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Ein Diplom-Informatiker auf Abwegen wird besonders gründlich ins Jenseits befördert. War hier ein hasserfüllter Einzeltäter am Werk oder haben tatsächlich fünf verschiedene Personen in derselben Nacht Ludwig Handtke nach dem Leben getrachtet? Ebenso rätselhaft ist der Mordanschlag auf die Fußballspielerin Sandra Meisner. Warum ist gerade eine 16-Jährige im Visier eines professionellen Mörders? Kaum laufen die ersten Ermittlungen an, wird auch schon von höherer Stelle eingegriffen. Doch das Team um Martin Behringer lässt sich nicht so leicht stoppen. Und so ist wieder strategisches Geschick gefragt, das Spezialgebiet der ansonsten nicht sehr selbstbewussten Irene Meier. Aber halten sich die Verbrecher an die vorbereitete Inszenierung? Doch nicht nur die rätselhaften Fälle machen Irene und Martin zu schaffen: Die Geheimniskrämerei um ihre Liebesbeziehung nervt, aber die anzüglichen Kommentare der Kollegen könnten auch ganz schön lästig werden. Diese Alltagsprobleme sind jedoch schnell vergessen, sobald wieder einmal lebensgefährliche Situationen ihr gemeinsames Glück bedrohen.
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Veröffentlichungsjahr: 2018
Inhaltsverzeichnis
Das Team
Montag, 07.01.
Dienstag, 08.01.
Mittwoch, 09.01.
Donnerstag, 10.01.
Freitag, 11.01.
Samstag, 12.01.
Sonntag, 13.01.
Montag, 14.01.
Dienstag, 15.01.
Mittwoch, 16.01.
Donnerstag, 17.01.
Freitag, 18.01.
Samstag, 19.01.
Sonntag, 20.01.
Montag, 21.01.
Dienstag, 22.01.
Mittwoch, 23.01.
Donnerstag, 24.01.
Freitag, 25.01.
Samstag, 26.01.
Montag, 28.01.
Anmerkung
Impressum
Irene Meier, frisch von Passau zur Mordkommission nach München versetzt, findet sich in einem sonderbaren Team wieder. Martin Behringer, ihr neuer Chef, hat die höchste Aufklärungsquote. Aber wodurch? Seine jüngeren Mitarbeiter Hans Baumann und Stefan Burghoff beteiligen sich überhaupt nicht an den Mordermittlungen, und er akzeptiert dies einfach. Gerade diese beiden nerven Irene auch noch mit ihrer primitiven Anmache. Freddie Obermeier ein übergewichtiger Mittfünfziger lässt keine Gelegenheit aus, sich über seinen Chef lustig zu machen. Er ermittelt immerhin, aber mit Methoden aus dem letzten Jahrtausend. Er liest nicht mal E-Mails. Werner Mohr nutzt sein umfangreiches Netzwerk zu anderen Abteilungen, um den Dienstweg deutlich abzukürzen. Durch Freddie kehrt er dem vertrauten Innendienst den Rücken und ermittelt an dessen Seite. Je mehr Irene versucht ihren Platz im Team einzunehmen, desto mehr erkennt sie, wie sehr sie sich auch zu ihrem Chef hingezogen fühlt. Wäre da nur nicht die alte Angst, wieder enttäuscht zu werden. Und gerade jetzt erfährt sie Martins Erfolgsgeheimnis: Er lügt wie gedruckt, um seine Mordfälle aufzuklären. Aber auch Martin befindet sich in einer Zwickmühle: Irene ist die Bereicherung für sein Team, die er sich schon lange gewünscht hat und zugleich bringt sie ihn völlig aus der Fassung. Als die beiden schließlich zueinander finden, beschließen sie ihre Beziehung vor den Kollegen geheim zu halten.
„Ich kann dir den Fall nicht zuteilen! Du hast das Formblatt 163/3 nicht richtig ausgefüllt.“ „Aber ich überführe den Mörder! Ganz bestimmt!“ „Niemals! Wer zu dumm ist 163/3 auszufüllen, findet auch keinen Mörder!“
Die Stimme von Herbert Reiser verhallte langsam wie in weiter Ferne. Martin öffnete erschrocken die Augen und starrte im Dunkeln an die Zimmerdecke. Schon wieder derselbe Traum, dachte er ärgerlich. Jedes Mal nach einem längeren Urlaub träume ich diesen Quatsch. Aber ab jetzt ist alles anders. Meine Irene ist bei mir! Sie findet ganz sicher einen Trick, wie wir 163/3 ausfüllen. Er drehte sich zur Seite, lauschte Irenes ruhigen Atemzügen. Auch wenn er ihr Gesicht nur schemenhaft erkennen konnte, so hatte er doch ein deutliches Bild vor Augen: ihre auch im Schlaf leicht angespannte Stirn, ihre Stupsnase, die weich geschwungenen Lippen sowie die braunen Locken, die ihr Gesicht umschmeicheln. Eine leise Wehmut beschlich ihn. Ihr erster gemeinsamer Urlaub war nun zu Ende. Zwei herrliche Wochen, die sie noch mehr zusammengeschweißt hatten. Ganz vorsichtig streckte er seinen Arm aus, um Irene sanft zu berühren. Genau in diesem Moment schrillte der Wecker. Wie ein Kind, das man gerade beim Naschen ertappt, zog Martin blitzschnell seine Hand zurück.
Mit sicherem Griff brachte Irene den Störenfried zum Schweigen. Dann räkelte sie sich, gähnte und öffnete schließlich die Augen. „Ach nein, es ist ja noch so dunkel!“ Sie tastete suchend nach Martin. Er ergriff ihre Hand, führte sie zum Mund und küsste sie. Leise sagte er: „Guten Morgen, mein Schatz.“ Nach einer Weile fügte er hinzu: „Die Arbeit ruft, leider.“ „Ich will aber noch nicht aufstehen“, entgegnete Irene fast trotzig. Sie schmiegte sich an ihn, strich zärtlich über seine Brust. „Wenn du so weiter machst, kommen wir zu spät.“ „Es ist noch viel zu früh, unseren Urlaub zu beenden“, kam es schnurrend von Irene zurück.
Eine halbe Stunde später standen sie gemeinsam unter der Dusche, um Zeit zu sparen. Während Martin Irenes Rücken mit Duschgel einschäumte, meinte sie seufzend: „Warum müssen wir in der Arbeit immer noch so tun, als wären wir nur ein Ermittlungsteam? … War das schön im Urlaub ohne diese Geheimniskrämerei! Wir konnten einfach machen, was wir wollten!“ Um das Gesagte zu verdeutlichen, gab sie Martin einen Klaps, lachte schelmisch und seufzte dann erneut: „Aber so wie ich unsere lieben Kollegen einschätze, haben wir ein ruhigeres Leben, wenn wir weitermachen wie bisher und unsere Beziehung geheim bleibt.“ Martin nickte betrübt. Wie zum Trost fuhr sie in heiterem Ton fort: „Dann werden wir uns neun Stunden lang im Büro scharf machen. Und danach fahren wir ganz schnell nach Hause.“
Doch erst einmal lenkte Irene den Wagen konzentriert durch die stark befahrenen Straßen, kämpfte aber immer noch mit ihrer Müdigkeit. Vor dem Kommissariat parkte sie extra schräg ein, wie Martin es meist getan hatte, als er noch am Steuer saß. Beide schritten eng umschlungen auf den Eingang zu, weil dieser Bereich von den Bürofenstern her nicht einsehbar war. Vor der massiven Stahltür umarmten sie sich, als wäre dies das letzte Mal vor einem längeren Abschied. Schweren Herzens ließen sie sich schließlich los. Martin stemmte die Tür auf und hielt sie geöffnet, bis Irene vor ihm eintrat.
Werner Mohr saß schon am Schreibtisch und schaute Martin irritiert entgegen. „Was? … Ach so, Irene kommt auch gerade. Ich dachte schon, du trainierst deine Muskeln … Na dann: Gutes neues Jahr! Und wie war der Urlaub?“ Irene antwortete zuerst: „Kurz. Aber auch sehr schön. Dir auch ein gutes neues Jahr!“ Demonstrativ schaute Martin ins grelle Neonlicht und sagte dann zu Werner: „Ich hatte beinahe vergessen, wie hell es hier schon am frühen Morgen ist. Ich gestehe, ich war in den letzten Wochen viel zu faul … Dir auch ein gutes neues Jahr! Und was war hier los? Gab es an Weihnachten Mord und Totschlag oder war Friede auf Erden?“ „Weder noch. Es gab schon ein paar Streitereien, die auf unchristliche Art und Weise entschieden wurden. Aber bei uns sind keine Strafanzeigen eingegangen und so mussten wohl nur die Notärzte aktiv werden.“ „Ein wunderbares neues Jahr!“ schallte es plötzlich gut gelaunt durch das Büro. Mit ungewohnt kräftigen Schritten betrat Freddie das Büro und hängte voller Elan seine Trachtenjacke über einen Bügel. Martin folgte gebannt jeder seiner Bewegungen. Noch immer bass erstaunt, wie Freddie es geschafft hat, in nur zwei Wochen seine Behäbigkeit abzulegen, fragte er ihn: „Was ist denn mit dir los?“ „Weil ich ja jetzt viel mit Werner unterwegs bin, möchte ich auch wieder in Form kommen. Elisabeth unterstützt mich dabei. Wir gehen viel zu Fuß. Der Nymphenburger Schlosspark ist ja bei uns in der Nähe.“ Irene und Martin tauschten erschrockene Blicke aus. Beide hätten niemals damit gerechnet, bei ihren romantischen Spaziergängen dort auf Freddie zu treffen. Besorgt prüfte Irene Freddies Gesichtsausdruck. Doch der erzählte unbeirrt mit geschwellter Brust weiter: „Elisabeth und ich waren im Urlaub ganz eisern. Jeden Vormittag von 8 bis 11 Uhr sind wir in einem ordentlichen Tempo durch den Park gehetzt. Seit meiner Bundeswehrzeit bin ich nicht mehr so viel marschiert.“ Irene und Martin atmeten erleichtert auf. Um diese Zeit saßen sie üblicherweise noch beim Frühstück. Daraufhin meinte Werner: „Dann hätten wir uns ja gestern fast getroffen. Am Nachmittag wollte Marion unbedingt auch dort spazieren gehen. Das Seltsame war: Ich hab da ein Paar gesehen, das so aussah wie … wie Irene und Martin.“ Werner schüttelte ungläubig den Kopf. „Marion hat mir gleich vorgehalten, dass ich nicht mal an den Feiertagen die Arbeit loslassen kann.“ Freddie lachte schallend. „Da habe ich mir ja ein tolles Vorbild ausgesucht. Hoffentlich bekomme ich nicht auch noch Halluzinationen.“ Irene glaubte nicht richtig zu hören. Was sollte denn an ihrer Beziehung eine Halluzination sein? Sie schaute Martin grimmig an. Der war nun wild entschlossen, den beiden Kollegen auf die Sprünge zu helfen. Er setzte gerade zu sprechen an, als just in diesem Moment sein Telefon klingelte. Martin stutzte, blieb zunächst unentschieden stehen, aber beim nächsten Klingeln lief er dann doch in sein Büro und hob den Hörer ab. Da er die Nummer kannte, stellte er auch gleich den Lautsprecher an.
Herbert Reiser von der Einsatzzentrale meldete sich. „Das Jahr fängt ja gut für euch an! Ein Mord. Dann wird euch wenigstens nicht langweilig. Ich hab euch schon die Adresse übermittelt. Ihr sollt bei Orient-Discount läuten.“ „Ähm? … Um was geht es denn überhaupt?“, fragte Martin überrascht, in Gedanken immer noch woanders. „Hab ich das noch nicht erwähnt? Der Tote liegt wohl schon seit gestern in einem Büro im Euro-Industriepark. Die Firma heißt Isar Software AG. Die Spurensicherung ist schon dort.“ „Aber was hat das mit Orient-Discount zu tun?“ „Weiß ich auch nicht. Ihr werdet das schon herausfinden.“ Wie es seine Art war, hatte Herbert Reiser bereits aufgelegt.
Martin erkannte sofort die Chance: Der Tag war gerettet! Im Nachbarbüro verkündete er fröhlich: „Irene und ich fahren hin! Und danach machen wir einen Spaziergang im Nymphenburger Schlosspark. Dann hat Werner mal recht.“ Irene grinste breit und war sofort an Martins Seite. Noch bevor die Tür zuschlug, hörten sie Freddie, der ihnen feixend nachrief: „Hoffentlich sieht euch Irenes Freund nicht! Ich kann mir vorstellen, dass der sogar auf dich eifersüchtig wäre.“ Irene blieb einen Moment wie angewurzelt stehen. Sie ballte die Fäuste. Dann aber eilte sie hinter Martin her. Auf dem Weg zu seinem Auto redete sie die ganze Zeit aufgebracht auf ihn ein: „Hast du das gehört? Sogar auf dich! Was fällt dem ein! Der traut dir ja wirklich gar nichts zu. Ich will und kann das nicht länger ertragen. Gleich gehe ich noch mal zurück und erzähl ihm, dass du mein Freund bist und wie schön die Nächte mit dir sind … Ach nein, das dauert viel zu lange. Dann fahren wir eben doch erst zum Tatort … Sich so über dich lustig zu machen! Der hat es gerade nötig!“ „Soll ich mich lieber ans Steuer setzen?“, bot Martin an, obwohl ihm die Vorstellung ganz und gar nicht behagte. Irene war nun mal die bessere Autofahrerin. „Nein, nicht nötig. Es geht schon wieder.“ Doch als Irene die Tür mit voller Wucht zuschlug und den Sicherheitsgurt wie einen Expander über den Körper spannte, war er sich nicht mehr so sicher. Irene passierte etwas zu flott die Ausfahrt, bremste dann scharf ab und reihte sich schließlich in den fließenden Verkehr ein.
Während sie den Wagen in gemächlichem Tempo durch die Prachtstraße Ludwigs I. schnurgerade nach Norden lenkte, ließ Martin seinen Blick über die breit angelegten, historischen Häuserfronten schweifen, die durch die beiden schlanken Türme der Ludwigskirche aufs Schönste aufgelockert wurden. Es war ein herrlicher Wintertag. Die tiefstehende Sonne tauchte die herrschaftlichen Gebäude in ein ganz besonderes Licht. München ist wirklich eine Reise wert!, kam es Martin spontan in den Sinn. Fährt Irene deswegen so langsam? Nein, sie fixiert ja geradezu die Straße. Hat die Bemerkung von Freddie sie so sehr getroffen? Eigentlich hätte ich Grund, auf ihn sauer sein. Aber ich bin es nicht, weil ich auf diese Weise erfahren habe, dass ihr unsere gemeinsamen Nächte gefallen. An der nächsten roten Ampel legte er die Hand auf Irenes Arm. Sie lächelte gezwungen. „Ich bin immer noch wütend auf Freddie. Deshalb achte ich heute besonders auf den Verkehr. Ich möchte nicht, dass ich einen Unfall baue. Du hast ja keine Ahnung, wie oft Freddie noch sehnsüchtig zur Strichliste am Schwarzen Brett schaut. Aber seit ich das Steuer übernommen habe, ist nicht ein Strich dazugekommen. Dabei würde er dich so gerne wieder wegen einem Blechschaden in die Mangel nehmen. Aber diese Freude gönne ich ihm nicht. Und heute schon gar nicht.“ „Du bist einzigartig. Wenn ich wütend wäre, würde ich nicht an so was denken.“ Irene wurde verlegen und schaute wieder nach vorn. Bei Grün fuhr sie mustergültig los.
Nach zehn Minuten ertönte aus dem Navi: „Bitte links abbiegen.“ Irene fuhr in den Innenhof eines verschachtelten Gebäudekomplexes. In Front des Parkplatzes stand ein schmuckloser Flachbau, der tatsächlich wie ein Teppichlager wirkte. Sie steuerte den Wagen direkt darauf zu. Wie zur Bestätigung, dass es sich um die richtige Adresse handelte, öffnete sich die Eingangstür und heraus trat das Team der Spurensicherung. Einer nach dem anderen öffnete den Reißverschluss seines weißen Schutzanzuges und steifte die Kapuze ab. Kurz bevor Irene und Martin die Tür erreichten, wurden sie mit einem freudigen „Hallo“ begrüßt. „Wir sind schon durch. Wird Zeit dass ihr kommt, die Maden sind längst da.“ In diesem Moment bewegte sich ein schlanker Mann im anthrazitfarbenen Maßanzug mit Weste langsam auf sie zu. Irene musterte ihn: Ungefähr so groß wie ich, etwas älter als Martin. Aber was hat der denn für eine merkwürdige Haltung? Sieht aus, als würde er eine zentnerschwere Last tragen. Ob ihn der Mord so mitgenommen hat? Als der Mann ihnen gegenüber stand, streckte er zuerst Irene die Hand entgegen: „Peter Sommerfeld. Hier ist meine Karte.“ „Meier. Sehr erfreut.“ Irene biss sich auf die Lippen. Er wiederholte dieselbe Geste bei Martin. „Martin Behringer … Haben Sie den Toten entdeckt?“ „Ich? Nein. Ich bin … die Firma gehört mir …“ Er fügte ein nachdenkliches „irgendwie“ hinzu. „Wer hat den Toten gefunden?“ „Michael dr… Michael Wohlmuth. Wollen Sie mit ihm sprechen? Er hat aber bereits Ihren Kollegen alles erzählt.“ „Wo wurde der Tote gefunden?“ „Folgen Sie mir bitte!“ Beide lasen im Gehen die Visitenkarten in ihren Händen:Isar Software AG Maßgeschneiderte Software-Lösungen Dr. Peter Sommerfeld, Geschäftsführer
Sie warfen sich einen Blick zu und zuckten mit den Schultern. Irritiert über das Schneckentempo, mit dem sie vorankamen, forschte Martin nach dem Grund: Was hat der denn für einen seltsamen Gang? Als ob er gleichzeitig läuft und dahinschleicht. Er ist doch kaum älter als ich … Unterschlägt einfach seinen Doktortitel. Sonderbarer Typ.
Dr. Sommerfeld blickte ziellos in den Raum, fast so, als wäre er zum ersten Mal hier. Irene und Martin nahmen zunächst die angestaute Wärme wahr, bevor auch sie sich umschauten. Im ehemaligen Teppichlager war ein modernes Großraumbüro eingerichtet. Die Schreibtische, die kreuz und quer im Raum herum standen, waren so gut wie alle besetzt. Hinter großen LCD-Monitoren saßen fast nur Männer, die fleißig auf ihren Tastaturen herum hackten. Auf den ersten Blick wirkte alles wie an einem normalen Arbeitstag. Was jedoch nicht in dieses Bild passte, war der gekrümmte Körper eines Mannes auf dem blutgetränkten Teppichboden. Mit einem flauen Gefühl im Magen näherte sich Irene der Leiche. Obwohl seit neun Jahren bei der Polizei war dies das erste Mordopfer, mit dem sie unmittelbar konfrontiert wurde. Was würde Martin wohl sagen, wenn ich in Ohnmacht falle?, ging es ihr durch den Kopf. Noch mal tief durchatmen … Ich muss mich ablenken, ich werde möglichst nüchtern die Fakten einordnen. Nüchtern? Warum hab ich beim Frühstück nur so zugelangt! Na ja, die Spurensicherung ist schon weg, wenn ich mich übergeben muss, vernichte ich zum Glück kein Beweismaterial. Irene nahm nun all ihren Mut zusammen und machte einen beherzten Schritt auf den Toten zu. Das eingetrocknete Blut auf dem dunklen, ausgewaschenen T-Shirt streifte sie nur mit einem kurzen Blick, um sich dann anderen Auffälligkeiten zuzuwenden: Lange Haare und ein ungepflegter Vollbart. Dazu noch alte Sandalen. Und die Löcher in seiner Jeans stammen ganz sicher nicht vom Designer.
„Ist das der Hausmeister? Oder der Nachtwächter?“, wollte Martin nun wissen. Dr. Sommerfeld antwortete kopfschüttelnd: „Ach so. Nein, das ist Ludwig Handtke, er ist Diplom-Informatiker.“
Martin blickte von der Leiche zu Dr. Sommerfeld auf und meinte: „Ist schon ein ziemlicher Kontrast zu Ihrer Kleidung. Was hat er denn am Feiertag in der Firma gemacht?“ „Wissen Sie, meine Software-Entwickler können arbeiten, wann immer sie wollen. Er hat am Wochenende meist ganz normal gearbeitet, und ganz normal war für ihn von 19 Uhr bis um 4 Uhr morgens. Ein paar Kollegen haben sich zwar manchmal darüber beschwert, dass sie ihn nur selten zu Gesicht bekommen, aber den meisten genügte das vollkommen.“ Irene wurde hellhörig. „Das klingt ja so, als wäre er nicht besonders beliebt gewesen. Gab es Probleme?“ „Nun, wie Sie sehen, ist er noch ein Software-Entwickler der alten Schule, eine aussterbende Art. Ludwig konnte man jederzeit darauf ansetzen Programmfehler aufzuspüren. Aber er hat den Kollegen noch nach Monaten vorgehalten, was sie alles falsch gemacht haben. Es gibt bei uns einige, die auch lieber bis spät in die Nacht arbeiten. Wenn die dann plötzlich um 9 Uhr morgens anfangen, konnte man sicher sein, dass sie von Ludwig dumm angeredet worden waren und sie ihm für die nächste Zeit aus dem Weg gingen.“ Irene und Martin schauten sich an. Ist das etwa ein mögliches Mordmotiv?, schienen sich beide zu fragen. Aus den Augenwinkeln beobachtete Irene wie sich von der Seite her ein sehr großer, etwa 50-jähriger Mann näherte. Trotz seiner wohl vorhandenen Körperfülle betonte sein modischer Anzug nur seine breiten Schultern. Seine respekteinflößende Erscheinung und die große Kaffeetasse mit einem bunten Cartoon in seiner linken Hand bildeten den ersten deutlichen Kontrast. Ganz und gar nicht passte jedoch zu ihm das schwarze Isolierband, mit dem sein rechtes Handgelenk umwickelt war. Während sie noch rätselte, was er wohl hier in der Firma macht, zwinkerte er ihr zu und legte den Zeigefinger auf die Lippen. Dann tippte er Martin auf die Schulter. Der fuhr herum und blickte zu ihm auf. „Hallo Martin! In München gibt es wirklich zu wenige Verbrechen. Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen? Und deine Kollegin kenne ich noch gar nicht!“ „Hallo Hubert!“, begrüßte er leicht irritiert den Rechtsmediziner. „Ich dachte schon, du bist jetzt nur noch an der Uni. Freut mich, dass du auch noch selbst Hand anlegst. Obwohl es im Moment nicht gerade so aussieht.“ „Von wegen! Ich hab heute schon richtig schwer gearbeitet. Denk dir nur: Als ich ankam, saß der Tote auf seinem Stuhl, aufrecht wie eine Reklame der Berufsgenossenschaft für Bildschirmarbeitsplätze. Und als die Spurensicherung dann den Tatort untersucht hat, ist er heruntergerutscht, und ich musste eine Viertelstunde am Boden herumkriechen. Aber es hat sich gelohnt, der Kaffee hier ist wirklich ausgezeichnet. Diese Leute verstehen etwas von Drogen.“ Dr. Sommerfeld zuckte zusammen und wandte sich dann an Irene und Martin: „Sie können sich auch gerne bedienen. Der Kaffee ist frei.“ Beide nickten und sagten fast gleichzeitig: „Danke, vielleicht später.“ „Hast du sonst noch etwas herausgefunden?“, wollte Martin vom Rechtsmediziner wissen. „Ja, aber das sag ich dir erst, wenn du mir deine Kollegin vorgestellt hast.“ Martin strahlte, als er begann: „Das ist Irene Meier. Sie ist seit November bei uns und hat schon viel zum Erfolg unserer Abteilung beigetragen.“ Irene reichte Professor Dr. Dr. Hubert Reinmüller die Hand, die in seiner verschwand und sagte lächelnd: „Sie kennen sich ja offensichtlich sehr gut. Also glauben Sie ihm bloß nicht. Er übertreibt.“ „Mein Name ist Hubert. Und ich werde dich einfach Irene nennen.“ Sie stutzte kurz und war dann von Huberts Charme so verwirrt, dass sie den Blick senkte. Mit einem Augenzwinkern sagte er zu Martin: „Na vielleicht haben wir es mit einem Serienmörder zu tun. Wir sehen uns ja wirklich viel zu selten. In diesem Fall hätte die kriminelle Energie durchaus für mehrere Mordopfer gereicht. Der Tote hat drei Schusswunden.“ Irene und Martin schauten Hubert erstaunt an. „Ja, er wurde durch dieses Fenster von hinten getroffen, durch dieses Fenster von vorn und dann noch mal von dort aus, wo ihr beide jetzt steht. Da war jemand sehr gründlich. Wahrscheinlich wollte er nicht, dass der Tote ihm vorhalten kann, er hätte einen Fehler gemacht. Der Exitus ist gestern zwischen 19:30 und 20:30 eingetreten. Soviel kann ich schon sagen.“ Völlig ungläubig wandte sich Dr. Sommerfeld an Martin: „Ich kann einfach nicht verstehen, warum jemand bei uns einbrechen sollte. Wir haben kein Bargeld hier und die Computer, die wir verwenden, sind handelsüblich. Mittlerweile bekommt man im Supermarkt bessere. Und soweit ich gesehen habe, fehlt nichts. Der Serverraum ist gesondert gesichert. Und da ist niemand eingebrochen.“ „Haben Sie eine Videoüberwachung?“ „Nein. Ich möchte nicht, dass sich meine Mitarbeiter kontrolliert fühlen. Obwohl ich manchmal zu gerne wüsste, was die den ganzen Tag so machen.“ Dr. Sommerfeld blickte zur Eingangstür und sagte nun wieder förmlich: „Da fällt mir ein: Vor ein paar Jahren wurden hin und wieder ein paar herumliegende Gegenstände gestohlen. Aber das hat aufgehört, als wir Schlösser mit Nummerncodes eingeführt haben.“
Als Martin wahrnahm, wie sich Hubert unbemerkt wegschleichen wollte, sagte er in dessen Richtung mit ungewöhnlich strengem Ton: „Dageblieben!“ Der fuhr erschrocken herum. Martin fügte lachend hinzu: „Ruf uns bitte an, wenn du etwas Neues herausgefunden hast. Wir kommen auch gerne persönlich vorbei, um uns die Ergebnisse abzuholen.“ „Aber zuerst mache ich nochmal einen Abstecher in die Küche.“ Zu Dr. Sommerfeld gewandt sagte er: „Ich werde bezüglich Ihrer Kaffeemaschine als Werksspion tätig. So eine möchte ich unbedingt auch im Institut haben.“ „Bei uns ist Kaffee das wichtigste Hilfsmittel. Sie glauben gar nicht, wie entscheidend eine gute Kaffeemaschine für den Erfolg in der Softwareentwicklung ist.“ Nachdem Hubert mit seinem schwarzen Notizbuch in der Küche verschwunden war, fuhr Martin mit der Befragung fort: „Woran hat Herr Handtke zur Zeit gearbeitet?“ „Ludwig war an mehreren Themen dran. Er hat unser Lohnbuchhaltungssystem noch mal durchgecheckt. Ein paar Kunden haben einen Fehler in der Verbuchung gemeldet, und leider ist das durch unsere Tests nicht nachzuvollziehen. Außerdem war er noch immer mit der Aktienmarktanalyse betraut.“ „Sie analysieren den Aktienmarkt?“ „Nicht wir, das Programm. Es wird bei allen notierten Aktien nach systematischen Schwankungen gesucht, und wenn welche zu erkennen sind, kann man daraus die Kursgewinne automatisch abschöpfen. Wir sind übrigens schon weiter als die Politik. Bei unserem Programm kann man auch eingeben, welche Transaktionssteuer zu entrichten wäre.“ „Ist das eine Marktlücke? Könnte Herr Handtke deswegen in Gefahr gewesen sein?“ „In diesem Bereich arbeiten selbstverständlich auch andere Firmen. Aber unsere Firma ist wirklich außergewöhnlich. Meine Leute sind gefragte Spezialisten. Ein ehemaliger Kollege ist sogar beim BND gelandet. Ich werde zweimal im Jahr von ihm kontaktiert und dann plaudern wir über die gute alte Zeit.“ Irene, die das Gespräch wieder auf das Mordopfer zurückbringen wollte, fragte: „Haben Sie in letzter Zeit Veränderungen an Handtke festgestellt?“ „Ja, er pflegte sich sorgfältiger als früher.“ Sie und Martin schauten verdutzt zur Leiche am Boden. Dr. Sommerfeld meinte nur: „Ach so! Sie hätten ihn vorher sehen sollen. Er kam meist ungekämmt ins Büro. Ehrlich gesagt war ich froh, dass er in der Nacht gearbeitet hat. Manchmal besuchen uns Kunden, und die sind mittlerweile daran gewöhnt, dass auch Software-Entwickler einen ordentlichen Eindruck machen.“ „Und in letzter Zeit war hier ein Wandel festzustellen?“ „Ja, wie gesagt, seit etwa drei Monaten. Mir ist es nur durch Zufall aufgefallen. Er kam herein, zog seine Sandalen an und strich sich die langen Haare aus der Stirn. Erst da hab ich gemerkt, dass sein T-Shirt nicht mehr die vielen Teeflecken aufwies. Und am nächsten Tag trug er ein anderes. Ähnlich schäbig, aber zumindest gewaschen. Er wirkte an beiden Tagen richtig entspannt, irgendwie … glücklich.“ „Hat er sich seitdem auch gegenüber seinen Kollegen anders verhalten?“ „Das kann ich nicht sagen. Seit einiger Zeit arbeiten die meisten so, dass sie ihm möglichst nicht begegnen. Das ist für mich fast schon eine Katastrophe. Die Leute sind am Morgen unausgeschlafen, und niemand macht mehr Überstunden.“ Martin schaute sich um. Was sind das nur für Leute?, fragte er sich. Die meisten sitzen vor ihren Bildschirmen und sind in ihre Arbeit vertieft. Dabei liegt der Tote noch immer mitten im Raum! … Da hinten tuscheln ein paar miteinander … Hier scheint es ja tatsächlich um den Ermordeten zu gehen. Aber sieht so Betroffenheit aus? Martins Blick landete wieder bei Dr. Sommerfeld. „Gab es jemanden, der ein gutes Verhältnis zum Verstorbenen hatte?“ Dr. Sommerfeld räusperte sich. „Eigentlich haben wir hier ein sehr kollegiales Betriebsklima. Wir sind wie eine große Familie.“ Martin kannte solche Familien zur Genüge. Mit einem besonders kritischem Gesichtsausdruck, der ihm auch diesmal mühelos gelang, fixierte er nun einzelne der sogenannten Familienmitglieder. Fast alle blickten kurz zu ihm auf und versuchten, dann hinter den Monitoren wegzutauchen. Ihm war klar, dass die Befragungen hier sehr vorsichtig durchgeführt werden mussten. Und dazu brauchten sie erst einmal mehr Informationen. „Können Sie mir bitte eine Liste aller Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zukommen lassen mit den Berührungspunkten zur Arbeit von Herrn Handtke?“ Man sah Dr. Sommerfeld sogar körperlich an, wie er sich herauswinden wollte. „Wir möchten natürlich alle, dass der Mord an Ludwig aufgeklärt wird. Aber ich will nicht, dass einer meiner Leute zur Konkurrenz geht, weil er durch Ihre ständige Fragerei belästigt wird.“ „Nun, wenn Sie uns diese Liste zukommen lassen, ersparen Sie Ihren Mitarbeitern schon mal eine Menge unnötiger Fragen.“ „Also gut, ich schicke sie Ihnen“, sagte Dr. Sommerfeld, wenn auch noch immer widerstrebend. Martin reichte ihm seine Visitenkarte, während er dachte: Er möchte uns loswerden. Na schön, den Gefallen tun wir ihm. Bin schon gespannt, was er uns mitteilt. Dr. Sommerfeld schob Martins Visitenkarte in die Anzugtasche, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. „Sie beide tun ja nur Ihre Pflicht. Aber ich bin immer etwas gereizt, wenn meine Leute bei der Arbeit gestört werden.“ „Der Mord scheint Ihre Leute ja ziemlich kalt zu lassen.“ „Glauben Sie nur das nicht! Sie haben ja nicht die Bestürzung erlebt, als die Leiche entdeckt wurde. Aber die Arbeit bedeutet für viele eine Ablenkung von jeglichen Problemen.“ Er biss sich auf die Unterlippe. „Ich würde trotzdem gerne auch kurz mit Herrn Wohlmuth reden.“ „Mit wem?“ „Sie haben doch gesagt, dass er den Toten gefunden hat.“ „Ach so ja. Wir nennen uns nur beim Vornamen. Also schön …“
Dr. Sommerfeld musste Michael Wohlmuth mehrmals auf die Schulter tippen, so vertieft war der junge Mann in seine Arbeit. Er blickte Irene und Martin nur kurz an und sagte dann knapp: „Ich hab schon alles erzählt.“ Er machte sich sofort wieder an seine Arbeit. Martin fragte Dr. Sommerfeld: „Wo können wir uns mit Herrn Wohlmuth ungestört unterhalten?“ „Ist das wirklich nötig?“ „Es dauert nicht lange.“ „Nun gut. Gehen Sie ins Besprechungszimmer. Im Gang, die erste Tür links.“ Michael wandte sich an Dr. Sommerfeld: „Komm mit! Ich möchte sicher gehen, dass mir nicht das Wort im Mund herumgedreht wird.“ „Du musst doch nur dasselbe sagen, wie vorhin … Also gut, ich komme mit. Ich weiß ja, dass du nicht gerne mit anderen redest.“
Mit den Händen in den Hosentaschen ging Herr Wohlmuth in das Besprechungszimmer. Als alle vier am Tisch saßen, fragte Martin im Plauderton: „Wann haben Sie Herrn Handtke entdeckt?“ „Kurz vor acht. Ich konnte nicht schlafen und hab früher als sonst angefangen.“ Er blickte zu Boden und fügte hinzu: „Ich wusste sofort, dass er tot ist … Ich meine, er hat sich nicht gerührt.“ „Sie haben ihn nicht sonderlich gemocht?“ „Er war einer der Besten.“ Martin lächelte und fragte: „Und was haben Sie gestern Abend gemacht?“ „Was tut das zur Sache? Ich hab nur den Toten gefunden. Hätte ich das etwa ignorieren sollen?“ Martin blickte ihm geduldig in die Augen. „Ich … ich war zu Hause.“ Martin schüttelte den Kopf. Herr Wohlmuth fragte erschrocken: „Haben Sie uns etwa gesehen?“ „Sie wollen diese Beziehung also geheim halten?“ „Ines lebt in Scheidung. Wenn das herauskommt … Sie und ihr Mann haben einen Ehevertrag … Der wartet nur …“ „Danke, das war alles! Sie haben ja ein Alibi.“ Völlig verdattert verließ Herr Wohlmuth das Besprechungszimmer. Dr. Sommerfeld blickte ihm irritiert nach. Dann murmelte er vor sich hin: „Das war also sein gehütetes Geheimnis.“ „Es bleibt auch weiterhin eines. Er hat ja nur den Toten aufgefunden.“ Sie reichten Dr. Sommerfeld die Hand und als er sie hinausbegleiten wollte, sagte Martin: „Nicht nötig. Wir finden den Weg.“
Als sie im Gang waren, flüsterte Irene ihm zu: „Woher wusstest du?“ „Dass er nicht der Mörder ist?“ „Nein, das andere.“ „An seinem Hemdkragen war Blut oder Lippenstift. Und nachdem der Mord ja schon gestern verübt wurde …“ „Und das reicht dir, um ein Geständnis heraus zu pressen?“ Martin zuckte mit den Schultern und sagte dann lächelnd: „Ja.“ Sie öffneten die Eingangstür und sofort schlug ihnen der kalte Wind entgegen.
Zu ihrer Überraschung wartete Hubert auf dem Parkplatz und winkte ihnen zu. Unwillkürlich rückten sie voneinander ab und blickten starr nach vorn. Als sie vor ihm standen, sagte er lachend: „Ein herrlicher Tag! Die Sonne tut gut, auch wenn sie nicht wärmt. Übrigens wegen mir müsst ihr nicht so viel Abstand halten. Als ihr hier angekommen seid, habe ich euch zufällig beobachtet. Da war mir sofort klar, dass ihr nicht nur Kollegen seid.“ Irene meinte verwundert: „Aber wir haben doch gar nicht …“ „Ich sehe noch sehr gut und ich weiß, was es bedeutet, wenn man sich beim Aussteigen aus dem Auto so anschaut. Ich freue mich für euch.“ Zu Martin gewandt fügte er hinzu: „Ich habe schon erwartet, dass du bald mal eine Frau findest, nachdem du fleißig das Tanzbein schwingst.“ Martins Mund stand offen. „Woher weißt du … ?“ „Meine Frau und ich haben mal einen Auffrischungskurs gemacht. Und rate mal, wer da gerade eine Runde auf dem Parkett gedreht hat? Aber ich bin wirklich froh, dass es nicht die Frau ist, mit der ich dich damals gesehen habe, sondern … diese reizende Dame.“ Irene wurde rot und schaute Hubert dann misstrauisch an. Hubert überging beides und meinte nur: „Wenn ihr mich ab und zu besuchen kommt, verrate ich niemanden etwas.“ Martin nickte lächelnd. „Wir kommen gerne. Du bist übrigens der Einzige, der aus seinen Beobachtungen die richtigen Schlüsse zieht.“ „Also sind deine Mitarbeiter betriebsblind. Wird auch gut für euch sein … Den Obduktionsbericht schick ich euch per Mail. Ich hab noch keine Ahnung, wann ich ihn mir vornehme. Ich muss noch an die Uni. Aber die weiteren Details können wir auch gerne bei einem gemeinsamen Essen besprechen.“ Irene und Martin schauten deutlich angewidert, bevor sie mit einem zaghaften Nicken ihre Zustimmung signalisierten.
Kaum hatte sich Irene hinter das Lenkrad gesetzt, sagte sie bestimmt: „Deine Tanzkurse sind gestrichen! Das fehlt mir noch, dass sich dort die Konkurrenz an dich presst.“ Erschrocken über sich selbst, fügte sie besorgt hinzu: „Wann … wann hast du denn deinen nächsten Kurs?“ Martin lächelte. „Meine Tanzkurse sind gestrichen.“ Irene wirkte noch immer angespannt. „Ich möchte aber nicht, dass du wegen mir auf etwas verzichtest, was dir Freude macht.“ „Ich hab schon beschlossen mit dem Tanzen aufzuhören, bevor wir beide …“ „Und wieso?“ „Meine Partnerin und ich haben zum ersten Mal ein Turnier gewonnen, und mein Tanzlehrer wollte, dass ich Profitänzer werde.“ Irene blickte Martin verwundert an. Mehrmals setzte sie an, aber immer wieder schüttelte sie den Kopf. Ihre Gedanken überschlugen sich: Profitänzer? Wie passt das zusammen? Er war doch in den letzten Wochen immer mit mir zusammen. Warum frage ich ihn nicht endlich mal? Er hat mich doch immer ermuntert. Martin zuckte nun selbst ungläubig mit den Schultern. „Ich weiß, wie sonderbar das klingt. Aber mir war damals sofort klar, dass ich mit dem Tanzen aufhören werde. Es war für mich immer nur ein Hobby.“ „Wann…? Wann war das?“ „Am 11. November, letztes Jahr.“ Wieder schwieg Irene. Dann fragte sie leise: „Wie lange hast du trainiert?“ „Sechs Jahre. Mir ist auch schon aufgefallen, dass ich aufgehört habe, als du in mein Leben getreten bist. Allerdings wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, ob du mich jemals wahrnehmen würdest …“ „Und deine Partnerin?“ „Ich gehe davon aus, dass sie weitermacht.“ Martin blickte sich kurz um, sah Hubert wegfahren und drückte Irene dann an sich. „Und du? Sag mir bitte, wenn dir etwas fehlt, wenn du etwas unternehmen möchtest.“ „Da fällt mir schon gleich etwas ein: Bis Mitte Januar müssen wir unseren Jahresurlaub einplanen.“ „Dann werden wir heute Mittag unsere Wunschtermine festlegen!“ Irene atmete hörbar aus und fuhr dann entspannt los. Ihr Kopf war nun wieder frei und so kam sie wieder auf den Fall zu sprechen. Mit nachdenklicher Miene sagte sie: „Wer erschießt jemanden dreimal? Und dann noch aus unterschiedlichen Richtungen. War da so viel Hass im Spiel? Oder haben wir es tatsächlich mit Gründlichkeit zu tun? Wir sollten mal das Bankkonto von Handtke überprüfen. Würde mich echt interessieren, ob er das Geld für den Friseur und ordentliche Kleidung hatte.“ „Und wir sollten seinen Lebenslauf checken. Vielleicht hatte er auch anderswo Feinde.“ „Dann könnten sich tatsächlich drei verschiedene Täter finden, die ihn aus dem Weg haben wollten. Aber warum am gleichen Tag?“ Martin lachte. „Drei Mörder im heiligen Auftrag!“, sagte er in Anspielung auf den Feiertag Heilige Drei Könige, der in Bayern am 6. Januar gefeiert wird. Irene freute sich diebisch: „Wie wär's, wenn wir die Nachforschungen wegen Handtke direkt im Präsidium anleiern? Sollen Freddie und Werner nur meinen, dass wir im Park spazieren gehen.“ „Gute Idee. Dann stelle ich dir bei dieser Gelegenheit meine Kontakte vor. Die von Werner sind zwar um einiges schneller, aber einen Einblick in die Vermögensverhältnisse eines Mordopfers, bekomme auch ich problemlos.“
Mit raschen Schritten führte er Irene durch die langen Gänge des Präsidiums. Schließlich standen sie vor einer verschlossenen Tür. Martin las den Zettel, der darauf angebracht war, und murmelte peinlich berührt: „Die sind bereits vor drei Monaten umgezogen. Zu dumm, wir hätten uns den ganzen Weg sparen können. Das neue Büro ist gleich neben den Eingang.“ Plötzlich ertönte von der Seite her eine angenehme, sonore Stimme: „Na so was, Frau Meier! Wollen Sie wieder ein Phantombild anfertigen lassen?“ Irene fuhr herum und blickte Herrn Hofer verdattert an. Der lächelte breit. „Sehr geschickt von Ihnen, dass sie Ihren Mann diesmal gleich mitgebracht haben. Dann ist ein Irrtum ausgeschlossen. Wäre blöd, wenn nach ihm gefahndet wird …“ Martin blickte zwischen Herrn Hofer und Irene hin und her. Dann lächelte er wissend: „Hatte das Phantombild etwa Ähnlichkeit mit mir?“ „Sie waren sehr gut getroffen!“ Zu Irene sagte Hofer: „Ich hätte Ihren Mann unter tausenden herausgefunden. Sie sind bei der Polizei goldrichtig. Aber Sie haben es wohl eilig.“ Irene nickte verlegen. Schweigend gingen sie weiter, bis sie vor der angegebenen Zimmernummer ankamen. Martin sagte gerührt: „Du hast schon damals an mich gedacht? … Mir ging es ja auch nicht anders. Ich hab von dir geträumt.“ Bevor sie sich umarmen konnten, öffnete sich die Tür und ein kauziger Mann trat heraus: „Hat Werner schon wieder Urlaub?“ „Hallo Harry! Nein, aber er ist jetzt meist mit Freddie unterwegs, und da dachte ich …“ „…, dass du mich mal wieder vor eine Aufgabe stellst. Aber ich muss dich enttäuschen. Ich gehe ab morgen in meinen wohlverdienten Ruhestand. Es wird also noch länger dauern als sonst. Möchtest du nun doch lieber Werner hinzuziehen?“ „Nein, ich hab Ire… Frau Meier von euch vorgeschwärmt.“ Er wandte sich Irene zu: „Das ist Harry Bryzinsky.“ Während Harry Irenes Hand schüttelte fügte Martin ganz beiläufig hinzu: „Diesmal warten wir ab, bis wir von euch die gewünschten Ergebnisse bekommen.“ Bryzinsky schluckte und führte die beiden ins Büro. „Du hast vielleicht eine Art, uns unter Druck zu setzen. Um wen geht es?“ „Ludwig Handtke.“ „Mit t oder mit dt?“ „Mit dt.“ Er tippte den Namen und fragte dann: „Welchen?“ Martin deutete auf eines der drei Fotos, das einen jüngeren, aber auch wilderen Ludwig Handtke zeigte. „Der da? Ist er ein Mörder?“ „Nein, er wurde ziemlich gründlich ermordet.“ „Ermordet? … Aber trotzdem kann ich dir nicht helfen. Das weitere macht mein Lehrmädel. So wie ich den Laden hier kenne, wird sie ab morgen ohne viel Aufhebens meine Nachfolgerin. Viel zu früh, obwohl sie sich reinhängt. Sie hat nun mal nicht meine Connections.“ „Mal sehen, was sie erreicht. Falls sie alte Steuerunterlagen einsehen kann, soll sie uns die früheren Firmen auflisten, bei denen Handtke zuvor gearbeitet hat.“ „Ihr wollt also überprüfen, ob er Feinde hatte.“ „Aber das ist nicht Aufgabe deiner Nachfolgerin. Dazu müsste sie ja eine Detektei beauftragen.“ „Die soll ruhig mal wissen, was ihr alles braucht.“ Er schrieb das Post-it voll und meinte dann: „Sie müsste bald wieder da sein. Sie hat am Vormittag eine EDV-Weiterbildung. Als ob das ausreicht. Na ja, die wird ganz schön rotieren, wenn ich nicht mehr da bin … Möchtest du mitkommen, ich feiere ab 12 meinen Ausstand.“ Martin winkte ab. „Ist gerade erst elf. Wir müssen dann mal wieder. Schickt eure Ergebnisse an Frau Meier.“ „Ist sie dein Lehrmädel?“ „Was …? Nein, Frau Meier ist Kommissarin!“ „Kommissarin? Ach wirklich?“ „Ja, wirklich!“, sagte Martin ärgerlich. Bryzinsky notierte noch etwas an den Rand des Zettels und verabschiedete sich dann sehr förmlich von Irene, wohingegen er zu Martin sagte: „Ich bin ja mal gespannt, wie es hier weitergeht. Meine Kumpels werden mir schon berichten, wenn hier alles den Bach runter geht.“
Sie verließen das Präsidium. Irene schüttelte den Kopf: „Eine dreiviertel Stunde für ein läppisches Post-it. Wir hätten ebenso gut in den Park gehen können.“
Als sie wieder im Büro eintrafen, taxierte Freddie die beiden neugierig. Doch dann wanderte sein Blick besorgt zur vollen Kaffeetasse auf seinem Schreibtisch. Martin verstand sofort: Nach der Teambesprechung wäre sein Kaffee kalt. Er lächelte und sagte nur: „Wir können uns auch gleich hier unterhalten. Wir sind ja nur zu viert.“ Werner nickte bestätigend. „Und das nun drei Wochen lang. Hans und Stefan sind gemeinsam zum Snowboarden. Ich konnte ja sogar mitansehen, was sie alles mitnehmen. In den letzten Wochen haben sie sich ihre ganzen Utensilien hierher liefern lassen.“ Martin verdrehte die Augen und stieß die Luft aus. Erst dann berichtete er, begleitet von Freddies Schlürfgeräuschen, über den Mord und den bisherigen Erkenntnisstand. „Was denn, gleich drei Schussverletzungen? Und ich dachte, so ein IT-Job ist eher ungefährlich“, sagte Werner verwundert. Freddie fühlte sich unbehaglich. IT war für ihn vermintes Gelände. Ohne direkten Blickkontakt zu Martin fragte er zögernd: „Mir ist noch nicht klar, was das für eine Arbeit ist. Du sagst, er findet Fehler? Bedeutet das, er hat die Arbeit seiner Kollegen gegengelesen? Ich kann mir schon vorstellen, dass man so einen umbringen möchte.“ Werner seufzte fast unmerklich, bevor er betont langsam erklärte: „Im Computer laufen Programme ab und wenn die Fehler haben, dann kommen falsche Ergebnisse heraus. Und solche Fehler hat er gefunden.“ Freddie hakte noch mal nach: „Dann hat er alles nachgerechnet? Und die Summe hat nicht übereingestimmt? Aber beim Nachrechnen kann man sich doch auch verrechnen.“ „Nein, der hat nicht nachgerechnet. Der hat die Logik der Programme überprüft, ob die stimmt.“ Werners Stimme klang einen Ton schärfer. „Aber da gibt es doch unterschiedliche Ansichten. Wenn ich etwas logisch finde, dann sagt meine Frau, es kann ebenso anders sein. Und meistens hat sie recht.“ Genervt gab Werner auf. Um Freddie abzulenken, erzählte er: „Im Präsidium haben sie uns auch mal einen Programmierer vorbeigeschickt. Gekleidet wie für den Laufsteg. Zwei Tage hat er alles Mögliche versucht. Trotzdem ist der Computer danach immer noch abgestürzt, wenn drei Leute zugleich die Enter-Taste gedrückt haben.“ Freddie war ins Gesicht geschrieben, dass er zu gerne mehr verstehen wollte, er schwieg aber dann doch. Als er merkte, dass ihn alle erwartungsvoll anschauten, erhob er sich und sagte: „Ich werde heute mal eine längere Mittagspause machen. Bei diesem Fall kommt ihr ohne mich sowieso viel besser voran.“ Bevor ihm Martin widersprechen konnte, hatte Freddie schon seine Trachtenjacke vom Bügelgezerrt. Energisch steuerte er auf die Tür zu, ließ sie ungebremst ins Schloss fallen und verschwand nach draußen. Die drei blieben zunächst schweigend sitzen, aber dann hatten es auch Irene und Martin eilig wegzukommen. In alter Gewohnheit bemühten sie sich, so gut es ging, ihre Vorfreude zu verbergen. Ihnen war nicht entgangen, wie Werner ihre betont distanzierte Art aufmerksam beobachtete. Unvermittelt stellte er sich Martin in den Weg. „Ich gehe heute auch mal zum Einkaufen, warte aber noch, bis ihr wieder zurück seid.“ Martin versuchte, Werners Gesichtsausdruck zu deuten, war sich aber nicht sicher. Hatte er bereits mitbekommen, dass sie die Mittagspause gemeinsam verbringen? Indessen sprach Werner weiter: „Marion hat nächste Woche Geburtstag. Wird schwierig, für sie das passende Geschenk zu finden … Sei froh, dass du dieses Problem nicht hast.“ Irene sagte verschmitzt lächelnd: „Wenn die Warteschlange nicht zu lang ist, bin ich in einer halben Stunde zurück.“ „Nein, lass dir ruhig Zeit. Ich gehe lieber erst nach eins zum Einkaufen, dann ist in den Geschäften weniger los.“ „Dann kann ich ja mal ganz in Ruhe essen.“ Auch Martin nickte. „Wenn du hier aufs Telefon aufpasst, kann ich mir auch eine richtige Mittagspause gönnen. So ein erster Arbeitstag nach dem Urlaub setzt mir ganz schön zu. Ich bin dann gegen eins wieder da.“ „Ich bin ja froh, dass ich danach weg kann. Hat sich nicht so angehört, als ob Freddie so bald wiederkommt. Da hab ich mir fast ein Eigentor geschossen.“ „Mich hat gewundert, dass er sich so viel Mühe gibt, alles noch mal zu hinterfragen. Normalerweise interessiert ihn das Thema Computer überhaupt nicht.“ „Ach so, daran hab ich eine gehörige Portion Schuld. Freddie hat bei Hamlet mitgespielt. Seine Frau hat ihn dazu überredet, in einer Schulvorführung aufzutreten.“ Irene und Martin lachten wissend. Sofort hatten sie wieder ein fiktives Bild vor Augen: Freddie im Scheinwerferlicht … in Strumpfhosen. In Strumpfhosen seiner Konfektionsgröße! Werner schaute zwischen beiden hin und her. „Dann erzähle ich euch also nichts Neues? Na ja, jemand hat seinen Auftritt auf Youtube veröffentlicht. Ist irre komisch, was er aus dieser Tragödie gemacht hat. Circa 53.000 Aufrufe und gut 1.000 Likes. Wenn ihr mich fragt: Er hätte eine Million Aufrufe verdient. Jedenfalls war er total überrascht, dass ich den Film hier in der Arbeit anschauen kann. Er dachte, der wird nur im Regionalfernsehen gezeigt.“ Werner blickte in besorgte Gesichter. „Wenn ich ihm gesagt hätte, dass man seinen Auftritt überall auf der Welt sieht, wäre er wahrscheinlich vor Scham im Erdboden versunken. Also hab ich ihm weisgemacht, dass ich mir das Video von meinem Computer zu Hause hierher geschickt habe.“ Irene fragte schon jetzt amüsiert: „Zeigst du's uns …?“ Weiter kam sie nicht. „Nein, auf keinen Fall! Und falls du es dir daheim anschaust, lass dir bloß nichts anmerken.“ „Steht sein Name dabei?“, fragte Martin nun wieder ernst. „Zum Glück nicht. Elisabeth hat ja ihren Mädchennamen bei der Eheschließung behalten, und er steht jetzt als Freddy Reynolds im Netz. Ihr Vater ist Amerikaner.“ „Ich hab mich schon gewundert. Ich dachte, Elisabeth verwechselt immer meine Nummer im Display mit einer von einem Reynolds.“ „Ich weiß das von Marion. Seit der Weihnachtsfeier trifft sie sich öfter mit Elisabeth.“ „Dann hat sich die gemeinsame Feier ja gelohnt.“ „Das kann man wohl sagen. Die beiden bestärken sich gegenseitig.“ Werner schaute vielsagend zu Irene und schwieg. Die dachte nur: War meine Schuld. Ich hätte ja damals auch die Gelegenheit nutzen können, die beiden näher kennenzulernen. Wahrscheinlich halten sie mich für eine arrogante Kuh. Mit einem Schulterzucken ging Irene freimütig darüber hinweg und wandte sich stattdessen Martin zu: „Vielleicht sollten wir mal gemeinsam zum Essen gehen. Ich sag dir, was ich hier so alles aufschnappe, und du erzählst mir, warum du davon bisher nichts mitbekommen hast.“ „Du wusstest das mit den unterschiedlichen Namen?“ Martin konnte es nicht glauben. „Seit meinem zweiten Arbeitstag.“ „Also dann bis später, Werner, falls das dein richtiger Name ist“, sagte Martin lachend und öffnete die Tür.
Erst als sie vom Büro aus nicht mehr zu sehen waren, legte Martin den Arm um Irenes Schulter. Sie schlenderten über den Viktualienmarkt, warfen immer wieder einen Blick auf das sorgfältig geschichtete Obst und Gemüse, das auch zu dieser Jahreszeit mit der ganzen bunten Vielfalt dargeboten wurde. Je näher sie dem Bistro im Biosupermarkt kamen, umso mehr entspannten sie sich.
Mit ihren vollen Tabletts setzten sie sich an einen Tisch am Fenster, der von der Sonne hell beschienen wurde. Martin blinzelte und schloss die Augen, fühlte die wohlige Wärme auf seinem Gesicht. Er geriet ins Träumen. Der Urlaub in Südtirol war wieder ganz nah. Irene betrachtete sein entspanntes Gesicht und lächelte. Auch sie schwelgte in Erinnerungen: Jeder Tag mit ihm war ein kleines Wunder. Woher weiß er nur immer, was ich mir wünsche? … Am liebsten würde ich sofort wieder mit ihm wegfahren. Etwas zu hastig fragte sie: „Wohin wärst du in Urlaub gefahren, wenn ich nicht …?“ „Zum Glück bist du jetzt bei mir. Ich kann es dir ja ruhig … sagen, ansonsten erfährst du es sowieso von den anderen: Im April hab ich meistens einen Wellnessurlaub gemacht, im Sommer bin ich ans Meer gefahren und den Winterurlaub hab ich neben der Heizung verbracht. Und du?“ Auch Martins Frage kam zu schnell. Irene griff nach dem Löffel, ohne ihn zu benutzen. Er hat die gleichen Ängste wie ich, stellte sie beruhigt fest. Sie schaute Martin zärtlich an. „Im Sommer war ich oft am Bodensee, im Herbst beim Wandern und an Weihnachten habe ich mich daheim hinterm Ofen verkrochen.“ „Dann haben wir uns ja schon mal diese Weihnachten hinter dem Ofen hervor gelockt. Zeigst du mir den Bodensee?“ „Ja. Aber zuerst machen wir im April einen Wellnessurlaub. Welches Hotel hättest du denn gebucht?“ „Ich kenne da ein schönes Biohotel. Ich war schon ein paar mal dort.“ „Mit wem?“, platzte es aus Irene heraus. Martin wich erschrocken etwas zurück: Oh je! Ich erzähle ihr besser nichts von Marlene. Mit leicht schlechtem Gewissen sagte er nur: „Du bist meine Einzige!“ Irene schaute nun zerknirscht auf den Teller, der immer noch unberührt vor ihr stand. Sie kämpfte mit sich: Ich kann ihm doch nicht vorhalten, dass er vor mir eine Freundin hatte. „Ich werde dir im Sommer den Bodensee zeigen. Du sollst auch sehen, dass du mein Einziger bist.“ Irene spürte seine Hand auf ihrer Wange und fühlte sich sofort geborgen. Ihr Appetit meldete sich zurück. Während sie sich das mittlerweile lauwarme Essen schmecken ließen, wurden sie sich schnell über die Urlaubsplanung einig. Möglichst unauffällig schaute Irene auf Martins Notizen, als würde sie von ihm die Prüfungsergebnisse abschreiben.
Punkt eins öffnete Martin die Eingangstür. Theatralisch sprang Wernerauf und beeilte sich wegzukommen, um seine Einkäufe zu erledigen. Irene lächelte und zog Martin weiter in sein Büro. Sie schloss die Tür und atmete tief durch. „Endlich haben wir hier mal unsere Ruhe. Aber gleichzeitig fehlt uns jeglicher Anhaltspunkt, warum jemand diesen Tramp beseitigen wollte.“ „Was denn? Du glaubst nicht, dass er aus dem Weg geräumt wurde, weil er die Programme der anderen nachgerechnet hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass man so einen umbringen möchte“, sagte Martin mit Freddies Tonfall. „Ach du! Na warte!“ Irene machte einen entschiedenen Schritt auf Martin zu, schmiegte sich dann jedoch an ihn und beide vergaßen die Zeit.
Freddie klopfte an der Tür. Irene und Martin nahmen schnell ihre Plätze am Besprechungstisch ein. Nach einem kräftigen „Herein“, wurde die Tür geöffnet. Von der Küche her drang das Gurgeln der Kaffeemaschine, das sich mit einem weiteren Geräusch mischte. „Das Faxgerät spukt ein Blatt nach dem anderen aus. Habt ihr beim Einwohnermeldeamt nachgefragt, wer alles in München wohnt?“, fragte Freddie gut gelaunt. Im Nu standen beide im Türrahmen. Freddie hielt zwei Blätter Papier in Händen. „Mann, hier sind alle mit dem gleichen Vornamen durchnummeriert. Bin schon gespannt, wie viele es mit dem Namen Freddie gibt.“ „Was? Echt?“, meinte Martin irritiert. „Ja hier steht Alf Brüggel und daneben Fred 1. Die sind schon ganz dicht dran, auch einen Freddie in ihrer Liste zu haben.“ „Was ist das denn überhaupt?“ „Ist jedenfalls für dich.“ Freddie reichte Martin die Seite eins, der begann, den Text laut vorzulesen:
Sehr geehrter Herr Behringer, anbei übersende ich Ihnen zwei Übersichten über die MitarbeiterInnen der Isar Software AG, getrennt nach Entwicklung und Verwaltung, mit allen mir zugänglichen Informationen. Für weitere Fragen stehe ich gerne zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen Peter Sommerfeld
„Ach so, das kommt von der Computerfirma.“ Als der Papierfluss aufhörte, wandte sich Martin an Freddie: „Möchtest du uns helfen, Verdächtige herauszufiltern?“ „Ich glaube, das wäre eher was für Werner. Der kennt sich mit Computern aus. Ich lass besser die Finger davon. Zu dumm, dass er nicht hier ist.“ „Er ist noch zum Einkaufen. Marion hat Geburtstag. Ich denke, wir schaffen das auch ohne ihn. Und wenn nicht, müssen wir halt auf ihn warten.“ Martin holte die restlichen Blätter aus dem Faxgerät und verschwand mit Irene wieder in seinem Büro. Sie breiteten die zehn Blätter auf dem Besprechungstisch aus. Nach einem langen Blick auf die Namensreihen sagte Irene: „Nur vier Frauen in der Entwicklungsabteilung. Bei der Verwaltung ist das Verhältnis genau umgekehrt: 10 Kolleginnen und ein Kollege. Buchhaltung, Controlling, eine Sekretärin. Wie viele Beschäftigte sind das insgesamt? 10 … 20 … 30 … 41. Fünf davon haben sogar einen Doktortitel. Vielleicht hat dieser Peter Sommerfeld deshalb seinen nicht extra erwähnt.“ „Das ist dir also auch aufgefallen. Er wirkte überhaupt recht locker, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als wir seine Leute befragen wollten.“ „Er behandelt sie wie rohe Eier. Was meinst du, wie er sich aufführt, wenn sich herausstellen sollte, dass drei davon Mörder sind!“ „Drei verschiedene Täter? Aber warum sollten alle am selben Tag auf den Gedanken kommen, ihren Kollegen zu ermorden? Oder kann es eine Gemeinschaftstat sein?“ „Vielleicht finden wir ja einen Hinweis in der Liste.“
Die vielen irrelevanten Informationen ermüdeten sie rasch. Irene sagte mürrisch: „Nicht ein Hinweis, der uns weiterbringt. Nur Details über Qualifikationen und Abschlüsse. Ob der damit seine Personalakten füllt? … Da sind noch ein paar handschriftliche Anmerkungen. Ich werde aus dem Buchstabensalat nicht schlau … Kannst du die Schrift vom Herrn Doktor lesen?“ Martin drehte das Blatt etwas zur Seite und meinte dann: „Ich würde sagen, das heißt Buchhaltungsprogramm. Ich hab mich nur gewundert, dass sich so wenige damit befassen.“ „Stimmt! Wenn das Buchhaltungsprogramm so wichtig ist, sollte doch die halbe Abteilung daran arbeiten.“ „Und das heißt entweder Serveranwendung oder … vielleicht doch etwas anderes. Hier gibt es immerhin eine Verbindung zu neun Kollegen und einer Kollegin. … Und hier steht Reisekostenabrechnung, Gehaltsnachweise, Bestellungen und Büromaterial.“ „Eine Menge Text.“ Sie vertiefte sich in die Kommentare und schüttelte dann den Kopf: „Liest sich so, als wären einige von den Verwaltungsangestellten vorbestraft. Er will den Verdacht auf sie lenken. Die hält er wohl für entbehrlicher.“ Martin legte diese drei Blätter zur Seite. „Dann konzentrieren wir uns ausschließlich auf seine ach so wertvollen Spezialisten. Handtke wurde ja schließlich nicht mit Büromaterial ermordet.“
Während sie sich noch immer durch die für sie belanglosen Qualifikationen der IT-Fachleute quälten, traf der Zwischenbericht von Professor Reinmüller per E-Mail ein. In dem hauptsächlich in Latein gehaltenen Text fanden sich seltsame Wortungetüme, die Martin keiner ihm bekannten Sprache zuordnen konnte. So sehr er sich auch anstrengte, er kam einfach nicht weiter. „Ich muss passen“, sagte er schließlich. Resigniert ließ er sich in seinen Bürostuhl zurückfallen und fing zu wippen an. „Wieso? Hier steht doch alles in Klartext.“ Martin beugte sich mit gerunzelter Stirn wieder vor zum Monitor. „Aber wo? Ich hab bislang kein einziges deutsches Wort entdeckt.“ „Du musst nur nach Wörtern suchen, die nicht lateinisch wirken. Und die liest du von hinten nach vorn.“ Martin verzog verärgert das Gesicht. „Irgendwann brauchen wir mehr Zeit, um Huberts Rätsel zu lösen, als für den Fall.“ „Bei diesem aber nicht: Der Tote weist drei Schusswunden auf und … ach nein! Er wurde zudem auch noch vergiftet. Professor … äh Hubert hat in seinem Magen zwei giftige Substanzen gefunden. Wir haben wohl noch einiges zu tun.“ „Da steht doch noch mehr. Hast du das auch schon entziffert?“ Irene deutete auf Martins Bildschirm herum, während sie holprig wie eine Erstklässlerin vorlas: „Ich bin mir noch nicht im Klaren, ob beide Substanzen gleichzeitig verabreicht wurden. Es ist auch noch zu klären, ob die oral verabreichten Toxine den Exitus zur Folge hatten oder ob er schon vorher seinen Schussverletzungen erlegen ist.“ Beide schauten sich ratlos an. Dann meinte Martin: „Das wird ja ein schönes Stück Arbeit! Hubert wollte uns wohl auf seine Weise auf einen komplizierten, rätselhaften Fall einstimmen“, fügte er lachend hinzu. „Wir reden erst mal mit Freddie.“
Gemeinsam gingen sie ins Nachbarbüro. Werner saß mittlerweile auch an seinem Schreibtisch und legte gerade den Hörer auf. Martin berichtete von Huberts vertracktem Rätsel und auch, dass Irene es sofort gelöst hat. Freddie schüttelte verärgert den Kopf. „Der hat Nerven! Schreibt uns einen offiziellen Bericht in Hieroglyphen. Als ob wir nicht schon genug Arbeit hätten! Na ja, was kann man von einem erwarten, der im Kühlschrank arbeitet und ständig Formaldehyd einatmet.“ Bevor Freddie sich weiter in seine Abneigung gegen den Rechtsmediziner hineinsteigern konnte, fasste Martin schnell den neuesten Kenntnisstand zusammen: „Drei Schüsse aus unterschiedlichen Richtungen und zwei giftige, potenziell tödliche Substanzen. Was bedeutet das für unsere Ermittlungen? Müssen wir von mehreren Tätern ausgehen? Oder war hier ein einzelner Sicherheitsfanatiker am Werk? Oder liegt Mord kombiniert mit Suizid vor? Aber warum trifft das alles zusammen? Was meint ihr?“ Freddie war sofort wieder ganz bei der Sache. Er schien die möglichen Schlüsse abzuwägen und sagte dann nachdenklich: „Ich hatte mal einen Mörder, der zwei Todesarten vorbereitet hatte, aber nur, weil er nicht selbst anwesend war. Und dieser hier soll drei Mal aus verschiedenen Richtungen auf ihn geschossen und dann auch noch Gift verabreicht haben? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Nein, da erscheint es mir noch eher plausibel, dass mehrere Täter fast zeitgleich zuschlagen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“ Nun blickte Martin Irene aufmunternd an. „Wir brauchen mehr Informationen über den Ermordeten. So erfahren wir auch mehr zu einem möglichen Motiv.“ Werner nickte. „Irene hat recht. Freddie und ich fahren gleich mal in Handtkes Wohnung und schauen uns dort um.“
***
Knapp 20 Minuten später hielt Freddie am Straßenrand vor einem gepflegten vierstöckigen Wohnhaus im Norden Münchens. Er deutete nach vorne auf den weißen Kleinbus, der vorschriftsmäßig eingeparkt war. „Maria und Erwin sind auch schon hier. So wie es aussieht, ist Maria gefahren. Erwin blockiert gerne auch mal den Bürgersteig.“ „Sind die beiden von der Spurensicherung?“, fragte Werner, nachdem er die Autotür zugeschlagen hatte und mit Freddie die kurze Strecke Richtung Haus ging. „Stimmt ja, du kennst sie noch nicht. Maria ist etwas sonderbar, und Erwin kennt nur ein Thema …“ „Die Arbeit?“ „Schön wär's. Nein, sein Interesse sind die Weiber, wie er sagen würde.“ „Wenn das so ist, kenne ich die beiden wahrscheinlich doch. Bei einer Weihnachtsfeier ist mir so ein Casanova und eine etwas in sich gekehrte Frau aufgefallen. Die beiden sind gemeinsam gekommen, aber getrennt gegangen.“ „Gut beobachtet, die Beschreibung passt. Dann siehst du jetzt mal, wie die zwei zusammenarbeiten. Oder besser: wie Maria arbeitet. Sie ist die Beste.“ Freddie suchte die Namensschilder ab und wurde im dritten Stock fündig. Er drückte gegen den metallenen Türknopf. Doch die Haustüre ließ sich so nicht öffnen. Auf sein Klingeln hin meldete sich über die Sprechanlage eine tiefe männliche Stimme. „Wer sind Sie? Und was wollen Sie?“ „Freddie und rauf kommen.“ „Ach so.“ Kurz danach ertönte das laute Summen des Türöffners und gleich danach noch zweimal. Freddie verzog verärgert das Gesicht. Er warf einen sehnsüchtigen Blick zum Lift und entschied sich dann doch für die Treppe. Bedächtig setzte er einen Fuß nach dem anderen auf die marmorierten Steinstufen. Werner zügelte seinen Bewegungsdrang und folgte Freddie geduldig, passte sich seinem Rhythmus an. Je näher sie dem Ziel kamen, umso langsamer gestaltete sich dieser Aufstieg. Freddie schnaufte hörbar. Am Ende der Treppe wartete Erwin und schaute ihn mit großen braunen Augen verwundert an. „Was ist denn mit dir los? Das ist ja das erste Mal, dass du einen funktionierenden Lift übersiehst.“ Freddie blieb stehen, stieß die Luft aus und sagte mühsam: „Lass das mal meine Sache sein.“ „Was denn? Du musst doch nicht gleich den Rambo spielen. Ich werde Maria warnen, dass du heute ganz schön grantig bist. Hat dich deine Frau etwa auf Diät gesetzt?“ „Nicht nötig. Ich weiß selbst, dass ich mich mehr bewegen muss.“ „Verstehe!“, antwortete Erwin lachend. „Das glaube ich eher nicht … Und wie sieht es bei dem Tramp zu Hause aus?“ „Kommt nur herein! Wir sind schon fast fertig.“
Freddie und Werner staunten nicht schlecht: Handtkes Wohnung war geschmackvoll eingerichtet, wirkte aufgeräumt und sauber. Das Wohnzimmer wurde von einem überdimensionalen Bücherregal dominiert, das die ganze Breitseite einnahm und bis an die Decke reichte. Beide traten wie magisch angezogen heran. Während Freddies Augen die bunten Bücherrücken abtasteten, meinte er: „Das sehe sogar ich, dass alle Bücher penibel nach Themengebieten geordnet sind. Die benachbarten Bücher haben ähnliche Titel.“ Werner nickte beeindruckt und richtete dann seinen Blick auf einen E-Book-Reader, der auf dem Couchtisch lag. Als er jedoch Handtkes silberfarbenen Laptop entdeckte, der wie abgemessen genau in der Mitte des Schreibtisches positioniert war, steuerte er sogleich darauf zu. Aber Erwin winkte ab. „Den habe ich mir schon vorgenommen: keine fremden Fingerabdrücke und mit einem Passwort gesichert. Wir nehmen ihn mit und fahren auf dem Rückweg bei der Computer-Forensik vorbei.“ Werner verzog sich daraufhin ins Schlafzimmer, wo Freddie bereits Maria Zeilinger begrüßte. Sie untersuchte gerade den Lichtschalter, als sie die fremde Gestalt wahrnahm. „Ist Martin krank?“, fragte sie erstaunt. „Nein, das ist mein neuer Partner: Werner Mohr.“ „Ich dachte, ihr habt eine neue Kollegin bekommen.“ Werner lächelte. „Ich bin schon seit fünf Jahren in der Abteilung, aber bisher nur im Innendienst. Die neue Kollegin ist mit Martin unterwegs.“ „Na dann wird sie wenigstens nicht dumm angemacht.“ Erwin steckte den Kopf herein: „Eine neue Kollegin. Das klingt ja interessant.“ Freddie wehrte sofort ab. „Die ist schlau. Die merkt sofort, dass du ein Filou bist und ein verheirateter dazu.“ „Aber man kann ja trotzdem eine Menge Spaß haben.“ „Und er hier? Was meint ihr, war Handtke verheiratet?“ Maria öffnete den Kleiderschrank. Die abgetragene Kleidung, die Irene und Martin beschrieben hatten, hing hier ordentlich auf Kleiderbügeln. „Alles nur in einer Größe! … Aber schaut mal!“ Sie öffnete den zweiten Bereich, in dem sauber aufgereiht Markenpullover und -jeans hingen. Freddie gab sein Handy an Werner weiter: „Bitte ruf du bei Martin an, mir glaubt er das sowieso nicht.“ Während Werner die Nummer wählte, formulierte er bereits im Kopf, was er Martin erzählen würde. „Und wie sieht es aus, Freddie?“ hörte er Martin zur Begrüßung sagen. „Seid ihr bei einem Messie gelandet?“ „Werner hier … Ach was: Du wirst es nicht glauben! Handtke hat diese Lumpen nur in der Arbeit getragen. Privat hat er sich richtig modisch, ja man kann sagen, edel gekleidet. Keine Krawatten, aber Markenware und nichts davon ausgewaschen. Und noch eine Überraschung: Die Wohnung ist so gut wie staubfrei, viel ordentlicher als bei mir zu Hause.“ „Gibt es Spuren einer Frau?“ Irene lächelte vor sich hin und dachte: Gerade durch mich schaut es in Martins Wohnung wie auf einem Basar aus, und trotzdem verbindet er noch immer eine ordentliche Wohnung mit der Anwesenheit einer Frau. „Zumindest keine, die bei ihm lebt“, gab Werner zur Antwort. „Alle Klamotten sind nur in seiner Größe. Ähm… Maria hat das schon überprüft. Und was die Sauberkeit der Wohnung anbelangt: Vielleicht hat er sich eine Putzfrau engagiert. Sieht fast so aus. Seinen Laptop muss ich den Kollegen überlassen. Er ist mit einem Passwort gesichert.“ „Danke, dass du uns gleich Bescheid gesagt hast. Falls ihr heute noch etwas Neues erfahrt, …“ „… rufen wir an. Und du hast nichts dagegen, wenn wir heimfahren, sobald wir hier fertig sind?“ „Aber nein!“ „Der Außendienst gefällt mir immer besser!“ „Freut mich. Dann noch einen schönen Abend!“ „Danke, dir auch!“ Werner legte auf. Er ging auf Maria zu und begann: „Entschuldigen Sie …“ Sie winkte sofort ab: „Es hat sich also schon herum gesprochen, dass ich Maria heiße. Mein Nachname ist Zeilinger. Mir ist es ganz recht, wenn ich mir nur deinen Vornamen merken muss.“ „Mir auch“, kam es fast schüchtern von Werner zurück.
***
Irene lauschte in den Nebenraum. „Das ist mein Telefon!“, rief sie Martin zu, während sie los rannte. Sie nahm den Hörer ab, setzte sich an ihren Schreibtisch und meldete sich. Da in diesem Moment das Signal einer eingehenden Mail ertönte, stellte sie den Lautsprecher an und öffnete sogleich die Nachricht. Nebenher vernahm sie die Stimme im Hörer: „Natalie … Natalie Wöhrle hier. Ich hab Ihnen eine Mail geschickt. Sie hatten es ja so eilig, darum wollte ich Ihnen auch gleich noch telefonisch Bescheid sagen.“ „Danke! Ich war tatsächlich nicht an meinem Platz … Ah ja! Die Finanzen von unserem Mordopfer! … Hmm. Sehr detailliert. Damit kommen wir sicher weiter … Ach, Sie haben sich auch um die anderen Fragen gekümmert. Handtke war also schon seit sieben Jahren bei der Isar Software AG und zuvor fünf Jahre bei einer anderen Firma in Göttingen. Ich lese das vor, weil mein Chef auch gerade dazukommt … Das ist ja toll! Sie haben sich ja auch schon in Göttingen umgehört. Er traf sich also immer noch mit den Ex-Kollegen dort … Das letzte Treffen liegt allerdings schon zwei Jahre zurück. Wie haben Sie das denn herausgefunden?“ „Ich hab zunächst nicht gesagt, dass Herr Handtke ermordet wurde, falls Sie das meinen. War überhaupt nicht nötig. Ehe ich mich versah, waren fünf seiner Ex-Kollegen in der Leitung und alle haben bereitwillig über ihn Auskunft erteilt. Männer eben. Harry ist ja auch eine Plaudertasche.“ Sie räusperte sich vernehmbar und sprach dann in sachlichem Ton weiter: „Handtke war dort sehr beliebt. Etwas exzentrisch, aber gerade das schien denen zu gefallen. Die wollten ihn gleich zu einem Treffen einladen, weil sie ihn ja fast zwei Jahre nicht mehr gesehen haben. Als sie hörten, dass Handtke tot ist, waren alle geschockt. Erst dann haben die mich gefragt, wer ich bin und wie das passiert ist.“