Cincinnati Kid - Richard Jessup - E-Book

Cincinnati Kid E-Book

Richard Jessup

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Beschreibung

Cincinnati Kid ist ein talentierter junger Pokerprofi, der ganz an die Spitze will. Sobald er sich genügend Respekt und Anerkennung in der Szene verschafft hat, fordert er den anerkannten Pokerkönig Lancey „The Man“ heraus, denn Kid will esendlich wissen und glaubt, so weit zu sein. Bei der großen Partie kommt es zu einem unglaublich spannenden Showdown.Jessups Roman führt uns zur Zeit der Großen Depression der 1930er-Jahre nach St. Louis, Missouri, in die nach eigenen Regeln funktionierende Welt der Berufsspieler. Als der Roman 1963 erschien, erkannte Hollywood sofort sein Potential. Norman Jewison verfilmte das Buch 1965 mit Steve McQueen als Kid und Edward G. Robinson als The Man.Die deutsche Übersetzung „Der Pokerkönig“ aus demselben Jahr ist längst vergriffen.Die Veröffentlichung der neuen Übersetzung von Kurt Bracharz ermöglicht es, mit Richard Jessup einen der großen amerikanischen Pulp-Autoren und „working writer“ kennenzulernen.

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Richard Jessup

Cincinnati Kid

1. Auflage© 2014 BUCHER VerlagHohenems – Wien – Vaduzwww.bucherverlag.com

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN 978-3-99018-325-0

 Dank an Adam Nicolai von Empty-Grave Publishing für die freundliche und tatkräftige Unterstützung bei der Neuveröffentlichung der deutschen Ausgabe in neuer Übersetzung.

VORWORT

Der unsichtbare Herz-Bube

Ein Mann, der einen Roman pro Tag liest. Er bringt sich selbst das Schreiben bei, indem er den gesamten Text von »Krieg und Frieden« abschreibt und korrigiert – bevor er die Blätter ins Meer wirft. Später sitzt er täglich zehn Stunden an der Schreibmaschine und veröffentlicht 34 Romane in ebenso vielen Jahren. Vier davon werden verfilmt.

Man hält es nicht für möglich, dass ein solcher Autor in unserem so genannten Informationszeitalter durch die Maschen aller Netze schlüpfen kann, aber Richard Jessup ist das beinahe gelungen. Vor dem 2011 begonnenen Richard Jessup Rejuvenation Project mündete die Existenz dieses fruchtbaren Schriftstellers in drei Sätze in Wikipedia, einen Nachruf auf Mikrofilm und Fragmente einer Publikationsliste, von der es nirgendwo ein vollständiges Exemplar gibt.

Jessup war das Gefühl vertraut, unterschätzt zu werden. Mit sechzehn floh er aus einem Waisenhaus, um eine ebenso undankbare Position bei der US-Handelsmarine einzunehmen. Als seine Schriftstellerkarriere Fahrt aufgenommen und sein Name Gewicht bekommen hatte, verlangte Jessups Verleger, dass er seine Genre-Romane »von minderer Qualität« unter dem Pseudonym Richard Telfair veröffentlichen solle. Man nimmt an, dass Jessup weitere Pseudonyme verwendet hat, als er auch als Telfair erfolgreich wurde, denn ein Nachruf von 1982 behauptet, er habe über 60 Romane veröffentlicht, wo wir nur auf 34 Titel kommen. Nach seinem Tod ist die Vita des Schöpfers von »Chuka«, »The Deadly Duo« und »The Cincinnati Kid« zu einer Handvoll Wörtern im Äther geworden.

»The Cincinnati Kid« ist ein großes Stück amerikanischer Literatur der 1960er-Jahre, das irgendwie unter dem Radar geflogen sein muss, obwohl ein populärer Kinofilm daraus gemacht worden ist. Der Text hat eine Tiefe, die über eine scheinbar simple Pokerstory hinausgeht, und verdient meiner Meinung nach dieselbe Art von Lektüre wie ein gehaltvoller, literarischer Roman.

Ich bin sehr froh, eine, wenn auch nur kleine, Rolle beim Zustandekommen der zweiten deutschen Übersetzung von »The Cincinnati Kid« gespielt zu haben. Seit ich sehe, dass es noch einen internationalen Funken von Interesse an Richard Jessup gibt, ist mir mein Engagement für die Wiederentdeckung dieses Autors noch weitaus mehr Mühe wert.

Adam Nicolai

The Richard Jessup Rejuvenation Project

www.RichardJessup.com

Empty-Grave Publishing

www.Empty-Grave.com

Cincinnati Kid

- 1 -

Als diese Sache begann, war er ein dünner junger Mann, gerade mal 26 Jahre alt, mit einem Gesicht, dessen große Nase ihm den Ausdruck eines Habichts verlieh. Er stand ständig unter Spannung. Alles an ihm war fest und ruhig, seine Gesten waren kurz und knapp, er verschwendete keine Bewegung. Er hatte helle, harte Augen von dem Blau, das man im Mittagshimmel sieht, wenn man direkt hinauf schaut, also fast schon Weiß, aber doch noch mit einer Spur von Blau. Unter den Augen wies die angespannte Haut über den Backenknochen gelbliche Ringe auf, als hätte er Leberprobleme von zuviel Alkohol, aber er war vollkommen fit. Diese Ringe kamen davon, dass er Jahre lang Tag und Nacht am Pokertisch verbracht hatte.

Er spielte jetzt seit Montag vier Uhr nachmittags im Hinterzimmer von Hoban’s Pool und Poker Salon. Es hatte ganz beiläufig begonnen, sich dann aber, wie es oft passiert, zu einem ernsthaften Spiel entwickelt. Als andere dazu stießen, kam die Sache richtig ins Laufen. So lange nur Kid, Shooter und Pig gespielt hatten, war es um Kleingeld gegangen, aber als Carey und Carmody einstiegen, die am Wochenende auf die Cardinals gesetzt und ordentlich gewonnen hatten, stiegen die Einsätze in fließendem Übergang von fünf und zehn Cent erst auf Vierteldollar, dann auf halbe, zuletzt wurde ohne Limit gespielt.

Mittlerweile war es Mittwoch, elf Uhr vormittags. Wie ein beharrlich kreisender Vogel bewegte sich das Spiel gemächlich um sein Zentrum, den Pot, der mit jeder ausgeteilten Karte magisch anwuchs. Die Rotation der Blätter wurde begleitet vom Klang, mit dem Münzen auf den Haufen in der Mitte des Tisches trafen, und von den Ansagen, so sanft wie eine Litanei zur Anrufung geisterhafter Hilfe und Errettung.

»Die Damen bieten.«

»’n halben Dollar.«

»Bin dabei.«

»’n halben drauf.«

»Und noch einen halben.«

»Anderthalb für mich und noch ’n halben.«

Das Ritual beschleunigte sich. Man war bei der vierten Karte. Jetzt raschelte und knisterte Papiergeld in der Tischmitte. Einer teilte aus. Die Karten durchschnitten den verrauchten, abgeschlossenen Raum leise wie der schleichende Tod. Und mit jeder ausgeteilten Karte des Gebers ertönte seine Schicksalsmelodie, das einzige, was im Leben eines Profispielers zählte, weil sie der ganzen Welt das nächste wunderbare Geheimnis enthüllte. Es gibt nichts Höheres für einen Spieler. Alles ist im Moment des Aufdeckens der nächsten Karte enthalten.

»Eine Fünf zu den Damen, ein Bube mit Chancen, nichts zu den Vieren, ein Ass zum Steigern und mir selbst eine rote Zehn. Die Damen sagen an.«

»Die Damen halten.«

Einer setzte nach, versuchte es ganz unauffällig, schlich sich an die Damen an, tappend wie ein Mann im Dunkeln. Er berührte sie und sie krachten hart auf ihn herunter.

»Zwanzig Dollar.«

Das war ein Schicksalsschlag. Drei Spieler stiegen aus und überließen das Feld dem Herausforderer. Der zögerte. Er war sich darüber im Klaren, dass drei Vieren drei Damen nicht schlagen konnten. Es würde ihn zwanzig Dollar kosten, herauszufinden, ob wirklich drei Damen da waren, andererseits würde er noch eine Karte und damit eine neue Chance bekommen. Pig hatte die Vieren. Kid hatte die Damen.

Jeder betrachtete die aufgeschlagenen Karten des anderen. Beide waren als erfahrene Spieler weit über den Punkt hinaus, wo man an der Miene des anderen etwas ablesen kann. Pig spielte nach den mathematischen Chancen seines Blattes. Er konnte nicht hoffen, Kid auszutricksen. Und es war keine zwanzig Dollar wert, zu erfahren, ob Kid bluffte. Er drehte seine offenen Karten um.

Shooter sammelte die Karten ein und begann zu mischen. In seinen riesigen Händen tanzten die Karten wie Motten um ein Licht, flatterten, surrten, gingen auseinander und wieder zusammen, bis er abhob und neuerlich mischte. Shooter galt als bester Kartengeber am Mississippi und westlich davon bis Vegas. Er sah Kid an, der seine halben Dollars stapelte. »Lancey soll in der Stadt sein«, sagte er ruhig.

Kid sah Shooter aus seinen blassblauen Augen an. »Ja?«, sagte er gedehnt. »Was du nicht sagst.«

Alle wussten, dass Kid darauf gewartet hatte, und das zuletzt ziemlich unruhig. Pig, Carey und Carmody blickten auf ihr Geld. Shooter sah Kid an. Aber Kid sagte weiter nichs, und Shooter hatte nun die Karten vier Mal gemischt und war bereit zur neuen Runde.

Hoban kam herein und kassierte ab. In diesen altmodischen Pokersalons geht kein Teil des Pots an das Haus, stattdessen werden die Stühle stundenweise an die Spieler vermietet. Hoban kassierte fünfzehn Cents von jedem Spieler und polkte mit einem Zahnstocher an einem Backenzahn herum. Hoban war ein fauler Fettsack, der selbst nie Poker spielte, weil er Angst hatte zu verlieren. Nachdem er ein paar Runden zugesehen hatte, schlurfte er zurück in den Billardraum, stellte sich an den Zigarettenstand und schaute auf die Harold Street hinaus. Gegen ein Uhr brachte ein Mädchen Kaffee und Sandwiches für die Spieler, und Shooter, der ein paar Mal hintereinander ganz hübsch gewonnen hatte, stand auf und sagte, ihm reiche es jetzt. Alle nahmen an, dass Kid jetzt auch aufstehen würde, und das tat er auch.

Da wussten sie Bescheid.

In diesem Frühling war es sehr heiß in St. Louis. Im Sommer ist es immer heiß, und man erwartet das auch, aber nicht schon im Frühling. Es war erst kurze Zeit seit dem jährlichen Hochwasser vergangen, wo immer alles kalt und feucht ist, und jetzt hatte es mitten im Mai 35 Grad. Um drei Uhr nachmittags kam man sich auf der Harold Street wie im Hochsommer vor, die Kinder keuchten bei ihren Spielen auf den Gehsteigen und alte Männer saßen auf den Vortreppen, tranken Bier und wackelten mit ihren gelben Zehen, während die Frauen in den Fenstern lagen und einander Bemerkungen zuriefen. Für Frühling war es wirklich ungewöhnlich warm. Jeder sagte das. Aber wo die Wärme am nützlichsten gewesen wäre, hatte sie bislang noch nichts vollbracht. Die Cardinals kamen ziemlich langsam in die Gänge. Musial machte wenig Punkte. Andererseits wusste jeder, dass er seine Zeit und die richtige Sommerhitze Tag für Tag brauchte, um zu voller Form aufzulaufen. Vorher konnten die Cardinals nichts ausrichten.

Die Harold Street war nicht weit vom Fluss entfernt. Es war die letzte Straße von St. Louis, in der noch Straßenbahnschienen lagen, obwohl die Straßenbahn selbst längst verschwunden war. Weiter oben in der Stadt hatte man die Straßen asphaltiert, so dass sie nun bis zu den Rändern völlig glatt und eben waren. Die Schienen hatte man herausgerissen und angeblich zur Verstärkung der Dämme weiter unten am Fluss verwendet. Aber die Harold Street hatte noch Kopfsteinpflaster und die Schienen waren mit Dreck und Grus gefüllt, so dass alte Lastwagen mit abgefahrenen Reifen bei Regen bis zu drei Meter weit rutschten. Das passierte meistens, wenn sie versuchten, in die Broom Street abzubiegen. Dort wohnten Zigeuner, Farmer aus Arkansas, Neger aus Memphis und White Trash aus Missouri, dazu ein paar Juden und Iren, alles Leute, die in der dritten oder vierten Generation am Ufer wohnten, die nie woanders gelebt hatten und das auch gar nicht wollten.

Was Harold Street zu bieten hatte, konnte man auf den ersten Blick sehen: einige Blocks mit Geschäften und billigen Hotels und Pensionen, ein Drugstore, ein Fünf- und Zehn-Cent-Laden, ein A & P Markt, mehrere Obststände, ein Army-Navy-Laden und eine Pfandleihe mit den üblichen Schlagringen, fleckigen vernickelten Pistolen und Jagdmessern; danach kamen eine katholische Kirche und eine von den Baptisten, und dann ging es entweder hinauf in die Stadt, weg vom Fluss, oder man kam zum alten Holzpier direkt am Wasser. Die Menschen schwammen im Sommer immer noch im Fluss, fischten, tranken und fingen Streit an und lebten von Tag zu Tag, ohne darüber oder über sonst etwas nachzudenken, außer was vielleicht gedacht wird, wenn sich ein Mann mitten in der Nacht herumdreht und nach seiner Frau fasst, oder wenn sie aufstehen muss, um nach den Kindern zu sehen.

Kid und Shooter gingen die Harold Street hinauf zum Mills Hotel, wo Shooter wohnte, wenn er pleite war und nur noch das Geld für einen Mindesteinsatz hatte. Das Hotel lief gut, weil es nur zwei Häuser vom Fluss entfernt lag und von den oberen Räumen aus einen tollen Ausblick auf den Fluss bot. Shooter lebte jetzt schon lange an seinem Existenzminimum. Manche glaubten, es komme daher, dass er alt wurde und den Biss verloren hatte, aber Kid glaubte das nicht. Er spürte mehr als dass er es wirklich gewusst hätte, dass sich Shooter einfach nicht mehr so anstrengte. Shooter befand sich in einem Vakuum, wusste es und wusste auch, dass es von selbst aufhören würde, folglich unternahm er keinen Versuch, es selbst zu beenden.

Sie standen am Fluss, schauten auf das Wasser und betrachteten die Werkboote der Armee-Pioniere, die immer irgendwelche Vermessungsarbeiten vornahmen. Heute steckten sie mit roten und weißen Rauten Bahnen im Fluss ab.

»Yeah, ich hab’s seit langem kommen sehen«, sagte Shooter, zündete sich eine Zigarre an und ließ den Blick über den Fluss und die Straße schweifen, wobei er blinzeln musste. »Schon lange.«

»Yeah«, sagte Kid und nickte dazu, »das glaub ich dir, Shooter. Ich hab es auch nicht gerade geheim gehalten.«

»Nein, hast du wirklich nicht. Das ist ein Vorteil für dich.«

Darauf antwortete Kid nicht.

»Aber Lancey wird bald mal am Ende sein.«

»Gut«, sagte Kid. »Jetzt will ich’s wissen.«

»Klar willst du’s wissen«, stimmte Shooter zu. »Deshalb habe ich dir ja gesagt, dass er in der Gegend ist.«

»Wie meinst du das?«

»Wir alle wollen’s wissen«, sagte Shooter. »Irgendwann müssen wir alle herausfinden, wieviel Saft wir haben.«

»Hast du je mit ihm gespielt?«

»Ja, hab’ ich.«

Kid wartete. Shooter schürzte die Lippen, schaute die Harold Street hinauf und hinunter und auf den Fluss hinaus.

»Und, was war?«, fragte Kid ungeduldig.

»Nix, Kid, gar nix.«

»Du hast verloren.«

»Nein, ich habe nicht verloren. Ich bin zu gut, um zu verlieren, wenn ich mich wirklich reinknie. Ich spiele auf meine eigene Art, Kid. Aber ich war schon einmal an dem Punkt, an dem ich jetzt wieder bin, versteht du, was ich meine?«

»Nein, ich kann dir nicht folgen.«

»Ich hatte auch meinen Lancey Hodges. Für mich war’s halt Whistling Sam Magee in New Orleans.«

»Von dem habe ich gehört«, sagte Kid respektvoll.

»Dann weißt du ja alles. Es ist mehr als dreißig Jahre her, schätze ich. Ich und Whistling Sam. Er war mein Lancey Hodges.«

»Was ist geschehen?«

Shooter wandte sich Kid zu, mit leichter Überraschung in Blick und Stimme. »Na was schon, ich hab verloren, Kid. Das hat mich für eine lange, lange Zeit innerlich fertig gemacht.«

»Echt?«, sagte Kid interessiert.

Aber Shooter redete nicht weiter. Kid nickte und schaute auf den Fluss hinaus zu den Booten der Pioniere, die an Bug und Heck Wappen mit roten Doppeltürmen auf gelbem Grund trugen, Zeichen, die den Leuten vom Fluss so vertraut waren wie die kleinen Kähne der Brackwasserfischer. Als er aus seinen Gedanken aufschreckte, sah er Shooter an, der geduldig wie Hiob an seiner Zwei-Dollar-Zigarre zog und ins Leere sah.

»Glaubst du, dass ich so weit bin?«, fragte Kid gerade heraus.

Shooter ließ sich Zeit für die Antwort. Er paffte ein paar Mal an seiner Zigarre, bevor er endlich sagte: »Kid, das glaube ich nicht.«

»Oh!«, entfuhr es Kid, der keine so deutliche Anwort erwartet hatte. Aber schnell wurde ihm klar, dass Shooter, der nie ein schlechtes Wort über jemanden sagte und über den nie jemand schlecht sprach, ihn nicht belügen würde.

»Aber du nimmst mir das nicht ab, oder?«, sagte Shooter.

»Nein«, erwiderte Kid stur. »Nein, das nehm’ ich dir nicht ab. Kann ich nicht.«

Shooter nickte mehrmals, als hätte er das erwartet. »Ich weiß, ich weiß«, sagte er respektvoll. »Du musst es selbst herausfinden. Klar? Deshalb habe ich dir gesagt, dass er in der Stadt ist. Er ist hier, jetzt, hier am Fluss. Drüben im Washburn Hotel, genau jetzt in dieser Minute bei einem Spiel.«

»Ich glaube nicht, dass ich ihn einfach wegputzen kann«, sagte Kid. »Aber wenn ich lang genug im Spiel bleibe, habe ich eine Chance gegen ihn. Das gibst du doch zu, dass ich eine Chance habe, oder?«

»Ich habe schon sagt, dass ich nicht glaube, dass du so weit bist«, sagte Shooter.

»Als du dich mit Whistling Sam Magee zum Spiel hingesetzt hast, hast du da geglaubt, du seist so weit?«

Shooter nahm die Zigarre aus dem Mund und sah Kid an, während er mit ihm sprach. »Kid, ich hielt mich damals für den besten Pokerspieler der Welt. Ich sage dir, wie’s war: Ich glaubte fest, ich sei der Allerbeste.«

»Nun, ich glaube nicht, dass ich nur ein Wichtigtuer mit einem glücklichen Händchen für Karten bin, ich glaube, ich habe schon etwas.«

»Du bist kein Wichtigtuer, und du hast bestimmt etwas.«

»Okay«, sagte Kid und blickte über den Fluss. »Und ich sage auch nicht, dass du das warst, als du dich mit Whistling Sam eingelassen hast.«

»Ich verstehe, was du meinst, Kid«, sagte Shooter leichthin. »Aber glaub mir, ein altes Schlachtross wie ich kann nach den vielen Jahren, in denen ich am Fluss gespielt habe, geradezu riechen, wie es um das Nervenkostüm eines Kumpels steht. Aber unterschätz die Kraft der Eier nicht. Auch ein durchschnittlicher Spieler kann es weit bringen, wenn er die Eier dazu hat. Denk an die Cardinals. Der alte Pepper stiehlt allen die Show, und der alte Leo kämpft wie ein Löwe. 250-Meter-Schläge, aber wie 400, was die Wirkung betrifft. Ich habe schon Burschen gesehen, die gar nichts in der Hand hatten, wirklich gar nichts, aber eisern im Spiel blieben und letztlich gut abschnitten. Immer frech ist nicht gut, weil es dem richtigen Spiel die Kanten nimmt. Aber wenn du es drauf hast, kann Frechheit nicht schaden. Verstehst Du, was ich meine?«

Die beiden Männer sahen einander an.

»Na schön«, sagte Kid mürrisch. »Was sagst du: Habe ich überhaupt eine Chance?«

»Du hast eine Chance. Wenn Lancey ein Problem hat. Wenn er Schnupfen hat oder sich sein Magengeschwür meldet oder sonstwas in der Art. Aber das beweist dann natürlich nichts, das siehst du wohl ein. Es würde nichts beweisen, weil jeder sehen konnte, dass er nicht ganz auf dem Damm war.« Shooter hielt einen Moment inne, nickte und steckte die Zigarre in den Mund, kaute darauf herum und betrachtete den Fluss mit der Befriedigung eines Mannes, der sich nicht mehr in Herausforderungen beweisen muss.

Kids Miene wude trotzig. »So!«, stieß er hervor. »Da gibt’s nur eins – ich muss es selbst herausfinden.«

»Dann hast du dich also schon entschieden?«, fragte Shooter mit echtem Interesse, da Kid nun endgültig enschlossen schien, Lancey Hodges herauszufordern.

»Ja, habe ich. Du hast selbst gesagt, dass ich es tun muss«, sagte Kid mit einer gewissen Schärfe im Ton. »Ich bin überfällig.«

»Ja, du bist schon lange in der Szene. Ich war viel jünger als du, als ich gegen Whistling Sam antrat.« Shooter betrachtete Kid nachdenklich. »Aber du wärst als The Man auch verdammt jung.«

»Ich werd’s herausfinden«, sagte Kid und wandte sich ab, aber nicht schnell genug, dass Shooter nicht einen schmerzlichen Zug auf seinem Gesicht gesehen hätte.

»Soll ich es einfädeln?«

»Das wär’ mir sehr recht, Shooter, alter Freund.« Man sah Kid seine Dankbarkeit an.

»Gut, dann mach ich’s. Ich arrangiere alles mit Lancey und kümmere mich darum, dass es sich herumspricht.«

»Wozu das?«

»Du musst das klar sehen, Kid«, sagte Shooter. »Es gibt jede Menge Spieler, die mit Lancey zocken möchten, so dass er nicht immer alle Herausforderungen annehmen kann. Es muss ganz seriös sein. Aber wenn jemand von meinem Kaliber das fixiert und herumerzählt, dann muss Lancey dich nehmen, ganz gleich, was er darüber denkt. Klar?«

Kid nickte.

»Ich sage ihm, dass du mit ihm spielen willst.«

»Eine Sache noch«, sagte Kid mit sorgenvollem Gesichtsausdruck.

»Was?«

»Na ja, mit diesem Herumerzählen. Es könnte doch sein, Lancey denkt, ich sei kein Gegner für ihn, und er lehnt das Spiel ab. Ich möchte nicht, dass jeder erfährt, wenn Lancey mich nicht für gut genug hält, ihn herauszufordern.«

»Kid, wenn Lancey sich weigert, mit dir zu spielen, giltst automatisch du als The Man. Er muss mit dir spielen. Er muss jemanden von deiner Klasse akzeptieren. Was glaubst du denn? Mann, ich sage dir mal was: Er weiß, dass du da bist. Er kann einen Gegner wie dich wahrscheinlich eineinhalb Meilen flussaufwärts riechen. Er weiß von dir und er wird mit dir spielen. Ich kann dir das garantieren, und wenn du willst, erzähle ich es gleich Big Nig. Du willst mit Lancey die Klingen kreuzen, ich arrangiere es. Wir bleiben in Kontakt. Da kommt dein Mädel.«

Er wies mit einer Kopfbewegung auf eine noch einen halben Block entfernte Blondine.

»Okay, du machst das also fix. Vergiss es bloß nicht.«

»Ich sag’ dir doch, ich mach’s. Schlaf dich lieber aus, Kid. Du braucht viel Schlaf und eine Pause vom ständigen Denken an die Karten. Das Spiel wird erst in einer Woche stattfinden.«

»Warum so lange?« fragte Kid. »Ich will nicht ewig rumsitzen. Ich will’s angehen und hinter mich bringen.«

»Soviel ich weiß, steckt Lancey gerade in einem großen Spiel. Im Washburn, mit ein paar Pokerspielern vom Land, die einen Haufen Geld verlieren können – texanische Ölbarone, schätze ich. Ich kann nicht von ihm verlangen, dass er so leicht verdientes Geld fahren lässt. Danach braucht er aber etwas Ruhe, bevor er mit dir spielt. Du willst ihn doch auch nicht fordern, wenn er nicht in Form ist.«

»Nein«, erwiderte Kid. »Wenn er da gerade Kasse machen kann, sehe ich das ein. Klar.«