Cracktown - Buddy Giovinazzo - E-Book

Cracktown E-Book

Buddy Giovinazzo

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Beschreibung

Cracktown, Endstation. Es gibt kein Zurück. Wer hier angekommen ist, den hat die Gesellschaft längst abgeschrieben. Dem bleiben nur Crackträume. So die transsexuelle Prostituierte Marybeth und ihr Mann Benny, ein Crackhead und Einbrecher, die versuchen, ein normales Leben zu führen. Oder der ultrabrutale Romeo, der mit seiner Gang die Straßen terrorisiert. Manny versucht indes, seine Familie mit Nebenjobs über Wasser zu halten, und schuftet Tag und Nacht, während sich der 10-jährige Willy eher um seine Schwester sorgt als die von ihrem gewalttätigen Lover abhängige drogensüchtige Mutter. Die allgegenwärtigen Drogen zerstören alles und jeden. Die sich gelegentlich kreuzenden Short Cuts verwebt Giovinazzo zu einem episodenhaften Panorama der Armut und Verzweiflung, das die verbrannte Erde offenlegt, inmitten der Großstädte Amerikas.

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Inhaltsverzeichnis

Das Leben Verdampft in Cracktown

Londa Hat Ein Ei Im Nest

Nachtschicht In Der Bodega

Miss Lonely Hat Ein Date Heut Abend

Nancy Normalo Braucht noch was

Parade

Gebrauchtwagen

Ein ganz normaler Tag

Die Homos von der Houston

Die Wege Des Herrn Sind Unergründlich

Der Psalm von Richard Dem Manager

Chuckie:

Das Herz Vergeben Genau Wie Das Leben

Romeo: Von Grund auf versaut

Knastserenade

Wirrwarr Auf Der Blastoffstreet

Impressum

Zum Autor

Zu den Übersetzern

Pulpmaster Backlist

Buddy Giovinazzo

Cracktown

Das Leben Verdampft in Cracktown

Das Leben verdampft in Cracktown. Der glühende Bürgersteig versengt dir die Füße. Röstet das Erdreich. Entlässt Schwaden in die Luft. Blut und Pisse, Parfüm der Straße, verdunsten und vermengen sich, bis du ausrotzt, was sich als Rückstand in deiner Nase gesammelt hat. Brat dir ’ne Ratte und friss sie zum Frühstück. Feuer die Bazooka ab und die Ratte schmeckt wie Hühnchen. Überfall die Geschäfte, den Lebensmittelladen an der Ecke; greif ab, was du kriegen kannst; krieg, was du abgreifen kannst. Beobachte die Bullen in ihren Autos. Blas ihnen die Köpfe weg, wenn sie nicht hinschauen. Fick die Huren und zieh sie übern Tisch, es kommt ihnen sowieso nie. Bedien dich der Kinder, gute Kuriere, speis sie ab mit Süßkram und schau zu, wie sie altern. Hitze und Druck brauchen ein Ventil. Such dir einen Fremden; dann lauf weg. Zähl im Durchgang das Geld, lass die Geldbörse verschwinden. Feuer die Bazooka ab und es ist Himmelfahrt. Sei cool. Das Leben ist cool. Du bist cool. In Cracktown.

Londa Hat Ein Ei Im Nest

Dröhnendes Hämmern im Kopf, das ganze Rückgrat entlang und geradewegs in den Bauch, der täglich runder wird. Daddy wird’s bald merken, durch den Whiskeyschleier hindurch wird er’s sehen. Er wird sie zwingen, es zu behalten. Es zu behalten und aufzuziehen, und er wird sagen, selber schuld und dass sie jede gottverdammte Scheiße verdient, die ihr je passiert ist, weil sie eine Nutte ist und eine Schlampe und eine nichtsnutzige Fotze, genau wie ihre verschissene Mutter. Anschließend wird er sie verprügeln und aus der Wohnung jagen, weil er jedem da draußen Geld schuldet und sich nicht blicken lassen kann, ohne auf Caesar zu stoßen oder Luckyfoot oder Bazooka Joe, der an der Ecke Raketen verkauft, für die Kolumbianer, die das Kehledurchschneiden genauso fix erledigen wie das Besteigen ihrer Frauen.

Daddy wird bald aufstehen. Noch liegt er auf dem Sofa, in seinen pissfleckigen Unterhosen, zu bedröhnt, um sich aufzuraffen und ins Bad zu gehen. Vom Fenster aus beobachtet sie die Bullen. Scheint, als hätte es jemanden erwischt; mit gezogenen Pistolen rennen sie die Straße runter. Londa duckt sich am Fensterbrett. Sie wird man nicht erschießen wie Mrs. Cooper, deren Schädel samt Inhalt auf dem Fernseher landete, zerfetzt von einem Geschoss, nur weil sie zu nah am Fenster stand. Die Bullen rennen zurück zu ihrem Wagen und sprechen ins Funkgerät. Sie sollte sich jetzt um den Kaffee kümmern, denn Daddy wird bald aufstehen, und sollte der Kaffee nicht fertig sein, wird Daddy richtig miese Laune bekommen. Aber zuerst macht sie das Fenster auf, atmet tief ein, wünscht sich, ihr Leben würde sich verflüchtigen, sich in nichts auflösen, als hätte alles niemals existiert. Oder vielleicht sprengen ja diese blöden Russen die ganze Welt ins Jenseits und alles fängt noch mal von vorne an, wie bei Adam und Eva, nur diesmal ohne Schlangen, die alles versauen, die durch Scheiße kriechen und in deine Möse, sich hochschlängeln, um dir Babys in den Bauch zu schmuggeln, wenn du gar keine willst und andererseits nicht willst, dass du sie nicht willst. Wenn’s doch nur so wäre, denkt sie.

Hoffentlich mag er heute braune Brühe, denn es reicht nicht mal für eine Tasse. Zwar hat er ihr gestern Abend gesagt, sie soll Kaffee besorgen, aber sie hat die fünf Dollar eingesteckt und sich fünf weitere dazuverdient — indem sie Willy, Pedros Cousin, einen geblasen hat, ohne schlucken zu müssen, wozu sie sowieso nicht bereit gewesen wäre, selbst wenn er sie dazu aufgefordert hätte —, für Bazookamunition, zwei Schuss, von Pap-Smear Jones. Scheiß auf den Kaffee, es ist die Prügel wert, die sie gleich beziehen wird. Die Bazooka abfeuern und schon geht mir alles am Arsch vorbei, ich bin glücklich, steige hoch wie ein Drache, nichts zählt mehr, die mit Abstand coolste Sache. Besser als essen, besser als schlafen, besser als irgendwas. Sie dreht sich um und er attackiert sie wie ein aggressives Virus.

»Wo bleibt mein Kaffee, verdammt noch mal?« Sein Atem schießt aus seinem Mund wie ein Schwall Kotze. »Was glotzt du so?« Sie fängt sich eine ein, mit der Verkehrten, und segelt durchs Zimmer. Mit Blick auf seine Knöchel: »Du miese Schlampe hast mich gebissen!«

Er hat sie am Mund getroffen, ihre scharfkantig abgebrochenen Zähne. Ihre Lippe blutet, schlimmer noch, auch seine Hand. Er reißt Londa vom Boden hoch und schleudert sie gegen den Kühlschrank; sie spürt es in der Wirbelsäule, spürt ein Kribbeln in den Zehen. Vielleicht prügelt er sie ja kreuzlahm und wirft sie aus dem Fenster. Vom vierten Stock aus wäre sie augenblicklich tot; und vielleicht wär’s das, denkt sie. Vielleicht wäre er dann traurig und würde erkennen, dass er sie liebt und sie braucht, dass sie nur noch sich haben, das Wenige, was von der Familie geblieben ist. Vielleicht merkt er’s ja jetzt schon, bevor es zu spät ist. Wird lieb, hört auf zu trinken, hört auf, sie zu schlagen.

Doch er packt sie am Kopf, stößt ihr Gesicht in die Spüle, knallt ihre Stirn gegen den Wasserhahn, bis sie aufplatzt und das Blut den Weg über den Abfluss nimmt. Londa bricht auf dem Boden zusammen, hält sich die Stirn mit der blutverschmierten Hand, während er ins Badezimmer stolpert, um seine Unterhose zu wechseln. Sie bleibt sitzen, den Kopf in die Hand gestützt, bemüht, etwas zu fühlen, irgendwas, doch es will sich nichts zeigen: keine Träne, kein Schluchzen, kein Wimmern vor Schmerz oder Qual. Nichts. Deshalb hasst er sie so. Sie ist eine abgebrühte, verlogene, bösartige Fotze, sagt er, genau wie ihre verfluchte Mutter. Und vielleicht stimmt das sogar, denkt sie, denn sie weint nie. Niemals.

Aber immerhin kann sie lachen. Vor allem wenn die Bazooka abgeht. Wenn die Bazooka abgeht, lachen alle, sogar Leute, die sonst nicht lachen, lachen. Die Bazooka. Mein Gott, wenn sie jetzt nur eine hätte! Sie laden und anzünden, dran ziehen und inhalieren, in den Lungen lassen, wieder ausatmen und lachen. Über Daddy, selbst wenn er sie schlägt; seine Schläge kitzeln, Blut wird zu geschmeidigem Samt, blaue Flecken verwandeln sich in Schmuckstücke und sein Schwanz gleicht einem Zauberstab.

Wie soll sie das nur mit dem Kaffee hinkriegen? Dass er stärker wird? Daddy merkt es, ganz bestimmt, immerhin ist er noch nüchtern. Zumindest bis er zum Schnapsladen schleicht und sich seine Flasche holt, vorausgesetzt, er kann anschreiben lassen, was er sicherlich nicht kann, weil die ganze Nachbarschaft über ihn Bescheid weiß, schließlich haben Caesar und Luckyfoot und Bazooka Joe, der an der Ecke Raketen verkauft, für die Kolumbianer, die das Kehledurchschneiden genauso fix erledigen wie das Besteigen ihrer Frauen, jedem kleinen Pisser hier alles über Daddy auf die Nase gebunden.

Er nippt am Kaffee, fixiert sie mit den verquollenen, halb geschlossenen Augen eines angeschlagenen Boxers. Sie bemüht sich, ein unbeteiligtes Gesicht aufzusetzen, zieht den Bauch ein, hält die Luft an.

»Was ziehst du für ’ne Fresse, blöde Sau?«

Gut, er merkt nichts. Sie geht zum Spülbecken und befühlt ihre Stirn, es hat aufgehört zu bluten und trocknet bereits an. Sie pult den Schorf von ihrem Nasenrücken und verfolgt, wie die Schüppchen im Becken landen.

»Wenn ich zurückkomme, ist dieser Schweinestall hier sauber! Sollte wer kommen und nach mir fragen, sagst du, ich bin nicht in der Stadt. Hast du verstanden?« Sie nickt, doch das bringt ihn in Harnisch.

»Was ist? Hast du deine Scheißzunge verschluckt? Soll ich sie dir rausholen?«

»Nein. Ich hab’s gehört, Daddy. Wird alles erledigt, Daddy.«

»Das will ich dir geraten haben!«

Sie lauscht an der Tür, als er die Treppe hinunterstapft, zählt jede Stufe, bis das knarrende Quietschen der elften zu hören ist. Jetzt ist sie sicher, dass er tatsächlich auf dem Weg nach draußen ist, dass er nicht versucht, sie auszutricksen, indem er sich zurückschleicht, um sie dabei zu erwischen, dass sie nicht sauber macht, nicht das tut, was er von ihr verlangt, was ihm das Recht gäbe, sie zu schlagen und zu verprügeln und ihr Gesicht gegen den Wasserhahn zu knallen. Vom Fenster aus beobachtet sie, wie er aus der Tür linst und — als die Luft rein ist — sich dicht an den Hauswänden entlang davonmacht.

Bazooka!, schießt es ihr durch den Kopf. Ab zu Pedro, Bazookamunition organisieren. Vielleicht hängt Willy noch bei ihm ab, das sichert ihr fünf. Pedro kann auch ein oder zwei klarmachen, dann sind wir bereit zum Abflug.

Bevor sie geht, klebt sie sich zwei kleine Pflaster auf die Stirn und drückt ihr Haar herunter, damit’s nicht so auffällt.

»Mann, Londa! Verdammt, wir haben’s grad mal elf Uhr morgens!«

»Bitte, Pedro. Wollen wir nicht was besorgen, komm schon ... «

»Du Schlampe gehst mir richtig auf die Eier, weißt du das?«

»Tut mir leid.«

»Ach, halt die Klappe und komm rein.«

Er tritt beiseite und sie huscht hinein, sieht sich um. Er ist allein, von Willy keine Spur.

»Wo ist dein Cousin?«, fragt sie.

»Zu Hause.«

»Ach?«

»Ist wohl nicht so auf dich abgefahren.«

»Wie? Ich hab ihn gut gelutscht, richtig gut sogar.«

»Deine verdammten Zähne. Als ob er seinen Schwanz in einen Fleischwolf stopft, hat er gemeint.«

»Ich hab mich vorgesehen, Pedro, das weißt du. Ich hab noch nie einen gebissen, dich nicht, niemanden, das weißt du genau, Pedro, also komm schon!«

»Hey, was willst du mir eigentlich verklickern? Es ist sein Schwanz und wenn er den nicht in deinen Mund stecken will, was soll ich ihm da sagen? ... Vielleicht besorgst du’s Parker, der gibt uns dann was.«

»Hat er denn was?«

»Er hat immer was.«

Parker ist mit jemand Bestimmtes verwandt. Wer, weiß keiner, und keiner fragt, denn wenn Parker von dir die Schnauze voll hat, bist du Geschichte, rappklapp. Ein zufälliger Schuss in den Hinterkopf und schon taucht deine Leiche im East River auf, mit dem Gesicht nach unten im Wasser treibend wie ein aufgeblähter Sack Scheiße. Alles in allem ist Parker schon in Ordnung, immer einen Scherz auf den Lippen und eine Bazookaladung in der Tasche. Leg dich nur nicht mit ihm an.

Londa hat ihn nie gebissen und sie benutzt auch kein Kondom, also erwärmt sich Parker für die Idee vom Gratisblasen gegen Stoff. Ein paar Hits, ein paar Scherze, ein bisschen Schwanzlutschen, mehr Hits, mehr Scherze, Schwanzlutschen, Schlucken inklusive, noch mehr Hits, ein bisschen Gras, zwei Pillen für jeden, mehr Hits, und Parker muss los.

Londa fliegt durch die Straßen, hebt ab über dem Rinnstein, mit ausgebreiteten Armen. Alles ist perfekt, das Leben ein Traum, sie ist so glücklich, auf alles geschissen, sogar auf Daddy.

Sie dreht sich um und Pedro ist weg. Er muss sich aus dem Staub gemacht haben, als sie abgelenkt war. Zusammen mit dem Crack, das Parker ihnen gegeben hat. Scheiße. Allein. Auf der Straße, noch im Flug, beginnt sie zu zittern. Der Absturz ist tief, und bist du erst mal unten, hast du Mühe, wieder hochzukommen. Du bleibst in der Scheiße liegen, wie niedergedrückt von ihren kalten, eisenharten Händen, die dir an die Kehle gehen und sich in dein Fleisch krallen, dein Herz umklammern und es geradewegs aus deinem Brustkorb reißen. Sie lehnt sich gegen eine Häuserwand, bleibt dort, zehn Minuten, vielleicht auch vier Stunden. Zeit für die nächste Ladung, den nächsten Hit.

Die Wirkung von Parkers Stoff ist verflogen. Wo ist Pedro? Sie ziehen’s gemeinsam durch, so war’s abgesprochen. Er macht die Typen klar und sie erledigt den einfachen Part, den, der ihr zukommt, den sie seit sieben Jahren, also quasi ihr halbes Leben lang erledigt. Jetzt ist sie auf sich allein gestellt und wenn Caesar sie erwischt, dann Gnade ihr Gott! Sie hastet zum Lagerhaus-Club, wo immer was abgeht. Als sie auf Bazooka Joe trifft, der sie fragt, wann sie wirft, fällt ihr plötzlich auf, wie hässlich er ist. Mit den kalten, dunklen Augen an den Seiten seines Schädels könnte er in zwei verschiedene Richtungen gucken, wenn er wollte, wie eine Schlange. Wäre Bazooka Joe nicht immer so gut bestückt mit Munition, die verbrauchteste Nutte würde ihn keines Blickes würdigen.

Bracker lässt sie rein und die Party beginnt. Londa raucht die Pfeifen der Jungs und lutscht ihre Schwänze, tötet sich innerlich ab, doch genau das ist der Zweck. Jo Joe Cordero versucht, sie in den Arsch zu ficken, aber sie zieht eng zusammen, also lässt er ihn rausflutschen und spritzt ab in ihr Gesicht. Man tritt ihr in den Bauch, wer, sieht sie nicht. Bracker zündet noch eine an, jeder nimmt einen Zug, während Londa Eddie Larue einen abkaut — wär Eddie nicht schwarz, hätte er auch ein Weißer sein können.

Es ist spät und Daddy wird bald zu Hause sein, wird sein Abendessen erwarten, selbst wenn er keinen Hunger hat und keinen Krümel essen will. Also bettelt Londa um was für unterwegs. Jo Joe pinkelt in die Ecke und über seine Schulter hinweg sagt er lachend: »Fick dich, Londa, komm her und trink meine Pisse!«, und alle feixen, nur nicht Londa, denn vielleicht meint er es ernst. Man wirft ihr einen Brocken hin, sie kriecht über den Boden, bedankt sich und verspricht jedem einen Blowjob für morgen, geht hinaus auf die Straße, vorbei an Bazooka Joe, der von Minute zu Minute mehr wie eine Schlange aussieht.

Daddy liebt Hot Dogs und wenn sein Hunger nicht allzu groß ist, fällt auch für sie einer ab. Als sie das Wasser heiß macht, bleibt ihr Blick an der offenen Flamme hängen, und es fährt ihr durch den Sinn, dass sie was in der Tasche hat.

»Wo zum Teufel ist der Senf?«

Sie springt zum Kühlschrank, reißt die Tür auf, wie konnte sie nur den Senf vergessen?! Immer sind es Kleinigkeiten, mit denen sie sich Probleme einhandelt, die dafür sorgen, dass er ihr mächtig eine schmiert, die Zähne ruiniert, die Muschi malträtiert. Daddy schnappt sich den Senf und verschlingt die drei Hot Dogs, als wär sein Hals ein Klo. Er mustert sie so komisch, irgendwas geht ihm durch den Kopf. Sie hält den Atem an, zieht den Bauch ein und gibt sich unschuldig.

»Hast du deine verdammten Tage? Irgendwie siehst du aus wie ein Sack Scheiße!«

»Ja, Daddy, ich bin wieder dran. Tut mir leid, ich kann’s nicht ändern, das passiert nun mal.«

»Scheiß blutende Tiere seid ihr, allesamt!«

Er boxt sie in den Magen, will sehen, ob sie zuckt, doch sie zuckt nicht, taumelt lediglich rückwärts gegen die Wand und verharrt dort, falls er noch mal zuschlagen will. Er dreht sich um und geht ins andere Zimmer. Sie hält sich den Bauch, der jeden Tag runder wird, weiß, sie wird was unternehmen müssen, und zwar bald. Pedro kann sie in die Klinik bringen oder, sollte er keinen Bock drauf haben, seinen Freund Ralphie aus der Apotheke auf der 135sten Straße überreden, es zu tun; sie könnte ihm einen blasen und er macht’s umsonst und kommt vielleicht noch mit ein paar Pillen und Kodein rüber.

Daddy bleibt heute Abend zu Hause. Hängt auf der Couch ab, die Flasche vorm Hals. Londa muss die Bazooka abfeuern, aber erst wenn Daddy fest eingeschlafen ist. Einfach am Küchenfenster sitzen, jeden Blickkontakt vermeiden, hinunter in den Hof schauen. Die Ratten im Müll zählen, so tun, als wäre man eine Familie. Scheiße, eine Familie! Morgen wird sie Pedro bitten, ihr aus der Klemme zu helfen, dann kann sie auch mehr Bazookamunition organisieren, weil sie nicht mehr dick und hässlich ist, und wenn sie mit den Zähnen aufpasst, überlegt es sich Willy vielleicht anders und gibt ihr noch ’ne Chance. Sie hält das Crack in der schweißfeuchten Hand, hält es fest umklammert, spürt seine Magie in den Fingerspitzen. Daddy wird bald eingeschlafen sein. Sie wüsste gern, was Mommy so macht, ob sie noch lebt und wenn ja, woran sie in diesem Augenblick denkt. Vielleicht denkt Mommy gerade an sie, während sie an Mommy denkt. Wenn das stimmt, wär das so, als wär sie nicht allein.

Vielleicht, wenn sie sich ganz stark konzentriert, erscheint Mommy ihr im Traum; Mommy könnte sich davon überzeugen, dass Daddy okay, aber immer noch gemein ist, ab und zu. Ob Mommy wollen würde, dass sie’s kriegt? Nein, sicher nicht, schließlich hat Mommy selber zwei weggemacht. Mann, was ist Daddy ausgerastet, als er das Blut in der Wanne gesehen hat! Mit dem Gürtel hat er Mommy geschlagen, ihre Brüste mit einem Schraubenzieher bearbeitet und versucht, das ganze Zeug wieder in sie reinzustopfen ... Vielleicht, wenn sie die Bazooka abgefeuert hätte, wäre Mommy das alles egal gewesen.

Daddy ist jetzt weggetreten. Die Pfeife holen und am Fenster anzünden, den Rauch nach draußen blasen, für die Ratten im Hof. Diesen Rauch tief einatmen, dieses süße Parfüm, das dir alle Last von den Schultern nimmt und du dir einbilden kannst, du wirst geliebt, bist kein Stück Dreck, keine abgebrühte, verlogene, bösartige Fotze wie deine verfluchte Mutter.

Im Dunkeln hört sie, wie die Kakerlaken über den Herd krabbeln, das Tripp-Tripp-Trippeln ihrer Füße, und in ihrer Phantasie reden sie mit ihr.

»Hey, Londa!«

»Yeah? «

»Was willst du Daddy erzählen? Er wird behaupten, du hast es extra gemacht, dann wird er dich mit dem Gürtel verprügeln und deine kleinen Titten mit einem Schraubenzieher bearbeiten.«

»Er wird nicht dahinterkommen, weil Pedro sich drum kümmert.«

»Hey, Londa!«

»Yeah?«

»Ist alles alle? Oder hast du noch was für uns?«

»Da hättet ihr früher anklopfen müssen, jetzt ist alles alle. Es ist im Hof bei den Ratten.«

»Du bist ein egoistisches Schwein!«

»Was brennt da?«, tönt es aus Richtung Couch. »Was zum Teufel verbrennst du hier drin?!«

Daddy stolpert herein und haut sie vom Stuhl. Er schaltet das Licht ein, und die Kakerlaken huschen zurück in den Backofen, lachen, während sie verschwinden. Daddy hat die Pfeife auf dem Fußboden entdeckt und schnappt sie sich. Londa sitzt auf dem Boden, pickt sich einen Fliesensplitter von der Wange und versucht sich zu erinnern, in welchem Raum sie ist.

»Dafür also geht mein Geld drauf! Du verfluchte ... ich strampel mich ab und du ... du ... « Daddy ist hochrot im Gesicht, aus seinem Mund tropft Spucke, er ist so drüber, dass er nicht mal sprechen kann. Londa grinst, und er verspürt den Drang, ihr die abgebrochenen Zähne in den Schlund zu drücken. Stattdessen packt er sie am Haar, schleift sie ins Zimmer, tritt und drischt sie gegen die Couch und reißt ihr alle Sachen vom Leib, bis sie nackt ist. Er schlägt sie ins Gesicht, beißt ihr in die Brustwarzen, doch Londa schreit nicht, gibt nicht den kleinsten Laut von sich, ihr Verstand sagt ihr, dass nichts von alldem wirklich geschieht. Daddy wirft sich auf sie, auf ihren runden Bauch, stößt in sie hinein, wieder und wieder, bis er ihn rauszieht, und als er kein Blut entdeckt an seinem Schwanz, dreht er noch mehr durch. Er tituliert sie mit Ausdrücken, deren Bedeutung er nicht mal kennt, dennoch sprudeln sie heraus und täten sie’s nicht, würde er sich ein Messer aus der Küche holen, Londa aufschlitzen und ihre Eingeweide aus dem Fenster schmeißen. Daddy sieht hinüber zu seiner leeren Flasche, erwägt, Londa das Ding über den Schädel zu schlagen, besinnt sich jedoch anders und zwingt Londa ins Badezimmer, drückt ihr Gesicht in die Toilette, schlägt es gegen das Porzellan, bis die scharfkantigen Zähne Partien ihrer Lippe aufreißen. Egal, Londa wähnt sich in einem Traum. Sie verspürt keinen Schmerz, weil sie hoch oben fliegt und an Mommy denkt, die an sie denkt, und solange das so ist, ist sie nicht allein. An die Badewanne gelehnt, spuckt sie Blut und Spucke, während Daddy vor ihr aufragt, flucht und lange, schleimige Speichelfäden hervorwürgt; Daddy ist so was von eklig, wenn er sauer ist, dass es fast zum Lachen ist. Seine Schuhe mit den Stahlspitzen finden ihr Ziel und sie muss kotzen, doch was interessiert es sie? Wenn’s vorbei ist, lässt Daddy sie in Ruhe und sie kann losziehen, um Pedro aufzutreiben, um es ein paar Jungs zu besorgen und die Bazooka abzufeuern. Sie verliert Blut, es rinnt über den Fliesenboden, wärmt ihr die Beine, doch selbst das ist ihr egal. Eines Tages wird Daddy es bereuen. Dann wird er richtig nett sein, wird mit ihr reden und sie in den Arm nehmen, wird sie lieb haben und alles wird besser sein, weil es keine abgebrühten, verlogenen, bösartigen Londas mehr geben wird, die, genau wie ihre verschissene Mutter, dafür sorgen, dass er so unausstehlich ist.

Daddy hat verlangt, dass sie das Blut wegwischt und die Toilette sauber macht, wenn nicht, würde es ihr leidtun. Sie weiß, sie hat das Baby verloren, Daddy hat ziemlich heftig zugetreten. Londa macht sich daran, die Schweinerei zu beseitigen, während Daddy zur Couch geht, sich hinlegt, wo er einpennen und in die Unterhose pinkeln wird, um am anderen Morgen aufzustehen und mit dem ganzen Scheiß von vorn anzufangen.

Nachtschicht In Der Bodega

Manny rackert sich ab für seine Familie. Macht zwei Jobs, jeden Tag. Tagsüber als Wachmann im Terminal Hotel, wo ein Tag ohne Blut wie ein Tag ohne Sauerstoff ist. Im Anschluss nach Hause, essen und die Kinder sehen. Dann legt er sich hin und steht um zehn in der Nacht wieder auf, um sich hinter die Kasse der Drecksbodega zu stellen, umgeben von Regalen voller verbeulter Bohnenkonserven, Reis, Käse, Milch, Zigaretten, Bier, außerdem das Lotto. Keine Ahnung, wie lange er das noch durchstehen kann, allmählich zerrt es an seinen Nerven. Vergangene Woche stand er kurz davor, Concetta zu schlagen, als sie mit einer Sache anfing, von der er überhaupt nichts wissen wollte. Zum Glück konnte er sich im letzten Moment beherrschen. Sie hat ihn schließlich in Ruhe gelassen, doch er hat sich richtig beschissen gefühlt, denn er liebt sie, sie und die Kinder, sie sind alles für ihn. Sie brauchen ihn. Und er will verflucht sein, wenn sie seinetwegen beim Sozialamt betteln müssten wie Fat Tony und seine Mutter, die gegenüber wohnen. Also schiebt er Nachtschicht. Was das betrifft, lief es bisher gut.

Anfänglich ging Manny zur Schule, träumte vom Geldverdienen. Aber dann kam Ramon und die Träume mussten der Wirklichkeit weichen, Wolken sind bekanntlich zum Verzehr ungeeignet. Als die Rechnungen Manny fast zu ersticken drohten, verlegte er sich nicht aufs Fluchen, aufs Prügeln, machte sich nicht davon, sondern zog los und besorgte sich einen Job als Tellerwäscher in einem schicken Restaurant. An manchen Abenden durfte er die Reste erlesener Menüs mit nach Hause nehmen; er und Concetta fühlten sich wie Mr. und Mrs. Trump, verspeisten Sachen, deren Namen sie nicht mal aussprechen konnten. Sicher, es war schwer zu dieser Zeit, doch solange er Concetta hatte, war er glücklich und entschlossen, ihr Besseres zu bieten.

Ein Jahr nach seiner Geburt war klar, dass mit Ramon etwas nicht stimmte. Er war anders. Dinge, zu denen er hätte fähig sein müssen, konnte er einfach nicht, sich selbstständig aufsetzen zum Beispiel. Komisch, alle Ärzte meinten, er sei in Ordnung, und genau deshalb hat Concetta kein Vertrauen zur öffentlichen Klinik. Sechs Monate nach Ramons erstem Geburtstag kam Alva zur Welt. Manny nahm den Job als Wachmann an und hielt diesen Schritt weg vom Tellerwäscher für einen Schritt nach oben; viel mehr Geld verdiente er nicht, vor allem verdiente er nicht genug. Als Ravi von der Drecksbodega dann fallen ließ, dass er jemanden für die Nachtschicht suche, sagte Manny zu. Zwar hatte Ravi vergessen zu erwähnen, dass er in den letzten Monaten während dieser Schicht mehrmals überfallen worden war, aber in Mannys Fall hätte das nichts an der Entscheidung geändert. Concetta fragte ihn, wann er schlafen wolle, wann sie ihn zu Gesicht bekämen, wenn er nie zu Hause war, und überhaupt, die Gefahr, sich spät in der Nacht da draußen den ganzen Verbrechen aussetzen, die ganzen Crackheads, aber er sagte, er nehme den Job auf jeden Fall an, also gab sie klein bei.

Während der Nachtschicht lässt sich niemand blicken, sieht man von Besoffenen ab, die Bier wollen, oder dem vereinzelten Kiffer auf der Suche nach Blättchen, die Ravi zum Wucherpreis von fünfundneunzig Cent verkauft. Um vier Uhr morgens geht Manny nach Hause, nickt ein, bis Concetta ihn um fünf weckt, ihm das Frühstück zubereitet und ihn an der Wohnungstür verabschiedet.

Im letzten Monat hat Alva ihre ersten Schritte gemacht, doch Manny war arbeiten und konnte es nicht sehen. Ramon wird vielleicht nie laufen, er weint die ganze Nacht und gleichgültig wie viel Essen oder Medizin er bekommt, er hört niemals auf zu weinen. Manny sieht, unter welchem Druck seine Frau deshalb steht, bekommt sie doch genauso wenig Schlaf wie er. Aber es ist den Stress wert, sagt er sich, solange sie einander haben und eine Familie sind. Eines Tages werden sie von hier wegziehen, dafür legt er schon eine Weile Geld zurück, ja, eines Tages werden sie weg sein. In letzter Zeit hat sich die Gegend verändert; viele neue Gesichter — obdachlose Bettler, Säufer, Junkies, lauter Fremde — und man kann nicht mal auf dem Bürgersteig laufen, ohne auf Glasröhrchen zu treten. Während der Nachtschicht kehrt Manny die Dinger in den Rinnstein und so können die Kids sie für fünf Cent das Stück an Kenny Carter verhökern.

Draußen sind Leute vorbeigegangen, haben reingelinst, Leute, die verdächtig ausgesehen haben, mit geweiteten Augen, abgerissen, Leute, die sich gekratzt und die Haut gerieben, die den Laden gecheckt haben, bis Manny sie direkt angesehen hat, von seinem Platz hinter dem Tresen, woraufhin diese Leute davongeeilt sind. Es kann sich für Ravi überhaupt nicht lohnen, die ganze Nacht geöffnet zu haben. Es spielt sich nämlich gar nichts ab. Wenn am Ende zwanzig Dollar in der Kasse liegen, ist es eine gute Nacht gewesen, was Manny allerdings nie ansprechen würde, denn täte er es und stimmte Ravi ihm zu, wäre Manny seinen Job los.

Das Sonnenlicht sickert bereits durch die Jalousien, als Concetta noch immer mit Ramon in der Küche sitzt. Er quengelt und verweigert die Flasche. Manny geht ins Zimmer und wirft sich auf die Couch. Schließt die Augen und ist bereits am Wegdriften, als ein kleiner, spitzer Schrei aus der Küche sein Bewusstsein durchsticht. Hätte Manny einen anderen Charakter, würde er den Kleinen auf der Stelle umbringen. So aber geht er in die Küche, wo er eine todmüde Concetta vorfindet, ihre geschwollenen Augen dunkel umschattet, die Mundwinkel nach unten gezogen, die Wangen feucht und gerötet. Es quält ihn, sie so zu sehen, denn sie ist die schönste Frau, der er jemals begegnet ist. Er nimmt ihr Ramon ab und sagt, sie soll versuchen, ein wenig zu schlafen, und sie verschwindet ins Schlafzimmer, während er, seinen Sohn im Arm, auf und ab geht.

»Schhh, komm schon, Ramon, nicht weinen«, flüstert er in beruhigendem Tonfall. »Mama ruht sich aus und das solltest du auch. Schhh, mach die Augen zu.«

Ramon stößt einen weiteren durchdringenden Schrei aus, und für einen Moment verspürt Manny den Drang, das ganze gottverdammte Bündel aus dem Fenster zu schleudern. Stattdessen drückt er ihn fester an sich, küsst sein Gesicht und hasst sich dafür, so etwas auch nur im Ansatz erwogen zu haben. Den Kleinen trifft keine Schuld, sagt er sich, er hat nicht um das Downsyndrom gebeten. Alva fängt in ihrem Bettchen an zu weinen, doch bevor Manny hineingehen kann, bringt Concetta sie schon in die Küche. Sie sehen einander hilflos und mit müden Gesichtern an, und Manny fühlt sich weniger als Mann als für gewöhnlich. Es ist alles meine Schuld, denkt er, weil ich so stur bin. Sein verdammter Stolz bringt sie um alle Chancen. Er könnte einen Haufen Geld verdienen, mehr als mit seiner Hände Arbeit, würde er für Luckyfoot arbeiten. Nicht mal verkaufen oder berühren müsste er das Zeug, müsste es nur von einem Ort zum anderen bringen, damit die Bazooka-Jungs es verticken können. Doch für Manny kommt so etwas überhaupt nicht infrage, so ist er nicht erzogen worden, also steht er um halb sechs am Morgen in seiner kleinen Küche, den schreienden Sohn im Arm, während seine Frau am Rande eines Zusammenbruchs balanciert.

Concetta füttert Alva, setzt sie anschließend zum Krabbeln auf den Boden, gibt Manny ein Glas warmes Pfirsichmus für Ramon, der es sich schließlich schmecken lässt. Sie nimmt Manny den Jungen ab und meint, Manny soll versuchen, noch ein wenig zu schlafen, und dass sie ihn in einer halben Stunde wecken wird. Manny küsst sie und entschuldigt sich insgeheim dafür, dass die Dinge so sind, wie sie sind.