Christliche Seelsorge -  - E-Book

Christliche Seelsorge E-Book

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Beschreibung

Ist die christliche Seelsorge in der Krise? Obwohl Menschen Seelsorge in Anspruch nehmen, kommen sie oft nicht über die Beschreibung ihres Problems und möglicher Ursachen hinaus. Sind sie alle ein Fall für den Therapeuten? Ist es möglich, Seelsorge zu betreiben, ohne sich in der Konzentration auf Krisen, Probleme und deren Ursachen zu verlieren? Wie entsteht eigentlich Heilung und Heil? Wie wirkt sich die Rettung durch Christus in unserem Leben heilsam aus? Was macht Seelsorge zu christlicher Seelsorge und was unterscheidet sie von anderen Seelsorgekonzepten? Diesen Fragen sind die Autorinnen dieses Buches nachgegangen. Es enthält Antworten aus der Theologie auf die Frage Antonovskys: “Wie entsteht Gesundheit und Heil?“ Anliegen des Buches ist es nicht, den Leser auf ein neues Seelsorgemodell festzulegen. Vielmehr werden theologische Bewertungskriterien für die Modellbildung von Seelsorge formuliert. Die Kopiervorlagen im Anhang enthalten Fragen, Gebete und Anregungen, die direkt in verschiedenen Gesprächssituationen angewendet werden können.

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Seitenzahl: 187

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Insbesondere die Kopiervorlagen dürfen nicht unter anderem Gebrauchsnamen, Handelsnamen oder Warenbezeichnung verwendet werden, sondern nur unter der Bezeichnung „Soterio Seel“ und unter Angabe der Autoren.

Inhaltsverzeichnis

„Ich bin, das ist mein Name auf ewig.“

Einleitung.

Über dieses Buch.

2.1 Marina Franz.

2.2 Petra Holey

Theologisches Vorverständnis von Seelsorge

3.1 Das Gottesverständnis

3.2 Perspektive der Seelsorge

3.2.1 Seelsorge ist lebensbejahend

3.2.2 Seelsorge ist „heilshaltig“

3.2.3 Seelsorge fördert Entfaltung

3.3 Der Seelsorgebegriff in der Bibel

3.3.1 Das unmittelbare Wirken des Heiligen Geistes

3.3.2 Das mittelbare Wirken des Heiligen Geistes

3.4. Der Seelsorgeadressat

3.4.1 Der Mensch: Geschöpf und Ebenbild Gottes

3.4.2 Der Mensch: Sünder und Kind Gottes

3.4.3 Der Mensch: Geistbegabter und Mitarbeiter Gottes

3.5 Das Ziel

3.5.1 Das gegenwärtige Heil

3.5.2 Das zukünftige Heil

3.6 Das biblische Prinzip der Selbstverantwortung neu entdeckt (Kristin Kissmann) .

3.7. Auswahl- und Bewertungskriterien für die Modellbildung von Seelsorge

3.7.1 Schöpfungstheologische Aspekte

3.7.2 Soteriologische Aspekte

Warum das Konzept der Salutogenese anschlussfähig für die christliche Seelsorge ist

Salutogenese versus Pathogenese und der Ertrag für die Seelsorge

5.1 Neue Fragestellungen in der Seelsorge

5.2 Betrachtung der Fragestellungen Jesu in den synoptischen Evangelien (Kristin Kissmann)

5.2.1 Einordnung und Wirkung von Fragestellungen

5.2.2 Die vier Grundformen der Frage

5.2.3 Fragetechniken Jesu

5.3. Neue Sichtweise von Gesundheit und Krankheit

5.4 Neue Sichtweise von Gesunden und Kranken, Schwachen und Starken

5.5 Neue Sichtweise von Ursachen und Lösungsansätzen

5.6 Neuentdeckung von Ressourcen

„Sense of Coherence“

6.1 Verstehbarkeit

6.2 Gestaltbarkeit

6.3 Bedeutsamkeit

6.4 Starkes SOC

6.5 Schwaches SOC

6.6 Rigides SOC

6.7 Ertrag für die Seelsorge

6.7.1 Lebenserfahrung als Ressource

6.7.2 Kommunikation auf unterschiedlichen Ebenen

6.7.3 Gesundheitsfördernder oder gesundheitsgefährdender Glaube?

Modifikation des SOC

7.1 Konsistenz

7.1.1 Wertorientierte Seelsorge

7.1.2 Zielorientierte Seelsorge

7.1.3 Gemeinschaftsorientierte Seelsorge

7.2 Belastungsbalance

7.2.1 Ich-Identität als Ressource

7.2.2 Gotteserfahrung als Ressource

7.3 Partizipation

7.3.1 Liebe und Vergebung

7.3.2 Dankbarkeit

7.3.3 Begabung und Berufung

Grundzüge einer salutogenen Seelsorge

8.1 Seelsorge – ein geistliches Geschehen

8.1.1 Der Seelsorger

8.1.2 Hinweise zur Gesprächsführung (Petra Holey)

8.1.3 Seelsorge als „Trialog“

8.1.4 Prophetische Eindrücke im seelsorgerlichen Gespräch (Kristin Kissmann)

8.2 Präventivseelsorge

8.2.1 Seelsorge an glücklichen Menschen

8.2.2 Ehe- und Familienseelsorge (Petra Holey)

8.2.3 Seelsorge durch Erwachsenenbildung

8.2.4 Aufsuchende Seelsorge

8.3 Seelsorge als Teil eines Transformationsprozesses

8.3.1 Verstehen

8.3.2 Gestalten

8.3.3. Sinn finden

8.4. Abschließende Bemerkungen

Anhang

Anhang 1: Fragebogen zur Lebensorientierung

Anhang 2: Endnoten

Literaturverzeichnis

Über die Autorinnen

Kopiervorlagen

„Ich bin, das ist mein Name auf ewig.“

Exodus 3, 14+15

Du bist der „Ich bin“

So gibst du dich hin –

Mein Lebendigmacher

Mein Liebeentfacher

Mein Finsternisvertreiber

Mein Wüstenbegleiter

Mein Schönheitserfinder

Mein Sinnbegründer

Mein Friedenvermittler

Mein Gedankenaufrüttler

Mein Gelassenheitsgeber

Mein Haupterheber

Mein Geborgenheitsschenker

Mein Schrittelenker

Mein Welterhalter

Mein Farbengestalter

Mein Freudenspender

Mein Schicksalswender

Mein Verheißungserfüller

Mein Lebensdurststiller

Mein alles in allem – in Perfektion

Manchmal wünscht ich, ich sähe dich schon!

MARINA FRANZ

1.  Einleitung

 

Ist die christliche Seelsorge in der Krise? Zumindest drängt sich mir dieser Eindruck auf, wenn ich sehe, dass Menschen über Jahrzehnte auf der Stelle treten. Obwohl sie Seelsorge in Anspruch nehmen, kommen sie oft nicht über die Beschreibung ihres Problems und der wahrscheinlichen Ursachen hinaus. Sind sie alle ein Fall für den Therapeuten? Kann man Seelsorge üben, ohne erst zum psychologischen „Experten“ oder Therapeuten werden zu müssen? Ist es möglich, Seelsorge zu betreiben, ohne sich in der Konzentration auf Krisen, Probleme und deren Ursachen zu verlieren? Haben spirituelle Elemente ihren Platz in der Seelsorge? Warum wird so wenig von der befreienden, heilenden Kraft des Evangeliums sichtbar? Wie entstehen eigentlich Heilung und Heil? Wie wirkt sich die Rettung durch Christus in unserem Leben heilsam aus? Was macht Seelsorge zu christlicher Seelsorge und was unterscheidet sie von anderen Seelsorgekonzepten?

Das waren sehr grundsätzlich Fragen. Je länger ich darüber nachdachte, umso mehr wurde mir bewusst, dass die Antworten aus der Theologie kommen müssen. Eine Studentin meines Mannes, mit der ich mich über all diese Fragen unterhielt, empfahl mir das Buch von Antonovsky: „Salutogenese“. Eine bessere Buchempfehlung hätte ich nicht bekommen können.

Im Rahmen eines Forschungsprojektes stieß Antonovsky auf eine Gruppe von Holocaustüberlebenden, die über eine gute psychische und physische Gesundheit verfügten, während 70 % ihrer Leidensgenossen erwartungsgemäß körperlich und/oder seelisch erkrankt waren. Dies führte ihn weg von der pathogenetischen2 Fragestellung „Was macht Menschen krank?“ hin zu der Frage der Salutogenese: „Was erhält bzw. macht Menschen gesund?“ Als Antwort auf die salutogenetische Fragestellung formulierte er das Modell des „sense of coherence“ 3 (SOC) mit den drei Komponenten Verstehbarkeit, Gestaltbarkeit und Bedeutsamkeit.

Antonovsky war der Auffassung, dass die Frage nach der Ursache von Gesundheit und Heil nur disziplinübergreifend beantwortet werden kann – damit hatte er mich gewonnen. Begeben Sie sich mit mir auf die spannende Suche nach Antworten aus der Theologie auf die Frage: Wie entstehen Gesundheit und Heil?

2.  Über dieses Buch

 

2.1   Marina Franz

Erkenntnistheoretische Grundlage dieses Buches sind meine Forschungen im Rahmen meines Masterstudienganges in praktischer Theologie mit dem Schwerpunkt Seelsorge, den ich 2011 abgeschlossen habe. Das erklärt an einigen Stellen den Sprachstil dieses Buches. Große Teile der wissenschaftlichen Untersuchung habe ich zugunsten der Lesbarkeit und des Praxisteils entfernt. Ausgehend von der Fragestellung „Wie entstehen Gesundheit und Heil?“ war es erforderlich, die Frage nach der Entstehung von Gesundheit und Heil aus der Theologie heraus zu beantworten. Es war zugleich die Frage nach dem „WAS“? Was macht Seelsorge zu christlicher Seelsorge und was ist von daher für diese unaufgebbar? Außerdem habe ich das Konzept der Salutogenese analysiert, um es für den speziellen Kontext der christlichen Seelsorge fruchtbar zu machen, weiterzuentwickeln und gegebenenfalls zu modifizieren. Dies ist im Text unter „Ertrag für die Seelsorge“ erkennbar. Überall, wo die Salutogenese von Antonovsky meine Art, Seelsorge zu denken und zu tun, inspiriert hat, finden sich im Text sogenannte „Boxenstopps“. Auf der Rennstrecke sind Boxenstopps die Orte, an denen ganz kurz angehalten wird, um aufzutanken (Inspiration), neue Reifen zu montieren (Motivation) und kleinere mechanische Einstellungen vorzunehmen (Reflexion). Die Boxenstopps sind Teil der Boxengasse, ein Streckenabschnitt, der parallel zur Rennstrecke verläuft und eine Einfahrt oder Ausfahrt zur Rennstrecke hat. Dieses Bild beschreibt recht gut, welche Rolle die Salutogenese für die Entwicklung des hier beschriebenen Seelsorgekonzeptes gespielt hat. Die Fragen, die sich aus der Salutogenese an die Seelsorge ergeben, werden hier aus praktisch-theologischer Sicht beantwortet. Die Aspekte, die sich aus der Salutogenese für die Seelsorge ergeben und diese bereichern, werden explizit formuliert.

Aus der Theorie ergeben sich natürlich auch Fragen zur Praxis. Es war die Frage nach dem „WIE“? Wie könnte christliche Seelsorge geübt werden, damit sie Gesundheit und Heil fördert und ermöglicht? Hier haben mich der Austausch und die Zusammenarbeit mit meiner Freundin, Petra Holey, sehr inspiriert. Sie ist systemische Familientherapeutin und hypnosystemische Traumatherapeutin mit eigener Praxis (http://www.familientherapie-dohna.de/über-mich/). Zudem ist sie aktiv in der Gemeindearbeit tätig. Gemeinsam haben wir im Lauf der Jahre ein Schulungsprogramm für Gemeindeseelsorge mit dem Namen „Soterio-Seel“ im Rahmen des Studienprogramms der Theologisch-Missionswissenschaftlichen Akademie (www.horizonte-weltweit.de/thema/) entwickelt. Es sind unterschiedliche Arbeitsmaterialien für konkrete Gesprächssituationen entstanden. Diese ermöglichen es, die gewonnenen Erkenntnisse auf einem allgemein verständlichen Niveau anzuwenden. Entsprechende Arbeitsblätter finden sich im Anhang als Kopiervorlagen. Dabei haben wir insbesondere theologische Aspekte bearbeitet, weil es unser Anliegen ist, dass christliche Seelsorger ihre christlichen Schätze neu entdecken und einzusetzen in der Lage sind. Die theoretische Grundlage für einen Teil der Arbeitsmaterialien hat Petra Holey formuliert. Sie finden sich ebenfalls in den Boxenstopps. Das Buch wird damit ein Beitrag aus der praktischen Theologie zu der Frage nach den Bedingungen von Heil und Gesundheit sein.

2.2   Petra Holey

Völker gebe ich für dich hin, ja die ganze Welt, weil du mir so viel wert bist und ich dich liebe. (Jes 43,4)

Du hast mich geschaffen mit Leib und Geist, mich zusammengefügt im Schoß meiner Mutter. Dafür danke ich dir, es erfüllt mich mit Ehrfurcht. An mir selber erkenne ich: Alle deine Taten sind Wunder! (Ps 139,13+14)

Die Fragen nach der eigenen Identität beschäftigen die Menschen schon seit Generationen. Eine Antwort ist in der persönlichen Erkenntnis von Gottes einzigartigem Schöpfungswerk zu finden.

Die Menschen sind seit vielen Jahrhunderten bestrebt, das menschliche Wesen zu ergründen und zu verstehen. Dabei wurden viele kreative Ideen in der Vergangenheit und Gegenwart entwickelt. Die Psychologie hat dort in dem letzten Jahrhundert enorme Fortschritte gemacht. Viele Seelsorgemodelle haben diese neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse in ihre Konzepte einbezogen. Dazu gehören verschiedene Testmöglichkeiten oder Methoden, um den Charakter des Menschen einzuordnen. Leider besteht dabei oft die Gefahr, dass sich Stereotypen oder eine ungesunde Selbstsicherheit des beratenden Menschen entwickeln.

Die Seelsorge hat in ihrer Geschichte dabei etwas Wertvolles verloren: die Entdeckung von Gottes Wunderwerk, das in jedem Menschen steckt, und oft auch eine bedingungslose Liebe zu den Menschen. Erstaunlich ist, wie unbarmherzig der Mensch mit sich selbst und seinem Mitmenschen immer wieder umgeht. Gottes Liebe zu den Menschen hat so viele Gesichter wie seine Wertschätzung, seine bedingungslose Annahme, seinen Respekt und Achtung, seine liebevolle Zuwendung und vieles mehr. In meiner jahrelangen Tätigkeit als Familientherapeutin habe ich gelernt, dass die Sehnsüchte des Menschen nicht kompliziert sind. Er sucht genau nach diesen Bedürfnissen wie Liebe, Annahme und Wertschätzung.

Die Probleme der Menschen haben sich in den unterschiedlichen Zeitepochen nicht viel verändert. Als Familientherapeutin begegne ich immer noch Unversöhnlichkeit, Neid, Streit in den Familien. Für das menschliche Zusammenleben gibt die Bibel eine Vielfalt an Richtlinien. Gottes Wort ist bis heute lebensnah, aktuell und relevant. Trotz neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Psychologie und ihrer methodischen Anwendungen braucht es für die Seelsorge ein neues Besinnen auf die theologischen und die biblischen Grundwerte. Nach vielen Überlegungen und Diskussionen mit meiner Freundin Marina Franz hat sich das Curriculum Soterio-Seel entwickelt. Soterio-Seel möchte die biblischen Wurzeln für die Seelsorge neu entdecken, vermitteln und den Seelsorger mit dem nötigen Handwerkszeug ausrüsten.

Dieses Buch soll für den Leser eine Ermutigung und Inspiration für die Anwendung in der Seelsorge sein.

3.  Theologisches Vorverständnis von Seelsorge

 

Christliche Seelsorge bedarf theologischer Auswahl- und Bewertungskriterien für ihre Modellbildung, damit sie nicht Gefahr läuft, „sich theologiefremde Paradigmen ins Lebenshaus zu holen.“4 Aufgrund dieser Bewertungskriterien ist zu entscheiden, ob ein Modell oder eine Methode in die christliche Seelsorge übernommen werden kann oder nicht.

3.1   Das Gottesverständnis

Den Ausführungen in diesem Buch liegt ein trinitarisches Gottesverständnis zugrunde von Gott als Person, der zu den Menschen in eine lebendige Beziehung tritt, indem er sich auf dreifache Weise dem Menschen offenbart:

Gott, der Vater, als der lebenspendende Schöpfer (Joh 5,26)

Gott, der Sohn Jesus Christus als der rettende Erlöser (1 Joh 4,14)

Gott, der Heilige Geist, der erneuert und bevollmächtigt (Apg 1,8)

Aus diesem Verständnis heraus ergeben sich entsprechende Bilder vom Menschen, dem Adressaten christlicher Seelsorge, und dem Ziel dieser Seelsorge.

3.2   Perspektive der Seelsorge

Die Perspektive für diesen Seelsorgeansatz ist aufgrund des dargelegten Gottesverständnisses eine dreifache: Sie ist lebensbejahend, heilshaltig und fördert Entfaltung.

3.2.1  Seelsorge ist lebensbejahend

Die Grundannahme christlicher Seelsorge ist: Es gibt einen Gott. Allerdings wüssten wir nichts von ihm und könnten nichts über ihn sagen, wenn er sich uns nicht vorgestellt hätte. Deshalb sprechen wir beim Christentum von einer Offenbarungsreligion. Die Initiative ging von Gott aus, er geht sozusagen aus sich heraus. Er stellt sich uns vor als der, der schon immer da war und der wirksam war und ist. Als die Erde noch verborgen war, war der Geist Gottes schon aktiv. Der Geist Gottes bewegt sich und setzt in Bewegung, er ist lebendig und macht lebendig (siehe auch 2. Kor 3,6). Heute würden wir sagen: Gott ist outgoing, extrovertiert, in der Bibel heißt es: „Und Gott sprach, Gott machte, Gott schuf.“ (Gen 1). Gott, der lebenspendende Schöpfer, offenbart sich in Wort und Tat. Wenn Gott spricht, geschieht etwas Neues. Wenn Gott mit uns redet, werden wir vitalisert. Ein Wort von Gott macht Unmögliches möglich. Ein Wort von Gott – und was nicht da war – ist plötzlich da: „Licht werde – und Licht ward“ (Gen 1,3).

Gott zeigt uns, wie er ist, mit dem, was er tut. An der Schöpfung können wir sein unsichtbares Wesen, seine ewige Macht und Kraft, seine göttliche Majestät und Größe erkennen (Röm 1,19–21). Mitten im Leiden bekennt Hiob: „Du kannst das Vieh und auch die Vögel fragen, sie würden dir die rechte Auskunft geben. Die Erde sagt es dir, wenn du sie fragst, die Fische wüssten es dir zu erzählen. Die ganze Schöpfung weiß es, spricht es aus: Dies alles hat die Hand des Herrn gemacht! Von seiner Macht hängt jedes Leben ab, der Atem aller Menschen kommt von ihm.“ (Hiob 12,7–10).

Von Anfang an sehen wir, dass Gott, der Schöpfer, es gut meint mit seinen Geschöpfen. Er sagt Gutes und er macht Gutes. Als er zum allerersten Mal mit seinen Geschöpfen spricht, segnet er sie, das heißt, er spricht Gutes über ihnen aus (Genesis 1, 22 und 28). Hier offenbart sich der Charakter wahrer Vaterschaft.

Wir sehen, dass Gott die Menschen nicht nur lebendig macht, sondern auch grundsätzlich lebensfähig. Mit der Befähigung zu leben gibt er ihm auch die Fähigkeit, dieses Leben zu bewältigen und zu gestalten. Der Mensch ist sozusagen „lebensbegabt“.

Angesichts eines lebenspendenden und lebenerhaltenden Gottes muss christliche Seelsorge Antworten geben auf die Fragen: „Wo komme ich her? Wo gehöre ich hin? Wie können wir leben? Wie bleibe bzw. werde ich gesund? Wie wird mein Leben ein erfülltes Leben?“ – „Wie kann ich mein Leben gestalten, dass es ein gutes Leben wird?“ Sie fragt ihrerseits: „Wie geht es dir? Wie kommst du mit den Herausforderungen des Lebens zurecht? Wie lebst du deine Beziehung zu Gott, zu dir selbst, zu deiner Umwelt und zu deinen Mitmenschen?“ In diesem Sinne stärkt christliche Seelsorge Lebensfähigkeit. In unserem Kulturkreis ist lebenskompetent, wer „sich selbst kennt und mag, empathisch ist, kritisch und kreativ denkt, kommunizieren und Beziehungen führen kann, durchdachte Entscheidungen trifft, erfolgreich Probleme löst und Gefühle und Stress bewältigen kann.“5 In welch hohem Maße christliche Seelsorge genau diese Fähigkeit fördert, wird in den weiteren Ausführungen deutlich. Die Berufung und Ermächtigung zum Leben ist eine Voraussetzung für die Entwicklung von Seelsorgekonzepten. Sie schließt die Berufung zum Heil mit ein, was uns zum nächsten Aspekt seelsorgerlichen Handelns führt.

3.2.2  Seelsorge ist „heilshaltig“

Seelsorge muss heilshaltig sein, weil Jesus Christus uns zum Heil gesandt ist. Heil ist hier im Sinne von Rettung, als Vergebung der Sünden gemeint. Das Wort „soter – Retter“ für Jesus wird überwiegend in den Pastoralbriefen verwendet, hat also für die Praxis der Gemeindearbeit und damit für die Seelsorge eine herausragende Rolle.6 Die Rettung bezieht sich sowohl auf die in der Gegenwart erfahrbare Vergebung als auch auf die Zukunft, wenn Christus die Gemeinde sich selbst in Vollendung darstellt. Die Gnade der Vergebung wirkt sich heilsam, also Heil bringend, auf unser Leben aus (Tit 2,11). Es ist die Soteriologie, die Seelsorge zu christlicher Seelsorge macht. Sie wird zum wesentlichen Bewertungskriterium, das der Seelsorge von der Theologie gegeben ist. In diesem Sinne gibt sie Antworten auf die Fragen: „Wie kann mein Leben (noch) gelingen angesichts meiner Schuld, meines Versagens und Scheiterns? Kann ich noch mal von Neuem beginnen? Kann der Schaden von mir widerfahrenem Unrecht geheilt werden?“ Sie fragt ihrerseits: „Hast du die Vergebung, die Gott dir in Jesus Christus anbietet, angenommen? Hast du Gewissheit dieser Vergebung? Bist du bereit, denen die Schuld zu erlassen, die an dir schuldig geworden sind? (Mt 6,12)? Wie wirkt sich das zuteilgewordene Heil heilsam in deinem Leben aus – ganz im Sinne von Phil 2, 12? Wird dein Leben angesichts von Morbidität und Mortalität von der Hoffnung auf ein ewiges Heil getragen, die weit über unsere Hinfälligkeit und den Tod hinausweist?“ Die Berufung zum Heil schließt die Berufung und Befähigung zum Dienst mit ein, was uns zum dritten Aspekt seelsorgerlichen Handelns führt.

3.2.3  Seelsorge fördert Entfaltung

Aus theologischer Sicht ist der Mensch nicht nur sich selbst zugute errettet. Vielmehr erschließt sich ihm durch die erfahrene Vergebung und das Geschenk des neuen Lebens erst in rechter Weise seine Bestimmung: etwas sein zum Lob der Herrlichkeit Gottes (Eph 1,11+12) und etwas tun zum allgemeinen Nutzen (1 Kor 12,7). Sowohl mit Blick auf die schöpfungsgemäß empfangenen Fähigkeiten als auch auf die übernatürlichen Begabungen, die der bevollmächtigende Heilige Geist schenkt (Röm 12; 1 Kor 12 und Eph 4), unterstützt Seelsorge auf der Suche nach Antworten auf die Fragen: „Welche Befähigungen habe ich erhalten, welche Ressourcen stehen mir zur Verfügung und wie kann ich diese zum eigenen Wohl und zum Wohl anderer einsetzen? Wie können sich das von Gott geschenkte Leben, das empfangene Heil und die Kraft des Heiligen Geistes in meinem Leben entfalten?“ Sie stellt ihrerseits die Frage: „Welche Begabungen, Kenntnisse, Fertigkeiten hast du und wie kannst du sie lebensfördernd – für dich und andere – einsetzen? Wie setzt du den Auftrag Jesu, Zeuge seines Heils in dieser Welt zu sein, um? Welchen Beitrag kannst du geben, um lebenspendende, Heil bringende Prozesse im Leben anderer zu fördern?“

3.3   Der Seelsorgebegriff in der Bibel

Auch wenn das Wort „Seelsorge“ als solches in der Bibel nicht zu finden ist, kommt der Sachverhalt dessen, was allgemein als Seelsorge bezeichnet wird, insbesondere an den Stellen zum Ausdruck, wo im Griechischen die Worte parakalein, paraklesis7, parakaleo8 verwendet werden. Seelsorgerlich gefärbte Termini gibt es im NT mehr als „parakalein“, beispielsweise „nouthesia“, auf dem das Seelsorgemodell von Jay Adams aufbaut. Hier soll jedoch das Verständnis von Seelsorge als Paraklese näher entfaltet werden. Die Nähe zu dem Parakleten ist unübersehbar und macht deutlich, dass dem Heiligen Geist eine entscheidende Rolle in der Seelsorge zukommt. Thurneysen drückt es so aus: „Seelsorge muss in jedem Wort, das sie spricht, mit dem Heiligen Geist rechnen, um den Heiligen Geist beten, oder sie ist keine Seelsorge.“9 Zugespitzt gesagt: Ohne parakletos kein parakalein. Diese Rolle übt er in zweifacher Weise aus.

3.3.1  Das unmittelbare Wirken des Heiligen Geistes

Der Heilige Geist wirkt unmittelbar an den Menschen, indem er sie tröstet und ihnen beisteht (Joh 14,16–18), sie von Sünde überführt, lebendig macht (2 Kor 3,6), in die Wahrheit leitet (Joh 16,8.9.13), sie lehrt (1 Joh 2,27) und Jesus verherrlicht (Joh 16,14). Ferner erfüllt er die Herzen der Glaubenden mit der Liebe Gottes (Röm 5,5) und vertritt sie vor ihm im Gebet (Röm 8,26). Kurz gesagt: Durch das Wirken des Heiligen Geistes erfahren Menschen das Heil Gottes in Jesus Christus und erleben die Gegenwart der Königsherrschaft Gottes im eigenen Leben. Durch den Heiligen Geist werden Menschen von Neuem geboren (Joh 1,13; 3,3+5). Es ist der Heilige Geist, der Menschen von innen her erneuert und befähigt, Gottes Willen zu tun (Eph 4,23).

3.3.2  Das mittelbare Wirken des Heiligen Geistes

Der Heilige Geist wirkt mittelbar an den Menschen, indem sie einander in der Kraft des Heiligen Geistes ermutigen, trösten, ermahnen, beistehen und gut zureden (1 Thess 5,11).

Er wirkt unmittelbar (siehe 3.1.) und mittelbar an den Menschen, indem er manchen Christen das Charisma der Seelsorge schenkt, was sie in besonderem Maße dazu befähigt, anderen in der beschriebenen Weise zu dienen (Röm 12,8).

Seelsorge im Sinne der Paraklese ist also ein Dienst an Menschen, indem „ermahnender Zuspruch als Erweisung der Kraft des Geistes, Tröstung und Ermunterung durch das gegenwärtige und zukünftige Heil Gottes und durch das bittende Ersuchen um Hilfe“10 (Gebet) geschieht. Zentrale Aufgabe der Seelsorge ist es, Räume zu schaffen, in denen der Heilige Geist an den Menschen wirken kann.

Zwar ist es sinnvoll, auch angesichts eines Charismas Ausbildung und Supervision in Anspruch zu nehmen. Jedoch hat bei keinem anderen Charisma eine derart starke Fremdbestimmung durch außertheologische Disziplinen stattgefunden wie bei der Seelsorge beispielsweise durch die Psychologie.

3.4.   Der Seelsorgeadressat

Aufgrund des hier entfalteten Verständnisses von dem dreieinigen Gott ergeben sich folgende Bilder vom Menschen: Er ist

Geschöpf und Ebenbild Gottes,

er ist Sünder, Erlöster und Kind Gottes (sofern er auf Christus vertraut) und

er ist ein begabter Beauftragter.

3.4.1.  Der Mensch: Geschöpf und Ebenbild Gottes

Seelsorge wendet sich an den Menschen als das bedürftige, erregbare und verletzliche „Lebewesen ..., das das Leben weder aus sich selbst gewonnen hat noch erhalten kann, sondern das in vitalem Begehren auf Leben aus ist“(Hebräisch: „nephesch“).11 Die gute biblische Botschaft lautet: „Du Mensch bist erwünscht – von Gott erwünscht in diese Welt gekommen.“ Gott selbst hat es gesagt: „Ich habe dich gemacht, nach meinen Vorstellungen und meinem Vorbild – mir ähnlich (Gen 1,26). Ich habe dich gesehen, als du dem Blick von Menschen noch verborgen warst“ (Ps 139,13.15.16). Eine Wahrnehmungsübung hierzu findet sich in den Kopiervorlagen. Wir werden aufgefordert, von Jugend an an unseren Schöpfer zu denken (Pred 12,1; Apg 17,22-30) und ihm zu danken. Das war die Schöpfungsabsicht Gottes: Er hat mit dem Menschen gesprochen und ihm die Fähigkeit geschenkt, zu antworten. Paulus beschreibt, was geschieht, wenn wir das nicht tun: Dann laufen unsere Gedanken ins Leere, und in unseren Herzen wird es finster (Röm 1,21).

Die Bibel verschweigt nicht die Zeiten im Leben von Menschen, in denen es ihnen lieber gewesen wäre, nicht geboren worden zu sein. Selbst der von Menschen unerwünschte Mensch darf sich klagend an seinen Schöpfer wenden, der ihm antworten wird. Ein eindrückliches Beispiel ist Hiob. Aufgrund erfahrenen Leides wünscht er sich, nie geboren worden zu sein und zu sterben (Hiob 3,3). Ähnliches sehen wir bei Jeremia, der den Tag seiner Geburt verflucht. Beide wenden sich mit ihrer Klage an ihren Schöpfer. – Nichts bleibt ungesagt, Klage ohne Zensur. Bei beiden sehen wir, dass die Klage nicht ohne Antwort bleibt: „Ich stärke dich und erleichtere deine Last“ (Jer 15, 10f). Petrus drückt es so aus: „Alle, die nach Gottes Willen zu leiden haben, sollen sich ganz ihrem Schöpfer anvertrauen“ (1 Pe 4,19).