Christsein in nachchristlichen Zeiten - Johannes Stockmayer - E-Book

Christsein in nachchristlichen Zeiten E-Book

Johannes Stockmayer

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Beschreibung

Vieles deutet darauf hin, dass wir in einer nachchristlichen Zeit leben. Der christliche Glaube hat an Bedeutung verloren. Christliche Werte sind nicht mehr prägend für unsere Gesellschaft. Eine zunehmende Anzahl von Menschen kann mit Gott, Jesus und der Bibel nichts mehr anfangen. Gleichzeitig erleben wir eine sich verschlechternde Weltlage mit Krisenbefürchtungen, Kriegsdrohungen, Flüchtlingselend und dem stillen und aussichtslosen Leiden vieler Menschen auf dieser Erde. Aufgrund fehlender Ideen und Perspektiven macht sich Resignation breit: War es das schon? Sind wir am Ende der Weltgeschichte angelangt? Christen sind Menschen mit einer unbeschränkten Hoffnung. Die Schwierigkeiten machen sie nicht handlungsunfähig, da sie eine Perspektive haben: Vor ihnen steht nicht das endgültige Chaos, sondern ein Neuanfang. Sie schauen nicht auf das, was zu Ende geht, sondern auf den, der kommt: Jesus Christus. Dieses Buch will vorbereiten und Mut machen für die Situation, wenn nichts mehr so ist, wie es einmal war. Für Christen geht es darum, noch einmal ganz neu die Wurzeln ihres Glaubens zu entdecken und sich von Gott völlig verwandeln zu lassen. Dadurch werden sie für andere Menschen zum Licht in dunklen Zeiten.

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Johannes Stockmayer

Christsein in nachchristlichen Zeiten

Wir erwarten einen neuen Himmel und eine neue Erde

GloryWorld-Medien

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. E-Book-Auflage 2016

© 2016 Johannes Stockmayer

© 2016 GloryWorld-Medien, Xanten, Germany, www.gloryworld.de

Alle Rechte vorbehalten

Bibelzitate sind, falls nicht anders gekennzeichnet, der Lutherbibel, Revidierte Fassung von 1984, entnommen.

Das Buch folgt den Regeln der Deutschen Rechtschreibreform. Die Bibelzitate wurden diesen Rechtschreibregeln angepasst.

Lektorat: Bettina StockmayerSatz: Manfred MayerUmschlaggestaltung: Kerstin & Karl Gerd Striepecke, www.vision-c.deFoto: photocase

ISBN (epub): 978-3-95578-405-8

ISBN (Druck): 978-3-95578-305-1

 

 

Inhalt

Vorwort

1. Der Anfang von allem: Rede und schweige nicht

2. Bestandsaufnahme: Der neue Tag beginnt am Abend

3. Die derzeitigen Verhältnisse: Große Umbrüche geschehen

4. Unsere Chance: Neu werden

5. Der Weg nach vorn: Beziehungen leben

6. Die Voraussetzung: Warten in der Stille

7. Charakterbildung: Starke Schwachheit

8. Der Übergang: Sterben, um zu leben

9. Das Leben danach: Herausfordernd anders

10. Der große Gewinn: Freiheit

11. Finale: Das Licht des neuen Tages

Anhang: Der neue Lebensstil – Das Abc der Liebe

Anregung: „Nicht-von-der-Welt-Gemeinschaft“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Den Abend lang währet das Weinen, aber des Morgens ist Freude.

Psalm 29,6

 

 

Es ist das Licht noch eine kleine Weile bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingeht. Glaubt an das Licht, solange ihr´s habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet.Das redete Jesus und ging weg und verbarg sich vor ihnen.

Johannes 12, 35-36

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir gehen einem Ende entgegen,das Erfüllung,positive Vollendung von Gottes Liebeswirken ist.Einem Ende, das nicht das unmittelbareoder direkte Ergebnis des menschlichen Handelns,sondern Heilshandeln Gottes ist:der letzte Pinselstrich an jenem Gemälde,das er selbst begonnenund an dem er uns als freie Mitarbeiter beteiligt hat.Der letzte Sinn unseres Daseins erfüllt sichselbst über den Tod hinausin der persönlichen und gemeinschaftlichen Begegnungmit dem Gott, der Liebe ist.

 

Papst Franziskus1

 

 

 

1 Aus: Die wahre Macht ist der Dienst, Herder, Freiburg 2014, S. 168.

Vorwort

Das Heute ist nicht alles – aber was wird morgen sein?

Manchmal hat es den Anschein, als würden wir in einer nachchristlichen Zeit leben: Der christliche Glaube hat an Bedeutung verloren. Christliche Werte sind nicht mehr prägend für unsere Gesellschaft. Eine zunehmende Anzahl von Menschen können mit Gott, Jesus und der Bibel nichts mehr anfangen.

Gibt es keine Hoffnung? Gibt es nichts, was Mut machen kann angesichts der sich verschlechternden Weltlage mit Krisenbefürchtungen, Kriegsdrohungen, Flüchtlingselend und dem stillen und aussichtslosen Leiden vieler Menschen auf dieser Erde?

Aufgrund fehlender Ideen und Perspektiven macht sich Resignation breit: War es das schon? Sind wir am Ende der Weltgeschichte angelangt? Wenn nun aber auch die Christen nach dem Motto leben: „Der Letzte macht das Licht aus“, dann wird es bald stockfinster sein.

Was wird sein, wenn es Abend wird und die Nacht anbricht? Darüber habe ich mir Gedanken gemacht. Ich will Mut machen für diese Situation, wenn nichts mehr so ist, wie es vielleicht einmal war. Ich stelle mir vor, dass die Christen am Abend noch einmal ganz neu die Wurzeln ihres Glaubens entdecken, dass sie sich zusammenfinden und zusammenschließen. Und vor allem, dass sie hoffnungsvoll und zuversichtlich nach vorn schauen: Nach der Nacht beginnt der neue Morgen!

Die Dunkelheit kann uns nicht besiegen: Christen sind Menschen mit einer unbeschränkten Hoffnung. Ihnen wird die Zeit nicht zu lang, der Kampf nicht zu heiß und die Trübsal macht sie nicht handlungsunfähig, denn sie haben eine Perspektive: Vor ihnen steht nicht das endgültige Chaos, sondern ein Neuanfang. Sie schauen nicht auf das, was zu Ende geht, sondern auf den, der kommt: Jesus Christus. Der neue Tag beginnt bereits am Abend – durch die erwartungsvolle Hoffnung, die den Mut nicht sinken lässt, niemals!

Ich stelle mir in diesem Buch vor, wie es sein wird, wenn die Abenddämmerung einsetzt. Der Abend hat seine ganz eigene Bedeutung: Er ist die Zeit des Zur-Ruhe-Kommens, des Rückblicks und des Abschlusses von allem, was war. Am Abend werden auch die Konturen klarer, die Gegensätze schärfer, Auseinandersetzungen bahnen sich an um die geringer werdenden Ressourcen. Was jetzt noch geklärt werden kann, muss bearbeitet werden, anderes bleibt unerledigt. Verzweiflung bricht auf über die verrinnende Zeit. Und vielleicht ergreift auch Angst die Menschen angesichts der bevorstehenden Nacht.

Ich möchte uns vorbereiten auf die Zeit, wenn es völlig dunkel geworden ist. Unsere einzige Chance ist es, das loszulassen, was nicht mehr wichtig ist, um frei zu werden, damit wir uns einlassen können: Wir nehmen all unsere Kräfte und unseren ganzen Mut zusammen und bestätigen uns immer wieder, dass wir nicht verloren sind – denn Jesus ist bei uns in der Finsternis. Und je weiter die Nacht fortschreitet und sich fast unmerklich der Schein des Morgens am Horizont zeigt, je näher kommt er uns. Der neue Tag beginnt – und mit ihm wird alles neu! Weil wir wissen, dass die zunehmende Dunkelheit keine Macht hat, können wir gewiss und mutig unseren christlichen Glauben auch heute, in einer nachchristlichen Zeit, leben und bezeugen: Diese Welt vergeht – aber unser Herr kommt!

Deshalb ist es mein Anliegen, dass wir jetzt nicht über die verrinnende Zeit, die sich verschlechternden Verhältnisse und die zunehmende Gottlosigkeit klagen, sondern dass wir uns ausstrecken nach dem neuen Himmel und der neuen Erde. Und dass uns die Erwartung des Kommenden das Heute zu einer erfüllten und guten Zeit werden lässt: Wir leben als freie Menschen und sind Liebende. Dadurch werden wir für andere Menschen zum Licht: Wir haben eine Ausstrahlung. Das „Abc der Liebe“ im Anhang gibt Hinweise, wie das christliche Verhalten in nachchristlicher Zeit konkret aussehen kann.

Wer möchte, kann es für sich festmachen: Ich gehöre zur „Nicht-von-der-Welt-Gemeinschaft“! Es ist am Ende des Buches eine Anregung für alle, denen bewusst ist, dass sie zwar heute und in dieser Welt leben, aber dass sie nicht von dieser Welt sind und dass ihre Zukunft in Gottes Ewigkeit liegt.

Noch eine Empfehlung: Lesen Sie dieses Buch abschnittsweise. Markieren Sie die Abschnitte, die auf Sie zutreffen oder Sie ansprechen. Verweilen Sie bei den Gedanken, die Ihnen wichtig werden. Sie müssen dieses Buch nicht in einem Rutsch durchlesen, besser ist häppchenweise: vielleicht jeden Tag einen Abschnitt. So kann jeder Abschnitt wie der Lichtkegel einer Taschenlampe in der Dunkelheit sein und genau das beleuchten, was jetzt gerade wichtig ist.

 

Johannes Stockmayer

 

Kapitel 1: Der Anfang von allem: Rede und schweige nicht

Der Ruf Gottes.

Die Sonne stand bereits tief am Himmel, als ich mich auf den Weg machte. Ihr Licht wirkte müde. Sie hatte ihre Strahlen während eines langen Tages verbrannt. Sie rüstete sich für den Abend und es schien, als ob sie noch einmal alle Kräfte mobilisierte, um das Ende des Tages golden zu verklären.

Der Weg hinab war mühsam. Umso mehr, als ich ihn gar nicht gehen wollte. Mir schien jedes Hindernis, jeder Stein und jede schwierige Stelle zuzurufen: „Bleib! Geh nicht!“ Aber ich musste ja gehen. Ich hatte den Ruf gehört und deshalb konnte ich nicht bleiben. Ich musste hinunter ins Tal, aus dem mir der verbrauchte Dunst eines langen Tages entgegenschlug.

Dort oben war die Luft klar und der Blick weit. An manchen Tagen konnte ich bis hinter den Horizont blicken. Der Geist war frei und ich war Gott nahe. Der Blick nach innen und in die Weite wurde durch nichts verstellt. Die Stille, die mich umgab, war der Raum für ein immerwährendes Gespräch ohne Worte. Aber dann hatte ich Gott gehört und er hatte mich aufgefordert: „Geh!“ So musste ich gehen.

Ich wollte doch nicht fliehen wie Jona.

Dabei, das muss ich ehrlicherweise sagen, hätte es mich sehr verlockt, nicht hinunterzugehen, sondern mich hinaufzuflüchten, wo ich sicherer war, wo mich niemand sah und wo ich mich auch vor Gott verstecken konnte. Hinauf in die unzugänglichen Regionen der Gipfel. Hinauf in die faszinierenden Bereiche des Geistes, der eigenen Gedanken, meiner Vorstellungen von einer schönen Welt. Aber das durfte ich nicht. Ich musste hinab, wollte ich nicht wie Jona meine Gnade verlieren (Jona 2,9). Ich wollte mich nicht an das Nichtige halten, nicht an mich selbst verlieren.

Gottes Weg ist Gnade.

Was aber war die Gnade, die Gott mir geschenkt hatte? Was gab mir Gott mit auf diesen Weg in die Tiefen? Ich wusste es damals nicht sofort. Ich fühlte mich ausgeliefert und arm, sehr bedürftig. Erst später verstand ich, dass er mir sein Wort gegeben hatte. Wer das Wort gehört hat, kann reden. Wer die Herausforderung Gottes erfahren hat, kann herausfordern. Wer die Frage Gottes vernommen hat, weiß, dass es eine Antwort geben muss. Er macht sich auf die Suche, so wie ich. Und auf dem Weg wird er fündig. Ich erkannte, dass Gott auf diesem Weg bei mir war. Und da ich gehen musste, wollte ich seine Nähe nicht verlieren. Wäre ich meinen eigenen Weg gegangen, wäre es ein einsamer und damit mühevoller Weg geworden. So aber war ich mit Gott unterwegs. Hinab.

Der Weg führt hinunter.

Das war Gottes Weg schon immer gewesen, der Weg hinunter in die Tiefe. Nun wollte er, dass ich ihn begleite. Ich sollte sehen, was er tat auf diesem Weg, und ich sollte seine Stimme sein. Was er zu mir gesagt hatte, sollte ich weitersagen. Aber das wollte ich nicht. Ich liebte vielmehr meine Einsamkeit, die Verborgenheit meiner Höhle, die abgeschiedene Ruhe. Aber Gott sagte: „Es ist Zeit, dass du redest. Und es ist Zeit, dass du die Stummen zum Reden bringst.“ So habe ich mich aufgemacht, um zu reden, widerwillig und ungern.

Der weite Blick von oben.

Schon seit Längerem hatte ich festgestellt, dass sich drunten im Tal große Veränderungen anbahnten. Wer oben sitzt und hinabschaut, kann viel wahrnehmen. Wer still ist, hört das geheime Murmeln, wer beobachtet, der sieht, was geschieht noch bevor es sichtbar ist. Die Hinweise hatten sich gehäuft. Die große Schar der Kolkraben hatte sich versammelt, so als ob sie wichtige Dinge zu bereden hätten. Die Rotte der Wildschweine war in geordneter Reihe weiter hinauf in die Wildnis gezogen. Weg von den Menschen, in eiligem Zug. Wilde Stürme hatten die Bäume gelichtet. Sie wollten kein Ende nehmen. Und die feuchte Wärme, die von unten heraufdrang, kündete von stickiger Luft, von zunehmenden Problemen.

Der Abschied.

Ich musste gehen und so nahm ich Abschied von meiner Weltabgeschiedenheit und machte mich auf, die Menschen zu suchen. Ich sollte die Schweigenden zur Sprache bringen. Die, die bisher am Rand waren und bisher nichts gesagt hatten, sollten gehört werden. Die Leisen und Schwachen sollten sich zu Wort melden. Sie hatten etwas zu sagen. Sie waren wichtig. Jetzt, am Ende des Tages, war ihre Zeit gekommen. Es war wichtig, dass sie sich nun einmischten, nicht länger nur hinten standen, sie mussten nach vorn kommen. Denn ihre Botschaft war wichtig. Es waren endgültige Worte. Worte der Befreiung. Worte, die den Tag von der Nacht trennen würden. Es kam sehr darauf an, was sie sagten.

Mein Auftrag.

Meine Aufgabe ist es, am Abend die Schlafenden zu wecken und die Schweigenden zum Reden zu bringen. So erhebe ich also meine Stimme, obwohl ich selbst lieber ruhig wäre. Ich rufe den Menschen zu: „Redet. Kommt aus euren Orten des Rückzugs. Gebt das Privatleben auf und die schöne Bequemlichkeit der Gewohnheit und mischt euch ein. Genau ihr, die ihr euch bisher geduldig zurückgehalten habt, seid dran. Jetzt ist eure Stunde gekommen.“ Ich hoffe, dass ich gehört werde. Und ich wünsche mir, dass die Schwachen und Machtlosen das Feld nicht länger den Mächtigen und Starken überlassen.

Die Bequemen.

Ich ahne, wie schwer das werden wird. Meine Worte werden dicke Mauern durchdringen müssen. Die einen haben sich eingerichtet in ihrer Ohnmacht. Sie haben schon längst resigniert und aufgegeben. Sie tun nur noch, was auf einfache Weise möglich ist. Und das ist wenig. Sie pflegen ihre Ruhe, denn sie fürchten den Widerstand, den Kampf um Kleinigkeiten. So geben sie lieber gleich nach und erkaufen sich ihre Sicherheit durch den Verzicht auf ihre Wahrhaftigkeit. Sie kommen sich nicht gut dabei vor. Bisweilen plagt sie ein schlechtes Gewissen. Sie wollen deswegen nicht erinnert werden, dass es noch etwas anderes gibt.

Die Mutlosen.

Andere sind so verletzt, dass sie sich zurückgezogen haben, um sich zu schützen. Sie haben es versucht und ihre Stimme erhoben. Aber sie sind gescheitert. Sie wurden überwältigt von vielen Worten, sie wurden totgeredet. Ihre Meinung wurde missachtet oder verächtlich gemacht. Irgendwann sind sie zerbrochen. Die Beschämung war zu groß. Nun haben sie abgeschlossen mit allen Versuchen, etwas verändern zu wollen. Die Erinnerungen an ihre Niederlagen quälen sie und sie haben keinen Mut mehr, es erneut zu wagen.

Die Mächtigen.

Dann gibt es die wenigen, die so laut sind, dass es aussieht, als wären sie viele. Sie bestimmen alles. Sie bilden die Meinung und behaupten sie. Sie fühlen sich stark, denn sie gestalten die Trends. Sie sind ganz vorn und erwarten, dass ihnen die anderen folgen. Wer ihnen widerspricht, wird überredet, lächerlich gemacht oder einfach nur abgelehnt. Im schlimmsten Fall wird der Gegner für bedeutungslos erklärt, für ein Nichts. Auch diese Menschen können meine Stimme nicht hören, weil sie nur sich selbst vernehmen. Eine andere Meinung gibt es für sie nicht.

Die Schwachen.

Wer wird mich hören, wenn ich hinabgestiegen bin, um zu den Menschen zu reden? Ich weiß, es wird ein mühsames Unterfangen. Aber ich muss es tun. Ich muss reden. Denn Gott lässt mich nicht in Ruhe. Er will es. Deshalb kann ich die Menschen auch nicht in Ruhe lassen. Aber es gefällt mir nicht, es liegt mir nicht. Ich will lieber schweigen, beobachten. Der Abstand ist mir wichtig, die Nähe bedroht mich. Ich liebe den Widerspruch nicht und bin kein Kämpfer. Ich scheue die Auseinandersetzung. Aber genau von mir möchte Gott, dass ich losgehe. Die Schwachen, die Mutlosen, die Armseligen ruft Gott und schickt sie in den Kampf mit den Mächtigen. Wie soll das gehen?

Die Starken.

Das geht nur, weil Gott ihre Stärke ist und weil sie das wissen. Sie haben keine Chance. Es bleibt ihnen nicht anders, als sich ganz auf Gott zu verlassen. Sie kämpfen nicht für sich, sondern an Gottes Seite. Sie sind wenige, aber sie sind stark. Sie sind eine Minderheit und trotzdem hat ihr Wort Gewicht. Es ist Gott, der ihren schwachen Worten Bedeutung gibt. So gehe ich trotzdem. Ich riskiere den ersten Schritt. Es ist mein Schritt, den ich gehen soll. Und Gott geht mit. Das gibt mir die Bedeutung. Das lässt mich alles ertragen. Ich gebe mich zu erkennen, ich stelle mich in die Mitte. Ich wage es, dass alle anderen auf mich schauen. Trotzdem meiner inneren Widerstände gehe ich nach vorn. Und dieses Trotzdem ist nicht dickköpfiger Trotz und entspringt auch nicht einer Rebellion der Schwachheit, sondern es ist ein Dennoch.

„Kommt heraus!“

So spreche ich zu den Menschen. Ich rufe die Schwachen und Machtlosen, die Stillen, die Schweiger, die Menschen vom Rand, die sich bisher nichts zutrauten: „Kommt dennoch heraus. Werdet laut. Steht auf. Geht euren Schritt. Riskiert ein Wort. Sagt, was ihr denkt. Haltet euch nicht zurück! Öffnet euch. Öffnet die verschlossenen Türen und kommt heraus. Wenn euch die mächtigen Tore verschlossen sind, dann öffnet die Hintertüren. Sucht euch andere Wege, um die Gefängnisse zu verlassen. Tut alles, was möglich ist, aber verschließt euch nicht länger. Zieht euch nicht weiter in euch und euer Privatleben zurück. Es ist Zeit, eure Zeit. Kommt heraus aus der Verborgenheit und geht los.“

Losgehen.

Und du wirst sehen, wenn du den ersten Schritt getan hast, verändert sich etwas. Zuerst in dir, dann in dieser Welt. Alles wird anders. Im Losgehen wurde Israel zum Volk Gottes (Psalm 114,1-2). Im Losgehen werden auch wir zu Gottes Volk. Wir sind es nicht, wenn wir zurückbleiben, sondern erst dann, wenn wir es wagen, die Schritte zu gehen, die er uns führt. Denn dann sind wir abhängig von ihm. Bisher waren wir viel zu sehr mit uns beschäftigt, abhängig von unseren Umständen. Aber im Losgehen lassen wir los und werden neu. Wir gewinnen: Kraft, Sicherheit, Mut und Entschlossenheit. Wir werden verwandelt. Aus müden, resignierten Menschen werden mutige und entschlossene Kämpfer. Aber das geschieht erst, wenn wir gehen, wenn wir den ersten Schritt getan haben. Wenn wir uns ganz Gott überlassen.

Deine Antwort.

Du bist bestimmt für die Stürme dieser Tage. Der Sinn deines Lebens ist es nicht, dich nur um dich selbst zu kümmern. Du wärst in der Gefahr, zum Hüter deiner selbst zu werden, dich zu bewahren für nichts. Du sollst reden, weil du Gottes Reden gehört hast. Sein Wort hat dein Herz erreicht und aus deinem verzagten Herzen ein kühnes Herz gemacht.

Du zögerst noch und zweifelst. Aber du weißt tief in dir, dass du reden sollst. Und du weißt auch, dass dein Reden ein Antworten auf Gottes Anruf ist. Du gibst deine Antwort auf Gottes Frage: „Wer will mein Bote sein?“ Du weißt, dass du gemeint bist, und du sagst: „Ja“.

Du bist nicht allein.

Dein Ja ist entscheidend für alles Weitere. Durch dieses Ja öffnest du dich für Gottes Reden. Dein Ja ist der Schlüssel zu der Tür. Sie öffnet sich und du trittst hinaus ins Weite. Dein Ja ist die Antwort auf Gottes Ja zu dir. Dieses doppelte Ja macht dich stark. Du machst dich klein bei Gott, du birgst dich bei ihm. Mitten in der Welt hast du einen sicheren Ort in diesem Ja, in dieser starken Verbindung zwischen dir und ihm. Du bist nicht allein, niemals.

Ich kann nicht mehr ausweichen.

Da ist es wieder, dieses seltsame Gefühl des Sich-stellen-Müssens. Ich bin gemeint und es bleibt mir nichts anderes übrig, als zu gehen. Ich werde gefragt und muss Antwort geben. Dabei will ich gar nicht. Ich würde viel lieber bei mir bleiben und meinen Gedanken nachhängen. Aber Gott will mich, was kann ich anderes wollen?

Ich habe keine andere Wahl, als mich zu geben, mein Leben in die Waagschale zu werfen. Ich weiß: Alles Eigene erweist sich nun nicht mehr als Möglichkeit. In ihm steckt zwar keimhaft das, was wirklich wichtig ist und zählt, aber es bricht erst auf, wenn ich mich loslasse und bereit bin, das herzugeben, was mir so wichtig scheint. Wäre ich oben geblieben, bei mir selbst in meiner Höhle, hätte ich nichts von dem erfahren, was Gott tut. Mit mir. In dieser Welt. Ich hätte an mir vorbeigelebt, mein eigenes, eigentliches Leben verpasst.

Ich musste mich aufgeben, um mich zu gewinnen, es war nicht meine eigene Wahl, sondern ich wurde gewählt. Ich wurde genommen und gesetzt. Was hätte ich anderes tun sollen? Mich verweigern? Aber es ist gut, dass es nicht meine Selbstverwirklichung ist, dass ich gegangen bin, sondern Gottes Plan. Das hilft mir, alles zu ertragen, was ich erlebe.

Jetzt kommt alles zu seinem Ziel.

Ich weiß, es kommt fortan nicht auf mich an, wenn ich mein Wort erhebe, wenn ich rufe, schreie, nicht nachlasse. Ich tue es nicht für mich, für meinen Gewinn und nicht, um wichtig zu sein vor den Menschen dieser Welt. Ich konkurriere nicht mit vielen anderen Stimmen oder versuche mir mit Taktik und unterschwelligen Strategien Gehör zu verschaffen, sondern sage, was ich sehe.

Dabei bekommt die lange Zeit dort oben in der Einsamkeit, die Zeit des Schweigens, Hörens und Sehens in meiner Höhle, eine tiefe Bedeutung. Was ich dort gesehen habe, verstehe ich nun. Was ich in meinen Vorstellungen bisher nur erkannt habe, begreife ich jetzt. Ich kann es einordnen. Alles hatte eine Bedeutung. Nun erlebe ich, was ich bisher nur geahnt hatte. Und vor allem wird mir klar: Jesus will nicht, dass wir ihn nur verstehen, sondern er will vielmehr, dass wir ihm nachfolgen. Er will, dass unser Glaube Konsequenzen hat.

Mit Entschlossenheit und Klarheit.

Und so habe ich mich aufgemacht, um zu den Menschen zu gehen. Versteh mich nicht falsch. Ich bin ein Mensch wie du auch. Aber das musste ich mir erst mühsam klarmachen: Dass es der Weg von uns Menschen ist, zum Menschen zu werden. Ich komme vom Rand, von dort, wo der Blick weit ist. Deshalb habe ich viel gesehen. Aber der Überblick nützt nichts, wenn er nicht in der Tiefe ankommt und sich dort bewährt. Dort oben in den Bergen, am Rande, erfuhr ich Grenzen viel deutlicher. Ich musste mich mit mir selbst und meiner Begrenzung auseinandersetzen. Das hat meine Wahrnehmung geschärft. Hier unten sind die Grenzen diffus und unklar. Das führt zur Verstrickung oder zur Starrheit. Nun ist es mein Vorteil, dass ich weiß, wo die Grenzen sind, und dass ich gelernt habe, mit den Grenzen zu leben. Das gibt mir nun, hier unten im Tal, Entschlossenheit und Klarheit.

Ich bin ein Mensch wie du.

Aber ich sehe, was anders ist. Ich sehe, wo der Mensch aufhört und Gott beginnt. Ich weiß, dass die Welt Gottes Werk ist, nicht das Werk der Menschen. Und weil es so ist, kann Gott mit ihr tun, was er will. Er kann auch den Abend heraufziehen lassen und alles zum Ende bringen. Er hat die Macht, nicht die Menschen. Das ist der entscheidende Unterschied. Wer das nicht erkennt, geht in die Nacht und denkt, er könnte dafür sorgen, dass es hell bleibt. Er täuscht sich und kämpft gegen das, was er nicht ändern kann.

Es ist Gottes Welt.

Weil Gott sein Werk liebt, deshalb wacht er über seine Welt. Als ich auf dem Weg war, hinabzusteigen in die Welt der Menschen, habe ich nach und nach begriffen: Die Arbeit an der Welt ist Mitarbeit am Werk Gottes. Deshalb darf ich mich nicht aus der Welt zurückziehen. Deshalb muss ich mich einmischen, laut werden. Gott muss seine Welt zurückbekommen. Denn die Welt gehört ihm. Als mir das klar wurde, wurde mein Weg leichter, waren meine Schritte nicht mehr so mühsam und schwerfällig. Gott kommt in seine Welt. Und dort treffen wir uns. Wir haben beide das gleiche Ziel.

Jesus kommt in die Welt.

Jesus kommt, er ist auf dem Weg zu uns. Wenn Jesus wiederkommt, wird er nicht in die Welt hineingeboren und ihr ausgeliefert, wie es beim ersten Mal geschehen ist. Er kommt, um die Welt herauszuholen, um sie zu Gott zu bringen. Bei seinem ersten Kommen war er der Niedrige, nun ist die Welt niedrig. Er will sie erhöhen, neu schaffen, ihr neues Leben geben. Als Jesus in die Welt kam, hat sie ihn nicht aufgenommen. Nun wird er kommen und Gott wird die Welt aufnehmen, heilen und erneuern. Unser Gebet lautet: „Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt.“ Aber Gottes Ruf lautet: „Kommt heraus, kommt zu mir. Lasst los, was euch festhält, und seid bereit, die Schritte zu gehen, die euch aus euren Festlegungen und starren Vorgaben heraus in meine ewige Freiheit führen.“ Was wollen wir da anderes tun, als loszugehen?

Zur rechten Zeit.

Als ich unten angekommen war, stellte ich fest, dass der Abend bereits angebrochen war. War ich zu spät gekommen? Nein, bei Gott gibt es kein Zuspät. Ich war gekommen, um den Menschen zu sagen, dass Gott kommt. Und Gott hatte sich bereits aufgemacht. Aber er war noch nicht angekommen. Der Abend zeigte, dass das eine zu Ende ging, um dem anderen Platz zu machen. Doch der Übergang war noch nicht vollzogen, er war noch in vollem Gange.

Das war meine Stunde.

Ich sollte ansagen, dass die Zeit der Menschen vorbei war und dass bald die Zeit Gottes beginnen würde. Ich sollte die Menschen vorbereiten auf die Zeit, die dazwischenlag: die Stunden der Nacht. Nun war es an der Zeit, sich zu rüsten. Die Menschen sollten sehenden Auges in ihre Zukunft gehen. Bevor die Nacht begann, sollten sie wissen, dass es einen neuen Morgen gab. Und dass dieser neue Tag ihre Zukunft war. Sie sollten jetzt am Abend weiter sehen – so wie ich von der Warte meines Berges. Der Blick sollte ihren Horizont überschreiten. Das war mein Auftrag. Ich sollte den Menschen ansagen, dass es Abend geworden war und dass nach der bald anbrechenden Nacht ein neuer Morgen kommen würde. Dazu hatte ich meine geschätzte Einsamkeit aufgeben und war hinabgestiegen. Ich hatte mich aufgemacht, um Gott am Abend zu treffen. Dort unten, in der Welt. In seiner Welt.

 

 

Kapitel 2: Bestandsaufnahme: Der neue Tag beginnt am Abend

Die Welt geht ihrem Ende entgegen.

Der Abend ist angebrochen. Es ist der Abend des Lebens und der Abend der Welt. Eine entscheidende Zäsur bahnt sich an. Etwas ist alt geworden und wird sterben. Was bisher war, hört auf. Es geht nichts mehr so weiter wie schon immer. Etwas ganz Neues beginnt. Noch ist es unklar, was es sein wird und wie es konkret aussieht. Aber langsam zeichnen sich Umrisse ab, eine Ahnung des Kommenden bricht auf. Gleichzeitig nimmt die Dunkelheit zu.

Jetzt, in diesem Augenblick, setzt langsam die Abenddämmerung ein. Viele nehmen es nicht wahr, sie wollen es nicht sehen: Das Licht des Tages nimmt ab, zunächst fast unmerklich, dann aber immer deutlicher spürbar. Der goldene Schein des Sonnenuntergangs erlischt und die Dämmerung breitet sich aus. Dann wird es dunkel und zuletzt wird es ganz finster sein.

Die Finsternis steht uns bevor.

Wer sich nicht vorbereitet, tappt unwillkürlich im Dunkeln. Er verliert die Orientierung, ist hilflos, weil er nichts mehr sieht. Die gewohnten Verhaltensweisen ziehen nicht mehr. Es ist alles anders, ungewohnt, erschreckend. Es ist nicht klar, wie es weitergeht, der Ausgang ist versperrt. Angst macht sich breit und die Unsicherheit nimmt überhand.

Zunächst ist da noch ein wenig vom Mut des vergangenen Tages, aber je länger die Dunkelheit dauert, desto mehr nimmt er ab. Hoffnungslosigkeit erfüllt das Dunkel und das ist schlimm. Denn es sieht so aus, als gäbe es keinen Ausgang, als sei nun das Ende erreicht, es bleibe nun finster für alle Zeiten. Und nun meldet sich auch das Gefühl von Ohnmacht und Aussichtslosigkeit: „Wir haben verloren. Es ist alles aus. Es gibt keine Zukunft mehr. Wir können nichts mehr tun. Wir sind wirklich am Ende – mit allem.“

Es wird Nacht.

Nach dem langen Tag der Weltgeschichte und nach der begrenzten Dauer des Lebens bricht nun die Nacht herein. Die Nacht ist die Zeit des Loslassens. Es muss überprüft werden: „Was hat Bestand?“ Weniges ist nur noch nötig, um die Nacht zu durchschreiten. Deshalb erfordert der Beginn der Nacht, sich leer zu machen, sich zu rüsten mit wenigem, all das aufzugeben, was daran hindert zu überleben.