Crushing - Genevieve Novak - E-Book

Crushing E-Book

Genevieve Novak

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Beschreibung

Single? Nein, Hauptperson!

Die selbsterklärte Serien-Monogamistin Marnie steht an einem Wendepunkt: Nach Jahren gescheiterter Beziehungen und zahlloser Versuche, die »perfekte« Partnerin zu sein, beschließt sie, dass es genug ist. Für immer. Keine Beziehungen mehr. Keine Kompromisse. Keine vergeblichen Liebesmühen. Ausgerechnet da taucht Isaac auf - ein Traumtyp und der einzige Mann, der sie wirklich versteht. Aber das ist okay, sie sind nur Freunde, und er ist schon vergeben. Außerdem hat Marnie wichtigere Fragen zu klären: Wer ist sie wirklich, was will sie vom Leben, und wie konnte sie sich so lange in Beziehungen verlieren, die ihr nichts gegeben haben?

Mit coolem Humor navigiert Genevieve Novak durch die Tücken moderner Romantik

Für alle, die aus den Rollen der »perfekten Partnerin« und »idealen Freundin« ausbrechen wollen

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 476

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmung123456789101112131415161718192021222324252627282930313233343536373839404142DANK

Über dieses Buch

Die selbsterklärte Serien-Monogamistin Marnie steht an einem Wendepunkt: Nach Jahren gescheiterter Beziehungen und zahlloser Versuche, die »perfekte« Partnerin zu sein, beschließt sie, dass es genug ist. Für immer. Keine Beziehungen mehr. Keine Kompromisse. Keine vergeblichen Liebesmühen. Ausgerechnet da taucht Isaac auf – ein Traumtyp und der einzige Mann, der sie wirklich versteht. Aber das ist okay, sie sind nur Freunde, und er ist schon vergeben. Außerdem hat Marnie wichtigere Fragen zu klären: Wer ist sie wirklich, was will sie vom Leben, und wie konnte sie sich so lange in Beziehungen verlieren, die ihr nichts gegeben haben?

Über die Autorin

Genevieve Novak ist Autorin und lebt in Melbourne. Sie schreibt romantische Komödien und Popkultur-Kolumnen für THE AGE und THE SYDNEY MORNING HERALD. Sie liebt Croissants und ihren Hund Viktor. Sie hasst es, Gen genannt zu werden.

G e n e v i e v e N o v a k

C r u s hi n g

R o m a n

Übersetzung aus dem australischen Englisch vonBabette Schröder

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

pola-Verlag

Titel der australischen Originalausgabe:

»Crushing«

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2023 by Genevieve Novak

First published by HarperCollins Publishers Australia Pty Limited, Sydney,

Australia, in English in 2023. This German edition published by arrangement

with HarperCollins Publishers Australia Pty Limited.

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2025 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln, Deutschland

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Die Verwendung des Werkes oder Teilen davon zum Training künstlicher Intelligenz-Technologien oder -Systeme ist untersagt.

Textredaktion: Ilona Jaeger, Berlin

Umschlaggestaltung: Thomas Krämer unter Verwendung eines Originals von © HarperCollinsPublishers

Foto U1: © Maria Jose Candela / Stocksy

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7596-0041-7

luebbe.de

lesejury.de

Für Taylor, natürlich.

1

Ich war verlassen worden. War praktisch obdachlos. Hatte erfolglos versucht, mich mit dem einzigen Schnaps abzuschießen, den Nicola im Haus hatte (Hinweis an alle Leidenden: Wenn man denkt, man hat den Tiefpunkt erreicht, gibt purer Gin einem erst den Rest). Die Anzahl meiner überlebensfähigen Eizellen nahm rapide ab. Nach fünf Stunden Dauerbeschallung mit Joni Mitchells Album Blue hatte ich den natürlichen Frieden der ruhigen Sackgasse derart gestört, dass ich in der Vorstadt zur Störenfriedin Nummer eins geworden war. In fünfzehn Minuten war mein achtundzwanzigster Geburtstag vorbei: In diesem Alter hatte meine Mutter schon zwei Kinder, einen Ehemann, einen Masterabschluss und eine bezahlbare Hypothek in einer Gegend gehabt, in der man mittlerweile siebenstellige Summen für die Häuser bezahlt. Aber ich hatte nichts von alledem. Sogar den Hund hatte Eddie behalten.

Sweetie, unsere Greyhound-Hündin, hatte mit mitleidigem Blick zugesehen, wie sich die Fahrstuhltüren vor mir und meinem Gepäck schlossen, während mein Freund – mein Ex-Freund – versuchte, sie wieder in die Wohnung zu schieben.

Er hatte mir das Problem bis ins unerträglichste Detail erläutert und dabei in meinen Schoß geschluchzt – so überwältigt von Schuldgefühlen wegen seiner Entscheidung, dass es am Ende ich war, die ihn trösten musste. Er habe es versucht, sagte er mit rotem Gesicht und angewidert von sich selbst, er habe sich wirklich alle Mühe gegeben, aber er liebe mich nicht mehr. Dann legte er einen Ed-Sheeran-Song auf, der seine Gefühle besser zum Ausdruck bringen sollte, während ich auf der gemeinsam ausgesuchten Couch saß und darauf wartete, dass das Gefühl in meine Beine zurückkehrte.

Er habe schon länger gezweifelt, ob es für immer sei, hatte er gesagt und meine Unterarme gedrückt, während ich versuchte, an all die Dinge zu denken, die ich liebte, aber vielleicht nicht für immer lieben würde. Richtig hoch geschnittene Jeans. Einen Schuss Chai-Sirup im Kaffee. Einen Serienmarathon mit Amateurbacksendungen. Nach drei gemeinsamen Jahren liebte er mich wie eine zusammengefallene Biskuittorte.

Jetzt lag ich in Nicolas Wohnzimmer auf dem Boden. Das Baby – Layla, meine Nichte – war bei den angenehmen Klängen von »A Case of You« eingeschlafen. Aber ihr blieb auch nichts anderes übrig. Ich würde die Musik nicht abstellen. Ich durfte meinen Liebeskummer heute richtig zelebrieren, ich durfte die Musik bestimmen, hatte ein Anrecht auf eine ganze Flasche Gin und auf das grenzenlose Mitgefühl meiner Schwester. Mitch, mein Schwager, war aus Solidarität in seine kleine Männerhöhle verbannt worden.

Ich konnte nirgendwo anders hin. Für das übersteigerte Mitgefühl meiner Mutter war ich emotional nicht gefestigt genug. Meine einzigen Freundinnen waren die Freundinnen von Eddies Freunden. Wir standen uns nicht so nah, dass ich bei ihnen auf der Couch pennen oder ihre Zeit mit langatmigen Ausführungen darüber beanspruchen durfte, dass ich jemand viel Besseres haben könnte und wie sehr er mich vermissen würde, bis ich es fast selbst glaubte.

Waren die Hotels wieder zum Normalbetrieb übergegangen, nachdem die Corona-Auflagen gelockert worden waren? Ich hatte keine Lust, mich zu erkundigen. Es war viel einfacher, hierzubleiben und mich in meinem Elend zu suhlen, Nicolas Nachbarn zu nerven und all das zu tun, was Eddie hasste – zum Beispiel mehrere Duftkerzen auf einmal anzuzünden und mich apokalyptisch zu betrinken.

»Als Mum so alt war wie ich«, schniefte ich, »hatte sie zwei …«

»… zwei Kinder, einen Ehemann und eine Hypothek. Das hatten wir schon. Ich hab auch ein Kind, einen Ehemann und eine Hypothek.« Nicola schnitt eine Grimasse. »Die kannst du gerne haben. Layla hat mich heute in den Nippel gebissen. Wo bleibt da der Respekt?«

»Sie ist erst sieben Monate alt«, hielt ich dagegen. »Sie weiß es nicht besser.«

»Damit kann sie sich nicht ewig rausreden.«

Nicola und ich hatten uns im Laufe der Jahre mal mehr und mal weniger nah gestanden, aber sie war alles, was ich noch hatte. Sie war acht Jahre älter als ich und hatte alles Gute aus dem Genpool abgegriffen: kräftige Augenbrauen, schöne Lippen, natürliche Sportlichkeit. Für mich blieben nur halbwegs anständige Haare und Gelenke übrig, die nach dem Aufwachen noch eine Stunde lang knackten. Sie hatte auch all die guten Adjektive abgesahnt: elegant, umwerfend, Grace-Kelly-mäßig, während ich … groß war. Das war einfach nicht fair.

Und sie hatte ein perfektes Leben: einen ganz netten Ehemann mit gutem Haarwuchs, ein süßes Baby und allerhand spannende Anekdoten aus ihrer Zeit im internationalen Partygeschehen von 2010 bis 2020; darunter eine Geschichte über eine lange Umarmung von Mark Ronson auf einer BAFTA-Afterparty. Bevor sie Mutter geworden war, hatte sie glamouröse Events in London organisiert und von den Resten des Caterings und der Energydrinks gelebt, während sie Promis und deren Entourage von einer Veranstaltung zur nächsten kutschierte. Als die Pandemie kam, kassierte sie eine großzügige Abfindung, zog nach Melbourne, heiratete Mitch, kaufte sich ein Haus, wurde schwanger und bekam in der Zeit, in der ich mir den Pony rauswachsen ließ, ein Baby. Ihr neues Leben war so idyllisch, wie es selbstgefällige Mama-Influencerinnen von ihrem Leben behaupten, und trotzdem ließ sie keine Gelegenheit aus, sich darüber zu beklagen.

»Im Ernst, Marnie, ist alles okay?«

»Nein«, jammerte ich. »Ich werde alleine sterben. Irgendwann werden sich meine Nachbarn über den Gestank aus meiner Wohnung beschweren, die Tür aufbrechen und eine Pfütze aus Magensäure und Augäpfeln finden, wo einst mein schöner Körper gelegen hat.«

»Komm mal runter. ›Schöner Körper‹. Glaubst du nicht, ich würde bemerken, dass du tot bist, wenn du aufhörst, mir täglich fünfzig Waschbär-Memes zu schicken?«

Ich schniefte. »Du bist uralt. Du wirst Jahre vor mir sterben.«

»Ich bin sechsunddreißig, du Rotzlöffel. Ich bin noch jung und heiß.«

»Du bist eine Greisin.«

»Pass auf, sonst hetze ich Layla mit ihren neuen Schneidezähnen auf dich.«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust, um meine Weichteile abzuschirmen. »Ich bin am Boden zerstört. Lass mich in Ruhe.«

Sie schnalzte mit der Zunge. »Willst du die Wahrheit hören?«

»Natürlich nicht.«

Doch sie redete unbeirrt weiter. »Ehrlich gesagt, Eddie taugt nix. Das finden wir alle.«

»Natürlich taugt Eddie nichts, Nicola«, rief ich. »Er schneidet sich selbst die Haare. Er träumt von einer Aussteigerkommune. Er nennt Espressos ›Expressos‹.«

»Warum dann das ganze Theater?«

»Weil ich ihn trotzdem geliebt habe«, schluchzte ich. »Und er ist weg, und ich weiß nicht, warum ich immer wieder an diesem Punkt lande. Was stimmt nicht mit mir?«

»Oh«, sagte Nicola, als sie merkte, dass es mir ernst war. Sie glitt neben mich auf den Boden und zog meinen Körper, der schlaff wie eine überfahrene Stoffpuppe war, in eine tröstend mütterliche Umarmung.

Trennung Nummer fünf. Das hörte sich nach viel an, und es fühlte sich noch wesentlich schlimmer an. Ein weiterer ernsthafter Versuch war fulminant gescheitert.

Vor meinem geistigen Auge schob ich unter den Leuchtstoffröhren im Sitzungssaal des Gemeindezentrums einen Plastikstuhl zurück und stand auf, um mich meinen Leidensgenossinnen vorzustellen. »Ich bin Marnie Fowler, und ich bin eine Serienmonogamistin.«

»Hallo, Marnie«, antworteten sie im Chor.

Eine oder zwei große Trennungen in den Zwanzigern waren normal. Drei waren Pech. Aber fünf? Fünf gescheiterte Langzeitbeziehungen innerhalb von zehn Jahren waren ein Muster, und die einzigen wiederkehrenden Elemente waren:

MännerIch

Offensichtlich waren die Männer immer und in jedem Szenario das Problem, aber ich war auch nicht ganz unschuldig.

Ian, der eine kleine, naive Freundin wollte, die den Altersunterschied zwischen uns nicht infrage stellte, war ich zu eigensinnig gewesen. Guillaume, der sich nur auf eine Affäre mit mir eingelassen hatte, um mir während der Weihnachtszeit über meinen Liebeskummer hinwegzuhelfen, sich dann aber in einem achtmonatigen Würgegriff unerbittlicher Zuneigung gefangen sah, war ich wiederum zu bedürftig. Thomas war nach einem Jahr von mir gelangweilt, und Martin konnte den ganzen Ballast nicht tragen. Ich war überall durch den Freundinnentest gefallen: die falsche Frau für jeden Männertyp, mit dem ich es versucht hatte.

Und dann kam Eddie. Freundlich und unbefangen. Er sollte der nette Kerl sein, der sich durch Geduld auszeichnet. Nicht gerade lustig, aber ein geneigtes und leicht zu begeisterndes Publikum. Er ging gern in die Natur, also ging ich auch gern in die Natur. Er campte gern, also lernte ich, ein Wohnmobil zu fahren, und gewöhnte mich daran, zu den gutturalen Lauten zweier sich streitender Opossums einzuschlafen. Sogar achtzehn Monate Lockdown in unserer engen Wohnung waren nicht so schlimm.

Na ja, jedenfalls hatten wir einander nicht umgebracht. Das war schon nicht schlecht. Unser Leben hatte sich gerade wieder normalisiert. Ich fühlte mich endlich geborgen, in Sicherheit … und schon war ich wieder hier gelandet. Schon wieder. Ich jaulte auf wie ein verwundetes Tier.

»Ach, meine Süße«, raunte Nicola und strich mir übers Haar. Ich spürte, dass sie es auf Spliss untersuchte, beschloss jedoch, nichts zu sagen. »Es ist okay. Ich weiß, dass du okay bist.«

Diese Plattitüden, gepaart mit dem schönen Gefühl, von jemandem so gemocht zu werden, dass er mich mit ihnen zu trösten versuchte, erneuerten meinen Tränenstrom. Ich stöhnte gequält auf und vergrub das Gesicht in den Händen.

»Er ist der Schlimmste von allen«, sagte sie. »Weil er so anständig wirkt. Das ist hinterhältig. Ian hat wenigstens offen gezeigt, dass er ein Schwein ist. Eddie ist noch schlimmer als Tom – ich meine Thomas. Was für ein Arsch. Schlimmer als …«

»Können wir das lassen?«, wimmerte ich. »Du musst mir nicht mein ganzes Versagen vor Augen führen.«

»Das mach ich nicht! Ich sage nur, wenn wir dachten, dass Martin schlecht war …«

»Eddie ist nicht Martin!«, jammerte ich. Als ich mich aus ihrer Umarmung wand, hatte ich am Kragen ihres T-Shirts einen Mascara-Fleck hinterlassen. »Ich hab i…ihn geliebt – ich liebe ihn, ich weiß nicht, was ich falsch g…gemacht hab. Ich weiß nicht, warum das immer … ich …«

»Okay«, sagte Nicola mit einer aufreizend beruhigenden Stimme und zog mich wieder an sich, während ich mich an meinen Worten verschluckte, hustete und in meinem erneuten Elend ertrank. »Es ist okay, du bist okay.«

Wie ein hilfloses Kleinkind ließ ich mich sanft von ihr in den Armen wiegen und gab mich all den Träumen hin, die mit einem Mal gestorben waren.

Von dem idyllischen Haus am Altona Beach: ein altes Haus mit einem ausgewachsenen Zitronenbaum und einem Garten, in dem man Hunde halten konnte. Davon, eine einjährige Auszeit zu nehmen, um zusammen mit dem Wohnmobil durch Europa zu reisen, bei der er sich mit Expats anfreundete, die schon ihr ganzes Leben lang im Ausland lebten, und ich mich mit Piroggen und Schweizer Schokolade vollstopfte. Eines Tages ein sehr wohlerzogenes Kind zu haben, das nie einen Nervenzusammenbruch auf dem Boden eines Supermarkts haben würde oder mit einem iPad beruhigt werden müsste. Der Lebenstraum, auf den ich drei Jahre lang hingearbeitet, auf den ich gewartet und immer wieder angespielt hatte, war nun abrupt geplatzt.

»Ich will mit ihm reden«, sagte ich stur. Ich griff blindlings um mich und tastete auf Nicolas dickem, silbrigem Zottelteppich nach dem kühlen Glas meines Handys.

»Nein.« Sie packte meinen Arm und zog ihn zurück. »Das hilft nicht.«

»Aber er …«

»Nicht heute Abend«, sagte sie. »Nicht so.«

Mein Kopf pochte, nachdem ich den ganzen Abend geheult hatte. Rotz floss mir aus der Nase und troff von meiner Lippe. Ich griff nach dem Gin.

»Vielleicht ist das erst mal gen…«

»NEIN.« Sie hatte bereits die Hand ausgestreckt, doch ich schnappte mir die Flasche und versetzte ihr einen warnenden Tritt. »Meiner.«

»Morgen wirst du dich beschissen fühlen.«

»Ich werde mich für den Rest meines Lebens beschissen fühlen!«

Während der Gin in meiner Kehle gluckerte und brannte und ich zum neunzehnten Mal den Song »River« abspielte, war mir durchaus klar, dass ich mich ein kleines bisschen lächerlich verhielt. Ich reagierte auf einen Küchenbrand, als wäre es Tschernobyl.

Es war einfach nur peinlich: zu spät herauszufinden, dass es gefährlich gewesen war, alle Vorsicht in den Wind zu schlagen. Zu erfahren, dass jemand eine Liste erstellt und festgestellt hatte, dass die Spalte mit den Nachteilen unendlich viel länger war als die mit den Vorteilen. Dass man sein Bestes gegeben hatte und ohne jede Konkurrenz nur auf dem zweiten Platz gelandet war.

»Marnie«, sagte Nicola mit einer Mischung aus mütterlicher Sorge und beschämendem Mitleid, »du musst tief durchatmen …«

Ich schluckte gerade, als mich ein neuer Schluchzer überkam. Mein Magen krampfte sich zusammen, und ich warf ihr einen panischen Blick zu. Ich hustete, hustete noch mal, und dann verwandelte sich das Husten in ein Würgen.

»Oh nein«, sagte sie und sprang auf, während mich das Grauen überkam. Sie hakte ihre Arme unter meine und schleppte mich gerade noch rechtzeitig in die Küche, damit ich …

Platsch. Plitschiplatschplitschiplatsch.

Gin und Galle landeten in der sauberen Küchenspüle aus Stahl und flossen ekelerregend in Richtung Abfluss. Mit tränenden Augen sah ich zu, wie alles, was ich noch im Magen gehabt hatte, aus meinem Mund herausschwappte und sich ihm anschloss.

»Gut so«, sagte Nicola beruhigend und hielt mein Haar zurück. »Alles okay. Ist schon gut.«

Ich wusste nicht, ob die Tränen, die auf meinem Gesicht trockneten, von Liebeskummer, Scham oder der natürlichen Reaktion des Körpers auf eine leichte Alkoholvergiftung herrührten, aber das war auch egal. Als Nicola mir ein Papiertuch reichte und mir über den Rücken strich, beschloss ich, dies würde das aller-allerletzte Mal sein, dass ich mich so gehen ließ.

2

In der Morgendämmerung im Gästezimmer meiner Schwester wirkte meine Liebeskummerhysterie nur noch erbärmlich. Bergeweise zerknülltes Klopapier voller Rotz und Tränen, verschmierte Wimperntusche auf dem strahlend weißen Kissenbezug, der Wäscheeimer neben dem Bett glänzte von getrockneter Galle und Gin, und in den fünf Stunden, die ich unruhig geschlafen und mich immer wieder übergeben hatte, lief unentwegt derselbe Julien-Baker-Song auf meinem Handy.

Benommen lag ich da und genoss den dichten grauen Nebel. Ich stupste gegen mein Herz, das wie eine blutige Faust in meiner Brust saß, dachte an die Form von Eddies Mund, als er mir gesagt hatte, es sei vorbei, und machte mich auf Tränen gefasst. Doch irgendwie konnte ich nur an den Belag auf seinem leicht schiefen Schneidezahn denken. Wann hatte er zum letzten Mal Zahnseide benutzt?

Wenn ich die Knie an die Brust zog, die Decke über mich warf und ganz, ganz still war, vergaß Nicola vielleicht, dass sie ein Gästezimmer oder überhaupt eine Schwester hatte, und mein Körper würde mit der Matratze verschmelzen. Dann würde man mich Jahrzehnte später finden – konserviert und selig, weil ich gnädigerweise tot war.

Oje. Ganz schön düster für einen Freitagmorgen.

Ich trat die Decke weg und begann zu grübeln.

Wollte ich mich im Bett verkriechen und auf den Tod warten, weil ich jemanden liebte, dessen Lieblingsbuch The Barefoot Investor war? Wollte ich lange Bäder im Dunkeln nehmen, dabei Phoebe Bridgers hören und über die verschwendete Zeit jammern, weil ein Mann meinte, er könne eine Bessere haben? Und zwar ein Mann, der meinte, dass drei Minuten Küssen und Schenkelgrabschen ein angemessenes Vorspiel seien? Würde ich ihm nachtrauern, mich vor Sehnsucht verzehren, kitschige Gedichte auf öffentlichen Plattformen veröffentlichen, ihm heiße Nachrichten schicken und dann so tun, als wären sie für meinen imaginären Freund bestimmt gewesen, »Sorry ha ha«? Nein.

Nicht schon wieder.

Ich betrachtete mein Spiegelbild in den Schranktüren und sah eine zerzauste Koboldin, deren eine Brust aus der ausgeleierten Achselhöhle eines Trägerhemds hervorlugte, und dachte: Das muss aufhören.

Ich wollte nicht zur Karikatur einer alleinstehenden Frau mit gebrochenem Herzen werden, die in eine existenzielle Krise gerät und immer mehr auf Rosé und eine Horoskop-App setzt.

Nein, dachte ich. Wenigstens musste ich mir nach der Trennung von Eddie nie wieder die Anekdote anhören, wie er das erste Mal einen Jalapeño gegessen hatte, das genügt völlig.

Und das war’s. Die Trauer war beendet.

So sah ein Neuanfang aus. Wieder einmal. Fünfmal apokalyptischer Liebeskummer in nicht mal zehn Jahren sollten mir einen Ehrentitel in Demütigung und Regeneration einbringen.

Lasst euch nicht von Taylor Swift täuschen. Über jemanden hinwegzukommen, ist gar nicht so schwer. Man muss sich lediglich für den Rest des Lebens auf alles Negative an ihm konzentrieren, bis man vergisst, seinen langsamen und schmerzhaften Tod zu erhoffen, dann lässt man sich die Haare schneiden.

Es war aufregend, in einem ganz neuen Leben aufzuwachen und festzustellen, dass die Welt da draußen noch genauso aussah wie vorher.

Mein Gesicht sah genauso aus. Meine Kleidung passte noch genauso. Das verschlafene Pendeln in die Stadt führte über eine andere Bahnlinie, aber das Piepsen beim Entwerten meiner Fahrkarte, das Schaukeln des Waggons, die ausdruckslosen Blicke der anderen Passagiere – sie scherten sich nicht um das aufgewühlte Innenleben einer anonymen Frau Ende zwanzig.

Ich spürte, wie mein Handy in der Tasche vibrierte, und holte es heraus.

Verpasster Anruf (05:45): Nicola Fowler-Smythe

Nicola Fowler-Smythe(05:45): Hass mich nicht.

Marnie Fowler (05:46): Was?

Mein Telefon leuchtete auf, als ich einen Anruf erhielt, den ich sofort wegdrückte.

Verpasster Anruf (05:46): Mum (Handy)

Doch sie ließ sich nicht abwimmeln.

Verpasster Anruf (05:47): Mum (Handy)

Verpasster Anruf (05:48): Mum (Handy)

Nicolas Name erschien in einem anderen Fenster.

Nicola Fowler-Smythe (05:49):SORRY!

Nicola Fowler-Smythe (05:49):DAS THEMA KAM ZUFÄLLIG AUF.

Marnie Fowler (05:49): Du bist für mich gestorben.

Der Gang durch das Betonlabyrinth der Parliament Station bis zur Ecke Collins Street und Russell war nicht anders als sonst. Für die meisten Pendler war es noch zu früh, sodass die Straßen ruhig und leer dalagen. Die hoch aufragenden Bürogebäude standen bereits seit anderthalb Jahren leer. In den Eingangstüren der Designer-Flagship-Stores und der Minimärkte mit den Wucherpreisen schliefen Menschen. Ein Radfahrer schrie einen Lieferwagenfahrer an, der ihn fast umgefahren hätte. Ein ganz normaler Vorgang, kein lebensveränderndes Drama. Ich war so unbeeindruckt, dass ich vergaß, das erneute Pingen meines Handys zu ignorieren.

Mum (Handy) (05:55):Süße … Es tut mir ja so leid … Geht’s dir gut? … ??? …

Marnie Fowler (05:56): Alles okay und ich möchte nicht darüber reden.

Mum (Handy) (05:56): Willst du für eine Weile bei mir und Trent einziehen?

Marnie Fowler (05:56): Nein danke!

Marnie Fowler (05:57): Wer zum Teufel ist Trent?

Nicola Fowler-Smythe (05:58): Wenn ich das wüsste. Ihr neuster Macker.

Marnie Fowler (05:58):

Früher irgendwann, bevor der Draht der Coronamaske jeden Tag eine tiefrote Furche auf meinem Nasenrücken hinterließ, bevor meine Nagelhaut vom andauernden Desinfizieren permanent rissig wurde, bevor die Welt erstarrt und zusammengebrochen war und sich mit der verhaltenen Androhung einer dritten, vierten, siebzehnten Variante zaghaft wieder berappelte, hatte ich einen Beruf gehabt.

Ich hatte die Karriereleiter in einem Gastrobetrieb zur Hälfte erklommen – einem arroganten Unternehmen, dem ein Dutzend schicke Restaurants gehörten, denen ihre Instagram-Tauglichkeit wichtiger war, als gutes Essen in angemessenen Portionen anzubieten – und hatte mich von der nervösen Teenager-Kellnerin zur Leiterin für Geschäftsentwicklung hochgearbeitet.

Aber vor eineinhalb Jahren nahmen die Coronazahlen exponentiell zu, und überall wurden Restaurants geschlossen. Fünfundsiebzig Prozent unseres Personals wurde entlassen, während wir darauf warteten, dass das Schlimmste vorüberging, was jedoch nicht geschah, und dann wurde ich freigestellt.

Solange er konnte, kam Eddie allein für die Rechnungen auf. Er lächelte dünn, wenn ich mich bei jeder Kichererbsendose entschuldigte, die ich in den Einkaufswagen packte, reagierte gereizt, wenn ich die Spülmaschine anstellte, und murrte, wenn ich nicht in Stimmung war, als ob das das Mindeste wäre, was ich im Gegenzug tun konnte. Mein Selbstwertgefühl schwand mit jeder höflichen Absage auf eine Bewerbung, mit jedem ausbleibenden Rückruf von Personalvermittlungen, mit jedem Tag, den ich vor dem Fernseher verschwendete.

Kit bot mir den Job in der Little George Gastronomia nur an, weil ich die am wenigsten nervige Bewerberin war, die sich bei ihm vorstellte. Er hatte mal gesagt, dass ihm folgende Dinge an mir gefielen, und zwar in dieser Reihenfolge: Ich sei vor 9/11 geboren und ich hätte keine Angst vor ihm. Wenn das schon ausreichte, um einen Job zu behalten, bei dem ich den ganzen Tag Musik hören und jedem vorbeikommenden Hund Kekse anbieten durfte, dann konnte ich damit leben.

Das Little George, benannt nach seinem Standort an der George Parade, existierte seit den 1950er-Jahren. Kits Großeltern hatten es eröffnet, nachdem sie während des Kriegs aus Italien eingewandert waren. Es hatte sich von einer winzigen Espressobar zu einem Stück Melbourner Geschichte entwickelt. Als Kit den Laden vor zwei Jahren von seinem Vater erbte, hatte er ihn von Grund auf renoviert und nur das denkmalgeschützte grüne Neonschild, die importierten Kacheln und die originale, äußerst temperamentvolle Espressomaschine behalten. Ich war die Einzige, die sie zähmen konnte, wenn sie zur Stoßzeit einen Wutanfall bekam.

Genau genommen war es nur ein kleiner Laden. Das Gebäude gehörte Kits Familie: ein schmales dreistöckiges Haus mit hellen, breiten Fenstern, in dessen Erdgeschoss sich das Café befand. Der erste Stock wurde seit Jahrzehnten als Lager genutzt und war voll mit vergessenem Familienkrempel. Im zweiten Stock befand sich Kits Büro (Schrägstrich Versteck). Es gab zehn Tische drinnen, drei draußen in der Sonne und eine Reihe von Barhockern entlang der langen Theke aus dunklem Holz für Leute, die nur schnell ein Stück Gebäck und einen Espresso zu sich nehmen wollten. Bei der Renovierung hatte Kit das Lokal in Jägergrün und Weiß gestrichen und die jahrzehntealten Möbel durch Tische und Stühle aus glänzendem Walnussholz ersetzt.

Die Lage des Little George in einer Seitenstraße, die saisonale Speisekarte und die wechselnden schicken Schwarz-Weiß-Fotografien lokaler Künstler in den glänzenden Messingrahmen an allen drei Wänden trugen zu dem Eindruck bei, dass es sich um einen Geheimtipp handelte. Eine schwere Schwingtür trennte den Restaurantbereich von der Küche, und das war gut so, denn sonst hätte mich Sam – ein geiler Bock, der nebenbei als unser Koch arbeitete – den ganzen Tag mit seinen anzüglichen Sprüchen genervt. Von Montag bis Samstag servierten wir anspruchsvollen Melbournern Frühstück, Mittag- und Abendessen. Ich arbeitete in der Tagschicht, und was mir an Lohn zu wenig gezahlt wurde, machte ich mit Croissants wieder wett.

Auf meiner Schürze war Marnie, Stellvertretende Restaurantmanagerin aufgestickt, aber das hieß lediglich, dass ich einen eigenen Schlüssel besaß, mich als Zweite an übrig gebliebenem Essen bedienen und mich in Kits Namen um bedürftige Gäste kümmern durfte. Er war für das Geschäftliche zuständig, die Küche hatte ihr eigenes System, und im Restaurant war kein anderes Personal zu managen, seit Kit Max, den Wochenend-Barista und gequälten Matty-Healy-Desperado, gefeuert hatte, weil er »absolut unausstehlich« war. Obwohl ich den Job wahrscheinlich auch im Schlaf hätte machen können, beschwerte ich mich nicht.

Mir war klar, dass ich höhere Ziele haben sollte. Es sollte mich ganz kribbelig machen, wenn mein LinkedIn-Profil aufgerufen wurde. Ich sollte ein höheres Gehalt anstreben, Verantwortung, fünfstellige Bonuszahlungen. Eine Karriere, nicht nur einen Job. So ungefähr alle meinten, ich hätte den Lockdown für eine Umschulung nutzen sollen, die Gastro sollte mir nur als Mittel zum Zweck dienen: als etwas zeitlich Begrenztes auf dem Weg zu einem angesehenen Beruf.

Doch wenn der morgendliche Ansturm verebbte, der Geschirrspüler lief und ich gerade in einen besonders schönen Tagtraum vertieft war, gefiel es mir hier. Ansturm und Flauten waren vorhersehbar, die Gäste meist freundlich, und die größte Katastrophe, die passieren konnte, war, dass die Hafermilch ausging. Ich mochte den frühen Spaziergang zum Café, um zu öffnen, und den süßen Nonno, der jeden Donnerstag mit einem Espresso und drei Zeitungen an unserem Fenstertisch kampierte. Es gefiel mir, dass ich mir über nichts Gedanken machen musste, außer über die korrekte Schreibweise der Gerichte auf der Angebotstafel und die Crema auf dem Espresso, den ich ausgab. Dass mein Körper am Ende des Tages erschöpft war, das befriedigende Knacken in den Knöcheln, wenn ich sie abends auf der Couch kreisen ließ. Alle kamen mit Problemen zu mir, die ich lösen konnte: mit Kaffee, Essen – oder einer Toilette.

Das war früher anders, als ich mich fünfzig Stunden die Woche über Deadlines, Budgets sowie eine passiv-aggressive Bemerkung von Anna aus der Marketingabteilung im letzten Teammeeting den Kopf zerbrochen hatte. Die ständige Bestrahlung durch das blaue Licht meines Laptops hatte mir vorzeitige Stirnfalten beschert. Ein gutes Gehalt, aber zu welchem Preis?

Hier durfte ich übrig gebliebene Cannelloni mit nach Hause nehmen. Die Leute begrüßten mich mit einem Lächeln. Das Personal verstand sich gut, wenn man mal davon absah, wie oft wir einander sagten, der andere solle sich verpissen. Das Schlimmste, womit ich mich gelegentlich auseinandersetzen musste, waren Gäste, die sich unbedingt beschweren wollten. »Der Kaffee ist zu heiß«, sagten sie, oder »In dem Sandwich ist zu viel Brot«. Doch dann gingen sie, und ich musste mich nicht mehr mit ihnen befassen. Sie waren ein Problem und im nächsten Moment schon nicht mehr. So einfach war das.

Ich schloss die Türen des Little George auf, schaltete die Alarmanlage aus und das Licht und die Espressomaschine ein. Bald würde die Gebäcklieferung eintreffen, die Kunden würden kommen, und der Tag würde wie jeder andere aussehen.

Ich ignorierte einen weiteren Anruf meiner Mutter. Ich war nicht in der Stimmung, etwas über die Anzahl der Fische im Meer zu hören (die rapide abnahm) oder darüber, dass Trent die Liebe ihres Lebens sei (eher ein weiterer rotgesichtiger Liberalen-Wähler von der Dating-App OkCupid.com). »Kann nicht sprechen«, schrieb ich. »Ruf dich später an.« (Was ich nicht tun würde.)

Ich würde heute in guter Gesellschaft sein. Niemand genoss schlechte Laune so sehr wie Kit, und wenn meine Hände beschäftigt waren und ich mich auf das Bedienen konzentrierte, würde es mir gut gehen.

Es wird mir gut gehen.

Es wird mir gut gehen.

Ich atmete entschlossen aus, stieß mit der Hüfte die Tür auf und schleppte den ersten der überdimensionalen gestreiften Sonnenschirme auf den Bürgersteig, für die Gäste, die gerne im Freien speisten.

»Da ist sie ja«, trällerte Sam, als er die Straße heraufkam. »Das Licht meines Lebens. Die schönste Frau der Welt.«

Ohne von dem Sonnenschirm aufzublicken, erwiderte ich wie immer: »Fick dich, Sam.«

»Dir auch einen guten Morgen, meine zukünftige Frau. Du siehst strahlend aus.«

»Du siehst aus wie ein Labradoodle, der in den Trockner geraten ist.«

Er blieb unbeeindruckt. »Wir werden wunderschöne Kinder zusammen haben.«

Oh, oh – Kinder. Zukunftspläne. Meine hatten sich in Luft aufgelöst. Ich blinzelte heftig, und als ich wieder richtig sehen konnte, war er schon halb im Restaurant verschwunden.

»Hey, Sam?«, rief ich.

Hoffnungsvoll drehte er sich um. »Hm?«

»Fick dich noch mal.«

Ich brauchte keine hohlen Flirtversuche von dem geilen Bock. Ich brauchte keine Julien Baker. Ich musste mehr Menschen davon erzählen, ich brauchte ein aufgeschlossenes Publikum, einen Haufen Frauen, die mich liebevoll unterstützten und mir versicherten, dass ich so besser dran sei. Ich griff in meine Tasche und holte das Handy heraus.

Der Freundinnen-der-Freunde-Chat war genau das: ein Gruppen-Chat mit den fünf Freundinnen aus Eddies Freundeskreis. Wir standen uns nicht besonders nahe und hatten uns nicht viel zu sagen, außer dass wir über Serien plauderten, denen wir gerade verfallen waren, Rabattcodes, die wir ergattert hatten, und ausgeklügelte virale Salatrezepte, die wir ausprobieren wollten – aber Freundinnen waren Freundinnen.

Du wurdest aus dem Freundinnen-Chat entfernt, erklärte mir mein Handy.

»Was zum Teufel?«

Eine Passantin zuckte zusammen und drückte sich ihren Jutebeutel an die Brust.

»Ist das zu fassen?«, fragte ich sie. Im Grunde schrie ich. Sie wirkte zu erschrocken, um zu antworten. »Was für ein Haufen verräterischer kleiner …«

Ich machte auf dem Absatz kehrt und stapfte zurück ins Restaurant, den Kopf übers Handy gebeugt, während ich hektisch auf dem Display herumtippte, als könnte ich die Blockierung aufheben, die Freundinnen am Kragen packen und eine Erklärung von ihnen verlangen.

Ich knallte das Handy auf den Tresen und starrte auf den Verlauf des unzugänglichen Gruppenchats. Meterweise inhaltsleere Nachrichten. Trotzdem war es ein gewisser Trost, Leute zu haben, mit denen ich mich über die Banalitäten des Alltags austauschen konnte.

Aber eine beste Freundin hatte ich eigentlich nie gehabt. Ian, Guillaume, Thomas, Martin, Eddie: Sie waren alle automatisch meine engsten Vertrauten geworden, aber das war nicht dasselbe. Manchmal, wenn ich mich ausweinen musste, schaltete ich Broad City ein. Dann jammerte ich über meine emotionale Einsamkeit, die ich nie stärker empfand, als wenn mir klar wurde, dass ich eine Abbi ohne Ilana war.

War es traurig, dass meine engsten Vertrauten entweder biologisch darauf programmiert waren, sich um mich zu kümmern, oder Leute, deren Geschäftserfolg von meiner Fähigkeit abhing, mit einer uralten Espressomaschine zu verhandeln?

Was hatte ich mit einem Partygirl im Ruhestand gemeinsam, deren Aufgabe es nun war, ihr Baby Bäuerchen machen zu lassen? Oder mit einem Mann mittleren Alters, dessen größte Leidenschaft es war, alle Arancini mit Pilzfüllung zu verschlingen, bevor wir einen von ihnen verkaufen konnten? Wie konnte ich über Nacht alle verlieren?

»Wow.« Kit blieb wie erstarrt mit der Gebäckkiste auf der Schulter im Türrahmen stehen. »Seltsame Stimmung hier drin.«

Ich drückte den Siebträger in die Maschine, um das Schniefen zu übertönen. »Wenn du wüsstest.«

Kit antwortete nicht gleich, sondern stellte erst die Kiste ab. Er schien hin- und hergerissen zwischen seiner Neugier und seinem Widerwillen dagegen, sich um mich zu kümmern. Am Ende siegte die Neugier.

»Klär mich auf.« Er nahm ein Pain au Chocolat und bot es mir an. Als ich abwinkte, biss er selbst hinein.

»Oh, mein ganzes Leben bricht zusammen«, antwortete ich fröhlich. »Ich schlafe bei meiner Schwester und meiner Nichte, die an Monatskoliken leidet, weil – das ist so lustig! – Eddie mich verlassen hat.«

Er verschluckte sich an seinem nächsten Bissen, und ein Stückchen Schokolade flog über den Tresen.

»Das ist das Schlimmste, was ich je gehört habe«, sagte er, und ich badete genüsslich in seinem Mitleid. »Niemand sollte mit einem Baby zusammenwohnen müssen.«

Ich hielt inne. »Du bist ein Idiot.«

Kit war um die vierzig, bärtig und ein ziemlicher Arsch. Er war immer nur nett zu Andrew gewesen, seinem Partner, mit dem er ungefähr zwölf Jahre zusammen gewesen war. Seit sie sich letzten Monat getrennt hatten, war er zwölfmal so schlimm wie sonst.

Sein Aussehen täuschte darüber hinweg, was für ein Scheißkerl er war. Fast schon beunruhigend schlank, mit derart langen, zarten Gliedern, dass er einen ganzen Kopf größer wirkte als ich. Er hatte weiche, dunkle Augen, die sich hinter stets verschmierten Brillengläsern verbargen, und an der Dichte seiner Bartstoppeln konnte man erkennen, wie schlecht er drauf war. Nur ein einziges Mal hatte ich ihn glatt rasiert gesehen, doch am Nachmittag – nachdem er in einen Donut gebissen und sich mit Marmelade bekleckert, mit der Espressomaschine gestritten und von seiner Mutter zusammengestaucht worden war, weil er nicht schnell genug ans Telefon gegangen war – hatte er wieder einen Vollbart gehabt. Ich schwöre es! Meistens sah er aus wie ein verängstigtes Reh, schüchtern und sanftmütig, bis er den Mund aufmachte und sein finsteres Wesen offenbarte. Erst letzte Woche fragte eine Vorschülerin, die oft mit ihrem Vater auf einen Babyccino vorbeikam, ob er ihre Zeichnung des Cafés aufhängen würde. Er nahm sie ihr ab, betrachtete die Zeichnung, sah sie an, dann wieder auf die Zeichnung und sagte: »Auf keinen Fall.«

Obwohl er der Chef war, überließ er mir alle lästigen Gäste, damit er sie nicht dauerhaft vergraulte, wenn sie sagten, dass ihnen der Laden vor der Renovierung besser gefallen habe. Er ließ keine Gelegenheit aus, die Musik zu kritisieren, die ich abspielte (»gefühlsduseliger, weinerlicher Folk-Müll« – Würdest du das Leonard Cohen auch ins Gesicht sagen? – »Warum können wir nicht Joy Division spielen?«), aber er wusste nicht, wie man die Bluetooth-Lautsprecher bediente. Seine Beleidigungen waren unerbittlich und demütigend. Bei der letzten Weihnachtsfeier der Belegschaft – bei ein paar Flaschen Wein und einer Aufschnittplatte im Restaurant nach Geschäftsschluss – lehnte er sich dicht zu mir herüber und flüsterte mir zu, dass ich seine Lieblingsangestellte sei. Als ich ihn später daran erinnerte, bestand er darauf, niemals so etwas Dummes gesagt zu haben, ich solle die Klappe halten und mir etwas zu tun suchen. Ich liebte ihn über alles.

»Besorg dir einen Hund und vergiss es«, sagte er gleichgültig. »Wobei, das könnte grausam für den Hund sein. Hol dir lieber einen Fisch.«

»Hey, Kit«, gab ich fröhlich zurück, »wie wäre es, wenn du dich verpisst?«

»Oh, Marnie, du armes Ding«, wechselte er die Taktik. Besorgt legte er die Stirn in Falten und ergriff meine Hände. Einen Moment lang dachte ich, er würde vielleicht weich werden. Vielleicht hatte er angesichts seines eigenen Liebeskummers eine Fähigkeit zur Empathie entwickelt und wollte mir eine knochige Schulter zum Ausweinen anbieten. »Ich glaube, ich weiß, was dich aufmuntert.«

»Was?«

Eine Gehaltserhöhung würde helfen. Oder das Angebot, in der leer stehenden Einliegerwohnung seines prächtigen Reihenhauses in Fitzroy North unbefristet mietfrei zu wohnen.

Er lächelte und drückte meine Hände. »Mir einen Kaffee zu machen und ihn mir zu bringen.«

Ich verdrehte die Augen, schob ihn weg und nahm seinen Lieblingsbecher.

Manches, beispielsweise dein ganzes Leben, änderte sich von heute auf morgen. Aber manche Dinge, wie Kits Bemühungen, die nervigste Person zu sein, der ich je begegnet war, änderten sich nie.

3

»Kannst du ›männerfeindlich‹ sagen, Häschen? Män-ner-feind-lich, komm schon.«

Layla hörte nicht zu. Sie wippte auf meiner Hüfte und trat mir gegen den Takt der Musik, die ich aufgelegt hatte, während Nicola das Abendessen zubereitete, in die Eierstöcke und hatte überhaupt kein Interesse, ihr erstes Wort zu lernen.

»Wir wollen aus meinem Baby doch jetzt noch keine Radikalfeministin machen«, sagte Nicola vom Spülbecken aus. »Du bist nicht männerfeindlich.«

»Ich glaube, ich könnte es werden«, erwiderte ich. »Ich mag keine Männer.«

»Du magst Mitch.«

Ich blickte den Flur hinunter zu seinem Arbeitszimmer – meinem Schlafzimmer, vielen Dank –, dessen Tür gegen den Lärm und das Chaos seiner Familie fest verschlossen war. In den drei Wochen, seit ich hier wohnte, hatte er die folgende Routine: Er kam von der Arbeit nach Hause, machte mit dem Mund Pupsgeräusche auf Laylas Bauch, bis sie vor lauter Lachen spuckte, schloss sich eine Stunde lang mit dem iPad im Badezimmer ein und zog sich dann in sein Arbeitszimmer zurück, um »noch ein paar Dinge zu erledigen«. Wäre da nicht das David-Beckham-Parfüm im Bad und der aufgemotzte Camaro in der Einfahrt, wüsste man gar nicht, dass hier ein Mann wohnte.

Ich zuckte mit den Schultern. »Mh.«

»Du magst Kit.«

»Kit ist kein Mann. Kit ist eine … launische, streunende Katze. Er hasst jeden, bis er gefüttert wird, und er hat keine Genitalien.«

»Warum hat er keine Genitalien? Warum sollte eine Katze keine haben?«

»Ich weiß nicht, hast du sie jemals gesehen?«

»Die von Kit? Oder die einer Katze?«

»Beide.«

»Nein.«

»Siehst du?«

»Du magst Dad. Und sag nichts über seine Genitalien.«

Ich verbarg meine Grimasse hinter der vorübergehenden Anstrengung, eine kleine Person von einer Hüfte auf die andere zu heben.

»Der Nächste.«

Nicola hielt inne, die Spitze des Messers steckte in einer alten Tomatensorte. »David Bowie.«

»Okay, du hast recht. Ich mag David Bowie.«

Mitch reckte den Kopf aus seinem Arbeitszimmer und rief: »Kannst du den Scheiß leiser machen?«

Ich ging in den Flur und sah ihn vorwurfsvoll an. »Achte auf deine Ausdrucksweise. Es sind Kinder anwesend.« (Als ob ich nicht jedes Mal, wenn ich mein Gesicht gegen ihres drückte, schreien würde: »Fuck, sie ist so verdammt süß!«)

»Ich versuche zu arbeiten.«

Er klang ungeduldig und sprach in knappem Ton mit mir. Wir waren nie richtig miteinander warm geworden. Ich durchschaute, dass er seine Inkompetenz als Waffe einsetzte, und er durchschaute, dass ich ihn nur widerwillig tolerierte.

Er war der Inbegriff eines unreifen Mannes, dessen Unbrauchbarkeit sich mit dem Tag von Laylas Geburt erst richtig offenbart hatte. Es war, als hätte er sich einer Lobotomie unterzogen, während Nicola neunzehn Stunden in den Wehen gelegen hatte. Besonders beeinträchtigt war seither seine Fähigkeit, einen Staubsauger zu bedienen oder aus eigenem Antrieb eine Packung Nudeln in einen Topf zu befördern. Er erwartete Lob dafür, dass er den Müll rausbrachte, bevor die Mülleimer überquollen. Jedes Mal, wenn Nicola einen babyfreien Tag hatte, musste sie früher zurückkommen, weil Layla weinte und er nicht wusste, wie er sie beruhigen sollte.

Nicola hätte bei dem Spross einer reichen englischen Adelsfamilie landen sollen, der die Familie enttäuscht hatte, weil er ein gefeierter Musikjournalist geworden war – mit markanten Wangenknochen und einem dichten Schopf, durch den man mit den Fingern streichen konnte. Sie war immer abenteuerlustig. Sie ging voran, steckte dann den Weg ab und räumte ihn frei, sodass andere ihr sicher folgen konnten. Mit siebzehn reiste sie dem Big-Day-Out-Festival durchs ganze Land hinterher und versuchte, in der Menge Dave Grohls Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, damit er sich in sie verliebte. Zwischen Schule und Uni verbrachte sie ein Gap Year als Skilehrerin im Schweizer Crans-Montana. Familienüberlieferungen zufolge war ihr erstes Wort Möse, das sie wer-weiß-wo gelernt hatte. Sie war dazu bestimmt, ein Leben voller Nervenkitzel und Abenteuer zu führen.

Doch auch wenn sie ein eher gesetztes, bescheidenes Leben führte, so war es genau das, was sie sich immer gewünscht hatte. Ihre hedonistischen Zwanziger (und die erste Hälfte ihrer Dreißiger) waren ein glitzernder, alkoholisierter Abstecher von ihrem eigentlichen Ziel. Sie hatte sich immer vier Kinder, einen Labrador und ein Haus in Strandnähe gewünscht.

Und jetzt hatte sie ein Baby, einen Ehemann, der sich wie ein Baby verhielt, eine Fehde mit der Nachbarskatze und ein Haus am äußersten Stadtrand. Die Gewöhnung an die Mutterschaft verlief bei ihr in Schüben. Sie schnallte Layla in ihr Tragetuch, hüpfte auf und ab und sang: »Mir war noch nie so langweilig! Ich spüre, wie meine Gehirnzellen verkümmern!«

Und Mitch … gab sich vermutlich Mühe. Wenn sie ihn darum bat, schaltete er den Wasserkocher ein oder lud die Wäsche von der Waschmaschine in den Trockner. Er mochte sie zwar ansehen, als hätte sie Sonne und Sterne erfunden, aber er machte ihr das Leben nicht gerade leichter und genoss es etwas zu sehr, den ungeschickten Ehemann zu spielen. Beim Windelwechseln hatte er zwei linke Hände, zog die eine Lasche zu fest und die andere nicht fest genug, sodass sie ständig hinunterzurutschen drohte. Er nahm Layla auf den Arm und versuchte, sie zu beruhigen, wenn ihr Zahnfleisch schmerzte, aber sie schrie und streckte die pummeligen kleinen Händchen stattdessen nach Nicola aus. Ich konnte es ihr nicht verdenken.

Sie waren jetzt schon seit zwei Jahren zusammen, und ich wusste noch immer kaum etwas über ihn. Sein Beruf war so langweilig, dass ich mir nicht merken konnte, was er machte. Er interessierte sich für Sport und beklagte sich darüber, dass niemand mehr einen Witz vertragen konnte. Er wurde nicht müde, die Tatsache zu kommentieren, dass ich kein Fleisch aß, als wäre das eine Geisteskrankheit. Das Netteste, was ich über ihn sagen konnte, war, dass er Nicola vergötterte, auch wenn er das nicht besonders gut zeigen konnte.

Aber hey, er war schließlich nicht mein Mann. Wenn er Nicola zum Lachen brachte und den Toilettensitz herunterklappte, war es nicht meine Aufgabe, ihn auf seine Fehler hinzuweisen. (Das war nur eine Kür, die mir aber sehr viel Spaß machte.)

»Das Essen ist fast fertig«, rief Nicola. »Kannst du Schluss machen?«

»Was ist das?«, fragte er und deutete auf den Lautsprecher auf der Kücheninsel.

»Ähm«, sagte ich von oben herab in ungläubigem Ton, »das ist Alex Turner.«

»Wer ist Alex Turner?«

»Von den Arctic Monkeys.« Ich tat empörter, als ich es eigentlich war. »Die sind wichtig. Er ist ein Genie.«

»Du kannst Alex sagen, seine Musik ist scheiße.«

Mitch holte Teller aus dem Schrank, um den Tisch zu decken, aber Nicola schnalzte mit der Zunge. »Nicht die. Wir brauchen die tiefen Pastateller.«

»Aber das ist keine Pasta«, gab er verwirrt zurück. »Kann nicht jeder tiefe Teller ein tiefer Pastateller sein?«

»Das ist eine breite, flache Schale.«

»Das ist ein Teller.«

Nicola drehte sich zu mir um. »Marnie, kannst du das machen?«

»Ich kann das schon!«, protestierte Mitch.

»Marnie macht das richtig.«

Mit einem frustrierten Seufzer ließ er sich am Kopfende des Tisches nieder und half einfach gar nicht mehr. Ich könnte eine Doktorarbeit über den patriarchalischen Subtext dieses Vorgangs schreiben.

»Danke, Marn«, murmelte er, als ich ihm ein Tischset vor die Nase knallte. »Wie läuft die Wohnungssuche?«

»Schatz«, sagte Nicola in warnendem Ton.

»Was?«

»Marnie kann so lange bleiben, wie sie will.«

»Ich hab nichts anderes gesagt, ich hab nur gefragt.«

»Am Wochenende hab ich vier Besichtigungstermine«, informierte ich ihn. »Glaub mir, ich ziehe nicht für immer hier ein.«

»Bleib gerne für immer.« Nicola hielt eine heiße Auflaufform in Händen und stellte sie auf die Silikonmatte, die ich in die Mitte des Tisches gelegt hatte. »Warum haben wir dieses Riesenhaus am Arsch der Welt, wenn nicht, um jemanden aufzunehmen, der in Not ist?«

»Lilydale ist nicht am Arsch der Welt«, widersprach Mitch, während er Essen auf Laylas Gabel lud, pustete, um es abzukühlen, und Flugzeuggeräusche machte, während er sie in ihren offenen Mund führte. »Iiium! Ist Mommy nicht albern?«

»Es ist die Endstation der Bahnlinie«, argumentierte Nicola.

»Zehn Minuten weiter und man ist auf dem Land.«

»Sei nicht so eine Drama-Queen«, sagte er. »Wir sind hier in der Vorstadt, nicht im Outback.«

Layla schnappte nach Luft und öffnete und schloss den Mund wie ein Fisch, während sie auf einen weiteren Bissen wartete. Mitch hatte die Gabel sinken lassen, um sich auf den Streit zu konzentrieren. Ich nahm sie ihm ab, flog ihr eine Karotte in den Mund und stimmte in ihr erfreutes Brummen ein.

»Wenn ich nicht in weniger als sechs Minuten ein Uber bekomme, bin ich mitten im Outback.«

»Du brauchst doch gar kein Uber! Wir haben zwei Autos!«

»Nächstes Jahr ziehen wir nach Parkdale.«

»Sagt wer?«

»Sagt die, die die Zivilisation vermisst.«

Aber es gab einen Hoffnungsschimmer: Dies war nicht mein Leben. Klar, ich hatte mich im Haus des schiefen Haussegens einquartiert, aber mein Name stand nicht auf der Hypothek. Zwar hatte ich gestern kurz die Fassung verloren und im Zug unwillentlich eine Träne vergossen, weil Eddie mir getextet hatte: Wann kannst du deine restlichen Sachen abholen? – Dienstag?, aber ich konnte froh sein, dass ich kaum dem Risiko ausgesetzt war, in Unzufriedenheit über ein eintöniges Leben zu verfallen.

»Du und ich, Hase«, flüsterte ich Layla zu, während sich Mitch und Nicola darüber stritten, was ein kurzer Arbeitsweg war. »Wir werden uns nie mit weniger als dem Besten zufriedengeben. Versprich mir das.«

Sie summte mit einem Happs Karottenpüree im Mund vor sich hin: ein klares Versprechen.

»Tut mir leid«, seufzte Nicola Stunden später. Sie schlug die Decke des Gästebetts zurück und ließ sich neben mich fallen. »Das Abendessen hat nicht geschmeckt, und Mitch hat schlechte Laune.«

»Das Abendessen hat geschmeckt.«

»Es war zerkocht und fade.«

»Aber mit genügend Parmesan immer noch zu retten. Problem gelöst.«

Sie murrte und zog die seidenweiche Decke bis zum Kinn hoch. Selbst ihre Gästebettwäsche war edel. Eine echte Erwachsene – die ihr Leben im Griff hatte und sogar über ein Gästezimmer verfügte – mutete ihren Gästen kein plastikartiges Satin aus dem Supermarkt zu.

»Du kannst so lange bleiben, wie du willst«, sagte sie. »Lass dir von ihm nicht das Gefühl geben, dass du nicht willkommen bist.«

»Ich nehme Mitch doch nicht ernst«, antwortete ich.

Sie lachte grunzend. »Ich geh gleich in mein eigenes Zimmer. Ich will hier nur zehn Minuten meine Ruhe genießen.«

Ich beschäftigte mich wieder mit meinem Handy. In der Ecke versprühte ein Duft-Diffusor Wasserdampf mit beruhigendem Öl, was uns beide schläfrig machte. Weiter hinten im Haus piepte der Geschirrspüler, weil das Programm durchgelaufen war.

Ich fragte mich, wie Einzelkinder wohl zurechtkamen. Wer hielt die Fäden ihres Sicherheitsnetzes? Hatten sie keine Geheimsprache mit jemandem, der sie schon gekannt hatte, als sie noch Windeln tragen mussten? Wechselten sie keine wissenden Blicke mit jemandem, wenn ihre Mutter wieder mal von einem Mann mittleren Alters enttäuscht worden war? Bei wem konnte man sein wahres Ich zeigen, wenn nicht bei seinen Geschwistern? Ich musste nicht mal mein Doppelkinn verbergen, als ich mich tiefer in die Decke kuschelte.

Der Algorithmus zeigte mir die übliche Mischung von irgendwie hyperspezifischen und komplett unspezifischen Content-Häppchen, die auf jede beliebige Frau mit WLAN und einem flüchtigen Interesse an Popkultur abzielten. Rezepte, die ich nie ausprobieren würde. Make-up-Tutorials für Schlupflider. Monatsrückblicke der Mädels aus der Freundinnengruppe: Eigelb, das auf Sauerteig tropfte, Zara-Schnäppchen, Fotos, auf denen sie ihre Partner umarmten, wobei sie zurechtgemacht war, als wäre es ihr Probeessen vor der Hochzeit, und er, als käme er gerade aus dem Fitnessstudio. Werbung für übergroße T-Shirts mit Slogans wie MÜDEFEMINISTIN und WEINTANTE. Kurze Videos von Hunden, die mit Voiceover synchronisiert waren. Och, Sweetie mit dem Kinn auf einer Frauenschulter.

Moment.

Sweetie mit dem Kinn auf einer Frauenschulter?

»Fick dich!«

Ohne dass mein Gehirn es ihr erlaubt hätte, schleuderte meine Hand das Handy quer durchs Zimmer.

»Was ist los?« Nicola schaute von ihrem Display auf. »Ist das ein Video, in dem sie einen Braten aufschneiden, der eigentlich ein Kuchen ist? Die liebe ich.«

»Fick dich«, wiederholte ich und fischte mein Handy unter der Kommode hervor. Ich hockte auf dem Boden von Nicolas makellosem Gästezimmer und beugte mich tief über mein Handy, während ich das Profil antippte, nach dem ich gesucht hatte. Als Eddie aufpoppte und meine Vermutung sich bestätigte, stieß ich einen ungläubigen Schrei aus.

Eine Frau, die ich noch nie gesehen hatte, füllte das Display. Im Schatten einer Ulme in einem mir unbekannten Hundepark schürzte sie die Lippen und küsste meinen Hund – meinen Hund – auf die Schnauze. »Diese Mädels « lautete die Unterschrift.

Ich zog das Handy näher heran. Erkannte ich sie unter den dichten Ponyfransen und den Primärfarben der Maske um ihr Kinn? War das die Arbeitskollegin, von der Eddie ständig gesprochen, die er mir aber nie vorgestellt hatte? War sie jemand Neues? Hatte er schon eine Neue?

Wie konnte das sein?

Ich bekam nicht genug Luft und hörte eher, wie ich Sauerstoff in die Nase zog, als dass ich es fühlte.

Nicola sprang aus dem Bett und zerrte an meinem Arm, um zu sehen, was ich entdeckt haben mochte, das in einem Raum voller Lavendelduft eine derartige Reaktion hervorrufen konnte. Sie stieß ein kurzes, scharfes »Oh« aus.

»Mir reicht’s.« Ich war wie erstarrt, saß so kerzengrade, dass ich sie nur aus dem Augenwinkel sehen konnte, und presste die Lippen zusammen.

»Oh, Marnie«, sagte sie mit ekelerregender Anteilnahme. »Es tut mir so leid. Eddie ist so ein …«

»Eddie ist mir egal.«

»Natürlich, aber es muss trotzdem weh…«

»Ich hab Sweetie fünfundzwanzig Minuten lang zum Tierarzt getragen, als sie sich die Pfote verstaucht hatte«, sagte ich. »An ihrem Geburtstag hab ich ihr ein Steak gebraten.«

»Süße, sie ist ein Hund, das weiß sie nicht. Sie ist zu allen lieb, deshalb heißt sie doch Sweetie.«

Wider besseres Wissen spielte mein Verstand einen Zusammenschnitt glücklicher Erinnerungen ab. Wie ich für sie einen Tennisball geworfen hatte, ohne mich darum zu scheren, dass er vollgesabbert war. Wie ich ihr mit Eyeliner Augenbrauen gemalt hatte und noch Tage danach jedes Mal lachen musste, wenn sie mich ansah. Wie ich sie angefeuert hatte, wenn sie um das Oval in der Nähe der alten Wohnung sauste. Wie sie fröhlich mit dem Schwanz auf den Boden geklopft hatte, wenn ich meinen Wecker ausschaltete. Mein Kiefer bebte kurz, und ich biss die Zähne zusammen, damit es aufhörte.

Ich atmete tief durch und machte mich auf den brennenden Schmerz gefasst.

Meine Hand begann zu schmerzen, so fest umklammerte ich das Handy, und als ich genauer hinsah, stellte ich überrascht fest, dass sie zitterte. Mein Herz schlug heftig in meiner Brust, und ich biss mir von innen in die Wange. Aha! Endlich eine Emotion, die ich identifizieren konnte:

Wut.

Scheiß drauf.

Scheiß auf das alles.

»Ich bin damit durch.«

»Irgendwann bekommst du einen neuen Hund.«

»Nicht mit Hunden. Mit Beziehungen. Mit Männern. Endgültig.«

»Eddie ist ein Arsch«, gab Nicola zurück. »Aber er ist nur ein blöder Typ. Es gibt noch eine Menge andere.«

»Kein Interesse.« Ich saß stocksteif da und warf das Handy wieder auf den Boden. »Nein danke. Jetzt nicht, nie mehr.«

»Manchmal übertreibst du ein bisschen.« Nicola drückte mir aufmunternd den Arm. »Sei nicht so verbohrt. Hab einfach eine Zeit lang Spaß. Als ich Single war, hatte ich die beste Zeit meines Lebens.«

Sie verstand es nicht. Ich wollte kein Single sein. Ich wollte überhaupt keinen Beziehungsstatus mehr haben. Ich wollte mich nicht wieder demütigen. Auf gar keinen Fall. Warum spielen, um zu verlieren? Warum das Risiko eingehen?

Das Spiel war manipuliert, und ich hatte es satt, Ringe voll Hoffnung und Würde auf glatte Flaschenhälse zu werfen. Ich hatte die Nase voll von Partnern, die ihre eigenen Pläne hatten. Schluss damit. Ich gab auf. Danke, Universum, dass du mir gezeigt hast, was ich nicht will.

»Wir denken alle, wir würden uns nie wieder verlieben, nachdem uns das Herz gebrochen wurde.«

»Wir sollten Eddie nicht ganz so viel Bedeutung zumessen«, höhnte ich. »Darum geht es hier nicht. Ich muss es nicht weiter ausprobieren, ich weiß es einfach. Es gibt einfach Dinge, die sind nicht für jeden was.«

Vielleicht lag es an dem leichten Lavendelgeruch in der Luft oder an der Tatsache, dass sie meinen Zusammenbruch und die nachfolgende Erkenntnis miterlebt hatte, dass sie sich vor ihrem Partner versteckte, oder einfach daran, dass ich recht hatte, aber sie nickte. »Wie Analsex.«

»Genau wie Analsex.«

4

Hier ist die unangenehme Wahrheit: Ich war sehr gerne die Freundin von jemandem.

Nicht auf eine altmodische Art, ich sah mich nicht etwa in einer Nebenrolle auf der Reise des Helden. Ich fand es einfach schön, zu jemandem zu gehören.

Jemanden zum Reden zu haben. Regelmäßig Sex zu haben, ohne sich um stoppelige Beine zu scheren. Behaupten zu können, ich wolle keinen Nachtisch und trotzdem zwei Bissen Käsekuchen abzubekommen. Nicht von entfernten Verwandten mit Fragen nach meiner Zukunft bedrängt zu werden.

Ich hatte nur selten einen Grund, mir Adele-Songs anzuhören. Ich fand, die Frauen in Sex and the City hatten ein schlechtes Urteilsvermögen und Alkoholprobleme. Man müsste bei mir schon eine Lobotomie durchführen, um mich beim Schauen von The Bachelor zu erwischen.

Gestern Abend hatte ich nachgerechnet. Ich war in den letzten zehn Jahren insgesamt hundertzwölf Tage lang Singlen. Jeder Neuanfang war eine Wiedergeburt. Jedes erste Date ein Vorsprechen für die Rolle der Vollzeitfreundin.

Während sich alle anderen in meinem Alter auf Partys betranken und Fehler begingen, über die sie später Romane schreiben würden, betrieb ich mit Ian oder Thomas Nestbau und tat so, als könnte ich den Unterschied zwischen Vinyl und gestreamten Lou-Reed-Alben heraushören.

Ich musste mich nicht in Nachtklubs mit klebrigen Böden herumtreiben und mir mitten im Winter im Minirock den Hintern abfrieren, in der Hoffnung, dass mich jemand Nettes auf der Rückbank eines Taxis befummelte. Ich hatte acht heiße Monate lang Guillaumes Zunge in meinem Mund und seine Hand unter meinem Top.

Ich ersparte mir die Demütigung, von jemandem geghostet zu werden, der mehrere mittelmäßige Anzüge besaß, um stattdessen Martins peinliche Versuche als Stand-up-Comedian zu beklatschen und zu bejubeln.

Ich beobachtete, wie andere Frauen schlechte Dates hatten, sich wegen der Zeichensetzung in Textnachrichten stressten und zufällige Begegnungen mit jemandem organisierten, der sie nicht zurückrief. Ich verbrachte meine Samstagabende neben meinem Freund auf der Couch und hielt mich für die Gewinnerin. Eine Zahnbürste im Becher auf seinem Waschbecken war so gut wie ein Verlobungsring.

Ich zwang mich, nicht darüber nachzudenken, dass ich mit Frauen in die Freundinnenecke verbannt wurde, mit denen ich nichts gemein hatte, während unsere Freunde uns nicht weiter beachteten. Ich ignorierte das Gefühl ungepflegter Füße, die sich unter der Decke an meinen rieben. Und die Tatsache, dass Nicola keinen von meinen Freunden mochte und ich eigentlich auch nicht.

Singlefrauen machen sich gerne über Frauen lustig, die sich in Beziehungen verschanzen, als ob ihnen der Mut fehlte, das Leben ohne einen Typen namens Dale oder Johnno zu ertragen. Sie hatten recht, und ich hatte das wie ein Ehrenabzeichen getragen.

Ich war eine selbstgefällige Idiotin, die jetzt durch die Umstände erniedrigt wurde.

Man will immer das, was man nicht haben kann. Ist es nicht so?

Ich brauchte keine Therapeutin, um eine Verbindung zwischen meinen Beziehungen und meiner Kindheit herzustellen.

Ich wurde mit ständigen Sticheleien groß, die in heftigen Streitereien endeten. Es war leichter, als die Verbitterung einsetzte und das ganze Haus gefror. Mit elf wurde ich zur Botin auserkoren. »Dad hat gesagt, ich soll dir sagen …«, wiederholte ich tausend Mal. »Tja, du kannst deinem Vater ausrichten, dass ich …«, lautete Moms Antwort jedes Mal.

Andere Familien kriegten das hin, aber unsere schien irgendwie aus den falschen Teilen zu bestehen. Nicola und ich waren die einzigen Teile, die zusammenpassten, und ich wusste nie, ob freiwillig oder aus der Not heraus. Als meine Eltern sich schließlich trennten, ich war damals achtzehn, empfand ich nichts als Erleichterung.

Dad heiratete innerhalb eines Jahres Susie, und fast ein Jahrzehnt später waren sie immer noch auf abstoßende Weise ineinander verliebt. Sie lebten mit ihren drei Nacktkatzen auf der Halbinsel, sodass ich sie fast nie sah.

Meine Mutter stürzte sich mit übermäßigem Elan und voller Begeisterung ins Daten, sodass ich sie auch kaum sah, denn stets war sie zu sehr mit der aktuellen Liebe ihres Lebens beschäftigt. Es war immer irgendein unglaublich fader Typ namens Paul oder Greg oder Brian, der sechs Monate lang die Antwort auf all ihre Probleme war, bis er die unverzeihliche Sünde beging, an einem gemeinsamen Abend die Fußballergebnisse zu checken oder ihren neuen Haarschnitt nicht zu bemerken. Dann gab sie ihm den Laufpass, erneuerte ihre Premium-Mitgliedschaft in der Dating-App und fing von vorne an.

Vielleicht war dieser Zwang, mich an einen Mann zu binden, nur der Versuch, das zu korrigieren, was falsch gelaufen war. Wenn ich einfach die Zähne zusammenbiss und mich mit den schlechten Seiten arrangierte – eine Persönlichkeit auf Eddie projizierte, Rücksicht auf Martins empfindliches Ego nahm, lernte, Thomas’ schreckliche Band zu lieben, und für Guillaume vorgab, Koks und Würgespiele zu mögen –, dann könnte ich beweisen, dass meine Eltern sich einfach nicht genug Mühe gegeben hatten. Wir würden miteinander verschmelzen, sonntagmorgens im Garten frühstücken, und alles würde für immer wunderbar sein.

Aber so lief es nicht. Anstatt am Sonntagmorgen meinem Windhund dabei zuzusehen, wie er eine Schneise im Gras um einen Zitronenbaum hinterließ, schleppte ich mich von einer WG zur nächsten. Nach der dritten wollte ich aufgeben und Nicolas Vollzeit-Au-pair werden. Ich holte mein Handy heraus und schickte ihr eine Nachricht:

Marnie Fowler (11:47):Noch so ein Drecksloch

Marnie Fowler (11:47): Mitch sollte sich lieber daran gewöhnen, dass ich in seinem Arbeitszimmer wohne.

Ich saß in der vor sich hin ruckelnden Straßenbahnlinie 6 und seufzte, bis mir unter der Gesichtsmaske mein heißer Atem entgegenschlug. Das Singleleben war teuer, und ich konnte es mir nicht leisten, allein zu leben. Bislang hatte ich nur bei meinen Eltern und mit Partnern zusammengewohnt, und meine Ausgaben schnellten gerade ziemlich in die Höhe. Alle Annehmlichkeiten, an die ich mich gewöhnt hatte – Waschmaschinenanschlüsse in der Wohnung, Platz im Freien, Badezimmerwände ohne Wasserschäden –, waren plötzlich unerreichbar geworden. Das war diskriminierend. Die Regierung bestrafte mich dafür, dass ich nicht genug Sex hatte oder niemanden, mit dem ich zwischen den Queer-Eye-Folgen reden konnte. Wo waren die Steuervorteile für Singles? Bei diesem Tempo würde ich mit niemandem Kinder bekommen, verdiente ich also nicht einen lebenslangen CO2-Ausgleich? Es war wie die Pink Tax, nur ohne negative Presse. Eine Art Einsamkeitssteuer.

Dabei ging es nicht nur um die Miete, die ich mir bei meinem Gehalt nicht leisten konnte, sondern auch um eine neue Couch, einen Kühlschrank, den Internetanschluss, das Putzzeug und Auflaufformen, die sich im Laufe der Zeit ansammelten. Ich konnte Eddie nicht bitten, das restliche Geschirrspülmittel mit mir zu teilen. Die meisten Möbel in unserer Wohnung gehörten ihm, und das wenige, das mir gehörte – ein paar Lampen, ein Schuhregal und eine riesige Bechersammlung –, wollte ich nicht haben.

In Princes Hill, einem Teil von North Canberra mit dörflicher Atmosphäre, der dennoch citynah war, wohnten Menschen, die schon immer dort gelebt hatten, neben zahlungskräftigen Yuppies und Studierenden. Es bestand zur einen Hälfte aus charmanten, denkmalgeschützten Häuschen mit Buchsbaumhecken, und zur anderen aus seelenlosen Apartmenthäusern aus Glas und Stahl mit so kleinen Wohnungen, dass man genauso gut in ein Kapselhotel ziehen könnte. Im oberen Teil dieses Vororts war vormittags nichts los: kaum Verkehr und an jedem zweiten Zaun ein Zu-vermieten