt, und sie hatte vor Freude geweint. Noch immer empfand sie es als wahres Wunder, wenn warme Sonnenstrahlen den Raum ausleuchteten. Außerdem war der Blick in den Garten ihrer Eltern einfach wunderschön. Die Hütte, die sie zu einer kleinen Töpferei umfunktioniert hatte, war ein Kleinod.

Als Christina das Fenster geöffnet hatte, hörte sie von draußen das Summen der Bienen, die sich in den Rosenstöcken ihrer Mutter tummelten. Rosen waren Gittis Leidenschaft, sodass der Garten im Sommer ein Blütenmeer war. Der Duft der Blumen vermischte sich mit dem des Raumes, und Christina nahm erneut einen tiefen Atemzug, bevor sie sich zurück an die Töpferscheibe setzte. Herrlich! Es reichte schon, hier zu sitzen, und sofort war sie entspannt. Sie musste gar nicht den Ton zwischen den Fingern spüren. Eifer, Vorfreude, Liebe zu dem, was gleich kommen würde, eine Art prickelnder Erwartung – all das reichte ihr, um glücklich zu sein, wie sie auch heute wieder mit einer Mischung aus Erstaunen und Begeisterung feststellte. Vorsichtig bediente sie das Pedal ihrer Töpferscheibe und ließ sie langsam kreisen. Das war ihre Meditation.

Ein leises Klopfen riss sie aus ihren Gedanken, und ihre Mutter streckte den Kopf zur Tür herein.

»Dachte ich mir doch, dass ich dich durch den Garten huschen gesehen habe«, sagte sie fröhlich.

Schlagartig überfiel Christina ein schlechtes Gewissen. Wenigstens für ein Hallo hätte es reichen können, bevor sie in ihre eigene Welt abtauchte. »Oh, Mama, tut mir leid, ich …«

Aber Gitti schüttelte den Kopf. »Ist schon gut, Christl, ich kenn dich ja.« Das Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen. »Ich wollte nur dafür sorgen, dass du eine Kleinigkeit isst.«

Die Mutter streckte ihrer Tochter ein Tablett entgegen. Die Kleinigkeit entpuppte sich als ein riesiges Stück Rhabarberkuchen mit Schlagsahne. Daneben stieg Dampf aus einer Tasse, die Christina vor Jahren, im frühen Teenie-Alter, zum Muttertag für Gitti getöpfert hatte. Sie war ein wenig schief, aber noch heute behauptete Brigitte Rieger, dass diese Tasse ihre schönste sei. Erst jetzt, beim Anblick der Köstlichkeiten, erinnerte Christina sich daran, dass sie ja schon im Laden Hunger gehabt hatte. Für Rhabarberkuchen hatte sie etwas übrig. Die Säure des Rhabarbers, dazu die Streusel, die immer so herrlich knusprig einen Kontrast zu Sahne und Kuchenboden bildeten … Ihr Magen knurrte so laut, dass Gitti laut auflachte.

»Danke, Mama, du bist die Beste!«

Gitti Rieger trat ein und stellte das Tablett auf den Arbeitstisch. »Ich weiß«, sagte sie und zwinkerte ihrer Tochter zu. »Später gibt es dann noch Pasta. Ich hab so tolles Basilikum hinten im Garten – da mach ich uns ein schönes Pesto.«

»Mmmh. Du kannst Gedanken lesen, Mama. Ich hab vorhin im Laden erst an Spaghetti gedacht.« Christina griff nach der Kuchengabel.

»Ich bin schließlich deine Mutter.« Gitti kam um den Tisch herum, legte kurz den Arm um Christinas Schulter und drückte sie an sich. »Ich genieß das immer sehr, wenn du hier übernachtest.«

»Ich freu mich auch«, sagte Christina und meinte es so.

Gitti war mit Leib und Seele Mutter, und dass ihre beiden Töchter, Kati und Christina, jetzt erwachsen waren, machte sie zuweilen ein wenig wehmütig. Schließlich war Kati als Bergführerin quasi ständig unterwegs, und Christina, die wegen Michael nach Rosenheim gezogen war, kam auch nicht mehr jeden Tag vorbei. Kurz dachte Christina an Nelly, ihre Halbschwester. Sie war Anton Riegers Tochter und erst vor zwei Jahren ganz über­raschend in ihrer aller Leben getreten, nachdem ihre Mutter gestorben war und ihr die Kontakt­daten des Vaters quasi vererbt hatte. Für Gitti war Nelly inzwischen das dritte Kind, das sie sich immer gewünscht hatte, und auch Nelly fand in Gitti eine mütterliche Bezugsperson.

»Fährst du jetzt eigentlich morgen auf die Fraueninsel?«, fragte Gitti.

»Ja, drum bleibe ich ja gleich hier. Es macht keinen Sinn, nur zum Schlafen in die Stadt zu fahren.«

Gitti nickte energisch. »Finde ich auch. Und ich soll dir von Nelly ausrichten, dass sie Michael gern den ganzen Tag behält. Sie will mit ihm auf den Spielplatz nach Frasdorf fahren und anschließend am Samerberg beim Maurerwirt zum Essen gehen.«

Der Spielplatz in Frasdorf war mit Niederseilgarten, großem Wasserspielplatz und diversen Geschicklichkeitsspielen eine Institution in der Gegend. Michael konnte stundenlang an der Wasserpumpe stehen, ohne dass ihm langweilig wurde.

»Wegen mir gerne. Ich ruf Nelly nachher eh noch an und sag Michael Gute Nacht.«

»Wunderbar. Dann hole ich dich später zum Essen rüber.« Bevor Christina etwas antworten konnte, machte Gitti schon eine beschwichtigende Geste. »Du hast natürlich den ganzen Nachmittag deine Ruhe. Sollte Papa meinen, zu dir rüberkommen zu wollen, werde ich ihn zu Küchensklavendiensten verdonnern. Aber im Moment liest er sehr friedlich seine Zeitung.«

Christina lachte. »Du kennst mich wirklich zu gut.«

Gitti war schon an der Tür, als sie sich erneut umdrehte. »Ach ja, da fällt mir ein: Kati kommt morgen Abend aus der Monte-Rosa-Gruppe zurück. Wir wollten grillen. Seid ihr da auch noch da, Michael und du? Nelly und Quirin können nicht, die wollten eine Sonnenuntergangswanderung auf den Riesenberg machen.« Dank Katis Arbeit als Bergführerin wusste jeder in der Familie, dass es sich bei der Monte-Rosa-Gruppe um ein Gebirgsmassiv an der Grenze von Italien und Schweiz handelte. Kati hatte schon einige Male Kunden auf die Viertausender dort geführt.

»Kati, hm? So hoher Besuch.« Christina konnte sich einen leicht schneidenden Tonfall nicht verkneifen. Als Bergführerin reiste ihre Schwester ständig herum – auf Christinas Kosten. Die war nämlich die ältere Tochter, was in Bayern hieß, dass man den elterlichen Betrieb übernahm. So kam es, dass sie, obwohl sie eine Ausbildung zur Keramikerin und mehrere Kurse in der Salzburger Sommerakademie absolviert hatte, am Ende im elterlichen Betrieb gelandet war.

Seitdem beneidete sie ihre Schwester insgeheim darum, dass die ihren Traumberuf leben durfte, während sie den ganzen Tag Salmiak und Zuckerzeug verkaufte und dazu tapfer lächelte.

»Nun sei doch nicht so. Sie ist deine Schwester. Wir sehen sie halt nicht so oft und …«

Christina wusste ganz genau, dass ihre Mutter nichts dafür konnte. Wenn, dann war es an Christina selbst, ihrer Schwester zu sagen, wie sehr es sie wurmte, dass Kati ohne Rücksicht auf Verluste ihren Weg gegangen war. Warum nur brachte sie das Thema nie zur Sprache?

»Ich weiß schon, Mama. Alles okay«, besänftigte sie ihre Mutter deshalb. »Ich hole Michael am späten Nachmittag bei Nelly ab, und dann kommen wir her.«

»Gut. Aber streite nicht mit Kati, okay?« Gittis Gesichtsausdruck verriet Besorgnis.

»Nein. Das verspreche ich dir.« Schon hatte Christina ein schlechtes Gewissen, weil sie viel zu oft Streit anzettelte und stichelte. »Allerdings kann ich keinen Salat beisteuern«, sagte sie mit ironischem Unterton.

Gittis Besorgnis wich, sie lachte, und auch Christina grinste breit. Es war allgemein bekannt in der Familie, dass an Christina keine Köchin verloren gegangen war. Niemand riss sich darum, dass sie etwas kochte.

»Schön. Dann kann Michael morgen noch mit dem Opa Monopoly spielen, das hat Anton ihm nämlich versprochen. Heute ist der ganze Vormittag fürs Schachspiel draufgegangen. Es ist erstaunlich, wie klug unser Enkel ist. Wirklich erstaunlich!« Der Großmutterstolz in ihrer Stimme war unüberhörbar.

Ohne eine Antwort abzuwarten, war Gitti aus der Tür geschlüpft und schloss sie jetzt leise hinter sich, um ihrer Tochter die Ruhe zu geben, die sie zum Töpfern brauchte.

2. Kapitel

Christina schaute zurück in Richtung Prien. Der Dampfer hatte eben abgelegt, und sie hatte sich einen Platz auf dem Außendeck gesichert. Von hier aus sah sie das große Riesenrad, das am Chiemseeufer aufgebaut worden war, sie sah die Bergsilhouette, die Kampenwand und das Königsschloss auf der Herreninsel, eingebettet in die Eichenwälder, die auf der Herreninsel dominierten. Das Schiff würde links um Herrenchiemsee herumfahren, und dann würde man bald schon die Fraueninsel mit dem Benediktinerinnenkloster sehen, dessen Kirchturm weithin als Wahrzeichen der Insel zu sehen war.

Kurz schloss Christina die Augen und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf der Haut. Sie war relativ früh aufgebrochen. Das Frühstück würde sie auf der Insel einnehmen. Einzig einen Kaffeebecher hielt sie in der Hand. Ohne Kaffee kam sie nicht in die Gänge.

Als sie die Augen wieder öffnete, hatte der Dampfer namens Edeltraut sich schon ein gutes Stück vom Festland entfernt. Man konnte die ganze Uferlinie sehen, die Stege mit den Booten, die kleinen Badestrände, die Dampferanlegestelle, das Prienavera, ein Erlebnisbad, dessen markanter Glasbau und das dampfende Außenbecken schon von Weitem zu sehen waren.

Es waren noch nicht viele Segelschiffe unterwegs, und auch das Außendeck war höchstens zur Hälfte besetzt. Christina beglückwünschte sich zu ihrer Entscheidung, bereits den Morgen auf der Insel zu verbringen. Sie würde alle Inseltöpfereien besuchen und sich dort Anregungen für ihre eigenen Arbeiten holen, würde sich im Klosterladen Kaffeemarzipan kaufen, Michael auch eine kleine Marzipanköstlichkeit mitbringen, und dann würde sie sich als spätes Frühstück einen Räucherfisch mit Kartoffelsalat gönnen. Der Motor des Schiffs sorgte für ein gleichmäßiges Brummen, das Christina entspannte, während sie weiter übers Wasser schaute. Tatsächlich war ein Stück weiter ein einzelner Mann auf einem Stand-up-Board in Richtung Herreninsel ­unterwegs. Vielleicht sollte sie das auch mal ausprobieren, schien es doch eine Sportart zu sein, bei der man sich nicht anstrengen musste. Immer wenn sie jemanden mit einem solchen Brett und einem Paddel sah, bekam sie Lust darauf – und das, obwohl sie komplett unsportlich war, ganz im Gegensatz zu Kati. Und auch Nelly, ihre Halbschwester aus Berlin, ging mittlerweile so oft wandern, dass Christina angesichts ihres Couchkartoffel-Daseins manchmal ein schlechtes Gewissen bekam.

Sie schaute hinüber zu dem Mann in T-Shirt und Shorts, wie er versuchte, die Wellen auszugleichen, die der Dampfer ihm vor den Bug seines Boards geworfen hatte. Es gelang ihm – aber viel hätte nicht gefehlt, und er wäre ins Wasser gefallen. Vielleicht wollte sie das doch nicht ausprobieren. Sie nahm einen Schluck Kaffee. Dann stellte sie den Becher neben sich, wühlte in ihrer Handtasche und holte ein Buch heraus.

»Der neue Jan Beck, den habe ich auch schon gelesen.«

Christina blickte auf. Neben ihr hatte ein Paar Platz genommen, die junge Frau deutete mit dem Kinn auf den Buchrücken. »Ist superspannend, oder?«

»Das kann man wohl sagen.« Eigentlich wollte Christina nicht gestört werden, aber der offene Blick der Frau machte sie sympathisch. Die Frau nickte und lächelte.

»Eigentlich bin ich ja mehr der Typ für Liebesromane.« Sie kicherte und legte ihre Hand ganz selbstverständlich auf den Oberschenkel des Mannes neben sich. Sofort legte der Mann seine Hand auf die ihre. Die beiden waren ein eingespieltes Team, das sah man sofort.

»Na ja. Um ehrlich zu sein, sind Liebesromane nicht so mein Geschmack.« Christina lächelte entschuldigend. »Ich brauch Spannung.«

»Nein? Ach, ich liebe es!« Die Frau verdrehte die Augen gen Himmel. »Man vergisst den Alltag und kann so richtig mitträumen. Außerdem erinnert es mich daran, was ich an meiner eigenen Beziehung habe.« Sie tauschte einen kurzen Blick mit ihrem Partner aus, der ihre Hand sanft drückte.

Christina schüttelte den Kopf. »Oh, ich glaube, ich bin einfach nicht besonders romantisch. Ich mag Mord und Totschlag.« Laut ausgesprochen, kamen ihre Worte ihr ziemlich makaber vor, aber die Frau lachte.

»Na, jeder, wie es ihm gefällt. Oh, schau mal, Ralf, da drüben, wie schön!« Tatsächlich waren im Schlosspark auf der Herreninsel gerade die Springbrunnen eingeschaltet worden, das Sonnenlicht ließ die Wassertropfen wie Tausende Diamanten funkeln.

Christina wandte sich wieder ihrem Buch zu, während das junge Paar sich von Schloss Herrenchiemsee verzaubern ließ. Aber die Buchstaben schienen vor ihren Augen zu tanzen, und sie konnte sich nicht mehr recht auf den Inhalt konzentrieren. Sie versuchte, sich zu erinnern, wann sie den letzten Liebesroman gelesen hatte, aber es wollte ihr nicht einfallen. Sieben, acht Jahre war es bestimmt her. Und hier auf dem Sonnendeck des Chiemseeschiffs begriff sie auf einmal, warum sie die romantische Lektüre aufgegeben hatte: weil sie nicht mehr an Happy Ends glaubte. Damals, Michael war gerade mal zwei, drei Jahre alt gewesen, hatte sich abgezeichnet, dass Andreas Berndt nicht ihr Traummann war und schon gar nicht der Vater, den sie sich für ihren Sohn wünschte. Damals bei der Trennung hatte sie das Gefühl gehabt, dass ihr ganzes Leben zerbrach.

Andreas war Auszubildender bei ihrem Vater gewesen. Er wollte Zuckerbäcker werden, Lakritzen kreieren, das Handwerk erlernen. Er und Christina hatten immer ihre Schwierigkeiten. Und nach ein paar Jahren erzählte er Christina, dass er ein eigenes Geschäft in Rosenheim eröffnen würde, statt im Familienbetrieb ihres Vaters weiter mitzuarbeiten.

Also gründete er Bonbon Berndt, seinen ersten eigenen Laden, in der Rosenheimer Innenstadt, und Christina saß mit dem neugeborenen Baby daheim. Natürlich blieb in dieser Zeit wenig Platz für die junge Familie, das ging automatisch mit der beruflichen Weiterentwicklung, wie Andreas das nannte, einher. Nach der Eröffnung, sagte er, würde alles wieder anders werden.

Doch dann kam der große Tag, und Christina war geschockt, als sie – den kleinen Michael auf der Hüfte – mit ihrem Vater durch den Laden ging.

Noch heute erinnerte sie sich an dessen Gesicht, als er seine selbst kreierten Rezepte in Berndts Geschäft entdeckte. Nie zuvor hatte sie ihn so aufgewühlt gesehen wie in diesem Moment. Schließlich hatte er sich geräuspert, sich ein weiteres Mal umgesehen und war dann einfach aus dem Laden geeilt, ohne Christina auch nur eines Blickes zu würdigen, während Christina noch versuchte, gedanklich zu verorten, was sie da gerade sah. Sie war am Entstehungsprozess des Geschäfts nicht beteiligt gewesen. Ihre Aufgabe war es gewesen, sich um den kleinen Michael zu kümmern, und in dieser Aufgabe war sie voll und ganz aufgegangen. Somit traf der Betrug sie genauso unvorbereitet wie ihren Vater. Der Laden zeigte Andreas Berndt, den Vater ihres Sohnes, in einem neuen Licht. Und was Christina da sah, gefiel ihr ganz und gar nicht. Hatte sie bis dahin gedacht, dass er das Familienunternehmen im Stich ließ, wurde ihr jetzt klar, dass er nicht nur mit wehenden Fahnen sein Geschäft eröffnet hatte, sondern dass es ihm – im Gegensatz zu Anton Rieger – nahezu gänzlich an eigenen Ideen mangelte, was ihn veranlasst hatte, eine billige Kopie zu kreieren.

Sie setzte also ihren Sohn auf die andere Hüfte, hielt kurz nach Andreas Berndt Ausschau, der ­gerade mit dem Besitzer des Schuhladens, der sich neben seinem Geschäft befand, anstieß, und tat es ihrem Vater nach. Sie verließ das Geschäft ohne einen Blick zurück, mit zerrissenem Herzen.

Seither hatte sich ihr Leben sehr gewandelt. Als alleinerziehende Mutter zurechtzukommen, war nicht leicht. Natürlich hatte sie Andreas Berndt immer wieder an seine Vaterpflichten erinnert, hatte Michael nicht den Papa genommen, im Gegenteil. Oft war sie es gewesen, die ihn an seine Vaterrolle erinnert hatte. Aber sie war die hauptverantwortliche Erziehende. Und das im Alter von gerade mal zwanzig Jahren. Und statt zurück zu ihren Eltern zu ziehen – was sie nur zu gerne getan hätte, denn die Verantwortung erdrückte sie zuweilen –, entschied sie sich, ihr Leben selbst auf die Reihe zu kriegen. Niemand sollte ihr nachsagen können, sie wäre nicht in der Lage, sich gut um Michael zu kümmern. Christina investierte all ihre Energie in ihren Sohn. Sobald er in den Kindergarten ging, begann sie, wieder im Laden ihres Vaters zu arbeiten. Das Rheuma ihrer Mutter Gitti wurde schlimmer, sodass dringend eine weitere Mitarbeiterin ­gebraucht wurde, und Kati hatte schnell klargemacht, dass ihr Interesse nicht der Lakritze galt. So vergingen die Jahre, Christina wurde immer mehr ins Geschäft eingebunden, bis ihr Leben schließlich aus dem Laden und ihrem Sohn bestand. Da war keine Zeit mehr für romantische Gefühle oder Sehnsüchte. Kein Wunder, dass sie von derartigen Fantasien auch in Büchern nichts mehr wissen wollte.

Christina legte den Krimi weg. Sie hatte keine einzige Zeile gelesen. Das junge Paar war an die Reling gegangen und schaute zu, wie der Dampfer an der Herreninsel vorbeifuhr, die Krautinsel passierte und weiter Kurs in Richtung Fraueninsel nahm. Der Mann hatte seinen Arm locker um die Taille der Frau gelegt, die Christina vorhin auf ihr Buch angesprochen hatte. Na, hoffentlich würde sie keine böse Überraschung mit ihm erleben, dachte Christina und konnte die Bitterkeit, die sie bei ihrem Gedanken empfand, fast schon schmecken. Nein, es war schon sehr richtig, sich mit einem ordentlichen Psychothriller zu beschäftigen statt mit emotionalem Quatsch!

Nachdem das Schiff an der Fraueninsel angelegt hatte, blieb Christina noch kurz auf dem Außendeck sitzen. Für sie war die Insel ein Ort der Einkehr. Dazu wollte das Gedränge beim Aussteigen nicht recht passen. Erst als schon ein ganzer Strom Menschen sich auf die Insel ergossen hatten, ging auch sie gemächlichen Schrittes von Bord. Die Fraueninsel war nicht groß, man konnte sie in zwanzig Minuten umrunden, jedenfalls wenn man ein Ignorant war, der keinen Blick für Details hatte. So viele Kleinigkeiten gab es hier zu entdecken, und Christina hatte sogar Badesachen in ihren kleinen Rucksack gepackt. Sie hatte sich viel vorgenommen: Sie wollte zum steinernen Mann, zu ihrer Lieblingstöpferei und in den Klosterladen. Michael liebte das Marzipan, das dort hergestellt wurde. Außerdem wollte sie einen Kaffee beim Inselwirt trinken. Auch den herrlichen blumengeschmückten Häusern, der Kirche und der Fischräucherei wollte sie einen Besuch abstatten – insgesamt hatte sie so viel vor, dass sie für Tage auf der Insel hätte bleiben können, ohne sich zu langweilen.

Christina nahm sich vor, zunächst einmal gemütlich um die Insel zu schlendern. Jetzt am frühen Morgen waren noch nicht so viele Menschen hier. Sie nahm den kleinen Weg am Wasser entlang. Schnell war sie auf Höhe des Benediktinerinnenklosters. Von hier aus hatte man einen fantastischen Blick auf die Berge. Ein älterer Herr war gerade aus dem Wasser gekommen und wickelte sich in sein Handtuch. Als er Christina bemerkte, winkte er fröhlich herüber, und sie erwiderte die Geste. Das schien auch so eine Wirkung der Insel zu sein: Man wurde ganz automatisch ein kleines bisschen offener und freundlicher.

»Ist es kalt?«, fragte sie zu ihm hinüber, und er schüttelte den Kopf.

»Es ist genau richtig. So frisch, dass man wach wird.« Er lachte und begann, seinen Kopf mit dem Handtuch trocken zu rubbeln.

»Na dann – schönen Tag noch.« Christina winkte ein weiteres Mal und ging langsam weiter. Jetzt sah man hinüber zur Herren- und Krautinsel, die auch noch morgendlich still dalagen. Sie nahm einen tiefen Atemzug. Es musste hier die gleiche Luft wie in Prien sein, trotzdem hatte Christina das Gefühl, freier atmen zu können.

Wie schon so oft dachte sie darüber nach, dass sie sich irgendwann ein Boot mieten und die Krautinsel besuchen wollte. Noch war die kleine, unbewohnte Insel ein weißer Fleck auf ihrer persön­lichen Landkarte. Christina wusste, dass hier nur ein paar Schafe weideten. Im Herbst wurden die Tiere per Schiff wieder zurück zum Festland gebracht. Auf der Herreninsel gegenüber sah man das Männerkloster, ein ehemaliges Augustiner-Chorherren-Stift, das das älteste bayerische Kloster gewesen war und der Namensgeber der Insel. Heute wurde es als altes Schloss bezeichnet.

Christina schlenderte weiter, hing ihren Gedanken nach und fühlte, wie sie immer mehr zur Ruhe kam. Sie ging an einer Fischräucherei und am Inselwirt vorbei, erreichte die Nordseite der Insel, schaute in üppig bepflanzte Gärten, hörte dem Plätschern des Wassers zu und beobachtete eine Stockente beim Tauchen. Ein Pfauenauge flog vorbei und fand einen Platz in einem Schmetterlingsbusch. Es waren all diese Kleinigkeiten, die die Fraueninsel für Christina ausmachten – und die Töpferei natürlich. Ihr Herz schlug höher, nur ein klein wenig, so wenig, dass sie selbst es gar nicht bemerkte, wenn sie das Gebäude schon von Weitem sah. Es war ein ehemaliges Fischerhaus, grau getüncht, weiß abgesetzt, nur von dem kleinen Weg, der die Insel umrahmte, vom Wasser getrennt.

Gleich wäre sie da, Christinas Schritt beschleunigte sich, und sie konnte das ehemalige Bootshaus schon sehen. Gleich würde sie die Keramikfiguren vor dem großen Tor erblicken, dessen Flügel würden weit offen stehen und den Blick auf den weiten Raum dahinter freigeben, und sie würde …

Christina blieb unvermittelt stehen. Das Tor war zu. Das Bootshaus verrammelt. Das kleine Schild war weg, nur noch dessen Umrisse waren als dunkler Schatten zu sehen. Fassungslos starrte sie auf das Gebäude, das ganz und gar verlassen wirkte. Nicht so, als hätte man einen Ruhetag oder Ferien. Es sah leer und verlassen aus, gerade als wäre es gestorben. Ein Kloß bildete sich in Christinas Hals. Sie trat auf das Tor zu und drückte die kalte Klinke nach unten. Natürlich war abgeschlossen. Trotzdem war es ein Schock. Sie ging seitlich um das ­Gebäude herum und warf einen Blick durch ein Fenster. Die Regale in dem großen Raum waren gähnend leer, trostlose weiße Gerippe vor grauem Grund.

Christina ging zurück zum Haupteingang, lehnte sich gegen das Tor und rutschte nach unten, bis sie auf dem Boden saß. Da hatte sie sich tagelang auf ihren Besuch hier gefreut, die Töpferin war fast so etwas wie eine Freundin, und jetzt das.

Ihre gemeinsame Leidenschaft hatte oft zu schönen Gesprächen über Technik, Material und kreative Impulse geführt. Jetzt zu sehen, dass es die Werkstatt nicht mehr gab, traf Christina hart. Es war, als wäre ein Stück Heimat verloren gegangen. Christina zog die Knie an ihren Körper, bettete ihre Arme und dann ihren Kopf darauf und seufzte schwer. Wie schade, dachte sie nur, wie schade. Es war ein Jammer.

Plötzlich spürte Christina, dass ein Schatten auf sie fiel, und hob den Kopf.

»Geht es Ihnen nicht gut?«

Im ersten Moment konnte Christina nicht ver­orten, wer da im Gegenlicht vor ihr stand. Erst dann sah sie, dass die dunkle, raue Stimme zu einer Nonne gehörte. Eine zarte, eher kleine Frau, in den typischen Habit der Ordensgemeinschaft gekleidet.

Christina rappelte sich auf. Als sie der Frau gegenüberstand, war sie einen Kopf größer als die alte Dame, deren Gesicht von Falten durchzogen war.

»Äh, doch, alles gut. Vielen Dank.« Christina lächelte und strich sich die Haare aus dem Gesicht.

»Hm. Ich bin mir da nicht so sicher, junge Frau.«

»Doch, doch, Schwester, entschuldigen Sie. Es ist nur so schade wegen der Töpferei.« Christina warf einen Blick zurück auf das verschlossene Tor.

»Das habe ich auch gesagt. Was will eine Töpferin auf einer Weltreise? Aber Elsa war einfach nicht davon abzubringen. Sie meinte, die Insel würde ihr zu klein! Ha! Als ob sie schon alles hier gesehen hätte.« Die Nonne winkte ab und kicherte.

Christina wusste nicht genau, was die alte Frau damit sagen wollte. Schließlich war die Fraueninsel tatsächlich nicht besonders groß.

»Ich bin seit vierzig Jahren auf der Insel, und selbst ich habe noch nicht alles gesehen!« Die Nonne zwinkerte Christina verschwörerisch zu.

Meinte die Frau das ernst? Christina wusste nicht recht, was sie antworten sollte, aber anscheinend schien die Nonne keine Antwort zu erwarten. Sie streckte Christina stattdessen die Hand hin. »Ich bin Frau Maria, nicht Schwester. Bei uns in der Abtei Frauenwörth wird man mit Frau angesprochen.«

»Guten Morgen, Frau Maria. Ich heiße Christina.« Der Händedruck der Nonne war weich, aber nicht labbrig.

»Und du magst wohl Ton.« Schwester Maria deutete auf das Gebäude in Christinas Rücken.

Christina lachte. »Kann man so sagen, ja. Ich töpfere für mein Leben gern. Und wann immer ich Zeit habe, komme ich hierher und halte einen Plausch mit der Töpferin. Aber das kann ich mir wohl künftig sparen.« Sofort wurde es Christina wieder schwer ums Herz. »Ich hab die besonderen Werke hier immer sehr gerne angeschaut, und manchmal ist es mir auch gelungen, zu Hause etwas Ähnliches zu machen.«

Das stimmte. Doch besonders seit dem letzten Jahr hatte Christina sich künstlerisch weiterentwickelt und ihren ganz eigenen Stil gefunden.

»So, wie deine Augen glitzern, sprechen wir hier von echter Leidenschaft.« Das hatte die Nonne gut erkannt. Genau genommen hatte Christina sogar das Gymnasium abgebrochen, als sie eine Ausbildungsstelle als Töpferin bekommen hatte. Vielleicht wäre ihr Leben anders verlaufen, wenn sie damals übernommen worden wäre. Doch es war ein zu kleiner Betrieb, um sich eine Angestellte leisten zu können. Schon dass er ihr die Ausbildung möglich gemacht hatte, hatte an ihrem besonderen Talent gelegen, jedenfalls hatte ihr das der Lehrherr, wie man in Bayern sagte, glaubhaft versichert.

»Das ist wahr. Ich bin wirklich eine leidenschaftliche Keramikerin. Die Arbeit mit Ton macht mich einfach glücklich.«

Die Ordensschwester nickte. »So geht es mir mit Marzipan und meinem Kräutergarten. Und neuerdings auch mit meinen wunderbaren Apfelbäumen.«

Dieses Mal verstand Christina. Sie wusste, dass im Kloster Marzipan nach altem Geheimrezept hergestellt, bis zum heutigen Tag von Hand gemacht und mit unterschiedlichen Holzmodellen in Form gebracht wurde. Michael hatte versucht, das Geheimnis des Marzipans zu lüften, und sich einige Wochen fast ausschließlich mit Marzipanherstellung beschäftigt – eine Phase, die Christina nur zu gerne hingenommen hatte, zumal er dafür seine Kreuzspinnenzucht, die davor sein Interessenschwerpunkt gewesen war, aufgegeben hatte.

»Mein Sohn liebt das Inselmarzipan. Er würde sterben, um das Rezept zu erfahren«, sagte Christina deshalb.

»Ha!« Frau Maria klatschte in die Hände. »Das Rezept hätten viele gerne, ich weiß. Aber … nein, da schweigen wir Schwestern still.«

Die alte Dame war sicher über siebzig Jahre alt, wenn nicht noch älter, überlegte Christina, aber sie wirkte wie ein junges Mädchen.

»Ich werde es meinem Michael ausrichten.«

»Mach das. Und wenn du mit in den Kloster­laden kommst, suche ich dir ein Mitbringsel für deinen Sohn aus. Wie wäre das? Das vertreibt auch gleich deine trüben Gedanken.«

Christina gab sich einen Ruck. »Danke schön.«

Gemächlich gingen sie nebeneinanderher. Nun war zu merken, dass die Klosterschwester schon älter war. Ein leichtes Hinken begleitete ihre Schritte. Aber falls ihr das Gehen Schmerzen bereitete, ließ sie es sich nicht anmerken. Schweigend brachten sie fast den halben Weg hinter sich. Dann erst ergriff die Benediktinerin wieder das Wort. »Sag mal … du kennst nicht zufällig jemanden, der Interesse daran hätte, die Werkstatt zu übernehmen?«

»Was?« Christina war wie vom Blitz getroffen.

»Nun ja. Einer der Fischer möchte das Bootshaus mieten. Aber das ist doch viel zu schade, habe ich zur Gretl gesagt. Ihr gehört das alte Fischerhaus, musst du wissen. Sie hat gemeint, dass es ihr egal ist. Egal! So was!« Das Hinken der Nonne verstärkte sich, als sie sich über die Bootshausbesitzerin echauffierte. »Die Töpfereien auf der Fraueninsel sind ein Stück Kultur, habe ich zu ihr gesagt. Man kann doch nicht den Loisl seine alten Ruderboote zwischen die weißen Regale stellen lassen.« Frau Maria war stehen geblieben und schöpfte Atem. Das letzte Stück zum Klosterladen ging es leicht bergauf. Dazu die Aufregung – sie blieb stehen, schien eine Pause zu brauchen. »Also habe ich zu Gretl gesagt, sie soll eine Töpferin finden oder einen Maler, von mir aus jemanden, der Papier schöpft. Aber wenn du Gretl kennen würdest, wüsstest du, dass ihr nur wichtig ist, dass die Miete rechtzeitig reinkommt. Und Loisl hat Interesse, also …« Die Klosterschwester zuckte mit den Schultern. Dann ging sie langsam weiter. »Wenn man natürlich jemanden wüsste, der sich für den Schuppen interessiert, wäre alles anders.«

Christina sah den Seitenblick der Nonne nicht, weil sie einer Frau mit Kinderwagen auswich. Sonst hätte sie mit Sicherheit das Blitzen in den Augen der Gottesdienerin gesehen. Aber auch wenn sie Frau Marias Gesichtsausdruck nicht sah, rührten die Worte der Nonne etwas in ihr an. Sie selbst wollte den Töpferschuppen mieten! Sie wollte ihrer Leidenschaft folgen! Sie wollte, dass ihr Herz täglich höherschlug, wenn sie das Bootshaus sah! Sie wollte! Der Gedanke war so aufregend, dass sie für einen Moment das Atmen vergaß und stehen blieb.

»Ist alles in Ordnung?« Frau Maria drehte sich um.

»Ich weiß es nicht genau«, antwortete Christina wahrheitsgemäß. Sie war von der Wucht ihrer eigenen Emotion so getroffen, dass sie gar nicht wusste, was sie tun sollte. Plötzlich hatte sie angefangen zu schwitzen. »Aber ich glaube, ich brauche jetzt erst mal eine Abkühlung. Könnte ich Sie später im Laden besuchen, Schwester … äh … Frau Maria?«

Die Nonne lachte. »Natürlich, gerne. Ich werde auf dich warten. Ich muss eh noch ein paar Marzipansorten in die Regale nachfüllen.«

Ohne einen Blick zurück ging die Ordensschwester weiter. Christina kam nicht umhin, die alte Dame zu bewundern. Ihre ausgeglichene Art, die Ruhe, die sie ausstrahlte, all das stand in perfektem Kontrast zu dem Wirbelwind, der Christina gerade bis in die Fingerspitzen durchfuhr.

Eine Abkühlung. Das war genau, was sie jetzt brauchte!

Wie automatisch ging Christina zu dem kleinen Badestrand, wo sie vorhin den alten Mann getroffen hatte. Ein ganzes Leben schien zwischen der Begegnung und dem Jetzt zu liegen, umso überraschter war sie, ihn noch auf einer Bank in der Sonne vorzufinden, von wo aus er ihr zuwinkte.

Schnell war Christina in ihren Badeanzug geschlüpft. Normalerweise ging sie sehr langsam ins Wasser, Frostbeule, die sie war. Aber heute rannte sie regelrecht ins Wasser, spürte die Steine unter ihren Füßen gar nicht. Schon als das Wasser ihr bis zur Hälfte des Oberschenkels reichte, ließ sie sich einfach nach vorne fallen, und das kühle Nass umfing sie. Ohne nachzudenken, tauchte sie ganz in das Wasser ein und machte ein paar Schwimmzüge. Die Kälte tat wahnsinnig gut. Aber die Hitze, die der Gedanke an die Übernahme der Töpferei in Christina entfachte, glühte in ihrem Herzen weiter.

Christina hatte die starke Vermutung, dass es nur einen einzigen Weg gab, um das Feuer in ihr unter Kontrolle zu kriegen. Mit einem Schlag war sie wild entschlossen und schwamm zurück zum Ufer.

Nachdem sie blitzschnell zurück in ihre Kleidung geschlüpft war – das T-Shirt klebte ihr am Rücken, weil sie sich so schlampig abgetrocknet hatte –, eilte sie im Laufschritt zum Klosterladen. Ihr Atem ging entsprechend schwer, als sie in das kleine Geschäft stürmte und dabei den Postkartenständer links vor dem Eingang bedrohlich streifte. Sie war so aufgeregt, dass sie gar keinen Blick für das Sortiment des Geschäfts hatte. Nur am Rande nahm sie wahr, dass hier nicht nur Marzipan und Kräuter­likör, sondern auch Karten, Kerzen und andere Kleinigkeiten verkauft wurden. Sie hielt nur Ausschau nach Frau Maria. Tatsächlich sortierte die Nonne im hinteren Bereich des Ladens Waren in ein Regal.

Als sie Christina erblickte, richtete sie sich lächelnd auf.

»Ich sehe, du bist so weit?«, fragte die Klosterschwester, als wüsste sie schon, was Christina ihr zu sagen hatte. Die stand vor der Ordensfrau und konnte, noch immer nach Luft ringend, nur nicken.

»Na gut. Dann bring ich dich jetzt zu Gretl.« Die Nonne sah sehr zufrieden aus, als sie den Karton mit Marzipantalern, auf deren Verpackung eine Ente aufgedruckt war, auf dem Boden absetzte. Sie hakte sich bei Christina unter wie bei einer alten Vertrauten, und sie verließen den Laden und traten hinaus ins Sonnenlicht.

»Ich wusste sofort, dass du die Richtige für das Bootshaus bist.« Die Nonne drückte fest Christinas Unterarm und strahlte sie an. Christina fühlte sich von der ganzen Situation so überfordert, dass sie Maria nur zu gerne die Führung überließ, als die mit ihr in Richtung Inselmitte ging, wo sich die großen Linden befanden, die sogar eigene Namen hatten – Tassilolinde und Marienlinde. Schon oft hatte Christina die jahrhundertealten Bäume bewundert. Besonders die Tassilolinde, die noch vital war, während die Marienlinde nur noch als Naturdenkmal erhalten geblieben war, hatte es Christina angetan. Heute jedoch ließ sie sich wie in Trance von der Klosterschwester daran vorbeiführen.

Schließlich standen sie in einem herrlich mit Dahlien bepflanzten Garten. Um sie herum leuchtete es in Pink, Gelb und Weiß. Die Blumen schienen sich gegenseitig mit ihrer Pracht ausstechen zu wollen, und Christina fühlte sich an ihre Mutter und deren Rosengarten erinnert. Diese Gretl war eine begeisterte Gärtnerin, das sah man auf den ersten Blick.

»Gretl?« Die Nonne machte sich nicht die Mühe, zur Haustür zu gehen, um zu klingeln. Sie rief einfach laut den Namen der Hausbewohnerin, deren Gesicht sich auch prompt im offenen Türspalt zeigte.

»Frau Maria, grüß Gott!« Wenn Gretl überrascht war, zeigte sie es nicht, als sie über die Türschwelle trat. Sie war eine Frau mittleren Alters, kurze, dunkle Haare, Dauerwelle. Sie trug Jeans und ein geblümtes T-Shirt, wie so viele Damen ihres Alters, die sich praktisch und alltagstauglich kleideten. In Gretls Leben, das sah man ihr an, war kein Platz für Schnickschnack. Alles an ihr war praktisch.

»Kann ich etwas für Sie tun?« Sie begrüßte Christina mit einem Kopfnicken, als sie herangetreten war.

»Du sollst dieser Frau den Bootsschuppen vermieten.« Die Klosterschwester ließ Gretl ohne Umwege wissen, was sie wollte. »Wir verlieren hier sonst ein Stück Kultur. Und Christina töpfert leidenschaftlich.«

Maria klang, als würde sie Christina seit Jahren kennen und nicht erst seit dem heutigen Morgen. Die Überzeugung in ihrer Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass sie fest an das glaubte, was sie sagte.

»So, so.« Gretl musterte Christina von oben bis unten, dann streckte sie ihr die Hand hin. »Ich bin die Gretl, und du?«

»Oh, Entschuldigung. Christina Rieger.« Sie schüttelten einander die Hand. Dann wandte Gretl sich wieder an die Nonne.

»Du weißt aber schon, dass Loisl das Bootshaus auch gerne mieten möchte, oder?«

Frau Maria nickte. »Ja. Aber er würde einfach nur seine Fischerboote darin abstellen.«

»Hm.« Gretl verschränkte die Arme.

»Du weißt, dass die Insel den Tourismus braucht – und die Touristen kommen, um was zu sehen. Mit alten Booten vermietest du deine Pensionszimmer nicht. Christina hier zum Beispiel ist heute auch nur wegen der Töpferei auf der Insel. Stimmt’s?« Die Nonne schaute Christina an, und die nickte. Sie wusste noch immer nicht recht, wie ihr geschah. Versuchte sie wirklich gerade, ihre eigene Töpferei zu mieten? Sie konnte kaum klar denken.

»Das stimmt.«

»Hast du Loisl schon fest zugesagt?«, wollte die Klosterschwester jetzt wissen.

Gretl schüttelte den Kopf. Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

»Warum nicht?«, fragte die Nonne weiter.

Ein Schulterzucken war die Antwort. Gretl runzelte die Stirn. Lange Augenblicke vergingen. Man sah, dass sie nicht genau wusste, was sie sagen sollte.

»Ein Gefühl«, sagte sie schließlich.

»Siehst du.« Mehr sagte Frau Maria nicht. Ihr Siehst du hatte nach einem starken Argument geklungen, einem Argument, diesem Loisl das Bootshaus nicht zu vermieten.

Gretl war sichtlich keine Frau großer Worte. Stattdessen hatte sie sich jetzt Christina zugewandt und schaute sie an, ja, musterte sie von Kopf bis Fuß. Ihr Blick war jetzt ein anderer als beim ersten Händeschütteln, er schien tiefer zu gehen, und es kostete Christina ordentlich Willen, ihn zu erwidern und nicht wegzuschauen.

So vieles fiel ihr ein, was sie vielleicht sagen sollte, doch einer Eingebung folgend tat sie etwas ganz anderes. Sie erinnerte sich an ein Projekt vom letzten Jahr und holte ihr Handy hervor. Schnell öffnete sie den Fotoordner. Da waren sie, unter Favoriten. Christina hielt Gretl ihr Handy mit einem bestimmten Bild hin. Auf dem Foto waren Keramikblumen in allen Farben zu sehen. Schüsseln, aber auch Gartendeko, eine Glaskugel mit Blumenverzierung, eine bunte Mischung aus fröhlichen Farben und Formen.

Gretls Gesicht bekam eine ganz neue Weichheit, als sie die Blumen aus Ton betrachtete. »Bärig«, urteilte sie schließlich, als sie das Handy zurückgab. Sie war sichtlich kein emotionaler Typ, aber ihr Lächeln verriet, dass ihr die Stücke wirklich gut gefielen.

»Also?«, fragte die Nonne.