Commissaire Le Floch und der Brunnen der Toten - Jean-François Parot - E-Book
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Commissaire Le Floch und der Brunnen der Toten E-Book

Jean-François Parot

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Beschreibung

Der zweite Roman in der Commissaire-Le-Floch-Reihe.

Commissaire Nicolas Le Floch soll im Auftrag des Polizeipräfekten einen heiklen Fall aufklären: Der ältere der beiden Söhne des Grafen de Ruissec ist in seinem Zimmer tot aufgefunden worden. Neben ihm liegen eine Pistole und ein Abschiedsbrief. Die Leiche des Selbstmörders sieht seltsam aufgebläht und entstellt aus. Dennoch geht der Vater von einem Selbstmord aus. Die Mutter des Verstorbenen ist jedoch anderer Meinung als ihr Mann und will unbedingt den Commissaire sprechen, und zwar heimlich in einem Kloster. Unmittelbar vor dem Treffen findet sie in einem geheimnisvollen Brunnen ihr Ende.

Die gefährlichen Recherchen führen den jungen und sympathischen Nicolas Le Floch diesmal in die Welt des Theaters, der Klöster und des Hofes von Versailles.

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Seitenzahl: 476

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Ähnliche


Zum Buch

Der Diener des jungen Adeligen Ruissec meldet, dass er einen Pistolenschuss im Zimmer seines Herrn gehört habe. Das Gemach ist verschlossen. Commissaire Nicolas Le Floch öffnet es mit einem Dietrich und entdeckt eine Leiche vor dem Schreibtisch auf den Boden hingestreckt. Es ist tatsächlich der junge Vicomte, Lieutenant Lionel Ruissec, die Pistole liegt dicht bei ihm. Auf dem Schreibtisch findet Nicolas ein Blatt Papier, auf dem, mit eiliger Schrift in Großbuchstaben geschrieben die Worte »PARDON, ADIEU« zu lesen sind. Selbstmord war damals ein Verbrechen und entehrte die ganze Familie. Alles deutet auf einen Suizid hin, zumal Ruissec in letzter Zeit immer wieder melancholische Anwandlungen erlitten haben soll.

Als er in seine Kutsche einsteigt, dreht Commissaire Le Floch sich um, als hielte ihn etwas zurück, und hebt den Kopf. Im ersten Stock des Palais erscheint an einem der Fenster die Gestalt einer Frau, die einen Kerzenleuchter in der Hand hält. Nicolas spürt, dass sie ihren Blick auf ihn richtet. Im selben Augenblick erregt ein leises Hüsteln seine Aufmerksamkeit. Ein weiterer Diener Ruissecs schiebt ihm wortlos ein kleines, viereckiges Schreiben in die Hand. Darauf steht, in weiblicher Handschrift, geschrieben:

»Monsieur, finden Sie sich morgen um vier Uhr in der Kirche der Karmeliter in der Rue de Vaugirard ein, in der Kapelle der Heiligen Jungfrau. Eine Person wird dort auf Sie warten, die Sie um Rat zu bitten wünscht.«

Nicolas ist sich sicher, dass es sich bei der Verfasserin um die Dame mit dem Kerzenleuchter am Fenster handelt, um die Mutter des Toten, die Comtesse Ruissec.

Zum Autor

Jean-François Parot, 1946 geboren, studierte an der Sorbonne in Paris Geschichte und Ethnologie, absolvierte eine Ausbildung als Ägyptologe und spezialisierte sich auf das 18. Jahrhundert. Er verfasste eine Arbeit über die Strukturen dreier typischer Pariser Stadtviertel der Aufklärungsepoche. Seine Romanreihe um Commissaire Le Floch wurde nicht nur in Frankreich, sondern auch in vielen anderen Ländern ein großer Bestsellererfolg. Jean-François Parot, der lange Zeit als Botschafter gearbeitet hat, lebt heute als Schriftsteller in Guérande, Bretagne.

Lieferbare Titel

978-3-89667-573-6 – Commissaire Le Floch und das Geheimnis der Weißmäntel

Jean-François Parot

CommissaireLE

FLOCH

und der Brunnen der Toten

Roman

Aus dem Französischen von

Michael von Killisch-Horn

BLESSING

Originaltitel: L’homme au ventre de plomb

Originalverlag: Édition Lattès, Paris

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2000 Jean-François Parot und Editions Lattès, Paris

Copyright © 2018 der Übersetzung by Karl Blessing Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Geviert Grafik & Typografie, München

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-19160-3V001

www.blessing-verlag.de

Für Marcel Trémeau

Inhalt

Liste der Personen

I

Selbstmord

II

Auf verlorenem Posten

III

Der Brunnen der Toten

IV

Öffnungen

V

Commedia dell’arte

VI

Die beiden Häuser

VII

Grenelle

VIII

Auf Jagd mit Madame Adélaïde

IX

Unsicherheiten

X

Das Labyrinth

XI

Enthüllungen

XII

Truche de la Chaux

Danksagungen

Anmerkungen

Verzeichnis der im Roman auftretenden oder genannten historischen Persönlichkeiten

Glossar

Karte »Paris 1761«

Liste der Personen

NICOLAS LE FLOCH: Polizeikommissar im Châtelet

PIERRE BOURDEAU: Polizeiinspektor

MONSIEUR DE SAINT-FLORENTIN: Minister im Königshaus

MONSIEUR GABRIEL DE SARTINE: Polizeipräfekt

MONSIEUR DE LA BORDE: Erster Kammerdiener des Königs

AIMÉ DE NOBLECOURT: ehemaliger Staatsanwalt

VICOMTE LIONEL DE RUISSEC: Oberleutnant der Gardes françaises

COMTE DE RUISSEC: Graf, ehemaliger Brigadegeneral, Vater des Vicomte Lionel de Ruissec

COMTESSE DE RUISSEC: Mutter des Vicomte

VIDAME GILLES DE RUISSEC: Bruder des Vicomte

LAMBERT: Diener des Vicomte

PICARD: Majordomus des Hôtel de Ruissec

ARMANDE DE SAUVETÉ: Verlobte des Vicomte Lionel de Ruissec

ADÉLAÏDE: Marie Adélaïde de Bourbon, genannt Madame Adélaïde, Tochter des Königs Ludwig XV.

MADEMOISELLE BICHELIÈRE: Schauspielerin

TRUCHE DE LA CHAUX: Leibwächter in Versailles

PATER MOUILLARD: Jesuit, ehemaliger Lehrer von Nicolas in Vannes

JEAN-MARIE LE PEAUTRE: Brunnenmeister

JACQUES: Diener von le Peautre, taubstumm

GUILLAUME SEMACGUS: Marinewundarzt

CATHERINE GAUSS: Köchin von Monsieur de Noblecourt

PATER GRÉGOIRE: Apotheker der Unbeschuhten Karmeliter

CHARLES-HENRI SANSON: Henker und Mediziner

BARON MAXIMILIAN VAN EYCK: Gesandter des bayerischen Kurfürsten

LE PÈRE MARIE: Amtsdiener im Châtelet

PELVEN: Portier der Comédie-Italienne

RABOUINE: Spitzel

LA PAULET: Bordellbesitzerin

GASPARD: Bote (»blauer Junge«) in Versailles

MONSIEUR DE LA VERGNE: Sekretär der Marschälle von Frankreich

MONSIEUR KOEGLER: Juwelier

Namen, Orte und Begriffe, die bei der ersten Nennung im Text kursiv gesetzt sind, werden im Anhang (Verzeichnis der historischen Persönlichkeiten und Glossar) näher erläutert.

I

Selbstmord

Die Gesetze in Europa sind grimmig gegen diejenigen, die sich selbst töten: Man lässt sie sozusagen ein zweites Mal sterben; sie werden auf unwürdige Weise durch die Straßen geschleift; man überhäuft sie mit Schande; man konfisziert ihren Besitz.

MONTESQUIEU

Dienstag, den 27. Oktober 1761

Eine Flut von Wagen ergoss sich durch die Rue Saint-Honoré. Nicolas Le Floch bewegte sich vorsichtig auf dem rutschigen Pflaster vorwärts. Inmitten des Ratterns der Equipagen, der Schreie der Kutscher und des Wieherns der Pferde wäre eine Karosse, die mit großer Geschwindigkeit angeschossen kam, beinahe vor ihm umgekippt; ein Rad fiel ab, dessen Eisen Funkengarben sprühte. Mühevoll bahnte Nicolas sich einen Weg durch die vielen Diener, die in der Dunkelheit Fackeln schwenkten, um ihren Herren so gut wie möglich zu leuchten.

Wie lange, fragte sich Nicolas, würde man diese protzigen und gefährlichen Demonstrationen noch dulden? Das Wachs lief auf Kleider und Frisuren; Perücken und Haare konnten leicht Feuer fangen – es gab Beispiele genug für solch verhängnisvolle Vorfälle. Das gleiche Durcheinander würde auch auf den Stufen der Oper am Ende der Vorstellung herrschen, vermutlich weil die Mächtigen und Vornehmen es eilig hatten, nach Hause zu kommen.

Er hatte mit Monsieur de Sartine darüber gesprochen. Der Polizeipräfekt hatte ihm eine ironische Abfuhr erteilt. Das öffentliche Wohl und die Ordnung in der Hauptstadt lagen ihm so sehr am Herzen, dass er es sich weder mit dem Hof noch mit den Bürgern der Stadt verderben wollte. Und warum sollte er eine Festlichkeit reglementieren, an der er selbst gelegentlich teilnahm?

Der junge Mann bahnte sich einen Weg durch das Gedränge, das auf den Stufen der großen Treppe herrschte. In dem winzigen Foyer dieses Gebäudes, das einst für den Kardinal de Richelieu erbaut worden war und in dem Molière gespielt hatte, war es noch dichter.

Nicolas betrat diesen Tempel der Musik wie immer mit großer Freude. Alle kannten und begrüßten sich. Man erkundigte sich nach der Besetzung, sog die neuesten Klatschgeschichten über die Sänger und Sängerinnen ein. Und man besprach leidenschaftlich die Nachrichten und Gerüchte, die in unsicheren Kriegszeiten wie diesen aus dem Boden schossen.

An diesem Abend drehten sich die Gespräche um den Rat, den die Bischöfe von Frankreich dem König bezüglich der Gesellschaft Jesu geben sollten, um die labile Gesundheit von Madame de Pompadour und um die jüngsten Heldentaten der Generäle – insbesondere die des Prince de Caraman, dessen Dragoner im September die Preußen auf das andere Ufer der Weser zurückgedrängt hatten. Die Rede war auch von einem Sieg des Prince de Condé, aber die Nachricht war noch nicht bestätigt.

Die Opernbesucher mussten in ihrer blendenden Satinpracht durch den tiefen Morast staksen, der den Boden bedeckte. Der Kontrast zwischen dem Luxus der Kleider und dem Schlamm – eine Mischung aus Wachsresten, Erde und Kot – war grotesk.

Nicolas ekelte sich vor der Mischung der Ausdünstungen, die auf seine Nase einstürmten. Der beißende Gestank, der vom Boden aufstieg, vermengte sich mit den Gerüchen der Schminke, der minderwertigen Kerzen und den zuweilen durchdringenden Ausdünstungen von Gästen, die sich lange nicht mehr gewaschen hatten.

Einige Frauen, die jeden Augenblick in Ohnmacht zu fallen schienen, fächelten sich wild Luft zu oder atmeten belebende Düfte aus kleinen Fläschchen ein.

Nicolas gelang es, sich frei zu machen, indem er sich hinter den Gardes françaises vorbeischlich, die auf der Treppe Wache standen. Er war nicht zu seinem Vergnügen in der Oper, sondern dienstlich abkommandiert. Monsieur de Sartine hatte ihm befohlen, den Saal zu überwachen. Die heutige Vorstellung war kein gewöhnlicher Abend. Madame Adélaïde, die Tochter des Königs, und ihr Gefolge würden anwesend sein.

Seit dem Attentat von Damiens – der Ludwig XV. am 5. Januar 1757 mit einem Messer verwundet hatte, als der König seinen Wagen bestieg – schwebte eine unbestimmte Angst über der königlichen Familie. Der Polizeipräfekt wollte neben den Spitzeln, die sich im Parkett und in den Kulissen befanden, einen eifrigen Beamten vor Ort haben, dem er vollständig vertrauen konnte. Nicolas sollte alles hören und beobachten und dabei im Blickfeld seines Dienstherrn bleiben, der in seiner Loge saß. Als Commissaire im Châtelet konnte Nicolas Le Floch überdies jederzeit weitere Polizeibeamte anfordern und ihm notwendig erscheinende Sicherheitsmaßnahmen ergreifen.

Er postierte sich in der Nähe der Bühne und des Orchesters. Auf diese Weise hatte er den ganzen Saal im Blick und auch die Bühne, von der ebenfalls Gefahr drohen konnte. Nebenbei erlaubte ihm dieser Platz auch, die Qualität des Orchesters, die schauspielerischen Leistungen der Sänger und ihren Stimmumfang zu beurteilen; außerdem blieb ihm das Ungeziefer erspart, von dem es im Holz und im Samt der Sitze nur so wimmelte. Wie oft hatte er, sobald er nach Hause zurückgekehrt war, seine Kleider über einer großen Schüssel ausschütteln müssen, um sich von dieser springenden und stechenden Brut zu befreien …

Kaum hatte der junge Kommissar seinen Posten bezogen, als der Dochtanzünder langsam emporstieg, wie eine Spinne, die ihren Faden schluckt. Jetzt hatte er sein Ziel erreicht und kreiste über den Dochten der Kerzen des großen Kronleuchters, um sie einen nach dem anderen anzuzünden. Nicolas liebte diesen Augenblick, in dem der noch dunkle Saal, der vom Gemurmel der Gespräche summte, allmählich hell wurde. Gleichzeitig entzündete ein Faktotum das Rampenlicht. Vom Parkett bis zu den Rundbögen erstrahlten das Gold und das Purpur ebenso wie über der Bühne das Blau des französischen Wappens mit seinen Lilien. Staubkringel dämpften das Licht, das sanft über die Anzüge, die Kleider und den Schmuck glitt, ein stummer Prolog zu den Feerien der Vorstellung.

Nicolas musste aufpassen, dass er sich nicht in Träumereien verlor, und den Saal im Auge behalten, der sich in einem Crescendo von Geräuschen und Stimmen füllte. Zu seinen Aufgaben gehörte es festzustellen, wer anwesend war und wer nicht, und Unbekannte oder Ausländer ausfindig zu machen. Heute Abend waren alle Logen besetzt – durchaus keine Selbstverständlichkeit bei diesem eher blasierten Publikum. Sogar der Prince de Conti, der so häufig erst während der Vorstellung zu erscheinen geruhte, mit der majestätischen Gleichgültigkeit eines Prinzen von Geblüt, hatte bereits seinen Platz eingenommen und plauderte mit seinen Gästen. Im Augenblick war die königliche Loge noch leer, aber Lakaien trafen die letzten Vorbereitungen.

Nicolas versah diesen Dienst nur, wenn Mitglieder der königlichen Familie der Vorstellung beiwohnten. An den anderen Abenden wurden seine Kollegen mit dieser Aufgabe betraut. Die Polizei suchte vorrangig nach Männern, die im Verdacht standen, Spionage zu betreiben, im Auftrag von Höfen, die Krieg gegen Frankreich führten. Gegenwärtig überschwemmte vor allem England Paris mit gedungenen Abgesandten.

Er bekam einen leichten Klaps auf die Schulter. Nicolas drehte sich um und erkannte erfreut das offene Gesicht des Comte de La Borde, des ersten Kammerdieners des Königs, der einen prächtigen perlgrauen, mit Silberfäden besticken Anzug trug.

»Nicolas – heute ist ein doppelter Glückstag für mich, da ich meinen Freund wiedersehe!«

»Darf ich nach dem anderen Glück fragen, auf das Ihre Worte anspielen?«

»Ah, ah, der Schlaumeier. Das Glück, einer Oper von Rameau beizuwohnen, zählt das nicht für Sie?«

»Durchaus, aber ich treffe Sie hier weit weg von Ihrer Loge«, sagte Nicolas lächelnd.

»Ich liebe den Geruch der Bühne und ihre Nähe.«

»Ihre Nähe oder ihre Freizügigkeit?«

»Schön, ich gebe es zu. Ich bin hier, um ein zartes und anmutiges Opernmädchen aus der Nähe zu bewundern. Aber, Nicolas, ich muss Ihnen sagen, dass man Sie sehr diskret findet.«

»Dieses man ist selbst sehr diskret.«

»Spielen Sie nicht den Naiven! Seine Majestät hat sich mehrmals nach Ihnen erkundigt, ganz besonders während der letzten Jagd in Compiègne. Sie haben doch, hoffe ich, seine Einladung zur Hetzjagd nicht vergessen. Er vergisst niemals etwas. Zeigen Sie sich, zum Teufel! Er erinnert sich an Ihr Gesicht und hat mehrmals den Bericht über Ihre Untersuchung erwähnt. Sie haben eine mächtige Fürsprecherin in seiner Umgebung; die feine Dame hält Sie für seinen Schutzengel. Glauben Sie mir, nutzen Sie dieses so seltene Vertrauen und ziehen Sie sich nicht von Ihren Freunden zurück. Derart übertrieben, ist die Diskretion ein Verbrechen an sich selbst, das ebendiese Freunde Ihnen nicht verzeihen werden.«

Er zog eine kleine goldene Uhr aus der Tasche seines Anzugs und fuhr nach einem Blick darauf fort:

»Madame Adélaïde müsste jeden Augenblick eintreffen.«

»Ich dachte, unsere Prinzessin und ihre Schwester Victoire seien unzertrennlich«, sagte Nicolas. »Wenn ich meinen Quellen glaube, wird sie heute Abend allein der Vorstellung beiwohnen.«

»Sehr richtig bemerkt. Es hat Krach zwischen dem König und seiner zweiten Tochter gegeben. Er hat ihr ein Schmuckstück verweigert, und Madame Victoire war darüber so gekränkt, dass sie ihn wütend angefahren hat, einer Madame Pompadour hätte er eine solche Bitte nicht verweigert. Das, mein Lieber, sind die Hofgeheimnisse, aber Sie sind ja verschwiegen wie ein Grab … Trotzdem wird Madame Adélaïde nicht allein sein; sie wird begleitet von Comte und Comtesse de Ruissec, die ihre Anstandswauwaus sein werden. Alter Militäradel, streng ergeben und ungeheuer schwatzhaft. Sie gehören zugleich zur Entourage der Königin und der des Dauphin, das sagt alles. Obwohl der Comte …«

»So viel harsche Kritik in wenigen Worten!«

»Die Oper inspiriert mich, Nicolas. Ich vermute, dass unser Freund Sartine da sein wird?«

»Sie vermuten richtig.«

»Madame wird gut bewacht sein. Aber unter den Augen unserer Polizeipräfekten passiert nie etwas. Unsere Vorstellungen sind dermaßen ruhig. Nur die Kabalen und die Claqueure beleben sie ein wenig, und Les Paladins unseres Freundes Rameau dürften keinen Sturm auslösen. Die Ecke der Königin und die Ecke des Königs werden friedlich bleiben. Der Mercure berichtet, dass Rameau hier den italienischen und den französischen Stil sehr geschickt vermischt, auch wenn die Verbindung des Komischen mit dem Tragischen der Schicklichkeit immer heikel ist.«

»Keine Angst, es handelt sich um unschuldige Leidenschaften.«

»Mein Lieber, sind Sie jemals in London gewesen?«

»Nie, und in den Zeiten, in denen wir leben, fürchte ich, dazu auch nicht so bald die Gelegenheit zu bekommen.«

»Das kann man nie wissen. Aber um darauf zurückzukommen, als Franzose staunt man, wenn man ein Londoner Theater betritt: Es gibt keinerlei militärische Überwachung. Allerdings sind Tumulte und Schlägereien dort der Preis für die Freiheit.«

»Dann ist das ein Traumland für unsere Freunde, die Philosophen, die, wie sie behaupten, in unseren Sälen ›die schlechte Luft des Despotismus‹ atmen.«

»Ich kenne den Autor dieses Ausspruchs, den der König nicht sehr geschätzt hat«, sagte La Borde. »Diskreter Nicolas, Sie haben nicht einmal seinen Namen genannt. Aber ich bitte Sie, mir zu verzeihen: Ich werde unverzüglich Madame Adélaïde meine Aufwartung machen. In aller Eile, denn das Objekt meiner Begierde tritt im Prolog auf …«

Damit durchquerte er leichtfüßig das Parkett und verteilte ungeniert Grüße an die Schönen, die er kannte. Nicolas freute sich immer sehr, wenn er den Comte de La Borde wiedersah. Er erinnerte sich an ihre erste Begegnung bei dem Mittagessen, wo dieser ihm nachsichtig aus einer Verlegenheit geholfen hatte. Monsieur de Noblecourt, der alte Staatsanwalt, bei dem er logierte und der ihn als Sohn des Hauses betrachtete, hatte etliche Male betont, was für ein Privileg eine solch aufrichtige und, wie er hinzufügte, für ihn so nützliche Anhänglichkeit sei. Der junge Mann vergegenwärtigte sich erneut die Geschehnisse, die sich seit Beginn des Jahres ereignet hatten. Der Erste Kammerdiener blieb mit dem unglaublichen Ereignis seiner Begegnung mit dem König verbunden. Er kannte das Geheimnis seiner adligen Geburt; La Borde wusste, dass er nicht nur Nicolas Le Floch war, sondern auch der uneheliche Sohn des Marquis de Ranreuil. Dennoch war er sich sicher, dass diese Herkunft nicht der Grund für die spontane Sympathie war, die sie füreinander empfanden.

Ein Geräusch brachte ihn in die Realität zurück. Der ganze Saal hatte sich erhoben und applaudierte. Madame Adélaïde war soeben in der königlichen Loge erschienen. Blond und wohlgestalt, war sie eine auffallende Erscheinung. Alle waren sich einig, dass sie ihre Schwestern bei Weitem übertraf. Ihr Profil und ihre Augen erinnerten an die des Königs. Sie verneigte sich lächelnd in einem tiefen Hofknicks, der die Hochrufe noch verstärkte. Die Prinzessin war sehr beliebt; ihre Freundlichkeit und Umgänglichkeit waren allgemein bekannt. Sie schien die ihr gewidmete Aufmerksamkeit zu genießen, und grüßte noch eine Weile mit anmutigem Kopfnicken. Nicolas sah, wie Monsieur de Sartine seine Loge betrat, nachdem er die Tochter des Königs in die ihre begleitet hatte.

Der Vorhang hob sich für den Prolog. La Borde hatte sich beeilt, wieder zu Nicolas zu kommen. Ein Triumphchor ertönte, die Göttin der Monarchie erschien auf den Stufen eines antiken Tempels. Kleine Kinder hielten ihre lilienverzierte Schleppe. Eine geharnischte und behelmte Siegesgöttin stand auf einem von den Genien des Krieges gelenkten Streitwagen, der auf die Bühne fuhr; sie stieg von ihm herab, um die Göttin der Monarchie mit Lorbeer zu bekränzen. Der Chor jubelte:

Erweisen wir ihr die Ehren

Die ihrer Macht würdig sind

Und die Heldentaten

Des mächtigsten Königs krönen.

Gottheiten schwenkten Palmwedel. Monsieur de La Borde drückte Nicolas’ Arm.

»Sehen Sie die Blonde da, rechts … die zweite, die als Levitin auftritt. Sie ist es.«

Nicolas seufzte. Durch seinen Beruf kannte er das verhängnisvolle Schicksal dieser Opernmädchen. Sie begannen ihre Karriere in den Chören oder im Ballett, um, kaum waren sie der Kindheit entwachsen, der Sittenlosigkeit und der Macht des Geldes preisgegeben zu werden. Wenn sie nicht die schwierigen Anfangsphasen des ausschweifenden Lebenswandels hinter sich ließen und den privilegierten Status eines ausgehaltenen Mädchens erreichten, landeten sie, sobald die Vorzüge der frühen Jugend verblasst waren, unweigerlich im Elend und in schlimmster Lasterhaftigkeit. Hoffentlich würde sich dieses Mädchen mit ihrem reizenden Gesicht besser behaupten können – La Borde war, so glaubte Nicolas, kein schlechter Kerl.

Der Prolog breitete weiter seine herrlichen Gesänge aus. Eigentlich war diese Art der musikalischen Introduktion schon seit Jahren aus der Mode gekommen; Rameau hatte ihr selbst ein Ende bereitet und die unverbindlichen Vorspiele durch eine Ouvertüre ersetzt, die einen Bezug zum Stück hatte. Nicolas wunderte sich über diese musikalische Beweihräucherung der Monarchie und ihrer militärischen Erfolge, obwohl die Ereignisse, kurzfristige Siege und ungewisse Rückschläge, kaum Anlass zu Emphase und Freude gaben. Doch aus alter Gewohnheit spielte jeder mit. Das war keine schlechte Politik in den Augen derer, die im Dunkeln auf die Schwächen der öffentlichen Meinung lauerten. Der Vorhang senkte sich, und Monsieur de La Borde seufzte, seine Göttin war verschwunden.

»Sie tritt noch einmal im dritten Akt auf«, sagte er mit glänzenden Augen, »im Tanz der chinesischen Pagoden.«

Die Vorstellung ging weiter, und die Handlung der Paladins nahm ihren verschlungenen und konventionellen Verlauf. Nicolas, der immer sehr auf die Musik achtete, bemerkte die Einbindung von bereits im Zoroastre verwendeten Gesangsformen, den Raum, der den Accompagnato-Rezitativen eingeräumt wurde, und den deutlichen Bezug zur italienischen Oper durch den verstärkten Einsatz von Arietten. In Bann geschlagen von der Orchestrierung, achtete er kaum auf die Handlung: die perverse Liebe des alten Anselme zu seinem Mündel Argie, die ihrerseits in den Paladin Atis verliebt ist. Im ersten Akt erfüllten ihn die Tanzmelodien, deren Fröhlichkeit von den virtuosen Hornpartien noch verstärkt wurde, mit Freude.

Am Ende des zweiten Aktes bei der Schreckensarie Je meurs de peur bemerkte Nicolas, der mit einem Auge stets den Saal überwachte, dass es in der Königsloge unruhig wurde. Ein Mann hatte sie soeben betreten und flüsterte einem militärisch aussehenden älteren Herrn, der rechts hinter der Prinzessin saß und der Comte de Ruissec sein musste, etwas ins Ohr. Der alte Adlige beugte sich seinerseits zu einer betagten weißhaarigen Dame in einer Mantilla aus schwarzer Spitze. Sie schien sich aufzuregen, und Nicolas sah, wie ihr Kopf hin und her wackelte als Zeichen der Ablehnung. Aus der Ferne wirkte diese Szene stumm, doch die Tochter des Königs wurde ungeduldig und drehte sich um, um den Grund für diese Unruhe zu erfahren.

In diesem Augenblick fiel der Vorhang, und der zweite Akt war zu Ende. Nicolas sah, wie derselbe Mann die Loge von Monsieur de Sartine betrat und mit ihm sprach. Der Polizeipräfekt erhob sich, beugte sich in den Saal hinunter, um mit seinen Augen das Parkett abzusuchen, und als er Nicolas endlich gefunden hatte, gab er ihm ein unmissverständliches Zeichen, zu ihm zu kommen. In der königlichen Loge herrschte jetzt große Aufregung, und Madame Adélaïde tupfte Madame de Ruissecs Schläfen mit einem Taschentuch ab.

Der Commissaire verabschiedete sich von Monsieur de La Borde und eilte dann so schnell, wie das in dicht gedrängten Gruppen diskutierende Publikum es ihm erlaubte, zum Polizeipräfekten. Später sollte sich Nicolas noch öfter an diese Augenblicke erinnern. Und dann schien es ihm, dass an jenem Abend in der Oper alles in Gang gesetzt worden war wie eine ungeheure Maschinerie, die erst wieder anhielt, als das Schicksal befriedigt und mit Trümmern und Toten gesättigt war.

Monsieur de Sartine war nicht in seiner Loge. Er musste in diejenige der Prinzessin gegangen sein. Nachdem er mit Offizieren ihres Hauses verhandelt hatte, durfte auch Nicolas sie betreten. Madame Adélaïde sprach leise mit dem Polizeipräfekten. Ihr schönes, volles Gesicht war ganz rot vor Aufregung. Monsieur de Ruissec kniete vor seiner Frau, die halb ohnmächtig auf ihrem Stuhl saß, und fächelte ihr Luft zu. Ein schwarz gekleideter Mann, in dem Nicolas einen Polizisten des Châtelet erkannte, stand, an die Wand gedrückt, erstarrt da, zutiefst erschrocken über das, was er sah und hörte. Nicolas näherte sich und grüßte mit einer tiefen Verbeugung. Die Prinzessin erwiderte seinen Gruß überrascht mit einer leichten Kopfbewegung. Es bewegte ihn, dass er auf diesem jungen Gesicht den gleichen Ausdruck wie im Blick des Königs wiederfand. Monsieur de Sartine fuhr fort:

»Ihre Königliche Hoheit möge beruhigt sein, wir werden alles Nötige unternehmen, um den Grafen und die Gräfin nach Hause zu begleiten und zu versuchen, die Angelegenheit diskret zu regeln. Allerdings müssen erste Ermittlungen durchgeführt werden. Commissaire Le Floch, den Sie hier sehen, wird mich begleiten. Der König kennt ihn und hält große Stücke auf ihn.«

Der hoheitliche Blick richtete sich auf Nicolas, ohne ihn wirklich zu sehen.

»Wir verlassen uns darauf, dass Sie alles tun, um die Verzweiflung unserer armen Freunde zu lindern«, sagte Madame Adélaïde. »Und vor allem, Monsieur, kümmern Sie sich nicht um mich und tun Sie alles, was nötig ist. Die Offiziere unseres Hauses werden auf uns aufpassen, und im Übrigen lieben die Pariser uns, meine Schwestern und mich.«

Monsieur de Sartine verneigte sich, während die beiden alten Leute – die Gräfin wurde von einem krampfartigen Zittern geschüttelt – sich von der Prinzessin verabschiedeten. Alle gingen zu ihren Wagen. Man musste einen Augenblick warten, um die Kutscher zurückzuholen, die ein paar Schoppen trinken gegangen waren. Eine Hofkarosse fuhr los, die Ruissecs waren gemeinsam mit der Prinzessin aus Versailles gekommen. Ihnen folgte kurz darauf der Wagen von Monsieur de Sartine. Der helle Schein der knisternden Fackeln ließ die Schatten auf den Häusern der Rue Saint-Honoré tanzen.

Der Polizeipräfekt saß eine Weile stumm und gedankenverloren da. Ein Stau von Kutschen, die kunterbunt durcheinander stehen geblieben waren, zwang die Karosse anzuhalten. Nicolas nutzte die Gelegenheit, um eine Bemerkung zu wagen.

»Es wäre gut, Monsieur, irgendwann das Parken der Kutschen vor den Theatern zu regeln. Es wäre sogar sinnvoll, sie zu zwingen, einen einzigen Weg zu benutzen, was unsere Straßen entlasten und das Fahren erleichtern würde. Sorgen wir dazu noch für eine bessere Beleuchtung unserer Straßen, und die Sicherheit wäre deutlich erhöht.«

Die Bemerkung des jungen Mannes löste keinerlei Reaktion aus. Ein schnelles Trommeln der Finger des Polizeipräfekten auf der Fensterscheibe ließ sogar eine gewisse Verärgerung erkennen. Er wandte sich zu seinem Untergebenen.

»CommissaireLe Floch …«

Nicolas erstarrte. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass, wenn der Polizeipräfekt ihn mit seinem Titel ansprach, anstatt ihn wie gewöhnlich bei seinem Vornamen zu nennen, seine Laune nicht die beste war und Ärger drohte. Er verstärkte seine Aufmerksamkeit.

»Wir haben es hier, glaube ich, mit einem Fall zu tun, der besonders großes Takt- und Fingerspitzengefühl von uns verlangt«, fuhr Sartine fort. »Ich bin im Übrigen in der Falle der Versprechungen gefangen, die ich Madame Adélaïde gegeben habe. Hält sie diese Art von Vorgehen für leicht? Sie hat nicht die geringste Ahnung von der Welt und vom Leben. Sie folgt ganz ihrem guten Herzen. Was kümmern mich Gefühle und Mitleid? Sie antworten nicht?«

»Erst einmal, Monsieur, müssten Sie mich ein wenig ins Bild setzen.«

»Sachte, Nicolas. Es ist nicht in meinem Interesse, Sie ins Bild zu setzen. Ich weiß nur zu gut, wohin uns das führen würde. Ihre galoppierende Fantasie würde sich sofort austoben. Wir haben gesehen, was passiert, wenn ich Ihnen die Zügel lockere. Sie gehen durch und legen sich ins Zeug; man rennt in alle Richtungen und sammelt Leichen an jeder Straßenecke ein. O ja, mit viel Scharfsinn und mit Leib und Seele bei der Sache, aber wenn ich nicht da bin, um Sie auf den rechten Weg zurückzuführen … Ich will, dass Sie vollkommen unvorbelastet sind und Ihrem Bauchgefühl folgen. Man darf die Witterung der Jagdhunde nicht verwirren!«

Im Laufe von zwei Jahren Dienst unter seinem Kommando hatte Nicolas sich ein Urteil über diesen Mann bilden können, dessen Böswilligkeit mitunter ein ziemliches Ausmaß erreichte. Nur Monsieur de Saujac, der Parlamentspräsident, hätte ihm in dieser Hinsicht das Wasser reichen können. Daher ließ Nicolas sich kaum beeindrucken von Äußerungen, die auf andere verletzend gewirkt hätten. Er kannte sehr gut diesen leichten boshaften Schimmer, der plötzlich in den Augen seines Dienstherrn aufleuchtete, und die unbezähmbaren Zuckungen der Muskeln im rechten Mundwinkel. Entweder glaubte Monsieur de Sartine nicht an das, was er sagte, oder es war seine ganz eigene Art, seine Macht über seine Leute zu unterstreichen. Nur die Naivsten ließen sich davon täuschen, doch er behandelte alle auf die gleiche Weise. Inspektor Bourdeau, Nicolas’ Assistent, behauptete, das sei seine Art, an den Fäden der Marionetten zu ziehen, um ihren Gehorsam und ihre Zustimmung zu seinen Äußerungen, so ungeheuerlich sie auch sein mochten, zu prüfen. Noch überraschender war Sartines Hang, den Menschen in seiner Umgebung mit Gereiztheit und aufbrausendem Gepolter zu begegnen, obwohl ihm nachgesagt wurde, er sei sanft, verschwiegen und von korrekter Höflichkeit.

Monsieur de Sartines augenblickliche Haltung verbarg seine Verlegenheit und kaschierte seine Besorgnis. Was würden sie am Ende ihrer nächtlichen Fahrt durch Paris entdecken? Welchem Drama fuhren sie entgegen? Die Comtesse de Ruissec hatte einen dermaßen verzweifelten Eindruck gemacht …

Nicolas nahm sich vor, seinen Dienstherrn nicht zu enttäuschen und alles, was sie erwartete, aufmerksam in sich aufzunehmen. Monsieur de Sartine hatte sich erneut in ein missmutiges Schweigen zurückgezogen. Wie angestrengt er nachdachte, war an den Falten seines spitzen Gesichts zu erkennen, aus dem die Jugend für immer geflohen zu sein schien.

Sie hielten vor dem halbmondförmigen Portal eines kleinen Stadtpalais. Eine große, steinerne Treppe führte zu einem gepflasterten Hof. Monsieur de Ruissec vertraute seine verzweifelte Frau einer Kammerzofe an. Die Gräfin protestierte heftig und versuchte sich am Arm ihres Mannes festzuklammern; er machte sich energisch frei. Ein alter Diener leuchtete ihnen mit einer Fackel. Nicolas konnte sich keinen Eindruck von der Anordnung der Gebäude verschaffen, die in die Dunkelheit getaucht blieben. Er erkannte kaum die Flügel des Hauptgebäudes.

Sie stiegen die Stufen hinauf, die zu einem Vestibül mit Steinplatten führten und an dessen Ende sich eine Treppe befand. Der Comte de Ruissec taumelte und musste sich auf einen Sessel stützen. Nicolas betrachtete ihn genauer. Er war ein großer, hagerer Mann, leicht gebeugt, wenn auch sichtlich bemüht, sich gerade zu halten. Eine breite, durch die Aufregung gerötete Narbe zog sich über seine linke Schläfe, vermutlich die Erinnerung an einen Säbelhieb. Der zusammengekniffene Mund verriet, dass er sich auf die Innenseite der Lippen biss. Das Kreuz des Ordre de Saint-Michel, das an einer schwarzen Schnur hing, unterstrich noch die Nüchternheit eines strengen dunklen Anzugs, von dem sich als einziger Farbtupfer der Ordre de Saint-Louis auf einer feuerroten Schärpe abhob, die auf seiner linken Hüfte hing. Der Degen, den er an der Seite trug, war keine Paradewaffe, sondern eine solide Klinge aus gehärtetem Stahl. Nicolas erinnerte sich, dass der Graf Madame Adélaïde eskortierte und gegebenenfalls in der Lage sein musste, sie zu schützen. Monsieur de Ruissec richtete sich auf und machte ein paar Schritte. Vielleicht war es eine alte Verletzung oder Altersschmerz, jedenfalls hinkte er und versuchte dieses Gebrechen durch ein Anheben des ganzen Körpers zu verbergen, das ihn bei jeder Bewegung nach vorn schleuderte. Ungeduldig sah er seinen alten Diener an.

»Verlieren wir nicht noch mehr Zeit. Führe uns zum Zimmer meines Sohnes und gib mir unterwegs deinen Bericht.«

Die Kommandostimme war jung geblieben, fast aggressiv. Er setzte sich an die Spitze der kleinen Gruppe und stützte sich beim Gehen auf das Bronzegeländer. Mit pfeifendem Atem begann der Majordomus den Bericht über die Ereignisse des Abends.

»Herr Graf, gegen neun Uhr abends habe ich ein paar Scheite in Ihrer Wohnung nachgelegt und bin dann wieder hinuntergegangen. Ich habe in meinem Stundenbuch gelesen …«

Nicolas blieb nicht verborgen, dass Monsieur de Sartine die Augen ironisch zusammenkniff

»Der Herr Vicomte schien es sehr eilig zu haben, und sein Mantel war nass. Diesen wollte ich ihm abnehmen, aber er schob mich beiseite. Ich fragte ihn, ob er mich brauche, aber er schüttelte nur den Kopf. Ich hörte, wie er die Tür seines Zimmers zuschlug, dann nichts mehr.«

Außer Atem, machte er eine Pause.

»Diese verdammte Kugel, Entschuldigung, Herr General. Und dann war plötzlich ein Schuss zu hören.«

Der Polizeipräfekt unterbrach ihn mit einer Frage. »Ein Schuss! Sind Sie sicher?«

»Mein Majordomus war Soldat«, sagte der Graf. »Er hat in meinem Regiment gedient. Er weiß, wovon er spricht. Weiter, Picard.«

»Ich bin sofort zum Zimmer geeilt, aber die Tür war von innen verschlossen. Kein Geräusch, kein Schrei. Ich habe gerufen, erhielt jedoch keine Antwort.«

Nachdem sie im ersten Stock durch einen Flur gegangen waren, stand die Gruppe jetzt vor einer schweren Eichentür. Monsieur de Ruissec war plötzlich ganz krumm.

»Es war mir unmöglich, die Tür einzuschlagen«, fuhr Picard fort, »und selbst wenn ich eine Axt gehabt hätte, hätten mir die Kräfte gefehlt. Ich bin wieder hinuntergegangen und habe die Kammerzofe von Frau Gräfin zum nächsten Wachposten geschickt. Ein Polizist kam herbeigeeilt, aber trotz meiner inständigen Bitten wollte er nichts unternehmen in Abwesenheit eines Vorgesetzten. Daher habe ich Sie unverzüglich aus der Oper holen lassen.«

»Commissaire«, sagte Sartine, »besorgen Sie uns etwas, womit wir diese Tür öffnen oder einschlagen können.«

Nicolas suchte mit geschlossenen Augen sorgfältig in den Taschen seines Anzugs.

»Wir warten, Nicolas«, sagte sein Dienstherr ungeduldig.

»Hören ist gehorchen, Monsieur, und hier ist die Lösung. Es erübrigt sich, Werkzeuge zum Aufbrechen zu holen, dieser Gegenstand wird uns helfen.«

Er hielt ein kleines Metallstück in der Hand, das einem Taschenmesser ähnelte und, nachdem es geöffnet worden war, eine Auswahl von Dietrichen in verschiedenen Größen und Formen zeigte. Es war ein Geschenk von Inspektor Bourdeau, der, selbst im Besitz eines solchen Werkzeugs, eines von einem Banditen konfisziert und Nicolas geschenkt hatte.

Sartine blickte zur Decke. »Der Dietrich der Diebe kommt der Polizei zu Hilfe! Die Pläne des Herrn nehmen manchmal krumme Wege«, murmelte er.

Nicolas lächelte innerlich über diese Sprache eines Logenbruders, kniete nieder, und nachdem er sorgfältig den am besten geeigneten Dietrich ausgewählt hatte, steckte er ihn ins Schloss. Man hörte sofort, wie ein Schlüssel auf das Parkett des Zimmers fiel. Er musterte erneut seine Dietriche, wählte einen anderen und probierte geduldig mehrere aus. Nur das pfeifende Atmen des Grafen und seines Majordomus und das Knistern der Kerzen störten die Stille. Nach einer Weile war das Knirschen eines Schließmechanismus zu vernehmen, und Nicolas öffnete langsam die Tür. Der Comte de Ruissec wollte ins Zimmer stürzen, wurde aber von dem Polizeipräfekten in seinem Schwung gehemmt.

»Monsieur«, sagte der alte Mann empört, »das verbitte ich mir! Das hier ist mein Haus, und mein Sohn …«

»Herr Graf, ich bitte Sie dennoch, meine Beamten ihre Arbeit tun zu lassen. Ich verspreche Ihnen, sobald die ersten Untersuchungen beendet sind, werden Sie hineingehen können, und es wird nichts vor Ihnen verborgen.«

»Monsieur, haben Sie vergessen, was Sie Ihrer Königlichen Hoheit versprochen haben? Für wen halten Sie sich, dass Sie ihre Befehle missachten? Wer sind Sie, dass Sie sich mir widersetzen? Ein kleiner Beamter, der kaum aus dem Fass seiner Nichtadeligkeit gekrochen ist und dessen Name noch nach Fisch stinkt.«

»Ich kann nichts dulden, was gegen das Gesetz ist, und ich erhalte meine Befehle ausschließlich von Seiner Majestät«, erwiderte Sartine. »Ich habe mich verpflichtet, diese Angelegenheit diskret zu behandeln, das ist das einzige Versprechen, das ich gegeben habe. Was Ihre Worte betrifft, Monsieur le Comte, wären da nicht die Würde meines Amtes und die königlichen Verbote, würde ich Sie zum Duell fordern. Das Beste, was Sie tun können, ist, sich in Ihre Gemächer zurückzuziehen und zu warten, bis ich Sie rufe. Oder besser, ich werde Sie persönlich holen.«

Der alte Edelmann machte mit funkelnden Augen kehrt. Nicolas hatte Monsieur Sartine noch nie so blass gesehen. Bläuliche Ringe zeigten sich unter seinen Augen, und er zwirbelte wütend eine Locke seiner Perücke.

Nachdem er eine Kerze aus dem Leuchter genommen hatte, den Picard trug, betrat der junge Mann vorsichtig den Raum, gefolgt von Sartine. Nicolas sollte sich noch lange an seine ersten Eindrücke erinnern.

Zuerst sah er überhaupt nichts, spürte nur die Kälte, die in dem Zimmer herrschte, dann nahm er einen Geruch von Brackwasser wahr, in den sich, noch irritierender, derjenige des Schießpulvers mischte. Die flackernde Flamme erhellte schwach einen riesigen Raum, dessen Wände auf ganzer Höhe hell getäfelt waren. Während er weiter hineinging, sah er zu seiner Linken einen großen Kamin aus granatfarbenem Marmor mit einem Trumeau-Spiegel darüber. Rechts tauchte ein mit dunklem Damast bespannter Alkoven aus dem Dunkel auf. Ein Perserteppich und zwei Sessel verbargen halb einen Schreibtisch, der in der Ecke gegenüber der Tür stand. Auf ein paar Truhen da und dort lagen Waffen. Diese und die Unordnung im Raum bezeugten, dass hier ein junger Mann und Soldat wohnte.

Als er den Schreibtisch erreicht hatte, bemerkte Nicolas eine lang gestreckte Gestalt auf dem Boden. Ein Mann lag auf dem Rücken, mit den Füßen zum Fenster. Sein Kopf wirkte sehr klein, als würde er nicht zur Größe des Körpers passen. Eine große Kavalleriepistole befand sich neben ihm auf dem Boden. Monsieur de Sartine trat näher und wich rasch zurück. Selbst der Hartgesottenste wäre bei diesem Anblick zurückgeschreckt.

Nicolas, der nicht mit der Wimper gezuckt hatte, als er sich über die Leiche gebeugt hatte, wurde mit einem Mal bewusst, dass sein Dienstherr nur wenige Gelegenheiten gehabt hatte, mit den schrecklichen Formen des Todes in Kontakt zu kommen. Er packte ihn daher fest am Arm und zwang ihn, sich in einen der Sessel zu setzen. Monsieur de Sartine ließ sich wie ein Kind führen, ohne ein Wort zu sagen; er zog ein Taschentuch hervor, wischte sich über Stirn und Schläfen und nahm seine Perücke ab. Niedergeschlagen saß er da, das Kinn auf der Brust. Nicolas stellte amüsiert fest, dass seine Blässe sich ins Grünliche verfärbt hatte. Nachdem er auf diese Weise seinem Chef gegenüber gepunktet hatte – von Zeit zu Zeit gönnte er sich solch eine kleine Rache –, setzte er seine Untersuchung fort.

Was den Polizeipräfekten so entsetzt hatte, war das Gesicht des Toten. Seine Militärperücke war auf groteske Weise auf die Stirn geglitten. Sie betonte die bereits glasigen Augen, die weit aufgerissen waren, als hätten sie in die Hölle geschaut. Doch dort, wo der Betrachter einen Mund erwartete, der in einer natürlichen Bewegung des Schrecks oder des Schmerzes offen stand, gab es nur noch eingefallene Wangen und ein Kinn, das in einer geradezu grotesken Grimasse unter die Nase gerutscht war. Das Gesicht hatte sich so sehr verformt, dass es unweigerlich an das eines Greises erinnerte, der seine Zähne verloren hatte, oder an das verzerrte Antlitz einer monströsen Statue. Die Kugel schien den Ansatz des Halses aus nächster Nähe getroffen zu haben und hatte den Stoff des Hemdes und den Musselin der Krawatte verbrannt.

Nicolas kniete sich neben die Leiche, um die Wunde zu betrachten. Sie war schwarz, und die Öffnung der Haut, die nicht größer als die Kugel war, schien von der Oberhaut schon wieder geschlossen worden zu sein; nur ein wenig geronnenes Blut war zu sehen, stattdessen hatten sich vor allem Blutergüsse gebildet. Dass eine Kugel so wenig Blut verursachte, war sonderbar. Der junge Kommissar schrieb seine Beobachtungen in ein kleines Notizbuch. Er notierte die Lage des Körpers und fügte hinzu, dass das Opfer Zivilkleidung trug. Der Zustand und die Verkrampfung der geballten Hände überraschten ihn. Die eleganten Stiefel waren schlammig, und der ganze untere Teil des Körpers war bis zum Gürtel von widerlichem Wasser durchtränkt, als hätte der junge Mann einen Weiher oder einen Teich durchquert, bevor er nach Hause ging, um seinem Leben ein Ende zu bereiten.

Nicolas machte ein paar Schritte und untersuchte das Fenster. Die inneren Läden aus heller Eiche waren verriegelt. Als er sie öffnete, stellte er fest, dass das Fenster ebenfalls verschlossen war. Er versetzte alles wieder in den vorherigen Zustand, griff nach seiner Kerze und entzündete die Kerzen einer Bouillotte-Lampe, die auf dem Schreibtisch stand. Das Zimmer tauchte aus der Dunkelheit auf. Er hörte eine Stimme hinter sich und drehte sich um.

»Kann ich Ihnen behilflich sein, Monsieur?«

Die Zimmertür war offen geblieben, und auf der Schwelle stand ein noch junger Mann in Livree, aber ohne Perücke. Monsieur de Sartine hatte seine Anwesenheit nicht bemerkt, die Sessellehne verdeckte den Unbekannten fast vollständig. Seine Kleidung war auf den ersten Blick korrekt, doch Nicolas stellte überrascht fest, dass er keine Schuhe trug.

»Darf ich erfahren, was Sie hier tun? Ich bin Nicolas Le Floch, Commissaire im Châtelet.«

»Ich heiße Lambert und bin der Diener und das Faktotum des Vicomte de Ruissec.«

Der leicht provokante Ton ärgerte Nicolas. Und obwohl er es sich nicht eingestand, missfielen ihm an Lambert auch das strohblonde Haar und die verschiedenfarbigen Augen; als er vor zwei Jahren nach Paris gekommen war, hatte ihm gleich am ersten Tag ein Mann mit ungleichen Augen die Uhr gestohlen.

»Und was machen Sie hier?«

»Ich habe in meinem Bett im Wirtschaftsgebäude geschlafen. Als ich die Schreie der Frau Gräfin hörte, habe ich mich sofort angekleidet und bin hierhergeeilt. Ich bitte Sie um Entschuldigung«, sagte er und deutete mit dem Kinn auf seine nackten Füße. »In der Eile … der Wunsch, mich nützlich zu machen …«

»Warum sind Sie denn sofort genau hierhergekommen?«

»Im Vestibül bin ich dem alten Picard begegnet. Er hat mir erklärt, was geschehen ist, und dass er Angst um meinen Herrn hat.«

Nicolas versuchte alles, was Lambert von sich gab, zu speichern. Der spöttisch-ironische Tonfall in einem Gespräch mit einem Höhergestellten war für einen Mann dieses Standes zumindest ungewöhnlich. Dieser Lambert war nicht so harmlos, wie er auf den ersten Blick wirkte. Er behauptete, er habe sich in aller Eile angezogen, doch seine Kleidung war tadellos, sogar seine Krawatte war sorgfältig gebunden, und trotzdem hatte er vergessen, sich Schuhe anzuziehen. Nicolas würde den Weg, den er genommen hatte, überprüfen müssen und mit Picard die Richtigkeit seiner Behauptungen abgleichen. War es notwendig, hinauszugehen und den Hof zu durchqueren, um zu den Gemächern des Vicomte zu gelangen, oder gab es einen geheimen Weg, der es erlaubte, sich über Treppen und durch Flure in allen Gebäuden des Hôtel de Ruissec zu bewegen? Und schließlich machte Lambert keinen sehr aufgeregten Eindruck; möglicherweise hatte er den Leichnam nicht gesehen, der von den Sesseln und von Nicolas verdeckt wurde. Was Monsieur de Sartine betraf, so saß er seelenruhig und stumm da und betrachtete die Kaminplatte. Nicolas beschloss, frontal anzugreifen.

»Wissen Sie, dass Ihr Herr tot ist?«

Er war auf den Diener zugegangen, dessen pockennarbiges Gesicht sich in einer Grimasse verzerrte, die man ebenso gut als Ausdruck einer fatalistischen Feststellung wie eines plötzlichen Kummers hätte interpretieren können.

»Der arme Herr, dann hat er doch Wort gehalten!«

Da Nicolas nicht reagierte, fuhr er fort:

»Seit Tagen hatte ihn der Lebensüberdruss gepackt. Er aß nicht mehr und ging seinen Freunden aus dem Weg. Liebeskummer oder Spielschulden, wenn Sie meine Meinung hören wollen. Aber wer hätte geglaubt, dass er es so schnell wahr macht?«

»Er hat sein Wort gehalten, sagen Sie?«

»Sein Versprechen, wäre wohl zutreffender. Er sagte immer wieder, dass er im Guten oder Schlechten von sich reden machen würde. Er hat sogar vom Schafott gesprochen …«

»Und seit wann redete er so merkwürdiges Zeug?«

»Seit einem schlüpfrigen Abend in einem Amüsierbetrieb in Versailles mit seinen Kameraden vor zwanzig Tagen. Ich war dort, um sie zu bedienen und mich um die Flaschen zu kümmern. Was für ein Abend!«

»Kennen Sie die Namen dieser Kameraden?«

»Nicht von allen. Ich kenne eigentlich nur einen: Truche de la Chaux, einen Leibwächter des Schlosses. Er und der Vicomte waren enge Freunde, obwohl Truche dem Kleinadel angehört.«

Nicolas kannte diese so häufige Schwäche der Lakaien, die sich oft allzu bereitwillig die Vorurteile ihrer Herren zu eigen zu machen. Auf diese Weise pflanzte sich der Standesdünkel auf allen Ebenen der Gesellschaft fort, im Adel wie sogar in der Dienerschaft.

»Wann haben Sie Ihren Herrn zum letzten Mal gesehen?«

»Heute Abend!«

Als er diese Antwort hörte, schnellte der Polizeipräfekt von seinem Sessel hoch; Lambert wich zurück, überrascht von diesem bleichen Gespenst, das wie ein Teufel aus seiner Schachtel sprang, mit einer zerzausten Perücke auf dem Kopf, die gefährlich schief saß.

»Ach, Monsieur, würden Sie mir das bitte haarklein erzählen …«

Lambert fragte nicht, mit wem er es zu tun hatte, und erzählte seine Geschichte.

»Mein Herr hatte letzte Nacht Bereitschaftsdienst. An dem Abend wurde im Zirkel der Königin gespielt. Nach seinem Dienst hat der Vicomte de Ruissec sich bis zum Mittag ausgeruht. Anschließend wanderte er allein im Park des Schlosses umher und befahl mir, um vier Uhr mit einem Wagen im Vorhof zu sein. Er wollte, sagte er mir, in Paris schlafen. Wir sind ohne Zwischenfall gegen neun Uhr heute Abend angekommen. Er hat mir dann freigegeben, da er mich nicht mehr brauchte. Ich war müde und bin schlafen gegangen.«

»Und morgen früh sollten Sie zum Dienst antreten?«

»Natürlich. Um sieben Uhr hätte ich dem Vicomte heißes Wasser gebracht.«

»War schönes Wetter in Versailles?«, unterbrach Nicolas unter dem grimmigen Blick von Monsieur de Sartine, der sich diese Abschweifung nicht erklären konnte.

»Neblig und dunkel.«

»Hat es geregnet?«

Er blickte den Diener an.

»Ganz und gar nicht, Monsieur. Aber vielleicht hat diese Frage mit dem Zustand der Kleidung meines armen Herrn zu tun. Ich hatte mir erlaubt, ihm zu empfehlen, sich umzuziehen, bevor er Versailles verlässt. In seine traurigen Gedanken versunken, war er während seines Spaziergangs in eine kleine Entleerungsgrube des großen Kanals gerutscht. Das hatte er mir jedenfalls erklärt, als ich ihn auf den Zustand seiner Kleidung ansprach.«

Nicolas bemühte sich, sich nicht zu sehr von dem Misstrauen beeinflussen zu lassen, das der Diener ihm einflößte. Er ermahnte sich, dass man nicht vor schweren Fehlern gefeit ist, wenn man auf den ersten Eindruck hin urteilt. Die Worte von Inspektor Bourdeau fielen ihm wieder ein. In seiner Jugend hatte dieser sich gewöhnlich auf sein erstes Urteil verlassen. Er hatte versucht, sich das abzugewöhnen, doch mit zunehmendem Alter hatte die Erfahrung ihm den Wert dieses ersten Augenblicks bestätigt, in dem nur der Instinkt sich äußert, und er war zu den Gewohnheiten seiner Jugend zurückgekehrt, da sie ihm zuverlässiger die Wahrheit über einen Menschen lieferten.

Diese Rückbesinnung auf sich selbst und auf Bourdeau verstörte den Commissaire, und er beschloss, die Lösung dieses Problems auf später zu verschieben. Beim gegenwärtigen Stand der Dinge war es nicht gerechtfertigt, dass er sich in den Diener verbiss, da ja alles auf einen Selbstmord hinwies. Er musste nur die Umstände und die Gründe verstehen, die den unglücklichen jungen Mann zu diesem fatalen Akt getrieben hatten. Mit Monsieur de Sartines Einverständnis verabschiedete Nicolas daher Lambert, schärfte ihm aber ein, im Korridor zu bleiben; denn er wollte zunächst den Majordomus befragen. In diesem Augenblick tauchten Polizisten im Gang auf. Er trat hinaus und bat sie, das Ende seiner ersten Ermittlungen abzuwarten, und befahl ihnen, ein Auge auf Lambert zu haben und ihn mit niemandem sprechen zu lassen.

Als er ins Zimmer zurückkam, hatte Sartine sich wieder in den Sessel sinken lassen und schien in einen heftigen inneren Kampf verstrickt. Ohne ihn in seinem Nachdenken zu stören, näherte Nicolas sich erneut der Leiche.

Den Kerzenleuchter in der Hand, untersuchte er die Umgebung, wobei er mit dem Parkett begann. Er bemerkte einige frische Kratzer, die vielleicht von dem Kies herrührten, der sich in den Stiefelsohlen festgesetzt hatte.

Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Oberfläche des Schreibtischs. Unter der Bouillotte-Lampe, die mitten auf dem Maroquin stand, fand er ein Blatt Papier, auf dem er, mit eiliger Schrift in Großbuchstaben geschrieben, die Worte »PARDON, ADIEU« las. Links von diesem Blatt lag eine Feder neben einem Tintenfass. Die Position des Sessels hinter dem Schreibtisch deutete darauf hin, dass derjenige, der diese Nachricht geschrieben hatte, anschließend aufgestanden war, ihn zurückgeschoben hatte und nach rechts zur Wand gegangen war, vermutlich, um von vorn um den Schreibtisch herumzugehen, dort, wo jetzt der Leichnam lag.

Er betrachtete ihn erneut, die Hände vor allem, und versuchte vergeblich, dem Toten die Augen zu schließen. Als er sich das Zimmer genauer ansah, fiel ihm links von der Tür ein riesiger Schrank auf: Eine Tür stand einen Spalt offen. Er öffnete sie und steckte den Kopf hinein; es war eine dunkle Höhle, die ihn an die geschlossenen Betten seiner bretonischen Kindheit erinnerte. Ein starker Geruch nach Leder und Erde drang in seine Nase. Im unteren Teil befand sich eine Sammlung von Stiefeln, von denen manche schon lange keine Bürste mehr gesehen hatten. Er schloss die gewachste Schranktür wieder und zeichnete einen Plan des Appartements auf eine Seite seines Notizbuchs.

Als er das Zimmer weiter durchsuchte, bemerkte er einen Schnitt in der Zierleiste der Täfelung. Links vom Alkoven führte eine Tür in einen bis auf halbe Höhe mit Tanne getäfelten Waschraum mit angrenzender Garderobe. Der Boden war mit Kalkstein und schwarzem Marmor gefliest. Die Tapete an den Wänden zeigte exotische Vögel. Die Waschkammer bekam ihr Tageslicht durch ein Ochsenauge, dessen Verschluss er überprüfte. Er stand eine Weile nachdenklich vor dem Toilettentisch und dessen Becken aus dünner Fayence und bewunderte das Necessaire aus Perlmutt und Vermeil mit seinen Rasiermessern und Instrumenten, die sorgfältig auf einem weißen Leinenhandtuch angeordnet waren. Auch die Auswahl der Bürsten und Kämme war beeindruckend.

Als er in das große Zimmer zurückkehrte, ging Sartine dort auf und ab, wobei er es sorgfältig vermied, in die Nähe der Leiche zu kommen. Die Perücke saß jetzt gerade auf dem Kopf, und die hervorstehenden Wangenknochen hatten erneut Farbe bekommen.

»Mein lieber Nicolas«, sagte Sartine, »ich befinde mich in größter Verlegenheit. Sie sind wie ich überzeugt, dass dieser junge Mann Selbstmord begangen hat, nicht wahr?«

Nicolas hütete sich zu antworten, und da der Polizeipräfekt annahm, dass dieses Schweigen Zustimmung signalisierte, fuhr er in seiner Rede fort, nicht ohne einen Blick in den Trumeau-Spiegel geworfen zu haben, mit dem er sich vergewisserte, dass seine Perücke wieder korrekt saß.

»Sie wissen, was unter diesen Umständen geschieht. Man nimmt Selbstmord an, der erfahrene Commissaire kommt ohne Robe und nimmt ein Protokoll auf ohne jedes Aufsehen und Aufhebens. Anschließend verpflichtet der Beamte auf Bitten der trauernden Familie, aber auch, um die Form zu wahren, den Pfarrer der Gemeinde oder lässt ihn durch seinen Diözesan bitten, den Trauergottesdienst für den Verstorbenen abzuhalten und ihn still und heimlich zu beerdigen. Und Sie wissen auch …«

»Dass bis vor Kurzem den Leichen der Selbstmörder sozusagen der Prozess gemacht wurde. Man verurteilte sie dazu, auf einer großen Sprossenleiter, die von einem Karren gezogen wurde, durch die Straßen geschleift zu werden. Ich weiß das, Monsieur.«

»Sehr gut. Allerdings wurde die Leiche trotz dieser schrecklichen Zurschaustellung auf der Leiter auch noch gehängt, und sie durfte nicht in geweihter Erde begraben werden. Die Fortschritte des philosophischen Geistes und die wachsende Empfindsamkeit unserer Zeit ersparen dem Opfer und seiner Familie glücklicherweise inzwischen diese unerfreulichen und das Schamgefühl verletzenden Extreme. Nun, mit einem solchen Drama haben wir es hier zu tun. Der älteste Sohn einer adligen Familie, der eine glänzende Zukunft vor sich hatte, ist gestorben. Sein Vater steht dem Thron nahe oder, besser, gehört zur Entourage des Dauphin. Dummerweise – denn man spricht Mitgliedern der königlichen Familie gegenüber nicht vom Tod – ist der Selbstmord des Vicomte Madame Adélaïde mitgeteilt worden, die nichts Eiligeres zu tun hatte, als den inständigen Bitten des Comte de Ruissec nachzugeben. Sie hat mir, ohne allzu große Vorsicht walten zu lassen, Ratschläge erteilt, und ich habe so getan, als wären sie mir Befehl, obwohl sie im Übrigen gar nicht in der Position ist, mir solche zu erteilen. Dennoch darf ich ihre Wünsche nicht einfach ignorieren, sondern muss eine Familie, die sie unterstützt, rücksichtsvoll behandeln. Gleichwohl …«

»Gleichwohl, Monsieur?«

»Ich denke laut vor Ihnen, Nicolas. Gleichwohl …«

Sein Ton hatte wieder diese Wärme und Vertraulichkeit, die seine Gespräche mit Nicolas normalerweise auszeichneten.

»Gleichwohl bin ich auch im Namen des Königs beauftragt, Ordnung und Gesetz in Paris Geltung zu verschaffen, was nicht leicht ist. Eine zu große Strenge in der Anwendung der Regel kann zu Brüchen und Dramen führen. Die Klugheit würde verlangen, diesen Leichnam präsentabel zu machen, einen Priester und einen Sarg zu besorgen und das Gerücht zu verbreiten, der junge Mann habe sich beim Reinigen seiner Waffe tödlich verletzt. Die Messe würde gelesen, die Wünsche der Prinzessin wären erfüllt, die Eltern zu Tode betrübt, aber geschützt, und ich hätte problemlos alle zufriedengestellt. Darf ich so handeln? Was meinen Sie? Ich vertraue Ihrem Urteil, auch wenn die Fantasie manchmal mit Ihnen durchgeht.«

»Ich denke, Monsieur, diese Frage muss reiflich überlegt werden. Die Justiz verpflichtet uns, dem Ideal des Gesetzes zu dienen, und die Vorsicht rät uns zur Klugheit.«

Sartine billigte mit einem Kopfnicken diese wohlbedachte Einleitung.

»So wie sich dieser Fall darstellt«, fuhr Nicolas fort, »obliegt es mir, da Sie mir die Ehre erweisen, mich zu fragen, unser Dilemma zu benennen. Wir wissen, dass der Selbstmord ein Akt ist, der der göttlichen Moral zuwiderläuft, ein Unglück, dessen Schande auf eine ehrbare Familie zurückfällt. Der Leichnam, den wir hier vor uns haben, stammt nicht aus dem Volk, er ist kein Armer, den das Übermaß des Unglücks zu dieser Verzweiflungstat getrieben hat. Es handelt sich um einen ehrbaren, wohlerzogenen jungen Mann, der genau weiß, was seine Tat für seine Eltern und seine Familie bedeutet, und der, ohne weiter nachzudenken, das Schlimmste an sich selbst begeht, ohne seiner Familie die Möglichkeit zu geben, die Schande von sich abzuwenden. Finden Sie es nicht merkwürdig, dass er ihnen nicht geschrieben hat, wie viele es tun, um jede Schwierigkeit nach ihrem Tod zu vermeiden? Er hat nur das hier hinterlassen.«

Er nahm das Papier vom Schreibtisch und reichte es Sartine.

»Überdies, Monsieur, wäre es in diesem Fall recht schwierig, die Nachricht zu verschweigen. Das Gerücht verbreitet sich bereits in der Oper und in der Stadt; bald wird es den Hof erreichen. Die Prinzessin hat sicher darüber gesprochen, jeder wird ihre Worte wiederholen. Und ein Dutzend Personen wissen bereits Bescheid: Polizisten, Domestiken und Leute aus der Nachbarschaft. Niemand wird dieses Gerücht zum Verstummen bringen, und die Halbwahrheiten werden immer größer … Das wird ein gefundenes Fressen für die Kolporteure sein.«

Monsieur de Sartines Fuß klopfte im Takt auf das Parkett.

»Wohin führt uns diese schöne Rede, und wie werden diese Windungen uns aus diesem Labyrinth führen? Was schlagen Sie mir vor?«

»Ich denke, Monsieur, dass der Leichnam des Vicomte, ohne etwas zu verlautbaren und ohne die Hypothese eines Unfalls oder eines Anfalls von Wahnsinn auszuschließen, in die Basse-Geôle des Châtelets gebracht werden muss, um dort unter größter Geheimhaltung geöffnet und untersucht zu werden. Diese Entscheidung wird uns fürs Erste Zeit verschaffen.«

»Und in ein paar Tagen sind wir wieder am Anfang und haben einen Skandal, der durch tausend Märchen noch viel schlimmer geworden ist. Und ich will gar nicht von der Rolle sprechen, die Sie mir gewiss zugedacht haben, nämlich dem Comte de Ruissec mitzuteilen, dass ich den Leichnam seines Sohnes der medizinischen Fakultät übergeben werde. Ich bitte Sie, nennen Sie mir ein überzeugenderes Arrangement.«

»Ich glaube nicht, Monsieur, dass Sie die ganze Tragweite meines Vorschlags begriffen haben. Ich schlage die Öffnung des Leichnams des Vicomte de Ruissec vor, gerade um sein Andenken und die Ehre seiner Familie zu bewahren, denn meiner Meinung nach wird diese Untersuchung beweisen, dass er ermordet worden ist.«

II

Auf verlorenem Posten

Vielleicht willst du die Wahrheit nicht hören; aber wenn ich sie dir jetzt nicht sage, wird sie dir nichts nützen, wenn ich sie dir ein anderes Mal enthülle.

QUINTUS CURTIUS RUFUS

Auf diese ruhig vorgetragene Behauptung antwortete Monsieur de Sartine nicht sofort. Seine einzige Reaktion war ein zweifelnder Gesichtsausdruck, dem eine Art Grimasse folgte. Er atmete tief ein, faltete die Hände, und nachdem er sich geräuspert hatte, sagte er schließlich:

»Monsieur, der Ernst Ihrer Worte hätte mich in einen Abgrund der Ratlosigkeit stürzen können, und meine erste Reaktion, ich verhehle es Ihnen nicht, hätte sein müssen, Sie wieder Ihren normalen Dienst tun zu lassen. Aber ich habe mich erinnert, dass der Grund, warum ich Sie hier an meiner Seite habe, just Ihre Zuständigkeit für die außergewöhnlichen Fälle ist. Außerdem zieht Ihr Verdacht mir einen Dorn aus dem Fuß. Wie gewohnt werden Sie mir keine Erklärungen geben und sich diese Theatercoups vorbehalten, bei denen Ihre Laterna magica plötzlich eine Wahrheit enthüllt, die bis dahin nur Sie allein gekannt haben …«

»Monsieur …«

»Nein, nein, nein, ich will Ihnen nicht länger zuhören. Sie sind Commissaire und Richter, und diesen beiden Personen vertraue ich diesen Fall an. Ich überlasse den Casus Ihnen, er interessiert mich nicht! Und versuchen Sie nicht, mich in eine dieser verworrenen Beweisführungen zu verwickeln, mit denen Sie so glänzen, weil Sie glauben, viel zu wissen, und es zeigen wollen. Haben Sie recht, haben Sie unrecht? Das ist im Augenblick nicht wichtig. Ich werde Sie verlassen und nach Versailles eilen, um das Dringlichste zu erledigen. Ich werde Monsieur de Saint-Florentin verständigen, um meinen Einfluss zumindest durch schwache Dämme gegen die Stürme zu schützen, die der Comte de Ruissec ohne Zweifel entfachen wird. Aber wir verfügen über einen Trumpf in unserem Spiel. Madame Victoire hat unseren Minister jüngst als ›Tier‹ bezeichnet; wie immer am Hof wurde ihm das hinterbracht, und so sanft und schüchtern er auch wirken mag, er wird sich das Vergnügen nicht nehmen lassen, die Wünsche ihrer Schwester Adélaïde zu durchkreuzen und mit dem König entsprechend zu reden. Dieser hat volles Vertrauen in ihn und schätzt es gar nicht, wenn der normale Gang seiner Justiz behindert wird. Nein, nein, unterbrechen Sie mich nicht …«

Nicolas überhörte den Befehl des Polizeipräfekten.

»Sie werden Monsieur de Saint-Florentin nicht in Versailles antreffen.«

»Wieso, von wem reden Sie?«

»Vom Minister, Monsieur.«

»Sie haben also nicht nur eine klare Meinung, was diesen Selbstmord betrifft, Sie behaupten auch noch zu wissen, wo der Minister sich aufhält!«

»Ich bin Ihr Schüler, Monsieur, und Ihr demütiger Diener. Nichts, was in Paris geschieht, ist mir unbekannt; das Gegenteil wäre der Beweis, dass ich meine Pflichten vernachlässige, und dann könnten Sie mir Unwissenheit und mangelnden Eifer vorwerfen. Daher kann ich Ihnen sagen, dass Madame de Saint-Florentin heute Abend bei der Königin ist, deren bevorzugte Vertraute sie ist, wie Sie wissen. Was den Minister betrifft, er hat Versailles gegen drei Uhr verlassen, unter dem Vorwand, dass Madame Adélaïde in der Oper erscheint, um die schöne Aglaé wiederzusehen.«

»Die schöne Aglaé?«

»Marie-Madeleine de Cusacque, Gemahlin von Langeac, seine Geliebte. Zu dieser Stunde macht er ihr seine Aufwartung in ihrem Stadthaus in der Rue de Richelieu. Es ist also keineswegs nötig, Monsieur, nach Versailles zu eilen.«

Monsieur de Sartine musste lachen.

»Schön, das erspart mir eine durchwachte Nacht. Ich hoffe, dass der Minister mir mein Eindringen verzeihen und mir, umgeben von Anmut und Gelächter, aufmerksam zuhören wird. Und dass die Aussicht, den Prinzessinnen entgegenzutreten, ihn veranlassen wird, die beteiligten Parteien nicht allzu sehr zu schonen, wozu er manchmal neigt.«

Nicolas versuchte ein letztes Mal sein Glück.

»Sie möchten nicht erfahren, was …«

»Je weniger ich weiß, desto besser ist das im Augenblick. Es würde meine Fähigkeit beeinträchtigen, einen Fall vorzutragen, zu dem mir der Bezug fehlt. Ich muss nüchtern sein, beiläufig beunruhigt über ein Drama, bei dem alles darauf hindeutet, dass es sich um einen Selbstmord handelt. Wenn es etwas anderes ist … Oh, freuen Sie sich nicht zu früh, ich glaube nicht an Mord … Ich übergebe Ihnen die Ermittlungen, und richten Sie Monsieur de Ruissec aus, dass ich sein Haus in aller Eile verlassen musste, weil ich an den Hof gerufen wurde, und dass ich mich auf Sie verlasse. Ach, erzählen Sie ihm, was Sie wollen! Ich schicke Ihnen Inspektor Bourdeau. Sie werden mir morgen Bericht erstatten. Arbeiten Sie genau! Keine Hirngespinste, keine Fantasie, methodisches Vorgehen. Habe ich mich deutlich ausgedrückt? Machen Sie es wie die Papageien: Lassen Sie nicht unvorsichtig eine Stange los, bevor Sie nicht nach einer anderen gegriffen haben. Zögern Sie nicht, Minen zu legen, aber lösen Sie keine Explosion aus ohne meinen ausdrücklichen Befehl.«

»Und wenn der Graf sich dem Abtransport der Leiche widersetzt?«

»Sie sind Richter. Befehlen Sie, stellen Sie Papiere aus, üben Sie Zwang aus. Ich grüße Sie, Monsieur.«