City of Burning Wings. Die Aschekriegerin - Lily S. Morgan - E-Book
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City of Burning Wings. Die Aschekriegerin E-Book

Lily S. Morgan

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Beschreibung

*Eine Liebe zwischen Asche und Glut* Die junge Kriegerin May hat sich ihr Leben lang darauf vorbereitet, als Nachfolgerin des Königs den Aschethron zu besteigen. Sie ist die schnellste Himmelsstürmerin, die es in der fliegenden Stadt Elydor je gab. Doch als der König stirbt, taucht die Herrscherrune nicht bei ihr, sondern auf der Stirn des mysteriösen Geheimnishändlers Luan aus dem Elendsviertel auf. Und ausgerechnet May soll ihm helfen, mit seiner neu gewonnenen Macht umzugehen. Nur widerwillig fügt sie sich, bis ihr klar wird, dass nicht nur ihre beiden Leben vom Erfolg der Aufgabe abhängen, sondern die Zukunft von ganz Elydor. Das mitreißende Fantasydebüt der beliebten Bookstagrammerin Lily S. Morgan hat auf Anhieb so viele LeserInnenherzen erobert, dass es direkt nach Erscheinen zum SPIEGEL-Bestseller wurde.  Persönliche Leseempfehlung von Julia, der bekannten Bloggerin von July_reads: Eine Welt voller Spannung, Geheimnisse und Magie. »City of Burning Wings« hat mich von Anfang in den Bann gezogen, fasziniert und mich immer wieder von Neuem überrascht. //»City of Burning Wings. Die Aschekriegerin« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Lily S. Morgan

City of Burning Wings – Die Aschekriegerin

Die junge Kriegerin May hat sich ihr Leben lang darauf vorbereitet, als Nachfolgerin des Königs den Aschethron zu besteigen. Sie ist die schnellste Himmelsstürmerin, die es in der fliegenden Stadt Elydor je gab. Doch als der König stirbt, taucht die Herrscherrune nicht bei ihr, sondern auf der Stirn des mysteriösen Geheimnishändlers Luan aus dem Elendsviertel auf. Und ausgerechnet May soll ihm helfen, mit seiner neu gewonnenen Macht umzugehen. Nur widerwillig fügt sie sich, bis ihr klar wird, dass nicht nur ihre beiden Leben vom Erfolg der Aufgabe abhängen, sondern die Zukunft von ganz Elydor.

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Vita

Danksagung

© privat

Lily S. Morgan wurde 1990 in Heidenheim geboren und entdeckte früh ihre Liebe zum geschriebenen Wort. Wenn sie nicht mit Romanfiguren diskutiert, durch fiktive Welten wandert oder auf ihrem bekannten Instagram Account »lilys.wortwelt« über Bücher bloggt, dann streift sie mit ihrer Hündin Maja durch den Wald. »City of Burning Wings« ist ihr Romandebüt.

Für meine Familie und Freunde, die immer an mich geglaubt haben, wenn ich es nicht konnte.

1. Kapitel

MAY

Mit kräftigen Flügelschlägen jagte May über die Dächer des Palastes. Vorbei an hohen Kuppeln, in denen sich das Mondlicht spiegelte, an spitzen Türmen und steilen Giebeln, deren dunkle Umrisse in den Himmel aufragten.

Wind peitschte ihr ins Gesicht, zerrte lange Strähnen aus dem geflochtenen Zopf und zerzauste die Rabenfedern auf ihrem Rücken.

Sie verlagerte das Gewicht nach rechts, legte sich in die Kurve und steuerte auf das Gebäude schräg gegenüber zu. Hoch konzentriert fegte May im Slalom um mehrere Wasserspeier, die wie Soldaten auf der Brüstung eines Balkons standen. Schon bei der kleinsten Unachtsamkeit bestand die Gefahr, versehentlich die Mauer oder einen der Steinkolosse zu streifen. Obwohl ihr das Risiko bewusst war, zog sie der Parcours aus Bauwerken beinahe magisch an und forderte sie Nacht für Nacht heraus ihr Geschick unter Beweis zu stellen.

Die Arme und Flügel nah am Körper haltend schoss sie zwischen zwei Fahnenstangen hindurch und wich einer dritten aus, bevor sie sich aufwärtsschraubte. Ihr Herz raste und sie ließ sich vom Aufwind getragen über Elydor treiben, bis ihr Atem zur Ruhe kam.

Die Sterne funkelten über der schlafenden Stadt am blauschwarzen Firmament und May genoss die Stille, fernab von jeglichen Verpflichtungen.

Als Kind hatte sie es geliebt, mit ihrem Vater um die Wette zu fliegen, die grenzenlose Freiheit des Himmels zu erkunden und riskante Manöver auszutesten.

Auch wenn er als Kommandant der Aschekrieger ununterbrochen beschäftigt gewesen war, hatten die ersten Minuten der Morgenstunde nur ihnen gehört.

Mays Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Es verging kein Tag, an dem sie ihn nicht vermisste, sich wünschte, er könnte weiterhin mit ihr durch die Wolken streifen.

Blinzelnd verdrängte sie das Brennen in den Augen, legte die Flügel an und ließ sich in die Tiefe fallen. Klirrende Kälte schlug ihr entgegen und sie brauste mit dem Kopf voran Richtung Boden. Schneller. Immer schneller kam der Palasthof näher.

Adrenalin schoss durch ihre Adern und beinahe konnte sie das Rauschen mächtiger Schwingen hören. Ihr Vater war ihr stets dicht auf den Fersen gewesen, um einzugreifen, falls sie die Kontrolle verlor.

Der Zauber der Erinnerung nahm sie gefangen, vertrieb die Furcht vor dem Aufschlag, die an Mays Vernunft appellierte und sie dazu drängte, den Sturzflug zu unterbrechen, bevor es zu spät war. Sie wollte den Augenblick hinauszögern und am trügerischen Gefühl der Zweisamkeit festhalten, ehe dieses verblasste.

May raste an den Zweigen uralter Bäume vorbei, direkt auf die Pflastersteine zu. Erst in letzter Sekunde breitete sie die Flügel aus und ein Ruck ging durch ihre Glieder, als sie abrupt abbremste. Ein protestierendes Stechen jagte May durch die Rückenmuskulatur, doch sie nahm den Schmerz nur als dumpfen Nachhall wahr.

Erneut schwang sie sich in die Höhe, während die ersten Sonnenstrahlen des Tages hinter der Silhouette der Stadt hervorkrochen und den Himmel lila färbten. Von einer Windböe begleitet segelte sie über den Palast und versprach sich im Stillen, den Parcours morgen zu wiederholen.

Ihr Blick glitt über die vier Stadtteile Elydors und wurde von den schimmernden Dächern des Goldenen Viertels eingefangen. Im Gegensatz zu den anderen wirkte es mit den Marmoranwesen und den unzähligen Mondblumen, die bald erlöschen würden, selbst im Dunkeln wie ein Schatz aus alten Geschichten. Ein Ort, an dem man nach Wundern suchte und nie die Hoffnung aufgab, eines zu entdecken.

Südlich davon lag das Bauernviertel, das bei Tag einer grünen Welle glich, denn alle Hauswände waren mit vertikalen Gärten versehen, in denen Obst, Gemüse und bunte Blüten wuchsen. Weiter westlich sah es zu jeder Tageszeit weniger einladend aus. Dort ragten schamhaft Fabrikschornsteine auf, die den Stadtteil meist in fahlen Nebel hüllten.

Im Norden hingen die Schatten der Nacht noch tief über den Gebäuden. Bisweilen hörte man von Adligen, die in den engen Gassen des Tarros verschwanden. Manche tauchten Tage später wieder auf, ausgeraubt und ohne Erinnerungen. Andere fand man zusammengeschlagen in dunklen Ecken oder mit durchgeschnittener Kehle.

May schob die Gedanken an das Elendsviertel, in dem die Ausgestoßenen und Ärmsten von Elydor lebten, beiseite. Bald würde der Trubel des neuen Tages beginnen und mit ihm ihre Aufgabe, sich um die Probleme und Streitereien der Bevölkerung zu kümmern.

Sie flog einen Bogen und machte sich auf den Weg zum Westflügel des Palastes, um vor dem morgendlichen Kampftraining zu frühstücken.

Unter ihr zogen Wasserspeier vorbei und die Gärten kamen näher. Aus der Entfernung erblickte May den fröhlich plätschernden Brunnen, um den sich die schönsten Sonnenrosen der Stadt rankten. Dahinter wuchsen kunstvoll gestutzte Büsche, und mehrere Himmelsstürmer schwebten über den Zierbäumen.

Verwundert hielt May inne und kniff die Augen zusammen. Normalerweise waren um diese Zeit höchstens patrouillierende Gardisten oder Kaninchen zu entdecken. Obwohl sie auf dem schnellsten Weg zum Speisesaal wollte, näherte sie sich der Gruppe, die laut johlte und einen Kreis um zwei Männer gebildet hatte, die miteinander rangen.

Waffengeklirr drang zu ihr herüber und kein Gardist war zu sehen, der sich in das Geschehen einmischte.

»Hundert Pinass auf Clyde!«

»Hundertdreißig auf Rees!«, überboten sich die umstehenden Himmelsstürmer und feuerten die Kämpfenden an.

Na toll. May verdrehte die Augen. Es gab am Morgen doch nichts Schöneres als einen Haufen Adlige, die seit dem Bankett am Vorabend nicht nach Hause gefunden hatten.

Clyde, ein stadtbekannter Unruhestifter, der zum Verdruss seiner Familie immer in Schwierigkeiten steckte, schwang eine Axt nach seinem Widersacher. Rees, ihr bester Freund aus Kindertagen, wich in der Luft aus, parierte mit einem Dolch und holte zum Gegenschlag aus.

Wenn die beiden aufeinandertrafen, war Ärger vorprogrammiert und May wäre nicht verwundert, wenn Clyde die Gardisten bestochen hätte, damit sie die Gärten nicht allzu genau in Augenschein nahmen.

Rees wehrte einen weiteren Hieb ab, schlug kraftvoll mit seinen Schwanenflügeln und schnellte auf den Axtangreifer zu. Clyde tauchte nach unten ab und entging um Haaresbreite der Klinge.

»Aufhören«, befahl May laut, bevor jemand ernsthaft verletzt wurde, überwand die restliche Distanz und drängte sich in den Kreis, der sich um die Kämpfenden gebildet hatte. Die Rufe verstummten sofort und die Zuschauer machten ihr eilig Platz. Der Geruch von Beerenwein lag in der Luft und ließ Mays leeren Magen rebellieren. Sie unterdrückte ein Würgen und musterte die Runde streng.

Clyde erstarrte in der Bewegung, die Axt zum Schlag erhoben. Der Dolch in Rees’ Hand zuckte angriffslustig, aber auch er hielt sich zurück. Blut sickerte aus einem Schnitt oberhalb seiner linken Augenbraue und rann ihm über die Wange. Rote Flecken verunstalteten sein weißes Hemd, das gestern Abend noch blütenweiß gewesen war, als May das Bankett verlassen hatte.

Clyde sah nicht weniger mitgenommen aus. Seine Oberlippe war aufgeplatzt und ein Auge begann bereits zuzuschwellen.

»Was ist hier los?«, fragte sie und die anderen wichen respektvoll einige Flügelschläge zurück. Auch wenn sie nicht mit dem König verwandt war, stand sie in der Thronfolge an oberster Stelle und über allen Adligen.

»Er …«, brauste Clyde auf, doch Rees schnitt ihm kalt das Wort ab.

»Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit.« Wut brodelte in seiner Stimme, die er mühsam zu beherrschen versuchte, und fixierte seinen Gegner, als könnte er ihn mit Blicken aufspießen.

May glaubte ihm kein Wort. Bestimmt ging es um die übliche Fehde, die seit Generationen zwischen den beiden Familien herrschte. Noch ehe sie etwas erwidern konnte, zerriss ein ohrenbetäubendes Dröhnen den Morgen und versetzte jede Faser ihres Körpers in Alarmbereitschaft. Erschrocken sahen sich die Himmelsstürmer an. Wenn die Sturmglocke ertönte, war die Stadt in Gefahr und jeder Moment konnte über Leben und Tod entscheiden.

»Haltet euch an den Notfallplan«, wies sie die Himmelsstürmer an und deutete anschließend auf Rees und Clyde.

»Ihr kommt heute Nachmittag in den Audienzsaal.«

Ohne auf eine Erwiderung zu warten, wirbelte sie herum, ließ die Gärten unter sich zurück und eilte zum Palast.

Himmelsstürmer und Gardisten strömten heraus, schwangen sich über die Abflugstellen und folgten dem Alarmsignal.

May flog gegen den Strom und sah schon von Weitem die Aschekrieger über den Bäumen des Innenhofs schweben. Sie trugen schwarze Kampfanzüge aus feuerfester Seide, hohe Stiefel und blank polierte Schilde.

In Momenten wie diesem war sie froh, dass sie jeden Morgen ihre Schutzkleidung anzog, denn jetzt blieb keine Zeit, um sich umzuziehen. Zum Glück hatte sie gestern im Gegensatz zu den anderen Bankettbesuchern nicht zu tief ins Glas geschaut. Obwohl sie sich nach der langen Nacht nicht in Bestform befand, war sie einsatzbereit.

Einige der Krieger nickten May grüßend zu, als sie ihren Platz in der Formation einnahm. Der Kommandant schoss aus einem hohen Gebäude, bremste neben den Wipfeln alter Tannen und brüllte Anweisungen. Dabei sah sein vernarbtes Gesicht im schwachen Licht des Morgens wie eine Kraterlandschaft aus. May wandte schnell den Blick ab und konzentrierte sich auf ihre Position.

Binnen Sekunden schlossen sich die Lücken in den Reihen und flankiert von zwei Wächtern bezog der König vor ihr seine Stellung.

»Vorwärts«, rief der Kommandant fast zeitgleich und führte die Truppe mit hastigen Flügelschlägen an.

Sie flogen über spitze Türme, Wetterhähne und weiße Marmorgebäude, die mit bunten Fahnen geschmückt waren.

Das Dröhnen der Sturmglocke hallte noch immer wie Donnerschläge durch den Morgen. Es vibrierte in Mays Brustkorb und drängte sie zur Vorsicht, während sie nach dem Glutlicht Ausschau hielt, das sein Unwesen im Goldenen Viertel trieb.

Unruhe breitete sich in ihr aus, denn trotz der vielen Übungsstunden war jeder Gegner unberechenbar.

Ihr Blick huschte über mehrstöckige Villen, Innenhöfe voller Blüten und weitläufige Einkaufsstraßen mit Teestuben und Kaffeehäusern, über denen Rauch in den Himmel stieg.

Irgendwo hier musste es sich verstecken.

Im Sekundentakt sah sie Familien, die aus ihren Anwesen eilten, sich vom Boden abstießen und Richtung Westen steuerten, wo sie außerhalb der Stadt ausharren würden, bis die Gefahr gebannt war.

Der Kommandant hetzte die Truppe mit schnellem Tempo vorwärts, führte sie über den Marktplatz, vorbei an geschlossenen Geschäften und verriegelten Ständen.

Wo normalerweise Trubel herrschte, überwachten Gardisten die Evakuierung, sorgten dafür, dass niemand in seinem Haus blieb oder versuchte Habseligkeiten aus den Gebäuden zu schaffen.

Der Geruch von Feuer und Asche lag in der Luft, als sie am Theater vorüberzogen. Brandtruppen hielten die Flammen bereits in Schach, indem sie mit einem Löschkarren Wasser aus dem nah gelegenen Aquädukt pumpten und zwei Flugketten gebildet hatten. Sie füllten die Eimer in Windeseile, reichten sie bis zum Brandherd durch und erstickten das Feuer nach und nach, bevor es auf umstehende Gebäude überspringen konnte.

May und die anderen Aschekrieger preschten über Dachterrassen zur Promenade, die ins Zentrum des Stadtteils führte, wo die goldene Statue des Sonnenadlers auf ihrem Sockel thronte.

Das Glutlicht musste ganz in der Nähe sein.

Zum Glück hielt sich der Schaden am Theater in Grenzen, denn beim letzten Angriff war die Stadt nicht so glimpflich davongekommen. Die Flammen hatten mehrere Häuser in Schutt und Asche gelegt und ein volles Lagerhaus mit Lebensmitteln vernichtet, bis die Brandtruppen sie endlich niederringen konnten.

May umflog mit den anderen den Turm der Stadtbibliothek und ihr Herz setzte einen Schlag aus. Nur wenige Meter von der Statue entfernt schoss das mannshohe Glutlicht um den Säulengang eines zweistöckigen Hauses.

Es war dieselbe Stelle wie vor sechs Jahren. Der Ort, den sie mied, um das Geschehene hinter einer Tür des Vergessens zu verschließen.

Erinnerungsfetzen befreiten sich aus ihrem Gefängnis und drängten unaufhaltsam heraus. Ein Glutlicht, das direkt auf ihren Vater zuschnellte. Lodernder Stoff und Qualm. Eine lebende Fackel im Wind.

»Glutlicht auf drei Uhr!«, brüllte der Kommandant und sie schossen gemeinsam wie eine Pfeilspitze auf den Feuerball zu.

Der Körper leuchtete glutrot, sah aus wie ein Komet, der vom Nachthimmel gestürzt war und sich in den Straßen von Elydor verfangen hatte. Funken sprühten in alle Richtungen und obwohl noch drei Villen zwischen ihnen lagen, spürte sie die flirrende Hitze auf ihren Wangen.

Direkt vor ihr raste König Oras durch den Morgen. Er hatte den indigoblauen Mantel gegen eine Kampfmontur getauscht und die gesprenkelten Eulenflügel zerschnitten energisch die Luft.

»Ausschwärmen!«, rief der Kommandant und die Aschekrieger neben May stoben in alle Himmelsrichtungen auseinander, während sie selbst zurückblieb, um das Geschehen von oben zu überwachen.

Das Glutlicht flitzte über den Platz, direkt auf die Statue zu, und stieß, genau wie damals, gegen den Sockel.

Die Bildfetzen der Vergangenheit überrollten May wie eine Lawine.

Erneut sah sie ihren Vater, der einen jungen Gardisten beiseitestieß. Das Glutlicht, dem er selbst nicht mehr ausweichen konnte. Seine Federn fingen sofort Feuer und die Flammen breiteten sich in Sekundenschnelle von den Flügelspitzen bis zu den Schulterblättern aus. May wollte ihm helfen, doch ein Aschekrieger hielt sie fest und sie war zu schwach, um sich zu befreien. Ihr Vater wälzte sich auf dem Boden. Der Geruch von verbranntem Fleisch lag in der Luft und die Schreie hallten in ihren Ohren wider.

Der Himmel begann sich zu drehen, die Häuser schwankten gefährlich. Atmen. Sie musste atmen. Mühsam presste sie den Sauerstoff in ihre Lungen und versuchte sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.

Der König drehte sich zu ihr um, sah sie verständnisvoll an und legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter.

»Heute geht alles gut«, versprach er und der gleiche Schmerz, der ihr die Luft raubte, schien die Falten in seinem Gesicht stärker hervortreten zu lassen. Ihr Vater war ein guter Freund von ihm gewesen.

Auch wenn die Qualen noch immer in ihr nachhallten, zog sie unter größter Kraftanstrengung einen Mundwinkel hoch, um ihm zu danken. Es war ihre Pflicht, die Bevölkerung zu beschützen, und sie würde ihr Bestes geben, da sie ihrem Vater ein Versprechen gegeben hatte.

May biss die Zähne fest aufeinander, stemmte sich gegen die innere Tür und schlug sie ruckartig zu, um die Vergangenheit erneut einzusperren und einen klaren Kopf zu bekommen.

Der König wandte sich von ihr ab und landete in der Mitte der Straße. May blieb in der Luft schwebend zurück und heftete den Blick auf das Glutlicht, das wieder und wieder gegen den Sockel donnerte, der jetzt rußverschmiert war. Von oben waren die unberechenbaren Manöver des Feuerballs schneller erkennbar als an der Front. Manchmal blieben nur Sekundenbruchteile, um ihre Kameraden zu warnen und vor einem Zusammenstoß zu bewahren.

»Position einnehmen!«, befahl der Kommandant unter ihr.

Die Krieger falteten ihre Flügel, um weniger Angriffsfläche zu bieten, hielten die blank polierten Schilde vor die Brust und traten auf das Glutlicht zu.

»Ausrichten!«

Synchron richtete die Einheit ihre Schilde aus, fing die Sonnenstrahlen des anbrechenden Tages ein und bündelte die Reflexion zwischen dem König und dem Feuerball.

Die Aschekrieger ließen den Lichtschein über den Boden gleiten und stoppten kurz vor dem Glutlicht. Ein Zittern lief durch den feurigen Körper und er verharrte einen Moment, bevor er sich auf den Schein stürzte.

Behutsam, als würden sie ein rohes Ei balancieren, schoben die Krieger das gespiegelte Licht zurück in Richtung ihres Königs und lockten das Glutlicht wie eine Riesenmotte.

Die Entfernung verringerte sich immer mehr, bis lediglich ein halber Meter Abstand zwischen dem Herrscher und dem Feuerball lag.

Langsam streckte er die Finger nach dem bebenden Glutlicht aus. Azur mischte sich unter flammendes Orange und es zuckte vor seiner Berührung zurück.

May grub die Nägel fest in ihre Handflächen, ließ König Oras und seinen Gegner nicht aus den Augen.

Er war der Einzige in Elydor, der über Magie verfügte und das Glutlicht unschädlich machen konnte, ohne sofort zu verbrennen. Trotzdem saß ihr die Furcht im Nacken, auch noch ihren Freund und Mentor zu verlieren.

Der König setzte dem Feuerball nach und schlug die Hände blitzschnell in den flammenden Körper, um ihn an sich zu binden. Die gezackte Flammenrune auf seiner Stirn glühte strahlend hell, als die Kräfte aufeinandertrafen.

Das Glutlicht bäumte sich auf. Funken sprühten in alle Richtungen und es zerrte so stark an der Umklammerung, dass der König beinahe von den Füßen gefegt wurde. Er ließ nicht los, sondern bohrte die Finger noch tiefer in seinen Gegner.

Obwohl das Glutlicht sich wie wild hin und her warf, hielt er jenes eisern fest und saugte ihm die Kraft aus, bis es blasser und kleiner wurde und schließlich allen Widerstand aufgab.

Erleichtert entspannte May ihre verkrampften Hände und stieg mit schnellen Flügelschlägen höher. Oras hatte den Feuerball in Rekordzeit gebannt und bald würde nichts mehr von ihm übrig sein, außer die Schäden und der Schrecken am Morgen. Zufrieden kreiste sie über dem Geschehen und ließ den Blick über die Umgebung streifen. Obwohl der König von den meisten Himmelsstürmern verehrt wurde, war es bereits vorgekommen, dass Rebellen die Aschekrieger hinterrücks angegriffen hatten, um ihn in ihre Gewalt zu bringen. Heute schien jedoch alles ruhig zu sein. Auch das Feuer am Theater war fast erloschen und nur vereinzelte Flammen leckten noch an der Holzverkleidung empor. Die Sturmglocke verstummte und falls alles glattlief, durfte die Bevölkerung bald in ihre Häuser zurückkehren.

Mays Magen knurrte übellaunig. Wenn sie in den Palast zurückgekehrt war, würde sie erst mal ein warmes Bad nehmen und ihre Zofe Kuchen aus der Küche holen lassen.

Der Wind vertrieb die meisten Rauchschwaden und May konnte die Türme des Palastes sehen, der in der Mitte von Elydor thronte. Dahinter schlängelte sich der Fluss in sanften Biegungen durch das Regental und trennte den Adelsbezirk vom Tarros im Norden.

Ein schwaches Aufblitzen, kaum stärker als ein Sonnenstrahl, der in der Fensterscheibe reflektierte, zog plötzlich Mays Aufmerksamkeit auf sich. Sie vergaß einen Moment mit den Flügeln zu schlagen und starrte wie gebannt auf einen Punkt jenseits des Wasserlaufs, wo ein verräterisches Glühen aufflackerte und blitzschnell zwischen den Häusern verschwand.

2. Kapitel

MAY

Fluchend schlug May mit den Flügeln, bevor sie wie ein Stein zu Boden fiel. Kalter Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn, während sie hastig den Blick über die Dächer im Norden schweifen ließ. Gleichzeitig spitzte sie die Ohren und lauschte angestrengt, aber kein Alarmsignal ertönte und auch das Glühen war verschwunden.

Bis zu diesem Zeitpunkt waren nie zwei Glutlichter an einem Tag erschienen und seit Ewigkeiten hatte sich keines mehr in den Tarros verirrt. Doch wenn sie nicht auf ein Trugbild hereingefallen war, befand sich jetzt ein weiterer Feuerball inmitten unzähliger Holzhütten.

May wirbelte in der Luft herum und preschte auf den Kommandanten zu, der am Boden den Einsatz überwachte.

Der König saugte das erste Glutlicht immer weiter in sich auf und auch wenn es nur noch gelegentlich zuckte, hielten die Aschekrieger die Spiegelung weiter aufrecht.

Mit knappen Worten berichtete sie von ihrer Entdeckung.

Eine tiefe Sorgenfalte furchte die vernarbte Stirn des Kommandanten.

»Überprüft Euren Verdacht«, rief er über den Lärm der letzten Löscharbeiten hinweg. »Ich werde darauf achten, ob eine Sturmglocke erklingt, und mit der Einheit so schnell wie möglich nachkommen.« Besorgt sah er zu König Oras, dessen Körper vor Anstrengung zitterte. Sein Gesicht hatte inzwischen einen ungesunden Gelbschimmer angenommen und die dunklen Augen starrten wie schwarze Löcher daraus hervor.

May bestätigte mit einem Nicken, dass sie verstanden hatte, und breitete die Flügel aus, ohne einen weiteren Augenblick zu vergeuden. Schnell wie ein Wirbelwind stob sie Richtung Tarros und betete für einen Irrtum. Normalerweise benötigte der König mehrere Tage, bis sein Körper die Energie des Glutlichts unter Kontrolle brachte und er wieder zu Kräften kam. Sie wollte gar nicht daran denken, was geschehen würde, wenn es ihm nicht gelang, einen zweiten Feuerball zu vernichten.

Über Kuppeln und weiße Kalksteingebäude rasend kam May an den Mauern des Palasts vorbei und überflog die Pagoden der Sonnentempel.

Je nördlicher sie kam, desto flacher wurden die Giebel und immer kleinere Häuser säumten die baumlosen Straßen. Stroh und Holzschindeln lösten die dunklen Dachplatten ab und rote Ziegel ersetzten den Marmor.

Sie steuerte auf den Glockenturm zu, dessen schwarzes Zwiebeldach schon von Weitem erkennbar war, bremste und blieb über den Dächern schweben.

Häuser drängten sich dicht nebeneinander. Schäbige Buden standen auf einem schmutzigen Platz und die Planen der Stände waren so verblichen, dass die ursprüngliche Farbe nur mit viel Fantasie erraten werden konnte.

Irgendwo hier hatte sie das Aufblitzen gesehen, doch es torkelten nur zwei Betrunkene durch die angrenzende Gasse.

»Hey du!«, rief einer und deutete mit einer Flasche auf sie.

»Wilfst du dir waf dasuverdienen?« Er stolperte, hielt sich an seinem Nebenmann fest und ließ dabei die Flasche fallen, die klirrend auf den Pflastersteinen zerbrach.

Angeekelt schüttelte May den Kopf und setzte sich wieder in Bewegung. Aber es wurde nicht wirklich besser. Die Gasthäuser, die sie passierte und aus denen lautes Gelächter drang, waren völlig heruntergekommen. Putz blätterte von den Fassaden und die Fenster waren so verdreckt, dass es unmöglich war, einen Blick hineinzuwerfen. Dort konnte man sicher nur einkehren, wenn man selbst zur schlimmsten Sorte Halsabschneider gehörte.

Der Gestank von billigem Kirschwein, süßlichem Nebelstaub und Erbrochenem wehte May entgegen und ließ sie würgen. Naserümpfend drückte sie sich den Ärmel ihrer Jacke vors Gesicht und setzte ihre Suche so schnell wie möglich fort.

Bald darauf erreichte sie die Überreste der Stadtmauer. Diese glichen einem löchrigen Trümmerfeld, aus dem unzählige Steine entfernt worden waren. Auf den kläglichen Umrissen eines früheren Aussichtsturmes entdeckte sie kreisförmige Rußspuren und angesengte Grashalme, die bis zum Rand der Stadt führten. May folgte ihnen und spähte über die steil abfallenden Felsen in den Abgrund.

Reißende Fluten wüteten unter der schwebenden Stadt und die Wassermassen krachten donnernd gegen Klippen, die aus den Wellen ragten. Von weiteren Rußspuren oder einem Glutlicht war nichts zu sehen.

Am liebsten wäre May auf der Stelle in den Palast zurückgekehrt, aber die Ungewissheit hielt sie davon ab. Entschlossen wendete sie, ließ die Grenze Elydors hinter sich und widmete sich erneut dem stinkenden Viertel.

Je länger sie Ausschau hielt, desto sicherer wurde May, dass sie auf eine Täuschung hereingefallen war und nie ein weiteres Glutlicht existiert hatte. Trotzdem spähte sie widerwillig in dunkle Gassen und verwinkelte Hinterhöfe.

Gerade als May ihre kalten Finger aneinanderrieb, entdeckte sie ein schwaches Leuchten hinter dem Vordach einer Schenke. Schnell ließ sie sich tiefer sinken und bemerkte gerade noch, wie ein feuriges Schimmern unter einer Brücke hindurchflitzte. Sofort setzte sie ihm nach. Das größte Glutlicht, das sie je gesehen hatte, verharrte einen Moment neben einem Pfeiler und preschte dann in die nächste Gasse.

Mist. Mist. Mist.

Adrenalin raste durch ihre Adern und ließ sie wie ein Pfeil zurück in die Höhe schnellen. May konnte dem Glutlicht nichts entgegensetzen, da nur der Träger der Flammenrune die Magie des Sonnengottes beherrschte. Die einzige Kraft, die die Bedrohung eliminieren konnte und dem Regenten vorbehalten war. Zwar sollte sie May in wenigen Wochen von König Oras während der Sonnenfinsternis übergeben werden, doch jetzt hätte sie sie dringender denn je gebrauchen können.

So blieb ihr nichts anderes übrig, als umzukehren und die Sturmglocke des Viertels zu läuten, damit seine Bewohner gewarnt wurden und der Kommandant von der Katastrophe erfuhr. Der König und die Aschekrieger mussten eintreffen, bevor das Glutlicht ein Feuer entfachte. Falls sich die Flammen hier ausbreiteten, würden sie rasend schnell auf die Hälfte der Häuser überspringen und die Brandtruppen hätten keine Chance. Auch wenn sich ein Großteil der Bevölkerung in die Luft retten könnte, würde womöglich ganz Elydor zerstört werden und damit der einzige Lebensraum inmitten der reißenden Wassermassen.

Seit das erste Glutlicht vor vielen Jahrhunderten Elydor heimgesucht hatte, war in jedem Stadtteil ein Glockenturm erbaut worden. Er überragte fast alle anderen Gebäude, damit er bereits von Weitem sichtbar war, und jede der Glocken hatte einen ganz speziellen Klang. So konnte die Gefahr schneller lokalisiert werden und schon den jüngsten Himmelsstürmern wurde eingebläut sofort Alarm zu schlagen, wenn sie einen Feuerball sichteten.

May erreichte das runde Bauwerk, in dessen Zwiebeldach sich Sonnenstrahlen spiegelten. Geblendet kniff sie die Augen zusammen, ehe sie einen Pfeiler umflog. Zur Landung übergehend packte May das herabhängende Seil, um die Glocke zu läuten. Sie versuchte sich auf den ohrenbetäubenden Lärm einzustellen und zog daran.

Nichts geschah.

May hängte sich mit ihrem ganzen Gewicht an den Strick, doch das Instrument blieb stumm.

Von unten blickte sie irritiert in den Klangkörper und erkannte sofort das Problem. Der Klöppel, der gegen das Metall schlagen sollte, war verschwunden. »Welcher verdammte …«, setzte May an und unterdrückte einen gewaltigen Schwall Flüche.

Das Metall hatte sich sicher nicht in Luft aufgelöst und nur Diebe und Ausgestoßene konnten auf die Idee kommen, einen so wichtigen Gegenstand zu stehlen. May ballte die Hände zu Fäusten und widerstand dem Drang, gegen einen Pfeiler zu treten. Sie brauchte schnellstens eine Alternative, um die Bevölkerung zu warnen. Die Glocken der anderen Viertel zu läuten brachte nichts, denn sie würden Himmelsstürmer in Alarmbereitschaft versetzen, die momentan nicht betroffen waren.

May sprang in die Luft, breitete die Flügel aus und hetzte in Richtung Glutlicht zurück. Dieses raste mittlerweile drei Gassen weiter durch die Häuserreihen und es grenzte an ein Wunder, dass der Feuerball bisher nichts entzündet hatte.

»Denk nach!«, spornte May sich selbst an. Die Straßen unter ihr waren wie ausgestorben, weshalb niemand das Glutlicht entdeckt hatte. Ihr musste so schnell wie möglich etwas einfallen.

Hektisch sah sie sich nach Gegenständen um, mit denen sie Lärm erzeugen konnte. Das Einzige, was sie unter sich erblickte, waren morsche Holzbretter, auf denen Pilze wuchsen.

Verdammt. May ließ sich weiter herabsinken, bis ihre Zehenspitzen beinahe die Dächer berührten, und holte tief Luft.

»Glutlichtalarm!«, brüllte sie, so laut sie konnte, doch als Antwort krähte nur irgendwo in der Ferne ein einsamer Hahn.

»Im Namen des Königs, verlasst sofort eure Häuser!«

»Ruhe!« Irgendwo hinter ihr klappten Fensterläden auf. May wirbelte gerade noch rechtzeitig herum, um zu sehen, wie ein Stiefel direkt auf ihren Kopf zuflog. Sie riss die Hand nach oben, fing ihn auf und schleuderte ihn mit aller Kraft zurück. Wie ein Geschoss traf er eine Fensterscheibe, die scheppernd zerbrach.

»Habt ihr nicht gehört? Ein Glutlicht bedroht eure Straßen!«, rief sie und spürte, wie das Blut in ihren Adern immer stärker brodelte.

So dumm konnte doch niemand sein, dass er eine Glutlichtwarnung ignorierte.

Der Feuerball streifte beinahe ein altes Fass und sauste über eine Weggabelung. May wollte ihm folgen, um ihn nicht wieder aus den Augen zu verlieren, aber auf dem Flachdach vor ihr wurde eine Falltür aufgestoßen, die gegen die roten Ziegel donnerte. Ein Himmelsstürmer stob mit mächtigen Flügelschlägen durch die Öffnung. Er hielt den Stiefel in der Hand und blickte sich grimmig um.

»Hey«, brüllte der Kerl und sein Gesicht verzog sich zu einer wütenden Grimasse, als er May entdeckte.

»Was fällt dir ein mein Fenster einzuschlagen?«

»Ein Glut…«, wollte sie ihm die brenzlige Lage klarmachen. Er hörte ihr jedoch gar nicht zu, sondern holte aus und warf den stinkenden Stiefel nach ihr.

Dieses Mal fing May ihn nicht auf, sondern wich lediglich aus. »Ihr solltet euch um das Glutlicht kümmern«, schnappte sie ungeduldig. Aus dem Augenwinkel sah sie weitere Himmelsstürmer aus ihren Häusern fliegen und miteinander tuscheln. Gut. Endlich kam Schwung in den nichtsnutzigen Haufen.

Sie drehte sich zu den zornig dreinblickenden Gestalten um.

»Du!« May zeigte auf einen Bussardjungen, der sie verschlagen musterte, als würde er überlegen, wie er sie am schnellsten ausrauben konnte. »Flieg ins Goldene Viertel zur Statue des Sonnenadlers und sag dem Kommandanten der Aschekrieger, dass May Lodriss dich schickt. Er soll sofort aufbrechen.« Sie wandte sich an zwei Amseln. »Ihr da, ihr müsst …«

Jemand packte sie an der Schulter und riss sie grob herum. Der Stiefelwerfer funkelte May wütend an. »Du gibst hier keine Befehle!«

Sie schlug die Hand beiseite und brachte mit einem Flügelschlag Abstand zwischen sich und den muskulösen Kerl, der sein weißes Leinenhemd achtlos in die dunkle Hose gestopft hatte.

»Fasst mich nicht an«, drohte sie mit einem Blick auf die Habichtflügel, in denen wahrscheinlich allerhand Ungeziefer hauste.

»Ihr Adligen glaubt wirklich, ihr könntet euch alles erlauben.« Schneller, als sie es ihm zugetraut hätte, griff er erneut nach ihr und holte gleichzeitig mit der anderen Hand aus. Sie tauchte unter seinem Fausthieb weg, drehte sich, indem sie die Flügel für den Bruchteil einer Sekunde anlegte, und verpasste ihm mit dem Ellenbogen einen Schlag in die Nieren.

»Schluss jetzt! Wir haben keine Zeit für Spielchen!«

Mays Angreifer taumelte von der Wucht ihres Stoßes zurück. Der letzte Rest ihrer Geduld war beinahe aufgebraucht und je mehr Zeit verstrich, desto wahrscheinlicher wurde eine Katastrophe.

Sie reckte den Hals, doch das Glutlicht war von ihrer Position aus nicht mehr zu erkennen und keiner der Umfliegenden machte sich die Mühe, danach Ausschau zu halten.

Begriffen sie denn nicht den Ernst der Lage?

Ihr Gegner fing sich und wollte sich wieder auf May stürzen, als eine tiefe Stimme über die Dächer hallte.

»Dax! Du solltest auf die Aschekriegerin hören!«

Endlich jemand Vernünftiges.

Der schwarzhaarige Habicht hielt in der Bewegung inne und sah sich genau wie May suchend nach dem Sprecher um. Die anderen taten es ihm gleich. Ein hochgewachsener Mann, der nicht viel älter sein konnte als May, stand schräg gegenüber auf dem First eines Hauses.

Sein geöffneter Mantel wehte im Wind und braune Stiefel reichten ihm beinahe bis zum Knie.

»Wir müssen uns beeilen!«, rief er und im selben Moment stieg eine Rauchsäule aus der hinteren Häuserreihe in den Himmel auf.

May wurde eiskalt. Sie war zu spät.

Die schwarze Wolke wuchs rasend schnell, türmte sich über den Häusern auf und der Geruch von verbranntem Holz und Gras wehte herüber.

Der Fremde eilte das Dach entlang und sprang auf das niedrigere Nebengebäude. Ohne zu straucheln, schlitterte er über die Schindeln, beugte die Knie, schwang sich die Kante hinunter und landete auf dem staubigen Boden.

Die Umstehenden riefen laut durcheinander. Manche wirkten gefasst und drängten in Richtung des Fremden, während andere verunsichert zurückblieben. Der Bussardjunge stieß einen Gleichaltrigen an, raunte ihm etwas ins Ohr und May glaubte eine Mischung aus Ehrfurcht und Angst in seinen Augen aufblitzen zu sehen.

Aus der angrenzenden Straße drangen laute Schreie herüber. Himmelsstürmer flohen über die Dächer, versuchten sich vor dem Feuer in Sicherheit zu bringen oder schwirrten ziellos umher.

Der Fremde hetzte an ihr vorbei, direkt auf den Schläger zu. Bei allen Göttern. May schnappte nach Luft. Er war ein Flügelloser!

Sie musste sich beherrschen, um nicht das Schutzzeichen gegen böse Omen in die Luft zu malen, denn sie hatte noch nie zuvor einen wie ihn gesehen. Die meisten starben bereits bei der Geburt oder wurden von ihren Familien heimlich über den Rand Elydors in die Fluten geworfen, um die Schande zu vertuschen.

Schnell schüttelte May die Gedanken ab.

»Wir müssen sofort Gruppen bilden, um die Feuer zu bekämpfen«, befahl sie, aber keiner nahm Notiz von ihr.

Stattdessen folgte jeder Blick dem Flügellosen, der auf einem heruntergekommenen Haus stehen blieb. Er war jetzt so nah, dass sie sein Gesicht erkennen konnte. Unter zerzausten, dunklen Haarsträhnen blitzten zwei bernsteinfarbene Augen hervor, die auf sie gerichtet waren. Der kurze Kontakt wurde jäh unterbrochen, als der Schläger, der anscheinend Dax hieß, in Mays Sichtfeld flog und auf den Flügellosen zusteuerte.

»Luan«, begrüßte er den Neuankömmling und landete so dicht neben ihm, dass seine rechte Flügelspitze beinah dessen Schulter streifte.

May erschauerte. Niemand berührte freiwillig einen Flügellosen, aus Angst, seine eigenen Federn zu verlieren. Allein bei der Vorstellung wurde ihr übel.

Die Bewohner des Tarros kümmerten sich nicht darum und rauschten an May vorbei. Sie musste sogar ausweichen, um keinen Schwingenschlag abzubekommen.

Hoch aufgerichtet stand der Flügellose inmitten der Himmelsstürmer, die auf ihn herabsahen und an seinen Lippen hingen, als wäre er ihr Anführer.

»Dax, such dir ein paar Freiwillige. Ihr müsst die Alten, Kinder und Schwangeren umgehend zur Löchermauer schicken. Von dort aus können sie sich im Ernstfall über das Wasser in Sicherheit bringen«, sagte er mit klarer Stimme.

Einige aus der Menge nickten zustimmend oder hoben die Hand, um zu signalisieren, dass sie Dax unterstützen wollten.

Der Flügellose deutete auf die Rauchwolke, vor der weitere Stadtbewohner herumschwirrten. Manche trugen Nachthemden, andere schleppten schwere Bündel oder brachten so viel Abstand wie möglich zwischen sich und das Feuer.

»Versammelt die anderen am Gefiederten Halunken. Wir brauchen so viel Muskelkraft wie möglich, damit das Feuer sich nicht ausbreitet.«

»Ist so gut wie erledigt.« Dax stieß sich vom Dach ab und raste mit mehreren Männern davon. Niemand erwähnte die Glocke auch nur mit einer Silbe, als wüsste jeder Bescheid. »Die Aschekrieger müssen benachrichtigt werden«, warf May laut ein und knirschte mit den Zähnen. Noch nie in ihrem Leben war sie ignoriert und gedemütigt worden.

Der Flügellose warf ihr einen Seitenblick zu, während die anderen sie immer noch wie Luft behandelten, und schickte einen älteren Himmelsstürmer ins Goldene Viertel. Dann winkte er den Bussardjungen und seine Freunde heran.

»Jungs, ich habe eine wichtige Aufgabe für euch.« Die Angesprochenen kamen mit geschwellter Brust näher.

»Sucht Eimer, Töpfe und Bottiche zusammen. Wir brauchen viele Gefäße, um Wasser zu transportieren.«

Die Jugendlichen nickten eifrig und huschten davon.

»Alle anderen schwärmen aus und wecken die Schlafenden, damit niemand von den Feuern überrascht wird«, wies der Flügellose die Übriggebliebenen an, bevor er seine Aufmerksamkeit auf May richtete.

3. Kapitel

LUAN

»Habe ich etwas vergessen, Prinzessin?«, fragte Luan.

Die junge Aschekriegerin hatte seit seinem Auftauchen verloren hinter den anderen Himmelsstürmern geschwebt und schien nun kurz vor einer Explosion zu stehen. Die Lippen waren zu einem schmalen Strich verzogen und die nachtblauen Augen sprühten beinahe Funken voll unterdrückter Wut.

»Nennt mich nicht Prinzessin«, zischte sie mit zusammengepressten Zähnen.

Ihrer ganzen Haltung sah man deutlich an, dass sie gewohnt war Befehle zu erteilen, denen sich niemand widersetzte. Allerdings befolgte Luan schon lange keine Befehle mehr.

»Aber Ihr erinnert mich so sehr an dieses Märchen, das mir meine Mutter immer vorgelesen hat, als ich ganz klein war … mit der Prinzessin im Turm, ausweglos eingesperrt, so dringend auf Hilfe angewiesen … und Thronfolgerin ist mir dann doch etwas zu lang.«

Sie riss den Blick von dem Punkt hinter seinem Hals los, wo bei den anderen Himmelsstürmern Flügeln aufragten, und musterte ihn voller Abscheu.

Früher hätte es ihm etwas ausgemacht. Früher wäre er geflohen, um sich zu verstecken. Heute versetzte ihm ein solches Verhalten nicht mal mehr einen Stich, denn er war immer ein Makel in der Gesellschaft gewesen. Bisher wusste niemand, weshalb immer wieder Flügellose geboren wurden, aber er war dem Geheimnis dicht auf den Fersen und würde nicht nachgeben, bis er es gelüftet hatte.

Widersprüchliche Gefühle huschten über die fein geschnittenen Züge der Aschekriegerin. Sie rang mit sich, schien am liebsten schnell das Weite suchen zu wollen, doch schließlich siegte ihr Pflichtbewusstsein.

»Das Glutlicht muss abgelenkt werden«, sagte sie kühl und stob wie eine Naturgewalt in die Höhe, direkt auf die Rauchsäule zu.

Ohne zu zögern, setzte Luan ihr nach. Die Prinzessin kannte sich mit der Bedrohung aus und es wäre unklug gewesen, ihr Wissen zu verschmähen. Er rannte über das Dach und sprang mit einem gewaltigen Satz auf das Plateau des nächsten Gebäudes. Sie war schnell, aber auch ohne tragende Schwingen folgte er ihr problemlos halb kletternd, halb rennend bis zu dem brennenden Haus.

Flammen drangen aus den Fenstern, fraßen sich durch den Dachstuhl und begruben die Holzschindeln unter einem wütenden Meer aus Hitze. Der Wind schlug Luan Rauch ins Gesicht, brannte in seinen Augen und raubte ihm die Sicht.

Das Feuer züngelte über den Boden, schlängelte sich einen Stamm hinauf und eroberte die Krone des einzigen Baumes in der Umgebung.

Wie ein Spürhund nahm die Aschekriegerin die Verfolgung der Rußspur auf und er hangelte sich blitzschnell an einer Wäscheleine entlang, um mitzuhalten.

Immer mehr Himmelsstürmer stießen sich in die Luft ab, wo sie sogleich von Dax und seinen Mitstreitern abgefangen und verschiedenen Hilfstrupps zugewiesen wurden.

Aus der Richtung des Glockenturms flogen bereits vereinzelt Frauen und Männer mit Gefäßen heran, um die Flammen zu bekämpfen.

»Sie müssen eine Kette bilden«, rief die Prinzessin Luan über das Stimmengewirr und Getöse der Vorbeifliegenden zu.

Trotz ihrer Abneigung hatte sie wohl verstanden, dass hier niemand außer ihm mit ihr reden würde. Auch wenn Luan keine Flügel hatte, war er einer von ihnen. Ein Dieb, ein Ränkeschmied, ein Ausgestoßener, dem sie mehr vertrauten als dem verhassten Adel.

Schnell gab er die Anweisungen weiter und hetzte der Prinzessin hinterher. Der Glutlichtangriff in seinem Stadtteil behagte Luan überhaupt nicht. Ganz im Gegensatz zum ersten, der ihm sehr gelegen gekommen war, um im Goldenen Viertel unbemerkt in ein Anwesen einsteigen zu können. Auf dem Rückweg war ihm die schlanke Gestalt in der dunklen Aschekriegermontur aufgefallen, die Richtung Tarros aufgebrochen war. Luan hatte sofort gewusst, dass etwas nicht stimmte, denn niemand aus der Eliteeinheit würde ohne triftigen Grund in den Tarros fliegen.

Die Prinzessin überquerte die angrenzende Kreuzung und steuerte auf einen Platz zu, der von Häusern gesäumt wurde.

Schnell drehte sie sich um ihre eigene Achse, um die Umgebung in Augenschein zu nehmen.

Das Glutlicht sauste über den Platz, rempelte gegen ein Wagenrad und hinterließ schwelende Glut.

»Bringt euch an der Stadtmauer in Sicherheit!«, rief er einer Gruppe Kinder zu, die panisch an den Ständen vorbeieilten.

Der Feuerball wechselte abrupt die Richtung und knallte in die Tür des Hauses, auf dem Luan stand. Holz splitterte und die Erschütterung fegte ihn beinahe von den Beinen. Er hielt gerade so das Gleichgewicht, sprang vom Dach, rollte sich über die Schulter ab und landete auf dem Boden.

Eine Schar Himmelsstürmer schöpfte Wasser aus einem Brunnen nebenan, der durch eine schmale Leitung vom Fluss befüllt wurde. Ängstlich sahen sie ihn an und er schenkte ihnen ein hartes, aber aufmunterndes Lächeln. Furcht war eine Schwäche. Ein Hindernis, das sich niemand von ihnen leisten konnte. Er am allerwenigsten.

Das Glutlicht raste im Zickzack über den Platz und hielt dann auf eine schmale Gasse zu. Luan zog scharf die Luft durch die Zähne. Dahinter lag eine Siedlung aus Holzhütten, deren morsche Wände ein Festmahl für den kleinsten Funken sein würden.

Wild gestikulierte er in Richtung der Aschekriegerin, die sofort verstand und erbleichte.

»Wir brauchen etwas, das spiegelt«, rief sie ihm über das Getöse der Flammen und Löscharbeiten hinweg zu.

Hektisch sah sich Luan nach etwas Geeignetem um.

Bretter lagen in einer schlammigen Pfütze, Kisten türmten sich zu windschiefen Stapeln auf und Ratten flohen aus ihren Verstecken.

Verflixt. Er rannte auf ein Haus zu, dessen Tür sperrangelweit offen stand. Flammen leckten an der Verkleidung empor und Holz und Staub rieselten auf ihn hinab, als er durch den Eingang huschte.

Luan stolperte über einen umgestoßenen Stuhl, strauchelte und stieß gegen ein Regal. Geflochtene Bastkörbe fielen herunter und vertrocknete Äpfel kullerten über den Boden. Mit drei großen Schritten durchquerte er den Raum, packte einen verbeulten Deckel, der neben dem Herd lag, und stürmte aus dem Gebäude.

Die Aschekriegerin schien ebenfalls in ein Haus eingedrungen zu sein, denn sie landete mit einem Spiegel neben ihm, durch den sich ein großer Riss zog.

»Folgt mir«, sagte sie und hielt sich den Gegenstand wie einen Schild vor die Brust. Die Flügel presste sie so nah wie möglich an ihren Körper, um den Flammen weniger Angriffsfläche zu bieten.

Gemeinsam rannten sie durch Pfützen, wichen einem brennenden Stand aus und schlitterten in die Gasse. Das Glutlicht raste in der Mitte entlang, direkt auf die Holzhütten zu.

»Bündelt das Licht«, rief sie und zeigte Luan, in welchem Winkel er den Deckel halten musste, um die optimale Reflexion zu erzeugen.

Der Weg wurde immer schmaler und der gespiegelte Lichtpunkt flitzte vor ihr über den Boden, während Luan sich damit abmühte, es ihr nachzutun. Er fluchte und versuchte den verdammten Deckel unter Kontrolle zu bringen.

»Beeilt Euch«, drängte die Prinzessin herrisch, ohne das Tempo zu drosseln.

Luan biss sich vor Konzentration auf die Zunge und veränderte den Winkel des Deckels, mit dem Ergebnis, dass der Lichtschein gänzlich verschwand.

»Haltet das Handgelenk gerade«, wies sie ihn an.

Die Gasse wurde immer schmaler und die Prinzessin wollte nach links ausweichen, um ihn nicht zu berühren, doch die Wand hinderte sie daran.

O bitte. Als ob sie keine dringenderen Probleme hätten. Er schluckte eine spitze Bemerkung herunter und versuchte das Metall erneut auszurichten.

Das Glutlicht war nur noch drei Häuser entfernt. Kleine Funken fielen wie Sterne zu Boden oder verglühten in der Luft. Endlich gelang es ihm, eine Spiegelung zu erzeugen. Unkontrolliert hüpfte sie bei jedem Schritt über die Hauswände.

Kurz bevor sie den Feuerball erreichten, gab die Prinzessin Luan ein Zeichen, blieb stehen und richtete den Spiegel wie eine Waffe aus.

Sein Lichtschein glitt zitternd über den Boden und die Prinzessin schob ihren eigenen darüber. Luan wusste nicht, warum die flammende Bedrohung vom Licht angezogen wurde, aber es funktionierte. Der Feuerball bremste unvermittelt ab und ein Zittern lief durch den glühenden Körper.

»Weiter nach rechts«, befahl die Aschekriegerin und Luan bemühte sich ihrer Anweisung Folge zu leisten.

Der Feuerball bebte, huschte hin und her, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er den Weg zu den Holzhütten fortsetzen oder der Versuchung nachgeben sollte.

»Los! Los! Los!«, beschwor Luan den feurigen Körper und plötzlich schnellte das Glutlicht vorwärts, sprang auf die Spiegelung zu und versuchte sie unter sich zu begraben.

Ein erster, wichtiger Schritt. »Wir müssen es zum Markt zurücklocken.« Luan trat vorsichtig rückwärts, die Reflexion mit sich ziehend.

Schnell folgte ihm die Aschekriegerin, bevor der Schein sich teilte. »Keine Alleingänge!«, schnappte sie zurück.

Die Prinzessin musste dringend an ihrer Tonlage arbeiten. Das war ja nicht auszuhalten.

»Wenn Ihr das Viertel retten wollt, hört Ihr auf mein Kommando.« Luan schnaubte, wartete jedoch auf ihre Anweisung und setzte mit ihr zusammen den Schein in Bewegung.

MAY

Schweiß lief May in Strömen über den Körper und ihre Muskeln zitterten vor Anspannung, als sie den Feuerball Schritt für Schritt zurücklockten.

»Ausschwärmen!« Endlich schallte der Ruf des Kommandanten über die Gasse. Erleichterung durchflutete sie, als die Aschekrieger sich um sie herum positionierten und die Schilde ausrichteten. Die Hitze brannte in ihren Lungenflügeln, doch erst jetzt wagte sie zu husten.

Gemeinsam bugsierten sie das Glutlicht auf den Marktplatz.

Aus dem Augenwinkel sah May, wie die Krieger dem Flügellosen misstrauische Blicke zuwarfen und so viel Abstand wie möglich zu ihm hielten. Er ließ sich davon nicht einschüchtern, sondern drückte hoch erhobenen Hauptes die Schultern durch und hielt weiterhin seine Position. Obwohl er ein Ungeübter war, musste May insgeheim zugeben, dass er seine Sache gut gemacht hatte und sie ohne Hilfe aufgeschmissen gewesen wäre.

Der Feuerball verfolgte die Lichtspiegelung der Aschekrieger und wanderte immer weiter Richtung König, der auf einer freien Fläche zwischen der Bäckerei und dem Brunnen stand.

Besorgt sah May in den sich verdunkelnden Himmel. Eine große Wolke schob sich, vom Wind getrieben, vor die Sonne.

Sie mussten sich beeilen.

Synchron mit den Aschekriegern schwenkte May den Spiegel leicht nach rechts und versuchte sich gleichzeitig ein Bild von Oras’ Zustand zu machen. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, aber der leicht gebeugte Rücken, die schlaff herabhängenden Flügel und die abstehenden Federn ließen sie nichts Gutes ahnen.

Mit klopfendem Herzen beobachtete May, wie die Wolke immer weiterwanderte und die Spiegelungen verblassten.

Das Glutlicht stockte in der Bewegung, verharrte einen Moment und schwang dann herum. Der kometenartige Körper fegte zur Bäckerei, krachte gegen die Lehmziegelwand und schnellte zurück.

Himmelsstürmer, die noch mit den Löscharbeiten beschäftigt gewesen waren, kreischten auf, ließen ihre Gefäße fallen und suchten Schutz in der Höhe. Zeitgleich schwirrte das Glutlicht zwischen den Ständen hindurch, wendete erneut und raste direkt auf einen jungen Aschekrieger zu.

»Vorsicht!«, brüllte May, doch er rührte sich kein Stück. Wie festgewachsen hielt er seine Stellung und starrte mit aufgerissenen Augen in den Feuerball.

Die gequälten Schmerzenslaute ihres Vaters in den Ohren schoss May vorwärts. Sie war jedoch zu weit entfernt, um ihn rechtzeitig zu erreichen.

Ihr stockte der Atem. Gleich würde sich der Krieger wie ihr Vater in eine Fackel verwandeln und bei lebendigem Leib verbrennen. Die gleiche Situation erneut zu durchleben würde sie nicht ertragen – dennoch konnte sie ihren Blick nicht von dem blassen, erschrockenen Gesicht des Mannes abwenden.

Das Glutlicht war nur noch wenige Zentimeter entfernt, als ein flügelloser Schatten auf den Aschekrieger zujagte, ihn in letzter Sekunde zu Boden riss und unter sich begrub.

Der Feuerball rauschte über den Flügellosen hinweg und streifte seinen Rücken. Blitzschnell fraßen sich die Flammen in den Stoff seiner Jacke und loderten empor.

May hörte seinen Schrei und stürzte wie mechanisch auf ihn zu. Sie zögerte nur einen Sekundenbruchteil, bevor sie ihn berührte. Er hatte einen ihrer Kameraden gerettet. Egal ob flügellos oder nicht, sie musste ihm helfen. Hastig versuchte sie ihm das Kleidungsstück vom Körper zu reißen, aber er wälzte sich so vehement herum, dass sie keine Chance hatte. Darum packte sie ihn an der Weste, zerrte ihn mit all ihrer verbliebenen Kraft zum Brunnen und stieß ihn hinein. Das Wasser spritzte in alle Richtungen und Dampf stieg in die Luft.

Wie benommen trieb der Flügellose unter der Oberfläche, unfähig, sich zu bewegen. Auch wenn sie ihn lieber nicht noch einmal berührt hätte, beugte sie sich über den Brunnenrand und griff nach ihm, um ihn herauszuziehen, bevor er womöglich ertrank. Sie mobilisierte ihre Kräfte, spürte, wie ihre Muskeln stechend rebellierten, und zog den um einiges schwereren Mann über die Umrandung auf das Kopfsteinpflaster.

Der Flügellose röchelte, begann zu husten und spuckte einen Schwall Wasser aus. May ließ von ihm ab und richtete sich schwankend auf.

Stöhnend sank er mit kalkweißem Gesicht gegen die Brüstung des Brunnens.

»Danke.« Seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern.

Das Feuer hatte ein großes Loch in den Stoff seines Mantels gefressen und verbranntes Fleisch schimmerte darunter hervor. May zögerte erneut, bevor sie sich abwandte. Er würde allein zurechtkommen müssen, denn sie hatte getan, was sie konnte. Entschlossen schaute sie sich nach dem Feuerball um. Die Wolke war in der Zwischenzeit weitergezogen und die Aschekrieger hatten ihn erneut gebannt.

Der König bohrte die Finger tief in das Glutlicht und klammerte sich schwankend an dem feurigen Körper fest. Hastiger, als sie es je zuvor erlebt hatte, sog er die Kraft in sich auf.

Das silbergraue Haar klebte schweißnass auf seiner Stirn und als er den Blick hob, zuckte May unwillkürlich zusammen, denn seine Augen glommen wie glühende Kohle.

»Wir brauchen einen Heiler!«, rief sie und sah sich suchend nach dem zuständigen Aschekrieger um, der sich sogleich aus der Gruppe löste.

Der König verschlang den Rest des Glutlichts, bis nur ein einzelner Funke übrig blieb, der rasch erlosch.

Torkelnd drehte er sich zu May und sofort eilte sie ihm entgegen. Er machte einen unsicheren Schritt auf sie zu, taumelte und verlor das Gleichgewicht. May fing ihn gerade noch auf, bevor er zu Boden stürzte, und ließ sich mit ihm behutsam auf das Kopfsteinpflaster sinken.

Schweiß lief ihm über die Schläfen und seine Brust bewegte sich nur schwach. Verzweifelt forschte sie in seinem Gesicht, das um Jahrzehnte gealtert war. Sein Äußeres glich einem verwelkten Blatt. Tiefschwarze Ringe lagen unter den glühenden Augen, die Wangen waren eingefallen und die schlaffe Haut hatte sich orange verfärbt.

»May …« Sein Atem rasselte.

Mit fahriger Hand tastete er nach ihr.

»Alles wird gut«, sagte sie und griff nach ihm. Seine Haut glühte fiebrig, als würde darunter die Kraft des Glutlichts pulsieren.

Der Heiler stürzte zu ihnen, doch König Oras schüttelte schwach den Kopf. May wollte ihm widersprechen. Wollte, dass ihm geholfen wurde.

Er hielt sie mit sachtem Druck zurück und die geschwungene Flammenrune, das Zeichen der Königswürde, flackerte auf seiner Stirn. Beinahe in Zeitlupe öffnete er die Finger seiner anderen Hand, in der eine Schachfigur lag. Ein kleiner König aus Obsidian, den er May zitternd reichte. Ihr Herz wurde noch schwerer. Es war ein Symbol ihrer Freundschaft. Ein Zeichen des nahenden Endes.

Er stöhnte, öffnete erneut die spröden Lippen.

»Beschütze die Stadt.«

Winzige Lichtfunken stiegen wie Glühwürmchen von seinem Körper auf und Blut rann aus seinem Mundwinkel. Mays Herz zog sich schmerzhaft zusammen, während sie ihn und die kleine Figur fest umklammerte.

»Versprich es«, hauchte er.

May nickte, war nicht imstande auch nur ein Wort herauszubringen. Die Rune auf der Stirn des Königs flackerte ein letztes Mal golden auf, bevor sie, wie der Glanz in seinen Augen, für alle Zeit erlosch.

Etwas in May zerbrach, zerbarst in tausend Scherben, die nie wieder zusammengefügt werden konnten.

»Bitte nicht«, beschwor sie ihn, während sie den leblosen Körper an sich presste, der sich in ihren Armen auflöste. Unzählige Partikel aus strahlendem Licht umgaben sie. So hell, dass May geblendet die Augen schließen musste. Ein sachter Luftzug streifte ihr Gesicht wie ein stummer Abschied und verschwand. Für immer. In der Unendlichkeit des Himmels.

Völlig benommen öffnete May die Lider. Ihre Hände umarmten die Luft, wo bis vor wenigen Sekunden der Körper von König Oras in ihren Armen gelegen hatte.

Tränen liefen ihr übers Gesicht.

Sie weinte.

Vor all den Augen.

Eine schluchzende, gebrochene Königin, die nicht bereit war, einen weiteren geliebten Himmelsstürmer gehen zu lassen.

Doch ihr blieb keine Zeit zu trauern, ihrem Schmerz Raum zu geben. Sie war die Thronfolgerin, die Herrscherin, die den Bewohnern Elydors Halt geben musste, um sie vor Bedrohungen zu schützen. Jahrelang hatte man sie auf diesen Moment vorbereitet und May würde ihr Bestes geben, auch wenn der Schmerz sie wie eine dunkle Welle überflutete.

Langsam hob sie den Kopf, wischte sich mit dem Ärmel über die verquollenen Augen und umfasste die kleine Figur fester. Die Umstehenden tuschelten aufgeregt miteinander und Entsetzen stand in den Gesichtern der Aschekrieger geschrieben. Unruhig huschten ihre Blicke hin und her und verloren sich irgendwo hinter May. Sie rappelte sich auf.

Ein Raunen ging durch die Menge, die sich um sie herum versammelt hatte.

»Es lebe der König«, ertönte eine zaghafte Stimme.

Was – May drehte sich irritiert um die eigene Achse. Die Aschekrieger schwiegen geschockt, ganz im Gegensatz zu den Bewohnern des Viertels.

»Es lebe der König!« Wie ein Lauffeuer breitete sich der Ruf über dem Tarros aus. Immer lauter. Gewaltiger. Unaufhaltsamer.

Ihr Blick traf den Flügellosen, der am Fuß des Brunnens kauerte. Er hatte die Hände in die schlammige Erde gekrallt, die Augen weit aufgerissen, das Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse verzogen. Und auf seiner Stirn flackerte feuerrot die Flammenrune des Königs.

4. Kapitel

MAY

May fühlte sich wie betäubt, als sie ihre Gemächer betrat. Sie schleppte sich an dem kleinen Tisch neben der Couch vorbei, auf dem eine Schachpartie darauf wartete, beendet zu werden, und steuerte auf das Bett zu.

In den letzten Stunden hatte sie nicht nur den Flügellosen sicher ins Schloss eskortiert, sondern sich auch um die dringendsten Aufgaben des Tages gekümmert, die keinen Aufschub duldeten.

Jetzt drückte die Last der Ereignisse schwer auf ihre Schultern und ließ sie das Gleichgewicht verlieren. May taumelte, schaffte es nicht mehr, ihre Flügel auszubreiten, und fand mit letzter Kraft am Bettpfosten Halt.

Narah, ihre Zofe, eilte herbei und verhinderte, dass sich May mit den rußverschmierten Kleidern in die Kissen fallen ließ. Bestimmt griff die ältere Frau mit den unscheinbaren braunen Schwingen nach ihrem Arm und bugsierte sie ins Bad.

Worte versuchten zu May durchzudringen, wurden jedoch von der Leere verschluckt, die wie ein finsterer Krater in ihrer Brust klaffte und sich weiter ausbreitete.