Schule mit Köpfchen - Gerhard Roth - E-Book

Schule mit Köpfchen E-Book

Gerhard Roth

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Beschreibung

Wie hirngerechtes Lehren und Lernen gelingt Zu den herausfordernden Aufgaben von Lehrerinnen und Lehrern gehört es, ihren Schülerinnen und Schülen erfolgreiches Lernen zu ermöglichen. Hierzu liefern die Erkenntnisse der Neuro- und Kognitionswissenschaften einen wichtigen Beitrag. Das vorliegende Buch zeigt, wie diese Erkenntnisse konkret im Schulalltag genutzt werden können, wie Lehr- und Lernsettings aussehen, die selbstständiges Lernen ermöglichen, und welche Rolle dabei Motivation, Konzentration, Fleiß und Wiederholung spielen. Die Autoren ermutigen alle Unterrichtenden, neue Wege zur Verbesserung ihrer Unterrichtsqualität zu gehen. Sie erläutern die wissenschaftlichen Grundlagen und zeigen deren Anwendung anhand zahlreicher praktischer Beispiele aus dem Schulunterricht. Ein motivierendes und nachhaltiges Praxisbuch für jede Lehrerin und jeden Lehrer.

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Seitenzahl: 299

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Gerhard Roth und Michael Koop

Schule mit Köpfchen

Erkenntnisse aus der Hirnforschung für den Unterricht nutzen

Mit zahlreichen Beispielen aus der Schulpraxis

Klett-Cotta

Impressum

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2022 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg

Gesetzt von Dörlemann Satz, Lemförde

Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-608-98651-8

E-Book ISBN 978-3-608-11892-6

PDF-E-Book ISBN 978-3-608-20581-7

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Vorwort

TEIL 1

Die Bedeutung der Lehrer- und der Schülerpersönlichkeit für den Lernerfolg

A Erfahrungen aus der Schulpraxis

Erster Eindruck von der Lehrperson

Erste Unterrichtsstunden

Namentliche Ansprache

Räumliche Distanz beim Gespräch

Blickkontakt zwischen Lehrer und Schüler

Persönliche Gespräche

Anbieten von Hilfen und Tipps

Die Persönlichkeit und die kulturellen Gewohnheiten der Schüler

Nachvollziehen von Gedanken der Lernenden

Richtige Sitzordnung

Vorbildfunktion der Lehrperson

Erfahrungen mit den Lernenden einer »neuen« Klasse

Umgangston und Sprache

Pünktlichkeit

Rollenverständnis als Lehrer

Äußeres Erscheinungsbild des Lehrers

Erklären von Entscheidungen und Maßnahmen

Respektvoller Umgang miteinander

Einhalten von Versprechen und Zusagen

Umgang mit Regeln und Regelverletzungen

Empathie

Gerechtes Handeln

Die Lehrperson als Ansprechpartner für die Lernenden

Fachliche Kompetenz der Lehrperson

Gute Unterrichtsvorbereitung

Feinfühligkeit und Kritikfähigkeit der Lehrperson

Rückmeldung der Lehrperson zum Leistungsstand

Rückmeldung der Lernenden zur Lehrperson

Vermeiden von Konfliktsituationen

Motivationsfähigkeit

Anspruch auf Bildung

Strebsamkeit und Fleiß

Die Bedeutung einer verlässlichen Beziehung zu den Lernenden

Ängste, Befürchtungen und Sorgen der Lehrperson

B Die Lehrerpersönlichkeit und ihre Bedeutung für guten Unterricht aus wissenschaftlicher Sicht

Die Entwicklung der Persönlichkeit

Die Entwicklung von Persönlichkeit und Psyche auf unterschiedlichen Ebenen des Gehirns

Die untere limbische Ebene

Die mittlere limbische Ebene

Die obere limbische Ebene

Die kognitiv-sprachliche Ebene

Die Chemie der Persönlichkeit: die sechs psychoneuralen Grundsysteme

Stressverarbeitung

Selbstberuhigung und Emotionskontrolle

Bindung und Empathie

Motivation

Impulskontrolle

Realitätssinn und Risikowahrnehmung

Zusammenfassung: Wie aus dem Zusammenspiel der sechs psychoneuralen Systeme die individuelle Persönlichkeit entsteht

Stabilität und Veränderbarkeit der Persönlichkeit

Die Wirkung der Persönlichkeit des Lehrers auf die Schüler

Vor- und Nachteile des »ersten Eindrucks«

Können wir genauer erklären, worauf das »Ausstrahlen« von Vertrauenswürdigkeit bei der Lehrperson beruht?

Wichtige Eigenschaften der Schülerpersönlichkeit

Die schwierige Phase der Pubertät

TEIL 2

Hirngerechter Unterricht

A Erfahrungen aus der Schulpraxis

Aufmerksamkeit und Konzentration

Stundenbeginn und Begrüßung

Auf Phasen größter Aufmerksamkeit vorbereiten

Begrenzte Aufmerksamkeits- und Aufnahmefähigkeit

Mit wiederkehrenden Aufmerksamkeits- und Konzentrationsproblemen umgehen

Ruhe in die Lerngruppe bringen

Anschlussfähigkeit des Stoffes herstellen

Vorwissen der Lernenden überprüfen

Unterschiedliches Vorwissen, unterschiedliche Vorerfahrungen der Lernenden

Allgemeine Motiviertheit und Lernbereitschaft der Schüler und ihr Interesse am Lernstoff

Lob als Belohnung und Motivation

Gerechte und transparente Leistungsbeurteilung anhand der Beispielfächer Mathematik und Sport

Die Bedeutung von Fleiß und Wiederholung

Einstellung der Erziehungsberechtigten zum schulischen Lernen

»Hirngerechter« Unterricht – Einsatz in der Schulpraxis

Abschied vom 45-Minuten-Takt, fächerübergreifende oder alternative Unterrichtsformen

Neue Tagesstruktur – Beispiele für drei Varianten

Effekte der neuen Tagesstruktur

Vorschläge zur Umsetzung der neuen Tagesstruktur

B Wissenschaftliche Grundlagen

Lernen und Gedächtnisbildung aus neurobiologischer Sicht

Das Gedächtnis als magische Kommode

Die Zeitstruktur unseres Gedächtnisses

Die Bedeutung des Arbeitsgedächtnisses

Die Arbeit des Zwischengedächtnisses

Die Arbeit des Langzeitgedächtnisses

Die Rolle der Aufmerksamkeit

Die Anschlussfähigkeit des Stoffes

Die allgemeine Motiviertheit und Lernbereitschaft der Schüler und das Interesse an einem bestimmten Stoff

Anstrengungsbereitschaft und Lernerfolg

Fleiß und Wiederholung

»Methoden-Mix«

Thema »Ganztagsunterricht«

Fazit: Wie sieht also ein »hirngerechter« Unterricht aus?

TEIL 3

Der Umgang mit Intelligenz- und Begabungsunterschieden und mit Lern- und Verhaltensstörungen

A Erfahrungen aus der Schulpraxis

Erste Einschätzung der Schüler einer neuen Lerngruppe

Auffälligkeiten und Maßnahmen

Heterogenität von Lerngruppen

Erkennen von Intelligenz- und Begabungsunterschieden

Berücksichtigen von Intelligenz- und Begabungsunterschieden

Lern- und Verhaltensstörungen

Einsichten aus dem Umgang mit Verhaltensstörungen

B Wissenschaftliche Grundlagen

Intelligenz

Was ist Intelligenz, und wie misst man sie?

Begabung

Kreativität

Hochbegabung

Inselbegabung

Intelligenz- und Begabungsunterschiede zwischen den Geschlechtern

Die Entwicklung von Intelligenz

In welchem Maße ist Intelligenz angeboren oder erworben?

Der Einfluss der Umwelt nach der Geburt

Die Bedeutung für den Unterricht

Wie fördert man Intelligenz und Begabung?

»Soziale« und »emotionale« Intelligenz

Lernstörungen

Legasthenie

Dyskalkulie

Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (

ADHS

)

Antisoziale oder dissoziale Persönlichkeitsstörung

Autismus

Lernbehinderung und geistige Behinderung

TEIL 4

Fortbildung und Schulung für das Lehrpersonal

Zitierte und weiterführende Literatur

Vorwort

Das vorliegende Buch ist das Ergebnis einer langen und intensiven Zusammenarbeit zwischen den Neuro- und Kognitionswissenschaften einerseits und der Schulpraxis andererseits. Das Projekt, diese beiden Bereiche eng zu verzahnen, nahm für den Erstautor (GR) seinen Anfang, als ihn vor fast zwanzig Jahren der damalige Bremer Schulsenator Willi Lemke bat, bei einer Veranstaltung im Bremischen Rathaus Lehrerinnen und Lehrern1 die Erkenntnisse der Neurobiologie und pädagogischen Psychologie über Lehren und Lernen vorzustellen. Da das Vorgetragene für die meisten Zuhörer mehrheitlich neu war, entstand das Vorhaben, den Bremischen Lehrern diese Erkenntnisse in systematischer Weise nahezubringen.

Das Projekt stieß zunächst auf großes Interesse. Dieses erlahmte jedoch zusehends, da aus Sicht der »abgeordneten« Lehrer unklar blieb, wie die Erkenntnisse der Neuro- und Kognitionswissenschaften konkret für den Schulalltag nutzbar gemacht werden konnten. Entgegen der Behauptung mancher »Neuropädagogen«, die Hirnforschung könne direkt den Schulalltag revolutionieren, bestand und besteht das Problem genau darin, dass diese Erkenntnisse überhaupt erst einmal mit dem Schulalltag in Verbindung gebracht werden mussten und müssen, um dort wirksam zu werden.

In der Folge trat der glückliche Umstand ein, dass der Zweitautor (MK), Lehrkraft an der Gesamtschule Bremen-Ost (GSO), im Bremischen Brennpunkt-Stadtteil Osterholz-Tenever gelegen, mit dem Erstautor in Kontakt trat und vorschlug, gemeinsam daran zu arbeiten, dieses Defizit zu beseitigen. Unter Federführung des Zweitautors und mit tatkräftiger Unterstützung der GSO-Schulleitung sowie einem Team von Lehrkräften begannen wir im Jahr 2008 die gemeinsame Arbeit zur Verbesserung der Unterrichtsqualität. Mit dem Projekt »Reform des Schulunterrichts an der GSO« verfolgten und verfolgen wir das Ziel, den Lernerfolg unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse für einen »hirngerechten« Unterricht zu optimieren.

Die Umsetzung des Projekts im Schulalltag startete an der GSO im Schuljahr 2012/13 mit dem gesamten 5. Jahrgang. In den folgenden Jahren wurden, mit Beginn eines neuen Schuljahres, jeweils die Klassen des 6. Jahrgangs mit einbezogen. Unterstützt wurden wir im Projekt durch viele Lehrer, die sich mit Begeisterung einbrachten. Nach vier Jahren der Vorbereitung bis zur ersten Umsetzung des Projekts in den Schulalltag und anschließenden weiteren vier Jahren der Durchführung, wissenschaftlichen Begleitung und Unterstützung konnte die Organisation, Leitung und Betreuung des Projekts der Schulleitung und den Funktionsträgern der GSO übergeben werden. Anerkennung fand das Projekt unter anderem im Jahr 2018 dadurch, dass die GSO Preisträger (2. Platz) beim Deutschen Schulpreis der Robert Bosch Stiftung wurde. In der Laudatio hieß es: »Lehrende investieren in Beziehung und vielfältige Lern- und Bewährungsangebote, über die sie die Kinder und Jugendlichen durch stets gegenwärtiges Vertrauen für ihre Schule in Verantwortung nehmen und zur Leistung herausfordern« (Robert Bosch Stiftung 2018, S. 28–33).

In der Zwischenzeit haben eine Reihe weiterer Schulen in Deutschland unsere Anregung aufgenommen. Insbesondere gilt dies für die private Leibniz-Schule in Elmshorn und Kaltenkirchen und deren Schulleitern Frau Barbara Manke-Boesten und Herr Egon Boesten, mit denen der Erstautor seit rund sechs Jahren erfolgreich zusammenarbeitet.

Unser Buch ist eine kurze Darstellung der Grundlagen unserer Arbeit, jeweils aus Sicht der Schulpraxis und der Neurowissenschaften bzw. der pädagogischen Psychologie. Die Erfahrungen aus der Umsetzung in die Schulpraxis erstrecken sich dabei auf einen Zeitraum von nunmehr 10 Jahren Projektarbeit.

Wir möchten mit unserem Buch alle Schulen ermutigen, ähnliche Wege zur Verbesserung der Unterrichtsqualität zu beschreiten, und sind gern bereit, Hilfestellung zu leisten. Unsere Ausführungen verstehen sich keineswegs als Heilsbotschaft, sondern als die Vermittlung dessen, was sich in bereits mehrjähriger Unterrichtspraxis bewährt hat – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die wichtigste Erkenntnis unserer gemeinsamen Arbeit lautet: Man kann die Schule weder von oben (d. h. auf ministeriellen Beschluss hin) verändern noch kurzfristige Erfolge erwarten, sondern nur von unten, in kleinen Schritten und mit entsprechend langem Atem vorgehen. Diese Langfristigkeit bietet zudem den Vorteil, jederzeit Korrekturen in der konkreten Umsetzung vornehmen zu können.

Wir danken der Schulleitung der Bremer Gesamtschule Ost (GSO) und insbesondere Frau Karin Peterburs für ihre unermüdliche Unterstützung und allen Kolleginnen und Kollegen für ihr tatkräftiges Mitwirken und ihre wertvollen Ratschläge. Ebenso dankt GR der Schulleitung der privaten Leibniz-Schule (LPS) in Elmshorn und Kaltenkirchen, Frau Barbara Manke-Boesten und Herrn Egon Boesten für die bereits lange und erfolgreiche Zusammenarbeit.

Lilienthal, im Mai 2022

TEIL 1

Die Bedeutung der Lehrer- und der Schülerpersönlichkeit für den Lernerfolg

A Erfahrungen aus der Schulpraxis

Michael Koop

Die nachfolgenden Beispiele beruhen auf Erfahrungen und Ereignissen aus dem Schulalltag der langjährigen Lehrtätigkeit des Zweitautors. Alle aufgeführten Personennamen wurden geändert und beziehen sich nicht auf tatsächlich existierende Personen. Zudem wurden einige Fallbeispiele leicht verfremdet, ohne deren Aussagen zu beeinträchtigen.

Erster Eindruck von der Lehrperson

Bei der ersten Begegnung mit einer neuen Lerngruppe achte ich stets auf folgende Punkte:

Eine stehende, aufrechte und gerade Körperhaltung, damit ich wahrgenommen werde, einen Überblick über die Lerngruppe habe und für alle Schüler sichtbar bin.

Ein zuvorkommendes Auftreten mit einem freundlichen Gesichtsausdruck, der mein Engagement für den Unterricht widerspiegelt.

Einen Blick, der durch die gesamte Lerngruppe geht, ohne stärker einzelne Schüler zu fixieren.

Ein ruhiges und souveränes Auftreten, das meine pädagogischen und fachlichen Fähigkeiten erkennen lässt, und eine den Schülern zugewandte Körpersprache, die mein Interesse an ihnen zeigt.

Den richtigen Moment, mit dem Unterricht zu beginnen: Der Unterricht sollte stets erst dann beginnen, wenn die erste Phase der Unruhe überwunden ist. Darauf gehe ich später noch genauer ein.

Eine ruhige Ansprache, eine deutliche Aussprache und eine dem Alter der Lerngruppe angemessene, verständliche Sprache.

Eine Unterrichtsatmosphäre, die Gefühle erlaubt und Konflikte, wo möglich, zu vermeiden sucht.

Eine vom ersten Kontakt bzw. von der ersten Stunde an klare Unterrichtsstruktur mit konkreten Zielen.

Erste Unterrichtsstunden

Den ersten Stunden in einer neuen Lerngruppe kommt eine besondere Bedeutung zu, da sie in der Regel für die Zusammenarbeit der kommenden Jahre prägend sind und die Qualität der Lehrer-Schüler-Beziehung maßgeblich beeinflussen. Dabei ist mir wichtig, die Schüler möglichst schnell kennenzulernen. Ich bemühe mich, ihre Namen auswendig zu kennen, damit ich sie mit Namen und damit persönlich ansprechen kann. Wichtig ist für mich außerdem das Austarieren des räumlichen Abstands bei einem Gespräch mit einem Schüler. Bezogen auf den Blickkontakt mit dem einzelnen Lernenden bzw. der gesamten Lerngruppe versuche ich – auch unter Berücksichtigung kultureller Unterschiede – zu erkennen, welche Dauer angemessen ist. Ich ermögliche und suche insbesondere in der Phase des ersten Kennenlernens kurze persönliche Gespräche und biete frühzeitig individuelle Hilfe und Anregungen an. Des Weiteren versuche ich, Vorlieben und Abneigungen der einzelnen Schüler herauszufinden und zu berücksichtigen, wie zum Beispiel ihr Interesse, die Lösungen der Übungs- und Hausaufgaben zu präsentieren, oder aber ihre schüchterne Zurückhaltung, ihr Wunsch, nicht gefragt zu werden. Um die Gedankengänge der Schüler nachvollziehen zu können, frage ich auch regelmäßig nach, welche Überlegungen sie zu einer bestimmten Antwort geführt haben. Um die Grundlage für ein störungsfreies Lehren und Lernen zu schaffen, sorge ich für eine für alle Beteiligten zufriedenstellende Sitzordnung.

Wie oben schon erwähnt, ist mir eine langfristige Unterrichtsvorbereitung und eine von der ersten Stunde an klare Unterrichtsstruktur, von der ich auch nicht abweiche, wichtig. So gebe ich zu Beginn jeder Unterrichtseinheit und jeder Unterrichtsstunde einen Überblick über die Lerninhalte und -ziele sowie den Unterrichtsablauf. Dabei frage ich bewusst nicht nach den Wünschen der Schüler, da sie dies als Zeichen einer willkürlichen Unterrichtsgestaltung ansehen könnten. Die Schüler können sich in den Arbeitsphasen jederzeit einbringen, indem sie mir Rückmeldung darüber geben, wie gut sie den Stoff verstehen und wie ihr Lernfortschritt ist. Verständnisfragen der Schüler, den Wunsch nach Wiederholung, nach nochmaligem Aufgreifen von bereits behandeltem Stoff sowie die Bitte um weitere Aufgabenstellungen und zusätzliches Förder- und Übungsmaterial greife ich gerne auf.

Namentliche Ansprache

Die Mühe, die Namen einer neuen Lerngruppe rasch zu lernen, lohnt sich allemal, da ich durch die persönliche Ansprache einen direkten und wertschätzenden Kontakt zu den Schülern herstellen kann. Beim Lernen der Namen hilft es mir, eine Übersicht mit Fotos zu erstellen. Meist sind die Lernenden gerne bereit, Fotos von sich machen zu lassen, insbesondere wenn sie dann eine Kopie dieser Fotogalerie bekommen können. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass eine schriftliche Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten vorliegt.

Fallbeispiel 1: Eine Kollegin ärgert sich regelmäßig über die Unruhe in meiner 7. Klasse

Eine Teamkollegin hatte zu Beginn eines Schuljahres meine Klasse in einem Fach übernommen. Nach etwa vier Monaten machte sie mich auf die große Unruhe und die wiederholten Störungen in ihrem Unterricht aufmerksam. Zudem beklagte sie, dass sie von den Schülern meiner Klasse außerhalb des Unterrichts kaum noch gegrüßt werde.

In einem Gespräch mit der Lerngruppe während einer Klassenstunde stellte sich heraus, dass die Kollegin es bisher versäumt hatte, die Namen der Schüler zu lernen: »Sie interessiert sich überhaupt nicht für uns und kennt nicht mal unsere Namen.« Darüber hinaus konnte sie keine faire Leistungsbeurteilung vornehmen, da sie sich nicht darüber informiert hatte, auf welchem Leistungsniveau die einzelnen Lernenden im Rahmen eines binnendifferenzierten Unterrichts zu fordern und zu fördern waren.

Auf diese Probleme angesprochen, erklärte mir die Kollegin, dass sie mit der Übernahme einer eigenen Klasse anfänglich völlig überfordert gewesen sei und nicht die Zeit und Kraft gehabt habe, sich mit den Schülern meiner Klasse näher zu beschäftigen. Sie wolle sich aber bemühen, dieses nachzuholen. Nach einem weiteren Monat waren Unruhe und Störungen verschwunden, und über die weiteren zweieinhalb Jahre der Zusammenarbeit hatte sich eine durchweg kooperative und freundliche Beziehung zwischen ihr und den Schülern meiner Klasse entwickelt.

Räumliche Distanz beim Gespräch

Manche Schüler finden es gut, wenn ich zu ihnen an den Tisch gehe, um mit ihnen über die Aufgaben oder den Unterrichtsgegenstand zu sprechen. Mitunter ergeben sich hier auch kurze persönliche Gespräche. Diese Schüler suchen einen räumlich näheren Kontakt (»Herr Koop, können Sie mal kommen?«), um Fragen zu stellen, da es ihnen schwerfällt, sich in einer größeren Lerngruppe zu äußern. Andere mögen diese Nähe nicht so gerne und scheuen den mangelnden Abstand. Diese unterschiedlichen Bedürfnisse muss ich früh erkennen und respektieren und Nähe und Distanz der jeweils individuellen Situation anpassen.

Fallbeispiel 2: Annegret (5. bis 9. Klasse) geht mir immer aus dem Weg

In einer 5. Klasse war mir gleich zu Beginn Annegret aufgefallen. Wenn sie mich außerhalb des Unterrichts in den Fluren des Schulgebäudes sah, machte sie sofort kehrt und verschwand. Im Unterricht konnte sie den Blickkontakt zu mir offensichtlich nicht ertragen, lief rot an und schaute verlegen weg. Wenn ich in die Nähe ihres Tisches kam oder wenn ich sie für eine Präsentation nach vorne zu mir an die Tafel bat, geriet sie in heftige Verlegenheit.

Im Austausch mit den Teamkollegen wurde deutlich, dass sie dieses Verhalten nur bei den männlichen Lehrenden zeigte. Da sie ansonsten nicht weiter auffällig war, gute Leistungen und eine gute Mitarbeit zeigte und freundschaftliche Kontakte zu ihren Mitschülerinnen pflegte, bestand für mich keine Notwendigkeit, sie gezielt auf ihr Verhalten anzusprechen. Zudem hatte ich den Eindruck, dass ihr Verhalten mir gegenüber nichts Abweisendes hatte. So ließ ich sie diesbezüglich in Ruhe und versuchte im Unterricht, meine Kontaktaufnahme zu ihr vorsichtig und bedacht zu wählen.

Erst vier Jahre später ergab sich die Möglichkeit, mit ihr darüber ins Gespräch zu kommen. Sie erzählte mir, dass sie schon immer sehr schüchtern gegenüber Männern gewesen sei. In der Grundschule habe sie Erfahrung mit distanzlosen Lehrern gemacht, die sie zwar freundlich und auch nicht »übergriffig« behandelt hätten, ihr aber immer zu nahe gekommen seien. Sie schätze es daher sehr, über die ganzen Jahre von den Lehrern an der GSO und auch von mir nicht durch zu große Nähe bedrängt worden zu sein.

Blickkontakt zwischen Lehrer und Schüler

Im Unterricht spielt der Blickkontakt zwischen dem Lehrenden und den Lernenden als Ausdruck nonverbaler Kommunikation eine wichtige Rolle. Über den Blickkontakt versuche ich z. B., die Aufmerksamkeit der Lernenden zu gewinnen, sie anzuregen, an Unterrichtsgesprächen teilzunehmen, oder ihnen Zurückhaltung zu signalisieren, wenn sie vorschnell Antworten geben wollen oder wenn sie versucht sind, Absprachen und Regeln zu verletzen. Andererseits sehe ich mich immer wieder dem suchenden Blick der Lernenden gegenüber, der unterschiedlich motiviert sein kann. So erkenne ich zum Beispiel im Suchen eines Schülers nach Blickkontakt mit mir den Wunsch der Kontaktaufnahme oder die Bereitschaft, dem Unterricht aufmerksam zu folgen. Ist der Blickkontakt länger und auffallend, so kann ich darin eine Form der Provokation sehen. Je besser ich die Lernenden kenne, desto besser kann ich ihren Blick interpretieren und angemessen auf ihn reagieren.

Persönliche Gespräche

In Einzel- oder Partnerarbeitsphasen nehme ich gerne Kontakt mit den Schülern auf. Neben sachlichen Fragen zu den Arbeitsaufträgen versuche ich, wenn die Situation es erlaubt, auch die Befindlichkeit der Lernenden zu erfragen, insbesondere in meiner eigenen Klasse. Dabei geht es meist um schulische Belange, aber durchaus auch um Privates.

In diesen kleinen Gesprächen, die in der Regel nicht länger als drei Minuten dauern, erfahre ich sehr viel über die Schüler. Sie gewinnen dabei die Gewissheit, dass ich mich für sie und ihre Belange interessiere.

Fallbeispiel 3: Weko (9. Klasse) zeigt kein Interesse an einer Themeneinführung

Zu Beginn einer Mathematikstunde gab ich eine Einführung in das neue Thema »Der Satz des Pythagoras«. Dazu präsentierte ich in Form eines Vortrags den historischen Hintergrund. Ich bemerkte, dass Weko, der in der ersten Reihe saß, verschlafen seinen Kopf auf dem Arm abgelegt hatte. Ich unterbrach meine Einführung nicht, sah aber, dass Weko keinerlei Interesse an dem neuen Thema zeigte.

Während die anderen Schüler im Anschluss an die Einführungsphase in Einzelarbeit Arbeitsbögen bearbeiteten, hatte ich Gelegenheit, mich zu Weko zu setzen und das Gespräch mit ihm zu suchen. Weko war darüber sichtlich verwundert. Ich sprach ihn auf sein Verhalten an und sagte ihm, wie wichtig es sei, gerade während der Einführung in ein neues Thema konzentriert und aufmerksam zu sein, um nicht den Anschluss zu verlieren. Er sagte, ihm sei das nicht so wichtig. Es sei ihm sowieso nichts wichtig. Allen Menschen, die mit ihm zu tun hätten, sei es auch nicht wichtig, wie es ihm gehe, ob er etwas verstehe und was mal aus ihm werde.

Da ich Weko seit der 8. Jahrgangsstufe kannte und mir ein solches Verhalten und eine solche Einstellung an ihm fremd waren, war ich zunächst völlig überrascht. Ich machte ihm deutlich, dass es für mich wichtig sei, was aus ihm werde, wie er in meinem Unterricht zurechtkomme und ob er in der Lage sei, meinem Unterricht zu folgen. Er erwiderte, er glaube nicht, dass sein Wohlergehen und seine Leistungen für irgendjemanden wichtig seien.

Ich verabredete mich mit Weko zu einem kurzen Gespräch in der folgenden Pause, in dem er mir erzählte, dass er sich wertlos fühle und dass seine Eltern keine Zeit und Lust mehr hätten, sich mit ihm auseinander zu setzen. Zwei Tage zuvor habe er eine heftige Auseinandersetzung mit ihnen gehabt.

Ich schlug ihm vor, ein Gespräch zwischen ihm, der Klassenlehrerin und dem Sozialpädagogen der Klasse, der über die familiären Verhältnisse der Schüler informiert war, zu vermitteln. In der Folge fanden dann mehrere Gespräche mit dem Schulsozialarbeiter und den Eltern von Weko statt. Da die Eltern Wekos Verhalten tolerierten, die Ursachen für sein Befinden seinem Alter zusprachen, den Lehrkräften die Schuld für Wekos schlechtes Benehmen im Unterricht gaben und therapeutische Maßnahmen vehement ablehnten, gelang es uns nicht, Weko langfristig zu helfen. Er fiel in der 10. Klasse durch ein starkes Vermeidungsverhalten auf.

Anbieten von Hilfen und Tipps

Bei Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit gehe ich von Tisch zu Tisch und beobachte das Fortschreiten der Schülerarbeiten. Ich nutze diese Rundgänge, um Fragen der Lernenden zu beantworten, kleine Gespräche zu führen, aber auch, um Hilfen und Tipps zu geben. Je nach Bedarf biete ich hier auch Zusatzmaterial zum Fördern und Fordern an.

Die Persönlichkeit und die kulturellen Gewohnheiten der Schüler

Um eine gute Beziehung zu den Schülern aufzubauen, versuche ich die wesentlichen Züge ihrer Persönlichkeit wahrzunehmen. Gerade in Konfliktsituationen erweist es sich als großer Vorteil, mit der Persönlichkeit und dem kulturellen Hintergrund der Lernenden vertraut zu sein und auf diese Weise eine angenehme Form des Umgangs miteinander zu pflegen. Ist mir die Persönlichkeit eines Schülers vertraut, so kann ich gezielt individuelle Absprachen mit ihm treffen, die den weiteren Umgang miteinander sowohl im Unterricht als auch außerhalb sehr erleichtern. Auch genügt oft ein Blick oder eine Geste meinerseits, um den Lernenden zu einer Mitarbeit oder zu einer Beteiligung am Unterrichtsgespräch aufzufordern, ihn zu motivieren oder ihn in seinen Aktivitäten zurückzuhalten, ihm zu verstehen zu geben, dass er Störungen unterlassen oder einfach nur ruhig sein möge. Maßnahmen wie laut zu werden, zu schimpfen, vor der Klasse zu tadeln oder vorschnell Ordnungsmaßnahmen anzudrohen, können dann weitgehend vermieden werden.

Fallbeispiel 4: Kamil (5. Klasse) scheut den Blickkontakt

Kamil, ein Schüler einer 5. Klasse, wurde von den Teamkollegen als ausgesprochen netter, freundlicher und ruhiger Schüler geschätzt. Er hatte allerdings die Angewohnheit, immer wieder den Unterricht durch private Gespräche mit seinen Mitschülern zu stören. So musste ich mit ihm mehrere Gespräche wegen seiner Unaufmerksamkeit führen.

Während ich gewohnt war, dass in solchen Gesprächen der direkte Blickkontakt gewünscht und gesucht wurde, wandte Kamil seinen Blick von mir ab. Ich fand das ausgesprochen unhöflich und bat ihn, mich doch anzuschauen, wenn ich mit ihm sprach. Kamil verweigerte den Blickkontakt jedoch weiterhin und sagte nichts, sodass ich ihn ziemlich ratlos gehen lassen musste.

Aufgeklärt hat sich sein Verhalten beim Elternsprechtag, zu dem Kamil und sein Onkel gekommen waren. Während ich mit Kamils Onkel sprach, verlangte er von seinem Neffen, zwar zuzuhören, aber im deutlichen Abstand zu uns zu sitzen und uns dabei nicht anzuschauen.

Auf das aus meiner Sicht ungewöhnliche Verhalten Kamils angesprochen, erklärte sein Onkel, dass in seiner Familie beim Gespräch eines Erwachsenen mit einem Kind der direkte Blickkontakt des Kindes unhöflich sei und Ausdruck respektlosen Verhaltens. Außerdem habe ein Kind den Anordnungen eines Erwachsenen ohne Widerworte zu folgen.

Nachvollziehen von Gedanken der Lernenden

Ich versuche, die Antworten und Aussagen der Schüler regelmäßig zu hinterfragen. »Welches war dein Ausgangsgedanke?«, »Wie bist du zu deiner Antwort gelangt?«, »Welche gedanklichen Schritte haben dich zu deiner Antwort gebracht?« Den Lernenden fällt es anfangs nicht leicht, darauf eine Antwort zu geben. Sie gewinnen hierin aber mehr und mehr Sicherheit und Routine. Indem ich die gedanklichen Schritte der Lernenden zu ergründen versuche, lassen sich Fehler und Missverständnisse ermitteln und es lässt sich klären, inwieweit der Lernende »auf der richtigen Fährte« war, auch wenn die Antwort falsch ausfiel. Dadurch gewinne ich auch ein Gespür dafür, ob ich den Lernstoff klar und ausführlich genug und in angemessenem Tempo dargestellt habe.

Richtige Sitzordnung

Die richtige Sitzordnung für eine Klasse zu finden, ist eine zeitaufwendige Angelegenheit. Die Schüler müssen lernen, dass ihre individuellen Wünsche nicht immer sofort berücksichtigt werden können. Daher muss ich ihnen Zeit geben, sich mit neuen Konstellationen anzufreunden und ihre Interessen gegebenenfalls in eine neue Richtung zu lenken.

Als erste Orientierung gebe ich den Schülern in einer neuen Lerngruppe eine Übersicht über die Tischanordnung im Klassenraum. Dies bleibt die einzige Vorgabe meinerseits. Die Schüler können erst einmal die Plätze frei wählen, wobei ich dabei darauf achte, dass die Unzufriedenheit einzelner auf ein Minimum reduziert wird. Im Verlauf der folgenden Unterrichtsstunden (hier kann es sinnvoll sein, einen festen Rhythmus, z. B. einmal wöchentlich, abzusprechen) können immer wieder kleinere Veränderungen vorgenommen werden, um einer von allen getragenen Sitzordnung möglichst nahe zu kommen. Die endgültige Sitzordnung wird zwar erst nach mehreren Wochen oder Monaten feststehen, sie ist dann für alle insofern zufriedenstellend, als sie das Ergebnis eines gemeinsam ausgearbeiteten Kompromisses ist. Dieser Zeitaufwand lohnt sich!

Fallbeispiel 5: Das gemeinsame Finden einer neuen Sitzordnung in einer 8. Klasse

In einer meiner 8. Klassen hatte sich das Problem ergeben, dass die Klasse zwar mit der Anordnung der Tische im Klassenraum in U-Form zufrieden war, sich aber nicht einigen konnte, wer mit wem zusammensitzen wollte oder sollte. Zu diesem Problem kamen Konzentrationsschwierigkeiten der Lernenden während der Gruppen- und Partnerarbeitsphasen hinzu. In einer Klassenstunde wurde die nicht zufriedenstellende Sitzordnung von einigen Schülern zur Sprache gebracht.

Bei der Lösung des Problems ging ich in drei Schritten vor. Der erste Schritt bestand darin, zu klären, ob eine Lösung unter Beteiligung aller Schüler erfolgen sollte. Das wurde nach ausgiebiger Diskussion von der Mehrheit abgelehnt. Es wurden daher zwei Klassenvertreter ausgewählt, die zusammen mit mir unter Berücksichtigung der Wünsche aller Schüler einen Vorschlag für eine neue Ordnung ausarbeiten sollten. Festgelegt wurde zudem, dass der Vorschlag, egal wie er ausfallen würde, für den begrenzten Zeitraum von einem Monat verbindlich eingehalten werden sollte.

Der zweite Schritt bestand darin, die konkreten Wünsche der Schüler zu sammeln. Die Klassenvertreter schlugen vor, alle Schüler sollten einen Zettel mit ihren Namen abgeben, auf dem ein Wunschnachbar und eine Wunschnachbarin notiert waren. Im dritten Schritt mussten die beiden Klassenvertreter mit mir in beratender Funktion die Zettel den Plätzen so zuordnen, dass möglichst viele Schüler neben ihren Wunschpartnern oder zumindest neben einem von ihnen sitzen konnten oder aber ein Wunschpartner in der Nähe einen Platz bekam. Das nahm etwa zwei Unterrichtsstunden in Anspruch und fand in einem separaten Raum statt. Die Verantwortung für die abschließende Lösung übernahm dann ich, um die Klassenvertreter vor einer möglichen Konfrontation mit unzufriedenen Schülern zu schützen.

Nachdem ich den Schülern dargelegt hatte, wie wir bei der Lösungsfindung vorgegangen waren und welche Überlegungen wir dabei angestellt hatten, wurde die neue Sitzordnung präsentiert. Es gab einige sichtlich enttäuschte Schüler und auch eine Schülerin, die sich trotz vorheriger Absprache nicht an ihren neuen Platz setzen wollte. Ein Gespräch mit ihr, den Klassenvertretern und mir außerhalb des Klassenraumes, in dem wir noch einmal unsere Bemühungen um eine zufriedenstellende Lösung beschrieben haben, konnte die Schülerin soweit beruhigen, dass sie erst einmal ihren neuen Platz einnahm. An der so entstandenen Sitzordnung wurde über ein Dreivierteljahr festgehalten, ohne dass es Wünsche nach Veränderungen gab, auch nicht von der anfangs sehr unzufriedenen Schülerin.

Vorbildfunktion der Lehrperson

Im Zusammenhang mit der Ausbildung der Schüler zu »reifen Persönlichkeiten« kommt der Vorbildfunktion der Lehrperson eine besondere Bedeutung zu. Zu dieser Vorbildfunktion zählen ein angemessener Umgangston und eine angemessene Sprache, Pünktlichkeit bzw. das Entschuldigen und Begründen von Unpünktlichkeit, ein dem Alter der Lernenden und der Situation angepasstes Verhalten, ein gepflegtes äußeres Erscheinungsbild, die Bereitschaft, ungeliebte, unverstandene, aus Schülersicht unangemessene Entscheidungen zu erklären, ein respektvoller Umgang mit den Schülern, eine gute Unterrichtsvorbereitung, das Einhalten von Versprechen und Zusagen, der verbindliche Umgang mit Regeln, Empathie, das Berücksichtigen der Schülerbelange und gerechtes Handeln.

Erfahrungen mit den Lernenden einer »neuen« Klasse

Bereits innerhalb der ersten Minuten stelle ich mit hoher Wahrscheinlichkeit fest, welche Schüler im Laufe der kommenden Jahre Probleme machen werden. Ich merke das daran, dass sie z. B. ungefragt und laut sprechen, auf Anweisungen nicht reagieren, gleich in den ersten Minuten Streitigkeiten mit Mitschülern anfangen, die Zuordnung zu einem Sitzplatz nicht tolerieren, nur bedingt ansprechbar sind oder dass es ihnen selbst an einer minimalen Ordnung fehlt.

Umgangston und Sprache

Im Unterrichtsgespräch, in Einzelgesprächen mit Schülern sowie im Gespräch mit ihren Eltern achte ich stets auf einen wertschätzenden und freundlichen Umgangston. Dabei spreche ich in einer klaren und meiner Lehrerrolle angemessenen Sprache und bemühe mich, ruhig und sachlich zu bleiben, auch wenn dies in der jeweiligen Situation nicht immer leicht ist.

Laut zu werden, zu brüllen oder überhastet zu reden, sind Verhaltensweisen, die wenig geeignet sind, Konflikte zu lösen. Jugend- oder Schülersprache zu verwenden, um sich bei den Schülern anzubiedern, führt zu einer Vermischung der Rollen und wird von den Lernenden oft als Einladung zu respektlosem Verhalten gedeutet.

Pünktlichkeit

Ich verlange von den Schülern pünktliches Erscheinen zu den Unterrichtsstunden oder zu schulischen Verabredungen und erwarte bei Unpünktlichkeit eine Entschuldigung und Erklärung. Im Gegenzug muss auch ich, um meiner Vorbildrolle gerecht zu werden, auf pünktliches Erscheinen achten. Auch wenn die Lernenden ein Zuspätkommen der Lehrkraft zunächst gut finden, weil sie dann unbeaufsichtigt sind, zeigt sich generell jedoch, dass ihre Wertschätzung gegenüber einer Lehrkraft, die sich nicht selbst an die Regeln hält, nicht besonders groß ist.

Fallbeispiel 6: Lara und Mabel (8. Klasse) kommen häufig zu spät zum Unterricht

Ein Teamkollege berichtete mir, dass Lara und Mabel, zwei Schülerinnen einer 8. Klasse, immer wieder zu spät zu seinem Fachunterricht erschienen. Meistens kamen sie nur wenige Minuten zu spät und setzten sich dann ohne Erklärung oder Entschuldigung für ihr Zuspätkommen an ihren Platz. Bis dahin hatte der Teamkollege keine Maßnahmen ergriffen, sondern die Schülerinnen ausschließlich auf ihr Fehlverhalten hingewiesen.

Ich erkundigte mich bei weiteren Teamkollegen der Klasse, ob Lara und Mabel auch bei ihnen öfter zu spät zum Unterricht kämen, was diese zu meiner Überraschung verneinten. Von mir darauf angesprochen, dass sie häufiger zum Fachunterricht des Lehrers zu spät gekommen seien, gaben die beiden Mädchen dies unumwunden zu und rechtfertigten ihr Verhalten damit, dass dieser Lehrer selbst ständig zu spät komme. Sie erzählten mir auch, dass er einmal auf Nachfrage eines Schülers, warum er so spät gekommen sei, geantwortet habe, dass sie das nichts angehe. Als Lehrer habe er berechtigte Gründe und er müsse sich vor den Schülern nicht rechtfertigen.

Ich habe den Schülerinnen vorgeschlagen, auf eine Unkorrektheit nicht mit einer anderen Unkorrektheit zu reagieren und ihrerseits pünktlich zum Unterricht zu erscheinen und keinen Anlass zu bieten, getadelt zu werden. Ich sagte ihnen zu, den Kollegen auf sein Zuspätkommen anzusprechen, und wies sie darauf hin, dass sie darüber hinaus immer die Möglichkeit hätten, den Klassenlehrer oder Mitglieder der Schulleitung zu informieren, wenn es zu weiteren Verspätungen des Kollegen käme. Lara und Mabel kamen meines Wissens nicht mehr verspätet zum Unterricht des Kollegen.

Rollenverständnis als Lehrer

Ich hinterfrage stets mein Rollenverständnis als Lehrer. Ich gebe die Unterrichtsinhalte, den Unterrichtsablauf und die methodischen Schwerpunkte in einer Weise vor, die meiner Verantwortung entspricht. Ich halte höfliche Umgangsformen ein, achte auf eine korrekte Anrede und Sprache sowie einen angemessenen Umgangston, nutze meine Arbeitszeit zur Beratung von Lernenden und Eltern und unterrichte im Sinne des mir vorgegebenen Bildungsauftrags.

Die Schüler erwarten von mir, dass ich mit einer klaren Zielvorgabe in den Unterricht komme, meine Unterricht durchgeplant habe und sie für den Unterrichtsstoff begeistere, sie fordere und fördere, mich um ihre schulischen und auch zum Teil persönlichen Belange verantwortungsbewusst und zuverlässig kümmere, dass ich für sie präsent bin, mich für sie interessiere und mit Begeisterung, guter Laune und einer positiven Erwartungshaltung den Unterricht gestalte und meine pädagogische Arbeit verrichte. Das bedeutet, dass ich mich nicht Zeitung lesend ans Pult setzen, mich in einer Ecke verstecken und den Schülern den Unterrichtsverlauf und die Unterrichtsinhalte überlassen darf. Ich darf mich auch nicht unruhig und hektisch im Klassenraum bewegen und dadurch signalisieren, dass ich kein Interesse am Unterricht oder an den Schülern habe.

Äußeres Erscheinungsbild des Lehrers

Oberstes Gebot für mein Äußeres ist es, unauffällig zu sein. Schließlich senden meine äußere Erscheinung und meine Bekleidung Botschaften aus. Ob ich mich dem Anlass meiner Profession entsprechend kleide oder eher im Freizeitlook erscheine, wird von den Schülern unmittelbar wahrgenommen und entsprechend gedeutet. Daher vermeide ich alles, was die Aufmerksamkeit der Schüler auf mein Äußeres lenkt. Ich darf und soll mich in meiner Funktion zwar auch über mein Äußeres von den Lernenden abheben, muss jedoch vermeiden, mich in den Mittelpunkt zu rücken. Die Aufmerksamkeit der Schüler sollte ganz auf die Themen meines Unterrichts ausgerichtet sein. Nicht ganz unwichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass ich bequeme Kleidung trage und mich wohl fühle. Nur dann kann ich den Unterricht entspannt und souverän gestalten.

Erklären von Entscheidungen und Maßnahmen

Da sich die Jugendlichen in einem schwierigen Prozess der Persönlichkeitsentwicklung befinden, kommt es zwangsläufig dazu, dass sie ihre neu gewonnenen Möglichkeiten austesten und dabei nicht selten Grenzen überschreiten. Das können Verletzungen von Absprachen, aber auch von Regeln im Zusammenhang mit der Schul- oder Hausordnung sein.

Da Absprachen und Regeln in meinem Unterricht verbindlich sind, muss ich auf deren Verletzung reagieren und Maßnahmen ergreifen, die selten auf die Zustimmung der Schüler treffen. Dabei muss ich mich bemühen, die Maßnahmen und Entscheidungen für die Schüler nachvollziehbar zu machen.

Fallbeispiel 7: Dominique (7. Klasse) benutzt unerlaubt sein Handy

Zu Beginn des Mathematikunterrichts in einer 7. Klasse am frühen Nachmittag kam Dominique überraschend auf mich zu und verlangte sein Handy von mir zurück, das eine Kollegin ihm im vorangegangenen Unterricht abgenommen hatte. Wie sich herausstellte, hatte er bei der Kollegin sein Handy aus der Tasche geholt, um es auszuschalten.

Nun gibt es an unserer Schule eine Hausordnung, die das Benutzen und das sichtbare Mitführen von Handys und Smartphones verbietet. Die Lehrenden haben das Gerät an sich zu nehmen, um es über die Verwaltung den Eltern des betroffenen Kindes zum Ende der folgenden Woche zurückzugeben. Die unterrichtende Kollegin hatte Dominique das Handy abgenommen und ihm – abweichend von der Hausordnung – in Aussicht gestellt, sie werde mit der Klassenlehrerin reden und er werde es von mir zurückerhalten. Allerdings hatte sie bis zu meinem Mathematikunterricht keine Gelegenheit, diesbezüglich Kontakt mit mir aufzunehmen.

So konnte ich Dominique nur mitteilen, ich wüsste nichts von seinem Handy. Bevor ich zu einer Nachfrage ansetzen konnte, teilte er mir mit, so lange nicht am Mathematikunterricht teilzunehmen zu wollen, bis er es wieder zurückbekomme. Er finde es unverschämt, dass ich ihm sein Eigentum einfach vorenthalte.

Ich bat ihn, in einen Nebenraum zu gehen und dort auf mich zu warten, bis ich die übrigen Schüler mit einer Aufgabe betraut hätte. Im folgenden Gespräch bat ich ihn, den Vorfall noch einmal ausführlich zu schildern, und hörte ihm aufmerksam zu, ohne ihn zu unterbrechen. Ohne zunächst auf seine Ausführungen einzugehen, beschrieb ich ihm daraufhin meinen bisherigen Schultag und wies ihn freundlich auf den Passus in der Hausordnung hin. Das brachte ihn leider nicht von seiner Forderung nach dem Handy und seiner Weigerung, am Mathematikunterricht teilzunehmen, ab. So saß er während des restlichen Unterrichts im Nebenraum.

Auch ein zweiter Gesprächsversuch brachte keinen Erfolg und verstärkte sogar Dominiques starrköpfiges Verhalten. So musste die Klassenlehrerin ihn nach Rücksprache mit der Schulleitung und nach einem Telefonat mit seinem Vater für den Rest des Schultages vom Unterricht ausschließen und nach Hause schicken. Er weigerte sich zunächst, die Schule zu verlassen, aber ihr Hinweis, dass sie am kommenden Tag noch einmal mit zeitlichem Abstand über die Sache reden könnten, bewog ihn dann doch, nach Hause zu gehen.

Am folgenden Tag kam Dominique schon vor dem Unterricht zu ihr. Er bedauerte, sich nicht an die Hausordnung gehalten zu haben, und entschuldigte sich bei ihr für sein Verhalten am Vortag. Wie ich später erfuhr, hatte Dominique am Nachmittag ein längeres Gespräch mit seinem Vater geführt. Den Ausschlag für seine Meinungsänderung gab jedoch wohl der abendliche Austausch über Telefon und Internet mit seinen Freunden. Durch ihn gelangte er zu der Einsicht, dass sich ein weiteres Beharren auf seinem Standpunkt negativ auf das Miteinander in der Schule auswirken würde.

Respektvoller Umgang miteinander

Ich erwarte von den Schülern einen respektvollen Umgang mit mir als Lehrperson. Folglich muss ich in der mir zugewiesenen Vorbildrolle den Schülern auch respektvoll begegnen. Das ist nicht immer einfach. Gerade bei Jugendlichen in der Pubertät, einer Altersphase, in der sich die Persönlichkeit entwickelt, werden Unsicherheiten und Ängste gerne durch provozierendes, freches und beleidigendes Verhalten zu überdecken versucht. So kommt es vor, dass Lernende ihre Mitlernenden oder mich anpöbeln, durch Gesten massiv beleidigen oder Regeln demonstrativ verletzen. Dieses Verhalten lässt einen geregelten und zielorientierten Unterricht meist nicht mehr zu.