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Eine Novelle über das tragische Schicksal einer jungen Frau: Die jugendliche Contessina lebt ein einsames Leben bei ihrer kranken Mutter. Als ein florentiner Bildhauer zu Besuch kommt, lernt die in jeder Hinsicht zarte Contessina erstmals, dass das Leben Spaß bringen und voll Freude sein kann, doch als er wieder abreist, kommt sie nicht darüber hinweg...-
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Seitenzahl: 23
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Heinrich Mann
Saga
Contessina
Coverimage/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1897, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726885125
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
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Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com
An der Hand ihrer Bonne geht Contessina langsam, mit kleinen mühsamen Schritten durch den von der Frühlingssonne gelockerten Strandsand. Auf dem weißgekrönten Meerblau, inmitten eines fast harten Glanzes zeichnet sich die schmächtige Silhouette des kleinen Mädchens ab, mit ihren schüchternen kurzen Bewegungen.
Ihr Haar sonnt sich, ein goldner Mantel, zu schwer für die schmalen Schultern, in dem mächtigeren Gold des Lichtes, aber ihre Augen vermögen den Glanz nicht auszuhalten. Contessina läßt den Blick über die Berge, jenseits des Pinienwaldes, weit dahinten zu ihrer Rechten, schweifen, wo die Blendung der schon gegen Mittag steigenden Sonne weniger stark ist. Im Weiterwandern schaut sie in versteckte Täler, in schmale Hohlwege hinein, deren lauschende grüne Stille von dem mattsilbernen Band eines kleinen Kanals durchzogen wird. Doch in Contessinas große dunkle Augen tritt nichts von der Stimmung der Landschaft ein, auf der sie ruhen, so wenig von ihrem innigen Schweigen wie von ihrem lauten Glanze. Ohne gerade traurig zu sein, sind sie ein wenig teilnahmslos, die Augen des kleinen Mädchens, für ein Alter, in dem auch der unbedeutendste Gegenstand ein ganz frisches Interesse erregt.
Das Kind läßt die muntere Französin plaudern, ohne sich durch die Unterhaltung ermüdet oder angeregt zu zeigen, ohne eine Frage zu stellen oder um eine Erklärung zu bitten. Sie kommen einmal an einem Trupp Fischer vorbei, die mit dem Einziehen der Netze beschäftigt sind, meist alte Leute mit eingetrockneten Gesichtern, gesträubten grauen Bärten, in zerlumpter, bunter Kleidung. Die Weiber sitzen weiter oben am Strande im Kreise, die Knie aneinandergeschoben und die Hände darum hergelegt. Von weitem sind ihre lauten harten Stimmen vernehmlich. Nachdem sie zwischen den beiden Gruppen hindurchgeschritten ist, von links den stummen Gruß eines alten Mannes, von rechts den Zuruf eines Weibes: »Gott segne unsere Contessina!« erhalten hat, stellt die Kleine, ein Stückchen weiter, die erste Frage an ihre Begleiterin, und ihre Stimme, die seltsam klangvoll aus dem schwächlichen Körper kommt, zittert leicht, fast ängstlich:
»Sind das denn auch Menschen?« fragt sie.
Die Bonne lacht lustig auf.
»Aber Contessina!«