Poesie der Hölle - Buddy Giovinazzo - E-Book

Poesie der Hölle E-Book

Buddy Giovinazzo

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Beschreibung

Eddie hat ein Problem, denn die Diagnose lautet auf Gehirntumor. Harte Psychopharmaka und Chemotherapeutika haben seinen Körper ausgemergelt und lassen ihn peridisch in schwere Trancezustande fallen. Als seine Schwester Denise brutal ermordet wird, und Eddie durch Zufall auf eine Spur stößt, die den Mord mit der New Yorker S/M Szene in Verbindung bringt, taucht er noch einmal aus der Agonie seiner todbringenden Krankheit auf und macht sich in den Straßen und Nachtclubs von New York auf die Such nach dem Mörder. Doch je näher er dem Geheimnis, das den Tod seiner Schwester zu umgeben scheint, kommt, desto heimtückischer wütet der Tumor in seinem Hirn, bis Wahn und Wirklichkeit zu einer apokalyptischen Vision verschmelzen.

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Inhaltsverzeichnis

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Impressum

Zum Autor

Zu den Übersetzern

Pulpmaster Backlist

Buddy Giovinazzo

Poesie der Hölle

I DON’T WANNA BE NO CATHOLIC BOY

(The Dead Boys, NY 1978)

Ein Vorwort von Frank Nowatzki

Während einer Lesung anlässlich des Hamburger Filmfestes 1996, wo Buddy Giovinazzo seinen Film Unter Brüdern vorstellte, lernte ich ihn kennen und hörte ihn erstmals aus seinem Roman Poesie der Hölle vorlesen, der bei uns als Nachfolger von Cracktown erscheinen sollte. Der Film war einer der wirklichen Höhepunkte des Festivals, und die Rohfassung des Manuskriptes lag uns bereits mehrere Monate vor. Als Buddy G. aber zu lesen begann, konnte ich kaum glauben, dass er aus dem gleichen Text vorlas. Die von ihm cool und ruhig vorgetragene Anfangssequenz ging plötzlich in ein merkwürdiges Rap-Stakkato über. Mir war vorher beim Lesen nie zwingend aufgefallen, dass sich viele Passagen, richtig gelesen und im Rap-Rhythmus gesprochen, tatsächlich reimen und der düsteren Geschichte um den von einem nicht heilbaren Hirntumor geplagten Eddie eine gewisse Eigendynamik verleihen.

Eddie muss im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle durchleben. Gezeichnet von Krankheit, Chemotherapeutika und Drogen, die er als Waffe gegen den Kopfschmerz einsetzt, versucht er sich mit Gelegenheitsjobs durchzuschlagen, die ihm ein Überleben auf dem untersten Level der sozialen Skala ermöglichen. Den Drive einer Crime Story bekommt Eddies Geschichte, als seine Schwester ermordet wird und er noch mal aus der Agonie seiner todbringenden Krankheit erwacht, um sich auf die Suche nach dem Mörder zu machen. Tatsächlich jedoch geht es, wie schon in Cracktown und Buddy Giovinazzos erstem Film Combat Shock spürbar, um die langsamsten aller Morde: sozialen Ausschluss und die Zwänge des Milieus.

Mit dieser Thematik knüpft Poesie der Hölle an die Tradition amerikanischer Großstadtmelodramen an, wie sie etwa die literarischen Outlaws Nelson Algren mit Der Mann mit dem goldenen Arm oder Hubert Selby Jr. mit Letzte Ausfahrt Brooklyn vorlegten. Mit ihrem knochentrockenen Realismus rissen sie bei ihrem jeweiligen Erscheinen die Öffentlichkeit nicht gerade zu Ovationen hin. Auch Buddy Giovinazzo brauchte einige Zeit, um seinen US-Verleger zu einer Veröffentlichung zu bewegen. Letztendlich fiel die Entscheidung, als Buddy Giovinazzo ihm unseren Verlagsvertrag zeigte und sich so viel Vertrauen auch von seinem US-Verlag erbat. Thunders Mouth gab zwar grünes Licht, wandte aber ein, dass der Roman in seiner Grundstimmung für Amerika zu negativ und der Umgang mit dem Thema Gewalt in Giovinazzos Werken generell zu direkt sei. Buddy Giovinazzo ist jedoch daran gelegen, das Leben so zu zeigen, wie er es kennengelernt hat, und dazu gehöre nun mal, wie er sagt, die Darstellung von Gewalt in all ihrer Hasslichkeit und Brutalität. Von der Angst vor Gewalt und dem daraus resultierenden unangenehmen Gefühl befreit uns Buddy Giovinazzo nicht, und er verflucht Hollywood dafür, dass in Action-Spektakeln zwar eimerweise Blut vergossen wird, Gewalt jedoch nicht realistisch genug und mitunter sogar witzig dargestellt wird. Buddy Giovinazzo spielt nicht mit Gewalt wie beispielsweise sein zynischer Kollege Quentin Tarantino. Pulp Fiction lässt einen vor Entzücken grunzen, wenn der ultracoole Vincent Vega mit einer Pump Gun von der Kloschüssel geschossen wird, Unter Brüdern dagegen lässt einen zusammenzucken, wenn der Kleindealer Tommy aus Versehen den Bewährungshelfer seines Bruders Joey totschlägt, weil er ihn mit den Schuldeneintreibern des örtlichen Großdealers verwechselt.

Bret Easton Ellis wollte Anfang der 90er Jahre seine Generation, die mit fiktiver und realer Gewalt quasi überfüttert wurde und nun nicht mehr zu schockieren war, mit einem überladenen Gewaltszenario aus Splatter-, Porno- und Horrorelementen provozieren. American Psycho wurde zum Tummelplatz seelenloser Figuren, die in einer kaputten Welt voller Trivialität zu keinen echten Emotionen mehr fähig sind. Buddy Giovinazzo beschreitet mit seiner direkten und subtilen Darstellungsweise einen anderen Weg. Er lässt seinen bemitleidenswerten Protagonisten Eddie eine Liebe erleben, die, gemessen an ihrer Tragik, zu den beeindruckendsten der Literatur- und Filmgeschichte gehört, und er stellt mit ihm unter Beweis, dass man auch in einer Welt der verfallenden und sich verändernden Werte das Herz am rechten Fleck tragen kann. In einer Welt der Greueltaten und sozialen Ungerechtigkeiten, in der Umweltverschmutzung genauso alltäglich ist wie Kriminalität oder Geldmanipulationen an der Börse. In Eddies Welt gibt es kein Gut und Böse mehr, die Übergänge sind fließend. Die Frage, wer wofür verantwortlich gemacht werden kann, erscheint angesichts seiner Situation mehr oder minder als sinnloses Unterfangen.

Buddy Giovinazzo versteht sich eher als Filmregisseur denn als Autor, obwohl er die Freiheit des Wortes zu schätzen weiß, die kein Produzent ihm beschneiden kann. Als Autor ist er in der Lage, noch intimere Charaktere zu erschaffen oder wie in Poesie der Hölle mit Hilfe teuflischer Visionen mit dem Katholizismus abzurechnen, um somit das spezifisch katholische Schuldgefühl auszutreiben, das ihm schon lange auf der Seele brennt. Wenn ein Autor in der ersten Person schreibt, dann deshalb, um den Leser besonders dicht an seine Figur zu binden und ihm zu suggerieren, es könnte sich hier um den Autor selbst handeln. Und wirklich, wenn sich die Geschichte von Hell s Kitchen nach Staten Island verlagert, in den verranzten Vorgarten New Yorks, dorthin, wo Buddy Giovinazzo aufwuchs, dann hat sie ihre stärksten Momente. Hier scheint die Zeit stillzustehen, genau wie die schönen Kameraeinstellungen in Unter Brüdern. In New York City hingegen scheint sie zu rasen, Szenestars von gestern wie G.G. Allin erscheinen einem dort allenfalls noch als Hologramm, während Foetus sich knisternd als rar gewordenes Vinyl ein letztes Mal auf dem Plattenteller dreht.

1

Denise war schon zwanzig Minuten zu spät, und es wäre nicht das erste Mal, dass sie mich warten ließ, um dann überhaupt nicht mehr aufzutauchen. Wäre da nicht dieser eisige Regen gewesen, der mit Ketten aufs Pflaster schlug, ich wär längst abgehauen, statt dessen blieb ich dort, am Times Square, unter der Markise des Lyric Theatre oder dem, was davon übriggeblieben war, bei den Dealern und Huren, darunter auch zwei Transvestiten.

Ich zitterte, schlug meine Arme um den Körper wie ein Eskimo und beobachtete Kids aus dem Wohnheim, die lachend in die Pfützen auf dem Asphalt sprangen und sich gegenseitig das Dreckwasser ins Gesicht spritzten, als hätten wir einen kochend heißen Sommertag. An die Scheibe des Kartenverkaufs gelehnt, schlug ich den Kragen meines Jacketts hoch und hielt mir die Ohren, während der Wind rasiermesserscharf in meine Kopfhaut schnitt. Sieben Tage ging das jetzt schon so, nasskalt und eisig wie gefrierende Pisse, und alle Pillen oder Biere dieser Welt konnten dieses Zittern nicht vertreiben. Mit hängender Zunge trottete ein Hund vorbei, lahm von einer Seite auf die andere schwankend wie ein Pendel. Aus seinem Maul hing ein langer Speichelfaden, und sein verfilztes braunes Fell war talgig. Er wackelte weiter, die Nase im Wind, als eine ältere Hure auf den Bordstein zuging. Der Hund stakst e hin zu ihr und schnüffelte an ihrem Schritt, die anderen lachten und meinten, er sei wohl ihr nächster Freier. Ein Buick fuhr heran, und sie scheuchte ihn weg — niemand kriegt es umsonst, nicht einmal ein Hund. Auf der anderen Seite der Straße wischte ein durchnässter, zerlumpter Bettler bei Rot die Windschutzscheiben der Autos ab; das Schild einer Bar, die verrammelt war, wurde vom Wind gejagt, BIN JETZT DOWNTOWN, damit war alles gesagt. Ich sah Autos und Trucks dahinkriechen, Dreckwasser und Zeitungen an den Straßenrand klatschen, die roten Nippel vom Laden gegenüber blinken; und alles spielte sich ab hinter diesem Vorhang aus Regen, als mich plötzlich dieses äußerst seltsame Gefühl überkam, als wäre ich nackt und jemand würde mich berühren, nicht mit Händen, sondern mit Gedanken. Wie Lichtstrahlen, die durch trübes Wasser dringen. Ich blickte zur Seite, bemerkte den Hund, nur wenige Schritte entfernt; er fixierte mich, als wollte er sprechen. Ein Schimmer lag in seinen Augen, so seltsam vertraut, ein echtes Wiedererkennen, als wäre er mir schon mal begegnet, nicht als Hund, sondern als etwas oder jemand anderes. Er lächelte mich an, glänzende, graue Augen mit silbrigen Einsprengseln, blinkend wie Glimmer von Mondgestein oder Chirurgenstahl, schnitten eiskalt durch meine empfindliche Haut wie durch Papier, tiefer und tiefer, trieben den Schmerz in meinen Kiefer. Ein Kid kam herüber, um den Hund zu streicheln; der Hund sprang ihm an die Brust, leckte sein Gesicht, und der Junge trat ihm in die Eier, und das Tier schoss mit einem gequälten Jaulen davon. Ein Transvestiten-Girl machte einen Schritt, wollte sich einmischen, als eine blitzende Klinge Luft und Regen zerschnitt. Das brachte sie schnell zum Schweigen. Eine Polizeistreife bog um die Ecke, fuhr nach Westen zur Achten, die Kids setzten sich Richtung Broadway in Bewegung. Ich stand da und versuchte, unschuldig auszusehen, als die Cops mich von oben bis unten musterten. Urplötzlich knallten die Roten rein: Ein Hammer aus Glas. Zerschmetterte meine Augen, und die Straße kippte zur Seite. Durch wirbelnde Halluzinationen purpurner Acid-Trips, geometrische Flutwellen buntstiftfarbener Autos und kunstseidener Trucks, Transvestitenhuren an ihren freien Tagen, mit orangenen Hüten und Federboas in Rot, in Rattenpelzen mit Angorakragen, Bilder, Malereien, Pornostreifen mit abgetrennten Gliedern und zuckenden Kometenschweifen, trieb ich schlitternd auf sich verflüssigenden Straßen, wo Kinder weinten, verwahrlost und allein gelassen, mein Hirn, eine faulende Masse, die Kehle verstopft mit Galle und Blut, welkende Venen, Speichel, braun und zäh wie Melasse, fegten mich in die paranoide Glut — in diese beschissene Fotze der Monomanie — nur dort fühlte ich mich gut wie sonst nie, also desinfiziert mein Herz mit Jod.

Etwas trommelte auf meinen Kopf, ich öffnete die Augen, sah hoch — die tropfende Markise erschien mir wie eine chinesische Folter aus Brasilien —, und ein Glied aus der Kette der Regentropfen bohrte sich in mein Auge, also ging ich rüber ins Peeptown, immerhin konnte ich von dort aus Deni se sehen, falls sie noch auftauchen sollte. Schob mich durch die Gänge, gab mich gelangweilt und züchtig, überflog die Magazine, wie man es im Wartezimmer eines Arztes tut, blätterte in den verschwitzten Geschlechtsakten und spürte keine Regung in mir, wie ein schlaffer Schlauch aus Fleisch — bis Yudi mit dem Kastenmal mir sagte, ich solle es kaufen oder weglegen. Ich wollte es wegschmeißen, und zwar direkt auf den Boden, um es ihn aufheben zu lassen. Doch nichts hier war dieses Aufhebens wert, also ging ich zu Jackie’s und hing dort mit den Stammkunden herum. Natürlich waren Dezmond und Wally und Paris und Harper da, und an der Bar saß Wallys fette Schwester Camille, mit diesen melonengroßen Titten, die sich einem aufdrängten. Camille wäre ganz niedlich gewesen, wenn sie ein paar Pfund abgenommen und sich den Kopf abgeschlagen hätte. Dezmond und Wally spielten Billard mit neun Kugeln, während Harper auf der Jukebox stand und eine Birne in der Deckenbeleuchtung auswechselte.

»Hey, warum drehst du statt dieser kleinen 40er nicht einfach eine 75er rein? Hier drin ist es dunkel wie im Arsch!« schrie Dezmond Jackie an.

»Weil ich nicht euer Beleuchter bin«, schrie Jackie zurück.

»Yeah, du bist nur n beschissener Armleuchter!« antwortete Dezmond, und alle lachten.

Ich setzte mich an die Bar, einen Hocker entfernt von Camille, die mich bat, ihr einen Drink auszugeben, was ich auch tat, und bevor sie noch um irgend etwas anderes bitten konnte, glitt ich vom Hocker und ging rüber zu Dezmond, der sein Queue mit Kreide einrieb.

»Was ’n los mit dir?« fragte er, denn meine Klamotten pissten förmlich auf den Boden. »Reicht dein Verstand nicht, aus dem Regen zu gehen?«

Als er zum Stoß ansetzte, wrang ich mein Hemd über dem Tisch aus; er stieß die weiße Kugel ins Loch.

»Hey, Jackie, dieser Scheißtyp ruiniert deinen Tisch!«

Jackie warf uns einen dieser wütenden und zugleich ohnmächtigen Blicke zu. »Hey, Eddie«, brüllte er, »bist du ’n bisschen zurückgeblieben, oder was? Der Filz kostet Geld, und ich erneuer ihn nicht mehr. Wenn er wieder versaut wird, könnt ihr von mir aus alle im YMCA Pingpong spielen!«

»Tut mir leid, Jackie«, sagte ich und hielt dann den Mund, denn ich zitterte so heftig, dass meine Stimme bebte. Ich lehnte an der Wand, während Dezmond und Wally Pool spielten. Dezmond gelang wieder eine Serie, und Camille schlürfte ihren Scotch, fuhr quietschend mit den Zähnen übers Glas, brüllte ihren Bruder wegen einer Zigarette an, doch der ignorierte sie.

»Was ’n mit deiner Schwester?« sagte Dezmond zu Wally. »Hat sie eigentlich nie was auf Tasche? Die ist ja wie ’ne beschissene Slot-Maschine! Warum schaffst du sie nicht nach Atlantic City?« Und Paris und Harper lachten wie Heckle und Jeckle, während Wally sein Queue einrieb und die drei Kugeln versenkte. Ich ging auf die Toilette und kotzte meinen Drink aus. Machte das Licht an, entdeckte etwas Kotze auf meinem Schuh, wischte es mit Klopapier weg. Der flüchtige Blick in den Spiegel, mein Gesicht, schmal und bleich wie ein Totenschädel bei Nacht, versetzte mich richtig in Panik, also kotzte ich ins Waschbecken, um mich davon zu überzeugen, dass ich noch am Leben war. Dezmond kam herein und fragte, ob ich okay sei, und ich sagte ihm, ich sei nur etwas müde.

»Du bist heute so ruhig, alles okay? Hey, du solltest heute Abend noch was von den Roten organisieren, dann können wir noch ’n paar einschmeißen. Mann, das brennt vielleicht beim Pissen, wie Säure, weißt du, was ich meine? Hab gestern Abend Mexikanisch gegessen, mit Jalapenos und so, und immer wenn ich pisse, hab ich das Gefühl, da löst sich so ’n verdammter Stein. Hey, was hast ’n später vor, komm doch rüber, Lucille geht mit dem Kleinen zu ihrer Schwester, wir könnten ’n bisschen rumhängen und ’n paar Pornos gucken. Ich ruf dich an. Hey, wenn du nachher noch was von den Roten kriegst, bring welche mit, ja, ich will mindestens noch zwanzig kaufen. Hey, alles okay? Du siehst beschissen aus! Was hast ’n genommen, und warum hab ich davon nichts gesehen?«

Ich trocknete mein Gesicht ab, ging zurück in die dunstige Mischung aus abgestandenem Bier, schlechtem Atem und Körpergeruch, wo Camille ganz dicht an mich herankam. Sie trug niemals Höschen, und der scharfe Geruch der Muschi unter ihrem Kleid verursachte mir Übelkeit. Ich musste raus.

Ich hatte nichts vor und musste nirgendwohin, also ging ich zurück zum Strip, bis die Wirkung der Roten abgeflaut war. Ich stellte mich neben Hot Dog Vic, der ein Bein und die Hälfte seines Schwanzes — war s in Saigon oder Bayonne? — verloren hatte, wurde Zeuge, wie ein Regenschirm auf der Straße seinen Geist aufgab, als ein Lieferwagen seinen Motor startete und wegfuhr, und dahinter stand Denise mit finsterer Miene. Mein Lächeln änderte nichts daran. In ihren kniehohen Stiefeln und hautengen Jeans, mit dem weißen Kunstpelz und ihren langen, roten Haaren sah Denise ungeheuer gut aus, und so nebeneinander hätte uns niemand für Geschwister gehalten.

»Du kommst zu spät!« sagte sie mit einem Stirnrunzeln.

»Ich war schon vor einer Stunde hier. Du kommst zu spät.«

»Hast du schon was gegessen?«

»Nein.«

»Komm, lass uns was essen gehen«, sagte sie und marschierte unter der Markise hervor; ich folgte zwei Schritte hinter ihr. Denise war schnell in ihren Stiefeln, selbst auf den nassen, rutschigen Gehwegplatten.

»Nicht so schnell. Was soll die Panik?« rief ich.

»Es regnet! Ich will nicht nass werden«, antwortete sie und ging noch schneller. Ich lief hinter ihr her und bemerkte dabei große, runde Regentropfen, die wie Plastikbienen an ihrem Haar zu kleben schienen, als wäre es ein Gespinst aus Gummi, während ich bis auf die Kopfhaut nass war. An der Ecke hatte ich sie eingeholt, als ein Taxi durch die Pfützen fuhr, sie nahm ein Taschentuch, wischte mir die Augen ab und lachte nur.

»Du kannst immer noch nicht für dich selbst sorgen, weißt du das?«

»Ja. Wo gehen wir hin?«

Wir gingen nach Westen Richtung ShowWorld, an der Ecke ein ramponierter Toyota Carina, eine Dame kniete heulend vor einem Dalmatiner, der blutend im Rinnstein lag, keuchend und zuckend, mit verdrehten Augen, die wie Stroboskope flackerten, da wusste ich, er würde gleich sterben. Denise rief mir zu, ich solle mich beeilen, und ich fragte mich, ob der Krishnajünger mit dem zerbrochenen Tambourin, an dem ich vorbeihastete, vielleicht wusste, welchen Weg der Hund gehen würde.

Unter der Markise verlangsamte sie ihren Schritt, und wir gingen schweigend nebeneinander her. »Komm, hier können wir uns reinsetzen«, sagte sie und ging zielstrebig in ein kleines Bistro. Wir setzten uns in eine Nische, und ich rieb mein Haar mit einer Serviette trocken, Denise wischte sich das Gesicht ab.

»Also, wie geht es dir?« fragte sie.

»Gut.«

»Wirklich? Bist du okay?«

»Ja. Mir geht's gut.«

»Du siehst nicht danach aus«, sagte sie besorgt, doch Denise zeigte Anteilnahme immer auf kalte, unbeteiligte Weise. Als ich erklärte, dass es mir wirklich gut gehe, fragte sie, was mit meinen Behandlungen sei, und obwohl ich die vor zwei Monaten abgebrochen hatte, sagte ich, sie verliefen gut und ich befände mich auf dem Wege der Besserung. Was sogar stimmte.

»Dein Haar scheint wieder nachzuwachsen«, sagte sie. »Hast du noch Kopfschmerzen?«

»Nein«, antwortete ich. Das sei gut, sagte sie, während sie die Speisekarte durchging. »Du solltest auf dein Gewicht achten, du bist ja nur Haut und Knochen. Bestell, was du willst, betrachte dich als eingeladen.«

Ich klappte die Karte zu, ohne hineingesehen zu haben, und sagte, dass ich eine Suppe nähme.

»Mehr willst du nicht? Suppe? Los, iss was Vernünftiges. Bestell einen Hamburger.«

»Nur eine Suppe.«

Denise beschäftigte sich wieder mit der Speisekarte, und ich betrachtete ihr glattes, feuchtes Gesicht, an dem jetzt keine Spur Make-up mehr haftete, das rote Haar und die blauen Augen, die kleinen Sommersprossen, die über ihre Nase verstreut waren wie Schokostreusel auf einer Eiscremetüte. Sie klappte die Speisekarte zu und schob sie weg.

»Wie kommst du so zurecht? Bist du noch krankgeschrieben?«

»Jetzt nicht mehr. Sie haben mich bei der Schwarzarbeit erwischt. Ich vermute, mit dem Krankschreiben ist es jetzt vorbei.«

»Oh. Und womit verdienst du jetzt dein Geld?«

»Ich bin ziemlich beschäftigt, Zeitarbeit, alles, was ich kriegen kann, verstehst du, Gelegenheitsjobs eben. Wenn ich völlig blank bin, verteile ich Flyer für den Kit Kat Club.«

»Klingt nicht gerade vielversprechend. Verdienst du genug?«

»Ich komm zurecht.«

»Brauchst du Geld?«

»Nein, es geht mir gut.«

»Warum glaube ich dir nicht?«

»Das musst du dich schon selber fragen.«

»Wieviel hast du jetzt bei dir?«

»Keine Ahnung.«

»Dann sieh nach. Wieviel hast du, zwanzig? Dreißig?«

»Ich weiß nicht... Dreißig.«

»Hast du Geld auf der Bank?

»Ein paar Millionen.«

»Hör auf mit dem Quatsch!« Denise griff in ihre Handtasche, zog einen Fünfziger heraus und drückte ihn mir in die Hand. Jetzt besaß ich ganze zweiundfünfzig Dollar. Die Kellnerin kam herüber zu uns, und wir bestellten.

Die Suppe schmeckte wie Fieberpisse, aber ich zwang mich, sie runterzuwürgen, denn seitdem die Bestrahlungen meine Geschmacksknospen weggebrannt hatten, hatte alles, was ich zu mir nahm, den gleichen ranzigen Geschmack. Als die Wirkung der Roten nachließ, hoffte ich, dass Denise endlich zur Sache kommen würde, damit ich zurück in mein Zimmer und mich aufs Bett legen konnte.

»Wann warst du das letzte Mal bei Mama?« fragte sie, während sie an ihrem Strohhalm zog, und ich sagte ihr, ich wisse nicht, wann, und dass es ein paar Monate her sein müsse, vielleicht sogar, als wir das letzte Mal zusammen dort gewesen waren.

»Das war letzten Sommer«, sagte sie und zog die Nase kraus. »Vor mehr als sechs Monaten.«

»Nun, ich glaube, ich hab kein Zeitgefühl mehr. Um die Wahrheit zu sagen, Denise, ich sehe keinen Sinn darin, sie zu besuchen. Sie weiß nicht, wer ich bin oder ob ich überhaupt da bin, und es nimmt mich zu sehr mit, dazusitzen und sie zu beobachten.«

»Du solltest trotzdem versuchen, öfter hinzugehen«, sagte sie sanft. »Ich ruf dich an, wenn ich sie wieder besuche. Wir gehen dann zusammen, okay?«

Ich nickte, aber ich wusste, sie würde nie anrufen. Sieben Huren gingen draußen vorbei, und eine von ihnen blieb stehen, um die Speisekarte im Fenster zu studieren, bis man sie am Arm wegzog. Durchs Fenster sah ich die Leute, Freaks, Huren und Killer, und sah die Live-Version eines Snuffmovies mit mir in der Hauptrolle. Denise saß da und schlürfte ihr Soda, als ergäbe all das einen Sinn für sie.

»Weißt du, wer mich gestern angerufen hat?«

Ich verneinte.

»Onkel Ted«, sagte sie, und mir drehte sich fast der Magen um.

»Was ist los? Alles in Ordnung? Du schwitzt ja wie ein Schwein.«

»Wie schwitzen denn Schweine?«

Ich griff in meine Tasche, holte mein Tablettenröhrchen hervor und schluckte vier mit Wasser, während Denise sich umblickte, ob uns keiner beobachtete.

»Bleib ruhig, bist du sicher, dass du so viele nehmen sollst?«

»Ja. Mir geht s gut. Was wollte er denn?«

»Er brauchte eine Kopie von Mamas Geburtsurkunde für die Krankenhausakten, man hat sie in ein anderes Stockwerk verlegt, und denen sind ihre Unterlagen abhanden gekommen«, sagte sie nüchtern. Sie war so verdammt cool, meine Schwester Denise. Sie konnte ihr Leben leben, hatte alles im Griff und gab den Dingen den richtigen Schliff, darum beneidete ich sie, bewunderte sie, könnte ich doch nur so sein wie sie.

Sie aß ihren Hamburger und sprach über das Wetter, über Geschäfte und ihre Lover, und ich saß einfach nur da, kribblig, und wartete darauf, dass mir der Zweck meiner Anwesenheit klar wurde, und vielleicht hatte ich zu viele Pillen genommen, denn ich konnte nicht mehr verstehen, was sie sagte, ich hörte nur noch das Schnattern von Stimmen, wie Backenhörnchen, die auf Trip sind. Die Roten waren wie schmelzendes Eisen, das sich abkühlte und dann wieder glühte, und als mein Magen sich entkrampfte und mein Kopf in die Höhe schwebte, senkte Denise ihre Stimme und erklärte mir den Deal.

Egal, welche Tageszeit, ob hell oder dunkel, mein Zimmer war immer finster. Ich wankte hinein und stellte die fünfte Flasche Scotch auf den Tisch, während sich der Boden unter mir wie ein Karussell drehte. Ich öffnete das Fenster einen Spalt, spürte eiskalte Regentropfen auf klamme Finger spritzen, gefühllose Finger, wegen der Löcher in meinen Taschen. Meine Augäpfel rutschten nach hinten, in meinen Schädel, als ich mich auf die kühle Matratze legte, zwei rohe Eier, die über Täler und Schluchten einer schleimigen, schwarzen Materie glitten. Dann wurde alles ganz still, und nur die Luft in meinen Lungen erzeugte ein Geräusch; ich hielt den Atem an, und in diesem Vakuum konnte ich hören, wie ich mit mir im Kriegszustand war. Das rhythmische Pochen giftiger Plasmazellen, die mutierten, kumulierten, verbissen kämpften und Atompilze kobaltbestrahlter Tumore und ihrer Ableger menstruierten. Ich zitterte vor Feigheit in meinem Bunker, bis das Fieber vorbei war; könnte ich mich doch nur totstellen, ich würde überleben. Ich hob meine Lider, und durch das Fernglas hinten im Schädel sah ich einen Mann im Fenster, verschwommen, unheimlich und Christus nicht unähnlich, der einfach dort schwebte und mich beobachtete. Jetzt wusste ich, welchen Weg der Hund gegangen war. Eine Stunde lang rührte ich mich nicht und wartete, dass er sprechen würde, aber er fixierte mich nur mit diesem tiefgründigen, schäbigen Lächeln auf dem Gesicht. Ich ertappte ihn dabei, wie er den Scotch anstarrte, sprang auf, stolperte rüber zum Tisch und griff nach der Flasche, als ich mich umdrehte, war er verschwunden. Ich spritzte mir Wasser ins Gesicht und kam wieder runter; ich stehe öfter mal neben mir, besonders in Verbindung mit den Roten und Alkohol, und Mrs. Taylor schwört, ich hätte ihre Katze erwürgt, und vielleicht hat sie sogar recht, aber warum hatte ich sie letzte Nacht miauen hören? Ich trank etwas Tee und rauchte einen Joint, nahm einen Schluck Scotch und ging pinkeln, wirklich gut, dass ich nichts mit Jalapenos gegessen hatte. Ich fing an, mich zu erinnern, was Denise gesagt hatte, nicht über den Deal, sondern über Onkel Ted.

2

Wie die Sonne aussah, hatte ich schon fast vergessen, doch jetzt, da sie wieder da war, wusste ich, warum. Ich setzte mich auf, und ein morgendlicher Fieberschub brachte Visionen heiliger Grabstätten, schlug mich mit Blindheit, der Geruch von Urin und Scheiße und Blut und AIDS und Krebs trieb mich dazu, meinen Kopf immer und immer wieder gegen die gesprungenen Wandfliesen zu schlagen, nur um zu sehen, ob es ein verrückter Traum war, aber das Rot an meinen Fingern sagte nein. Ich wischte das Blut ab und trank Milch mit Magnesium, öffnete die Augen und stellte fest, dass eine Stunde vergangen war. Es war nichts Essbares da, und es hätte auch keinen Grund gegeben, es zu essen, also ging ich zur neunten Avenue, auf die Suche nach Lizard Len und seinen wohltuenden Rezepten. Die Sonne brannte wie Kunstrasen auf künstlichen Gelenken, und als ich an der Ecke stand, sah ich Farben des Hungers und des Verlangens und des Schmerzes, aber es war immer dieselbe Farbe: Schwarz.

Später dann kletterte CandyBar, die so süß wie Honig war, aus einem gelben Wagen. Sie wirkte wie hundert mit ihren dunklen, übernächtigten Augen, dem verschmierten Makeup, der offenen Bluse und der zerrissenen Strumpfhose. Ich fragte, ob sie okay sei, und sie sagte ja, aber kurz davor zusammenzubrechen.

»Wer war das im Wagen?«

»Ein Freund von Zero, irgendein Feuerwehrmann, ich hab ’ne Party mit Junggesellen geschmissen«, sagte sie in schwerem Jersey-Akzent und machte sich dann lustig darüber, dass deren Schläuche keinen Saft mehr hätten.

»Ich hab heute Nacht tausend Piepen gemacht, und jetzt mach ich zwei Tage blau, und Zero soll keine Scheiße erzählen, denn ich hab's verdammt noch mal verdient.«

Und sie hatte recht, denn Zero-Zero-Minus-One strich mehr als die Hälfte davon ein, fürs bloße Nichtstun, und Zero war noch einer von den angenehmeren Typen. CandyBar fragte, ob ich was dabeihätte, und ich sagte, sobald ich was hätte, würde ich ihr was geben. Bot dann an, sie nach Hause zu bringen, ihr schien es egal zu sein. Die morgendlichen Anzüge zogen an uns vorbei, und jeder von ihnen hatte einen Blick für sie übrig, denn für eine Zwölfjährige hatte CandyBar ziemlich große Titten; ich kramte unterdessen in meinen Taschen und zog einen Roach hervor. Sie setzte sich auf die Stufen, und ich bemerkte Blut an ihrem Bein, sagte aber nichts dazu.

»Verstehst du«, sagte sie und nahm einen langen, gemächlichen Zug aus dem Stummel im Clip, ihre Augen quollen fast über, wie bei einem Frosch unter Wasser, »ich wette, ich hab im letzten Jahr über hunderttausend Piepen gemacht, stell dir mal vor, ich hätt das alles gespart. Ich könnt mir ’n gutes Leben machen, verstehst du, vielleicht mit 'nem eigenen Geschäft und wär sogar schon Millionärin, weiß man’s?«

»Woran hast du denn gedacht?« fragte ich, einen Moment lang verwirrt, denn ich konnte mich nicht erinnern, wo ich war und mit wem ich mich unterhielt.

»Keine Ahnung ... Ich denke, das ist das Problem. Ich glaube nicht, dass ich irgendwas tun kann. Ich weiß nicht, was ich machen soll.«

»Was würdest du denn gerne tun?« fragte ich, krampfhaft bemüht, mich zu erinnern, wer sie war. Sie runzelte ihre Brauen, und es entstand eine lange, nachdenkliche Linie.

»Ich weiß nicht, ich könnt vielleicht einen Nachtclub auf machen, irgendwas in der Art. So einen echt vornehmen Club, ohne Nutten und Zuhälter, verstehst du, mit richtigen Leuten. Ich könnt so was sein wie ’ne Empfangsdame, weißt du, die Lady, die die Leute begrüßt, wenn sie reinkommen, und die dafür sorgt, dass sie sich prima amüsieren.«

»Ich wette, das hast du drauf. Du bist sehr freundlich«, sagte ich, als die Erinnerung wieder heranrollte.

»Ich war mal in so einem Club, der Typ wollte, dass ich ein Abendkleid anziehe, gab mir Perlen und Juwelen, sogar Diamantohrringe, und er nahm mich mit in diesen wahnsinnig teuren italienischen Laden in Jersey, du weißt schon, Fort Lee, genau hinter der Brücke, und sie parkten den Wagen für einen, und alle waren scheißfreundlich, gaben mir Feuer und rückten mir den Stuhl heran, ich kann dir sagen, die haben einem das Gefühl gegeben, man wär ’ne Million wert. Und die ganze Zeit kam ich mir vor, als wär ich seine Verabredung, verstehst du, er hat mich nicht wie eine Hure behandelt, es war richtig wie in Pretty Woman oder so. Bis wir in sein Apartment gegangen sind ...«

Sie untersuchte ihren Kopf mit den Fingerspitzen. »Ich hab immer noch irgendwo ’ne Beule davon.«

»Yeah, ich erinnere mich, das war letzten Herbst, nicht wahr?«

»Nein, es war im Juli, am 3. Juli, ich weiß den Tag noch ganz genau. Jedenfalls hat Zero ihm das anständig heimgezahlt, ist hin zu seinem Haus und hat ihn echt plattgemacht, sein Gesicht ist blaurot angelaufen, und seine Lippen sind angeschwollen wie die von Tyrone. Dann hat Zero Polaroids gemacht und mir im Krankenhaus gezeigt, und es war ein verdammt gutes Gefühl, ihn so zu sehen. Aber egal, so einen Club würd ich gern aufmachen, einen richtig coolen Club.«

»Dann solltest du es tun.«

»Yeah«, seufzte sie, »bloß wie, zum Teufel. Ich weiß auch nicht, das Geld rinnt mir nur so durch die Finger. Ich kann einfach nicht damit umgehen. Ich hab kein Ziel im Leben, denke ich«, sagte sie und kicherte, dann wurde sie ernst, als wäre ihr irgendwas in den Sinn gekommen. »Scheiße, ich hau lieber ab, wenn Zero vorbeifährt und mich hier sieht, schickt er mich gleich wieder anschaffen.«

CandyBar stand auf und wollte gehen, drehte sich dann aber zu mir um und sagte: »Hey, willst du nicht kurz mit raufkommen, auf ’nen Kaffee oder so?«

Ich stand da und sagte nichts; sie hatte mich auf dem linken Fuß erwischt. CandyBar lud nie jemanden zu sich ein.

»Sicher«, sagte ich nervös und versuchte herauszufinden, was dahintersteckte. »Das wär nett.«

Im Hausflur führte die morsche Treppe hinauf in die Dunkelheit. Als wir an dem sargengen Fahrstuhl vorbeigingen, dachte ich, es sei nur einige Stufen hoch. Im dritten Stock aber rang ich nach Luft, und CandyBar fragte, ob alles in Ordnung sei. Ich antwortete, ich sei nur etwas erschöpft. »Willst du dich kurz ausruhen? Du siehst nicht gut aus.«

»Nein, ist schon okay, wirklich. Lass uns weitergehen. Ich halte mich am Geländer fest«, sagte ich, und wir gingen weiter die Treppe hoch. »Das ist ein richtig gutes Treppengeländer«, ich schlug mit den Handknöcheln dagegen, »scheint Eiche zu sein.«

»Meinst du? Ich versteh nicht viel von Holz«, sagte sie. In der Dunkelheit hörte ich eine Stimme, die Arschloch zu mir sagte. Im siebenten oder achten Stock dann schloss sie ihre Tür auf, und wir gingen hinein. Die Wohnung sah ziemlich normal aus, eine Couch und einige Sessel, ein Fernseher, eine Bar und eine Stereoanlage, Bilder an der Wand und Teppiche auf dem Boden; ein Bücherregal und ein Couchtisch, und auf dem Tisch eine Rasierklinge und Ränder von übergeschwappten Gläsern; daneben ein Tisch für zwei Personen und direkt dahinter eine kleine Küche, links davon ein pinkfarben gefliestes Bad mit einer Duschkabine aus mattiertem Glas, davor eine flauschige, graue Badematte.

»Mach's dir bequem, ich bin gleich fertig«, sagte sie, drehte sich um und ging ins Bad. So mitten im Zimmer, fühlte ich mich völlig fehl am Platze und ging rüber zur Stereoanlage, wo ein Kassettendeck und ein CD-Player standen, daneben lagen Dutzende von CDs, und ich versuchte eine aufzuklappen, aber meine Finger zitterten so heftig, dass es mir nicht gelang. Mein Magen begann zu knurren, verlangte aber nicht nach Essen, sondern nach etwas anderem. Ich hoffte, dass

CandyBar mir etwas zu trinken anbieten würde und dass es nicht Kaffee war. Die Toilettenspülung war zu hören, und sie kam heraus in einem Morgenrock aus roter Seide; das Gesicht frisch gewaschen und die Haare zurückgekämmt, sah sie wesentlich jünger aus als noch vor wenigen Minuten.

»Magst du Harry Connick Jr.?« fragte sie und nahm mir die CD aus der Hand.

»Ich weiß nicht, hab ihn nie kennengelernt.«

Sie warf mir einen Blick zu und sagte: »Ach komm, du weißt, was ich meine.«

»Um die Wahrheit zu sagen, ich hab noch nie von ihm gehört, ich interessier mich nicht so sehr für Musik. Tut mir leid.«

»Brauchst dich nicht entschuldigen. Ist schließlich kein Verbrechen.«

Sie wischte die CD mit ihrem Morgenrock ab, dann stellte sie den CD-Player an. »Er ist der neue Frank Sinatra«, sagte sie, als ob sie etwas mit dem Musikgeschäft zu tun hätte. Dann, argwöhnisch: »Von Frank Sinatra hast du schon mal gehört, oder?«

»Ich bin vielleicht etwas hinterm Berg, aber bestimmt kein Schwachkopf«, sagte ich scharf, änderte dann aber meinen Ton. »Meine Mutter liebte Frank Sinatra, er war ihr Lieblingssänger.«

Darüber musste sie lächeln, und als aus den Boxen an der Wand die schmachtende Stimme von Harry Connick Jr., dem neuen Frank Sinatra, drang, hörte sich das für mich an wie das Quietschen und Kreischen einer U-Bahn, die rückwärts fährt; meine Trommelfelle waren perforiert, und ich konnte Musik nicht mehr wahrnehmen, also wippte ich auch nicht mit dem Fuß oder bewegte meinen Kopf. CandyBar schien das nicht zu bemerken, sie wiegte sich hin und her zum Sound der Musik wie ein Baum im Wind. Ich drehte mich um und sah zum Fenster, als sie die Augen öffnete.

»Was ist los? Magst du ihn nicht?« fragte sie.

»Doch, er ist Klasse. Hört sich wirklich an wie Frank«, sagte ich, drehte mich aber nicht um.

CandyBar ließ mich einfach stehen und ging in die Küche. Ich stellte mich an die Tür und sah ihr zu, wie sie am Küchentresen Kaffee in den Filter gab.

»Weißt du, CandyBar, ich will eigentlich gar keinen Kaffee. Mach bloß keine Umstände meinetwegen.«

»Es macht keine Umstände. Ich mach mir sowieso einen. Ich bin nach der Arbeit so aufgedreht, ich brauch mindestens ’ne Stunde, um mich zu entspannen.«

Sie füllte Wasser in die Kanne und goss es vorsichtig in den oberen Teil der Kaffeemaschine. Ich fühlte mich wie ein Zuschauer. Einfach nur Sonnenlicht, Hände und ein Gesicht, ihr Pferdeschwanz mit dem purpurnen Band, Lippen, pinkfarben und so verletzlich, formten Worte aus Liedern, die jemals zu hören, sowieso keine Chance mehr bestand, Lichtjahre entfernt vom eigenen Ich, wie Stummfilme oder Liebes schwüre in der Nacht, wie gern hätte ich darüber gelacht.

Statt dessen sagte ich: »Hör mal, ich weiß, dass du müde bist, vielleicht sollte ich besser gehen.«

»Meinst du?« sagte sie und sah hoch, und als ich nickte, bestand sie nicht darauf, dass ich blieb.

Lucille kam herein. Sie hatte Ben auf dem Arm und ging zum Kühlschrank, nahm eine Babyflasche heraus und stellte sie in einen Topf auf dem Herd. Dezmond nahm die letzten Züge aus einem Joint. »Hey, willst du noch mal?« Ich schüttelte den Kopf, und er ließ den Roach in den Aschenbecher fallen. Lucille stand da und schaukelte ihr Kind sanft hin und her, während das Wasser im Kochtopf brodelte. Dezmond ignorierte sie völlig, und sie ignorierte ihn. Dann zählte Dezmond seine Roten ab, bunkerte sie in seiner Hand, dabei ließ er drei auf dem Tisch liegen, jedoch keine für Lucille. Schließlich drehte sich Dezmond zu ihr um: »Hast du nichts zu tun? Meinetwegen Bettenmachen oder so?« Lucille nahm die Flasche und drückte einen Tropfen auf ihr Handgelenk, dann steckte sie Ben die Flasche in den Mund, ging ins Zimmer und erklärte, Dezmond solle sich selber ficken. Dezmond grinste mich an, und wir saßen da, tranken, kifften und warfen unsere Pillen ein, er zappte durch die Kanäle; als in einem Sex- Werbespot eine Blondine mit dicken Titten auf dem Boden hockte und pinkelte, stoppte er. Dezmond fragte, ob Denise jemals Werbespots fürs Fernsehen gedreht habe, und ich warf ihm nur einen Blick zu. Nach einer Stunde hatte Dezmond mich total zugelabert, und wir gingen zu Jackie s, wo ich mich zu Harper an die Bar setzte, der mir seine neue blaue Tätowierung zeigte, eine Schlange, die einen Käse verschlang. Als ich ihn fragte, warum gerade Käse, erklärte er mir, es sei Cheddar. Er spannte seinen Arm an, und die Schlange tanzte wie eine Kobra unter der Flöte eines Schlangenbeschwörers; durch das Klingeln in meinen Ohren drang ihre Stimme, sie flüsterte mir immer und immer wieder zu: »Hüte dich vor dem Mann mit dem Sowjet-Plan.« Ich drehte mich um und sah, wie Dezmond die weiße Kugel versenkte. Camille kam aus der Damentoilette getrippelt, und Harper nannte sie ein Trampel. Sie setzte sich an die Bar, während ich auf mein Glas und das schmilzende Eis darin starrte. »Hüte dich vor dem Mann mit dem Sowjet-Plan«, das musste ein Code sein, da war ich mir sicher. Dann quatschte Harper mir in das eine Ohr und Camille ins andere, und ich saß genau dazwischen und ließ Sätze ein Turnier bestreiten, während Silben sich im Koitus verrenkten und einem Fluch das Leben schenkten, bis Harper aufstand, nach hinten ging und mich mit der stockbetrunkenen Camille allein ließ.

»Weißt du, Eddie«, sagte sie sabbernd und mit schwerer Zunge, »ich versteh nicht, warum mich alle so hassen, ich habe doch keinem was getan.« Die Mischung aus Gin und Pot in ihrem Atem erweckte mein Verlangen.

»Camille, niemand hasst dich wirklich«, sagte ich. »Du bist einfach nur paranoid.«

»Nein, sie hassen mich. Sogar mein eigener Bruder hasst mich. Du weißt, wie oft er mir sagt, dass er sich wünscht, ich wäre tot, ständig sagt er das, verdammt noch mal, er sagt es ständig. Scheiße, ich bin seine Schwester, sein eigen Fleisch und Blut, und er behandelt mich wie den letzten Dreck, und den Scheiß, den er seinen Freunden über mich erzählt...«

»Sieh mal, Camille, so sind Brüder und Schwestern nun mal, sie sagen immer Dinge, die sie eigentlich so nicht meinen.« Ich sah hinüber zu Wally, der sich über den Tisch beugte, mit einer Brücke unter seinem Queue und einem Arsch wie ein Schinken von vierzig Pfund, der fast seine Hose sprengte, und mir wurde klar, dass er sie wirklich hasste. Er hasste jeden. Camille saß heulend an der Bar, und keine warmen Worte der Weisheit hätten etwas daran ändern können, manchmal musste Camille eben weinen. Ich ging hinüber zum Flipperautomaten, den Jackie der alten Zeiten wegen noch stehengelassen hatte; Jackie selbst stand hinter der Bar, schrie Camille an, weil sie flennte und die Gäste vergraulte. Camille wischte sich das Gesicht ab und griff nach einem Drink, den ihr Old Man Costello, dessen lädiertes Auge in die falsche Richtung schielte, ausgegeben hatte. Wally räumte den Pooltisch nach allen Regeln der Kunst ab, während Dezmond sich die Eier kratzte; Camille stahl einem Typ, der an der Bar eingeschlafen war, eine Zigarette und einen Dollar. Harper kam aus dem Hinterzimmer und balancierte einen Bierkrug auf dem Kopf; die verblassten Tattoos auf seinen Armen sahen aus wie Comics aus Sonntagszeitungen. Dezmond versuchte, Wally abzulenken, indem er Tiraden losließ über Yuppies und Drogen und militante Lesben, aber Wally ignorierte ihn einfach. »Neun Kugeln in die Taschen«, dann versenkte er sie alle und hatte gewonnen. Dezmond warf sein Queue weg, wirbelte herum und blähte seine Nüstern, als Wally sich den Fünfer vom Tisch schnappte, und hinter der Bar lachte Jackie in sich hinein. Camille glitt vom Hocker und wackelte, einen Dollar in der Hand, zur Jukebox. Dezmond beobachtete sie aus den Augenwinkeln, machte eine Drehung und verpasste ihr einen harten SCHLAG! kaltes, trockenes Knacken wie von splitternden Knochen auf ihrem spröden, pockennarbigen Gesicht. Alle drehten sich um, als sie ihren Drink fallen ließ und beinahe vornüberkippte. Sie stand da, fassungslos, wollte sich mit Worten verteidigen und berührte den Schnitt auf ihrer Wange, den sein Ring hinterlassen hatte. Als sie ihrer Wut mit einem Schrei Luft machte, wurden mir die Knie weich. Dezmond sagte ihr, sie solle aufhören, so zu tun, als ob, und dass es ihm leid tue und alles nur ein großes Missverständnis gewesen sei. Wally stand an der Bar, beobachtete seine Schwester, die sich am Zigarettenautomaten festhielt und weinte, als hätte sie Krebs, dann bestellte er einen Drink für sich und für den Verlierer. Dezmond gab mir einen Scotch aus, den ich aber nicht wollte, also reichte er den Drink der schniefenden Camille, die sich ihre verquollenen Augen trocknete und ihn dann wie ein ängstliches, schuldbewusstes Kind annahm. Was mich am meisten erstaunte, war die Tatsache, dass ich Camille in diesem Moment mehr hasste als mich selbst.

3

Die Zeitarbeitsvermittlung sagte mir, ich solle mich um acht Uhr dreißig beim Anwaltsbüro in der 55sten melden. Ich hätte mich lediglich um die Telefonanrufe zu kümmern, die Empfangssekretärin sei krank. Ich nahm das Angebot sofort an. Ich trug mein dunkles Kaschmirjackett, ein weißes Hemd und eine Krawatte, eine schwarze Hose aus irgendeinem Material — alles, nur nicht Baumwolle — und meine schwarzen Wildledersneaker und dachte, ich sähe auf eine linksintellektuelle Art irgendwie konservativ aus. Aber als ich durch die Tür trat, wusste ich sofort, ich hatte mich geirrt. Ich nahm zwei Rote, um den Schmerz zu lindern, und solange ich keinen Kontakt mit allzu vielen Leuten hatte, würde ich durchhalten. Ein freundlicher Typ namens Albert, ein unbeholfener Schlaks mit leichtem Silberblick und einem 600-Dollar- Anzug, sagte mir, ich solle mich dort drüben hinsetzen und die Anrufe entgegennehmen. Vier Sekunden später läutete das Telefon. »Hallo, Garbus, Frankfurt, Brakowitz und Jacobson«, sagte ich und versuchte, professionell zu klingen.

»Wer ist dort?« fragte die schroffe Ich-scheiß-auf-dich- Stimme am anderen Ende der Leitung.

»Verbinden Sie mich mit Brakowitz!«

»Bleiben Sie bitte dran.«

Ein Blick auf die Anlage verriet mir, dass die Nebenanschlüsse nicht namentlich gekennzeichnet waren. Ich wusste nicht, wie ich Brakowitz erreichen sollte oder ob er überhaupt im Hause war. Ich suchte nach einem Verzeichnis, als das Telefon wieder klingelte. Ich spürte, wie mein Magen sich zusammenkrampfte, und drückte beim dritten Klingeln den Knopf.

»Hallo, Garbus, Frankfurt, Brakowitz und Jacobson.«

»Ich warte immer noch auf Brakowitz! Stellen Sie mich durch!«

»Oh, es tut mir leid, ich muss die falsche Leitung erwischt haben.« Das Telefon klingelte weiter, ich sah mich nach Albert um, der nirgends zu sehen war, alle anderen Tische waren mit gesichtslosen Figuren besetzt, von denen niemand aufschaute. Als das Telefon nicht aufhören wollte zu klingeln, drückte ich widerwillig eine Leitung, wartete einen Moment und sagte dann: »Hallo?«

»Hallo, ist dort Garbus, Frankfurt, Brakowitz und Jacobson?«

»Ja, was kann ich für Sie tun?«

»Verbinden Sie mich bitte mit Marc Brakowitz.«

»Gern, bitte bleiben Sie dran, ich sehe, ob er da ist.«

Kaum hatte ich den Hörer aufgelegt, läutete es auf einer anderen Leitung. Ich drückte sie, und mein Magen zog sich noch mehr zusammen.

»Hallo?«

»Hallo, verbinden Sie mich mit Jason Frankfurt.«

»Bitte bleiben Sie dran, ich will sehen, ob er da ist.«

Drei blinkende Lampen und nicht die geringste Vorstellung, wie ich verbinden sollte. Ich betätigte wahllos irgendwelche Knöpfe. Das Telefon klingelte wieder. Ich ging in Leitung drei. »Tut mir leid, aber Mr. Frankfurt ist noch nicht im Hause, wir erwarten ihn jedoch in Kürze. Kann ich ihm etwas ausrichten?«

»Ja, sagen Sie ihm, Robert Jennings hat angerufen, er möchte zurückrufen.«

»In Ordnung, ich richte das aus.« Als ich schon auflegen wollte, sagte er noch:

»Moment, wollen Sie nicht meine Nummer notieren?«

»O ja, natürlich, tut mir leid.«

Das Telefon klingelte weiter, aber ich schrieb erst die Nummer auf. Dann ging ich in Leitung vier. Das hätte ich besser nicht tun sollen.

»Was ist eigentlich los bei Ihnen? Stellen Sie mich durch! Mit wem spreche ich überhaupt?«

»Oh, tut mir leid, ich wollte mich gerade bei Ihnen melden. Mr. Brakowitz ist noch nicht da, aber wir erwarten ihn in Kürze. Kann ich ihm etwas ausrichten?«

»Ich weiß, dass er da ist, ich habe gerade mit ihm gesprochen! Wo ist Albert?«

»Tut mir leid, ich seh ihn nirgends, äh, würden Sie bitte dranbleiben?«

Ich ging schnell in eine andere Leitung: »Hallo, Dominos Pizza.«

»Was?«

»Dominos Pizza«, wiederholte ich.

»Oh, ich habe mich verwählt.« Klick.

Ich öffnete sofort die übrigen Leitungen, stand auf und sah mich nach Albert um. Ein barracudagesichtiger Yuppie mit Aktenordner kam an meinem Schreibtisch vorbei. »Entschuldigung, wissen Sie, wo Albert ist?«

»Nein«, sagte er im Vorübergehen. Die blinkenden roten Lampen der Schalttafel übten auf meinen Magen die Wirkung von Akupunkturnadeln aus, Tee und Toast kündigten ihr Wiedererscheinen an. Eine junge Frau mit langem braunem Haar näherte sich meinem Schreibtisch; ich trat ihr in den Weg.

»Entschuldigen Sie, können Sie mir vielleicht helfen? Ich hab hier diese Anrufe auf der Leitung, aber ich weiß nicht, wie ich sie durchstellen soll. Haben Sie eine Ahnung, wie man das macht?«

Sie blieb stehen und sah mich spöttisch lächelnd an. »Das macht Sie ganz verrückt, nicht wahr? Ich selbst finde mich auch nicht zurecht mit den Nebenanschlüssen, Carole kennt

das System in und auswendig, aber die ist offenbar nicht da.« Dann warf sie einen Blick auf die Schalttafel. »Himmel! Da sind ja überhaupt keine freien Leitungen. So kann niemand durchkommen!«

»Ich weiß, tut mir leid, aber ich konnte die Leute nicht länger warten lassen.«

»Wissen Sie was, ich hole lieber Albert, okay?«

»Danke, das ist sehr nett von Ihnen.«

Ich öffnete die Leitungen, und unmittelbar danach klingelte das Telefon.

»Hallo, Garbus, Frankfurt, Brakowitz und Jacobson.«

»WER ZUM TEUFEL IST DA?«

Ich knallte den Hörer hin.

»Wo ist das Problem?« Albert beugte sich über mich, die Frau stand hinter ihm und lächelte mich mitfühlend an, dann ging sie zu ihrem Schreibtisch zurück.

»Ich hab drei Leute auf der Leitung, aber ich weiß nicht, wie ich sie durchstellen soll.«

»Habe ich Ihnen das Telefonverzeichnis nicht gegeben?«

»Nein, haben Sie nicht.«

»Oh. Okay, lassen Sie mich das erst einmal klären.« Albert nahm jeden Anruf an, wobei er mit dem dritten begann.

»Entschuldigen Sie die Verzögerung, wir haben ein Problem in unserer Zentrale, die Telefongesellschaft, Sie wissen ja, wie die sind ... Aber sicher, er erwartet Ihren Anruf, ich stelle Sie durch.«

Leitung eins blinkte noch immer, und jedes Aufleuchten traf mein Auge wie eine kurze Gerade. »Sie sollten sich besser um den ersten Anrufer kümmern, er klingt ziemlich verärgert.«

Albert drückte den Knopf »Hallo?... Oh, Mr. Garbus, es tut mir schrecklich leid ... Carole ist krank, wir haben eine Aushilfe, und er ist noch nicht mit unserem System vertraut.

Sicher, ich kümmere mich darum, ich stelle Sie sofort durch.« Albert nahm zwei neue Anrufe entgegen, notierte Nachrichten, und dann waren die Leitungen wieder frei. Mein Hemd war völlig schweißig, und es war erst neun Uhr dreißig. Albert beugte sich über den Schreibtisch.

»Hier sind die Namen und die Nebenanschlüsse unserer Partner, hier die der Nachforschungsabteilungen, Textverarbeitung, falls irgend jemand die verlangt; dann hier die Personalabteilung, Statistik und Buchhaltung, aber die meisten Anrufe werden fiir unsere Partner sein, und fragen Sie immer bei ihnen nach, bevor Sie durchstellen; es gibt einen Haufen Irrer, die alle versuchen durchzukommen. Okay? Wenn es irgendein Problem gibt, mein Büro ist gleich dort drüben, rufen Sie mich an, Apparat 514. Okay?«