Chile in Bewegung - Toni Keppeler - E-Book

Chile in Bewegung E-Book

Toni Keppeler

4,8

Beschreibung

Chile ist in Bewegung. Chile bewegt sich in Richtung Demokratie. In Chile kann man eindrücklich sehen, wie schwierig es ist, eine verlorene Demokratie zurückzuerobern und dass es nicht damit getan ist, einen Präsidenten und ein Parlament zu wählen. Es geht um Zugang für alle zu Bildung, um die Schaffung eines Arbeitsrechts, das die Gewerkschaften wieder handlungsfähig macht, um Schutz für Minderheiten und um die Reform eines Wahlrechts, das kleineren Parteien eine Chance gibt. All das passiert im heutigen Chile. Die Militärdiktatur, die 1990 formal beendet war, hat lange nachgewirkt. Doch jetzt ist die Angst vorbei. Toni Keppeler erzählt von Menschen und ihren Kämpfen, von Gegenwart und Vergangenheit, von Fluch und Segen der Salpeterwüste, von den "chaotischen Jahren der Hoffnung" unter dem sozialistischen Präsidenten Allende, von der langen Nacht der Pinochet-Diktatur, die das Land unter anderem zu einem der ersten Experimentierfelder einer neoliberalen Ökonomie machte, vom Übergang als Dauerzustand, von der Studentenbewegung der letzten Jahre. Aber auch vom langen Leiden der Mapuche-Indianer und wie deutsche und schweizerische Einwanderer den chilenischen Süden eroberten.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 290

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,8 (18 Bewertungen)
14
4
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



TONI KEPPELER

CHILE IN BEWEGUNG

TONI KEPPELER

CHILE IN BEWEGUNG

REPORTAGEN AUS EINEM LANDDER GEGENSÄTZE

Fotos von Yvonne Berardi

Rotpunktverlag.

© 2016 Rotpunktverlag, Zürichwww.rotpunktverlag.ch

Umschlagfoto: »Mit Leidenschaft für die Bildung« –Studentinnen und Studenten organisierten in mehreren StädtenChiles den »Besatón« (das große Küssen) für Bildung undgegen Polizeigewalt. Foto: Keystone, AP, Aliosha Marquez.

ISBN 978-3-85869-699-1

1. Auflage 2016

Inhalt

Zur Einführung

Kapitel 1

DIE ANGST IST VORBEI

Die Studentenbewegung, eine Gesellschaft im Umbruch und das Aufscheinen des Endes eines langen Übergangs zur Demokratie.

Kapitel 2

SEGEN UND FLUCH DER WÜSTE

Salpeter, Kupfer, Lithium. Die Eroberung des Nordens und die Abhängigkeit Chiles von Bodenschätzen.

Kapitel 3

DAS LANGE LEIDEN DER MAPUCHE

Von schweizerischen und deutschen Einwanderern und der Eroberung des Südens. Wie vor über hundert Jahren ein Konflikt entstand, der bis heute andauert.

Kapitel 4

DREI CHAOTISCHE JAHRE DER HOFFNUNG

Von Salvador Allende zum Putsch. Die Geschichte der Unidad Popular, der US-Einmischung und der chilenische Schindler.

Kapitel 5

DAS STADION IST EIN FEINDLICHER ORT

Der Putsch vom 11. September 1973, die Gewalt und die neoliberale Revolution. Die Geschichte des politischen Gefangenen Alfonso Ugarte und die des Augusto Pinochet.

Kapitel 6

DER ÜBERGANG ALS DAUERZUSTAND

Warum nach der Diktatur alles beim Alten blieb und Pinochet trotzdem vor Gericht gestellt wurde. Wie sich die Mitte-links-Koalition abnutzte und der Rechten die Rückkehr an die Regierung ermöglichte.

Ausblick

Dank

Zeittafel

Zur Einführung

Chile ist einzigartig, schon allein wegen seiner Landschaften. Kein anderes Land auf der Welt umfasst so viele Klimazonen: Der Norden liegt geografisch gesehen in den Tropen, ist aber nicht üppig mit Dschungel bewachsen, sondern eine der trockensten Wüsten der Erde. Der von der Antarktis kommende kalte Humboldtstrom kühlt die feuchte Luft, die vom Pazifischen Ozean zum Festland strömt, vor der Küste herunter. Die Wolken regnen sich ab. Man sieht dass manchmal von Antofagasta oder Iquique aus, weit draußen über dem Meer. An Land aber fällt kein einziger Tropfen. Von der Wüste in Richtung Süden geht es durch mediterran anmutende Landschaften bis weit über Santiago hinaus. Danach, im sogenannten kleinen Süden, trifft man auf Wälder und saftige Weiden wie im Allgäu oder im schweizerischen Voralpenland. Und ganz unten, im großen Süden, ist das ewige Eis.

Chile ist 4275 Kilometer lang, was in etwa der Strecke von Berlin bis zum saudiarabischen Riad entspricht oder von Zürich bis zur nigerianischen Hauptstadt Abuja. Es ist eingeklemmt zwischen den ewig mit Schnee bedeckten, bis zu knapp siebentausend Meter hohen Anden mit einer der weltweit aktivsten Vulkanketten auf der einen Seite und vom Pazifik auf der anderen. An der breitesten Stelle misst das Land von Westen nach Osten etwas über vierhundert Kilometer, an der schmalsten gerade neunzig. Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger nannte es einmal »einen Dolch, der auf die Antarktis zeigt«. Chile bedeutet in der Sprache der Aymara »das Land, an dem die Welt zu Ende ist«. Weil die Spanier bei ihrem Eroberungszug Anfang des 16. Jahrhunderts vom Aymara sprechenden heutigen Bolivien in diesen schmalen Landstreifen vorgedrungen sind, haben sie ihm diesen Namen gegeben.

Von Europa aus gesehen liegt Chile tatsächlich am Ende der Welt, versteckt hinter einem hohen Gebirge und nach Norden hin geschützt durch die menschenfeindliche Wüste. Neue Gedanken aus Europa, heißt es oft, hätten deshalb immer etwas länger gebraucht, um dort anzukommen. Damit wird dann erklärt, warum die chilenische die angeblich konservativste Gesellschaft des südamerikanischen Halbkontinents sei. Das stimmt nicht. Es gibt viel mehr europäischen und namentlich deutschen und schweizerischen Einfluss in Chile, als einem recht sein kann. Die chilenische Armee, die spätestens mit dem Putsch von General Augusto Pinochet am 11. September 1973 als brutal und grausam bekannt geworden ist, wurde von preußischen Militärberatern aufgebaut und pflegt diese Tradition bis heute. Deutsche und schweizerische Siedler haben im Süden des Landes tatkräftig mitgeholfen, das ursprünglich dort lebende Volk der Mapuche zu unterdrücken und eine bis heute andauernde rassistische Zweiklassengesellschaft zu errichten. Chile mag am Ende der Welt sein. Es ist trotzdem mindestens so europäisch geprägt wie Argentinien auf der anderen, Europa näher liegenden Seite der Anden. In Argentinien waren in erste Linie Einwanderer aus Spanien und Italien bestimmend. In Chile ist das Gemisch bunter: Spanier, Basken, Briten, Deutsche, Schweizer, Serben, Kroaten, Belgier… Und daneben gibt es noch ein rundes Dutzend indigener Völker, allen voran die rund eine Million Mapuche.

Von der chilenischen Geschichte sind im Wesentlichen nur zwei Etappen bekannt: Zum einen die Zeit der Unidad Popular von 1970 bis 1973, drei Jahre, in denen ein demokratischer Weg zu einem humanen Sozialismus gesucht wurde. Und dann natürlich die siebzehn folgenden Jahre der Pinochet-Diktatur. Das scheint überwunden zu sein und weit weg. Chile gilt heute als stabile Demokratie, sicher und sauber, organisiert und mit guter Infrastruktur. Die Chilenen gelten als freundlich und friedlich und – eben – als eher konservativ und katholisch. Das alles, in Kombination mit den landschaftlichen Reizen, hat das Land in den vergangenen Jahren zu einem beliebten Ziel für Touristen werden lassen.

Dieses ordentliche, fleißige und konservative Chile ist das Chile, das die Elite des Landes gerne hätte. Ihre Medien – und es gibt kaum andere – haben diese Wunschvorstellung so oft als Ideal reproduziert, dass auch viele Chilenen es glauben. Doch darunter, im Volk, gab es immer auch ein anderes Chile. Es gab schon früh eine starke Arbeiterbewegung. Die Mapuche haben nie aufgehört, sich zu wehren. Die Unidad Popular war nicht die erste Bewegung, die auf demokratischem Weg in den Sozialismus wollte. Und Pinochet war nicht der erste Diktator, der schließlich abdanken musste. Es gab immer auch ein rebellisches Chile. Und diesem Chile ist das vorliegende Buch gewidmet.

Es ist kein Geschichtsbuch, sondern ein Buch von Geschichten. Um Chile zu verstehen, so wie es heute ist, muss man seine Menschen verstehen. Dieses Buch erzählt die Probleme und die Hoffnungen eines Landes, indem es die Geschichten von Menschen erzählt, die die Geschichte ihres Landes durchlebt und oft genug durchlitten haben. Sie alle haben versucht, diese Geschichte so, wie sie konnten, ein kleines bisschen mitzugestalten, auf dass es Hoffnung gebe für dieses Land. Nach drei Jahrzehnten und vielen Reisen nach Chile glaube ich, die Probleme des Landes zu kennen. Und ich teile die Hoffnungen dieses rebellischen Chile.

Kapitel 1

DIE ANGST IST VORBEI

Die Studentenbewegung, eine Gesellschaft im Umbruch und das Aufscheinen des Endes eines langen Übergangs zur Demokratie.

Da macht eine junge Frau Politik, ganz erfolgreich sogar, und alle schreiben über ihr Aussehen. Eine »Botticelli-Schönheit« sei sie, schwärmte der US-amerikanisch-guatemaltekische Schriftsteller Francisco Goldman im Magazin der New York Times. Und selbstverständlich vergaß er nicht, den kleinen silbernen Ring zu erwähnen, den sie im rechten Nasenflügel trägt. Das gehört zum Pflichtstoff, wenn man über Camila Vallejo schreibt. Sie sei »eine Frau, jung, intelligent und darüber hinaus auch noch schön«, so wertete Pedro Lemebel, der Anfang 2015 verstorbene schwule Sexmaniac und Provokateur der linken Kulturszene von Santiago. In der kritischen chilenischen Wochenzeitung The Clinic reflektierte er ausführlich über ihr »Gesicht eines Universitätspüppchens« und über das Spiel des Sonnenlichts in ihrem kastanienfarbenen Haar. »Rot« sei sie (politisch gesehen) und »süß« (als junge Frau). Nur leider gebreche es ihr an Humor, was wohl an zu vielen marxistischen Schulungen in ihrer Kommunistischen Partei liege. Und der britische Guardian stellte fest: »Seit Subcomandante Marcos hat kein Rebellenführer Lateinamerika so bezaubert.« Immerhin: eine Rebellin. Aber eben doch bezaubernd.

Auch bei Marcos, dem Pfeife rauchenden Skimasken-Mann mit den grünen Augen, hielten sich Journalisten gerne an Äußerlichkeiten auf. Weil die Rede des Sprechers des »Zapatistischen Befreiungsheers« aus dem südmexikanischen Urwald immer irgendwie dunkel blieb, genauso wie sein Vorleben, wurden der Mann und sein Auftreten zur Botschaft. Camila Vallejo ist da ganz anders. Selbst der von ihrem Aussehen schwer geblendete Lemebel gestand ihrem Diskurs eine »sichere Klarheit« zu. Auch ihr Vorleben ist bekannt: Geboren am 28. April 1988 in Santiago de Chile, aufgewachsen im stadträndischen Arbeiterviertel La Florida, beide Eltern waren aktive Kommunisten. Sie hat Geografie studiert an der staatlichen Universität von Chile, war dort 2010 und 2011 Vorsitzende der Studentenschaft und 2011, zur Zeit der ersten großen Welle der Straßenproteste, eine der Sprecherinnen des Verbandes der Studentenschaften von Chile. Sie ist Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Jugend, Mitglied der Kommunistischen Partei und seit November 2013 Abgeordnete ihrer Heimatgemeinde La Florida, die jüngste im chilenischen Parlament. Sie ist religionslos, lebt seit Jahren mit einem jungen Mann zusammen, auch er Kommunist, ehemaliger Studentensprecher und darüber hinaus Kubaner. Seit Oktober 2013 haben die beiden eine Tochter. Das lässt sich alles nachlesen. Und trotz dieser Klarheit und Transparenz ist Camila Vallejo wie der mysteriöse Marcos zur Ikone geworden.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!