Coaching, Beratung und Gehirn - Gerhard Roth - E-Book
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Coaching, Beratung und Gehirn E-Book

Gerhard Roth

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Beschreibung

Das Buch beleuchtet das Thema Coaching aus neurobiologischer sowie psychologischer Perspektive und bietet fundierte Grundlagen für eine wirksame Beratungspraxis. Es erläutert Faktoren, welche die Entwicklung und Veränderbarkeit von Persönlichkeit sowie Erlebens- und Verhaltensweisen bedingen, und vermittelt ein tiefgreifendes Verständnis verschiedener Interventionsansätze und ihrer Wirkungsweise. Die wichtigste Aufgabe eines Coaches ist es, den Klienten dabei zu unterstützen, einschränkende Erlebens- und Verhaltensmuster zu erweitern. Die Autoren schildern, mit welchen neurowissenschaftlich fundierten Methoden dies in der beratenden Praxis gelingen kann. Das Buch wirft einen differenzierten Blick auf verschiedene Veränderungsebenen und -strategien sowie auf die Wirksamkeit von Coaching-Interventionen. Ein neurowissenschaftliches Standardwerk für qualitativ hochwertige Beratung. - Gerhard Roth ist »der bedeutendste Naturwissenschaftler im deutschsprachigen Raum« (Zeitschrift Cicero) - Alica Ryba ist erfahrene Coaching-Praktikerin Dieses Buch richtet sich an: - Alle Coaches - Alle Psychologischen BeraterInnen - PsychotherapeutInnen

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Seitenzahl: 547

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Gerhard Roth, Alica Ryba

Coaching, Beratung und Gehirn

Neurobiologische Grundlagen wirksamer Veränderungskonzepte

5., durchgesehene und um ein Vorwort erweiterte Auflage

Klett-Cotta

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Klett-Cottawww.klett-cotta.de

© 2016/2021 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Redaktion: Ulf Müller, Köln

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg

Datenkonvertierung: Dörlemann Satz, Lemförde

Printausgabe: ISBN 978-3-608-94944-5

E-Book: ISBN 978-3-608-10038-9

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20322-6

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Inhalt

Vorwort zur 1. Auflage

Vorwort zur 5. Auflage

Einleitung

1 Was ist Coaching?

1.1 

Der Coaching-Kontext: Zielgruppen und Praxisfelder

1.2 

Die Coaching-Agenda: Ziele, Anlässe und Themen

1.3 

Coaching-Ansätze: theoretische Grundorientierungen

1.3.1 Ein theoretischer Rahmen des Coachings

1.3.2 Theoretische Schwerpunkte der angelsächsischen Länder und Deutschlands

1.3.3 Verbreitung von Coaching-Ansätzen

1.3.4 Kurzüberblick wichtiger Coaching-Ansätze

1.3.5 Grundlegende Coaching-Prinzipien

1.4 

Coaching-Varianten

1.5 

Zusammenfassung

2 Coaching und Psychotherapie: zwei grundverschiedene Verfahren?

2.1 

Das unterschiedliche Image von Psychotherapie und Coaching

2.2 

Coaching und Psychotherapie

: zwei Pole mit Überschneidungsbereich?

2.3 

Diskussion der Argumente für eine strikte Unterscheidung

zwischen Psychotherapie und Coaching

2.4 

Gesamtfazit

3 Das menschliche Gehirn und seine Funktionen

3.1 

Die Grundleistungen des Gehirns

3.2 

Die neuronale Grundstruktur des Gehirns

3.3 

Grundlagen der neuronalen Erregungsfortleitung und -verarbeitung

3.4 

Funktionelle Anatomie des menschlichen Gehirns

3.5 

Die Funktion der Hirnrinden-Areale

3.6 

Das limbische System und seine Funktionen

3.7 

Schlussbetrachtung

4 Persönlichkeit, Psyche und Gehirn

4.1 

Das Ausgangsproblem

4.2 

Wie erfasst man »Persönlichkeit«?

4.3 

Kritische Bewertung des »Big-Five«-Ansatzes

4.4 

Die Entwicklung von Selbst und Ich

4.5 

Die neurobiologischen Grundlagen der Persönlichkeit

4.5.1 Das neurobiologische Vier-Ebenen-Modell der Persönlichkeit und der Psyche

4.5.2 Die sechs psychoneuralen Grundsysteme

4.6 

Ein neurobiologisch inspiriertes Modell der Persönlichkeit

4.7 

Psychische Belastungen und Störungen

4.7.1 Depressionsartige Stimmungs- und Leistungseintrübungen

4.7.2 Angstzustände

4.7.3 Zwangsstörungen

4.7.4 Persönlichkeitsstörungen

4.8 

Was sagt uns das alles?

5 Lernen und Gedächtnis

5.1 

Formen des Lernens

5.1.1 Nichtassoziatives Lernen

5.1.2 Assoziatives Lernen

5.1.3 Die Bedeutung für die Praxis

5.2 

Höhere Formen des Lernens

5.2.1 Imitation

5.2.2 Lernen durch Einsicht

5.3 

Gedächtnisbildung, Vergessen und Erinnerung

5.3.1 Gedächtnistypen

5.3.2 Vergessen und Erinnern

5.4 

Ein anschauliches Gedächtnismodell

5.5 

Neurobiologische Grundlagen von Lernen und Gedächtnis

5.6 

Was sagt uns das?

6 Das Unbewusste, das Bewusste und das Vorbewusste

6.1 

Erscheinungsformen des Unbewussten

aus psychologischer und neurobiologischer Sicht

6.2 

Bewusstsein

6.3 

Das Vorbewusste

6.4 

Intuition

6.5 

Wozu dient das Bewusstsein?

6.6 

Die neurobiologischen Grundlagen des Bewusstseins

6.7 

Was bedeutet dies für Coaching und Psychotherapie?

7 Motivation und Veränderbarkeit

7.1 

Bereiche der Veränderbarkeit

7.2 

Lebenszufriedenheit

7.3 

Motivation und ihre Grundlagen

7.4 

Neuronale Grundlagen der Belohnung und Belohnungserwartung

7.5 

Welche Motive treiben uns an?

7.6 

Kongruenz und Inkongruenz von Motiven und Zielen

7.7 

Belohnungsstrategien

7.8 

Die Macht der Gewohnheit

7.9 

Wie werden Motive und Ziele zu Handlungen?

7.10 

Das limbische System

hat bei der Verhaltensentscheidung das erste und das letzte Wort

7.11 

Was sagt uns all dies?

8 Bindung und Verstehen

8.1 

Die Bedeutung frühkindlicher Einflüsse auf die Bindungserfahrung

8.2 

Bindungstypen

8.3 

Neurobiologische Grundlagen der Bindung

8.4 

Bedeutungserzeugung und Verstehen aus neurobiologischer Sicht

8.5 

Konsensuelle Bereiche

8.6 

Was bedeutet dies für Coaching und Psychotherapie?

9 Freud und die Psychoanalyse

9.1 

Die Metatheorie der Psychoanalyse

9.1.1 Das topische Modell (Unbewusstes, Vorbewusstes und Bewusstes)

9.1.2 Das Strukturmodell der Persönlichkeit: Es, Ich und Über-Ich

9.1.3 Die Triebtheorie

9.2 

Phasen der psychosexuellen Entwicklung

9.3 

Neurosentheorie

9.4 

Kernbegriffe der psychoanalytischen Therapie

9.4.1 Übertragung

9.4.2 Gegenübertragung

9.4.3 Widerstand

9.5 

Behandlungsmethodik

9.5.1 Grundregel und freies Assoziieren

9.5.2 Gleichschwebende Aufmerksamkeit

9.5.3 Abstinenzregel und die Haltung des Analytikers

9.5.4 Analysieren und Deuten

9.6 

Der Einfluss Freuds auf die Psychotherapie und das Coaching

9.7 

Die operationalisierte psychodynamische Diagnostik

9.8 

Die Psychoanalyse aus Sicht der Neurobiologie – was bleibt von Freud?

9.8.1 Das Verhältnis von Unbewusstem, Vorbewusstem und Bewusstem

9.8.2 Das Konzept der Verdrängung

9.8.3 Die Lehre vom Widerstand

9.8.4 Übertragung und Gegenübertragung

9.8.5 Die Trieblehre

9.8.6 Die Traumdeutung

10 Die Hypnotherapie Milton H. Ericksons und seiner Schüler

10.1 

Der Ericksonsche Kooperationsansatz der Hypnose

10.1.1 Trancephänomene

10.1.2 Tranceinduktion nach Erickson

10.1.3 Kommunikation

10.2 

Die Ericksonsche Psychotherapie

10.2.1 Grundannahmen

10.2.2 Störungs- und Problemtheorie

10.2.3 Diagnostik

10.2.4 Ziele der Behandlung

10.2.5 Veränderungsstrategien

10.2.6 Veränderungsprinzipien

10.3 

Neo-Ericksonianer

10.4 

Was bedeutet dies für eine erfolgreiche Beratung?

11 Wie wirksam sind Coaching und Psychotherapie?

11.1 

Die Wirksamkeit psychotherapeutischer Verfahren

11.2 

Mängel der Psychotherapie-Wirksamkeitsstudien

11.3 

Wirksamkeit von Coaching

11.4 

Was wirkt aus Sicht der Neurowissenschaften

in Psychotherapie und Coaching und was wirkt nicht?

11.4.1 Verhaltenstherapie

11.4.2 Kognitive Verhaltenstherapie und Interpersonelle Therapie

11.4.3 Psychoanalyse

11.4.4 Systemische und Humanistische Therapieformen

11.5 

Die Frage nach dem »gemeinsamen Wirkfaktor«

in Psychotherapie und Coaching

11.6 

Die Frage spezifischer Wirkfaktoren

11.7 

Was bedeutet dies für das Coaching?

12 Zusammenfassung und unser Modell

12.1 

Die neurobiologischen Grundlagen von Psyche und Persönlichkeit

12.1.1 Das Vier-Ebenen-Modell und das Modell der sechs psychoneuralen Grundsysteme

12.1.2 Die neuronalen Grundlagen der Persönlichkeit und ihrer Störungen

12.1.3 Die Bedeutung der Bindungserfahrung

12.1.4 Ergebnisse der Wirksamkeitsforschung

12.2 

Was kann man daraus lernen?

12.3 

Unser Ansatz

Literaturverzeichnis

Register

Vorwort zur 1. Auflage

Die Welt des Coachings und die der Neurowissenschaften scheinen in vielerlei Hinsicht weit auseinanderzuliegen. Coaching ist natürlicherweise praxisorientiert und war bisher wenig um eine solide theoretische Fundierung dieser Praxis bemüht. Die Neurowissenschaften sind als naturwissenschaftliche Disziplin überwiegend durch Experimente und Laborarbeit gekennzeichnet. Jedoch haben Neurowissenschaftler in enger Zusammenarbeit mit Psychologen, Psychiatern und Psychotherapeuten in den vergangenen zwei Jahrzehnten viele neue Erkenntnisse über die Grundlagen des menschlichen Fühlens, Denkens und Handelns gewonnen, und Praktiker aus Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie haben begonnen, diese Erkenntnisse für sich und ihre therapeutische Tätigkeit nutzbar zu machen. Eine neurowissenschaftliche Fundierung der eigenen Praxis stößt einerseits auf großes Interesse, andererseits ist dieser Diskurs oft von »Bauchschmerzen« begleitet, weil vielerlei liebgewonnene Denkgewohnheiten überwunden werden müssen.

Ziel des vorliegenden Buches ist es, diesen Prozess auf das Coaching auszudehnen. Auch dies geht nicht ganz ohne »Bauchschmerzen« vonstatten, da man hierbei ebenfalls Denkgewohnheiten aufgeben muss. Dafür sind wir als Autoren gut gerüstet, da wir über Kenntnisse in Psychologie und der Praxis des Coachings (AR) sowie in Neurobiologie und Philosophie (GR) verfügen, die uns ein transdisziplinäres Denken ermöglichen. Dennoch war das Abfassen unseres Buches mit viel mühevoller, intensiver Arbeit verbunden und mit langen Diskussionen, die wir über rund drei Jahre führten, in dem Bewusstsein, dass der eine von uns das Buch nicht ohne den anderen hätte schreiben können.

Unterstützt wurden wir hierbei von zahlreichen Personen, denen wir herzlich danken. Dies betrifft in alphabetischer Reihenfolge der Nachnamen auf Seiten von AR Ortwin Meiss (Hamburg), Stephan Rietmann (Lüdinghausen) und Petra Schlütter (Hamburg), auf Seiten von GR Prof. Cord Benecke (Kassel), Prof. Manfred Cierpka (Heidelberg), Prof. Ulrich Egle (Freiburg), Prof. Ulrike Halsband (Tübingen) und Dr. Nicole Strüber (Bremen). Gemeinsam möchten wir Herrn Dr. Heinz Beyer vom Klett-Cotta-Verlag (Stuttgart) und Herrn Ulf Müller (Köln) für die professionelle Betreuung des Buchprojekts danken.

Bremen/Lilienthal und Hamburg, im April 2016

Vorwort zur 5. Auflage

Das vorliegende Buch »Coaching, Beratung und Gehirn« hat nach seinem Erscheinen im Jahre 2016 ebenso wie der 2019 publizierte Folgeband »Coaching und Beratung in der Praxis« eine sehr günstige Aufnahme erfahren und wurde im Coaching und weit darüber hinaus auf fruchtbare Weise rezipiert. Wir, die beiden Autoren, haben auf dieser Grundlage das Konzept des »Integrativen Coaching auf neurowissenschaftlicher Grundlage«, kurz »Integratives Neurocoaching – INC«, entwickelt und es in der Praxis sowie in unseren Coachingkursen erprobt. Dies beinhaltet, dass wir neben selbst entwickelten Interventionsverfahren aus den verschiedensten Coachingrichtungen diejenigen Verfahren auswählen, die einerseits eine empirische Wirksamkeit nachweisen können und andererseits in ihren Wirkmechanismen von soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen getragen sind. Das betrifft insbesondere die Ergebnisse der psychologischen und neurobiologischen Persönlichkeitsforschung.

Die beiden dabei zugrunde gelegten Modelle sind das »Vier-Ebenen-Modell von Psyche und Persönlichkeit« und das »Modell der sechs psychoneuralen Grundsysteme«. Ersteres Modell umfasst die vorgeburtliche und nachgeburtliche Entwicklung des limbischen Systems als Träger von Psyche und Persönlichkeit und seiner Interaktion mit dem kognitiven System, letzteres Modell stellt die Transformation basaler limbischer Funktionen in psychische Grundzustände wie Stressverarbeitung, Selbstberuhigung, Bindung, Motivation, Impulskontrolle und Realitäts- und Risikowahrnehmung dar. Diese sechs psychoneuralen Grundsysteme sind durch spezifische Neuromodulatoren und Neurohormone charakterisiert wie Cortisol, Serotonin, Oxytocin, Dopamin usw., und ihre Normalentwicklung wie auch deren Störungen können sehr gut mit der normalen und gestörten Entwicklung von Persönlichkeit und Psyche in Verbindung gebracht werden.

Diese beiden Modelle, welche die Persönlichkeit und ihre Veränderbarkeit erklären, wurden inzwischen von uns ergänzt durch das »Modell der drei Interventionsebenen«. Grundannahme dieses Modells ist, dass sich Coaching-relevante Probleme auf drei Ebenen manifestieren, welche gleichzeitig als drei unterschiedliche Gedächtnisse zu verstehen sind: die explizite Ebene der subjektiven Befindlichkeit, die implizite Ebene der Verhaltensgewohnheiten und die Ebene der Körperlichkeit. Letztere ist sowohl im Coaching als auch in der Psychotherapie bisher stark vernachlässigt worden. Es genügt nicht, ein Problem nur auf einer der drei Ebenen anzugehen, während es auf den beiden anderen fortdauert.

Schließlich haben wir auf der Grundlage dieser drei Modelle eine Problem- und Störungsdiagnostik entwickelt, die im diagnostischen Gespräch neben der traditionellen sprachlichen Ebene auch die paraverbale Kommunikation, d.h. wie eine Person etwas sagt und was sie nicht sagt, und die nonverbale Kommunikation über Mimik, Gestik, Körperhaltung und vegetative Reaktionen berücksichtigt. So lassen sich die Fallstricke einer Diagnostik vermeiden, die nur auf einer Selbstauskunft des Klienten beruht.

Das INC ist integrativ, neurowissenschaftlich fundiert und individuenbezogen. Es strukturiert die Fülle der Interventionen aus verschiedenen Ansätzen hinsichtlich ihrer Wirkung im Gehirn. Ziel ist es, dem Klienten auf Basis einer fundierten Diagnostik im Prozess jeweils die für ihn passendsten Interventionen aus der Fülle der methodischen Richtungen anzubieten, um ihn wirksam und nachhaltig zu unterstützen.

Professionelles Coaching wird leider auch heute noch stark als Instrument zur Förderung der Selbstreflexion betrachtet. So erleben wir in unseren Ausbildungen viele Coaches, deren wichtigstes Handwerkszeug ihr systemisches Fragerepertoire darstellt. Aus neurowissenschaftlicher Sicht können Menschen sich jedoch nur bedingt per Selbstreflexion verstehen, weil menschliches Erleben und Verhalten in erheblichem Maße durch unbewusste und vorbewusst-intuitive Prozesse geprägt werden, die entsprechend sprachlich nicht zugänglich sind. Genau hierauf legt das Integrative Neurocoaching ein besonderes Augenmerk, weshalb die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Weiterbildung von einem Paradigmenwechsel im Coaching sprechen. Wir wünschen uns, dass immer mehr Coaches ihr kognitives Repertoire um emotional-körperliche sowie verhaltensbezogene Interventionen ergänzen, damit sie mehr Klienten nachhaltige Entwicklungsprozesse ermöglichen können.

Zum Schluss möchten wir einander in gegenseitiger Anerkennung danken für die integrative Arbeit aus den Perspektiven der Neurowissenschaften und des Coachings, die das INC möglich gemacht haben. Mögen unsere Ergebnisse Früchte in Wissenschaft und Praxis tragen und viele Coaches inspirieren.

Hamburg und Bremen/Lilienthal, im Oktober 2021

Einleitung

Coaching befindet sich seit einiger Zeit in einer zwiespältigen Situation: Zum einen hat sich diese Beratungsform für Führungskräfte mittlerweile als beliebtes Instrument der Personalentwicklung etabliert, das zunehmend globale Verbreitung findet. Dabei ist eine immer stärkere Ausdifferenzierung in neue Zielgruppen, Anwendungsfelder und Varianten zu beobachten, und im Rahmen des »Einzelcoachings(1)« gibt es zunehmend Berührungspunkte oder sogar Überschneidungen mit der Psychotherapie. Zum anderen ist der Begriff »Coaching« nicht geschützt oder klar definiert, so dass recht beliebig jede Art von Beratung, Feedback oder Training als »Coaching« bezeichnet wird. Die Branche sieht sich somit seit einigen Jahren mit tiefgreifenden Fragen der Identitäts- und Professionsbildung konfrontiert, die bis heute nicht geklärt sind. Birgmeier (2006a) konstatiert: »Eine Konvergenz besteht allenfalls in der Heuristik, Coaching als Ober- bzw. Sammelbegriff für individuelle Formen personenzentrierter Beratung und Betreuung auf Prozessebene zu fassen.« Entsprechend steht eine Klärung und Abgrenzung des Zuständigkeitsbereichs und damit eine Professionalisierung von Coaching immer noch aus.

Professionalität legitimiert sich ganz wesentlich durch den Bezug zu wissenschaftlich fundiertem Wissen. Entsprechend gewinnt der Wissenschaftsbezug im Coaching einen immer größeren Stellenwert, und es beginnt sich eine Coaching-Forschung zu etablieren (Greif, 2011). Den Orientierungsgewinn einer solchen »Verwissenschaftlichung« sieht die Coaching-Theoretikerin Fietze (2011) auf drei Ebenen: Erstens entsteht durch die Kommunikation in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung eine fachliche Orientierung, wodurch sich letztlich das Forschungsfeld Coaching konstituiert. Zweitens wird durch den wissenschaftlichen Diskurs eine Reflexion dieser Beratungsform vorangetrieben und damit eine Klärung der professionellen Identität sowie des Zuständigkeitsbereichs von Coaching erreicht. Drittens erhalten Praktiker durch die empirische Untersuchung der Wirksamkeit konkrete, handlungsleitende Ergebnisse, die ihr professionelles Handeln optimieren können.

Für Greif (2011) übt Forschung auch eine Innovationsfunktion aus, sofern sie die Optimierung und Weiterentwicklung der in der Praxis eingesetzten Interventionsmethoden zum Gegenstand hat. Berndt (2011) sieht in der »Schaffung eines evidenzbasierten Wissensbestandes über Handlungsstrukturen und Beziehungsgestaltung« sogar die wichtigste Voraussetzung zur Professionalisierung des Coachings. Dabei orientiert er sich am Ansatz des evidenzbasierten Coachings, das von führenden Berufsverbänden der angloamerikanischen Länder propagiert wird. Die Idee dahinter ist, dass sich Theorien und Modelle, die in Coachingpraxis und -ausbildung Verwendung finden, in der empirischen Überprüfung bewähren müssen (Stober und Grant, 2006). Allerdings steht auch in den Augen führender Theoretiker die Wirksamkeitsforschung im Coaching heute eher noch am Anfang. Oft bleibt unklar, warum das, was Coaches machen oder zu machen vorgeben, funktionieren soll.

Das ist aber keineswegs nur ein Problem von Coaching und Beratung. Zwar empfehlen bekannte Coaching-Theoretiker wie Greif oder Schreyögg eine Anlehnung an »bewährte« Psychotherapieverfahren. Aber auch diese haben deutliche Defizite in der wissenschaftlichen Fundierung ihrer Wirkmodelle und im Nachweis ihrer Wirksamkeit. Das schließt – wie wir im Verlauf dieses Buches zeigen werden – auch Psychotherapieverfahren ein, die vom »Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie« den Ritterschlag als »wissenschaftlich nachgewiesene Verfahren« erhalten haben und deshalb auch als »Richtlinien-Verfahren(1)« bezeichnet werden, nämlich die Verhaltenstherapie(1) und die psychoanalytisch und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie.

Die Diskussion um einen wissenschaftlich-empirischen Wirkungsnachweis psychotherapeutischer Verfahren, die dem Coaching als Modell dienen könnten, berührt grundsätzliche Fragen. Denn es geht hier darum, ob und wie das Fühlen, Denken und Handeln eines Menschen überhaupt Gegenstand wissenschaftlich-empirischer Untersuchungen sein kann. An diesem Punkt scheiden sich sprichwörtlich die Geister.

Für die einen ist eine humanistisch-geisteswissenschaftliche Haltung maßgeblich, für die sich die menschliche Psyche, ob im »Normalzustand« oder im Zustand psychischer Beeinträchtigung oder Erkrankung, grundsätzlich dem Messen und Wiegen der Naturwissenschaften entzieht. Sie ist Gegenstand des Verstehens und Erlebens, des Ein- und Nachfühlens, nicht aber des Erklärens und Experimentierens, wie dies im vorherigen Jahrhundert der bedeutende Psychiater und Philosoph Karl Jaspers im Anschluss an das von den Philosophen Edmund Husserl und Wilhelm Dilthey aufgestellte Konzept der Geisteswissenschaften vertreten hat. Das Bemühen, die Psychiatrie auf eine naturwissenschaftliche Basis zu stellen, wurde von Jaspers, wie schon vor ihm von vielen anderen Psychiatern, als »Hirnmythologie« abgetan. Ihm war das Aufkommen der Genetik und der Zell- und Molekularbiologie ein Graus, da sie seiner Meinung nach die humanistische Ausrichtung der Medizin bedrohten (Jaspers, 1958). Eine solche geisteswissenschaftlich orientierte Anschauung prägt bis heute die Mehrzahl der verschiedenen Psychotherapierichtungen, sei es beispielsweise die Psychoanalyse in ihrer Entwicklung nach Freud, die humanistische Psychotherapie oder die Familientherapie. Sie hat aber auch auf eine ganze Reihe von Coachingrichtungen abgefärbt.

Für die anderen war und ist eine Fundierung durch Methoden und Erkenntnisse der Naturwissenschaften, insbesondere der Bio- und Neurowissenschaften, die einzige Möglichkeit, der Psychiatrie und Psychotherapie Glaubwürdigkeit zu verleihen. Begonnen hat dieses Bestreben mit dem Psychiater Wilhelm Griesinger (1817–1866), der aufgrund umfangreicher psychiatrischer Erfahrungen und pathophysiologischer Untersuchungen zu dem Schluss kam, dass psychische Krankheiten immer mit Erkrankungen von Hirnstrukturen und -funktionen einhergehen, ja in ihnen sogar ihre Ursache haben. Seine Forderung war entsprechend, dass die Psychiatrie zusammen mit der Neurologie eine solide naturwissenschaftliche Basis haben müsse. Diese Auffassung erhielt große Zustimmung – und ebenso große Ablehnung, und zwar bis auf den heutigen Tag.

Die zweite große Gestalt in diesem Streit der »zwei Kulturen« – der Geistes- und Sozialwissenschaften auf der einen und der Natur- und Biowissenschaften auf der anderen Seite« – ist Sigmund Freud(1) (1856–1939), der Begründer der psychoanalytischen Psychotherapie. Freud begann seine Laufbahn als Neurologe und Neurobiologe, nicht als Psychiater – er war also »Autodidakt«! Als Student und später als junger Neurologe arbeitete er in Wien in den Laboren von seinerzeit bedeutenden Neurobiologen und versuchte wie diese psychische und psychopathologische Phänomene mit der Aktivität bestimmter Hirnzentren in Verbindung zu bringen. Damit musste er angesichts des damals geringen neurobiologischen Wissensstandes notwendigerweise scheitern. Er brach das 1895 begonnene Manuskript zu dem Entwurf einer Psychologie enttäuscht ab. Erst 1950 wurde dieses unvollendete Werk posthum veröffentlicht. Resigniert kehrte Freud zugleich auch der neurobiologischen Forschung den Rücken, auch wenn die Hoffnung blieb, es könne sich irgendwann doch einmal eine neurobiologische Fundierung der Psychoanalyse ergeben.

Dieser Verzicht hatte für die weitere Entwicklung der Psychoanalyse dramatische Folgen, denn es kam bei den Nachfolgern Freuds im engeren wie im weiteren Sinne zu einer radikalen Abkehr von einer naturwissenschaftlich-neurobiologischen Ausrichtung der Psychiatrie und Psychotherapie hin zur Auffassung von Psychoanalyse als »Geisteswissenschaft« par excellence. Diese Abkehr verwandelte sich in Deutschland in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stellenweise in eine wahre Feindschaft gegenüber den Neurowissenschaften und steigerte sich in dem Maße, wie die Neurowissenschaften zu einer vorherrschenden Wissenschaftsdisziplin wurden. Ähnliche Entwicklungen waren bei psychotherapeutischen Richtungen wie der humanistischen Psychotherapie oder der Gesprächstherapie zu beobachten, die meist der Psychoanalyse entstammen oder von ihr beeinflusst waren.

Mit einer solchen Haltung überließ die Psychoanalyse das Feld ihren Hauptkonkurrenten, namentlich der aus dem amerikanischen Behaviorismus(1) stammenden Verhaltenstherapie(2) und der von der »kognitiven Wende« in der Psychologie beeinflussten »kognitiven Verhaltenstherapie(1)«.

Diese beiden Richtungen suchten von Beginn an die Nähe zur experimentellen Verhaltensbiologie und -psychologie und zu den aufkommenden Neurowissenschaften und konnten sich schließlich im öffentlichen Bewusstsein als die »einzige« oder zumindest »am besten« empirisch-wissenschaftlich fundierte Psychotherapie behaupten. Im deutschsprachigen Raum verdrängten sie so im Lauf der Jahre Psychoanalyse und Psychodynamik fast vollständig aus der universitären Lehre und Ausbildung – eine Entwicklung, der die offizielle Psychoanalyse(1) mehr oder weniger tatenlos zusah.

Ein wichtiger Versuch, diese Notlage der psychoanalytisch-psychodynamischen Therapierichtungen zu beenden, kam aus einer unerwarteten Richtung, nämlich der zellulären und molekularen Neurobiologie. Dies geschah durch die Arbeiten des 1929 in Wien geborenen und mit seinen Eltern 1938 von dort in die USA ausgewanderten Neurobiologen Eric Kandel. Kandel hatte während seines Medizinstudiums großes Interesse für Psychiatrie und Psychoanalyse entwickelt und beschlossen, das Werk Freuds fortzusetzen und die neurobiologischen Grundlagen des Psychischen allgemein und der Psychoanalyse im Besonderen aufzuklären. Zu diesem Zweck wandte er sich dem Studium der zellulären und molekularen Grundlagen von Lernen und Gedächtnis zu, insbesondere den neurophysiologischen Vorgängen an den Synapsen(1), den Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen(1). Für seine bahnbrechenden Arbeiten erhielt er im Jahr 2000 den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie.

Im Laufe dieser Arbeiten blieb das Interesse Kandels an Psychotherapie und Psychoanalyse weiterhin bestehen. So entwickelte er in dem 1979 erschienenen Aufsatz »Psychotherapie und die einzelne Synapse(2)« die visionäre Vorstellung, dass Psychotherapie notwendigerweise auf der synaptischen Ebene ansetze und deshalb aufgrund synaptischer Veränderungen wirksam sein müsse.

Diese visionäre Einsicht, die Kandel rund zwanzig Jahre später in den zwei Aufsätzen mit den Titeln »Ein neuer theoretischer Rahmen für die Psychiatrie« und »Biologie und die Zukunft der Psychoanalyse« weiter ausführte (wiederabgedruckt und übersetzt in Kandel, 2008), wurde allerdings von den Psychoanalytikern kaum wahrgenommen oder nicht begriffen – zu groß schien der Abstand zwischen Neurophysiologie und Psychoanalyse zu sein. Dies änderte sich erst, als sich vor rund zwanzig Jahren die anfangs sehr unzulängliche funktionelle Bildgebung, insbesondere in Form der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT), deutlich verbesserte und Neurobiologen, Psychiater, Psychotherapeuten und Psychologen begannen, intensiv zusammenzuarbeiten. Dabei bestätigte sich zunehmend die Grundhypothese Griesingers, Freuds und Kandels, dass psychische Erkrankungen untrennbar an Fehlfunktionen in bestimmten, für das psychische Erleben zuständigen Hirnzentren – dem limbischen System(1) – gebunden sind. Und ebenso gelang es, Veränderungen solcher Funktionen mit einem Therapieerfolg in Verbindung zu bringen.

Zu den Ersten, die erkannten, welche enorme Bedeutung die Fortschritte der Neurowissenschaften für die Psychotherapie hatten, gehörte der in Deutschland geborene und später in der Schweiz tätige Psychologe und Psychotherapeut Klaus Grawe(1) (1943–2005). Im Jahr 1994 publizierte er eine umfangreiche Studie mit dem Titel »Psychotherapie im Wandel«, in der er nahezu 1.000 seinerzeit vorliegende Wirksamkeitsstudien nach strengen wissenschaftlichen Kriterien in einer sogenannten »Metaanalyse« untersuchte. Ein Fazit dieses Werks lautete, dass die Verhaltenstherapie(3) von allen überprüften psychotherapeutischen Richtungen die wirksamste sei, was ihm begeisterte Zustimmung von Seiten der Verhaltenstherapeuten und zum Teil vehemente Kritik von Vertretern der anderen Richtungen, insbesondere der Psychoanalytiker, einbrachte, auch wenn er diesen anderen Richtungen durchaus Wirksamkeit bescheinigte.

Grawe(2) nahm sich die vielfältigen Einwände gegen seine Schlussfolgerungen sehr zu Herzen und entwickelte in den Jahren bis zu seinem frühen Tod eine zunehmend kritische Haltung gegenüber der Verhaltenstherapie(4), gepaart mit dem Bemühen, den seinerzeit heftig geführten Schulenstreit mit dem Entwurf einer »allgemeinen Psychotherapie« zu beenden, indem er richtungsübergreifende Wirkfaktoren der Psychotherapie herauszuarbeiten versuchte. Allerdings brachte ihm dieses Bemühen kaum die Zuneigung der verschiedenen Psychotherapierichtungen ein, die eher auf Abgrenzung und Eigenprofilierung bedacht waren und es zum Teil heute noch sind.

Gegen Ende seines Lebens wandelte er wie Eric Kandel auf den Spuren des jungen Freud, indem er versuchte, die jüngsten Ergebnisse der Neurowissenschaften mit seinen Vorstellungen einer »allgemeinen Psychotherapie« zu verbinden und zu einer Neuropsychotherapie (erschienen 2004) auszuarbeiten.

So heißt es in der Einleitung dieses Werks: »Psychotherapie wirkt, wenn sie wirkt, darüber, dass sie das Gehirn verändert.« Und etwas später: Der Therapeut »muss die verkümmerten Hirnteile (der Patientin) wieder aufbauen, denn deren leichte Ansprechbarkeit ist erforderlich, damit die Patientin wieder selbstgesteuerte positive Ziele(1) empfinden kann«. Der Therapeut muss die Aktivierung »hypertrophierter Verbindungen« hemmen »und die verkümmerten Synapsen(3) im linken präfrontalen Cortex so oft wie möglich aktivieren«. Kurz gesagt: Reorganisationsprozesse der Psychotherapie erfordern Reorganisationsprozesse im Gehirn.

In Fortsetzung der hier aufgezeigten Entwicklungslinie wollen wir im vorliegenden Buch einen Brückenschlag zwischen Coaching und Neurowissenschaften einschließlich der Neuropsychologie unternehmen. Im ersten Kapitel geht es mit der Frage »Was ist Coaching?« um eine Bestandsaufnahme einschließlich einer kurzen Charakterisierung der derzeit wichtigsten Coaching-Ansätze. Im zweiten Kapitel behandeln wir die sowohl theoretisch als auch praktisch wichtige Frage nach dem Verhältnis von Coaching und Psychotherapie. In den darauf folgenden Kapiteln bemühen wir uns um eine Darstellung der neuen und neuesten Erkenntnisse der Neurowissenschaften, sofern sie für die Zielsetzung unseres Buches relevant sind. Dies umfasst in Kapitel 3 neben einer kurzen Erläuterung des Aufbaus des menschlichen Gehirns vor allem die Beschreibung derjenigen Strukturen und Funktionen, die der Entwicklung von Psyche und Persönlichkeit(1) sowie ihrer Störungen zugrunde liegen, also des »limbischen Systems(2)«.

In Kapitel 4 gehen wir dann genauer auf die Entwicklung der Persönlichkeit(1) ein und charakterisieren kurz die wichtigsten psychischen Störungen und ihre möglichen Ursachen. Hierzu haben sich in den vergangenen Jahren genauere Vorstellungen von der Wechselwirkung zwischen genetisch-epigenetischen Faktoren und vorgeburtlichen sowie früh-nachgeburtlichen Umwelteinflüssen ergeben, die für Veränderungen im Fühlen, Denken und Handeln des Menschen und damit für Coaching und Psychotherapie von großer Bedeutung sind. Den angesprochenen Veränderungen liegen die Vorgänge des Lernens und der Gedächtnisbildung zugrunde, weshalb diese unsere besondere Aufmerksamkeit verlangen (Kapitel 5). Von grundlegender Bedeutung für Coaching und Psychotherapie ist das Verhältnis zwischen dem Unbewussten, dem Vorbewussten und dem Bewussten, das wir in Kapitel 6 behandeln. In Kapitel 7 geht es um die Möglichkeiten und Grenzen der Veränderbarkeit des Menschen, insbesondere hinsichtlich seiner Persönlichkeit, und um die Rolle, welche Motivation und Belohnungsaussichten hierbei spielen. Ebenso gehen wir auf die Frage ein, wie der »Kampf der Motive« in ein bestimmtes Verhalten einmündet.

Ein weiteres »großes« Thema im Diskurs zwischen Coaching bzw. Psychotherapie und Neurowissenschaften ist das Problem der Bindung, das wir in Kapitel 8 behandeln. Die Beziehung zwischen Klient/Patient und Coach/Therapeut hat sich als Dreh- und Angelpunkt der Verhaltensänderung erwiesen. Zugleich ist das emotionale Verhältnis zwischen beiden stets mit dem Prozess des gegenseitigen »Verstehens(1)« verbunden. Bislang ist aber unklar, worauf dieses Verstehen(2) aus neurowissenschaftlicher Sicht beruht.

Von den zahlreichen gegenwärtigen Verfahren, die wir im Überblick darstellen werden, präsentieren und diskutieren wir zwei Richtungen ausführlicher, weil sie für das Coaching sowohl historisch als auch systematisch von besonderer Bedeutung waren und sind, nämlich die Psychoanalyse Freuds (Kapitel 9) und seiner Nachfolger sowie die Hypnotherapie von Milton H. Erickson und dessen Nachfolgern (Kapitel 10). Bei der Psychoanalyse widmen wir uns den Fragen, inwiefern die Kernstücke dieser Lehre den Einsichten der modernen Forschung standhalten und wo oder wie sie verändert werden müssen. Es wird zudem deutlich, dass die Psychodynamik eine wichtige Perspektive zur vorwiegend lösungsorientierten Coachingarbeit bietet. Die Hypnotherapie von Erickson ist in unseren Augen teils ein Kontrastverfahren zur klassischen Psychoanalyse, teils eine wichtige Ergänzung für alle modernen Ansätze in Coaching und Psychotherapie.

Als besonders problematisch und defizitär wird von vielen Autoren der Wirksamkeitsnachweis für die verschiedenen Verfahren angesehen, und zwar im Coaching- wie im Psychotherapiebereich. Hier stoßen wir auf einen eklatanten Widerspruch zwischen den Behauptungen einer hohen Wirksamkeit und den ernüchternden Ergebnissen, welche die seriöse Wirksamkeitsforschung in den vergangenen Jahren geliefert hat – und dies betrifft sowohl die jeweils zugrundeliegenden Wirksamkeitsmodelle als auch die Behandlungsverfahren. Eine solche Bestandsaufnahme nehmen wir in Kapitel 11 vor. Sie ist die Voraussetzung für die Kernfrage unseres Buches: Wie sollte Coaching (und gleichermaßen Psychotherapie) sowohl hinsichtlich der Wirkungsmodelle als auch in Bezug auf die Interventionen aussehen, um psychologisch-neurobiologischen Erkenntnissen einerseits und den Ergebnissen der Wirksamkeitsforschung andererseits genügen zu können? Wir werden im Schlusskapitel unseres Buches versuchen, hierauf eine überzeugende Antwort zu geben.

1 Was ist Coaching?

Wie in der Einleitung dargestellt, versuchen wir in diesem Buch einen Brückenschlag zwischen Coaching und Beratung einerseits und den Erkenntnissen der Neurowissenschaften andererseits. Hierfür müssen wir genauer darstellen, was Coaching ist. Das ist keine leichte Aufgabe, denn der Begriff »Coaching« ist nicht geschützt, und zudem zeigt sich eine immer stärkere Diversifizierung neuer Anwendungsformen. Die Branche sieht sich seit einigen Jahren mit wichtigen Fragen der Identitäts- und Professionsbildung konfrontiert, die bis heute nicht hinreichend beantwortet sind. Wir wollen dennoch im vorliegenden Kapitel versuchen, so weit wie möglich Klarheit über diesen »schillernden« Begriff zu erlangen.

»Coaching« leitet sich vom englischen Wort »coach« ab, mit dem im 15. Jahrhundert eine Kutsche bezeichnet wurde. Später verstand man darunter den Kutscher selbst, dessen Aufgabe es war, die Pferde zu betreuen und zügig sowie sicher ans Ziel zu lenken. Diese Bedeutung wurde im Laufe der Zeit auch auf andere Bereiche übertragen und findet sich in dem Begriff noch heute wieder (Lippmann, 2013). An Universitäten im anglo-amerikanischen Raum wurden im 19. Jahrhundert Personen als Coach bezeichnet, die Andere zur Vorbereitung auf Prüfungen und sportliche Wettbewerbe unterstützen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird in England und den USA im (Leistungs-)Sport von »Coaching« gesprochen, wodurch der Begriff auch in Deutschland eine gewisse Popularität erlangte. »Coaching« beinhaltet – anders als das reine Training – die umfassende Beratung, Betreuung und Motivierung von (Leistungs-)Sportlern im Rahmen ihrer Wettkampftätigkeit. Der Bezug zu Spitzenleistungen, Motivation und Wettbewerb führte dazu, dass der Begriff in den 1970er Jahren im anglo-amerikanischen Raum aus dem Sportbereich auf die Wirtschaft übertragen wurde (Rauen, 2001).

Nach Böning (2005) lassen sich sieben Entwicklungsphasen des Coachings unterscheiden:

Phase – der Ursprung

Ab Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre des vorherigen Jahrhunderts verstand man im US-amerikanischen Management unter dem Begriff »Coaching« einen ziel- und entwicklungsorientierten Führungsstil durch den Vorgesetzten. Diese Sichtweise löste ein rein fachliches Führungsverständnis ab. Mitte der 1980er Jahre wurde diese Idee im deutschen Sprachraum unter dem Schlagwort »Die Führungskraft als Coach« aufgenommen und weiterentwickelt (Lippmann, 2013).

Phase – Erweiterung

Der Einsatz von Coaching erweiterte sich in den USA ab Mitte der 1980er Jahre im Sinne einer systematischen, karrierebezogenen Betreuung von Nachwuchs-Führungskräften durch höher positionierte Manager, die nicht unbedingt die direkten Vorgesetzten waren. Dies wird heute oft auch als »Mentoring« bezeichnet.

Phase – der »Kick«

Mitte der 80er Jahre wurde der Coachinggedanke in veränderter Form nach Deutschland importiert. Hier lag der Fokus – statt eines Coachings durch den Vorgesetzten – auf der Beratung von Topmanagern durch firmenexterne Consultants. Dabei wurden die Wahrnehmungs-, Verhaltens- und Kommunikationsmuster der Führungskräfte im Coaching thematisiert. Das exklusive Image dieser Beratung für Topmanager führte schließlich dazu, dass dem Coaching eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wurde.

Phase – systematische Personalentwicklung

Ende der 80er Jahre beschäftigten sich in Deutschland neben externen Coaches auch interne Personal- und insbesondere Führungskräfteentwickler mit dem Thema, und Coaching wurde zu einer akzeptierten Form systematischer Personalentwicklung. Interne Personalentwickler konzentrierten sich nun eher auf das Coaching von Führungskräften der mittleren und unteren Ebenen sowie auf die Etablierung eines entwicklungsorientierten Führungsstils durch den Vorgesetzten, während externe Coaches vorrangig das Einzelcoaching(2) von hochrangigen Führungskräften und Topmanagern übernahmen.

Phase – Differenzierung

Die breite Akzeptanz, die man dem Coaching entgegenbrachte, führte Anfang der 90er Jahre dazu, dass immer mehr Fachleute Coaching in verschiedenen Settings einsetzten (z.B. Gruppen- oder Teamcoaching). Dadurch erweiterten sich die Anwendungsgebiete und die eingesetzten Methoden enorm. Coaching wurde so »zum Ausdruck und Kernbegriff einer allgemeinen und vertieften psychologisch ausgerichteten Beratungsmethodik« (Böning, 2005).

Phase – Populismus

Ab Mitte der 90er Jahre entwickelte sich der Begriff zu einem inflationären »Container«-Wort, mit dem beliebig jede Art von Beratung, Feedback oder Training bezeichnet wurde (Böning, 2005). Beispiele hierfür sind »EDV-Coaching«, »Dance-Coaching« oder »Astrologie-Coaching«.

Phase – vertiefte Professionalisierung(1)

Ab 2002 setzte eine Phase vertiefter Professionalisierung(2) ein. Zwar werden auch heute noch unterschiedlichste Entwicklungsmaßnahmen mit dem Modewort »Coaching« benannt, und es gibt eine große Bandbreite von mehr oder weniger professionellen Anbietern. Dennoch zeigen sich in der Branche mittlerweile deutliche Professionalisierungsbestrebungen. Ab dem Jahr 2003 kam es zur Gründung verschiedener Coachingverbände. Gegenwärtig nimmt der Wissenschaftsbezug zu, und die Coaching-Forschung beginnt sich als eigenständiges Forschungsfeld zu konstituieren.

Coaching ist heute ein globales Phänomen, das sich auf Wachstumskurs befindet und sich immer stärker ausdifferenziert (Bresser, 2013). Deutschland beheimatet aktuell nach den USA und Großbritannien die drittgrößte Anzahl von Coaches (ca. 8000) und verfügt über eine im weltweiten Vergleich recht gut entwickelte Coaching-Landschaft. Dabei ist der deutschsprachige Raum »zum Teil sehr eigene Wege gegangen« (Bresser, 2011) und hat spezifische Stärken hervorgebracht. Der Fokus liegt in Deutschland auf dem Einzelcoaching(3) durch externe Coaches. Dementsprechend gibt es hierzulande eine breitere Forschung in diesem Bereich, während sich nur wenige Arbeiten mit Fragestellungen wie Coaching-Kultur oder Coaching-Führungsstil beschäftigen, die in anderen Ländern deutlicher höher im Kurs stehen. Um die Vielfalt des Coachings sinnvoll zu strukturieren, haben Segers et al. (2011) einen Klassifizierungswürfel, den »Coaching Cube« mit den drei Dimensionen »Agenda« (Coaching-Agenda(1)), »School« (Coaching-Ansätze(1)) und »Coach« (Coaching-Varianten(1)) vorgeschlagen. Wir greifen dieses Modell auf, ergänzen es jedoch um die Dimension des Coaching-Kontextes(1), der bei Böning und Fritschle (2008) unter dem Stichpunkt »Zielgruppe« diskutiert wird.

Abbildung 1: Erweiterter Coaching Cube, in Anlehnung an Segers et al. (2011).

Im Folgenden werden wir anhand dieser vier Dimensionen erläutern, was Coaching ist, und dabei mit dem Kontext beginnen. Ein besonderer Fokus liegt auf den Coaching-Ansätzen(2) und der damit verbundenen Frage, wie gecoacht wird, da diese Ebene für die folgenden neurowissenschaftlichen Betrachtungen bedeutsam ist.

1.1Der Coaching-Kontext(2): Zielgruppen und Praxisfelder

In seinen Anfängen herrschte beim Coaching in Deutschland meist eine Zielgruppenbeschränkung auf Topmanager und obere Führungskräfte, die zum Teil auch heute noch zu finden ist. Mit dem wachsenden Erfolg des Coachings hat sich auch sein Adressatenkreis vergrößert. Neue Zielgruppen und Praxisfelder sind hinzugekommen, und so setzt man in der Beratung mittlerweile unterschiedliche Akzente. Heute heißt es in der Definition des Deutschen Bundesverbands Coaching:

»Coaching ist die professionelle Beratung, Begleitung und Unterstützung von Personen mit Führungs- / Steuerungsfunktionen und von Experten in Unternehmen / Organisationen.« DBVC (2014)

Neben den Führungskräften werden hier auch Experten bzw. Fachkräfte als Zielgruppe genannt. Gemeinsam ist diesen beiden Gruppen, dass sie Steuerungs- oder Managementaufgaben wahrnehmen. Auch Schreyögg (2012) kommt unter Bezugnahme auf bekannte deutsche Autoren zu dem Schluss, dass Coaching »eine innovative Form der Personalentwicklung für Menschen mit Managementfunktionen« ist, wobei sie die Beratung von Freiberuflern einschließt. Damit klassifiziert sie Coaching wie für den deutschen Sprachraum typisch als Executive- bzw. Business-Coaching(1).

Coaching wird heute zwar hauptsächlich auf der mittleren Führungsebene durchgeführt, es ist jedoch die Tendenz zu einem zunehmend hierarchieübergreifenden Einsatz zu beobachten. Auch Privatpersonen werden als Zielgruppe genannt, etwa bei der Beratung von Arbeitslosen oder von Personen, die sich beruflich neu orientieren. Mit der damit verbundenen Diversifizierung erweitern sich auch die Anforderungen an das Coaching, da der berufliche Kontext spezifische Herausforderungen an die einzelne Zielgruppe stellt. Führung auf der Ebene des Topmanagements bedeutet nach Böning (2013) Unternehmensführung, während es auf der Ebene des mittleren und unteren Managements um Mitarbeiterführung geht. Fachexperten hingegen sind häufig mit der Frage konfrontiert, wie man fachliche Führung ohne eigene Weisungsbefugnis umsetzen kann.

Daneben zeichnet sich der Trend ab, Coaching zunehmend in neuen Praxisfeldern wie Politik, Wissenschaft, Bildung, sozialer Arbeit sowie im Gesundheits- und Pflegewesen anzubieten. Mit diesen Kontexten sind unterschiedliche Organisationskulturen und bereichsspezifische Wissensbestände verknüpft. Coaching unterstützt demnach ganz unterschiedliche Handlungs- und Leistungsprozesse, vom erfolgreichen Schreiben einer Bewerbung bis hin zum Erhalt der Leistungsfähigkeit im Sport. Folglich unterscheiden sich auch die Coaching-Interventionen(1), wenngleich dabei auf einen gemeinsamen Bestand an Wissen, Methoden, Tools und professionellen Haltungen zurückgegriffen werden kann.

1.2Die Coaching-Agenda(2): Ziele(2), Anlässe und Themen

In dieser Dimension unseres Coaching-Würfels geht es um die Frage, woran im Coaching eigentlich gearbeitet wird, oder anders formuliert: Was steht auf der Agenda?

Zunächst einmal ist Coaching eine zielorientierte Beratungsform. Nach Loebbert (2014) geht es im Coaching darum,

Problemlöseprozesse zu optimieren,

Fähigkeiten und Leistungen zu verbessern,

Lernen zu erleichtern,

herausragende Geschäftsergebnisse zu erzielen,

persönliche Wirksamkeit zu erhöhen,

nachhaltige Verhaltensänderung zu erreichen,

Lebensqualität zu steigern,

persönlich zu wachsen.

Er definiert Coaching als »eine auf den Leistungs- und Handlungsprozess von Personen bezogene Form der Beratung«. Im Beratungsprozess werden demnach Ziele(1) festgelegt, und der Grad der Zielerreichung wird regelmäßig evaluiert. Auslöser für Coaching sind die sogenannten Anlässe, die von den eigentlichen Ursachen unterschieden werden. Der Anlass beschreibt das konkrete Ereignis oder den oberflächlichen Grund, der ein Coaching anstößt. Was aber genau einer Veränderung bedarf, sozusagen die Ursache oder das eigentliche Thema hinter dem Thema, ist den Auftraggebern oder Klienten meist nur eingeschränkt bewusst. Daher kann sich der Anlass des Coachings von dem später bearbeiteten Thema mehr oder weniger stark unterscheiden. In Tabelle 1 sind wichtige Gründe für die Inanspruchnahme von Coaching aufgelistet, wie sie in verschiedenen Studien erhoben wurden.

Tabelle 1: Gründe für die Inanspruchnahme von Coaching.

Grund

Quelle

Verbesserung der Work-Life-Balance

nach ICF Global Consumer Awareness Study Platz 1 in Deutschland, 2014.

Steigerung der individuellen oder der Teamleistung

nach ICF Global Consumer Awareness Study Platz 2 in Deutschland, 2014.

Managementstrategien verbessern

nach ICF Global Consumer Awareness Study Platz 3 in Deutschland, 2014.

Reflexion über das eigene (defizitäre) Führungsverhalten

nach Marburger Coaching-Studie 2013 Platz 1.

Reflexion über das Problemlösungsverhalten

nach Marburger Coaching-Studie 2013 Platz 2.

Konfliktmanagement/Konfliktbearbeitung/Mobbing

nach Marburger Coaching-Studie 2013 Platz 3.

Neue Aufgaben

nach 12. Coaching-Umfrage Deutschland.

Selbstreflexion

nach 12. Coaching-Umfrage Deutschland.

Führungskompetenzentwicklung(1)

nach 12. Coaching-Umfrage Deutschland.

Persönlichkeits- und Potenzialentwicklung(1)

nach 12. Coaching-Umfrage Deutschland.

Segers und Kollegen (2011) bieten für Coaching-Agenden eine interessante Klassifizierung an, die den internationalen Entwicklungsstand berücksichtigt und zu der dort gebräuchlichen Terminologie kompatibel ist (s. Cox et al., 2014). Sie unterscheiden die Agenden nach dem jeweils notwendigen Engagement: Sogenannte »Low-Engagement Agendas(3)« sind meist klar definiert und konkret an die Berufsrolle gebunden. Sie erfordern daher weniger Zeit und Aufwand als »High-Engagement Agendas«, die offener sind und persönliche wie private Aspekte einschließen. Diese Differenzierung wird im Zusammenhang mit unserem Modell in Kapitel 12 noch einmal aufgegriffen. Segers und Kollegen unterscheiden folgende drei Agenden:

Skills Coaching(1)

Das Skills Coaching hat ein »Low-Engagement Level«, erfordert also nur ein geringes Engagement und dauert meist einige Tage bis Wochen. Hier konzentriert sich der Coach auf spezifisches Verhalten, weshalb es auch als »Targeted Behavioral Coaching« bezeichnet wird. Ziel ist es in der Regel, ein oder zwei Schlüsselfähigkeiten zu erlernen oder neue Verhaltensweisen zu entwickeln, die in der aktuellen oder zukünftigen Funktionsrolle bedeutsam sind. Beispiele hierfür sind: Lernen zu beeinflussen, Feedback zu geben oder aktiv zuzuhören.

Performance Coaching(1)

Beim Performance Coaching(2), das auch als »Intensive Coaching« bezeichnet wird, ist ein »Average-Engagement Level«, also ein mittleres Engagement notwendig, und der Prozess nimmt meist mehrere Monate in Anspruch. Hier liegt der Fokus auf der Optimierung der beruflichen Leistung aufgrund von wahrgenommenen Defiziten oder Potenzialen. Als Beispiele werden die Entwicklung des Führungsstils sowie der entsprechenden Kompetenzen, der Umgang mit Veränderungen, die Klärung von beruflichen Zielen(1), die Teamentwicklung und der Umgang mit neuen beruflichen Aufgaben oder Positionen genannt.

Diese Agenda(4) spiegelt sehr gut das deutsche Begriffsverständnis wider, das Coaching vornehmlich im Business-Bereich verortet und ergebnisorientierte Reflexionen(1) (Greif, 2008) für Veränderungen als zentral einschätzt. Letzteres wird noch zu diskutieren sein (s. dazu Kapitel 11).

Development oder Life Coaching(1)

Diese Art des Coachings wird auch als »Personal Coaching« und »In-depth Coaching« bezeichnet. Sie erfordert das höchste Engagement, weil hier eine stärker ganzheitliche Perspektive eingenommen wird und der Coach mit intimeren persönlichen und professionellen Fragen konfrontiert ist. Dies braucht mehr Zeit als das Performance Coaching(3), da hier persönliche Werte und Motive ergründet, tiefliegende Muster bearbeitet und manchmal auch Familienproblematiken thematisiert werden. Der Schwerpunkt liegt somit auf den persönlichen Zielen(3), Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen der Person und auf der Frage, wie sie ihr Leben in Richtung höherer Zufriedenheit und Effektivität verändern kann. Fillery-Travis und Lane (2006) sprechen daher auch von einer Therapie für Menschen, die keine Therapie benötigen. Als Beispiele für diese Art des Coachings werden wichtige Karriereentscheidungen, die Verbesserung der Work-Life-Balance oder der Umgang mit Emotionen am Arbeitsplatz genannt.

Ein elaboriertes Konzept für diese High-Engagement-Agenda(5) wurde von Bachkirova (2011) mit dem Titel Developmental Coaching – Working with the Self vorgelegt. Darin geht sie auch auf den aktuellen Forschungsstand zum Thema ein. Erste Entwicklungen in diese Richtung gibt es auch in Deutschland. Schmidt-Lellek und Buer (2011) stellen in ihrem Buch Life Coaching(2) die Hypothese auf, dass hinter den beruflichen Themen von Führungskräften und Experten häufig Lebensthemen verborgen sind, die im Coaching bearbeitet werden müssen, wenn dieses wirksam sein soll.

Segers und Kollegen betonen, dass die Grenzen zwischen den drei Coaching-Agenden fließend sind. Loebbert (2014) weist zudem darauf hin, dass im Coaching nicht nur Lernergebnisse und Verbesserungen angestrebt werden, sondern die Reflexion von persönlichen Motiven, Werten und Maßstäben einen eigenen Wert darstellt, da es für den Klienten auch um die Frage geht, was es für ihn bedeutet, in seinem Anliegen erfolgreich zu sein. Wichtig ist in diesem Zusammenhang das Thema der Abgrenzung zwischen Coaching und Psychotherapie, das wir in Kapitel 2 ausführlich erörtern werden.

Vorerst lässt sich feststellen, dass Coaching ein zielorientiertes Beratungsverfahren ist, in dem primär der berufliche Handlungserfolg des Klienten durch die Entwicklung seiner Fähigkeiten (Skills Coaching(2)), Leistungen (Performance Coaching(4)) und seiner Person als Ganzes (Developmental Coaching) auf der Agenda(6) steht. Um dies zu erreichen, werden Lern-, Reflexions- und Persönlichkeitsentwicklungsprozesse angestoßen. Damit wird nun die Ebene der methodischen Vorgehensweise berührt, die im nächsten Abschnitt thematisiert wird.

1.3Coaching-Ansätze(3): theoretische Grundorientierungen

Wenn man in der Psychotherapie von Ansätzen, Schulen oder Verfahren spricht, so meint man damit »Theoriesysteme, die Begriffe und Regeln vorgeben zur Beschreibung, Erklärung und Veränderung von psychischen Krankheiten« (Linden, 2009). Analog können Coaching-Ansätze als theoretische Grundorientierungen auf der Interventionsebene(2) definiert werden. Interessant ist, dass der Begriff des Coaching-Ansatzes in der Literatur entweder gar nicht oder aber sehr beliebig verwendet wird. In der Praxis zeigt sich, dass die meisten Coaches heute auf eine Fülle von Methoden zurückgreifen, die verschiedenen therapeutischen Schulen entnommen sind, und diese mehr oder weniger reflektiert miteinander kombinieren. Häufig wird diese Vorgehensweise etwas abwertend eklektisch(1) genannt, da sie als konzeptloses Herausnehmen und Vermischen unterschiedlicher Techniken erscheint. Hinzu kommt, dass das Wissen vieler Praktiker über die verschiedenen Ansätze und ihre historischen Wurzeln begrenzt ist. Bevor wir uns eingehender mit den verschiedenen Coaching-Ansätzen(4) beschäftigen, erläutern wir daher, warum es eines theoretischen Rahmens für das Coaching bedarf, und gehen kurz auf die historische Entwicklung ein. Außerdem stellen wir dar, welche Ansätze heute die höchste Verbreitung haben. Nach einer Kurzdarstellung der beliebtesten Ansätze, gehen wir abschließend auf ansatzunabhängige Prinzipien ein, die für den Interventionsstil von Coaches charakteristisch sind.

1.3.1 Ein theoretischer Rahmen des Coachings

Coaching hat sich aus der Praxis heraus entwickelt und weist einen interdisziplinären Charakter auf. Nach Looss (2008) war es in der Entstehungsphase des Coachings in den 1980er Jahren notwendig, diese neue Art der psychologischen Beratung für Führungskräfte an die Denkgewohnheiten der Wirtschaft anzupassen. In der Praxis war somit ein konzeptioneller Pragmatismus erforderlich, weshalb Coaching – trotz seiner meist psychologischen oder psychotherapeutischen Grundlagen – stark durch betriebswirtschaftliches Denken geprägt ist. Die zunehmende Verbreitung von Coaching in neuen Praxisfeldern, in denen teilweise fachbezogener Expertenrat verlangt wird, macht zudem eine Erweiterung der theoretischen Wissensbasis erforderlich. Als drei in der Forschung gut etablierte Perspektiven auf Coaching gelten nach Graf (2011):

Psychologie,

Erwachsenen- und Weiterbildung,

Betriebswirtschaft.

Im methodischen Bereich bleibt vor allem die psychologische Perspektive zentral (Schreyögg, 2013a), auch wenn die Erwachsenen- und Weiterbildung hinsichtlich von Lern- und Reflexionsprozessen im Business-Kontext eine wichtige Ergänzung darstellt.

Die durch die Kombination verschiedener theoretischer Konzepte entstandene Interdisziplinarität wird als die eigentliche Innovation des Coachings betrachtet, wenngleich sie auch ein gewisses Spannungsfeld beinhaltet (Rauen, 2003). Die Menschenbilder, die Grundannahmen, die Veränderungskonzepte und die Zielvorstellungen usw. der jeweiligen theoretischen Konzepte sind teilweise inkompatibel oder sogar völlig gegensätzlich. Darin sehen Kritiker einer eklektischen(2) Vorgehensweise eine große Gefahr, weil dies Verwirrung beim Klienten stiften könne. Es bedürfe demnach eines kohärenten Modells, damit Interventionen(3) widerspruchsfrei auf der Basis theoretischer Geschlossenheit und eines begründeten Verständnisses ihrer Wirkungsweise zum Einsatz kommen. Die verschiedenen therapeutischen Ansätze, auf welche sich das Coaching stützt, liefern solche Modelle. Vor dem Hintergrund der Methodenpluralität, wird die Forderung nach sogenannten integrativen Handlungsmodellen gestellt, welche statt einer eklektischen eine sinnvolle, integrative(1) Vorgehensweise theoretisch begründen.

In Anlehnung an Anwendungsmodelle der Psychotherapie, Pädagogik und Supervision stellt Schreyögg vier Anforderungen an die Wissensstruktur eines (integrativen) Coachingmodells(1), das reflektiertes, praktisches Handeln ermöglicht. Das Modell ist deduktiv aufgebaut, so dass alle nachgeordneten Ebenen mit den Vorhergehenden kompatibel sein müssen. Folgende vier Ebenen werden unterschieden (Schreyögg, 2012):

Metaebene

Auf dieser übergeordneten Ebene sollte das Modell auf erkenntnistheoretischen und anthropologischen Prämissen aufbauen, welche die Erscheinungsformen menschlichen Daseins, menschlicher Beziehungen und beruflichen Handelns möglichst vielfältig einzufangen vermögen. Als anthropologische Leitlinie sieht Schreyögg den Menschen beispielsweise als autononomes, soziales Wesen, das Selbstverwirklichung anstrebt und sich durch die Bedingungen der Arbeitswelt verändern kann. Aus diesen philosophischen Vorstellungen und Menschenbildern können schließlich praktische Schlüsse gezogen werden. Die Prämissen bilden somit den Orientierungsrahmen für alle diagnostischen und methodischen Elemente. Für Schreyögg ist es wichtig, dass das Metamodell explizit dargestellt wird und nicht nur – wie häufig der Fall – implizit vorhanden ist.

Theorieebene

Diese Ebene sollte ein vielfältiges Theorieinventar beinhalten, um verschiedene Fragestellungen bearbeiten zu können. Entsprechend den möglichen Themengebieten im Coaching sind daher Theorien auszuwählen, die helfen, individuelle, Beziehungs- und Systemphänomene zu verstehen. Die ausgewählten Theorien können demnach beispielsweise aus der allgemeinen Psychologie, der Sozialpsychologie und der Organisationssoziologie stammen. Dabei ist aber jeweils zu prüfen, ob sie mit den formulierten Prämissen des Metamodells kompatibel sind.

Methodische Voraussetzungen und Anweisungen

Die dritte Ebene sollte die grundlegenden Voraussetzungen und Anweisungen hinsichtlich der Methodik beschreiben, und zwar anhand folgender Leitfragen:

Für welche Ziele werden die methodischen Maßnahmen angewandt?

Wie werden mit ihrer Hilfe die Themen von Klienten rekonstruiert und eine Problemdefinition entwickelt?

Welche Wirkungen werden durch sie angestrebt, und welche Wirkfaktoren liegen ihnen zugrunde?

Mit welchem Interventionsstil werden diese idealerweise angewandt?

Wie werden unterschiedliche Coachingsituationen (gemessen am Grad der Institutionalisierung und der Anzahl der Personen, die teilnehmen) gehandhabt?

Auch diese Modellebene muss mit den beiden vorherigen kompatibel sein.

Praxeologie (= reflektiertes Praxiskonzept)

Auf der letzten Ebene werden schließlich die einzelnen methodischen Maßnahmen (Tools, Interventionen(4) usw.) und die prozessualen Leitfäden subsumiert. Im Coaching sollten nach Schreyögg (2011) Maßnahmen der Gesprächsführung, erlebnis- und handlungsorientierte Arbeitsformen aus Verfahren der Dramatherapien sowie verschiedene Medien wie z.B. Flipcharts, Bausteine usw. zum Einsatz kommen. Auch für diese Ebene gilt, dass sie mit den vorhergehenden kompatibel sein muss.

1.3.2 Theoretische Schwerpunkte der angelsächsischen Länder und Deutschlands

Wir stehen heute vor der Situation, dass den Coaches der zweiten Generation die wissenschaftlichen Grundlagen und theoretischen Wurzeln ihrer Beratungsarbeit mehr und mehr verloren gehen, weil diese in den einschlägigen Qualifizierungen nicht vermittelt werden (Greif, 2014). Um einen Überblick über den historischen und aktuellen Stand zu erhalten, wollen wir daher im Folgenden wichtige Entwicklungen und theoretische Schwerpunkte der angelsächsischen Länder wie auch Deutschlands kurz darstellen. Die gesamte Geschichte des Coachings können wir an dieser Stelle nicht rekonstruieren, vielmehr wollen wir theoretische Perspektiven und Einflüsse auf die heutige Coachingpraxis herausarbeiten. Tiefere Einblicke in die psychologische Geschichte liefern die Werke von Drath (2012) und Wildflower (2013).

Während sich im deutschsprachigen Raum Tool-Bücher großer Beliebtheit erfreuen, die lediglich die Ebene der Praxeologie berühren, ist in der anglo-amerikanischen Literatur vermehrt die Darstellung von Veränderungskonzepten in Form von kohärenten Coaching-Ansätzen(5) zu finden. Die theoretischen Konzepte aus dem englischsprachigen Ausland sind bei deutschen Coachingexperten allerdings noch relativ unbekannt (Greif, 2011). Unter dem Begriff der »Coaching Psychologie«(1) wurde Coaching, insbesondere in Australien und Großbritannien, zu einer eigenen, angewandten akademischen Subdisziplin entwickelt (Palmer und Whybrow, 2011). Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Anwendung von psychologischen Theorien explizit voraussetzt. Damit grenzen sich Coaching-Psychologen von solchen Coaches ab, die ohne ein psychologisches Modell agieren.

Eine wichtige theorienübergreifende Basis der Coaching-Psychologie ist die von dem amerikanischen Psychologen Martin Seligman 1998 begründete Positive Psychologie. Diese Richtung kritisiert die traditionelle Defizit-Orientierung der Psychologie und wendet sich der Erforschung dessen zu, was Menschen stärkt, das Leben gelingen lässt und Hochgefühle in Leistungssituationen, sogenanntes Flow-Erleben nach dem ungarisch-amerikanischen Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi, schafft. Im Fokus stehen folglich Glück (happiness), Wohlbefinden (well-being), Erfüllung (fulfilment) und das Aufblühen (flourishing). Auch wenn die Positive Psychologie in der Psychologie und darüber hinaus umstritten ist (siehe dazu z.B. Ehrenreich, 2010; Myers, 2014), findet sie im Coaching zumindest im angloamerikanischen Raum seit 2000 Beachtung (Greif, 2011). Neben der Positiven Psychologie umfasst die Coaching-Psychologie(2) ein breites Spektrum von Perspektiven und Ansätzen, etwa psychodynamische, systemische, entwicklungsorientierte, kognitiv-behaviorale, lösungsfokussierte und verhaltensorientierte Ansätze. Eine Übersicht findet sich z.B. bei Peltier (2010) und Palmer und Whybrow (2011). Insgesamt besteht eine große Nähe zu verhaltenstherapeutischen Methoden, da sich die Coaching-Psychologie vornehmlich als Verhaltenswissenschaft versteht. Die Harvard Business School fordert sogar, dass »veraltete« Coachingmethoden zukünftig gänzlich durch verhaltenswissenschaftliche abgelöst werden (Greif, 2014).

In Großbritannien entwickelte sich das heutige Coaching aus dem Mentaltraining im Sport als »Performance Coaching(5)«. Eine wichtige Rolle spielte dabei das (erstmals 1975 veröffentlichte) Buch »The Inner Game of Tennis« des Amerikaners Timothy Gallwey, das den inneren, mentalen Zustand des Spielers ins Zentrum der Betrachtung stellt. Der britische Rennfahrer Sir John Whitmore und der ehemalige IBM-Manager Graham Alexander brachten das Konzept des »Inner Games« nach Großbritannien und setzten dieses zunächst im Sport und bald darauf auch in der Wirtschaft ein. Whitmore (2006) konstatiert, dass »alle führenden Vertreter des heutigen Unternehmens-Coachings […] aus der Gallweyschen Coaching-Schule hervorgegangen oder nachhaltig von ihr beeinflusst wurden«. In seinem 1992 publizierten Standardwerk »Coaching for Performance« wird der Bezug zu der damals in den USA populären humanistischen Psychologie sowie den kognitiv-behavioralen Methoden deutlich. Um 1979 hat sich in Großbritannien vor diesem Hintergrund das bekannte GROW-Modell(1) für die Arbeit mit Führungskräften entwickelt. Dieses gibt dem Coach eine Rahmenstruktur, um den Klienten beim Setzen und Erreichen von Zielen zu unterstützen. Das Wort GROW ist auf die Anfangsbuchstaben der folgenden vier Kernschritte zurückzuführen (Drath, 2012; Roberts und Jarrett, 2007): G (Goal) – Festlegung des Ziels(2), R (Reality) – Prüfung der Realität, O (Options) – Vergleich der Lösungsoptionen und W (Will) – Was muss wann von wem mit fester Absicht getan werden. Das Grow-Modell war in den 1980er und 1990er Jahren sehr erfolgreich und gilt laut Greif (2014) in den USA sogar bis heute als »ein Markenzeichen für praktisch zielgerichtetes Coaching«.

In Deutschland qualifizierten sich die Coaching-Pioniere der ersten Generation in gewisser Weise selbst als Coach und stützten sich bei der Entwicklung von Methoden auf die wissenschaftlichen Theorien und Richtungen, die damals aktuell waren (Greif, 2014). Diese wurden meist mit großer Experimentierfreude nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum in der Praxis eingesetzt und miteinander verknüpft. Nach Auskunft des Coaching-Pioniers Uwe Böning (2014, S. 21) waren in Deutschland folgende theoretische Strömungen von Bedeutung:

»Mitte/Ende der 1970er-Jahre war im therapeutischen Bereich das verhaltenstherapeutische Paradigma sehr prägend, da es nachweisbare Ergebnisse lieferte. Ebenso hatten das familientherapeutische Setting beziehungsweise die Kommunikationspsychologie in der Praxis einen starken Einfluss auf das Coaching, allerdings nicht in der Forschung. […] Die Anteile der Gesprächstherapie, der tiefenpsychologischen Ansätze oder der damals starken Bewegung der Gruppendynamik gab es natürlich auch. Alles war sozusagen Neuland, das erobert werden musste. Aber es gab kein wirklich integratives Konzept.«

Heute hat in Deutschland der systemische Ansatz(1) einen hohen Stellenwert. Die meisten Ausbildungen firmieren unter dem Markenzeichen »systemisch« bzw. »systemisch-konstruktivistisch«, auch wenn die zugrundliegenden Konzepte häufig nicht ausreichend konkretisiert werden. Noch vor zehn Jahren wurde zwischen »Systemischem Coaching« und »anderem Coaching« unterschieden. Nach Drath (2012) ist jedoch der systemische Ansatz(2) im »Eklektischen(3) Kern« aufgegangen, zu dem er noch die Humanistische Psychologie, die Tiefenpsychologie, die Verhaltenspsychologie, das Neurolinguistische Programmieren (NLP(1)) und zu einem geringen Teil die körperorientierte Psychologie zählt.

1.3.3 Verbreitung von Coaching-Ansätzen(6)

Es gibt bislang nur wenige Studien, die Informationen zur Verbreitung von Coaching-Ansätzen in der Praxis und Ausbildung bieten. Selbst in den einschlägigen Coaching-Marktstudien ist zu diesem Aspekt meist kein Hinweis zu finden. Anhaltspunkte für die Verbreitung von Coaching-Ansätzen geben die Untersuchungen von Stahl und Marlinghaus (2000), Whybrow und Palmer (2006) sowie Greif (2014). Erstere haben 45 Coaches in Deutschland nach eingesetzten Interventionsverfahren(5) und -techniken befragt. Das Ergebnis ist in Tabelle 2 zusammengefasst.

Die wichtigsten fünf Coaching-Ansätze(7), die um die Jahrtausendwende in Deutschland zum Einsatz kamen, sind demnach die Systemische Therapie, das Neurolinguistische Programmieren, die Gestalttherapie, die Transaktionsanalyse(1) und die Psychoanalyse.

Ein Bild von den Verhältnissen in Großbritannien liefern Whybrow und Palmer (2006). Im Abstand von zwölf Monaten führten sie zwei Befragungen von Mitgliedern des Coaching Psychology Forum (CPF) durch. An der ersten Befragung im Jahr 2003 (T1) nahmen 90 Mitglieder teil, bei der zweiten 2004 (T2) waren es 109 Mitglieder. Dieser Befragung zufolge sind in Großbritannien kognitive (»Cognitive«), verhaltenstherapeutische (»Behavioural«), ziel(2)- und lösungsorientierte (»Goal- and Solution Focused«) sowie personzentrierte(3) (»Person-Centred«) Ansätze am beliebtesten. Die theoretische Vielfalt ist jedoch groß, was sich auch in den qualitativen Antworten zeigte. Dort wurden beispielsweise auch Gestalttherapie, Positive Psychologie und Hypnose(1) genannt.

Tabelle 2: Im Coaching eingesetzte Interventionsverfahren und -techniken nach einer Befragung von 45 Coaches. Anmerkung: Mehrfachnennungen waren möglich. Nach Stahl und Marlinghaus, 2000, S. 203.

Interventionsverfahren und -techniken im Coaching

Nennungen

Systemische Therapie und Kommunikationstherapie

38%

Neurolinguistisches Programmieren (NLP)

36%

Gestalttherapie

29%

Transaktionsanalyse(2) (TA)

24%

Psychoanalyse

20%

Verhaltenstherapie(5) bzw. -modifikation

16%

Verfahren der Partner- und Familientherapie(1)

9%

Zeit- und Selbstmanagementtechniken

9%

Psychologische Testverfahren und andere diagnostische Verfahren

9%

Gesprächstherapie

7%

Supervisionstechniken

7%

Sonstiges (Hypnose, Logotherapie, Bioenergetik, Psychodrama etc.)

56%

Greif (2014) analysierte im Jahr 2013 die Ausrichtungen von Coachingausbildungen in den USA, in Großbritannien und in Deutschland. Als Grundlage wählte er die nach dem PageRank von Google wichtigsten 50 Internetpräsentationen der jeweiligen Länder aus. (Der PageRank wertet mit einem Algorithmus unter anderem die Linkpopularität aus, die sich aus der Zahl der Verweise auf andere Internetseiten ergibt.) Tabelle 3 gibt das Ergebnis wieder.

Tabelle 3: Übersicht über die Verteilung der nach ihrer Linkpopularität am häufigsten erwähnten Richtungen oder Schulen in Coachingausbildungen (Top 50 nach dem Ranking von Google, ohne doppelte Seiten und fehlende Angaben, Mehrfachnennungen möglich, Stand: März 2013) nach Greif, 2014, S. 305.

USA

GB

Deutschland

Mittelwerte

NLP (%)

13

22

36

24

Systemisch (%)

0

2

55

19

TA (%)

0

7

17

8

Verhaltensmodifikation (%)

4

12

4

7

Performance Coaching(6) nach Whitmore oder Goal Setting (%)

4

10

0

5

Keine Richtungshinweise

72

63

15

50

Anzahl auswertbarer Internetseiten

47

41

47

Die Häufigkeitsverteilung der populärsten Richtungen in Deutschland unterscheidet sich demnach von der Situation in den USA und in Großbritannien. An erster Stelle steht hierzulande, wie schon angedeutet, der systemische Ansatz(3), der in den beiden englischsprachigen Ländern kaum bis gar keine Erwähnung findet.

Insgesamt betrachtet sind folgende Ansätze am weitesten verbreitet: systemisch (hauptsächlich in Deutschland), NLP (sowohl in Deutschland als auch in den englischsprachigen Ländern), Transaktionsanalyse(3) (vor allem in Deutschland, aber auch in Großbritannien), lösungsfokussiert (in Deutschland und Großbritannien), kognitiv/verhaltenstherapeutisch (vor allem in Großbritannien, aber auch in Deutschland und den USA). Im Folgenden werden wir sie kurz erläutern.

1.3.4 Kurzüberblick wichtiger Coaching-Ansätze(8)

Systemischer Ansatz

Der systemische Ansatz(4) hat sehr heterogene Wurzeln. Diese gehen unter anderem zurück auf die sogenannte »Double-Bind«-Hypothese von Gregory Bateson und Paul Watzlawick, die soziologische Systemtheorie von Luhmann, die weiterentwickelte Kybernetik (die sogenannte »Kybernetik 2. Ordnung«) von Heinz von Förster, die biologische Systemtheorie von Humberto Maturana und Francisco Varela, den radikalen Konstruktivismus(1) von Ernst von Glaserfeld und die physikalische bzw. biologische Systemtheorie bzw. Synergetik von Hermann Haken und Ludwig von Bertalanffy sowie die praktischen Erfahrungen der Systemischen Familientherapie(2). Aufbauend auf diesen Konzepten werden Familien, Teams, Organisationen, aber auch Einzelpersonen als Systeme in einem Kontext angesehen.

Dabei steht das Zusammenspiel von Teilsystemen untereinander und mit dem Umfeld im Vordergrund. Ein Problem wird dabei also nicht isoliert, sondern innerhalb eines Gesamtsystems betrachtet. Dadurch entsteht Komplexität, die nicht durch linear-kausale Zusammenhänge erklärbar ist, sondern nur anhand zirkulärer, rückgekoppelter Prozesse, in denen alles mit allem vernetzt ist. Es wird dabei angenommen, dass sich ein System durch Selbstorganisation selbst erschafft und reproduziert (»Autopoiese«). Einer weiteren Kernannahme nach hat jeder Mensch eine eigene Sicht der Dinge und konstruiert sich seine eigene Wirklichkeit (»radikaler Konstruktivismus(2)«). Jede Wirklichkeit hat demnach etwas mit den Beschreibungen eines Beobachters zu tun. Aufgabe des Beraters ist es, an das Klientensystem anzukoppeln und es auf wirksame Weise zu »stören«, um ihm so zu einem neuen Gleichgewicht zu verhelfen. Auf einer Metaebene wird dazu die Wirklichkeitskonstruktion des Klienten studiert, so dass eine Intervention(6) gewählt werden kann, die für ihn einen Unterschied bewirkt. Im Kern ist der systemische Ansatz(5) somit kein instrumenteller Ansatz, sondern ein Metamodell zur situationsbezogenen Auswahl von Interventionen. Darüber hinaus ist für ihn eine lösungs- und ressourcenorientierte Haltung charakteristisch.

Der systemische Ansatz(6) ist gut mit dem Unternehmenskontext des Coachings kompatibel und bietet nützlich Denkmodelle, um systemische, interaktionelle Probleme zu analysieren und zu lösen. Für intrapsychische Probleme reicht dieser Ansatz allein jedoch nicht aus. Daher hat z.B. Gunther Schmidt (2011) ihn mit der Hypnotherapie(1) kombiniert und zum Hypnosystemischen Ansatz ausgebaut. Durch diesen lässt sich auch die internale Musterdynamik des Individuums bearbeiten (siehe dazu Kapitel 10). Vereinfacht kann man sagen, die Hypnotherapie ist eine Art nach innen gewandte Systemtheorie, weshalb sich diese beiden Ansätze gut ergänzen.

Neurolinguistisches Programmieren(2)

Das Neurolinguistische Programmieren (NLP) geht auf Arbeiten von Richard Bandler und John Grinder Mitte der 70er Jahre des vorherigen Jahrhunderts zurück. Einen wichtigen theoretischen Einfluss auf das NLP(3) hatten die kybernetische Kommunikationstheorie Gregory Batesons und die Arbeit der Palo-Alto-Gruppe. Bandler und Grinder »modellierten« die Vorgehensweise besonders erfolgreicher Therapeuten, um sie für andere erlernbar zu machen. Zu diesem Zweck beobachteten sie das tatsächliche Verhalten eines Vorbilds, um daraus Regeln und Muster abzuleiten, die wiederum nachgeahmt und auf ihre Wirksamkeit getestet werden konnten. Auf diese Weise wurden die Vorgehensweisen von Fritz Perls (Gestalttherapie), Virginia Satir (Familientherapie(3)) und Milton Erickson(1) (Hypnotherapie, siehe dazu Kapitel 10) analysiert. Ergebnisse waren unter anderem:

ein linguistisch orientiertes »Metamodell« über veränderungswirksame therapeutische Interaktion (The Structure of Magic, Volume I);

das »Milton-Modell«, das sich mit den hypnotischen Techniken von Milton Erickson(2) befasst (Patterns of the Hypnotic Techniques of Milton H. Erickson, M.D., Volume I);

ein Basismodell »4-Tupel«, das eine Erfahrung auf Basis der 5 Sinnesmodalitäten, also V (visuell), A (auditiv), K (kinästhetisch), O (olfaktorisch) und G (gustatorisch), beschreibt (es heißt 4-Tupel, weil es »olfaktorisch« und »gustatorisch« zu einer Kategorie zusammenfasst, so dass es abgekürzt VAKO lautet; die verschiedenen Modi werden als Repräsentationssysteme bezeichnet);

das Konzept der Zugangshinweise, wonach anhand der Augenbewegungen (Blickrichtung usw.) und anderer nonverbaler Verhaltensmuster(1) zu erkennen sei, ob ein Mensch zu einem gegebenen Zeitpunkt innere Bilder, innere Geräusche, inneren Dialog oder Gefühle erlebt;

ein Modell über die Analyse und Veränderung intrapsychischer Prozesse (Neuro-Lingustic Programming: Volume I).

Der Begriff des Neurolinguistischen Programmierens weist auf die Zusammenhänge zwischen neurophysiologischen Zuständen, Linguistik und inneren Denk-Programmen hin. Dabei geht man davon aus, dass auf neurobiologischer Ebene alle Umweltreize oder gedanklichen Vorstellungen einen sensorischen Bezugsrahmen haben. Das bedeutet, dass den äußeren Reizen, die über den Seh-, Hör-, Tast-, Geruchs- und Geschmackssinn aufgenommen werden, gleichartige innere sinnliche Repräsentationen entsprechen, also ein inneres Auge, ein inneres Ohr usw. Diese internen und externen Repräsentationssysteme sind also Ebenen, auf denen Informationen verarbeitet werden. Die sinnlichen Eindrücke manifestieren sich schließlich in der verbalen und nonverbalen Kommunikation. Dies zeigt sich in der Verwendung von Redewendungen wie »Das klingt gut« (auditiv) oder »Das sehe ich auch so« (visuell). Der Begriff der Programmierung bezieht sich auf die internen Organisations- und Verarbeitungsvorgänge, die notwendig sind, um gelernte Verhaltensmuster(2) durch neue zu ersetzen. Hier geht es vor allem darum, mittels verschiedener Lernstrategien unerwünschte Gefühlsreaktionen, unangebrachte Verhaltensweisen und problematische Überzeugungen zu verändern. In Kapitel 10 werden wir noch ausführlicher auf den ursprünglichen Ansatz von Milton Erickson(3) eingehen.

Entgegen einer häufig in der Literatur geäußerten Kritik erheben Bandler und Grinder nicht den Anspruch, mit dem Neurolinguistischen Programmieren eine Theorie entwickelt zu haben. Ihr Ansatz wurde bis Ende der 1980er Jahre von der akademischen Fachöffentlichkeit weitgehend ignoriert, während er in der Praxis auf große Resonanz stieß. Auch heute wird dem NLP(4) Unwissenschaftlichkeit und mangelnde empirische Überprüfung vorgeworfen. Zumindest hat dieser Ansatz mit Neurowissenschaftlichen Erkenntnissen im engeren Sinne wenig zu tun, die zur Entstehungszeit des NLP auch noch gar nicht vorhanden waren.

Transaktionsanalyse(4)

Der amerikanische Psychiater Eric Berne hat die Transaktionsanalyse(5) in den vierziger und fünfziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts als eine Form der Psychotherapie entwickelt. Diese ist durch psychoanalytische (s. Kapitel 9) und individualpsychologische Konzepte sowie ein humanistisches Menschenbild geprägt. Die Transaktionsanalyse(6) ist keine fundierte Theorie, vielmehr bietet sie verschiedene praxistaugliche Konzepte, die auch von anderen Beratungsansätzen genutzt werden. Zentrale Begriffe sind:

Strukturanalyse

Hier geht es um die Erfassung der Persönlichkeitsstruktur(2). Es werden drei Ich-Zustände unterschieden, die sich in den ersten zwölf Lebensjahren entwickeln: das Kind-Ich, das Erwachsenen-Ich und das Eltern-Ich. Diese entsprechen bestimmten Persönlichkeitsteilen bzw. Bewusstseinszuständen(1), aus denen heraus ein Mensch reagieren kann. Es werden zudem angeborene Grundbedürfnisse angenommen, von denen das Bedürfnis nach Zuwendung zentral ist. Des Weiteren geht man davon aus, dass bei einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung(2) die drei Ich-Zustände klar voneinander abgegrenzt sind, auch wenn sie miteinander interagieren. Sind jedoch die Grenzen zu durchlässig oder zu starr, kommt es zu sogenannten Trübungen oder zu Abspaltungen, die die Grundlage für Neurosen bilden. Diese entwickeln sich in der Kindheit aufgrund der versagten Befriedigung von Grundbedürfnissen und der daraus entstehenden Notwendigkeit, diese auf eine andere Art zu befriedigen, etwa durch übermäßige Betonung oder Unterdrückung eines Ich-Zustandes.

Transaktionsanalyse(7)

Die verbalen und nonverbalen Interaktionen zwischen Menschen werden als Transaktionen zwischen den verschiedenen Ich-Zuständen aufgefasst. Dabei wird zwischen (1) parallelen oder komplementären, (2) überkreuzten und (3) verdeckten Transaktionen unterschieden. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den wiederkehrenden Transaktionsmustern, die Ausdruck von gelernten Rollen-»Spielen« sind. Diesen wiederum liegt ein spezifisches Lebensdrehbuch (das »Skript«) zugrunde.

Spielanalyse

Ein Spiel besteht aus verdeckten Komplementär-Transaktionen, die zu einem vorhersehbaren Ergebnis führen. Dieses dient dazu, einen emotionalen Gewinn zu erhalten, der die früher verwehrten Bedürfnisse ersetzt. Im Sinne des Wiederholungszwanges werden diese zu einem festen Bestandteil des Lebens und determinieren bevorzugte Rollen und Spiele.

Skriptanalyse

Spiele und die damit verbundenen Transaktionen sind Manifestationen eines in der Kindheit geprägten Lebensdrehbuchs, das als Skript bezeichnet wird. Teil des Skripts sind sogenannte Lebensgrundpositionen (»Ich bin o.k. – du bist o.k.«, »ich bin nicht o.k. – du bist o.k.«, »ich bin nicht o.k. – du bist nicht o.k.«, »ich bin o.k. – du bist nicht o.k.«), die sich aus dem Bedürfnis nach Zuwendung und dem Umgang damit in der Familie entwickeln. Darüber hinaus sind elterliche Indoktrinationen und Handlungsanweisungen ein weiterer wichtiger Bestandteil des individuellen Skripts. Erstere sind Botschaften, die immer wieder mitgeteilt werden. Letztere werden entweder über modellhaftes Vormachen oder über verbale Lebensregeln vermittelt. Aus diesen können sich sogenannte Antreiber entwickeln: »streng dich an«, »sei perfekt«, »mach es allen recht«, »beeile dich« und »sei stark und ohne Schwächen«. Ziel der Skriptanalyse ist es, diese Zusammenhänge aufzudecken und in einer Skriptmatrix darzustellen.

Die Befreiung vom Lebensskript ist das übergeordnete Ziel der Transaktionsanalyse(8)