Potsdamer Platz - Buddy Giovinazzo - E-Book

Potsdamer Platz E-Book

Buddy Giovinazzo

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Beschreibung

Der türkische Bauunternehmer Yossario bittet seinen alten Mafiafreund Riccardo Montefiore um Hilfe: Auf der Berliner Riesenbaustelle am Potsdamer Platz tobt ein blutiger Verdrängungskrieg um Großaufträge. Die Mafiasoldaten Tony und Hardy werden nach Berlin entsandt, um auf amerikanische Art entsprechenden Druck auf die Gegenseite auszuüben. Während der psychopathische Hardy sich in seinem Element befindet, erkennt Toy, dass ihre gewaltätigen Aktionen ständig getoppt werden und der ganze Einsatz auf fremden Terrain langsam, aber sicher aus dem Ruder läuft ...

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Inhaltsverzeichnis

Ein Vorwort von Frank Nowatzki

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Impressum

Zum Autor

Zu den Übersetzern

Pulpmaster Backlist

Buddy Giovinazzo

Potsdamer Platz

Nestbeschmutzer

Ein Vorwort von Frank Nowatzki

Hier zu Lande bedarf Buddy Giovinazzo eigentlich keiner großen Einführung mehr, doch wenn ein neues Buch von ihm erscheint, ist das für den Verlag immer ein besonderer Moment. Immerhin sitzt er schon seit dem Stapellauf von Pulp Master mit im Boot und hat mit seinem experimentellen Stil die Grenzen des Genres sehr weit gedehnt und seinen ganz eigenen Beitrag für die Ausrichtung der Reihe geleistet. Und das, obwohl er bei amerikanischen Verlagen mit seinem neuen Buch bisher keinen Fuß in die Tür bekam. Doch dazu später.

Als Buddy Giovinazzo vor einigen Jahren einen längeren Aufenthalt in Berlin dazu nutzte, ein neues Buch in Angriff zu nehmen, war mir klar, dass wieder etwas Neues, etwas Anderes entstehen werde. Anders als bei seinem letzten Roman inspirierten ihn nicht die broken streets von New York, diesmal war es das Berlin Mitte der 90er Jahre: illegale Phantom-Clubs in Ostberlin, die eindrucksvolle Skyline der Kräne am Potsdamer Platz, die Aufbruchstimmung und das Aufeinandertreffen der unterschiedlichsten Menschen aus beiden Teilen der Stadt. Fasziniert beobachtete er das ganze Szenario mit dem gewissen Blick, wie er in fast banal wirkenden Situationen mit eher nebensächlichen Details wahrscheinlich nur dem unbeteiligten Fremden eigen sein kann, und fing einfach an draufloszuschreiben.

Das Gefühl des Fremdseins, das Tony, Buddy Giovinazzos Protagonisten, bei seiner Ankunft in Berlin spontan überfällt, erscheint im weiteren Verlauf wie ein beunruhigender Vorgriff auf kommende Ereignisse. Andererseits ist es gerade dieses Gefühl, ein unassimilierter Fremdkörper zu sein, das Tony eine schrittweise Annäherung an die Stadt und an eine andere Kultur ermöglicht. Als er sich dann nach einer Art Liebe-auf-den-ersten-Blick-Begegnung zu einer ehemaligen Ostberlinerin hingezogen fühlt, bringt das nicht nur den Hormonhaushalt durcheinander, sondern setzt auch einen Prozess in Gang, den man als Therapie bezeichnen könnte. Nach und nach kämpfen sich Ereignisse aus seiner auf weiten Strecken traurigen Kindheit und aus seinem erbärmlichen Dasein als Hitman einer Organisation mit Mafiastrukturen in Form von Flashbacks an die Oberfläche seines Bewusstseins. Während die wahnwitzige Story um eine US-Crime-Family auf Globalisierungskurs von Kapitel zu Kapitel zu explodieren droht, werden bei Tony in und durch die Fremde Erinnerungen und Gefühle wachgerufen, die, seit Jahren verdrängt, in seinem Unterbewusstsein schwelen und nur durch Kompensation in Schach zu halten waren. Die Liebe hat hier (wie auch in Broken Street und Poesie der Hölle) als unbekannte Größe eine Art Schlüsselfunktion und symbolisiert so etwas wie Hoffnung. Sie transportiert Licht in die permanente Dunkelheit von Tonys Seele. Der Brit-Noir-Meister Derek Raymond beschrieb diesen Zustand treffend in Die verdeckten Dateien und schloss mit den Worten: »Wie Liebende erschaffen, so vernichten Attentäter im Traum. Liebende träumen vom Licht und gehen in den anderen ein, aber der Killer träumt von der Dunkelheit und geht abwesend durch den anderen hindurch.«

Doch je mehr Skrupel Tony auf fremdem Terrain befallen, desto heftiger legen sich seine Bosse und die anderen Mafiasoldaten ins Zeug. Anstelle von Diplomatie setzen sie dabei auf die gute, alte amerikanische Gewalt; selbst Hardliner wie Donald Rumsfeld hätten wohl ihre wahre Freude daran, zumal am Ende des Romans der US-amerikanische Annäherungsversuch an das ›Neue Europa‹ visionär vorweggenommen wird. Aber bevor ich mich hier zu weit aus dem Fenster lehne und demnächst in einem Hühnerstall in Guatánamo Bay aufwache, komme ich lieber noch auf die Absagen der amerikanischen Verlage zu sprechen.

Zwar bescheinigen alle Buddy Giovinazzo enorm viel Talent, müssen aber angesichts des Grades grafischer Gewalt und der Tatsache, dass die erste Person ein Killer sei, mit dem sich der Leser nicht identifizieren könne, passen. Dass diese Einschätzung Ausfluss einer oberflächlichen Betrachtungsweise ist, muss hier nicht betont werden. Denn mit nur geringem Aufwand vermag man in Potsdamer Platz die Struktur eines Entwicklungsromans zu entdecken, in dem die intellektuelle und seelische Entwicklung eines Helden und seine Auseinandersetzung mit der Umwelt thematisiert werden.

Auch Krimipreisträger Garry Disher hat mir kürzlich ähnliche US-Erfahrungen in Bezug auf seine Wyatt-Gangsterromane bestätigt, und keine Geringeren als die Altmeister Jim Thompson und Charles Willeford hatten ja bekanntermaßen zu Lebzeiten dieselben Probleme. Die Lektorin von Buddy Giovinazzos erstem Buch Cracktown — sie arbeitet inzwischen für einen großen renommierten New Yorker Verlag — verriet immerhin, dass sie Potsdamer Platz wahnsinnig gern gemacht, aber es auf Grund der Stimmung nach ›nineeleven‹ nie durch die Chefetage bekommen hätte. Der US-Buchbetrieb setze eben momentan verstärkt auf Entertainment und nicht auf brutale amerikanische Killer, die im Ausland kompromisslos ihre Interessen vertreten. Nestbeschmutzer ließen sich im Moment nicht verkaufen. Verstehen kann man’s, zumal Muslime in Potsdamer Platz Gelegenheit bekommen, ihre Werte als Kontrapunkt zum american way of life zu formulieren, und — so viel sei verraten — die U.S.-Boys dabei alles andere als cool aussehen.

Die Filmindustrie geht da scheinbar trotz mieser Stimmung ganz andere Wege. Ridley Scotts Kriegsdrama Black Hawk Down beispielsweise wurde lediglich mehrfach verschoben und Bruder Tony Scott hat die vor zwei Jahren erworbene Option für Potsdamer Platz gerade verlängert und für weitere Drafts das britische Drehbuchduo von Sexy Beast verpflichtet.

Zudem treffen immer mehr deutschsprachige Manuskripte bekennender Fans von Disher und Giovinazzo bei uns ein und gehen in die richtige Richtung. (Den Namen Marcus Starck sollte man sich schon mal vormerken.) Das wirkt wie Balsam, obgleich wir natürlich wissen, dass unser Beitrag zur hiesigen Buchlandschaft relativ klein ist. Doch wie jeder Kleingärtner ist man letztendlich auch ein wenig stolz, wenn die dunkle Saat auf kargem Boden nach langer Bewässerungsphase endlich aufgeht.

1

September 1995.

Lufthansaflug 8257. J.F.K. nach Frankfurt. Anschlussflug 8835 Frankfurt-Berlin. Ankunft Flughafen Tegel elf Uhr sieben vormittags.

Der Flieger war drei Minuten früher gelandet und nun stand ich in der Warteschlange vor der Zollabfertigung. Den Reisepass entschlossen zwischen Daumen und Zeigefinger, versuchte ich die Wirkung von sieben Crown Royal aus meinem dröhnenden Kopf zu vertreiben, während alle um mich herum aussahen, als würden sie sich verflüssigen. Ich hätte weniger trinken sollen und erst recht nicht so viele Pillen einwerfen dürfen, aber ohne sie hätte ich diesen Trip nicht überstanden. Immer wieder betrachtete ich die laminierte Innenseite meines Passes, stocksauer auf Hardy, der mich an die Sache mit Leo Castillo erinnert hatte, an dessen Versuch, sich mit gefälschtem Pass wieder in die Staaten einzuschleusen, nur dass der Zollbeamte bemerkt hatte, dass das Bild ausgewechselt worden war; so kriegten sie Leo doch noch wegen Mordes dran — immerhin, Leos Frau und ich verbrachten danach acht tolle Monate.

Hardy versetzte mir von hinten einen Stoß und grinste mich dämlich-träge an. Ein plumper Klotz von einem Kerl, mit großer Klappe und schlechten Manieren; ich war mir sicher, sie würden ihn höchstens mit einem flüchtigen Blick streifen, ehe sie ihn durch die Passkontrolle winkten.

Wie ein Ziegelstein saß der Kopf auf der steifen grünen Uniform; Augen, kalt wie Chrom, dazu Lippen, die wie zwei vertrocknete Würmer unentschlossen aufeinander klebten; zuerst sah er auf das Foto, dann zu mir, dann wieder auf das Foto — ein abschätzender Blick, irgendetwas kam ihm merkwürdig vor. Er nahm eine kleine Taschenlampe und betrachtete die Schweißnähte. Leichter Horror packte mich. Ich bot meinen ganzen Willen auf, um die Person in dem Pass zu werden.

»Der Grund Ihres Besuches in Deutschland?«

»Urlaub«, antwortete ich.

»Guten Tag«, sagte er und knallte einen großen Stempel auf eine der Innenseiten meines Passes, gab ihn mir zurück und griff hinter mir nach Hardys Pass.

Wir holten unser Gepäck und gingen rasch zum Ausgang, wo uns automatische Milchglastüren in einen Terminal voll hektischer Betriebsamkeit entließen.

Ich wünschte fast, sie hätten es nicht getan.

Plötzlich sprangen mir von allen Hinweisschildern Hieroglyphen entgegen, die Werbeplakate sagten mir nichts, niemand sprach hier Englisch! In diesem Augenblick traf mich das Exotische dieser ganzen Operation mit voller Wucht, schlug mir ins Gesicht wie eine wütende Hure.

»Du hast Peilung, wo’s langgeht?«, fragte Hardy mit der kindlichen Erwartung eines Sechsjährigen.

»Ich folge dem gelben Pfeil.«

»Woher weißt du, wohin der führt?«

»Weil hinten ein Auto abgebildet ist.«

Fünf Schwarze in afrikanischen Gewändern checkten gerade ein, zwei Flugbegleiter, ein Mann und eine Frau, beide groß und blond, standen uns im Weg und stritten sich lauthals.

»Mann, das ist voll bescheuert«, murmelte Hardy und versuchte, mit mir Schritt zu halten.

Zehn Minuten später hatten wir bereits die Aufmerksamkeit einiger Männer und Frauen erregt, die wie Schachfiguren missmutig an einer Haltestelle standen; ebenso gut hätten wir auch grün angemalt sein können. Zitternd, als würde er frieren, wippte Hardy auf seinen Fußballen leicht vor und zurück; kein gutes Zeichen, so viel kann ich auf Grund persönlicher Erfahrungen mit Hardy schon sagen.

»Auf wen warten wir eigentlich?«, murmelte er.

»Auf einen Typ namens Vita.«

»Was soll ’n das für ’n Name sein?«

»Keine Ahnung.«

»Wo bleibt er, verdammt noch mal?«

»Keine Ahnung.«

»Scheiße, wie lange sollen wir denn hier auf ihn warten?«

»Bis er kommt.«

»Mir ist immer noch nicht klar, was zum Henker wir hier zu suchen haben, tausende Meilen weg von zu Hause. Jeder x-beliebige Knochenbrecher könnte den Job machen.«

»Wir sind Knochenbrecher«, erinnerte ich ihn. Er gluckste, schien sich für einen Moment zu entspannen. Aber er hatte Recht. Auch in mir rumorte es schon seit einer Weile, irgendwas stimmte nicht an der Sache, sie hatte etwas von einem Himmelfahrtskommando. Aber ich war der Meinung, man kam weiter im Leben und konnte es für gewöhnlich auch länger genießen, wenn man ohne lange zu fragen das tat, was Riccardo Montefiore von einem verlangte. Ein großer Typ um die dreißig, die Haut gebräunt und das blauschwarze Haar sorgfältig gestylt, bekleidet mit einem dunkelbraunen Nadelstreifenanzug und Schuhen aus braunem Krokodilleder, kam angerannt und wedelte aufgeregt mit einem zerknitterten Zettel. Hardy murmelte: »Scheiße, was ist das denn?«

Der Typ schien unsicher und fahrig, zupfte an seinen mit Manschettenknöpfen versehenen Ärmelaufschlägen und sah sich ständig um, bevor er dann ziemlich unvermittelt vor uns stehen blieb und einen schnellen Blick auf seinen Zettel warf.

»Äh, haben Sie Ticket für Giants?«, fragte er und die Worte polterten wie Holzstücke aus seinem Mund, aber es waren die richtigen.

»Ich habe eine Dauerkarte«, antwortete ich und der Typ seufzte erleichtert.

»Tut mir Leid, aber zu lang gewartet, nicht?«

Hardy antwortete kurz angebunden: »Nur zwei beschissene Stunden.«

Dem Typ fiel die Kinnlade herunter, ich dachte schon, er würde anfangen zu heulen. Dann zwang er sich plötzlich ein nervöses Lachen ab: »Ach so, haha. Amerikanische Humor ... Die Wagen steht dahinten.«

Er griff sich sofort unser Gepäck, gab einem älteren Haudegen mit dunklem Teint und wildem grauen Bart, der wie verdrehte Antennen in alle Himmelsrichtungen abstand, ein Zeichen und machte sich auf den Weg zu einer Reihe von Wagen, die am Straßenrand standen.

»Ich bin Vita«, sagte er im Gehen. »Haben Sie gute Flug gehabt?«

»Kann man so sagen«, antwortete ich, denn ich wollte nicht schon während meiner ersten zwanzig Minuten in diesem Land den Grobian raushängen lassen.

»Lange Flug, was? Von Amerika?«

»Lang genug.«

»Mein Vater erwartet Sie in Büro.«

»Ihr Vater?«

»Yossario.«

Das erklärte eine Menge. Abrupt blieb Vita vor einer schwarzen Limousine Marke BMW stehen, nahm nervös die Haltestelle ins Visier. Als er sich davon überzeugt hatte, dass die Luft rein war, hastete er um den Wagen herum, öffnete die Haube des Kofferraumes und hievte unsere Koffer hinein. Mit einer schwungvollen Geste bedeutete er uns einzusteigen, um dann selbst auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen. Hardy und ich sahen uns an. Der Bärtige öffnete uns die Tür und wir stiegen ein. Hardy drehte sich um und warf einen Blick auf den Flughafen, der langsam aus unserem Blickfeld verschwand. »Shit, der ist ja kleiner als Newark.«

Ich reichte einen Zettel nach vorn zum Beifahrersitz. »Da wollen wir hin. Und zwar gleich.«

Vita schaute auf das Geschreibsel und ich konnte hören, wie er schluckte; dann sah er zu dem Bärtigen und sagte etwas in einer Sprache, die nicht Deutsch war. Der Bärtige warf einen kurzen Blick auf den Zettel und wandte sich wieder der Straße zu, kein Kommentar, keine Reaktion, nichts.

Vita drehte sich zu uns um, offensichtlich verwirrt. »Wir bringen euch jetzt zu Wohnung«, sagte er.

»Nein. Zur Wohnung wollen wir später. Wir wollen sofort loslegen. Wo ist die Hardware?«

Wieder fiel ihm die Kinnlade herunter; jetzt war mir klar, dass ich mich an diesen Gesichtsausdruck würde gewöhnen müssen. In Vitas Interesse konnte ich nur hoffen, dass ich nicht allzu schnell davon genervt sein würde.

»Hart wär?«

»Es war abgemacht, dass ihr das erledigt. Im Flugzeug hätten wir wohl schlecht was mitbringen können.«

Er schnallte es nicht. Doch eine Sekunde später fiel der Groschen und er sagte: »Ach so ... Ich bring euch jetzt zu meine Vater.« Nein, er hatte wohl noch immer nicht verstanden.

»Sind die Teile dort?«

»Nein. Wir holen später.«

»Lasst sie uns jetzt holen.«

»Aber ... es noch zu früh. Zu früh.«

»Ich habe sehr genaue Instruktionen. Vertrau mir einfach, Vita. Je früher wir die Sache durchziehen, desto eher können wir alle nach Hause.«

Vita zog ein Handy hervor und fing an, irgendwelche Nummern einzuhämmern, doch Hardy riss es ihm aus der Hand und schleuderte es aus dem Fenster. Vita schnappte nach Luft und sah sich schockiert um.

»Bring uns jetzt zu der Adresse, die Tony dir gezeigt hat«, blaffte Hardy und setzte sich aufrecht hin, wobei sein Kopf die gepolsterte Decke des BMW berührte. Vita flüsterte dem Bärtigen etwas zu, der, ohne den Blick auch nur kurz von der Straße zu lösen, vor sich hin brummte und in eine Seitenstraße einbog. In diesem Augenblick bemerkte ich zum ersten Mal, dass ihm die rechte Hand fehlte; säuberlich vom Handgelenk abgetrennt, das in einem offensichtlich noch blutenden, frisch bandagierten Stumpf mündete. Ich stieß Hardy an, der daraufhin am Fahrersitz vorbeilinste, um mir dann einen Blick zuzuwerfen, der zum Ausdruck brachte, wie schwer beeindruckt er war.

Wir fuhren vorbei an einem Park mit Büschen und Bäumen, an Kirchen mit hohen Türmen. Die Straßen waren voller Frauen mit Kopftüchern und in langen Gewändern, Kinder mit dunklem Teint spielten Fußball auf einem Platz, an dem auch alte Männer mit grauen Bärten Obst und Gemüse aus dem Kofferraum ihrer Autos verkauften. Überall liefen Hunde frei umher und vor jedem Lokal standen Tische und Stühle, saßen junge Leute, tranken Kaffee und unterhielten sich; es schien, als hätte die Welt ihre Geschäftigkeit für einen Moment eingestellt, um ein wenig Luft zu holen.

Hardy starrte aus dem Fenster und sagte: »Scheiße, wo zum Teufel sind wir? Downtown Kairo?«

Vita drehte sich um und sagte verlegen: »In Kreuzberg. Türkisches Viertel.«

Hardy und ich blieben im Wagen, während Vita und der Bärtige hineingingen.

»Mir schmeckt das nicht«, nörgelte Hardy. »Warum diese Eile? Diese Geheimniskrämerei? Scheiße, wir haben hier nichts gecheckt, wissen nicht, wer diese Leute sind, ebenso gut könnte es eine abgekartete Sache sein.«

Er hatte Recht und es war verdammt blöd von mir gewesen, nicht mit hineinzugehen, denn wenn es eine Falle war, waren Hardy und ich bereits so gut wie tot.

Die Wagentür wurde plötzlich aufgerissen und jemand ließ eine große Sporttasche vor unsere Füße fallen. Vita und der Bärtige stiegen wieder ein und wir fuhren los. Vitas perfekt geschnittener Haaransatz sagte mir, dass der kleine Wichser, kaum dass er unbeaufsichtigt war, seinen Vater angerufen hatte. Hardy öffnete den Reißverschluss der Sporttasche und zog ein ölig schwarzes Stück Stahl heraus.

»Was is ’n das für ’n Müll?«

Vita drehte sich auf seinem Sitz herum. »Alles nagelneu und probiert. Gibt keine Problem.«

Hardy checkte den Schlagbolzen und inspizierte das Magazin, zog mehrmals den Abzug durch und spuckte angeekelt aus. »Wir wollten Mac-10er.«

»AK-47 genauso gut.«

»Nein, nix genauso gut. Die sind scheiße. Ich kenn die, das sind russische. Habt ihr überhaupt ’nen Schimmer, was für beschissene Qualitätsstandards die in Russland haben?«

»Ist alles getestet worden.«

»Nur weil man mal den Abzug durchgezogen hat, heißt das noch lange nicht, dass es keine Ladehemmung geben kann oder der Hebel funktioniert. Das ist Bullshit!«

Ich sah Hardy an. Was die Hardware betraf, verließ ich mich auf seine Sachkenntnis und sein Urteil und ich hatte ihn bisher noch nie über die Macken einer Lieferung derart lamentieren hören, nicht mal, als seinerzeit ein billiges Modell Marke Eigenbau beim Abfeuern buchstäblich in seiner Hand explodierte.

Ich flüsterte: »Sollen wir die Sache einen Tag aufschieben?«

Hardy knallte das Magazin in den Ladeschacht und winkte ab. Offensichtlich hatte er soeben nur mal eine Verhandlung geführt, um für die Zukunft besseres Material und für den Augenblick strikteres Entgegenkommen durchzusetzen. Hardy ist manchmal gar nicht so dumm, wie er aussieht.

Wir fuhren durch belebte Straßen mit kleinen Geschäften und Gemüseständen, vorbei an Kirchen und schmutzig grauen Häusern, auf denen lebensgroße, nackte Statuen die Dächer säumten; wir sahen verwahrloste Fabrikgebäude, deren Fenster mit Brettern vernagelt waren, und Züge, die auf oberirdischen Gleisanlagen vorbeiratterten. Hardy zeigte auf einen hohen, schmalen Turm mit einer dicken silbernen Kugel in der Mitte und meinte, der sehe aus, als wolle er gerade zum Mars starten.

Vita schaute nach hinten, und mit einem verlegenen Lächeln, als rede er über einen geistig behinderten Bruder, von dem niemand etwas wissen soll, sagte er: »Wir fahren durch ehemaliges Ostberlin.«

Straßenbahnen quietschten durch Straßen mit Kopfsteinpflaster, an einsturzgefährdeten Häusern aus braunem Backstein vorbei, von denen der Putz abbröckelte. Baugerüste nahmen ganze Blocks ein und an jeder Ecke gab es Cafés, vor denen Gartenstühle aus Plastik um kleine Tische gruppiert waren.

Hardy flüsterte: »Wie die Lower East Side, nur ohne ihren berüchtigten Charme«, und plötzlich machte es klick! bei mir. All die Gebäude und Geschäfte, das Brachland und die holperigen Straßen, selbst die Straßennamen, die ich kaum lesen, geschweige denn aussprechen konnte, kamen mir vertraut vor, als wäre ich — so unmöglich das auch war — schon einmal hier gewesen. Schließlich war ich in meinem ganzen Leben nie irgendwo gewesen. Einmal, mit fünfzehn, in Washington D.C., und das auch nur wegen der Beerdigung meiner Schwester. Innerlich kochte die alte Angstsuppe hoch, wie damals. Aber ich war verdammt müde und fing wahrscheinlich schon an zu halluzinieren.

Wir hielten vor einem gelben Gebäude, das gepflegter war als alle anderen im Block. Hardy und ich blieben einen Moment sitzen und spielten unser Psychospiel; ich stellte mir die Typen da drinnen vor, wie sie irgendwelche Schweinereien mit Menschen anstellten, die ich liebte; wie sie meine Tochter vergewaltigen und ihre Mutter abstechen, ihre nackten, blutenden Körper, angekettet an einen Chevrolet, durch die holperigen Straßen von Newark, New Jersey, schleifen. Aus irgendeinem Grund sah ich für einen Augenblick Riccardo Montefiore vor mir; diese Szene in seinem Büro vor drei Wochen, als er lachend dasaß, seine Zigarre paffte und dabei seinen Inhalator umklammert hielt, ehe er mir von seinem Freund in Berlin erzählte, der darauf angewiesen sei, dass jemand, dem er vertrauen könne, ihm einen großen Gefallen tue.

Vita stand an der Eingangstür neben der Klingelanlage und rückte seine Krawatte zurecht. Hardy und ich stiegen aus. Die AK-47 wie einen Karton mit Rosen unter den Arm geklemmt, schlenderte Hardy auf ihn zu. Mein Blick gab ihm zu verstehen, dass er sich verdammt noch mal entspannen solle, und die Knarre verschwand zum Teil unter seiner Jacke. Ich nahm die Sporttasche in die linke Hand und drückte mehrere Klingelknöpfe, bis eine Stimme sich meldete. Ich sah Vita an, der etwas auf Deutsch in die Sprechanlage stotterte. Der Summer ertönte und Vita stieß die Tür auf, dann drehte er sich zu mir um und flüsterte: »Ich sag, wir machen Lieferung.«

Wir betraten eine großzügige, dunkle Eingangshalle, an deren Ende eine massive Holztür zu einem gepflasterten Innenhof führte: Kinderfahrräder und Plastikschaukeln, eine Sandkiste mit Buddelzeug und Windmühlen verursachten mir leichtes Unbehagen. Ich konnte nur hoffen, dass hier alles glatt über die Bühne gehen würde. Wir gelangten zu einem weiteren Gebäude, ähnlich dem Ersten, einem Hinterhaus, wie Vita es nannte, und gingen leise durch ein Foyer. Das Geräusch unserer Schuhsohlen auf den rauen Bodenplatten aus Schiefer ging mir durch Mark und Bein. Rechts von uns war eine Wendeltreppe aus Holz und wir gingen die ersten Stufen hoch. Ich drehte mich um und registrierte, dass der Bärtige uns Rückendeckung gab; mir fielen eine .44er Magnum und eine 9mm Sig Sauer Halbautomatik auf, die jetzt in seinem Hosenbund steckten. Der Flur im zweiten Stock war so eng, dass man Platzangst bekam. Mir fiel das Atmen schwer, jetzt, da die Luft wie Blei auf meine Brust drückte. Vita führte uns zu einer Tür am Ende des Flurs und trat zur Seite. Hardy hatte die AK-47 hervorgeholt und tänzelte nervös vor und zurück; jeder, der jetzt im Begriff sein mochte, seine Wohnung zu verlassen, hätte sein Leben riskiert.

Drinnen waren Stimmen zu hören.

»Gibt es noch einen anderen Ausgang?«, fragte ich Vita leise.

»Und wenn schon, Chef. Lass uns loslegen, ich will hier nicht den ganzen Tag rumstehen«, flüsterte mir Hardy über die Schulter zu. Dann holte er ein Kruzifix unter seinem Hemd hervor und küsste es. Ich wünschte, die Pillen, die ich auf dem Weg hierher eingeworfen hatte, würden jetzt anfangen zu wirken.

Jemand kam in den Flur. Ein Glatzkopf mit der Statur eines Boxers und verbeulter Visage, bekleidet mit einer Motorradjacke aus rotem Leder, sah uns kurz an und griff in seine Jackentasche. Ich stand mit den anderen zu dicht auf einem Haufen, um mein Gewehr auf ihn richten zu können, also riss ich dem Bärtigen die Magnum aus dem Hosenbund und schoss dem Glatzkopf zweimal in die Brust. Die Projektile jagten durch seine Rippen und schlugen mit einem metallischen Widerhall in die Wand hinter ihm ein. Sah man ab von den spasmischen Verrenkungen seines Kopfes, stand der Kerl da wie erstarrt, als wolle er sich dem, was ihm widerfuhr, verweigern, als wäre sein Herz noch intakt und nicht in sieben Einzelteile zerfetzt. Doch dann fiel er zu Boden wie eine schwere Holzstatue. Ich drehte mich um, trat die Tür ein und Hardy und ich stürmten in die Wohnung und eröffneten das Feuer. Drei Männer mittleren Alters griffen hastig in einen kleinen runden Safe, der in den Boden eingelassen war, als ihre Oberkörper aufrissen und die Wände Blut zu spucken schienen; wie Teebeutel, die man in die Luft geworfen hatte, flogen Fleisch- und Stoff-Fetzen umher. Hardy konzentrierte sich auf einen großen blonden Typ, der rückwärts gegen eine Wand prallte und dabei instinktiv die Hand hob. Der nächste Kugelhagel durchsiebte die Wand hinter ihm und atomisierte sein Handgelenk, das sich in roten Nebel verwandelte; die Hand machte sich davon und wirbelte durch die Luft wie ein Asteroid im Weltraum. Hardy ballerte jetzt auf das Mobiliar; es regnete Papier, Stuck und Holzsplitter, als der Bärtige den Blonden in die Wange schoss und sein Gesicht als blutiges Püree zurückließ.

Irgendjemand huschte an der Tür vorbei und ich jagte hinterher, erwischte sie bei dem Versuch, aus dem Fenster zu klettern. Im Hintergrund feuerten Hardy und der Bärtige noch immer aus allen Rohren.

Sie konnte nicht älter als sechzehn sein; Augen, schwarz wie die Nacht, in einem Gesicht mit regelmäßigen Zügen und milchig weißer Haut, pechschwarzes, seidiges Haar, das bis zu den Schultern reichte. Keine Ahnung, was sie hier zu suchen hatte, sie musste die Tochter von einem dieser Kerle sein. Scheiße, diese Leute sollten es besser wissen und Familie und Geschäft trennen. Jetzt stand sie vor mir und starrte mich an, genauer gesagt nicht mich, sondern den Lauf meiner Kanone, als wäre der das Einzige, was auf der großen weiten Welt für sie zählte, als wären all ihre Träume und Wünsche um dieses launische Stück Metall gewickelt. Ich hätte nicht sagen können, wer erschrockener war, sie oder ich. Nachdem hinter mir die Ballerei aufgehört hatte, rief Hardy meinen Namen.

»Ich bin hier. Alles cool. Lass uns abhauen. Ist alles erledigt.«

Ich konnte sehen, wie Hardy mit dem Lauf seiner Waffe in den Leichen herumstocherte und Vita den Schreibtisch und die Aktenschränke durchwühlte, sehr darauf bedacht, seine Schuhe vor dem Blut zu schützen, und sichtlich angewidert nicht nur vom Anblick der Gehirn- und Gewebefetzen, die an den Wänden klebten, sondern auch von dem Kerl, der rücklings auf der Tischplatte lag und aus dem es herausquoll wie aus einer verstopften Toilette. Hardy kickte die abgetrennte Hand zu dem Bärtigen hinüber.

»Hey, Groucho, hier ist ’n Souvenir.«

Der Wildbart lachte kalt, stieß sie mit dem Fuß in die Ecke und trabte davon wie ein satter Kater.

»Okay«, sagte ich. »Lasst uns hier verschwinden.«

Hardy ging zur Tür, doch Vita durchwühlte hektisch die Schränke nach Papieren. Ich ging hin zu ihm und packte ihn am Revers. »Lass uns gehen, wir sind nicht hergekommen, um den Laden auszurauben.«

Vita schnappte sich noch schnell einen Stapel Papiere und hastete zur Tür, als Hardy im Hinterzimmer schrie: »Hey, du!«, dann folgte eine Serie von Schüssen aus seiner Kalashnikov.

Ich kam ins Zimmer und sah das Mädchen am Boden liegen. Ihr Brustkorb war durchlöchert und sie schnappte nach Luft wie ein Fisch, den man aus dem Wasser geholt hatte. Hardy stand neben mir und sah auf sie hinunter.

»Ich hab hier ein Geräusch gehört«, sagte er. »Sie muss sich versteckt haben. Nehme an, deshalb hast du sie übersehen.« Ich bekam keine Silbe heraus, als ihre Augen sich in mich bohrten; Entsetzen und Verwirrung standen darin, aber auch der Vorwurf des Verrats, als hätte ich eine geheime Abmachung gebrochen. Als Vita hinter mir auftauchte, spürte ich seinen Atem wie eine Hand um meine Kehle; sein Herz schlug so wild, es übertönte meinen eigenen Herzschlag. Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, als ich hervorstieß: »Kommt schon, wir müssen abhauen.«

»Was ist mit ihr?«, wollte Hardy wissen. »Schade, aber mitnehmen können wir sie wohl kaum, was?«

Ich feuerte einen sauberen Schuss auf sie ab, mitten ins Herz, und sie war ruhig. Hardy sah mich mit merkwürdigem Respekt an, etwas, das an Bewunderung grenzte. Dann zielte er ein allerletztes Mal und zerschoss ihr das Gesicht, so dass sie nicht mehr zu identifizieren war. »Scheiße, so schlecht sind diese russischen Kanonen gar nicht«, feixte er.

2

»Willkommen in Berlin.«

Er reichte mir einen Crown Royal mit Eis und Hardy einen Wodka Martini mit einer Perlzwiebel darin. Dieser Kerl hatte seine Hausaufgaben gemacht.

»Ihre erste Deutschlandreise?«, fragte er.

»Die erste Reise überhaupt«, antwortete ich stolz, keine Ahnung, warum. Yossario wies auf eine elegante braune Ledercouch am anderen Ende des Zimmers, über der ein Samtbild hing, ein Konquistador auf einem weißen Pferd und mit einer blutigen Lanze in der Hand. Diesen Yossario hatte ich mir völlig anders vorgestellt. Er war der klassische Typ des Kriminellen aus dem Arbeitermilieu; klein und gedrungen, ein rundes, gerötetes Gesicht mit grobschlächtigen Zügen, aber mit verschmitztem Ausdruck, schwielige Hände, Wurstfinger und ein beachtlicher Bauch, der über einem zerschlissenen braunen Ledergürtel hing. Er wirkte eher wie ein Gewerkschaftsfunktionär vom Fulton Fischmarkt und nicht wie ein Geschäftspartner Riccardo Montefiores. Doch ich war nicht hier, um Riccardo Montefiores Geschmack bei der Wahl seiner Freunde in Frage zu stellen; schließlich waren da noch die regelmäßigen Heroinlieferungen aus der Türkei, die die Straßen von Newark versorgten. Irgendwie musste Yossario damit in Verbindung stehen.

Nein, was mir Sorgen machte, war die Tatsache, dass man mir Hardy für diesen Job zugeteilt hatte. Ich war von meinem diskreten Stil überzeugt, immer saubere Arbeit leisten, rein und raus, ohne Spuren zu hinterlassen. Die Bullen legten es in der Regel als Konfrontation zwischen rivalisierenden kriminellen Elementen zu den Akten. Aber Hardy spielte nach Regeln, die eigentlich keine waren. Es kümmerte ihn nicht, wen er verletzte, und er warf das Netz verdammt weit aus; zudem genoss er es, ein unverschämt hohes Risiko einzugehen. Das war sein Markenzeichen. Der letzte Auftrag, den wir gemeinsam zu erledigen hatten, war an sich eine einfache Sache. Mit zwei Schüssen in den Hinterkopf zogen wir Alphonse Lettieri aus dem Verkehr, bei Sonnenaufgang in seiner Garage. Sauber, professionell, und ab nach Hause. Doch Hardy hatte es sich in den Kopf gesetzt, einen Rundgang durchs Haus zu machen, um sich das Mobiliar anzusehen. Also ging er hinein und stieß auf Alphonses Ehefrau, die im Wohnzimmer auf der Couch lag und schlief. Hardy rüttelte sie wach und zwang sie mit vorgehaltener Pistole, ihm Frühstück zu machen. Ich kam gerade dazu, als er am Küchentisch vor einem Teller mit Eiern und Speck saß, während Alphonses Frau vor ihm kniete und ihm einen blies. Sie wimmerte und Hardy riss ihr büschelweise Haare aus, zog sie dabei auf seinen Schwanz, als wollte er, dass sie daran erstickte. Ich sagte ihm, er solle aufhören, das sei nicht Teil des Jobs. Mehr konnte ich nicht sagen, denn er stieß ihr die .32er ins Ohr und drohte, ihr das Hirn wegzupusten, sollte ich noch ein Wort von mir geben. Mir war klar, dass er es ernst meinte. Nachdem er gekommen war, befahl er ihr sich anzuziehen und schleifte sie mit, vorbei an ihrem Ehemann, der wie ein Sack über seinem Lenkrad hing. Hardy lachte, als sie in ihrem Schmerz anfing zu schluchzen, und nötigte sie, die Leiche zum Abschied zu küssen. Als er dieses zitternde Etwas in seinen Kofferraum verfrachtet hatte, war sie bereits erledigt, als Frau, als Individuum, als Mensch. Hardy schwang sich hinter das Lenkrad und fuhr los, hinein in diesen stillen Vorstadtmorgen. Man sah und hörte nie wieder etwas von Alphonses Frau.

Yossario zog einen Stuhl hinter dem Schreibtisch hervor und setzte sich uns gegenüber. Er beugte sich vor und senkte seine Stimme, als wäre der Raum verwanzt, und soweit ich das beurteilen kann, hätte das auch der Fall sein können. Sein Englisch war nahezu perfekt, wesentlich besser als das seines Sohnes, den er nach Hause geschickt hatte, um die blutverschmierten Schuhe zu wechseln.

»Ich glaube, Sie haben Premig ganz schön beeindruckt«, sagte er und wies mit dem Kopf auf den Bärtigen. Ich bemerkte ein leichtes Lispeln; die S-Laute fielen wie Federn aus seinem Mund, ein seltsamer Missklang, der so gar nicht zu diesem energischen Mann passen wollte. Yossario fuhr fort: »Ich habe ihn noch nie lächeln sehen. Nicht ein einziges Mal in zehn Jahren.«

»Premig scheint mir auch nicht der Prototyp des Lächlers zu sein«, entgegnete ich und hoffte, dass der Klang einer anderen Stimme der Yossarios etwas von ihrer Komik nehmen würde. Hardy hatte noch immer blutige Sommersprossen im Gesicht und Yossario reichte ihm ein weißes Seidentaschentuch. Hardy nahm es, um sich die Wangen abzuwischen, doch das Blut war bereits getrocknet und ließ sich nicht abwischen.

»Das heute Nachmittag ... eine unappetitliche Geschichte, nicht wahr? In Berlin sind wir diese Form von Gewalt nicht gewöhnt.«

Hardy ging zum Angriff über: »Was für Gewalt seid ihr denn gewöhnt?«

»Nun ... in Berlin muss man diskreter vorgehen. Vergeltungsmaßnahmen in aller Öffentlichkeit sind wenig populär. Das hier ist nicht Amerika.«

»Vertrauen Sie ganz und gar auf Riccardo Montefiores Urteil«, sagte ich.

»Das tue ich, aber ich habe eine defensivere Haltung erwartet.«

»Passen Sie mal auf, Chef, amerikanische Gewalt basiert nun mal auf Angriff, nicht auf Verteidigung. Das machen wir seit zweihundert Jahren so. Und wenn Ihnen unsere Methoden nicht passen, spucken Sie’s aus und wir verschwinden. Diese Scheiße muss ich mir nämlich nicht geben.«

»Hardy ... «

»Nein, bitte, Sie haben mich missverstanden. Ich kritisiere das gar nicht«, versuchte Yossario zu beschwichtigen. »Ich meine, es kam nur so unerwartet. Wenn sie zurückschlagen, und das werden sie, wird es schnell und brutal geschehen. Ich hätte mich nur gern auf einen Vergeltungsschlag vorbereitet. In Zukunft möchte ich lediglich rechtzeitig informiert werden. Das ist doch nachvollziehbar, oder?« Er sah mich an.

»Sicher ist es das.«

Er fuhr fort: »Wir müssen von jetzt an überaus wachsam sein. Offen gestanden hätte ich nichts dagegen einzuwenden, wenn ihr die ganze Gesellschaft und ihre Familien ausgelöscht hättet. Aber das ist nicht geschehen, also müssen wir gewappnet sein.«

»Da war ein junges Mädchen um die sechzehn. Sie ist in die Schießerei geraten. Haben Sie eine Ahnung, wer sie gewesen sein könnte?«

»Ein sehr hübsches Mädchen?«

»Jetzt nicht mehr«, warf Hardy mit einem Grinsen ein.

Yossario lächelte matt: »Es könnte sich um Viktor Rudiyovs Tochter handeln. Wie alt, sagen Sie, war sie?«

»Ungefähr sechzehn. Schwarzes Haar, schwarze Augen, zarter Teint.«

Hardy sah mich verwundert an und Yossario fuhr fort: »Rudiyovs Tochter ist vierzehn. Könnte sie auch vierzehn gewesen sein?«

Hardy zuckte mit den Achseln und griente: »Ich habe sie nur kurz gesehen, danach war sie Hackfleisch.«

Es klopfte und Vita schlüpfte ins Zimmer. Er trug einen dunkelgrauen Zweireiher und schwarze Schuhe aus schimmerndem Leder — ich kam mir vor wie auf einer Modenschau. Er lächelte Hardy und mich schief an.

Yossario seufzte: »Ich denke, es spielt jetzt keine Rolle mehr, die Toten sind tot. Wir machen weiter.«

»Wie wird die Polizei reagieren?«, fragte ich. Vita stöhnte auf. Yossario warf seinem Sohn einen Blick zu und sah dann wieder zu mir.

»Die Polizei ist hier nicht das Problem. Vor allem nicht in Kreuzberg. Die andere Seite wird, so gut es geht, alles vertuschen. Möglicherweise gibt es einen Aufschrei, aber das geht vorüber.«

»Was werden Sie veranlassen, um Ihre Gebiete zu schützen?«, wollte ich wissen.

»Ich habe Vorkehrungen getroffen. Wir haben genug Leute, um das zu regeln.«

»Morgen früh möchte ich mir zuallererst einen Überblick verschaffen. Baugelände, Lagerhäuser, alle potentiellen Ziele.«

»Ja, natürlich.« Yossario lehnte sich zurück und fing an, sich darüber zu verbreiten, wie sehr er es schätze, dass wir gekommen seien, um ihn zu unterstützen, wie glücklich er sei, in Riccardo Montefiore einen Freund gefunden zu haben, und wie sehr er bedauere, dass es so weit habe kommen müssen, aber dass er alles daran setzen werde, unseren Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten und so weiter und so weiter — mir fielen fast die Augen zu bei diesem Blabla, bis ich über seiner Oberlippe eine kleine Blutspur bemerkte. Das Blut rann ihm über beide Lippen und tropfte auf sein Knie. Yossario schien es nicht zu bemerken, bis Hardy sich vorbeugte und ihn unterbrach: »Verzeihung, aber Sie bluten ... «

Yossario griff sich an die Nase und spürte, wie die warme Flüssigkeit herauslief. Vita sprang auf, fummelte seinem Vater mit einem Taschentuch im Gesicht herum und redete auf ihn ein. Doch Yossario schien lediglich besorgt über die Blutflecken auf seiner Hose.

»Diese Beschwerden habe ich seit meiner Kindheit, ich kann nichts dagegen tun. Mal blutet es, mal nicht«, klärte er uns auf.

Vita schien anderer Meinung, aber Yossario bremste ihn aus: »Sie müssen erschöpft sein, Gentlemen. Ich schlage vor, Sie suchen jetzt Ihre Unterkunft auf, machen sich ein wenig frisch und ruhen sich aus.«

»Yeah, gute Idee. Wir würden uns gern frisch machen«, sagte ich und warf einen Blick auf Hardys blutige Sommersprossen und Yossarios rotes Hitlerbärtchen. Ich fragte mich, wo zum Teufel ich diesmal hineingeraten war.

3

Vita wies Premig und vier weitere Typen an, ihn und uns zu begleiten. Zwei von ihnen nahmen unser Gepäck und zusammen gingen wir um die nächste Straßenecke. Ständig war man darauf bedacht, uns abzuschirmen; wir sahen aus wie der Präsident und der Vizepräsident der Vereinigten Staaten samt Bodyguards. Ziemlich coole Aktion das Ganze.

Wir kamen vorbei an einem Vereinslokal, einer Bar, einem Restaurant und einem originellen Laden, einer türkischen Bäckerei. Ein Mädchen mit melancholischem Blick und langem schwarzen Haar stand im Eingang, ein schreiendes Baby auf dem Arm; sie sprach einen der Bodyguards an, doch niemand beachtete sie. Ich ertappte Hardy dabei, wie er sie musterte, und hoffte um ihretwillen, dass sie nicht sein Typ sei.

Schließlich führte uns Vita in eine Grünanlage, wo Frauen in langen orientalischen Gewändern mit ihren Männern um Holzkohlengrills saßen und Fleisch grillten. Ihre Kids spielten unterdessen Fußball in einem ausgetrockneten Springbrunnen. Einige von ihnen riefen den Bodyguards etwas zu und der Typ links von mir, ein langer Kerl mit grauem Zopf, brüllte etwas zurück, bis Vitas stechender Blick ihn zum Schweigen brachte. Am Ende einer Ansammlung von Bäumen, Büschen und Sträuchern stand ein großes Gebäude mit riesigen Fenstern, die auf die Grünanlage hinausgingen. Mauerwerk und Putz waren verwittert, und als wir uns auf dem schmalen Gehweg dem Eingang näherten, fiel mir eine junge Frau mit schwarzem Kopftuch auf, die einen Kinderwagen schob. Man sah nur ihr Gesicht, und die Augen, die mir jetzt hinterhersahen, waren die schwarzen Augen des Mädchens, das in der Wohnung ums Leben gekommen war. Meine Knie gaben nach. Doch plötzlich gingen unsere Bodyguards auf Tauchstation, suchten mit ihren Waffen nach feindlichen Zielen; Mütter umklammerten ihre Kinder, Männer ihre Ehefrauen, Leute schrien und versteckten sich hinter Bäumen. Es schien, als drehten hier alle durch. Nur Hardy blieb mit einem amüsierten Grinsen stehen, er hatte nicht einmal gezuckt. Hardy ließ sich eben nicht von dem zerplatzten Luftballon eines bedauernswerten Kindes ins Bockshorn jagen. Vita erholte sich als Erster, gab lauthals Anweisungen und die Bodyguards formierten sich erneut, um uns ins Gebäude zu drängen. Die Verunsicherung und Anspannung auf ihren Gesichtern nährten in mir den Verdacht, dass das hier für Hardy und mich mehr sein könnte als eine Wochenendaktion.

Drinnen waren die Treppen morsch und die Wände mit Graffiti beschmiert. Eine große Holzleiter lehnte an einem Drahtglasfenster und darunter stand ein Eimer mit schwarzer Brühe. Auf dem Weg in den ersten Stock zeigte Hardy auf die in die Wand geritzte Parole ›Fuck the Police‹.

»Hey, Tony, sieh dir das an. Manche Sachen sind doch überall gleich«, feixte er und glitt mit der Fingerspitze über die Buchstaben. Im ersten Stock angelangt, zog Vita ein Schlüsselbund hervor und öffnete mehrere Schlösser an einer Tür, die in einen langen, dunklen Flur führte, an dessen Ende sich unsere Wohnung befand. Fünf riesige Zimmer, nagelneu möbliert mit Couchgarnitur und Glastischen, einem Teppichboden, in dem man versank, mit Videorecorder, Stereoanlage und einem Fernseher im Breitbildformat; in zwei Zimmern stand jeweils ein riesiges, komfortables Bett mit passendem Nachttisch.

Hardy stand im Flur und grinste zufrieden; er liebte einen gewissen Lebensstandard und war hier ganz in seinem Element. »Ich glaube, dieser Job fängt an mir zu gefallen«, sagte er.

Vita lächelte: »Dort drüben ist Telefon. Ihr könnt mit ganze Welt telefonieren. Wenn ihr was braucht, lasst mich wissen.«

Er ging zu einem der Panoramafenster, von dem aus man den ganzen Park überblicken konnte, und zeigte auf die großartige Aussicht. Doch ich stürzte mich auf ihn, riss ihn weg und drückte ihn gegen die Wand. Die Bodyguards standen da, wie vom Donner gerührt. Gekränkt und verwirrt sah Vita mich an.

»Seit heute Nachmittag befinden wir uns im Kriegszustand, Vita. Jeder von uns kann zur Zielscheibe werden. Fenster sind tabu, klar? Von jetzt ab geht niemand an einem nackten Fenster vorbei. Jeder im Park könnte uns ins Visier nehmen oder einen Molotowcocktail durch diese Scheißfenster werfen und uns alle umlegen. Verstanden?«

Er nickte.

»Ich will lange, schwarze Vorhänge vor jedem Fenster. Sorge dafür, dass sie dick sind. Niemand soll hier hineinsehen können. Wem gehört die Wohnung?«

»Meine Vater.« Vita schnappte sich sofort den Typen mit dem langen grauen Zopf, redete auf ihn ein und zeigte dabei auf die Fenster. Ich ging zu Hardy in die Küche. Auch sie war nagelneu, klinisch weiß und antiseptisch. Hardy öffnete den Kühlschrank und seufzte. Abgepacktes Fleisch, Bier, Käse, Saft und Milch, Kuchen, Gemüse und Brot. Hardy zog eine Flasche Ketchup heraus. »Hey, Tony, sieh mal, die haben sogar Heinz.«

Ich machte mich auf einen Rundgang, um die Wohnung zu checken. Es gab nur einen Eingang und die Fenster waren glücklicherweise neu und hatten intakte Verriegelungen. Ich duckte mich und linste über den Fenstersims; die Bäume und Sträucher da draußen boten die ideale Kulisse für Heckenschützen auf der Pirsch, die auf Rache sannen.

Aus der Küche hörte ich das zarte metallische Knacken, als der Verschluss einer Flasche abgedreht wurde, dann das sanfte Gluckern des Alkohols, der in Hardys Kehle floss. »Spricht einer von euch Englisch?«

»Ein wenig«, antwortete jemand.

»Was? Du sprichst Englisch?«

Vita kam herein. »Er kann bisschen Englisch.« Zu mir sagte er: »Schwarze Vorhänge für Fenster kommen bald. Ihr könnt jetzt schlafen. Habe draußen zwei Leute für Wache. Okay?«

»Okay.«

Er drückte mir die Schlüssel in die Hand und verließ mit den Bodyguards im Schlepptau die Wohnung. Hardy kam grinsend aus der Küche und schnüffelte an seinen rußgeschwärzten Händen. »Ich liebe den Geruch von Kordit. Aber diese russischen Kanonen sind echter Schrott.« Er ging ins Badezimmer und drehte das Wasser auf. »Oh, Scheiße! Ich hab ja Sommersprossen. Warum hast du mir nicht gesagt, dass ich so viel Blut im Gesicht hab?«

»Es steht dir. Du siehst aus wie Huckleberry Finn.«

Während Hardy sich Gesicht und Hände wusch, hievte ich meinen Koffer aufs Bett und öffnete ihn, nahm mehrere Vorhängeschlösser und einen Werkzeugkasten heraus. Hardy inspizierte inzwischen kopfschüttelnd Türklinke und Schloss an der Eingangstür, kam wieder rein und sagte, ich solle vorsichtshalber die Amsterdam anbringen.

Er ging ins größere der beiden Schlafzimmer. Angezogen und mit Schuhen streckte er seine lange Gestalt auf dem Bett aus, und eine Minute später hörte ich ihn schnarchen. Es klang, als würde man nasses Bettzeug zerreißen.

Der Lange mit dem grauen Zopf, Premig und zwei andere kamen mit einem Packen Stoff zurück, der aussah wie ein Theatervorhang, schwarz, dick und schwer. Zwei weitere Typen schoben vor der Tür Wache, man hätte Platzangst bekommen können. Selbst draußen im Park standen diverse Bodyguards und hielten Ausschau nach Verdächtigen.

Premig und der Pferdeschwanz machten sich daran, die Vorhänge anzubringen, und ich ging ins Badezimmer, warf vier Seconal ein und schickte einen Schluck Wasser hinterher. Nachdem ich mir das Gesicht gewaschen hatte, ging ich wieder raus. Die Wohnung hatte jetzt den Charme eines Beerdigungsinstituts. Mit einem Cutter schlitzte Premig die Vorhänge an mehreren Stellen auf, so dass wir hinausschauen konnten, ohne entdeckt zu werden. Ich nickte ihm zu und legte mich aufs Ohr.

Ich träumte von glücklichen Zeiten, als ich Kind war und mit meiner Schwester Carrie Baseball spielte. Bis unsere idyllische Welt auf einmal kippte und wir durch endlose Krankenhauskorridore irrten, bis wir endlich die Aufnahme gefunden hatten, wo eine Krankenschwester gerade telefonierte. Meine Schwester sagte: »Daddy hat versucht sich umzubringen.«

»Nein, hat er nicht.«

»Ich hab aber gehört, wie Mom und Tante Diane sich darüber unterhalten haben. Er hat versucht, sich zu vergiften.«

»Nein, das würde er nie tun.«

»Doch. Hat er.«

»Stirbt er jetzt?«

Plötzlich tauchte meine Mutter neben mir auf. »Erzähl deinem Bruder nicht solche Geschichten«, schalt sie meine Schwester sanft. »Natürlich wird euer Vater leben.«

»Warum hat Daddy versucht sich umzubringen?«

»Weil er unglücklich ist.«

Meine Mutter nahm uns an die Hand und alles verschwamm vor meinen Augen, um mich herum nur trübes, graues Wasser, bis ich dann meinen Vater sah; im Bett, an Schläuchen und mit einem Lächeln im Gesicht. Es schien, als wäre er in Trance, als befände sich das, was er sah — was immer es auch sein mochte —, in einem anderen Zimmer oder auf einem fernen Planeten. Ich stand da und beobachtete, wie er in den entlegensten Winkeln seines gestörten Verstandes lautlos Gleichungen aufstellte, nicht mit zwei Unbekannten, sondern mit Vernunft und geistiger Klarheit. Meine Schwester schlief unterdessen auf dem Fliesenboden; sie trug ihr blaues Baumwollkleid, das vom jahrelangen Waschen und Tragen ausgeblichen war, aber keine Höschen.

»Was siehst du, Daddy?«

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, sein Blick war einzig auf die geheimnisvollen Filmclips gerichtet, die vor seinem geistigen Auge abliefen. »Ich habe das Ende der Welt gesehen, Anthony. Es ist keine schöne Erfahrung«, flüsterte er mir zu und sein Atem roch nach Lavendel. Tränen rannen aus seinen Augenwinkeln und erhoben sich wie Libellen in die Luft. Eine verwandelte sich in einen Baseball und flog direkt auf mich zu; mit dem grünen abgesägten Besenstiel, den wir als Schläger verwendeten, erwischte ich ihn genau in der Mitte. Der abgewetzte Ball schoss über den Asphalt, um an dem alten Impala von Dougie Schwicks Vater abzuprallen und unter Mrs. Henrys Rosenbusch zu rollen. Doch da war ich bereits auf dem Weg zur dritten Base und Carrie feuerte mich an weiterzurennen, denn sie wollte sehen, wie ich meinen ersten Homerun machte. Als der Ball gefangen und zur Homeplate geworfen wurde, rannte ich unter Carries Freudenschreien — sie war Werferin des gegnerischen Teams — in das mit blauer Kreide markierte Fünfeck.

Als mich Vitas Klopfen weckte, war es bereits dunkel. Wir fuhren zu Yossarios Wohnung; Premig saß am Steuer, Vita auf dem Beifahrersitz und vier Bodyguards folgten im Wagen hinter uns. Farbiges Neonlicht spiegelte sich in den Scheiben der Restaurants und ein paar Hunde streunten umher wie eine Horde Kids auf Beutezug. Leute auf den Straßen sahen uns nach, als wir vorbeifuhren.

»Was ist los?«, fragte ich Vita.

»Es hat große Problem gegeben. Besonders wegen Mädchen.«

»Gut. Das war zu erwarten«, meldete sich Hardy zu Wort.

»Ja. Du hast leider Recht. Heute Nachmittag zwei von meine Cousins totgemacht worden. Haben sie ... in Stücke geschnitten.«

»Waren sie denn nicht bewaffnet und entsprechend vorsichtig?«

»In Berlin kleine Kinder brauchen keine Waffen.«

Gute Antwort.

Ich war ziemlich beeindruckt von den Russen; wir durften sie nicht noch einmal unterschätzen. »Wann ist es passiert?«

»Gegen drei Uhr. Kommt nicht im Fernsehen. Dafür sorgen wir ... Gerade ich war bei Eltern.« Vita spie die Worte nur so aus, während Premig null Reaktion zeigte. Schwer zu sagen, was er dachte, sein Gesicht war wie aus Granit. Hardy zog die 9mm Glock hervor, die Vita ihm in der Wohnung gegeben hatte, entsicherte sie und legte sie sich aufs Knie. Ich lehnte mich im Sitz zurück, genoss die Fahrt und die Angst, die jeder hier zu haben schien.

Riccardo Montefiore stand vor seinem Weinregal und spielte mit einem Dutzend Pokerchips, die er für gewisse Zwecke immer auf seinem Schreibtisch liegen hatte. Die Hälse der dunklen Rotweinflaschen stachen wie Pistolenläufe in die Luft und unterstrichen die bedrohliche Situation für Angel Mariano Ebbens. Angel war einer unserer Zwischenhändler für Crack und Koks; zwar hatte man ihm nicht nachgewiesen, dass er die Firma um Geld erleichtert hatte, aber man hatte ihn dabei erwischt, als er Stoff aus seinem privaten Vorrat in Konkurrenz zur Firma verkaufen wollte, was ungefähr auf dasselbe hinauslief. Dafür saß er jetzt mit Handschellen an einen Stuhl gefesselt, den Mund sperrangelweit offen vor Erstaunen und die blutunterlaufenen Augen weit aufgerissen. Riccardo Montefiore fragte ihn ein allerletztes Mal, was abgelaufen sei. Angel schwor beim Grabe seiner Mutter und bei der Ehre seiner Schwester, brabbelte unzusammenhängendes Zeug über Loyalität und Freundschaft, über jahrelang treu geleistete Dienste. Als Riccardo Montefiore die Chips nacheinander von der einen in die andere Hand gleiten ließ — ein Geräusch, als würde jemand räuspern — zog ich Angel die Bratpfanne aus rostfreiem Edelstahl über den Schädel. Er schrie auf, zuckte und einen Augenblick später trat Blut aus seinem Ohr; wenigstens hatte jetzt das Gebrabbel ein Ende. Ich beugte mich über ihn und versuchte, sanft an seine Vernunft zu appellieren, sprach dabei in sein anderes Ohr — ich mochte Angel und hatte nichts gegen ihn.

»Angel, hör mir zu. Niemand will dir was. Wir haben ’nen Haufen Ärger und Unannehmlichkeiten und uns geht’s darum, das Problem zu verstehen, dann kriegen wir es auch in den Griff.«

Angel sah mich mit einer Mischung aus Schmerz, Angst und Hass an, aber er hörte zu.

»Du warst ein guter Mitarbeiter, niemand hatte bisher Grund, sich über dich zu beschweren, und ganz gleich, wer dich ersetzen wird, das Problem kann immer wieder auftauchen. Das siehst du doch ein, oder? Lass uns versuchen, dahinter zu kommen, und schaffen wir’s aus der Welt. Wir haben hier ein verdammt gutes Ding am Laufen, jeder kann ’nen Haufen Kohle verdienen und niemand ist scharf drauf, sich ein lukratives Geschäft versauen zu lassen.«

Angel schluckte heftig, und dabei schluckte er auch den Hass herunter. Der Blick, mit dem er mich ansah, war flehend, traurig — er würde reden.

Als er fertig war, nickte Riccardo Montefiore mir zu und ich streifte mir die Gummihandschuhe über und legte meinen Gesichtsschutz an — zu jener Zeit arbeitete ich vornehmlich mit Säure. Angel sah zuerst Riccardo Montefiore an, dann mich: »Ihr lasst mich doch jetzt laufen, oder? Wir haben das Problem gelöst und machen weiter, nicht wahr?«

Vorsichtig nahm ich die verschiedenen Flaschen heraus und stellte sie, sortiert nach ihren ätzenden Eigenschaften, neben Angel auf den Tisch.

Angel beobachtete jede meiner Bewegungen mit Todesangst; seine Unterlippe begann zu zittern und seine roten Augen fielen fast aus ihren Höhlen. Doch ehe er die richtigen Worte gefunden hatte, mit denen er um sein Leben betteln würde, hatte ich mich bereits über ihn gebeugt und flüsterte ihm zu: »Angel, du hast die Firma bestohlen, das ist so, als hättest du jedem von uns in die Tasche gegriffen. Einige haben Kinder, haben Familien zu versorgen. Und du bringst sie um ihren Anteil. Stell dir vor, ich käme in das Haus deiner Mutter und würde ihr Geld stehlen — einfach so. Wie würdest du dich fühlen? Genau darum geht es hier.«

Mit einem selbstgefälligen, zufriedenen Lächeln nippte Riccardo Montefiore an seinem Wein und ließ die Chips in seiner sorgfältig manikürten linken Hand tanzen; er mochte es, wenn ich die Vernunft ins Spiel brachte. Ich fand es nur fair, wollte jegliches Missverständnis vermeiden. Als Angel endlich damit herausrückte, wo er seinen Teil gebunkert hatte, war die Haut in seinem Gesicht bis auf drei Fetzen weggeätzt. So lernte ich Hardy kennen. Sein Job war es, Angel festzuhalten, während ich ihn bearbeitete, und er fuhr ihn auch ins Krankenhaus, was gleichbedeutend damit war, dass man Angel nie wieder sehen würde.

Premig hielt vor einer Gruppe junger Türken in Designeranzügen, die vor einem großen, orangefarbenen Ge-bäude standen. Mir fielen zwei Rollstuhlfahrer auf, die absolut synchron auf die Straße rollten, als wären sie mit einer unsichtbaren Vorrichtung miteinander verbunden. Der Wagen hinter uns hielt an und die vier Bodyguards gesellten sich zu unserem Empfangskomitee; im Nu standen ein Dutzend harte Typen im edlen Zwirn da, frotzelten herum und griffen nervös in ihre Jackentaschen. Ich fühlte mich mittendrin in einer türkischen Version von ›Der Pate‹ und konnte nur hoffen, dass man mich nicht für die Rolle des Fredo Corleone vorgesehen hatte.

Hardy und ich stiegen aus und alle traten beiseite. Ich sah hoch zu dem Gebäude; frisch saniert und eingerahmt von zwei alten grauen Häusern mit verwittertem Putz. An der Fassade der oberen Stockwerke leuchteten bunte Blumen, schlichte Blüten in Orange und Grün kombiniert mit solchen in Blau und Rot, wie von glücklichen Kinderhänden gemalt. Alle Fenster waren erleuchtet, mit Ausnahme jener im zweiten Stock, dort hingen überall schwarze Vorhänge. Hardy stieß mich an. Vita griff sich gerade einen jungen Türken und textete ihn zu, während die anderen uns angafften; niemand sprach oder rührte sich, aber ich spürte unterschwellig die Feindseligkeit. Verständlich, dass jeder hier am Ausklinken war, nachdem, was sich heute abgespielt hatte. Vita betrat den Hausflur und wir folgten ihm, Premig hing mir ständig auf der Pelle, das bandagierte Handgelenk in der Jackentasche. Im Fahrstuhl vermied Vita jeden Blickkontakt mit mir und ich war nicht sicher, ob er meinetwegen angepisst war oder wegen der Russen, die seine Cousins umgebracht hatten. Was es auch war, er sollte so schnell wie möglich versuchen, darüber hinwegzukommen.

Wir folgten ihm einen schmalen Flur entlang, der mit den auf Hochglanz polierten Holzdielen einer Bowlingbahn glich. Eine schwere Holztür, deren Türblatt mit rautenförmigen Schnitzereien versehen war, führte in einen luxuriösen, in Cremeweiß gehaltenen Wohnraum, dessen Wände mit dunklen Samtmalereien bepflastert waren. Gelbes Licht fiel aus Metall-Leuchten auf nackte Amazonen, die mit gezückten Speeren über eine Gruppe besiegter, schreiender Männer triumphierten. An einer Wand, ganz für sich allein und in einem barocken Goldrahmen, hing ein Portrait von Elvis aus seiner schlanken Phase.

»Hey, das ist cool«, bemerkte Hardy, als Yossario auftauchte; er trug jetzt ein Seidenhemd mit Paisleymuster und Khakis mit Bügelfalte.

»Danke. Es freut mich, dass es Ihnen gefällt. Einige davon sind Originale.« Er lächelte.

»Die nackten Miezen sind cool.«

»Ja, nicht wahr? Mein Sohn hingegen findet sie geschmacklos.«

»Eine Beleidigung des Islam«, bekräftigte Vita.

»Ah, der Islam wird beleidigt! Mein strebsamer Sohn sollte die Früchte des Lebens bereitwilliger genießen«, sagte Yossario grinsend.

Hardy zeigte auf ein Bild, ein nacktes junges Mädchen, blond und blauäugig, stand mit gespreizten Beinen über einem scharfen Speer inmitten eines Schlachtfeldes voller zerstückelter Körper. Ihre schimmernden großen Augen starrten mit leerem, unschuldigen Blick über die Weiten toten Fleisches. »Sehen so deutsche Mädchen aus?«

»Sie kommen höchst unterschiedlich daher«, antwortete Yossario trocken. Dann, an seinen Sohn gewandt, sagte er: »Auch auf die Gefahr hin, dass es wieder den Islam beleidigt, aber könntest du unseren Gästen vielleicht ein paar Drinks machen?«

Vita verschwand, die Ironie schien ihn nicht gekränkt zu haben. Am anderen Ende des weitläufigen Raumes war ein Tisch für ein Abendessen eingedeckt. Vor vier hohen Stühlen standen Gedecke aus zartem Porzellan, flankiert von Kristallgläsern und Silberbesteck.

»Mit Bedauern habe ich erfahren, was diesen Kindern heute Nachmittag zugestoßen ist«, sagte ich, doch Yossario tat so, als hätte er mich nicht gehört; stattdessen sagte er: »Ich möchte Ihnen gern etwas zeigen«, und führte uns in ein Arbeitszimmer im hinteren Teil der Wohnung. In der Mitte des Zimmers, in einem Glaskasten, stand das Miniaturmodell eines Gebäudekomplexes. Aufgemalte Straßen mit Miniaturautos, winzigen Bäumen und Sträuchern und mit Drahtfiguren in Spaziergängerposen umgaben den Komplex.

Vita kam mit unseren Drinks wieder und Yossario sagte: »Das ist der Grund für unsere Probleme. Wir haben kürzlich den Zuschlag erhalten für den Bau eines Bürohauskomplexes am Potsdamer Platz im ehemaligen Ostberlin. Ein sehr lukrativer Auftrag, ein Regierungsauftrag. Wenn wir Zeitrahmen und Budget einhalten, können wir mit weiteren Regierungsaufträgen rechnen. Nun gibt es einige unehrenwerte Leute, die diesen Auftrag gerne hätten — « Yossario hielt inne, sah mich an und dann Hardy, er kochte innerlich. Ich konnte sehen, wie er die Muskeln seines Kiefers anspannte, aber es nicht zeigen wollte; es kostete ihn große Mühe.

»Dahrel, mein jüngster Bruder, kam durch einen herabfallenden Stahlträger ums Leben, auf einer Baustelle, auf der keine Stahlträger verbaut wurden. Circon, mein zweiter Bruder, wird vermisst. Mehrere meiner Freunde sind inzwischen Krüppel und heute der Mord an den beiden Kindern. Ich will das Leben meiner Familie schützen und den Fortbestand meines Unternehmens sichern. Und ich will nicht, dass weitere Kinder ermordet werden.«

Ich fragte mich, ob damit auch das russische Mädchen gemeint war.

Zum Abendessen wurde etwas gereicht, was sie Couscous nannten. Im Grunde bestand es nur aus Grieß, Gemüse und untergemischtem Lammfleisch. Hardy nannte es ›Turkish Stew‹, was Yossario sehr zu amüsieren schien. Beim Dessert angekommen, hatte er bereits zwei Flaschen Wein intus, während Hardy fünf Wodka Martini gekippt hatte. Ich gab mich mit der Wirkung der vier Seconal zufrieden, die ich im Badezimmer eingeschmissen hatte. Vita nippte an einer Art Yoghurtdrink, der aussah, wie schon mal getrunken. Während des Essens sprach Yossario darüber, wie seine Karriere begonnen hatte.

Obwohl Vita diese Geschichte schon tausendmal gehört haben musste, lauschte er ehrfürchtig, als sein alter Herr erzählte, wie er mit seinem Vater in den frühen Sechzigern nach Berlin gekommen war. Er war damals noch ein Teenager gewesen. Ein Exodus von Türken — zehntausende kamen im Sog der großen Bauprojekte nach Westberlin. Fünfunddreißig Jahre später hatten sie hier Fuß gefasst, die meisten von ihnen in Kreuzberg. Sie hatten Kinder bekommen, es gab genug Arbeit, das Leben hier war leichter als in der Türkei, und bald war die alte Heimat nur eine ferne Erinnerung an Hunger, Armut und Arbeitslosigkeit. Yossario und seine Brüder kamen mit weniger als nichts nach Berlin und wuchsen im Schatten der Baustellen auf. Als sie selber dann Jobs hatten, arbeiteten sie von morgens bis in die Nacht hinein, schleppten Ziegelsteine, hoben Gräben aus, machten die Scheißarbeit, die die Deutschen nicht mehr machen wollten, schufteten, bis ihre Bandscheiben krachten. Nach elf Jahren hatten sie genug zusammengekratzt, um ihre eigene Firma zu gründen. Und er erzählte, wie schwer es damals war und dass ihre Freunde meinten, sie seien verrückt, wegen der Opfer, die sie brachten. Ihre Familien hungerten und froren, bis sie allmählich Licht am Ende des Tunnels sahen. Aber die Wende kam auch für sie erst mit dem Untergang der Sowjetunion und dem Fall der Mauer.

»Ihr Land hat der Welt einen schlechten Dienst erwiesen, als es den Kommunismus in die Knie zwang«, sagte er und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Wir waren besser dran, als wir noch wussten, wo der Feind saß, als uns die Mauer noch Schutz bot. Sie haben das mieseste Volk überhaupt auf uns losgelassen. Und deshalb sitzen wir heute hier.«

Hardy schien bei diesen letzten Sätzen aufzuwachen. »Haben wir es etwa mit richtigen Kommunisten zu tun?«

»Ehemalige Funktionäre aus der DDR.«

»DDR? Was ist das?«

»Deutsche Demokratische Republik.«

»Ich verstehe kein Wort ... sind das nun Demokraten oder Republikaner?«

»Weder noch. Sie sind immer das, was für sie von Vorteil ist.«

»Zum Teufel, was muss man hier eigentlich tun, um ’ne klare Antwort zu bekommen?«

»Es sind Leute von der Stasi. Geheimpolizei. Die Russen unterstützen sie.«

»Russen? Das reicht mir ... Ich hasse diese verdammten Russen. Ich hab einen Großonkel im Koreakrieg verloren. Und, wer hat ihn gekillt?«

»Die Nordkoreaner«, antwortete ich lapidar.

»Scheiße, nein!«, blaffte Hardy, »die Russen steckten dahinter.«

Yossario sah aus, als wollte er etwas darauf erwidern, doch er schüttelte nur den Kopf und sagte: »Nun, wie dem auch sei, das bringt uns jedenfalls hier zusammen. Reine Selbsterhaltung.«

»Wie kam es zu der Verbindung mit Riccardo Montefiore?«

»Ich kannte Riccardos Frau schon, da war sie noch ein kleines Mädchen.«

»Lucretia Montefiore?«

»Ja. Ihr Familienname ist Kaglioglu. Ihre Familie stammt aus dem gleichen Dorf wie wir. In der Nähe von Istanbul.«

Hardy fragte: »Istanbul? Wo ist das?«

»In der Türkei.«

In Hardys Gesicht blitzte Gehässigkeit auf: »Die Gräfin kommt aus der Türkei?«

»Sie ist dort geboren und in Berlin aufgewachsen.«

»Hey, Tony, kapierst du? Die Gräfin ein Abkömmling von Kameltreibern.«

Vita sah aus, als hätte man ihn geohrfeigt, Yossario nippte am Wein und ignorierte Hardys Unverschämtheit; mitunter die beste Art, mit Hardy umzugehen.

»Eins verstehe ich nicht, warum erledigt ihr die Sache nicht selbst? Wozu braucht ihr uns?« Meine Frage entsprang echtem Interesse.

Yossario grinste, die Frage amüsierte ihn. »Es ist ein Familienunternehmen. Ich bin ein Familienmensch. Die Firma ist für meine Kinder, meine Neffen und Nichten. Und deren Kinder. Ich habe keine Armee. Sie haben die da draußen gesehen, alle tragen jetzt Waffen. Nun, bis vor zwei Wochen hätte niemand von ihnen eine Waffe auch nur angesehen. Die Hälfte von denen würde sich in den Fuß schießen, wenn sie abdrücken müssten.«

»Premig scheint aber mit Waffen umgehen zu können.«

»Premig war Oberst der türkischen Armee. Die anderen sind ... unreife Jungs, einfache Bauarbeiter. Lämmer für die Schlachtbank. Darum seid ihr hier. Damit sie wissen, dass wir zurückschlagen, um unser Eigentum zu schützen. Niemand legt sich mit Amerikanern an, und mit Riccardo Montefiore als Partner wird sich auch niemand mit uns anlegen.«

Ich begann mich zu fragen, ob Yossario eigentlich klar war, auf was er sich da eingelassen hatte. Warum interessierte sich Riccardo Montefiore für ein niedliches Familienunternehmen aus der Baubranche, noch dazu aus einem Land, in dem er weder richtige Kontakte besaß noch eine Basis, von der aus er operieren konnte? Allein die Logistik einer kriminellen Organisation war immens.

Als ich gerade meine Gedanken vertiefen wollte, erschien ein gut gekleideter Typ mit einer Menge blondem Haar auf dem Kopf und einer Nickelbrille auf der Nase. Aufgeräumt, fröhlich lächelnd, als wollte er gleich ein Lied anstimmen, schlenderte er auf mich zu, streckte mir die Hand entgegen und posaunte: »Hi, ich bin der Heinrich.«

Matt hob ich drei Finger, die er entschlossen packte. Hardy schaufelte kaltes Lamm in sich hinein, ohne vom Teller aufzusehen. Hardy hasste hübsche Jungs.