Leibniz Privatschule - Gerhard Roth - E-Book

Leibniz Privatschule E-Book

Gerhard Roth

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Beschreibung

Im Buch: Ein Modell für Schule - Die Leibniz Privatschule in Elmshorn und Kaltenkirchen berichten u. a. namhafte Neurowissenschaftler, Forscher und Pädagogen, warum das Lernen an der Leibniz Privatschule so gut gelingt. Fundierte Analysen und wissenschaftliche Fakten zeigen auf, dass modernes Lehren und Lernen an der Leibniz Privatschule bereits etabliert ist.

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Mit Beiträgen von Markus Arendt, Christoph Biemann, Prof. Klaus Bös, Karsten Bracker, Helge Delion, Gerhard Förderer, Prof. Uwe Hameyer, Marie Holm, Susanne Marti, Arndt Peltier, Nina Schlick, Luisa Schlumbohm, Christian Schmuck, Prof. Hans-Jürgen Schulke, Gerhard Tolkmit, Astrid Veh, Sebastian Weisser, Rainer Werner, Dr. Stefan Wester, Dr. Michael Winterhoff, Prof. Henning Wode, Prof. Renate Zimmer und Marco Grundt (Fotos)

Wer aufhört, besser zu sein, hat aufgehört, gut zu sein.

Oliver Cromwell

Ein Modell für die Schule der Zukunft

VON PROF. GERHARD ROTH

Kennengelernt habe ich die Leibniz-Schule 2012. Ich hatte mich schon seit langem mit den psychologischen und neurobiologischen Grundlagen des Lehrens und Lernens befasst und auch versucht, damit Lehrerinnen und Lehrer vertraut zu machen. Auch unternahm ich es, mit engagierten Lehrpersonen konkrete Maßnahmen zur Steigerung der Effektivität des Unterrichts zu entwickeln und auszuprobieren. Dies erwies sich aber an staatlichen Schulen als sehr schwierig, weil trotz engagierter Schulleitungen die zuständigen Bildungsbehörden keinerlei Interesse zeigten.

Prof. Gerhard Roth gilt als der bedeutendste deutsche Neurobiologe und Hirnforscher.

Deshalb war ich sehr erfreut, in der Leibniz-Schule eine Situation vorzufinden, die neuen, wissenschaftlich und empirisch fundierten Konzepten gegenüber sehr aufgeschlossen war, besonders was die Schulleitung betraf. In der Tat konnte ich viele positive Besonderheiten entdecken, darunter eine hohe Bereitschaft für Veränderungen auch im Kollegium.

Deshalb entschlossen die Schulleitung und ich uns rasch, neue „hirngerechte“ Lehr- und Lernformen auszuprobieren, Lehrerinnen und Lehrer in den wissenschaftlichen Erkenntnissen über erfolgreichen Unterricht fortzubilden, sie im Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern und den Eltern zu schulen usw. All das findet unter dem Motto statt: Der wichtigste Faktor für den schulischen Erfolg ist neben der pädagogisch-didaktischen Kompetenz eine vertrauensvolle, wertschätzende und feinfühlige Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden.

Obwohl unsere Maßnahmen inzwischen weit über Elmshorn und Schleswig-Holstein bekannt geworden ist, sind die zuständigen Ministerien und Bildungsbehörden nach wie vor zögerlich, zumal es sich ja um eine Privatschule handelt. Wir haben aber festgestellt, dass in privaten und öffentlichen Schulen die Probleme des guten Unterrichts dieselben sind, zumal angesichts der neuen Herausforderungen. Freilich hat die Leibniz-Schule den unschätzbaren Vorteil, schneller reagieren und experimentieren zu können. Wir können somit mutig nach vorn blicken und aus der Leibniz Privatschule auch für die öffentlichen Schulen ein Modell für die Schule der Zukunft machen, das im Gegensatz zu vielen anderen Konzepten den großen Vorteil hat, wissenschaftlich fundiert und unter den gegebenen Umständen bereits empirisch validiert zu sein. Dieses Konzept präsentieren wir im vorliegenden Buch und bitten um kreative Nachahmung.

Es lohnt sich, ein Modell für Schule vorzustellen und zu diskutieren

VON BARBARA MANKE-BOESTEN

Uns wird oft vorgeworfen, arrogant oder gar überheblich zu sein und alles besser zu wissen, wenn wir von unseren Erfahrungen berichten. Das erstaunt uns immer wieder. Unser Bestreben ist es, einfach aufzuschreiben, wie wir Schule gestalten, wie wir uns verändern, wie wir dazu lernen. Wir meinen, dass wir auch in der kurzen Zeit des Bestehens unserer Schulen eine ganze Menge positiver Erfahrungen gemacht haben, über die es sich lohnt nachzudenken. Unsere Schulen prägen die definierten sieben Säulen: Sport, Naturwissenschaften, Medien, Wirtschaftslehre, Englisch, Begabtenförderung und Werteerziehung.

Barbara Manke-Boesten gründete 2006 die Leibniz Privatschule Elmshorn

Unser Vorgehen wurde und wird durch wissenschaftliche Erkenntnisse der empirischen Unterrichtsforschung und der Neurobiologie bestätigt. Wir verfolgen keine Moden, keine Ideologien, keine Ideen, die uns so in den Kopf gekommen sind, sondern praktizieren ein wissenschaftliches Vorgehen, das auch in der einen oder anderen Hinsicht unsere Schule verändert hat. Schule ist eine lernende Organisation – ja, wir sind Hattie geschädigt, wie ein Fachleiter aus dem staatlichen Schuldienst einmal zu uns sagte, und wir sind das sehr gern, denn Hattie hat in über 50.000 Studien, die er ausgewertet hat, herausgefunden, was tatsächlich wirkt, was das Lernen und Lehren besser macht, was Lernerfolg bringt. Dem fühlen wir uns und damit unseren Schülern verpflichtet.

Wir bilden uns ständig weiter und lernen dazu, streben danach, den Unterricht, den Schulalltag, das Zusammenleben an der Schule besser zu machen. Das kostet Kraft und Zeit, lohnt sich aber auch, denn man selber lernt auch immer noch dazu – egal ob man junger Lehrer ist oder schon pensionierte Lehrerin wie ich. Wir haben in den letzten Jahren mit vielen Wissenschaftlern aus den verschiedenen Bereichen zusammengearbeitet, diskutiert, neue, weitergehende Ansätze entwickelt, umgesetzt und ausgewertet, mit den Schülern und Kollegen diskutiert, evaluiert. Wir sind der Meinung, es lohnt sich darüber zu schreiben, ein Modell von Schule zu entwickeln und dies anderen vorzustellen.

Ein Modell für SchuleWissenschaftlich begründetLernende OrganisationDie schulische Praxis

Elmshorn

Kaltenkirchen

Inhaltsverzeichnis

Zum Geleit

Prof. Gerhard Roth: Ein Modell für die Schule der Zukunft

Barbara Manke-Boesten: Warum dieses Buch

Wie alles begann

Der erste Schultag im August 2006 und September 2008

Elmshorn & Kaltenkirchen: Hier stehen wir heute

Kurze Geschichte

Zahlen & Fakten

Wir haben eine Schulphilosophie

Die Keks-Schule oder: Wie wir wurden, was wir sind

Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716)

Leibniz, Leipnitz oder Leibnitz?

Feindbilder und andere Hindernisse

Wissenschaftliche Grundlagen

Bildungs-Missverständnisse

Schule auf Basis von Wissenschaft

Das Ziel der Bildung: Der allseitig gebildete Mensch

Die menschliche Persönlichkeit – ein höchst individuelles Mosaik

Schule ist der Ort für systematisches Lehren und Lernen

Warum Kinder heute so sind, wie sie – oft – sind

Thesen zur frühkindlichen Erziehung

Regeln beachten und sich anstrengen

Grundlagen für erfolgreiches schulisches Lernen

Grundlagen für erfolgreiches schulisches Lernen

Was ist Intelligenz und was bedeutet sie für Schule

Lesen und Lesen lernen

Der Lehrer als Erzieher

Wenn die Methode zum Ziel des Unterrichts wird

Die Praxis des schulischen Unterrichts

Unterrichtsstruktur: Merkfähigkeit erhöhen und Lerneffekt steigern

Ein Beispiel für Unterrichtsstruktur und -planung

Der Tag bei Leibniz

Hattie in der Unterrichtspraxis

Unterrichtsstruktur der Leibniz Privatschule

Die uncoolen Jungs

Die sieben Schätze des Unterrichtsmanagements

Storytelling und Faszinosum

Wie erkläre ich es einfach und so, dass ich verstanden werde

Lernen mit der Maus

Campus der LPS: Von der Krippe bis zum Abitur

Das Internationale Abitur bei Leibniz

Ganztagesbetrieb + Leibniz-Schultag + AGs

Das Lehrer-Schüler-Verhältnis – eine enorme Bindung

Der Raum – der dritte Pädagoge

Klassenraumgestaltung und Klassenraummanagement

Hausaufgaben sind Hausfriedensbruch

Wie eine Schülerin den Schulalltag erklärt

Struktur des Roth-Projekttags, der Roth-Projektwoche

Grundschule: „Besser lehren – besser lernen – besser behalten“

Die Roth-Projekte „Das Huhn“ und noch viel mehr

Kulturrucksack und Theaterknigge

Die Schulkleidung

Die Schul-Mensa – das Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Esszimmer

Wir sind eine internationale Schule

Klassenfahrten: Kultur und Sport

Eine Botschaft aus Neuseeland – als Ansporn für die Zukunft

Ohne Lesen kein Erfolg in der Schule

Die Lernende Schule

Der Lehrer an der Leibniz Privatschule

Leibniz-Abende und hausinterne Weiterbildungen

Hospitationen + Hospitationsbogen

Das Programm zur Aus- und Weiterbildung von Quereinsteigern

Quereinsteiger bereichern den schulischen Unterricht

Quereinsteiger tun der Schule gut

Schüler bewerten ihre Lehrer

Lehrer-Beurteilungen durch Schüler machen Schulen besser

Überzeugend professionelle Weiterbildung

Digitalisierung im Unterricht

Digitale Medien sind Hilfsmittel ...

Digitalisierung als Herausforderung für die Schulen der Zukunft

Grundschule-Umfrage Video-Konferenz

Homeschooling nach Stundenplan

Videokonferenz: Das soziale Miteinander steht im Vordergrund

Diese drei Faktoren entscheiden über Schulerfolg

Digitale Medien vs. Präsenzunterricht

Beim Homeschooling kommt es auf den Lehrer an

Online-Unterricht: Die Disziplin der Schüler

Die Besonderheiten der Leibniz Privatschule

Werte-Vermittlung und Erziehung als Aufgabe der Schule

Die Verhaltenskonsequenzen und das Kodex-Stufenmodell

Wie führe ich als Lehrer ein Lehrer-Schüler-Gespräch

Fünf Stunden Sport im Stundenplan einer jeden Klasse

Unterricht auf Englisch in der Grundschule

Naturwissenschaftlicher Basisunterricht

Wirtschaften ist auch für Kinder etwas Konkretes

Begabtenförderung und Anerkennung von Leistung

Medienkunde und Urteilskraft

Ansichtssachen

Das sagen die Eltern

Unsere Marke heißt: „Wir kümmern uns“

Lehreransichten

Das sind unsere Schüler

Anhang

Das sagt die Wissenschaft

Literaturverzeichnis

LPS-Lexikon

Zehn Jahre Leibniz-Blätter

Nachwort: 2030: Schule im 25jährigen Bestehen der LPS

So fing alles an: Elmshorn, 2006

Hitzhusen, 2008

Hier stehen wir heute: Elmshorn, 2019

Kaltenkirchen, 2019

Kleine Geschichte der Leibniz Privatschule

05. Nov. 2005

:

Barbara Manke-Boesten reicht in Kiel den Antrag auf

Genehmigung der Leibniz Privatschule ein.

10. Juli 2006:

Die Leibniz Privatschule erhält die Genehmigung,

auf Langelohe den Privatschulbetrieb zu beginnen.

21. Aug. 2006:

Erster Schultag der Leibniz Privatschule Elmshorn im Gebäude auf

Langelohe mit 108 Schülern; 700 Gäste wohnten den Einschulungsfeierlichkeiten

im Audimax der Fachhochschule Nordakademie bei.

02. Feb. 2008:

Zum ersten Mal gibt es eine Klassenfahrt –

Wintersport kennenlernen in Inzell.

01. Sept. 2008:

In Hitzhusen startet die Leibniz Privatschule mit 108 Schülern

an ihrem zweiten Standort.

27. Aug. 2010:

Nach einem Schuljahr in Containern wird das neue Schulgebäude

am Ramskamp 64b in Elmshorn eingeweiht.

30. Sept. 2010:

Michael Stich kommt höchstpersönlich zur Namensgebung der

Sporthalle der Leibniz Privatschule, die künftig den Namen des

früheren Wimbledonsiegers und Goldmedaillengewinners trägt.

01. Aug. 2013:

Staatliche Anerkennung der Regionalschule der LPS in Elmshorn.

Hinweis vom Ministerium: „Sie müssen nicht jedes Mal 1 bis 1,5 im

Notendurchschnitt besser sein als der Landesdurchschnitt.“

22. Dez. 2014:

Staatliche Anerkennung des Regionalschulteils

der Leibniz Privatschule in Hitzhusen.

19. Dez. 2016:

Die Leibniz Privatschule darf ab sofort das Abitur nach dem

allgemeinen staatlichen Reglement vornehmen;

das Leibniz-Gymnasium ist damit staatlich anerkannt.

16. Dez. 2017:

Die Leibniz Privatschule Hitzhusen/Weddelbrook zieht

nach Kaltenkirchen um

09. März 2018:

Die Leibniz Privatschule ist IB World School und

darf das Internationale Abitur anbieten.

21. Okt. 2020:

Spatenstich für den Sporthallenneubau in Kaltenkirchen –

Erweiterung der LPS in Elmshorn

Schülerzahlenentwicklung an der Leibniz Privatschule

Elmshorn

Bad Bramstedt/ Kaltenkirchen

2006/2007

106

2007/2008

260

2008/2009

410

110

2009/2010

520

180

2010/2011

700

250

2011/2012

830

320

2012/2013

940

360

2013/2014

995

375

2014/2015

979

314

2015/2016

856

234

2016/2017

839

232

2017/2018

880

360

2018/2019

920

530

2019/2020

1029

640

2020/2021

1029

684

Wir haben eine Schulphilosophie: Das humanistische Bildungsideal

VON BARBARA MANKE-BOESTEN

„Wer nichts weiß, muss alles glauben“

Das alte humanistische Bildungsideal ist zentrales Ziel von Bildung. Der allseits gebildete Mensch eignet sich Wissen an, ist Werten verpflichtet. Erst Wissen und Können schaffen geistige Unabhängigkeit. Auch heute gilt der Satz von August Bebel, nachdem Wissen Macht ist und Wissen braucht man, um sich in der immer größeren Flut von Informationen zurechtzufinden. Auch der Satz von Marie von Ebner-Eschenbach aus dem 19.Jahrhundert gilt weiterhin. Wissen braucht man, um Informationen beurteilen zu können.

Die Lehrerpersönlichkeit: „Auf den Lehrer kommt es an“

Bestandteile eines sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse berufenden Unterrichts sind die Lehrerpersönlichkeit sowie das gute Unterrichten. „Auf den Lehrer kommt es an“, hat John Hattie in seinem Buch „Visual Learning“, das Ergebnisse aus weltweiten Untersuchungen analysiert hat, herausgefunden und vielfach belegt. Ganz wissenschaftlich: Der Lehrer muss vertrauensvoll, feinfühlig und kompetent sein.

Der gute Unterricht: „So viel Instruktion wie nötig,

so viel Erarbeitung wie möglich“

Guter Unterricht – wissenschaftlich bewiesen - basiert auf einer klaren Struktur mit einer Instruktion durch den Lehrer, die Zuhören und Aufpassen der Schülerinnen und Schüler erfordert, einer Erarbeitungsphase, in der das Gehörte wiedergegeben, verarbeitet und vertieft wird und der Reflexionsphase, in der sich aktiv an das neu Gelernte erinnert wird und der eigene Lernprozess überdacht wird. Der Lehrer muss das Vorwissen seiner Schülerinnen und Schüler kennen, um das neue Wissen anschlussfähig zu vermitteln, ein Thema wird vielfältig und lebensecht dargestellt. In der Erarbeitungsphase wechseln sich die verschiedenen Methoden ab und das Thema Üben und Wiederholen muss sich der Lehrer zu Eigen machen.

Guten Unterricht kann man lernen:

„Anschlussfähig und lebensecht“

Das Handwerkszeug des guten Unterrichts ist kein Geheimnis. Die fachdidaktische Reduktion gehört ebenso dazu wie die Methodenvielfalt. Das Klassenraum- und Unterrichtsmanagement bedürfen sorgfältiger Vorbereitung. Die Einhaltung von Regeln ist selbstverständlich. Regeln und Konsequenzen müssen den Schülern bewusst sein. Auch der Lehrer hält sich daran und kommt, beispielsweise, pünktlich in den Unterricht. Unterrichtsstörungen begegnet der Lehrer sachlich und unaufgeregt.

Gesprächsführung:

„Professionalisierung des Lehrer-Schüler-Verhältnisses“

Es geht nicht darum, den Unterricht zu individualisieren, sondern individuelle Gespräche mit den Schülern zu führen, Ansprechpartner zu sein, Probleme herauszubekommen, „Erzieher“ zu sein, Vertrauen und Halt zu geben, Probleme gemeinsam anzugehen, um beim Lernen voranzukommen. Erziehung ist Aufgabe der Eltern, aber nicht nur – sie ist auch – und heute immer mehr – die Aufgabe eines vertrauensvollen, feinfühligen Lehrers.

Humanistisches Bildungsideal:

„Wer nichts weiß, muss alles glauben“

Guten Unterricht kann man lernen:

„Anschlussfähig und lebensecht“

Lehrerpersönlichkeit:

„Anschlussfähig und lebensecht“

Gesprächsführung:

„Professionalisierung des Lehrer-Schüler-Verhältnisses“

Die Keks-Schule – oder: Wie wir wurden, was wir sind

VON BARBARA MANKE-BOESTEN

Barbara Manke-Boesten hatte 2005 die Idee, in Elmshorn bei Hamburg eine Privatschule zu gründen. Spötter nannten die Elmshorner Leibniz Privatschule gern die „Keks-Schule“ – eine Bezeichnung, die in der Schule an zwei Standorten mit mehr als 1700 Schülern und mehr als 200 Beschäftigten inzwischen fast schon als Kompliment angesehen wird.

Ich erlaube mir ein paar persönliche Anmerkungen vorweg. Mit Begeisterung habe ich Germanistik und Politikwissenschaft für das Lehramt studiert, durfte aber 1983 wegen zu vieler Lehrer nicht in den Schuldienst; „Lehrerschwemme“ hieß das damals. Die folgenden Jahrzehnte habe ich an einem IHK-Bildungsinstitut gearbeitet. Zuerst habe ich Umschüler unterrichtet und dann dieses Institut als Geschäftsführerin geleitet. Die dabei gewonnenen positiven wie negativen Erfahrungen möchte ich nicht missen und sie kommen mir und damit heute auch unserer Schule zugute. Vor allem die Erfahrungen im „wirklichen“ Leben außerhalb der Schule sind unbezahlbar. Auf einmal war ich nach einer Fusion überflüssig und überlegte mir mit 54 Jahren, was ich denn nun Sinnvolles in meiner restlichen beruflichen Zeit tun solle, könne oder auch wolle.

Da wir vier Kinder haben, die alle die unterschiedlichsten Schulen und Schulsysteme im In- und Ausland besucht haben und ich mit Leidenschaft Lehrerin bin, kam mir der Gedanke, und so war es wirklich, dass es sinnvoll sei, eine Privatschule zu gründen. Aufgesogen haben wir, mein Mann und ich, davon einiges – ob von der Elmshorner Gesamtschule und dem Bismarck-Gymnasium in früheren Zeiten, von der sportbetonten Schule in Berlin-Hohenschönhausen oder von unseren Partnerschulen in Dunedin/ Neuseeland mit einem Schulleiter, Dan Reddiex, der Schule wie kaum ein anderer lebt.

Gott sei Dank kannte ich die Vorurteile gegen diese Idee und die Steine, die mir und uns dabei in den Weg gelegt wurden, noch nicht. Ich ahnte sie nicht einmal, dann hätte ich es mir wahrscheinlich anders überlegt, was sehr schade gewesen wäre, denn ich bin sehr dankbar für die vergangenen 15 Jahre, die Erfahrungen, die ich machen durfte, die Menschen, die ich kennenlernen durfte, die Kinder, die ich unterrichten durfte, die Dinge, die ich selber noch dazulernen durfte.

Und warum der Name Leibniz? – Wir sind eine sportliche Familie, da wird schon mal leicht die Latte hoch gelegt. Leibniz war der letzte Mensch, der alles wusste, was man zu seiner Zeit wissen konnte, heißt es über den großen Universalgelehrten aus meiner Geburtsstadt, Leipzig. Den Anspruch formulieren darf man – auch in dem Wissen, dies heutzutage nicht mehr erreichen zu können. In der Gründungsphase setzte ich mich mit dem Kieler Linguistik-Professor (und gebürtigem Elmshorner) Henning Wode zusammen und in mehreren Gesprächen entwickelten wir das Konzept der sieben Säulen.

I. Sport: Bewegung macht schlau, Toben macht schlau! Es fehlen heute die Bolzplätze, die Bäume, auf die man klettert, die Wiesen, die im Winter mit einer Eisschicht versehen sind, die Räume im Freien, um sich zu bewegen, alles Mögliche auszuprobieren, Erfahrungen – auch negative – zu sammeln und daraus zu lernen. Die Entwicklung auch der Grobmotorik gehört nicht nur zum gesunden Menschen, sondern sie ist auch wichtig für erfolgreiches Lernen. Deshalb fünf Stunden Sport in der Woche – nur in der Oberstufe ist dies nicht immer möglich.

II. Naturwissenschaften: Sie fehlen uns – die Naturwissenschaftler! Und sie sind so wichtig für die Zukunft. Leider gibt es noch viele Vorbehalte gegenüber den naturwissenschaftlichen Fächern, wir versuchen sie abzubauen mit fünf Stunden naturwissenschaftlichem Basisunterricht in den Klassen 5 und 6, mit der Nutzung unserer Fachräume – auch wenn das eine oder andere Experiment schon öfter zur Folge hatte, dass die Feuerwehr kam, weil wieder der Alarm ausgelöst wurde, mit Experimenten im HWS- Unterricht in der Grundschule. Ab der 7.Klassen wird der Fachunterricht in allen drei Naturwissenschaften (Biologie, Chemie, Physik) weitergeführt.

III. Medien: Keine bildungspolitische Diskussion ohne sie; es wird immer mehr gefordert, digitale Medien in die Schulen zu lassen. Wir hatten von Anfang an Klassensätze von Laptops, jetzt haben wir in den beiden Schulen WLAN, Nahdistanz-Beamer in jedem Klassenraum, I-Pads in der Oberstufe für jeden Schüler. I-Pad-Sätze werden jetzt vermehrt in allen Sekundarstufenjahrgängen als Hilfsmittel eingesetzt. Diese Medien sind Werkzeuge und werden im Unterricht als solche für die Recherche, das Nachschlagen, das Präsentieren, das Veranschaulichen, das Schreiben etc. genutzt. Aber es sind nicht nur die modernen Medien die Medien im Unterricht, sondern auch und vor allem Bücher, Bilder. Deshalb gibt es bei uns noch analoge Bibliotheken und natürlich wird im Unterricht großen Wert auf den kritischen Umgang mit diesen Medien gelegt. Handys gehören nicht in den Unterricht, werden in den Schließfächern eingeschlossen und müssen in der Schule natürlich ausgeschaltet sein. Die Nutzung von Medien ist nicht nur ein Thema für die Schule, sondern auch für die Zusammenarbeit mit den Eltern.Wir haben uns bewusst dafür entschieden, dass die neuen Medien nicht in den Kindergarten oder die Grundschule gehören. Hier werden die immer noch wichtigeren Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen gelehrt und gelernt, das soziale Miteinander gelebt.

IV. Werteerziehung: Sie gibt die Richtschnur, wie wir miteinander umgehen wollen; die Gegenwart zeigt, wie wichtig es ist, soziale Kompetenz zu erwerben – damit gemeint ist: Respekt, Toleranz, nicht nur anderen gegenüber, sondern auch anderen Meinungen gegenüber.

V. Englisch: Darüber braucht man eigentlich nicht mehr sprechen. Englisch ist die Weltsprache im Umgang miteinander, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft – und was ist besser, als diese Sprache spielerisch ab dem Kindergarten und immersiv in der Grundschule zu lernen, wie Professor Wode es seit den 1990er-Jahren propagiert. Alle wissenschaftlichen Untersuchungen haben gezeigt, dass das Lesen und Schreiben lernen im Fach Deutsch darunter nicht leidet. Die Fremdsprache wird auf einem hohen Niveau erworben, oftmals sogar wie eine zweite Muttersprache. Wir haben uns für Spanisch als zweite Fremdsprache entschieden, da sie sehr weit verbreitet ist.

VI. Begabtenförderung: Nicht jedes Kind ist hochbegabt, aber jedes Kind verdient eine individuelle Förderung und Unterstützung. Lange Zeit haben wir in Deutschland die besonders begabten Kinder vernachlässigt. Wir brauchen aber diese Schülerinnen und Schüler mit ihren besonderen Begabungen – egal in welchem Bereich diese liegt. Es ist sträflich, sich nicht darum zu kümmern und diesen Kindern nicht zu helfen, ihr Potenzial zu entwickeln. Davon werden wir alle profitieren. Wir kümmern uns im Unterricht darum und haben ein zusätzliches Programm entwickelt, an dem leistungsstarke Schülerinnen und Schüler teilnehmen. Die Leibniz Privatschule ist eine von zehn Schulen in Schleswig Holstein, die an dem von der Bundesbildungsministerin geförderten Programm „LEMAS“ (Leistung macht Schule) teilnimmt.

VII. Wirtschaftslehre: Schule ist kein getrennter Ort von der Gesellschaft, denn alle Absolventen werden nach der Schule mehr oder weniger etwas mit der Wirtschaft zu tun haben. Wirtschaftslehre wird – altersgerecht – ab der 5.Klasse unterrichtet, um einen Teil der Gesellschaft kennen- und verstehen zu lernen, sich auf das Leben vorzubereiten. Das Thema „Unternehmergeist“ gehört deshalb natürlich dazu.

Die Leibniz Privatschule stünde nicht da, wo sie heute steht, hätte es nicht die vielen guten Ratgeber auf dem Weg dorthin gegeben. Zum Beispiel Bruno Birnbaum, der frühere Geschäftsführer der Hamburger Brechtschulen, der leider zu früh verstarb, er steuerte aus seinem beruflichen Leben viele Hinweise bei.

Oder der Hamburger Unterrichtsentwickler Gerhard Förderer, der unser Unterrichtskonzept von Anfang an gestaltete. Aber nicht nur das, zusammen mit der Sonderpädagogin Bettina Marquardt entwickelte er den „Kodex“ der LPS, das Regelwerk des schulischen Miteinanders. Jetzt nach fast 15 Jahren blicken wir auf eine turbulente Zeit zurück. Wir wurden verspottet (die „Keks-Schule“), wurden angegriffen, weil Schüler Steine sammeln und Hecken bewachen sollten; vergessen wurde zu erwähnen, dass es sich um Schüler handelte, die Steine aufs Nachbargrundstück geworfen hatten. Wir wurden angegriffen, weil wir angeblich nicht in der Sekundarstufe II unterrichten können (Originalton eines Elmshorner Gymnasial-Schulleiters, der aber nie an unserer Schule war und auch den Unterricht nicht kannte), weil wir keine richtigen Lehrer hätten, weil ...

Die Leibniz Privatschule hat in den vergangenen 15 Jahren alle Krisen und Anfeindungen überstanden, es gibt sie immer noch, sie wächst, blüht und gedeiht und sie hat auch in der Corona-Zeit wieder wertvolle Erfahrungen gesammelt und bewiesen, dass wir uns schneller als andere auf eine veränderte Situation einstellen können. Unsere Schüler hatten nicht nur ein bis zwei Stunden Unterricht alle zwei Tage, sondern nach den Anlaufschwierigkeiten im März des Jahres 2020 Online-Unterricht nach Stundenplan – also fünf Stunden in der Grundschule und sieben Stunden in der weiterführenden Schule, jeden Tag. So sehr das gelungen ist, sind wir doch der Meinung, dass der Onlineunterricht letztendlich nicht den Präsenzunterricht und das Miteinander von Lehrenden und Lernenden ersetzen kann.

Natürlich wird jetzt wieder gesagt, naja, zu euch gehen ja nur die Arzt- und Rechtsanwaltskinder – nein, wir haben eine ganz normale, sozial durchmischte Schülerschaft. Dazu gehören auch Anwalts- oder Rechtsanwaltskinder, aber eben auch die Kinder der erfolgreichen Handwerksmeister, der alleinerziehenden Mutter und viele andere.

Und es sind allerdings vor allem die Eltern mit der Meinung, dass ihnen die Schulbildung ihrer Kinder 145 oder 165 Euro im Monat wert ist. Stolz sind wir ganz besonders auf unsere internationale Schülerschaft. In ihr und im Lehrerkollegium sind mehr als 50 Nationen vertreten. Oft werde ich gefragt, ob ich stolz auf die Gründung der Schule sei – oftmals kann ich diese Frage nicht nahvollziehen, denn stolz bin ich auf die Schüler, die die Chance auf eine gute Bildung und einen guten Schulabschluss nutzen, auf die Eltern, die sich dafür entschieden haben, ihre Kinder zu uns zu schicken und dafür auch bereit sind, Geld zu bezahlen und zum Teil auch wirklich Opfer zu bringen, auf die Lehrer, die dies den Schülern ermöglichen und die sich weiterbilden, um noch besser zu werden. Ich freue mich darüber, in den letzten 15 Jahren noch so viel dazu gelernt zu haben, so viele interessante Menschen kennengelernt zu haben und täglich die Möglichkeit zu haben, weiter zu lernen, nachzudenken, neue Ideen zu entwickeln.

Auch wenn ich schon seit einiger Zeit im Rentenalter bin, macht es mir viel Spaß zu unterrichten, mit Menschen, Wissenschaftlern zu tun zu haben, zu lernen.

Besonders bei Prof. Roth möchte ich mich bedanken, denn alle Begegnungen und Gespräche mit ihm haben mir neues Wissen ermöglicht, haben unsere Arbeit weiter auf eine tiefere wissenschaftliche Grundlage gestellt, haben uns vorangebracht.

Ja, was sind wir denn nun? Eine ganz normale, allgemeinbildende Schule, deren Konzept auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert, deren Lehrer sich ständig weiterbilden (auch in der Freizeit), die sich um ihre Schüler intensiv kümmert, die schnell und flexibel reagieren kann, die mit Begeisterung bildet, erzieht und Wissen vermittelt und sich auch mit Begeisterung schon mal mit den Schülern streitet. Die als lernende Organisation viel Geld in die eigene Bildung investiert, die die Vorteile einer Privatschule nutzt, um schnell neue Erkenntnisse umzusetzen. Vor einigen Jahren fragte uns eine im Geschäftsleben erfolgreiche Frau – und brachte uns zum Nachdenken: „Sie machen so vieles und so viel anders als das, was man von staatlichen Schulen kennt; aber wenn Sie Ihr Hauptanliegen in einem Satz formulieren müssten, wie würde der lauten?“ Die Frage beschäftigte uns noch lange, bis ich eine Eltern-Notiz fand, die wir vor einigen Jahren (nachdem die Halbjahreszeugnisse ausgeteilt waren) zugesandt bekamen. Ein Vater schreibt dort im Stile eines Gutachters:

„Die Zeugnisse unserer beiden Kinder betreffend, teile ich Ihnen mit:

Die Beschreibung der Lernstile und des sozialen Verhaltens sind sehr gut getroffen – die Reflexion der unterschiedl. Charaktere durch die zeugnisausstellende Lehrkraft ist so klar, dass auch ohne Namensnennung beide Kinder identifiziert werden könnten

Die Hinweise von pädagogischer Seite auf Stärken und Schwächen beider Kinder sind positiv formuliert, durch die Kinder selbst erreichbar und für sie motivierend

Die Zeugnisse werden nach unserer Meinung ein überdurchschnittliches Engagement der Aussteller auf, die Eltern über den Wissensstand, die Reifestufe und das Sozialverhalten der Kinder in ihrer Peergroup umfassend zu informieren.“

Nachdem wir das wieder gelesen und aufgesogen hatten, wussten wir, wie man unsere Schulphilosophie in einem Satz formulieren kann: „Wir kümmern uns.“

Darum geht es in den folgenden Texten

Ist es nicht vermessen, uns als Modellschule zu bezeichnen, wie es viele gleich sagen werden? Wir meinen – nein, warum nicht? Wir arbeiten nach einem wissenschaftlich begründeten Konzept. Die empirische Unterrichtsforschung von Hattie bestätigt unser von Gerhard Förderer entwickeltes Unterrichtskonzept, das wir ständig weiterentwickeln. Zum Beispiel haben wir nach Vorträgen und Workshops mit Professor Dr. Dr. Roth das Thema „Wiederholung“ als aktives Erinnern in den Focus genommen und in unser Konzept eingebaut. Wir bilden uns ständig weiter und das nicht nur auf dem Gebiet der Pädagogik, sondern auch in Fachdidaktik, Methodik, Psychologie, Neurobiologie, lernen von anderen – z.B. vom weltweit anerkannten neuseeländischen Schulsystem und den neuseeländischen Lehrern.

Immer wieder fragen wir uns, wie können wir besser werden? Was läuft nicht rund? Es gibt keine Selbstzufriedenheit, keinen Stillstand, wir jagen keinen Moden hinterher, sondern fragen uns, was ist wissenschaftlich begründet und wie können wir es umsetzen.

Was macht denn eine Modellschule aus?

An erster Stelle das Bestreben, besser zu werden, zu lernen, den Kindern den Stoff besser zu vermitteln, dafür zu sorgen, dass die Schüler mehr lernen und behalten und (so) besser gerüstet ins Leben gehen. Eine Schülerin fragte mich letztens, was ich meinen Schülern als Ratschlag ins Leben mitbegeben würde. Nach einigem Überlegen formulierte ich es: Wissen, Neugierde und Kritikfähigkeit – Kritik in dem Sinne vieles zu hinterfragen und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Dafür braucht man immer wieder Wissen. Wir haben aber nicht nur ein Unterrichtskonzept, sondern auch ein durchdachtes Konzept für das Leben und Arbeiten in der Schule – besser von der Krippe bis zum Abitur.

Dazu gehören:

Ansprachen

Der Schul-Kodex

Lehrer, die hinsehen und sich kümmern

Leseecken, Bücherecken

Ausflüge, Klassenfahrten

Schulkleidung

I-Pads, Laptops für die Schüler ( s.o.)

Ein tolle Mensa mit gesundem Essen

Ganztagesbetrieb mit Hausaufgaben in der Schule und zehn verschiedene Arbeitsgemeinschaften an jedem Nachmittag der Woche

Ein Gebäude mit viel Platz und einem großen Schulhof

Schulklassen, die strukturiert eingerichtet sind, freundliche Farben, Blumen, Bilder

Kultur: Besuch von Theatervorführungen, Museen, Bibliotheken

Ein qualifiziertes, hoch anspruchsvolles Konzept für die Schulung von Quereinsteigern

Gut ausgestattete Arbeitsplätze für die Lehrer

Café Adorno (in Elmshorn) und Café Leibniz in Kaltenkirchen für die Eltern, die am Nachmittag ihre Kinder von der Schule abholen

Die Gesellschaft, die Eltern und damit auch die Kinder haben sich in den letzten 15 Jahren verändert. Es gibt neue Anforderungen an uns Lehrer, es gibt prozentual mehr „schwierige“ Kinder in den Klassen, Kinder, die nicht „schulreif“ in die erste Klasse kommen, die die Stifte nicht halten können, die nicht mit der Schere umgehen können. Darauf stellen wir uns ein. Es gibt auf der anderen Seite immer weniger Lehrer; die Lehrerausbildung an den Universitäten ist nicht gerade praxisbezogen und entspricht nicht überall den wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern sie ist oft ideologisch geprägt. Das ist sehr schade und genau aus diesen vielen Gründen ist es uns wichtig, zu berichten und zu diskutieren über die Leibniz Privatschule als ein Modell für den Unterricht, ein Modell für den Ganztagesbetrieb, ein Modell für die Organisation von Schule, ein Modell für Gesprächsführung im Verhältnis Lehrer – Schüler, Lehrer – Eltern, ein Modell für die Digitalisierung und ein Modell für die Weiterbildung von Lehrern und die Ausbildung von Quereinsteigern in diesen Beruf.

Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716)

VON CHRISTIAN WALTHER (LEIBNIZ-GEMEINSCHAFT)

Jurist, Bibliothekar, Universalgelehrter – der letzte Mensch, der alles wusste, was man zu seiner Zeit wissen konnte.

Am 1. Juli 1646 in Leipzig geboren, studierte er in Leipzig und Jena und erwarb an der Universität in Altdorf bei Nürnberg den Doktor des Kirchen- und Zivilrechts mit einer Arbeit über ungewöhnliche Rechtsfälle. Mit seinen Gutachten begründet er Rang- und Herrschaftsansprüche der Welfen wie des Wiener Hofs. 1676 nimmt Leibniz – nach mehrjährigem Aufenthalt in Paris und Reisen nach London, Amsterdam und Den Haag – eine Stellung als Hofbibliothekar in Hannover an. Die Stadt wird bis zu seinem Tode Zentrum seines Lebens bleiben.

Leibniz kümmerte sich intensiv um Fragen der Mathematik, schrieb – parallel zu Isaac Newton – Wegweisendes zur Infinitesimalrechnung, einschließlich der bis heute gültigen Summenzeichen. Er entwickelte ein binäres Zahlensystem, die „Dyadik“, das die Darstellung aller Zahlen mit Hilfe der Null und der Eins ermöglicht – später Grundlage der Computersprache – und er tüftelte an einer Rechenmaschine, die er jahrzehntelang zur Perfektion zu bringen versuchte. Gottfried Wilhelm Leibniz gehörte zu den großen Philosophen seiner Zeit. Er prägte auch den viel zitierten Satz, dass wir in der „besten aller möglichen Welten“ lebten. Religionspolitisch wie religionswissenschaftlich strebt er eine Vereinigung von Katholizismus und Protestantismus an, ebenso die Zusammenführung von Reformierten und Lutheranern – dabei spielen allerdings staatspolitische Opportunitätserwägungen gelegentlich eine beherrschende Rolle. So riet Leibniz einer Tochter des Welfengeschlechts um einer vielversprechenden Heirat willen auch zum Religionswechsel.

Der gebürtige Leipziger war revolutionär im Denken, Fragen und Forschen, aber er war kein Revolutionär. In einer Zeit ohne Tarifverträge und garantierte Pensionsleistungen scheint er besorgt um seine Altersversorgung, hinterlässt aber, als er am 14. November 1716 in seinem Wohnhaus stirbt, ein beachtliches Vermögen. Vor allem aber hinterlässt der Universalgelehrte Unmengen an Papieren und Manuskripten, davon rund 20.000 Briefe, die einer weisen Eingebung folgend sofort nach seinem Tod an die Königliche Bibliothek übergeben werden und ungeteilt überliefert sind. Die Edition aller Leibniz-Schriften ist bis heute nicht abgeschlossen.

Leibniz, Leibnitz oder Leipnitz?

Mit der korrekten Schreibweise des bekannten Herrn Leibniz haben manche ihre Probleme; das ist erklärlich. Es gibt verschiedene Schreibweisen mit verschiedenen Bedeutungen: der bekannte Universalgelehrte schreibt sich LEIBNIZ, das österreichische Städtchen nennt sich LEIBNITZ und der frühere Schauspieler heißt Harald LEIPNITZ.

Der 1926 in Wuppertal geborenen Schauspieler Harald Leipnitz kam eher auf Umwegen zur Schauspielerei. Nach der Schule stand erst einmal der Kriegsdienst auf dem Programm, heißt es in den allgemein zugänglichen Quellen. Glücklich heimgekehrt begann Leipnitz zunächst Chemie zu studieren. Die Freundschaft mit einigen Laien-Schauspielern brachte ihn schließlich zum Theater. Er nahm Schauspielunterricht und debütierte schließlich 1948 auf der Theaterbühne seiner Heimatstadt. Weitere Engagements folgten an den Bühnen von München und Stuttgart. 1958 war Harald Leipnitz zum ersten Mal auch im Fernsehen zu sehen. Über zahlreiche TV-Rollen gelang ihm schließlich auch der Einstieg in die Kinobranche. Leipnitz spielte unter anderem erfolgreich in den Edgar Wallace Verfilmungen „Die Gruft mit dem Rätselschloß“, Der unheimliche Mönch“ und „Die blaue Hand“. In der Karl-May-Verfilmung „Der Ölprinz“ war er in ebendieser Rolle zu sehen.

Leibnitz dagegen ist eine Stadt im österreichischen Bundesland Steiermark mit knapp 11.000 Einwohnern. Im Winter wird Eislaufen am Leibnitzer Eislaufplatz (dem Marenzigelände) großgeschrieben. Kulinarischen Entdeckungsreisen mit dem Rad bietet der Römerradweg R6, der genauso wie der Sulmtalradweg mit fünf weiteren Radwegen verbunden ist. Leibnitz wurde ausgezeichnet als „Fahrradfreundlichste Gemeinde der Steiermark 2012“.

Hitzhusen (2008 – 2017)

Elmshorn, Langelohe (2006 – 2010)

Elmshorn, Containerdorf (2009-2010)

Weddelbrook (2012 – 2017)

Feindbilder und andere Hindernisse

VON BARBARA MANKE-BOESTEN

In Deutschland eine Privatschule zu gründen, stößt nicht überall auf Beifall. Diese Erfahrung musste ich machen, als 2005 zum ersten Mal über die Leibniz Privatschule in der Elmshorner Lokalpresse berichtet wurde. Das begann mit den ersten Gesprächen in Elmshorn und Umgebung mit der Vermutung, dass wir von der amerikanischen Scientology-Sekte finanziert würden. Hintergrund damals: In derselben Schulausschuss-Sitzung der Stadt Elmshorn war einerseits über die Leibniz Privatschule debattiert worden, andererseits unter einem völlig anderen Gesichtspunkt über die Genehmigung eines Scientology-Info-Standes in der City von Elmshorn. Der Vorwurf, Kinder „Steine schleppen und Hecken bewachen zu lassen“, entpuppte sich als Bumerang dank eines Kommentars des damaligen Redaktionsleiters der Elmshorner Nachrichten. Der Kodex der Leibniz Privatschule wurde von Markus Arndt besprochen: „Zu jedem funktionierenden Zusammenleben gehört ein Werte-Tableau. In der Leibniz-Schule heißt dieses Werte-Tableau Kodex und listet penibel auf, was folgt, wenn sich ein Schüler danebenbenimmt. Vom Benutzen von Schimpfwörtern, über Müll wegwerfen bis hin zur Einnahme von Drogen. Die Maßnahmen reichen von Gespräch bis Ausschluss ... jeder Schüler weiß, was ihn erwartet und kann sein Handeln entsprechend danach richten. Und wenn er zuwiderhandelt, muss er sich nicht wundern.“

Ein gestandener Elmshorner Hauptschullehrer hatte zuvor gar von einem „elitären Privatschulkonzept und einer unheilvollen Allianz zwischen staatsschulmüden Eltern, anonym bleibenden Geldgebern und einem ehrenhaften Elmshorner Unternehmer und Wirtschaftslobbyisten, der auch gleich die wissenschaftliche Begleitung des Schulbereiches Wirtschaftslehre übernimmt“ gesprochen. Aber, so der Leserbriefschreiber im Jahre 2005 weiter: „Die Elmshorner Bürgerinnen und Bürger werden sich nicht ins Bockshorn jagen lassen! Die plumpe Initiative darf getrost als ,Schlag ins Gesicht‘ der zahlreichen Elmshorner Eltern, Schulpolitiker, Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer gewertet werden.“ Erinnerungswürdig auch die Reaktion einiger Besucher einer Veranstaltung im Elmshorner Rathaus, die lauthals loslachten, als ich ein halbes Jahr vor dem ersten Schultag unserer Schule von „50 Arbeitsplätzen“ sprach, die die Schule schaffen werde. Heute sind es, das sei den Lachern von damals ins Poesiealbum geschrieben, mehr als 200 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze.

Das ließe sich fortsetzen – und würde dabei das Wesentliche vergessen: dass hier (und in Bad Bramstedt/Kaltenkirchen) inzwischen mehr als 4000 Kinder zur Schule gegangen sind und ihren Weg gemacht haben, wie die Ergebnisse diverser Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss und zum Abitur gezeigt haben.

Wissenschaftliche Grundlagen

Seit den 1960er-Jahren: Bildungs-Missverständnisse

VON EGON BOESTEN

Meine Güte, was waren wir alle euphorisch: Schwache Schüler werden von den stärkeren unterstützt – ist doch toll. Alle bleiben bis zum Schulabschluss in ein- und derselben Klasse. Ältere Schüler helfen den jüngeren. Nicht mehr der Lehrer gibt vor, sondern die Schüler beschäftigen sich selbstständig mit den kleinen und großen Fragestellungen zwischen Biologie, Geschichte und Physik, ganz offen und hauptsächlich allein, ohne Druck. Die Schule als Paradies, der Wunsch Vater des Gedankens – ohne belastbare Belege.

Gut gemeint und gut gewollt ist aber noch lange nicht gut gemacht. Die integrierte Gesamtschule, von Professor Helmut Fend aus Dortmund in den Pädagogen-Himmel gehoben, ist gescheitert. Aber das nicht wegen der meist unsagbaren unüberschaubaren Größe – in NRW gab es Gesamtschulen mit an die 2000 Schüler. Nein, sagt Fend in der ZEIT: „Die größte Enttäuschung entsteht beim Blick auf die soziale Selektivität in den verschiedenen Stufen des Bildungs- und Berufsweges. Sie wird durch Förderstufen oder Gesamtschulen nicht reduziert! Bei ehemaligen Schülern aus Gesamtschulen, Förderstufen und dem dreigliedrigen Bildungswesen bestimmt die soziale Herkunft gleichermaßen mit, welche Schulabschlüsse, Ausbildungen und Berufe sie erreichen.“

Ständiger Vergleich setzt schwache Schüler unter Druck

„Starke Schüler ziehen schwache Schüler nicht automatisch mit - im Gegenteil: Wer selbst nicht so gut im Unterricht ist, lässt sich von den guten Noten seiner Klassenkameraden eher verunsichern.“ Das haben der Bildungsforscher Ulrich Trautwein und seine Kollegen von der Universität Tübingen zusammen mit Forschern der University of Houston und der University of Illinois herausgefunden. Der Effekt habe sich bereits in anderen Studien gezeigt, sagte Trautwein dem SPIEGEL. Neu sei allerdings, dass er auch 50 Jahre später noch messbar sei: Wer als Kind auf eine Schule mit sehr leistungsstarken Schülern gegangen sei und selbst eher durchschnittliche Noten hätte, verdiene später weniger und arbeite in weniger angesehenen Berufen als jemand, der auf einer Schule mit schwächeren Schülern gewesen sei. Kinder, die von besseren Mitschülern umgeben seien, ließen sich schneller entmutigen als Schüler in leistungsschwachen Klassen. Die Folgen seien noch 50 Jahre später spürbar. So der SPIEGEL. Der ständige Vergleich mit besseren Mitschülern setze einigen Schülern dabei offenbar nachhaltig zu. „Das sind dramatische Erfahrungen, die sich ins Gedächtnis einzubrennen scheinen“, sagte Trautwein. Diese „seelischen Wunden“ in der Kindheit führten dazu, dass junge Menschen ein geringeres Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten entwickelten – mit langfristigen Folgen. Die Studie wurde veröffentlicht.

Jahrgangsübergreifender Unterricht funktioniert nicht

In den vergangenen Jahren hat sich in der deutschen Schulöffentlichkeit und in einem Großteil der Grundschulen das jahrgangsübergreifende Lernen durchgesetzt, kurz „JüL“ genannt. Dahinter steht die Idee, dass jüngere Schüler von älteren lernen, schwächere von fixeren mitgezogen werden. Jeder solle in seinem Lerntempo arbeiten, am besten in Gruppen ohne Frontalunterricht. Lehrer sollten in Teams unterrichten und dadurch entlastet werden. Darüber gibt es allerdings bisher keine empirischen Befunde. Im Gegenteil: So berichtet Gisela Steins von der Universität Duisburg-Essen über die „Evaluation eines Schulversuchs zum jahrgangsübergreifenden Unterricht der Albert-Schweitzer-Grundschule in Essen“: „Aufgrund der Ergebnisse, die hier zusammengetragen wurden, ist dieses Modell zwar kostenneutral (in Einheiten von Unterrichtsstunden gerechnet), aber es trifft nicht die intellektuellen und sozialen Bedürfnisse der Kinder.“

„Dass Schüler ihre „Lernprozesse am besten selbst gestalten“, wie etwa die jüngst gegründete Initiative „Schule im Aufbruch“ propagiert, dürfte der Unterrichtsforscher John Hattie für abwegig halten. Andere Lieblingskonzepte der Neudenker von Schule fallen bei ihm ebenso durch. Das gilt besonders für den „offenen Unterricht“ oder die „jahrgangsübergreifenden Klassen“. Für beides hat Hattie so gut wie keine empirischen Belege gefunden, dass es das Lernen verbessert.

Selbstregulierter oder offener Unterricht – kein Lerngewinn

Leider kann man den Heranwachsenden nicht einfach sagen: Nun mache es selbst. Das selbstständige Lernen ist voraussetzungsreich und muss in der Schule angebahnt werden. Die Befähigung zur Selbsttätigkeit versteht sich als ein mühsamer Weg von der reinen Instruktion zur reinen Selbsttätigkeit. Offener Unterricht ist gut gemeint – funktioniert aber nicht. „Mit den richtigen Werkzeugen urteilen Schüler meist fair und überraschend präzise über Unterricht“, sagt Andreas Helmke, Schulforscher von der Universität Koblenz-Landau. Auch könnten Schüler gut ermessen, was sie selbst können. Kein anderes Instrument könne in Hatties Ranking eine größere Effektstärke aufweisen als die systematische Selbsteinschätzung von Schülern. Hattie predigt eine Kultur des „Feedback“, kein Begriff fällt häufiger in seinem Buch. Von Lob dagegen spricht er wenig, von Strafe überhaupt nicht. Laut Hattie sollen Rückmeldungen an Schüler stets neutral erfolgen, bezogen allein auf den Unterrichtsgegenstand. Falsche Antworten der Schüler sind in diesem Konzept geradezu willkommen. Hattie versteht Fehler als die eigentlichen Treiber allen Lernens („the essence of learning“).

Finanzielle Ausstattung von Klassen und Schulen – kein Einfluss

So hat die finanzielle Ausstattung einer Schule nur wenig Einfluss auf den Wissensgewinn ihrer Schüler. Ähnlich verhält es sich mit der Reduzierung der Klassengröße, der Lieblingslösung der Lehrerschaft für Probleme jeder Art. Kleine Klassen kosten zwar viel Geld, bleiben in puncto Lernerfolg aber weitgehend ertraglos. Kleinere Klassen haben nach einer neuen Studie weniger Einfluss auf die Leistung der Schüler als bisher angenommen. Diesen Schluss ziehen Wissenschaftler aus der Analyse von Daten, die für die letzte Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu) erhoben wurden, berichtet DER SPIEGEL. „Ein Einfluss der Klassengröße ist nicht nachweisbar“, stellten die Forscher nach der Auswertung des statistischen Materials fest. Die Frankfurter Rundschau schreibt dazu im Jahr 2019: „Angesichts des wissenschaftlich nicht nachgewiesenen Erfolges kleiner Klassen, weisen Bildungsökonomen auf die hohen Kosten, etwa für zusätzliche Lehrer, hin. Zu ihnen zählt Ludger Wößmann. Er forscht am Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München und lehrt an der dortigen Ludwig-Maximilians-Universität Bildungsökonomik.“ Danach rechtfertige der geringe Einfluss kleinerer Klassen auf die Leistungen keine höheren Ausgaben. Nach seinen Berechnungen müsste das öffentliche Budget für die Schulen um 25 Prozent erhöht werden, wolle man die Klassengröße von 25 auf 19 verringern.

Frontalunterricht ist von gestern – stimmt nicht

Obwohl er immer noch an den meisten deutschen Schulen Standard ist, gilt der Frontalunterricht schon seit Langem als Auslaufmodell. Neuere Studien allerdings attestieren dieser Unterrichtsform gute Erfolge, deutlich mehr Erfolge als beim problemorientierten Unterricht. Schüler lernen dann am besten, konstatiert die Hattie-Studie, wenn Lehrer ihre Klasse stringent führen, stets im Griff haben und ihren Unterricht klar strukturieren. Eindeutiger dagegen die Studie des Münchner Ifo-Instituts: Frontalunterricht bringe mehr als problemorientierter oder offener Unterricht, stellt der Autor Guido Schwerdt fest. „Wenn ein Lehrer zehn Prozent mehr Zeit auf frontales Unterrichten verwendet“, sagt Schwerdt, „dann zeigen Schüler einen Leistungsvorsprung, der ungefähr dem Wissenszuwachs von ein bis zwei Monaten Schulbildung entspricht.“ Nicht nur die leistungsstarken, auch die schwächeren Schüler würden davon profitieren.

Schule auf Basis von Wissenschaft anstelle von Ideologien

VON BARBARA MANKE-BOESTEN UND EGON BOESTEN

Anstatt Moden und Ideologien bei der Schulkonzeption zu folgen, hat sich die Leibniz Privatschule seit ihrem Bestehen auf wissenschaftliche Grundlagen gestützt: Unter welchen Bedingungen gelingt Lernen? Vor diesem Hintergrund begann am 21. August 2006 der Unterricht in Elmshorn, später in Hitzhusen, Weddelbrook und Kaltenkirchen.

Buch-Autorin und ZEIT-Journalistin Verena Hasel begeistert seit einigen Jahren durch Geschichten über das neuseeländische Schulsystem. Sie erzählt von einem Bildungssystem, wo Wissenschaftler den Lehrern helfen, den Unterricht zu verbessern, und Bildungsentscheidungen niemals nur einer Mode folgen. Intuitiv hat die Leibniz Privatschule sie 2019 zu einem Leibniz-Abend in die Schule eingeladen; siehe auch den Beitrag von Verena Hasel in diesem Buch über die Essentials von Schule in Neuseeland. In der Bundesrepublik Deutschland seit den späten 1960er-Jahren und auch darüber hinaus im wiedervereinigten Deutschland nach 1989/90 bestimmen Ideologie und Wunschvorstellungen die bildungspolitischen Diskussionen. Das Mantra dieser Jahre hat sich bis heute erhalten: Chancengleichheit. Die integrierte Gesamtschule, klassenübergreifender oder jahrgangsübergreifender Unterricht, selbstentdeckendes Lernen, offener Unterricht, der Lehrer als Begleiter.

Das Ganze fand und findet statt ohne Evaluation und ohne wissenschaftliche Begründung, allein geleitet von Wunschvorstellungen, so dass der Erziehungswissenschaftler Professor Volker Ladenthin gar fordert: „Verbannung aller parteipolitischen “Bildungsreformer” auf eine einsame Insel, wo es ihnen erlaubt ist, ihre Konzepte an ihren eigenen Kindern auszuprobieren.“

Von Anfang an hat sich die Leibniz Privatschule auf ein von Gerhard Förderer entwickeltes Unterrichtskonzept konzentriert, bei dem die wissenschaftlichen Ergebnisse zur Unterrichtsstruktur, zur Lernzielformulierung und zur Lehr- und Lernpädagogik beachtet wurden. Die groß angelegte Hattie-Studie hat uns in vielen Bereichen im Nachhinein bestätigt, gleichzeitig aber auch die Notwendigkeit unterstrichen, Schule nicht als ein für alle Zeiten in Stein gemeißeltes Gebilde zu betrachten, sondern als lernende, sich weiter entwickelnde Organisation.

Durch die Verbindung mit dem Bremer Hirn- und Bildungsforscher Prof. Gerhard Roth erhielten die neurobiologischen Grundlagen des Lernprozesses einen besonderen Stellenwert innerhalb des Unterrichtskonzepts. Die Roth-Projekttage und Roth-Projektwochen sind eine Weiterentwicklung unseres Unterrichtsentwurfs. Während der verschiedenen Leibniz-Abende, bei denen Experten aus dem pädagogischen und bildungspolitischen Bereichen in der Leibniz Privatschule zu Gast waren, gab es immer wieder neue Anregungen, das Schulkonzept zu verbessern.

Der Vortrag von Professor Hans-Peter Klein hat die Bedeutung des Wissens in den Mittelpunkt gestellt. Dr. Bernhard Bueb („Lob der Disziplin“) regte aus seinem schon fast legendären Internatsbetrieb in Salem an, dass Schüler im Laufe ihrer Schulzeit regelmäßig eine soziale Aufgabe erledigen sollten. Prof. Olaf Köller und einige Jahre später Professor Klaus Zierer stellten die Hattie-Studie als „sine qua non“ für den schulischen Unterricht in den Vordergrund. Prof Klaus Bös (Karlsruhe), Prof. Hans-Jürgen Schulke (Hamburg) und Professor Renate Zimmer (Osnabrück) festigten mit ihren Vorträgen die Basis für die tägliche Sportstunde vom Kindergarten bis zum Abitur an der Leibniz Privatschule.

Dr. Michael Winterhoff, Dr. Jan-Uwe Rogge und der ehemalige Lehrerpräsident Josef Kraus sowie Elternberater Adolf Timm trugen mit ihren Vorträgen entscheidend zur Analyse der an Schule und ihrem Gelingen beteiligten Kinder und Eltern bei.

Ziel der Bildung: Der allseits gebildete und neugierige Mensch

VON BARBARA MANKE-BOESTEN UND EGON BOESTEN

Gebildet sein heißt heute, mit 25 Jahren über ein Grundwissen zur Beurteilung von Gegenwartsfragen zu verfügen. Man kann es auch auf die Formel bringen: handlungs- und kritikfähig sein.

Bildung ist im deutschsprachigen Raum vor allem durch Wilhelm von Humboldt geprägt – die ganzheitliche Bildung von Fachkenntnissen, Geisteswissen und Kunst. Gebildet sein heißt aber auch neben seiner Muttersprache sowohl in Englisch und einer weiteren Sprache kommunizieren zu können. Gebildet ist schließlich derjenige, der sich mit 25 Jahren ein Profil und eine Persönlichkeit erarbeitet hat, sein eigenes Weltbild und das Bild von sich selbst dem neuesten Wissensstand anpasst. Der bereit ist, weiter zu lernen, sich weiter zu entwickeln, sich mit neuen Erkenntnissen und Entwicklungen auseinanderzusetzen.

Das alte – humanistische – Bildungsideal ist das zentrale Ziel von Bildung und bleibt es auch bei digitaler Bildung. Der allseits gebildete und neugierige Mensch wird auch weiterhin ein Ziel sein der Bildung, der Entwicklung von Persönlichkeit. Schule kann gerade darum ein Ort der Einübung ins Nachdenken, der Entwicklung von Kritikfähigkeit und Urteilskraft sein. Dazu gehört ganz altmodisch: das Erlernen von Lesen, Schreiben, Rechnen und Sprechen. Denn: Lesen, Schreiben, Rechnen und Sprechen können in jeder Zukunft nützlich sein. Ohne diese Kulturtechniken findet man sich heute in keiner denkbaren Welt zurecht.

Darüber hinaus ist die Fähigkeit, über die Welt nachzudenken, ebenfalls in jeder Zukunft nützlich. Da man aber die ganze Welt nicht kennen kann, was im Übrigen auch schon vor 200 Jahren zu Zeiten von Wilhelm von Humboldt so war, wurde der Bildungsbegriff um den Gedanken ergänzt, dass Bildung dort vorliegt, wo jemand sich von einem bestimmten Punkt aus die Welt erschließen kann. Die Aufgabe der Schule ist es darum, an exemplarischen Weltausschnitten das Denken einzuüben, um Urteilskraft als Bestandteil des humanistischen Bildungsideals zu fördern.

Das funktioniert aber nicht, ohne zuvor Wissen zu vermitteln. Die Fähigkeit, ein Problem zu beurteilen und zu lösen, hängt immer von Wissen und gemachter Erfahrung ab. Mehr Wissen als Grundlage für Entscheidungen, als Richtschnur im Dschungel des Internets. Lösungen in den verschiedenen Bereichen des Lebens und der Schule erfordern unterschiedliche Kenntnisse und Fertigkeiten. Das gilt für naturwissenschaftliche Fragestellungen in Biologie, Physik und Chemie, für Fragen der Mathematik oder geisteswissenschaftliche Problemstellungen in Geschichte, Philosophie oder Geographie. „Das Denken folgt aber stets dem Wissen, das Können folgt stets dem Geübt-Haben.“ – So formuliert es der Wissenschaftsjournalist Jürgen Kaube in seinem Buch „Ist die deutsche Schule zu blöd für unsere Kinder?“ Die Pädagogik in der Leibniz Privatschule setzt bei den Unterrichtsinhalten auf Exzellenz, weil nur das Beste bildet. Schülern sollte man Hochwertiges bieten und Anspruchsvolles zumuten. Viele moderne Fachanforderungen und Lehrpläne scheuen die Vermittlung schwieriger Kost, stattdessen wäre es umgekehrt richtig. Beispielsweise im Fach Deutsch sollte es deshalb einen verbindlichen Kanon deutscher und internationaler Literatur geben.

Urteilskraft, Anschlussfähigkeit und Artikulationsfähigkeit – dieser Dreiklang sichert die Handlungsfähigkeit des Einzelnen im gesellschaftlichen Rahmen. Das humanistische Bildungsideal, vor mehr als 200 Jahren zwischen Kant und dem Sturm auf die Bastille entstanden, meint den Menschen, der neben Fachkenntnissen auch sich selbst kennt und einzuschätzen weiß. Es geht dabei um Horizont, Haltung und die Fähigkeit, Situationen zu meistern, für die nicht automatisch ein Werkzeugkoffer oder im digitalen Zeitalter eine Toolbox zur Verfügung steht. Dieses Bildungsideal ist untrennbar mit Demokratie und der Idee des mündigen Bürgers verbunden. Urteilskraft ist keine Fähigkeit, die andere sicherstellen können. „Urteilskraft als Ziel digitaler Bildung muss deshalb darauf gerichtet sein, die Parzellierung von Wissensbeständen im schulischen Unterricht zu überwinden und Kritikfähigkeit zu fördern“, schreiben die Augsburger Erziehungswissenschaftler Julian Nida-Rümelin und Klaus Zierer. „Digitale Bildung setzt somit auf Reflexion und Distanz. Die dafür erforderlichen zeitlichen Spielräume sind durch eine Reduktion der Stofffülle bereitzustellen. Diese soll Schule nicht leichter machen, sondern herausfordernder, weil sinnvoller. Ebenso ist ihr Ziel nicht, Wissen überflüssig zu machen, sondern es als Orientierungswissen zu verstehen.“

Seit den 1990er-Jahren, dem Beginn der Digitalisierung, haben sich die Rahmenbedingungen für das humanistische Bildungsideal fundamental verändert. Alles ist sofort verfügbar. Der Einzelne ist ohne großen Aufwand in der Lage, sich alle möglichen Waren zusenden zu lassen, unmittelbar mit jedermann auf dem Globus kommunizieren zu können. Es gibt den unbeschränkten Zugang zu allen Informationen. Urteilskraft ist in dieser unserer Zeit der erste Baustein des humanistischen Bildungsideals. Die mit der Digitalisierung verbundene Individualisierung fordert vom Einzelnen noch mehr die Fähigkeit, sich zu entscheiden, nicht der Algorithmisierung des Alltags zu erliegen, eigenständig zu entscheiden, was ich brauche und was ich nicht brauche. Es geht aber auch darum, die eigenen Vorstellungen mit denen der anderen in Einklang zu bringen. Zum Bildungsideal der Zivilgesellschaft im 21. Jahrhundert gehört deshalb neben Urteilskraft und Anschlussfähigkeit die Artikulationsfähigkeit. Vorstellungen, Ideen und Emotionen verbalisieren zu können, sich ausdrücken zu können – ohne sich hinter Twitter, E-Mail, Facebook oder anderen abgehackten Kurznachrichten zu verstecken. Der Friedenspreisträger Jaron Lanier hat in der Frankfurter Paulskirche darüber gesprochen, was es bedeutet, in einer digitalen Zeit zu „werden, was man ist: ein Mensch“. Wenn Lanier Recht hat und die Veränderungen in jedem Lebensbereich so groß sind, dass wir einen „neuen Humanismus“ brauchen – was bedeutet das für das „Bildungsideal einer digitalen Zeit“?

Digitale Bildung als neues Unterrichtsfach, Informatik ab Klasse 5 für alle, am besten schon in der Grundschule damit anfangen; einigen ist sogar das zu spät und legen den Startschuss ins Kindergartenalter. Digitale Bildung soll alles verändern, besser machen – was vorher nicht gelungen ist. Digitalisierung als Mantra? Hilft das penetrante Wiederholen, digitale Bildung müsste voran gebracht werden, im bundesdeutschen Bildungssystem?

Wissenschaftliche Untersuchungen nähren die Zweifel. So ist der Wirksamkeit von digitalem Lernen auf Lernleistungen nur mäßiger Erfolg beschieden. Bei der weltweit angelegten Hattie-Studie ist in einer Sonderauswertung zu lesen: „In der Mathematik, in den Naturwissenschaften, beim Lesen und auch beim Schreiben sind keinerlei Leistungszuwächse nachweisbar.“ So weiß man beispielsweise über webbasierte Leseförderung, dass sich „nur eine geringe Leseleistung nachweisen lässt“. Bedeutende positive Effekte in Sachen Lese-Motivation lassen sich ebenfalls nicht belegen, denn „sie zielen nicht auf besseres Lesen und Lernen, sondern auf den Wettbewerb untereinander.“ Linguisten empfehlen diese webbasierte Leseförderung (Beispiel „Antolin“) nur bedingt.

Das klassische Schreiben mit „Papier und Bleistift ist dem Notieren auf dem Laptop weit überlegen. „The Pen is Mightier Than the Keyboard“ weiß man auch seit 2014. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Laptops im Unterricht – selbst wenn sie wie vorgesehen und nicht zum Einkaufen bei Amazon genutzt werden – trotzdem die akademische Leistung beeinträchtigen können“, erklärt Hauptautorin der Studie Pam Mueller, Psychologin an der Princeton University. Gemeinsam mit Daniel Oppenheimer, heute an der University of California Los Angeles (UCLA), hatte Mueller in einer Reihe von Experimenten den Lerneffekt beim Mitschreiben per Hand und per Tastatur verglichen. Lesen und Schreiben lernen funktioniert klassisch besser als das Tippen auf Tasten, ist dem Tablet weit überlegen. Wissenschaftler sehen den Grund darin, dass Lernende vom Papier langsamer und gründlicher lesen, während am Tablet schneller und oberflächlicher gelesen und oftmals weniger gut verstanden wird. Was am Ende – ob Grundschule oder weiterführende Schule – bleibt, sei allen ins Merkheft geschrieben: Medien sind, egal ob analog oder digital, Hilfsmittel im Unterricht. Entscheidend für den Lernerfolg – Hattie lässt grüßen – ist der Lehrer und seine Professionalität. Kurz gesagt, wie es Professor Klaus Zierer, Herausgeber der berühmten Hattie-Studie in Deutschland, zusammenfasst: „Pädagogik vor Technik!“

Die menschliche Persönlichkeit – ein höchst individuelles Mosaik

VON GERHARD ROTH

Lehren und Lernen finden stets im Rahmen der Persönlichkeit des Lehrenden und des Lernenden und ihrer Beziehung zueinander statt, also im Rahmen der höchst individuellen Art des Wahrnehmens, Denkens, Fühlens, Wollens, Handelns sowie der Bindungs- und Kommunikationsfähigkeit eines Menschen. Mit anderen Worten: Die Art, wie jemand lehrt und lernt, wird bestimmt durch seine Persönlichkeit. Es gehört zu den großen Herausforderungen der Psychologie und der Neurowissenschaften, zu erklären, wie man die Persönlichkeit eines Menschen bestimmt, warum jemand so ist, wie er ist, und wie man ihn eventuell darin ändern kann.

Persönlichkeit aus Sicht der Psychologie.

Beim Erfassen der Persönlichkeit eines Menschen gibt es grundsätzlich unterschiedliche Ansätze. Ein Ansatz besteht darin, das „Wesen“ einer Person zu erfassen, indem man sie einem festen Persönlichkeits- oder Charaktertyp zuordnet. Am bekanntesten ist nach wie vor die „Lehre von den Temperamenten“, die seit dem Altertum die Einteilung in vier Grundpersönlichkeiten kennt, nämlich in aufbrausende Choleriker, trübsinnige Melancholiker, träge Phlegmatiker und lebhafte Sanguiniker - man denke an Dürers Darstellung der vier Temperamente anhand der vier Apostel Markus, Paulus, Johannes und Petrus.

Die in der modernen Persönlichkeitspsychologie dominierende Vorgehensweise besteht darin, die Persönlichkeit von Menschen nicht starren Typen zuzuordnen, sondern sie als ein individuelles Mosaik vieler einzelner Persönlichkeitsmerkmale anzusehen, die wiederum unterschiedliche Ausprägungen aufweisen („jemand ist oder hat mehr oder weniger von ...“); man nennt solche Merkmale oder Größen „dimensional“, weil ihre Ausprägungen auf einer Achse zwischen zwei Extrempunkten angeordnet werden können. Menschen unterscheiden sich dann im individuellen Mosaik der Ausprägungen relevanter Persönlichkeitsmerkmale.

Bei der Frage, welche Merkmale man verwendet, hat man das sogenannte lexikalische Verfahren angewandt, das darin besteht, dass man aus gängigen Lexika alle nur erdenklichen Vokabeln nimmt, mit denen menschliche Eigenschaften beschrieben werden. Dabei handelt es sich um viele Tausende von solchen Wörtern, die natürlich in ihrer Bedeutung erst einmal hochgradig redundant sind, d.h. mehr oder weniger dasselbe ausdrücken – man denke nur daran, wie viele Wörter es für den Umstand gibt, dass eine Person geistig etwas beschränkt ist. Man kann nun diese Fülle durch wiederholtes Zusammenfassen mithilfe mathematisch-statistischer Verfahren, z.B. der sog. Faktorenanalyse, auf immer weniger Grundmerkmale der Persönlichkeit reduzieren, bis sich schließlich je nach Autor eine Liste von wenigen, z.B. zwei bis sieben Grundmerkmalen als optimal herausstellt. Die jeweiligen Autoren nehmen an, dass die entsprechenden Grundmerkmale weitestgehend überschneidungsfrei sind.

Der deutsch-britische Psychologe Hans Jürgen Eysenck (1916–1997) war in der modernen Persönlichkeitspsychologie besonders einflussreich. Er vertrat anfangs die Meinung, es gebe zwei Grunddimensionen der Persönlichkeit, nämlich zum einen die Dimension „Neurotizismus“, welche in unterschiedlicher Ausprägung die Merkmale Instabilität, Ängstlichkeit und Besorgtheit umfasst, und zum anderen das Gegensatzpaar „Extraversion-Introversion“, welche die Spannbreite von einer gesellig-offenen bis hin zu einer zurückgezogen-verschlossenen Persönlichkeit bezeichnet. In der Weiterentwicklung dieses Ansatzes kamen die Psychologen Paul Costa und Robert McCrae zu den bekannten fünf Grundfaktoren, „Big Five“ genannt, die Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit umfassen und nach Meinung vieler Experten eine Persönlichkeit am ehesten zu charakterisieren vermögen (Costa und McCrae 1992; dt. Borkenau und Ostendorf 2008). Diese „großen Fünf“ können positiv (im Sinne „trifft eindeutig zu“) oder negativ („trifft nicht zu“) ausgeprägt sein, natürlich mit Zwischenstufen entsprechend der sogenannten Likert-Skala (trifft eher zu, teils-teils, trifft eher nicht zu).

So umfasst der Faktor Extraversion in seiner positiven Ausprägung die Eigenschaften gesprächig, bestimmt, aktiv, energisch, offen, dominant, enthusiastisch, sozial und abenteuerlustig, und in seiner negativen Ausformung die Eigenschaften still, reserviert, scheu und zurückgezogen.

Der Faktor Verträglichkeit bezeichnet im positiven Sinne die Eigenschaften mitfühlend, nett, bewundernd, herzlich, weichherzig, warm, großzügig, vertrauensvoll, hilfsbereit, nachsichtig, freundlich, kooperativ und feinfühlig, und im negativen Sinn die Eigenschaften kalt, unfreundlich, streitsüchtig, hartherzig, grausam, undankbar und knickrig.

Der Faktor Gewissenhaftigkeit bezeichnet in seiner positiven Ausprägung die Eigenschaften organisiert, sorgfältig, planend, effektiv, verantwortungsvoll, zuverlässig, genau, praktisch, vorsichtig, überlegt und gewissenhaft, und im gegenteiligen Sinne die Eigenschaften sorglos, unordentlich, leichtsinnig, unverantwortlich, unzuverlässig und vergesslich.

Der Faktor Neurotizismus bezieht sich in seiner positiven Ausprägung (im Sinne von „trifft zu“) auf die Eigenschaften gespannt, ängstlich nervös, launisch, besorgt, empfindlich, reizbar, furchtsam, selbst bemitleidend, instabil, mutlos und verzagt, und in seinem Gegensatz auf die Eigenschaften stabil, ruhig und zufrieden.

Der Faktor Offenheit schließlich umfasst im positiven Sinne die Eigenschaften breit interessiert, einfallsreich, phantasievoll, intelligent, originell, wissbegierig, intellektuell, künstlerisch, gescheit, erfinderisch, geistreich und weise, und im negativen Sinne gewöhnlich, einseitig interessiert, einfach, ohne Tiefgang und unintelligent. Die Persönlichkeit eines Menschen kann also als ein Mosaik unterschiedlicher Ausprägungen der genannten Persönlichkeitsmerkmale verstanden werden.

Persönlichkeitspsychologen fragen sich seither wie trennscharf diese Big Five tatsächlich sind. So gibt es klare Überlappungen zwischen „Extraversion“ und „Offenheit“: Ein geselliger Mensch ist oft auch für Neues offen (z.B. neue Bekanntschaften). Zwischen „Neurotizismus“ und „Gewissenhaftigkeit“ existieren ebenso Verknüpfungen: Vorsichtig-ängstliche Menschen sind oft auch sehr pingelig. Deshalb gibt es in der Persönlichkeitspsychologie Bemühungen, die Big Five wieder zu reduzieren. Auch wird Intelligenz von vielen Persönlichkeitspsychologen inzwischen als unabhängiges Persönlichkeitsmerkmal angesehen.

Eine wichtige Abänderung von Eysencks Persönlichkeitstheorie erfolgte durch den britischen Psychologen Jeffrey A. Gray (1934–2004). Gray ersetzte die Grunddimensionen „Extraversion“ und „Neurotizismus“ durch die Merkmale „Impulsivität“ und „Ängstlichkeit“. Er deutete dabei „Impulsivität“ als eine Kombination von hohem Neurotizismus und hoher Extraversion im Sinne Eysencks und „Ängstlichkeit“ als eine Kombination von hohem Neurotizismus und niedriger Extraversion (Gray 1990). Hierauf aufbauend entwickelte Gray seine „Verstärkungs-Empfänglichkeits-Theorie“. Danach ist Impulsivität korreliert mit einer hohen Empfänglichkeit für Belohnung: Verhalten, Gefühle und kognitive Funktionen werden durch Belohnungen wie Essen, soziale Anerkennung, Geld, sexuelle Lust und einen attraktiven Partner und ebenso durch die Aussicht auf derartige Belohnungen verstärkt. Belohnungsempfängliche Menschen suchen aktiv nach solchen Verstärkern und nehmen dabei das Risiko eines Scheiterns oder Misserfolgs in Kauf („Manches geht eben schief, aber es lohnt sich, was zu riskieren!“). Ängstlichkeit ist hingegen gekoppelt mit einer besonderen Empfänglichkeit für Bestrafung, entweder in Form schmerzhafter oder anstrengender körperlicher Zustände bzw. ihrer Erwartung oder in Form psychischer Zustände wie Enttäuschung, Verlust oder soziale Missachtung. Bestrafungssensitive Menschen gehen immer auf „Nummer sicher“ und vermeiden deshalb riskante Situationen, auch wenn ihnen dadurch viele Chancen entgehen.

Der amerikanische Persönlichkeitsforscher Marvin Zuckerman entwickelte hingegen ein Modell der „alternativen Five“, das als Grundfaktoren der Persönlichkeit Geselligkeit, Neurotizismus-Angst, Aggression-Feindseligkeit, impulsive Sensationslust, Neugier und Aktivität annimmt, allerdings mit engem Bezug auf die originalen „Big Five“ von Costa und McCrae (Zuckerman 2005). Zuckerman sieht die vier ersten Faktoren seines Modells eng verbunden mit Extraversion, Neurotizismus, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit der Big Five. Impulsive Sensationslust ist allerdings neben Extraversion und intellektueller Offenheit auch oft verbunden mit einer geringen Ausprägung von Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit. Das Merkmal „Aktivität“ wiederum ist stark verbunden mit Extraversion und einer geringen Ausprägung von Gewissenhaftigkeit.

Ein wieder anderer Ansatz in der Persönlichkeitspsychologie stammt von dem amerikanischen Psychologen C. Robert Cloninger, der eine „Sieben-Persönlichkeitsfaktoren-Theorie“ entwickelte (Cloninger 2000). Hierbei unterscheidet Cloninger zwischen Temperament und Charakter. Temperament ist für ihn bestimmt durch drei weitgehend genetisch determinierte Grundmerkmale, nämlich Erlebnishunger bzw. Abwechslungssucht (novelty seeking) , Frustrationsvermeidung (harm avoidance) und Belohnungssucht (reward dependence) . Erlebnishunger ist charakterisiert durch ein ständiges Bedürfnis nach Abwechslung, neuen und neuartigen Erlebnissen und die Bereitschaft, zu deren Erlangung große Risiken einzugehen, sowie durch mangelnde Ausdauer, d.h. Aufgeben, wenn der Erfolg sich nicht schnell einstellt. Frustrationsvermeidung ist verbunden mit großer Angst vor Misserfolgen und dem Ausbleiben von Belohnung und mit einer Abneigung gegenüber neuartigen Dingen. Belohnungsabhängigkeit schließlich ist charakterisiert durch eine hohe Empfänglichkeit für bzw. Abhängigkeit von Belohnung und eine starke Resistenz dieses Verhaltens gegen Löschung durch Misserfolge, ein entsprechend hohes Durchhaltevermögen, eine hohe Emotionalität und ein hohes Bedürfnis nach Sozialität. Solche Leute verfolgen hartnäckig ihre Ziele, auch wenn vieles schiefgeht.

Die heutige Persönlichkeitspsychologie geht allgemein von zwei bis sieben grundlegenden Persönlichkeitsmerkmalen aus. Wirkliche Grundmerkmale der Persönlichkeit stellen aber offenbar nur Extraversion, Neurotizismus und Sensationslust dar. Intellektuelle Offenheit kann man gut mit Extraversion in Verbindung bringen, d.h. ein extravertierter Mensch ist auch meist offen für neue Erlebnisse, und ebenso kann man zwischen Neurotizismus und Gewissenhaftigkeit deutliche Verbindungen herstellen: Ein neurotizistischer Mensch ist häufig gewissenhaft bis pingelig. Sensationslust existiert weitgehend unabhängig davon, stellt aber verbunden mit Gewissenlosigkeit einen deutlichen Gegensatz zu „Gewissenhaftigkeit“ dar. Viele Experten sind zwischen der Meinung, dass man als zwei Haupttypen den „Dynamiker“ und den „Stabilen“ unterscheiden muss.

Ein kritischer Punkt besteht darin, dass die genannten psychologischen Persönlichkeitsmerkmale rein quantitativ-statistisch gewonnen wurden und aus naturwissenschaftlicher Sicht „in der Luft hängen“. Es erscheint daher wünschenswert herauszubekommen, warum es gerade diese und nicht andere Persönlichkeitsmerkmale sind, auf die es ankommt. Eine Möglichkeit, dies herauszufinden, besteht darin festzustellen, wie die jeweils angenommenen Grundfaktoren der Persönlichkeit im Gehirn verankert sind.

Die neurobiologischen Grundlagen der Persönlichkeit

Neurowissenschaftler gehen davon aus, dass die Persönlichkeit eines Menschen (also sein Temperament und sein Charakter) mit den Eigenschaften seines Gehirns aufs Engste zusammenhängt. Dies bedeutet allerdings nicht