Clean Meat - Nadine Filko - E-Book

Clean Meat E-Book

Nadine Filko

0,0
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

2013 verkostete die Food-Expertin Hanni Rützler ihren ersten Burger aus In-vitro-Fleisch. Schon bald soll das Fleisch aus der Retorte günstiger sein als jenes, das heute im Supermarkt angeboten wird. Werden wir künftig auf Tiertransporte und Schlachthöfe verzichten können und nur noch Steaks aus dem Reagenzglas essen? Nadine Filko gibt einen fundierten Überblick zur aktuellen Debatte um das "saubere Fleisch". Sie analysiert die Bedeutung von Fleisch für die Entwicklung des Menschen, untersucht die Auswirkungen des Massenkonsums auf Umwelt und Tierwohl und stellt die Alternativen vor. Dabei wirft sie den Blick auf Wissenschaft, Wirtschaft und Politik bis hin zu den Landwirten und geht der Frage nach, ob wir als Konsumenten schon bereit sind für den Umstieg auf Clean Meat. Auf Basis ihrer umfangreichen Recherchen formt sie ein realistisches Bild unserer Ernährung in der Zukunft.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 268

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Distanzierungserklärung: Mit dem Urteil vom 12.05.1998 hat das Landgericht Hamburg entschieden, dass man durch die Ausbringung eines Links die Inhalte der gelinkten Seite gegebenenfalls mit zu verantworten hat. Dies kann, so das Landgericht, nur dadurch verhindert werden, dass man sich ausdrücklich von diesen Inhalten distanziert. Wir haben in diesem E-Book Links zu anderen Seiten im World Wide Web gelegt. Für alle diese Links gilt: Wir erklären ausdrücklich, dass wir keinerlei Einfluss auf die Gestaltung und die Inhalte der gelinkten Seiten haben. Deshalb distanzieren wir uns hiermit ausdrücklich von allen Inhalten aller gelinkten Seiten in diesem E-Book und machen uns diese Inhalte nicht zu Eigen. Diese Erklärung gilt für alle in diesem E-Book angezeigten Links und für alle Inhalte der Seiten, zu denen Links führen.

 

Besuchen Sie uns im Internet unter

www.langen-mueller-verlag.de

© für die Originalausgabe und das eBook: 2019 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: STUDIO LZ, Stuttgart

Umschlagmotiv: Shutterstock, Contrail/Alex Staroseltsev/science photo/Makovsky Art

Lektorat: Achim Gralke

eBook-Produktion: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten

ISBN 978-3-7844-8363-4

Für meinen Mann Andreas, der mir geduldig bei diesem ersten Buchprojekt zur Seite stand und meine Leidenschaft für gutes Essen sowie Innovationen teilt. Und für all jene, für die Ernährung mehr ist als bloße Kalorienzufuhr und die sich wie ich auf der Suche nach diesem Mehr befinden.

Inhalt

Prolog: Fall X

Vorwort

Teil I: Die Idee einer Zukunft

Die Vision

Revolutionen

Vom Schützen zum Schützer

Zeichen des Wandels

Auf dem grünen Weg zur Revolution

Intermezzo: Fall X

Teil II: Eine saubere Sache?

Der Markt der Zukunft

Auf dem Weg zum neuen Markt

Implikationen und Potenziale

Vision oder Fiktion?

Clean oder nicht Clean?

Epilog: Fall X

Clean Meat zum Nachschlagen: Unternehmen und Institutionen (eine Auswahl)

Danksagung

Autorenporträt

Prolog: Fall X

Als Kommissar Jansen vom Morddezernat den Tatort erreicht, stockt ihm der Atem. Der Boden ist blutbedeckt. In der Luft hängt der Geruch von Angst.

»Proben nehmen«, befiehlt er, während er sich ein Bild von der Halle macht. Seit 70 Jahren wurde hier nicht mehr getötet. Von der einstigen Barbarei sind bloß noch stille Zeugen übrig. Kalter Stahl und Fließbänder erinnern an eine längst vergessene Zeit.

Jansen fixiert seinen Partner: »Was ist hier passiert, Wolf?«

»Der Hund einer Spaziergängerin ist gestern hierauf aufmerksam geworden. Sie wird derzeit verhört. Soweit ich informiert bin, haben diese Hallen seit dem Erlass von 2042 keine Menschenseele mehr gesehen«, erwidert Wolf.

»Jetzt rate mal, was wir gefunden haben.« Er reicht Jansen ein Foto.

»Gibt es doch nicht«, flüstert Jansen.

Schon einmal hatte er ein solches Zeichen gesehen. Der Fall lag vier Jahre zurück. Ein rotes Karo mit dem blutenden Kopf eines Rinds. Dahinter steckte offensichtlich dieselbe Vereinigung wie hinter der blutrünstigsten Tat, die Jansen in seiner 20-jährigen Laufbahn bei der Polizei gesehen hatte.

»Karnivoren«, flüstert Jansen.

»Ganz genau«, Wolf grinst.

Was als kleine Gruppierung angefangen hatte, die ihrer Lust auf den Geschmack echten Blutes nachgab, war mittlerweile schon so weit im Untergrund verbreitet, dass so ziemlich jeder seine Finger im Spiel haben konnte. Auf dem Schwarzmarkt fanden frische echte Rindersteaks für Hunderte Euro ihren Weg in die bundesweiten Küchen. Es war schon eine echte Protestbewegung.

Für Jansen ein Protest gegen die Vernunft. Vieh zu schlachten war aus gutem Grund verboten. Nur ganz knapp war die Menschheit 2042 ihrem Exitus entronnen. Millionen Menschen verhungerten damals. Die Erde stand kurz vor ihrer Zerstörung. Die Entscheidung gegen das herkömmliche Fleisch und für die alternative Herstellung im Labor war richtig gewesen. Es war der einzige Weg für eine Zukunft.

Vorwort

Eine Zukunft ohne Schlachthaus und mit Fleisch aus dem Labor, in der das Schlachten unter Strafe steht? Wissenschaftler weltweit malen eine Ernährungswelt, wie sie im Prolog beschrieben wird. Sie soll uns vor einem scheinbar unausweichlichen Schicksal bewahren. Einem Schicksal, das uns aufgrund einer schnell wachsenden Mittelschicht und Weltbevölkerung, die es nach tierischen Proteinen verlangt, bevorzustehen scheint. Haben wir ausreichend Ressourcen, um der steigenden Zahl an Menschen und der damit wachsenden Protein-Nachfrage nachzukommen? Kann unsere Umwelt der Produktion von immer mehr Futtermitteln und Dünger standhalten? Wissenschaftler, Aktivisten und Industrie scheinen sich einig: Der Zeitpunkt für einen Wandel ist gekommen.

Und so sehen wir seit geraumer Zeit eine Revolution in Gedanken, die sich in einer neuen Ernährungsidentität ausdrückt, gekennzeichnet von veganer Ernährung, Bioinitiativen, Gesundheitsbewusstsein und Aktivismus. Die Veränderung findet ihren Gipfel in einem Produkt, das es noch nicht auf dem Markt gibt, dafür aber in die Schlagzeilen geschafft hat: Clean Meat. Ein Begriff, der weitaus mehr bedeutet als die reine Übersetzung »sauberes« Fleisch. Er steht für einen veränderten Umgang mit der Natur, mit Tieren, unserer Ernährung und letztendlich für eine veränderte Fleischindustrie.

Dieses Buch soll aufzeigen, welche Potenziale eine Clean-Meat-Welt für unsere Gesellschaft und Umwelt bereithält. Um das zu schaffen, wird sie als Teil eines Wandels betrachtet, der sich über die letzten Jahrzehnte aufgebaut hat und derzeit immer wieder den Ernährungsdiskurs lenkt – vornehmlich im Rahmen der Vermarktung innovativer neuer veganer Fleischprodukte.

Mein Blick wandert nicht nur in eine potenzielle Clean-Meat-Zukunft, sondern auch in die Vergangenheit. Denn um zu verstehen, warum ein Wandel bevorstehen könnte, müssen wir verstehen, warum der Mensch überhaupt der Lust nach Fleisch nachgibt. Im Fokus steht dabei das derzeitige Ernährungssystem, das Tiere entfremdet und als Produkte behandelt. Wie genau sehen die Implikationen dieses Systems für unsere Umwelt aus? Und was hat die Entwicklung der Landwirtschaft und letztlich der industriellen Produktion damit zu tun? Welche Gründe haben wir, unsere Ernährung und schließlich über Jahre antrainierte Gewohnheiten aufzugeben? Wie sieht die Wurzel für die Motivation zur Schaffung eines neuen Systems aus? Welche anderen Teilsysteme hat die derzeitige Industrie hervorgerufen? Und warum sehen wir gerade jetzt das Potenzial für eine Revolution?

Nur wenn wir akzeptieren und verstehen, woher unser Ernährungssystem kommt, können wir den Blick gen Zukunft richten und versuchen nachzuvollziehen, welche Prozesse derzeit im Bereich der Ernährung in Gang gesetzt werden. Dabei steht neben Clean Meat die Weiterentwicklung von Teilmärkten wie dem der veganen Produkte. Die klassische Zielgruppe dieser Kategorie zeigt seit Jahrhunderten, wie Ernährung auch ohne tierische Proteine funktionieren kann, und hat den Weg für ein transparentes System bereitet. Heute aber hat sich der Fokus der Hersteller von veganen Produkten verschoben, wodurch sie eine nie dagewesene Stimme erhalten haben. Denn längst geht es ihnen nicht mehr nur um Vegetarier und Veganer, sondern um Flexitarier. Ursprung der neuen Produkte sind dabei innovative Start-ups, die ihre Produkte weltweit als Lifestyleware vermarkten. Das Ziel ist eindeutig die Eroberung des Markts der Fleischesser.

Der Wandel im Kontext Clean Meat muss deshalb als das betrachtet werden, was er ist: Ein Ganzes, das sich aus vielen Teilen der Ernährungsindustrie zusammensetzt. Diesen Teilen aber ist eines gemein: Sie alle liefern eine Antwort auf die Frage nach einer Lösung für Umwelt- und Tierschutzfragen, die mit dem Ernährungssystem, das wir etabliert haben, einhergehen.

Neben dem veganen Markt sehen wir in der jetzigen Fleischproduktion eine sich abzeichnende Verschiebung zu einer immer bewussteren Produktion, die sich im Label »Bio« ausdrückt. Landwirte verändern ihren Produktionsprozess, um sich von einem System zu lösen, das ihnen ökonomischen und ökologischen Schaden zufügt. Auf der anderen Seite stehen immer mehr Verbraucher, die sich für eine bewusste Ernährung entscheiden. Sie alle sind Wegbereiter und Basis einer Idee der Ernährung. Deshalb soll auch dieser Aspekt bei der Betrachtung der Clean-Meat-Welt eine Rolle spielen. Denn eine sich verändernde Ernährungsidentität ist genauso Teil von Erfolg oder Misserfolg der neuen Fleischer wie Probleme der Skalierung – der Steigerung der Produktion also.

Nicht zuletzt gilt es herauszufinden, was Unternehmen wie Wiesenhof oder die Rügenwalder Mühle zu dem neuen Trend sagen. Denn auch sie reihen sich in die Riege der Systemveränderer ein und bringen statt der bekannten immer mehr vegane Produkte sowie weitere Proteinalternativen auf die bundesweiten Speisekarten. Dabei rühmen sie sich, Teil des Wandels zu sein. Warum? Welche Wege werden von der deutschen Industrie beschritten? Wie weit unterstützen sie die Pioniere der Clean-Meat-Szene? Und wie weit sind wir in Deutschland auf den Wandel vorbereitet?

Clean Meat könnte das letzte Teil der Lösung für eine Herausforderung sein, die wir über Jahrtausende geschaffen haben. Dabei ist auch das »künstliche« Fleisch durchaus umstritten. Denn für die Herstellung braucht es die Biopsie eines Tieres und den Einsatz eines Serums. Letzteres ist größter Kritikpunkt. Bisher arbeiten viele Clean-Meat-Pioniere mit fötalem Kälberserum. Anderseits wird bereits unter Hochdruck an Alternativen geforscht, die beispielsweise aus Algen gewonnen werden. Der Diskurs ist facettenreich und längst nicht am Ende angekommen. Doch woher kommt die Idee zum Fleisch, das aus ein paar tierischen Zellen hergestellt wird, und welche Player dominieren den Markt? Um das zu verstehen, reicht es nicht, den Blick ausschließlich in die Fleischlabore wandern zu lassen. Denn was wir seit ein paar Jahren beobachten können, sind immer mehr Experten, die sich mit einer ganzen »Cellular Agriculture« auseinandersetzen – einer auf Zellkulturen basierenden Landwirtschaft. Hier finden sich Unternehmen, die Milch, Leder und vieles mehr herstellen.

Um schließlich das komplexe System, das sich derzeit aus den Strukturen des alten hervortut, zu verstehen, habe ich Experten gebeten, Einblick in Clean-Meat-Potenziale zu gewähren. Sie zeigen auf, ob der Konsument bereit ist, das Fleisch aus dem Labor zu essen, und was es braucht, um dieses sogenannte »Novel Food« auf den Markt zu bringen. Denn das im Labor gezüchtete In-vitro-Fleisch verspricht eine Welt ohne Tierleid, eine bessere Umweltbilanz und gesündere Ernährung für den Menschen. Es geben also nicht nur Clean-Meat-Investitionen von weltweiten Größen aus dem Bereich der Fleischproduktion Anlass, das Retortenfleisch genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Potenziale, die es zu bergen scheint, klingen einfach zu gut, um wahr zu sein.

Der Umzug vom Stall ins Labor verspricht dabei eine schöne neue Welt, in der der Mensch seiner wahren Natur und seinem Platz auf der Erde wieder näherkommt. An der Basis steht die Evolution, die ganz nach dem Darwin’schen Prinzip ein geschwächtes System zurücklässt, um Platz für ein scheinbar stärkeres zu machen. Clean Meat wird daher nicht nur verändern, was der Mensch isst, sondern wer er ist. Was übrig bleibt, ist ein System, das keinen Platz für Kompromisse kennt. Denn es wird uns dazu zwingen, unsere bisherigen Konsum- und Produktionsgewohnheiten radikal zu ändern und uns von unserer über Jahrhunderte entwickelten Ernährungsidentität ein Stück weit zu entfernen. In diesem Für und Wider das menschliche Augenmaß zu behalten, das ist eine der Intentionen dieses Buches.

Clean Meat: die Rettung der Menschheit und unseres Gewissens? Kommen Sie mit auf eine Reise in die Vergangenheit, um die Gegenwart zu verstehen und eine mögliche Zukunft zeichnen zu können.

Teil I:Die Idee einer Zukunft

Die Vision

»Wir werden von dem Aberwitz abkommen, ein ganzes Huhn zu züchten, um die Brust oder den Flügel zu essen, und diese stattdessen in einem geeigneten Medium züchten.«

Winston Churchill

Inspiration, Innovation und Ideale treiben eine neue Generation von Entrepreneuren an, die eines vereint: Sie haben das Potenzial, die Welt zu verändern. Sie sind Entdecker neuer Länder einer Welt, deren Grenzen bereits erreicht zu sein schienen. Wie die einstigen Entdecker begeben auch sie sich heute auf für viele zweifelhafte Wege. Und auch ihre Visionen unserer Zukunft stehen in der Kritik. Es sind die großen Ideen und Technologien, die hinter den neuen Produkten oder Services stehen und die Art, wie wir leben, maßgeblich verändern – oft revolutionieren –, die nicht ohne Weiteres Akzeptanz finden. Denn zu verlockend ist das, was altbewährt ist. Und zu anstrengend scheint oft ein wirklicher Wandel. Und doch gibt es sie, die großen Ideen, die unser Leben durcheinanderwirbeln. Haben wir sie erst einmal akzeptiert, sind es gezielte und durchdachte neue Wege, die wir voller Leidenschaft beschreiten.

Derzeit stehen wir an der Schwelle zur Akzeptanz einer gewohnheitsverändernden Idee. Es ist eine potenzielle Revolution, die ein Gebiet berührt, das jeden einzelnen Menschen angeht: Ernährung. Kein anderer Bereich ist so zentral zum Überleben und gleichzeitig Produkt von Leidenschaft und Gewohnheit. Doch nicht nur das: Wir stehen vor der Frage, wie wir die Versorgung der Menschheit mit Proteinen und zugleich den Erhalt unserer Umwelt aufrechterhalten können. Eine scheinbare Pattsituation. Können wir Ernährungsgewohnheiten, die über Jahrhunderte hinweg antrainiert wurden, einfach so über Bord werfen? Wie lässt sich ein so zentraler Bereich des Menschseins revolutionieren?

Um diese Fragen beantworten zu können, müssen wir uns über eines bei der Betrachtung unserer Ernährung im Klaren sein: Wenn Geschmäcker auch unterschiedlich sein mögen, in einem gleichen wir uns – wir alle wollen essen. Während ich beispielsweise diese Zeilen schreibe, esse ich alle paar Minuten eine Handvoll Nüsse. Dabei komme ich neben all den Gedanken an Ernährung nicht drum herum, an meine nächste Mahlzeit zu denken. Wenn mein Wecker morgens klingelt, gibt es nur eines, was mich beschäftigt: Frühstück. Sobald ich gesättigt am Schreibtisch sitze, schweifen meine Gedanken zum nächsten Snack, dann zur Frage, was ich zu Mittag essen kann, und schließlich, wie ich den Abend kulinarisch ausklingen lasse. Dass mein Magen wirklich knurrt, mein Körper mir signalisiert, dass ich essen muss, kommt so gut wie gar nicht vor. Wird sich das ändern, wenn wir so weitermachen wie bisher und unsere Ressourcen ausbeuten, während die Zahl der Menschen kontinuierlich wächst? Klopft der Hunger bald wieder an unsere Türe?

Ich habe das Glück, wie viele andere Menschen auch (leider längst nicht alle!), im Überfluss zu leben. Als Teil der westlichen Gesellschaft, die von Supermarkt zu Kiosk, zu Restaurant, Bäcker und Café nebenan pilgert, um Metall und Papier gegen Kalorien einzutauschen. Essen ist zwar immer noch zentral, um zu überleben, der Gang zum gefüllten Kühlschrank aber könnte nicht unterschiedlicher sein gegenüber dem Weg unseres ursprünglichen Ichs, des Jägers, zur Jagd. So ist nicht mehr das Überleben zentral, sondern Genuss und Leidenschaft. Im Fokus steht, was schmeckt. Es geht nicht mehr darum, ausreichend Kalorien zu konsumieren, sondern nur darum, in welcher Form und mit welchem Geschmack wir sie uns zuführen. So viel Glück hatte ein durchschnittlicher Mensch der westlichen Welt zu Zeiten des Krieges noch nicht. Im Kontext der Menschheitsgeschichte trennt uns von dieser Epoche nur ein Wimpernschlag der Zeit.

Fest steht: Das Thema »Ernährung« hat immer öfter einen faden Beigeschmack. Denn was jetzt noch ausreicht, um die Menschheit zu ernähren, könnte schon bald an seine Grenzen stoßen. Immer mehr Menschen wollen immer mehr essen, und zwar vornehmlich eines: tierisches Protein. Nicht nur, dass wir mit den Kapazitäten und Ressourcen dem Anstieg der Nachfrage unserer wachsenden Weltbevölkerung nicht gerecht werden können, unser derzeitiger Konsum sorgt zudem für die Zerstörung des natürlichen Gleichgewichts unserer Umwelt. Wälder werden gerodet, Monokulturen dominieren das Landschaftsbild, und Tiere sind nicht mehr Lebewesen, sondern Produkt. Traditionelle Bauern kämpfen ums Überleben, und Industrien kämpfen mit möglichst billigen Lebensmitteln um die Gunst der Konsumenten. Wir haben über Jahrtausende hinweg ein System erschaffen, eine Welt, die sich nun gegen uns aufzubäumen scheint.

Mit ihr aber regt sich auch etwas in den Gemütern vieler Menschen. Sie sind Teil dieser beschriebenen möglichen Revolution und ebnen den Weg für die Idee einer neuen Ernährungsidentität, die in einem Trend zu gipfeln scheint und der von einer »Handvoll« Unternehmen weltweit angetrieben wird. Ihre Mission betrifft eine der wohl inspirierendsten Visionen unserer Zeit: Die Schaffung und Vermarktung von Clean Meat.

Im Labor: Eine neue Fleischära

»Der Verbraucher definiert, was Fleisch wirklich ist. Unsere Aufgabe ist es, Fleisch herzustellen, das die Verbraucher essen wollen. Nur so werden wir globale Dimensionen erreichen und bedeutende positive Auswirkungen auf die Umwelt, die menschliche Gesundheit und das Leiden der Tiere haben.«

Mark Post

Fleisch. Es umgibt uns, nährt uns, ist Sinnbild für Körperlichkeit und Leben, Bewegung und Agilität. Fleisch ist Muskel, Sehne und Fett. Es ist Teil unseres Körpers und unserer Lust auf Geschmack. Dabei gibt es wohl keine kontroverser diskutierte biologische Masse als Fleisch. Denn sprechen wir davon, meinen wir zuallererst Schlachtfleisch. Das Fleisch, das auf einem Teller serviert den Menschen nährt. Auf 95,7 Kilogramm Schlachtgewicht pro Kopf jährlich sollen wir laut Fleischatlas 2018 bis 2050 in den Industrieländern kommen.[1](Der Fleischatlas ist ein Kooperationsprojekt der Heinrich-Böll-Stiftung, des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland sowie von Le Monde Diplomatique. Die Publikation hilft in diesem Buch an vielen Stellen zu verstehen, wie der Fleischmarkt funktioniert.)

Fleisch ist für den Menschen in erster Linie eines: Nahrungsmittel. Ein Nahrungsmittel, das wir so nicht weiter konsumieren können – wegen der Zunahme des Konsums, hervorgerufen durch nie dagewesenen Reichtum und eine wachsende Weltbevölkerung. Denn die Kapazitäten reichen schlichtweg nicht aus. An diese Erkenntnis knüpft eine viel geteilte Vision an: eine Welt ohne Schlachtfleisch. Während für viele Menschen diese Vision mit der unweigerlichen Abkehr vom Fleischkonsum verbunden ist, spielen Wissenschaftler global mit einer Idee, die es dem Menschen erlaubt, auch ohne das Töten von Tieren ihrer Lust nach Fleisch nachzukommen. Gestillt wird diese Lust mithilfe von im Labor gezüchtetem Fleisch. Tatsächlich sehen wir hier die vielleicht ersten Schritte einer Revolution, die die Geschichte der Menschheit umschreiben könnte. Es sind Inspiration und unbändige Energie, die eine neue Generation von Unternehmern antreibt, die das Talent und Durchhaltevermögen mitbringen, die Clean-Meat-Revolution herbeizuführen.

Am Anfang dieser Revolution steht bloß eine Zelle. Eine Zelle, die es schaffen soll, mit der Fleischindustrie konnotierte Probleme wie Tierleid zu beenden, die Belastung der Umwelt signifikant zu reduzieren und Herr des wachsenden Proteinbedarfs zu werden. Die Idee, die hinter der fantastischen Vision dieser »Einzellen-Industrie« steht, heißt unter anderem »In-vitro-Fleisch«, »Cultured«, »Cell-Based« oder aber »Clean« Meat. Diese Idee steckt noch in den Kinderschuhen und zeigt doch das Talent zum Wandel. Ihr Ziel ist es, etwas zu schaffen, woran eine ganze Industrie derzeit scheitert: eine »saubere« Fleischindustrie, die ein System transformieren könnte, das wir über Jahrhunderte aufgebaut haben. Die Zahl ihrer Wortführer ist zwar noch überschaubar, ihre Stimme aber gewinnt an Kraft. Unternehmen wie das niederländische Mosa Meat, die israelischen Start-ups SuperMeat und Aleph Farms oder das US-amerikanische Memphis Meats gehören zu den Pionieren der Szene und haben allesamt eines gemeinsam: Sie sehen einen Fleischmarkt, der durch Retortenfleisch auf ein neues Level der Optimierung gehoben werden soll.

An der Basis der Clean-Meat-Idee steht eine Technologie, die die Medizin bereits revolutioniert hat: in-vitro. Ein Begriff, der unmittelbar mit der In-vitro-Fertilisation konnotiert wird. Hören wir ihn, denken wir also zuallererst an Medizin. Wir denken an Fortschritt und Ethik. Dabei bedeutet in-vitro nicht mehr als »im Glas«. Es ist die Umschreibung eines organischen Prozesses, der außerhalb des Organismus stattfindet[2]und uns künftig in seinem vollendeten Ergebnis als Nugget, Boulette oder Schnitzel im Supermarkt begegnen könnte. Im Zentrum der Idee steht dabei ein Ideal: Fleisch, für das kein Tier sterben musste.

So unvorstellbar sich das Ideal auch anhört: Tatsächlich erlaubt es die In-vitro-Technologie, eben diese Vision zum Leben zu erwecken. Eine einzige Zelle eines Tieres reicht aus, um im Labor massenhaft Fleisch herzustellen. »Wenn man es herunterbricht, geht es dabei um Proteine«, erklärt Dr. Mark Post, einer der Pioniere der Clean-Meat-Szene und Mitgründer von Mosa Meat, während der New Food Conference 2019 der Nichtregierungsorganisation ProVeg. Während seines sehr technischen Vortrags auf der Konferenz lauschen die Zuhörer trotz des Fachjargons gebannt. Auch ich reihe mich ein in die Gruppe neugieriger Laien, die versucht, den Ausführungen des Pioniers zu folgen. Er weiß, um aus einer Zelle gleich ein ganzes Stück Fleisch wachsen zu lassen, braucht es einen zentralen Mitspieler: die Satellitenzelle.

Satellitenzellen, den Kern des im Labor gezüchteten Fleischs, bilden Gewebe, sobald eine Muskelfaser verletzt wird. Ich stelle mir das vor wie bei einer Verletzung des eigenen Gewebes. Wie oft schneidet man sich beim Kochen oder reißt sich die Haut durch eine unachtsame Bewegung auf. Innerhalb von ein paar Tagen schafft es der menschliche Körper, diese Wunden zu verschließen und neues Gewebe wachsen zu lassen. Es ist diese Fähigkeit der Zellen, die sich die Clean-Meat-Gemeinschaft zunutze macht. Sie nutzt also eine Anlage, die die Natur Lebewesen geschenkt hat, und setzt sie dafür ein, etwas vollkommen Neues zu schaffen.

Um das zu schaffen, entnehmen Wissenschaftler weltweit verschiedenen Tieren also Gewebe, das zahlreiche der bereits erwähnten Satellitenzellen in sich trägt. Die Zellen breiten sich aus. Aus einer kleinen Biopsie, der Gewebeentnahme von einer Kuh, und Hunderten Satellitenzellen wird, nachdem sie ihren Reparatur-Zauber vollbracht haben, ein kleines Stück Gewebe. »Wir bauen die Zellen zusammen und legen sie in eine Nährlösung, was den Zellen erlaubt, sich zu finden und zusammenzuziehen. Der nächste Schritt des Wachstumsprozesses. Denn unsere Muskelzellen sind Bewegungsjunkies«, schmunzelt Post bei seinem Vortrag. Die Bewegung schenkt dem Gewebe Volumen. Sie lassen es »trainieren«, so wie wir unsere Muskeln in Fitnesscentern trainieren. Nur dass ihre Anstrengungen bereits nach drei Wochen und nicht etwa nach sechs Monaten sichtbar werden. Warum sich Post für die Entwicklung der Technologie einsetzt? Für ihn, wie so viele andere der Szene, eine Mission: »Unser Ziel ist ein Burger, ohne die Kuh wirklich in den Prozess der Herstellung zu involvieren. Die Kühe sollen im wahrsten Sinne des Wortes spürbar weniger leiden. Außerdem muss die weltweite Zahl der Kühe reduziert werden.« Die Wissenschaftler der Szene scheinen sich einig: Es geht um weniger Umweltbelastung und bessere Verhältnisse für das Tier. Der Weg dorthin allerdings ist steinig.

Die erste Zelle: Geburt einer Idee

»Mein Vater sagte einst, er hätte einen Nahrungsmittelkomplex. Wenn es Nahrung gebe, müsse er sie essen.«

Ira van Eelen

Ira van Eelen ist eine freundlich dreinblickende, blonde Frau in den besten Jahren. Wer sie das erste Mal trifft, vermutet vielleicht nicht, dass sie bereits die zweite Generation der Clean-Meat-Idee verkörpert und heute wohl eine der zentralsten Akteure und Galionsfigur der Industrie ist. Nicht nur weil sie Mitglied des Beirats des Start-ups JUST ist oder Beraterin bei der Cellular Agriculture Society. Sie treibt als Tochter von Willem van Eelen, dem Mann, der als Vater des In-vitro-Fleisch-Ansatzes heute schon in die Geschichte eingegangen ist, die Idee weiter an. Ein Name, den unsere Kinder – sollte es Clean Meat in unseren Alltag schaffen – vielleicht irgendwann im Geschichtsunterricht lernen werden. Denn sein Träger könnte die Geschichte der Menschheit umgeschrieben haben.

Es ist der 21. März 2019, als ich Ira auf der New Food Conference im Herzen Berlins treffen darf. Seit dem Tod ihres Vaters im Alter von 91 Jahren hat sie es sich zum Ziel gesetzt, seine Vision des schlachtfreien Fleisches weiter anzutreiben. Gerade einmal rund vier Jahre ist es her, dass der Ideengeber und Visionär starb. Vier Jahre, in denen sich in der neuen Industrie viel bewegt hat. Auch für Ira. Für sie hat sich mit diesem einschneidenden Ereignis eine völlig neue Welt eröffnet. Denn die Welt ihres Vaters, über die sie so viel mit ihm diskutiert hat und die sein Leben so geprägt hat, ist zu ihrer geworden. »Es war nicht meine Karriere, nicht meine Arbeit, nicht mein Business. Auf der einen Seite bin ich diese alte Frau, die alles über die Wurzeln der Idee kennt, und auf der anderen Seite bezeichne ich mich gerne als Praktikantin der Szene«, schmunzelt Ira. Nachdem ihr Vater so viele Jahre an seiner Idee des Clean Meat gearbeitet hat, trägt sie nun die Saat der bisherigen Errungenschaften weiter in die Welt.

Dabei hat sie die Geschichte ihres Vaters schon oft erzählt: »Doch keine der Geschichten über meinen Vater, die es heute zu lesen gibt, ist vollkommen richtig. Ich bin nicht einmal davon überzeugt, dass ich seine gesamte Geschichte kenne.« Aber Ira weiß, dass Basis der Geschichte ihres Vaters zwei zentrale Faktoren sind: ein grundlegendes Interesse an der Medizin und das Bewusstsein für die Relevanz, die Nahrung in unserem Leben spielt. Während ersteres van Eelen in die Wiege gelegt wurde – sein Vater war Arzt –, musste er letzteres in seiner vollen Härte am eigenen Leib erfahren. Denn der in Indonesien aufgewachsene Unternehmer war während des zweiten Weltkriegs japanischer Kriegsgefangener. Nahrung war für ihn damals das wertvollste Gut. »Asien war lange Zeit das Zuhause meines Vaters. Die Zeit dort hat ihn geprägt. Sowohl jene im Lager als auch davor. Sein ganzes Verhalten und Leben war auf asiatischen Werten aufgebaut«, erinnert sich Ira. Nachdem van Eelen aus dem Gefangenenlager entlassen wurde, musste er, da es in Indonesien nicht mehr sicher war, im Alter von 23 Jahren in die Niederlande übersiedeln. Für ihn ein Land der Fremde. In den Niederlanden fand van Eelen seine fremde zweite Heimat. Er und sein Bruder standen oft lang vor Supermärkten und bestaunten die unzähligen Konserven. »Im Krieg waren Konserven mit Gold gleichzusetzen, auf einmal gab es all dieses Essen«, weiß Ira.

Um studieren zu können, musste van Eelen lügen. Denn im zarten Alter von nur 17 Jahren wurde er bereits Kriegsgefangener. Der Vrije Universität Amsterdam machte er weis, er hätte im Gefangenenlager studiert. »In den Niederlanden waren sie absolut ahnungslos, was in den Kriegsgefangenenlagern geschah. Niemand interessierte sich für die Geschichte der Gefangenen. Sie waren alle zu sehr mit ihren eigenen Kriegserlebnissen beschäftigt«, erklärt Ira. Ein Deckmantel des Schweigens lag also über den Ereignissen in den Lagern – ein Glück für van Eelen. Er biss sich durch und schaffte es, innerhalb eines Jahres den Lehrstoff von sechs Jahren durchzuarbeiten. Ein erstaunlicher Erfolg, nicht nur in Anbetracht der laut Ira bestehenden Defizite, die sich durch die jahrelange Mangelernährung im Lager entwickelt hatten. Diese hatte zur Folge, dass sich van Eelens Körper und vor allem sein Hirn nur langsam erholten und ihre normale Funktion wiedererlangten. Die zentrale Rolle von Nahrung, wie sie van Eelen erlebte, sollte sein ganzes Leben bestimmen. »Mein Vater sagte einst, er hätte einen Nahrungsmittelkomplex. Wenn es Nahrung gebe, müsse er sie essen«, weiß Ira. Darunter fiel natürlich auch die Lust auf Fleisch. Es ist diese Geschichte des Hungers und der Folgen, die er auf das Verhalten von Menschen hat, die als Schlüsselkomponente der In-vitro-Idee gilt. Eine immer wiederkehrende Mechanik, die Teil der grundsätzlichen Ernährungsgeschichte der Menschheit ist. Denn einst war es Hunger, der den Menschen zu Fleisch und Wandel trieb. Diese Geschichte aber liegt noch viel weiter zurück als die van Eelens.

Vom Hunger zum Fleisch

»Die energiekonzentrierte Nahrung trieb das Hirnwachstum an; Menschen mit einem größeren Gehirn erfanden neue Technologien, mit denen konnten sie noch mehr Fleisch beschaffen, aber auch hochwertigere Pflanzennahrung […].«

Kate Wong

Das Bild des frühen fleischfressenden Menschen malt sich oft heroisch. Wir denken an ihn als starken Jäger, der sich auf der Suche nach Nahrung für seine Sippe den Gefahren der Wildnis aussetzte. Er steht im Gegensatz zu unserem heutigen Ich, das nur in den Supermarkt gehen muss, um seiner Lust Befriedigung zu verschaffen. Wie genau die Entwicklung zum Fleischfresser allerdings aussah, darüber sind sich Wissenschaftler nicht einig. Es bleibt Ungewissheit um den ersten Bissen Fleisch. Gewiss ist aber, dass der erste Griff zum tierischen Protein der Startschuss für die Evolution des Menschen war, wie wir ihn kennen. Zu datieren vor rund 2,5 Millionen Jahren, findet er seinen Ursprung in der Veränderung unserer Umwelt. Denn das Nahrungsverhalten von Lebewesen musste sich an die sich wandelnde Vegetation und die zur Verfügung stehenden Pflanzen anpassen. Bei Untersuchungen in Ostafrika konnte festgestellt werden, dass Graslandschaft vor rund drei bis zwei Millionen Jahren in einem Gebiet, in dem Homininenfossilien gefunden wurden, zunahm. Die Folge: Es breitete sich eine Savanne aus, und die Zahl grasender Säugetiere, zu sehen an der Zahl der Fossilien, stieg.[3] Die Umwelt, die wir heute unter anderem aufgrund unseres Fleischkonsums gefährden, hat also einst vielleicht den frühen Menschen weg von der Pflanze und hin zur Fleischlust getrieben.

Warum und wann wir zum Fleischfresser wurden, dem wird im wahrsten Sinne des Wortes auf den Zahn gefühlt. Mithilfe der Untersuchung von Zähnen beziehungsweise den darin enthaltenen Kohlenstoffisotopen kann festgestellt werden, was die damals lebenden sogenannten Homininen – unsere frühen Vorfahren – gegessen haben.[4] Denn von den Isotopen in den Zähnen kann auf die Zusammensetzung der Nahrung geschlossen werden. Unterschiedliche Pflanzen sorgen für unterschiedliche Ablagerungen, die auch unsere heutigen Ernährungsgewohnheiten dokumentieren: »Wer heute auf Fast Food steht, wird sich als starker Konsument von C4-Pflanzen outen beziehungsweise von sie fressenden Tieren. Denn die Zucker in Snacks und Süßgetränken stammen zu einem Großteil aus Mais; die gleiche Quelle hat Viehfutter und somit Rindfleisch«, schreibt Autor Peter B. de Menocal in einem Artikel des Magazins Spektrum.[5] Die Kohlenstoffisotope in den Zähnen unserer Vorfahren lassen in gleicher Weise Vermutungen zu, ob oder ob kein Fleisch gegessen wurde beziehungsweise welche Pflanzen vornehmlich konsumiert wurden. Dabei konnte festgestellt werden, dass der Speiseplan der Homininen trotz eher eintöniger Vegetation vor rund zwei Millionen Jahren recht abwechslungsreich war. Sie haben sich in ihrem Ernährungsverhalten an ihre Umgebung angepasst. De Menocal schließt den Artikel mit folgendem Fazit: »Manches spricht dafür, dass unsere Ahnen als Einzige genügend Flexibilität besaßen, um sich immer wieder an neue Verhältnisse anpassen zu können.«[6] Genau wissen die Wissenschaftler allerdings nicht, welche Lebensmittel den Speiseplan so abwechslungsreich machten. In diesem Kontext bleibt es also etwas spekulativ um tierische Nahrung.

Allerdings könnte der Konsum von Fleisch Überlebensstrategie gewesen sein. Eine Strategie der flexiblen Anpassung an unsere Umwelt, die als Wiege unseres Jägerdaseins und schließlich unseres heutigen Fleischkonsums betrachtet werden kann. Es lässt sich nicht genau feststellen, seit wann der Mensch tatsächlich nicht nur Fleischfresser, sondern auch Jäger war. Werkzeuge zum Zerlegen von Tieren und tierische Knochen lassen darauf schließen, dass der frühe Mensch bereits vor rund 2,6 Millionen Jahren Tiere zumindest auseinandernahm. In Kanjera South in Kenia wurden Schneidewerkzeuge sowie Tierknochen mit Spuren dieser Werkzeuge gefunden, die rund zwei Millionen Jahre alt sind. Die womöglich »ältesten handfesten Zeugnisse menschlicher Jagd«.[7]

Das Jägertum der frühen Menschen hatte dabei sehr wenig mit der modernen Industrie von heute zu tun. Während heute Maschinen dafür sorgen, dass wir unsere Schnitzel und Steaks tellergerecht verpackt im Kühlregal vorfinden, hatten unsere Vorfahren nur das zur Jagd zur Verfügung, was sie umgab. Da war es schon eine technologische Revolution des Menschen vor Hunderttausenden Jahren, den Wurfspeer zu entwickeln. Diese Innovation eines modernen Jagdwerkzeugs hatte für unsere Evolution eine enorme Bedeutung. Denn durch den Wurfspeer konnte bei der Jagd auf die Nähe zum Tier verzichtet werden, wodurch wir andere größere und gefährlichere Tiere erlegen konnten.[8]

Der menschliche Körper passte sich nach und nach den Anstrengungen und Anforderungen der Jagd an. Während wir heute aufgrund unseres massenhaften Konsums von Nahrungsmitteln – unter anderem Fleisch – unter Volkskrankheiten wie Übergewicht und Adipositas leiden, entwickelte sich der menschliche Körper damals aufgrund der neuen Ernährungsweise zur ausdauernden »Maschine«, »die ihre Beute bis zur völligen Erschöpfung getrieben haben [könnte]«.[9] Ein Treiben, das uns auch in entlegenere Teile der Erde geführt hat. Die körperliche Anstrengung der Jagd führte zudem dazu, dass wir Fell verloren und beispielsweise Schweißdrüse sowie Wurfarm entwickelten. Die Jagd nach Fleisch sicherte uns demnach nicht nur Nahrung, sondern ist auch Grundlage für die Entstehung des menschlichen Körpers, wie wir ihn kennen. Wie wir aussehen würden, wenn wir nicht zum Jäger geworden wären? Wer weiß.

Unsere Ernährung hat uns demnach zu dem gemacht, was wir sind. Sie hat den Körper gestärkt und nicht zuletzt unser Hirn wachsen lassen. Ein nicht unwesentlicher Faktor unserer Entwicklung: »Die energiekonzentrierte Nahrung trieb das Hirnwachstum an; Menschen mit einem größeren Gehirn erfanden neue Technologien, mit denen konnten sie noch mehr Fleisch beschaffen, aber auch hochwertigere Pflanzennahrung […].«[10] Doch nicht nur unser Hirn nahm zu, auch unser Hang zum sozialen Miteinander. Arbeitsteilung, das Teilen von Beute und das gemeinsame Zusammentreffen zum Verzehr waren die Folge unserer veränderten Ernährung. Fleisch ist also so viel mehr als ein Leckerbissen, wenn der Magen knurrt. Es ist die Grundlage unserer Welt. Es hat uns gestärkt und wachsen lassen. Die Jagd ist Grundlage dessen, was wir sind. Und heute Wurzel unserer für viele Menschen barbarischen Industrie? Ein ebenso befremdlicher Gedanke wie das Paradox der Umwelt, die uns zu dem Umweltsünder von heute gemacht hat: Die Veränderungen in der Natur waren es einst, die uns zwangen, andere Nahrungsmittel zu uns zu nehmen, und heute gefährden wir eben diese Natur durch die seit damals eingeübten Ernährungsgewohnheiten. In der Jagd finden wir den Ausdruck unserer Lust auf Fleisch, den Willen zum Überleben und den Startpunkt für die Eroberung der Erde. In der Abkehr von ihr vielleicht ja einen evolutionären Rückschritt. Oder eben in der Substitution durch wissenschaftliche Prozesse den nächsten Schritt der Menschheit. Eines aber bleibt, im Ursprung der Entwicklung steht damals wie heute Hunger.

Ein Mann für eine Vision

»Die meisten Menschen, mit denen mein Vater seine Idee erörterte, die seinen Weg begleiten sollten, dachten, er sei verrückt. Ihre Antwort war fast immer, danke, aber nein danke.«

Ira van Eelen