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Wenn du dich ändern willst, aber das Leben dir ständig im Weg steht
Wenn Penny sich mit ihren Freunden vergleicht, schneidet sie gar nicht gut ab. Annie wird Partnerin in einer Kanzlei, Bec hat sich verlobt, Leo macht sorglos Party. Penny aber wartet ... auf Max, ihren On-Off-Freund, der nie zurückruft, auf die versprochene Beförderung, darauf, dass ihr richtiges Leben beginnt. Doch sie hat die Nase voll, alles soll sich ändern. Sie will es mit Max schaffen, ihre tyrannische Chefin beeindrucken und ihre Panikattacken in den Griff bekommen. Aber dann ist sie doch wieder auf Instagram unterwegs, wacht morgens mit einem Kater auf und schwelgt in Selbstkritik. Aber wenn sich schlechte Gewohnheiten so gut anfühlen, wie kann man dann wissen, was richtig für einen ist?
Eine kluge und empathische Darstellung von toxischen Beziehungen und ihrer Alltäglichkeit
»NO HARD FEELINGS ist ein bereicherndes, warmes, witziges Debüt.« Books+Publishing
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 449
Veröffentlichungsjahr: 2025
Wenn Penny sich mit ihren Freunden vergleicht, schneidet sie gar nicht gut ab. Annie wird Partnerin in einer Kanzlei, Bec hat sich verlobt, Leo macht sorglos Party. Penny aber wartet … auf Max, ihren On-Off-Freund, der nie zurückruft, auf die versprochene Beförderung, darauf, dass ihr richtiges Leben beginnt. Doch sie hat die Nase voll, alles soll sich ändern. Sie will es mit Max schaffen, ihre tyrannische Chefin beeindrucken und ihre Panikattacken in den Griff bekommen. Aber dann ist sie doch wieder auf Instagram unterwegs, wacht morgens mit einem Kater auf und schwelgt in Selbstkritik. Aber wenn sich schlechte Gewohnheiten so gut anfühlen, wie kann man dann wissen, was richtig für einen ist?
Genevieve Novak ist Autorin und lebt in Melbourne. Sie schreibt romantische Komödien und Popkultur-Kolumnen für THE AGE und THE SYDNEY MORNING HERALD. Sie liebt Croissants und ihren Hund Viktor. Sie hasst es, Gen genannt zu werden. NO HARD FEELINGS ist ihr Debütroman.
Übersetzung aus dem australischen Englisch vonBabette Schröder
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Titel der englischen Originalausgabe:
»No Hard Feelings«
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2022 by Genevieve Novak
First published by HarperCollins Publishers Australia Pty Limited, Sydney, Australia, in English in 2022. This German edition published by arrangement with HarperCollins Publishers Australia Pty Limited.
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2025 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten. Die Verwendung des Werkes oder Teilen davon zum Training künstlicher Intelligenz-Technologien oder -Systeme ist untersagt.
Textredaktion: Ilona Jaeger, Berlin
Umschlaggestaltung: Manuela Städele-Monverde nach einem Design von Mietta Yans, HarperCollins Design Studio
Einband-/Umschlagmotiv: © www.stocksy.com
eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7596-0017-2
luebbe.de
lesejury.de
Für Sam und Erin. Ich werde euch immer lieben.
Ich habe gerade das 42.613. schlechte Date meines Lebens hinter mir, und ich weiß, dies ist eine schlechte Idee.
»Bist du da?«, frage ich ins Telefon, bevor er Hallo sagen kann. Ich bin froh, dass er überhaupt abgenommen hat. »Hast du Lust auf einen Besuch von der besten, lustigsten und coolsten Frau der Welt?«
»Warum?« Ich höre, dass er lächelt. »Kennst du sie?«
»Halt die Klappe«, sage ich, passiere die Drehkreuze des Bahnhofs in North Richmond und biege in seine Straße ein. »Ich bin gleich um die Ecke.«
»Ich komm runter«, sagt er und legt auf.
So. Gleich wird alles besser.
Ich ignoriere etwa ein Dutzend Nachrichten im Gruppenchat. Wenn ich sie öffne, muss ich meinen Freundinnen erzählen, dass der Typ zehn Zentimeter kleiner war, als er behauptet hatte, dass sich zwei Stunden mit ihm angefühlt haben wie zwölf, weil er unentwegt über Kryptowährungen redete, und dass er mir schon getextet hat, noch bevor ich an der Flinders Street Station war: Hi, Penny. Ich wollte dir nur sagen, dass ich das mit uns nicht weiterverfolgen möchte. Trotzdem alles Gute für dich. Dann wird mir eine von ihnen anbieten, vorbeizukommen, um mich zu bemitleiden, und ich muss erklären, wo ich bin, und dann habe ich ein Problem.
Ach, Süße, wird Annie enttäuscht sagen, als wüsste sie besser, wie’s geht, dabei ist sie genauso ein hoffnungsloser Fall wie ich. Wir müssen raus aus dieser selbstzerstörerischen Dauerschleife. Hast du mal Hinge ausprobiert?
Hast du denn gar keine Selbstachtung?, wird Bec im strengen Mathelehrerinnen-Ton fragen. Wann suchst du dir endlich einen netten, vernünftigen Typen wie Evan? Und ich werde so heftig mit den Augen rollen, dass sie mir fast aus dem Kopf fallen.
Um existieren zu können, brauche ich Bestätigung durch emotional unzugängliche Männer, Kekse und billigen Wein, werde ich ihnen dann erklären. Und mit Max komme ich leichter zum Höhepunkt als mit einem Keks.
Meine selbstzerstörerische Seite möchte von jedem neuen Match, jedem höflichen Kaffee-Date, jeder weinseligen Katastrophe enttäuscht werden. Dann spare ich mich lieber für Max auf. Dabei ist er an einer festen Beziehung mit mir gar nicht interessiert. Daran lässt er keine Zweifel. Es macht doch Spaß, Penny, sagt er immer, lass uns einfach gute Freunde bleiben. Aber was soll man davon halten, wenn man sich jede Woche zu Pizza, Sex und Netflix trifft? Er textet mir fast täglich. Jedenfalls haben wir vereinbart, dass wir es locker halten, also wird es schon okay sein. Nein, im Ernst.
Bei der Hochzeit meines Bruders im Oktober wollte er nicht als mein Begleiter mitkommen (Die Leute denken sonst, wir sind zusammen, meinte er, als ich ihn darum gebeten habe. Ich will nicht, dass du das den ganzen Abend klarstellen musst, Süße.), also musste ich Annie mitnehmen. Dann habe ich mich dummerweise mit Champagner betrunken und hing heulend auf der Toilette. Annie hat mich gefunden und mir ordentlich den Kopf gewaschen. Nach einem Notfallkaffee und dem Einsatz eines Abschminktuchs hab ich ihr hoch und heilig geschworen, endlich mein Leben auf die Reihe zu kriegen: dass ich aufhöre rumzuheulen und nicht mehr darauf warte, dass Max aufgeht, wie viel ich ihm bedeute, und dass ich mir jemanden suche, der in der Öffentlichkeit mit mir Händchen hält. Dass ich anfange, Pilates zu machen, dass ich mehr Wasser trinke und meine Zimmerpflanzen am Leben erhalte. Dass ich meine Chefin dazu bringe, mich zu mögen, oder zumindest aufhöre, wie ein nervöser Windhund um ihre Anerkennung zu betteln.
Das ist jetzt drei Monate her, und ich habe mich wirklich angestrengt. Ehrlich. Ich habe nur eine popelige Sukkulente umgebracht, aber ich schwöre, sie war schon lebensmüde, als sie zu mir kam.
Vielleicht liegt es an meinem Aperol-Spritz-Rausch, dass ich zur Drama-Queen werde, aber ich ertrage den Gedanken einfach nicht, nach Hause zu kommen und wieder die Tinder-App zu öffnen. Ich will nicht das gesamte Date haarklein im Gruppenchat analysieren, um zu hören zu kriegen: Beim nächsten Mal wird es besser! Ich will nicht meine Klamotten für die Arbeit rauslegen und darüber nachgrübeln, was mir morgen im Büro für ein dummer Fehler passiert, der mir einen von Margots vernichtenden Blicken einbringt. Ich habe gerade vierundvierzig Dollar für Cocktails ausgegeben, um eine unerträglich einseitige Unterhaltung mit dem uninteressantesten Mann der Welt durchzustehen. Mein Abend soll mit einem Höhepunkt enden, und bei Max kann ich mich normalerweise darauf verlassen. Es ist mir egal, wie ich das später sehen werde.
Es ist, als würde man Zigaretten gegen einen Vape Pen eintauschen: Der Nikotinrausch ist mir genauso sicher, auch wenn die Möglichkeit besteht, dass mir die ganze Sache um die Ohren fliegt.
Außerdem ist dieses neue Zara-Kleid in der unerbittlichen Januarhitze zu meiner persönlichen Polyester-Schwitzhütte geworden. Unterwegs auf der Victoria Street fächle ich mir schamlos Luft unter die Achseln; bis ich zu Hause bin, könnte ich an einem Hitzschlag sterben. Max muss es mir ausziehen. Um mir das Leben zu retten.
Ich entdecke ihn, als ich mit einem Sechserpack Cider und einer Packung Kondome aus dem Aldi an der Ecke durch den stockenden Verkehr auf der Nicholson Street düse, und rufe seinen Namen. Er sieht von seinem Handy auf, schließt die App und steckt es ein, dann lächelt er mich an, und ich schmelze dahin.
Es sollte verboten sein, so gut auszusehen. Man sollte ihn wegsperren.
Schon an der Uni kam ich mir immer wie ein mit Lippenstift verschmiertes Ferkel vor, wenn ich neben ihm stand. Nachdem er am Vorabend Unmengen billigen Wodkas getrunken hatte, erschien er morgens um acht zu unseren Vorlesungen und sah aus, als wäre er am Ende eines Saint-Laurent-Laufstegs falsch abgebogen. Und während ich mit Ende zwanzig kurz davor bin, durch die Dauer-Diät mit Sauvignon blanc und 7-Eleven-Sandwiches Hängebacken zu bekommen, wird er nur noch attraktiver. Groß, geschmeidig und mit langen Gliedmaßen, wie ein Indie-Frontmann, der von Fairtrade-Espresso und wenig bekannten Radiohead-Songs lebt. Sein dunkles Haar fällt ihm nur über die Augen, damit er es genussvoll zurückstreichen kann. Stellt euch dazu einen Ein- oder Zweitage-Bart und ein arrogantes Grinsen vor. Ich bin jedenfalls wehrlos dagegen. Damals, als ich noch bei ihm übernachten durfte, bin ich bei Tagesanbruch aus dem Bett gekrochen, um Concealer aufzutragen, meine Augenbrauen zu bürsten und meine Wimpern zu tuschen und dann so zu tun, als würde ich frisch und strahlend aufwachen, und trotzdem sah ich nicht so gut aus wie er. Die Welt ist einfach ungerecht.
»Hast dich für mich schick gemacht?«, fragt er, als ich bei ihm ankomme, und drückt sein Kinn an meine Wange, woraufhin ich ihn versehentlich aufs Ohr küsse.
Herrgott.
»Tja, ja, ich dachte, ich versuch’s mal.«
»Ausnahmsweise«, stichelt er, und bevor ich auch nur verächtlich schnauben kann, ist seine Hand in meinem Haar, wir küssen uns, und meine schlagfertige Antwort bleibt mir im Hals stecken. Dieser Ablauf ist uns inzwischen so routiniert, dass wir im Blindflug zur Treppe stolpern, gegen die Wand, in seinen Flur, zu seiner Wohnungstür, gegen die Armlehne seiner Couch.
»Sind deine Mitbewohner zu Hause?«, frage ich und zupfe schon am Saum seines T-Shirts.
»Keine Sorge«, sagt er, was keine Antwort ist, aber ich will mich nicht streiten und den Abend ruinieren. Ich kenne seine Regeln, schließlich halte ich mich schon lange genug daran.
Nur weil etwas vertraut ist, muss es nicht langweilig sein. Auch wenn ich jeden Takt dieses alten Songs kenne, ist es immer noch aufregend. Und wenn man so oft mit jemandem schläft, weiß man, worauf er steht. Nach diesem einen Gedanken – wir haben das schon eine Million Mal gemacht, oder? – komme ich ins Grübeln. Er küsst meinen Hals, und ich rechne nach. Letzten Monat bin ich mindestens dreimal vorbeigekommen, um mit ihm einen Film anzuschauen; das weiß ich, weil ich ihm zu Weihnachten eine Lavendelpflanze geschenkt habe und versuche, es nicht persönlich zu nehmen, wenn ich bei meinen Besuchen sehe, wie sie allmählich vertrocknet und kaum noch Leben in ihr steckt. Und da waren all die Male im Monat davor, an denen wir mit seinen Mitbewohnern Risiko gespielt haben, und als wir uns auf dem Oktoberfest betrunken und ein Dackelrennen gesehen haben, und davor, als …
»Wie lange machen wir das jetzt schon?«, frage ich und bemühe mich, ruhig und locker zu klingen. Das scheint ihn nicht zu bremsen.
»Fünf Minuten vielleicht?« Er nestelt am Reißverschluss meines Kleides rum, und ich merke, dass ich auf keinen Fall möchte, dass es auf den Boden fällt und knittert. Den Krepp zu bügeln wird die Hölle. »Langweile ich dich?«
»Nicht das«, sage ich. »Das. Das hier. Das mit uns.«
Max richtet sich auf, und meine Kehle schnürt sich zu. Jetzt ist er genervt, und mir fällt nicht schnell genug etwas ein, um es wieder hinzubiegen. Ich habe es vermasselt. Warum bin ich nur so? Hätte ich nicht einfach die Klappe halten können?
»Wenn du keine Lust mehr hast, mit mir abzuhängen, Penny, wir müssen uns nicht treffen.«
»Das hab ich nicht gesagt!«, rufe ich. »Es läuft schon eine Weile, das ist alles. Ich wollte nur mal nachfragen.«
»Das haben wir doch besprochen«, meint er gereizt. »Ich dachte, so ein Paar wollten wir nicht sein, mit all diesem heteronormativen Monogamie-Blödsinn à la ›Ich wollte nur mal drüber reden‹.«
Ihr habt es auch gehört, oder? Paar? Das habe ich mir doch nicht eingebildet? Okay. Nicht drängen. Nichts sagen, ihn nicht verschrecken. Einatmen, ausatmen. Das kenn ich schon. Damit kann ich umgehen.
»Du hast recht«, sage ich. Ich werde weich, lächle und greife nach seinem Hosenbund. »Das war bescheuert von mir. Du hast völlig recht. Komm wieder her.«
Eine Weile später liege ich nackt und zufrieden in seinem Schlafzimmer. Besonders beeindruckt hat mich das schmeichelhafte Licht, das sein über der Lampe hängendes T-Shirt warf, und der Moment mittendrin, als er mich geküsst hat und seine Nase zärtlich an meine stieß, und dass er in die Küche gegangen ist, um uns den mitgebrachten Cider zu holen. Das ist es, was Bec und Annie an ihm nicht zu würdigen wissen: Wenn Max gut gelaunt ist, ist er reizend. Wenn er reizend ist, läuft alles wie geschmiert. Und dieses eine Wort klingt immer noch in mir nach und lässt glückliche Schmetterlinge in mir aufflattern: Paar. Es war zwar erst etwas angespannt, aber ich wusste, dass wir diese ganzen Monate darauf zugestolpert sind. Worüber habe ich mir eigentlich Sorgen gemacht? Wir sind ganz offensichtlich verrückt nacheinander, und ich bin mir sicher, wenn ich ihn nächstes Wochenende zum Brunch einlade und das Wetter gut ist und Mimosas auf dem Tisch stehen, wird sich alles von selbst ergeben, und ich brauche nie wieder zu einem Tinder-Date zu gehen.
In Gedanken gehe ich meine Garderobe durch und wähle das Kleid aus, das ich zum Brunch tragen werde, stelle mir vor, wie wir unter dem Tisch Händchen halten, überlege, welche Farbe meine Nägel haben sollten. Ich frage mich, ob ich ein Café mit transparenten Lieferketten ausfindig machen sollte, damit wir den Kellner nicht zu den Arbeitsbedingungen auf der Avocadofarm befragen müssen. Ich träume doch tatsächlich vor mich hin wie ein liebeskranker Teenager, der die eine Hälfte eines Paares ist. Am Donnerstag lade ich ihn ein. Ganz zwanglos, als ob ich kaum darüber nachgedacht hätte.
Als er zurückkommt, hat er nur eine Flasche in der Hand. Der warme, liebevolle Ausdruck, den ich erwartet habe, ist stattdessen höflich und erwartungsvoll.
O nein.
»Willst du dir für den Heimweg ein Uber rufen, oder gehst du zu Fuß?«
Normalerweise wäre ich superwachsam, wenn ich nachts allein durch dieses Viertel gehe, aber die Wut treibt mich an.
Auf Max wegen seiner nervigen Maxhaftigkeit, auf den Typ von vorhin – wie auch immer er heißt –, weil er mich unnötig Zeit und Geld gekostet hat, und auf meine Freundinnen, weil sie mich überhaupt erst zu diesem blöden Date überredet haben. Außerdem auf denjenigen, der das Konzept der lockeren Beziehungen erfunden hat, bei denen immer wieder die Seite den Kürzeren zieht, die mehr empfindet. Vor allem aber bin ich wütend auf mich selbst, weil ich mich wieder darauf eingelassen habe. Es gibt doch nichts Schlimmeres, als sich selbst dabei zuzusehen, wie man vorhersehbare Fehler macht. Warum bin ich nicht einfach nach Hause gegangen und habe über der Spüle Nudeln in mich reingeschaufelt wie ein normaler Single-Loser? Hätte ich es mir nicht denken können? Warum tue ich mir das an? Die Bec vor meinem geistigen Auge hat recht: Habe ich denn gar keine Selbstachtung?
Ich bin total darin versunken, meinen schwachen und bedürftigen Charakter zu analysieren, jede falsche Entscheidung, die ich je getroffen habe, und darüber zu sinnieren, dass das alles nicht passieren würde, wenn ich einen flacheren Bauch oder einen besseren Haarschnitt hätte, und achte deshalb kaum auf den Weg. Ich dränge mich durch die Menschenmassen auf der Victoria Street, weiche einer Gruppe aus, die aus dem Pub wankt, stürme an jemandem vorbei, der die Mülltonnen rausstellt, stapfe die Treppe ins Haus hinauf, und als ich feststelle, dass meine Schlüssel nicht in meiner Tasche sind, stoße ich ein lautes und kathartisches »FUCK!« aus.
Drinnen sind alle Lichter aus, aber das Fahrrad meines Mitbewohners ist auf der Veranda angeschlossen, also kann er nicht weit sein. Auf dem Weg zum Pub an der Ecke verachte ich mich und meine dämlichen, unbequemen Kunstlederpumps mit jedem Schritt mehr. Falls Leo nicht da ist, muss ich am Ende noch über den Zaun klettern und auf ein offenes Fenster hoffen, durch das ich mich quetschen kann.
Der Pub ist halb leer, was verständlich ist. Es ist ein Drecksloch. Bei der Einrichtung – trübe Lampen und abgewetzter Teppich – und der Kundschaft – rotgesichtige, dickbäuchige Sportfans – stechen mein zerknittertes Kleid und mein rotgeflecktes Gesicht hervor wie ein Neonschild, auf dem Schlampe!!! Trottel!! steht. Ich rümpfe die Nase über einen Typen Anfang sechzig mit glasigen Augen, der bei meiner Ankunft grinst. Ich bin mit meiner Geduld am Ende.
Oh, Gott sei Dank. Da ist Leo. Wir winken uns kurz zu, während ich mich an der Bar anstelle. Ich brauche unbedingt ein Glas Wein. Gebt mir eine Sauvignon-blanc-Infusion.
Leo habe ich durch Bec kennengelernt. Sie trafen sich an der Uni, und er war letztes Jahr auf ihrer und Evans Einweihungsparty. Während Annie mit ihrer Freundin der Woche rumknutschte, habe ich mich bei den Schüsseln mit Kesselchips und unangetasteter Rohkost rumgedrückt. Leo stand auch da und war anscheinend zu nüchtern, um sich locker zu unterhalten. Er beugte sich verschwörerisch zu mir rüber und fragte, ob ich ihm helfen könnte, Evans Lautsprecher aus dem Fenster zu werfen, falls noch ein einziger James-Blunt-Song gespielt würde. Und schon waren wir Verbündete. Wir kamen ins Gespräch, und schließlich habe ich erwähnt, dass ich unbedingt aus meiner feuchten Müslifresser-WG ausziehen musste, in der seit Kurzem Aerosol-Deos verboten waren, und es stellte sich heraus, dass bei ihm zufällig ein Zimmer frei war. Ein paar Wochen später zog ich in sein ordentliches kleines Arbeiterhäuschen mit zwei Schlafzimmern in Richmond ein, einem Vorort, der teils cool, teils praktisch und teils zwielichtig ist. Es gibt unzählige Dumpling-Restaurants in der Hauptstraße, zwei Bahnhöfe in der Nähe und mehr als genug Bars, in denen ich an jedem Abend der Woche meine Sorgen ertränken kann. Ich kann zu Fuß ins Büro gehen und mir die Miete leisten, ohne im Internet meine gebrauchte Unterwäsche zu verkaufen. Wobei das eh längst nicht mehr so lukrativ ist. Nicht, dass ich das je ins Auge gefasst hätte.
Mein Zimmer ist ziemlich klein und bekommt nur sechs Minuten Sonne pro Tag, aber der Rest des Hauses ist lichtdurchflutet und verfügt über typisch männlichen Luxus wie einen riesigen Fernseher und gutes WLAN. Die geräumige Küche ist ideal zum Kochen, wozu ich jedoch nie Zeit habe, und hinten im Garten kommt, wenn ich Glück habe, manchmal eine Nachbarskatze zum Kuscheln vorbei.
Im Wohnzimmer hat Leo sorgfältig kuratierte Kunstdrucke aufgehängt und keine Poster von Pulp Fiction und The Dark Knight wie so viele Millennial-Männer. Seine Bücherregale sind prall gefüllt mit bekannten Romanen von Salinger und Ishiguro bis Austen und Klosterman sowie mit Nischenmagazinen und großen Bildbänden, die ich gern hervorhole, wenn ich Besuch habe, um so zu tun, als wäre ich kultiviert genug, um Architectural Digest zu lesen. Die Möbel sind so unterschiedlich, dass sie nicht alle aus dem IKEA-Katalog stammen können: ein aufgearbeiteter Überseekoffer hier, ein Lampenschirm aus Leinen dort, ein Hauch von Rattan, um die Dinge interessant zu halten. Leo hat passendes Besteck und eine gerade Anzahl von Kaffeebechern. Er ist richtig erwachsen.
Ich wohne jetzt schon seit über einem Jahr dort, aber bis vor Kurzem haben wir uns höchstens wegen der Gasrechnung Textnachrichten geschrieben. Er hat fast jede Nacht bei seiner Freundin verbracht. Ich habe sie nur einmal kurz zu sehen bekommen, als sie sich mit ihrem wippenden Haarknoten zu ihm umdrehte und rief, dass sie sich später bei ihr sehen würden: »Hab dich lieb, bis dann!« Damals steckte ich in irgendeiner Lebenskrise – vielleicht hatte Max vergessen, eine Nachricht mit einem Kuss zu beenden, oder mein nerviger Pickel an der Augenbraue war wieder da – und hatte keine Lust, mich vorzustellen. Vermutlich haben sie sich vor Kurzem getrennt, denn jetzt steht Pflanzenmilch im Kühlschrank, ein unendlicher Strom von Frauen läuft an den Wochenenden morgens durch den Flur, und er ist ziemlich oft zu Hause. Manchmal lädt er mich in den Pub ein oder fragt, ob er mir etwas aus dem Supermarkt mitbringen soll. Er scheint ein ganz netter Typ zu sein, wenn auch ein bisschen promiskuitiv. Aber sind wir das nicht alle?
»Du glaubst nicht, was ich für einen Abend hatte«, verkünde ich und lasse mich auf den Platz ihm gegenüber fallen. Kurz wandert sein Blick über den Rand seines Bierglases zu mir, dann springt er wieder zu dem Tennisspiel, das auf dem großen Bildschirm über der Bar läuft. »Ich hab meine Schlüssel vergessen. Und ich hatte ein mieses Date. Und spontanen Sex.«
»Was?«, fragt er und wirft mir einen amüsierten Blick zu. Immerhin. »War es so schlimm, dass du ihn ficken musstest, um ihn zum Schweigen zu bringen?«
»Nein! Sex hatte ich mit einem anderen!«
»Klingt nach einem anstrengenden Abend.«
»Ja, ich bin sehr begehrt.« Ich zögere. »Es ist kompliziert.«
»Offensichtlich. Na dann erzähl. Weih mich ein.«
»Ich hab meinen Freundinnen versprochen, andere Typen zu daten, um über meinen Ex hinwegzukommen. Aber dann hab ich mich nach dem Date wieder mit meinem Ex getroffen. Eigentlich treffe ich ihn ziemlich oft.«
»Ah, die alte Geschichte.«
»Wir waren an der Uni zusammen, dann haben wir uns getrennt, und jetzt sind wir nur noch Freunde«, erkläre ich und verziehe bei dem letzten Wort das Gesicht. »Und jetzt hab ich dumme Kuh wieder zu viel reininterpretiert, und er hat mich nach Hause geschickt.«
In Leos Blick liegt Mitgefühl, aber ich kann nicht sagen, ob meinetwegen oder wegen Federers schlampiger Vorhand im Fernsehen. Ich beziehe es auf mich. Ich habe es nötiger als Federer.
Ich habe Max in einem Uniseminar über die Postmoderne kennengelernt, und wir verbrachten elf wunderbare Monate damit, uns zwischen Bibliotheksregalen zu küssen, nächtelang aufzubleiben, billiges Gras zu rauchen und endlos darüber zu diskutieren, ob Palahniuk noch etwas taugt, wenn man kein verklemmter Teenager mehr ist. Aber als ich ihm vorschlug, uns gemeinsam eine Wohnung zu suchen, sagte er, er fühle sich erdrückt. Vielleicht nahm ich ihn zu sehr beim Wort. Vielleicht war ich einfach nicht mehr so interessant, als ich nach einem Bürojob Ausschau hielt, anstatt wie er ein Masterstudium in vergleichender Poesie zu beginnen. Am Ende lernte er eine andere kennen. Amber. Pah. Ich kann nicht an sie denken, ohne mir einen Donut in den Mund stopfen zu wollen. Sie ist so heiß, dass sie Love Island moderieren könnte, und trägt fast nie einen BH. Wenn man sich also zum zwölften Mal diese Woche auf ihrem Instagram-Account herumtreibt, verfolgen einen ihre Nippel wie die wachsamen Augen der Mona Lisa. Außerdem postet sie regelmäßig Videos von sich, wie sie Yoga-Kopfstände und tiefe Ausfallschritte macht, während ihr Shih Tzu mit mürrischem Blick im Hintergrund sitzt und sich leckt. Sie und Max kamen zu der Zeit zusammen, als ich meinen Abschluss machte, und reisten ein Jahr lang durch Südamerika, während ich bis zum Grund einer Flasche Tanqueray abtauchte.
Nachdem ich fast ein Jahr lang Trübsal geblasen hatte, riss ich mich zusammen, lud drei Dating-Apps herunter und begann, mein Leben auch ohne unsere Insiderwitze oder sein Gesicht auf meinem Startbildschirm auf die Reihe zu kriegen. In den nächsten Jahren gewöhnte ich mich ans Alleinsein, hatte gute und schöne, schlechte und schreckliche Dates, Französischunterricht, fing alle paar Monate für zwei Wochen einen Spinning-Kurs an und lernte es zu genießen, dass ich ein großes Bett für mich allein hatte. Gerade als ich zu vergessen begann, dass es Max überhaupt gab, schickte er mir eine Nachricht. Es ist, als hätten sie einen Radar für solche Dinge.
»Außerdem – fällt mir gerade ein – hatte ich Cider mitgebracht, und er hat ihn behalten. Verdammt.«
»Mist.« Leo macht ein empörtes Gesicht. »Sollen wir die Polizei rufen?«
»Ach, sei still. Lass mich schmollen.«
Da: Er lächelt. Mission erfüllt. Freundliche Konversation bewältigt. Er wendet sich wieder dem Tennismatch zu, und ich lasse im Geiste noch mal den Zusammenschnitt meiner Demütigung ablaufen, um genau den Moment zu finden, ab dem ich alles vermasselt habe.
Vielleicht kann man eine alte Flamme nicht wieder entfachen, und all die Versuche waren umsonst. Vielleicht ist Max nie über Amber hinweggekommen. Was für ein Masochist würde sich all das antun und trotzdem dranbleiben?
»Es ist nur so, dass alles darauf hindeutet, dass er wieder mit mir zusammenkommen will«, lege ich nach. »Hilf mir. Ich brauch mal deine männliche Perspektive.«
»Vergiss den Kerl«, sagt Leo. »Such dir einen anderen.«
»So einfach ist das nicht«, behaupte ich. »Du kennst ja noch nicht mal die ganze Geschichte.«
»Eigentlich ist es nie sehr kompliziert.« Er wirkt nicht überzeugt.
»Manchmal schon«, schnaube ich wütend. »Oder hast du vergessen, wie Beziehungen funktionieren, seit du dich für die Wahl zum Bachelor des Jahres beworben hast?«
»Ich bin noch nicht der Bachelor des Jahres«, sagt er. »Es ist erst Januar. Es liegen noch viele Monate mit zwanglosem Gelegenheitssex vor mir, bevor ich die Goldmedaille als Junggeselle bekomme.«
»Eklig«, sage ich und kippe die Hälfte meines Weins runter, was ihn zum Lachen bringt. Dennoch ist meine Laune etwas besser als noch vor zehn Minuten, und das ätzende Schamgefühl hat auch ein bisschen nachgelassen.
In der Werbepause zückt er sein Handy, und an der Links-Rechts-Wischbewegung seines Daumens erkenne ich, womit er beschäftigt ist. Der Anblick eines frischgebackenen Singles, der gleichgültig durch die Profile wischt, obwohl er vor weniger als einem Monat noch der inoffizielle Untermieter seiner Freundin war, trägt nicht gerade dazu bei, mir das Singledasein schmackhaft zu machen. Er wischt nach links, links, links, rechts, links, rechts, links, links: eine Reihe sekundenschneller Entscheidungen auf der Grundlage eines einzigen Bildes. Es ist leicht für ihn, oder? Männer mit so nervig vollem Haar, die sehr groß sind und sich halbwegs vernünftig anziehen, haben nie Probleme, Dates zu bekommen. Eine Freundin zu finden ist für ihn so einfach, wie einen Döner zu bestellen.
»Ich werde allein sterben«, sage ich mit einem übertriebenen Schluchzen. »Mich wird nie einer lieben.«
»Wahrscheinlich.«
»Hey!«
Leo lacht.
»Aber was sucht man in den Apps, wenn nicht, äh – die Liebe?«
Er wirft mir einen Blick zu, der deutlich sagt: Was denkst du denn?, und ich mache ein verächtliches Geräusch.
»Sieh dir das an.« Er beugt sich vor und lässt mich auf sein Handy sehen. Dann wischt er durch eine Reihe von Profilen. »Die Leute hier wollen nur das Eine. Manche bleiben auch noch zusammen, nachdem sie den Druck abgelassen haben. Die meisten nicht.«
»Das ist so deprimierend.«
Wir verfallen in ein angenehmes Schweigen, das nur unterbrochen wird vom obszönen Grunzen der Tennisspieler, dem leisen Klicken von Gläsern, die auf dem Tisch abgestellt werden, und den Signaltönen der Textnachrichten, die unablässig auf Leos Handy eingehen.
»Man hat mich in den hohen Norden gerufen«, sagt er und fummelt an seinem Schlüsselbund rum. »Nimm meinen Schlüssel.«
»Bleib doch«, jammere ich, fast erbärmlich genug, um überzeugend zu wirken. »Sauf mit mir mehr, als es sich an einem Werktag gehört. Du musst. Das steht in meinem Mietvertrag.«
»Das muss ich im Kleingedruckten übersehen haben. Aber im Ernst, entspann dich«, sagt Leo, so aufrichtig und mitleidig, dass es peinlich ist. »Dein Ex ist ein Idiot. Du findest einen anderen.«
»Aber wenn ich keinen anderen will? Ich will nur mit ihm zusammen sein.«
»Dann bist du wohl am Arsch.«
Garstiger Sonnenschein fällt durch meine halb geöffneten Jalousien herein und lässt den Prosecco gerinnen, der noch in meinem Blutkreislauf ist. Es ist schon extrem heiß, in meinen Schläfen pocht es, und mein Mund fühlt sich an, als hätte ich Sand geschluckt. Ich hasse alles. Ich möchte eine Vitamin-Infusion, Pizza bestellen und Parks and Recreation sehen, anstatt den ganzen Tag vor meinem Laptop zu hocken und Blümchenkaffee zu schlürfen, während ich Anrufe von Kunden entgegennehme und Entwicklertickets abarbeite.
In der Nacht hat Max keine Textnachrichten geschickt; nicht weiter überraschend. Annie hat im Gruppenchat einen Screenshot vom Verlauf der Fünf-Kilometer-Strecke gepostet, die sie morgens um fünf gejoggt ist. Was für eine Soziopathin! Auf Instagram preisen Influencer Abführtees und Fast-Fashion-Marken an, die sie nicht tragen. Meine Fitness-App erinnert mich daran, mich auf die Waage zu stellen, aber kann sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? Drei neue Matches …
Als Max vor ein paar Stunden das Wort Paar gesagt hat, nahm ich an, dass ich diese Apps dauerhaft deaktivieren würde, aber jetzt behalte ich sie, um mich von Max abzulenken. Wenn ich zu lange an ihn denke, rede ich mir selbst ein, dass es okay wäre, ihm eine Nachricht zu schreiben, und ehe ich michs versehe, bin ich wieder am gleichen Punkt. Wenn ich das Swipen zum Teil meiner Tagesroutine mache, kann ich mir wenigstens einbilden, ich hätte eine Wahl.
Stefan, 30. Was ist mit dir? Auf seinem Profil steht »ENTJ, Rugby, Bier, Hunde«, aber das einzige Foto, auf dem er nicht von vier identischen Typen in zu engen Blazern und Bootsschuhen flankiert wird, ist ein Selfie aus dem Fitnessstudio, auf dem der Kopf abgeschnitten ist. Ich kann mich nicht mit jemandem verabreden, der Bauchmuskeln hat, daneben würde ich mir zu abstoßend vorkommen, um jemals Sex bei Licht zu haben. Kein Match.
Bazza, 28. Meine Güte, wie konnte ich jemals bei jemandem namens Bazza nach rechts wischen? Kein Match. Sorry. Ich habe die Regeln nicht gemacht.
Adam, 31. Aber hallo. Ist es nicht toll, wenn jemand, der viel zu heiß für dich ist, mit dir matcht? Vermutlich war es ein Versehen, aber seien wir optimistisch. An einem Good hair Day, im richtigen Licht und zwei Tage nach meiner Periode, wenn mein Bauch richtig flach ist, kann ich als eine Sieben durchgehen. In Adelaide oder Hobart könnte ich sogar eine Achteinhalb sein. Sollte ich umziehen? Jedenfalls hat er keinen Lebenslauf, also könnte er nicht der Hellste sein, aber das ist mir egal. Er ist eins achtundachtzig groß und hat kein einziges Foto in einem schlecht sitzenden Jack-London-Anzug. Was will Frau mehr?
Wir haben erst vor vierzig Minuten gematcht, also werde ich noch nicht »Hallo« sagen. Das käme zu verzweifelt rüber. Aber wenn wir zum Beispiel heute am späten Nachmittag ins Gespräch kämen, könnten wir am Sonntag etwas trinken gehen, und wenn ich einen gepolsterten BH trage und alles gut läuft, könnten wir an meinem Geburtstag verlobt sein.
Mein Telefon summt und reißt mich aus meinem Tagtraum, in dem ich mir ausgemalt habe, wie ich mein Haar für die Hochzeit frisieren würde. Oh, fünf neue Nachrichten im Gruppenchat.
Bec Cooper (06:31):Wie war es?
Annie Lin (06:34):Bist du verliebt?
Annie Lin (06:35):Bist du schwanger?
Annie Lin (06:35):Wenn du schwanger bist, wirst du es nach mir benennen?
Bec Cooper (06:37):Wenn sie schwanger wäre, würde sie es nach Carly Rae Jepsen benennen
Ich habe völlig vergessen, dass ich gestern Abend ein Date hatte.
Penelope Moore (06:38):Nicht schwanger, ihr Spinner
Penelope Moore (06:38):Total beschissen. Er hat schon unseren Match aufgelöst lmao
Bec Cooper (06:40):Oh, Süße :( das ist suboptimal
Annie Lin (06:45):Er ist offensichtlich ein kompletter Schwachkopf
Bec Cooper (06:47):Wir hassen ihn!
Penelope Moore (6:47):IchHASSEihn
Wie gut sind beste Freundinnen? Gerührt von ihrer Loyalität stelle ich den nächsten Alarm ab und scrolle mich wie jeden Tag manisch durch die besten Katastrophenmeldungen. Schließlich kann ich die Pflichten meines sicheren Arbeitsplatzes jedoch nicht länger ignorieren.
Unter dem erholsamen und brühend heißen Duschstrahl benutze ich mein bestes Shampoo und Unmengen Duschöl, in der Hoffnung, dass L’Occitane das französische Wort für Katerkur ist. Ist es nicht. Als das nicht hilft, versuche ich es mit zwei Paracetamol und einer Banane und träume von einem gebutterten Käsetoast aus dem Café um die Ecke vom Büro.
Genau. Legen wir die Tagesziele fest. Das ist meine Hausaufgabe zur Selbstfürsorge, zusammen mit einem Eintrag in mein Dankbarkeitstagebuch, den ich nie schreibe, und angewandter Selbstliebe, was sich für mich nach Voodoo-Blödsinn anhört. Ich forsche in meinem Spiegelbild nach Antworten, und es sagt: Ich hab keinen Bock auf diesen Mist.
Ich bin Account Managerin in einer Digitalagentur, was interessanter klingt, als es ist. Meine Aufgabe ist es rauszukriegen, was die Kunden wollen, und dann einen Weg zu finden, es umzusetzen. Meistens koordiniere ich die Erstellung von Websites und Apps und schalte dann Werbeanzeigen, damit man sie besucht. Habt ihr euch schon mal über etwas unterhalten und wurdet dann passend zum Thema mit gruseliger Werbung auf eurem Handy überschwemmt? Das bin ich. Sorry. In letzter Zeit habe ich das Gefühl, dass ich nur wegen der kostenlosen Kekse ins Büro gehe.
Mein Büro ist in Cremorne, dem nächstgelegenen Vorort, und den großen Hügel in der Church Street hinaufzusteigen ist mein einziges Kardiotraining. Meine Sonnenbrille, Gott segne sie, gibt sich alle Mühe, meine Augen vor der Sonne und mein verkatertes Gesicht vor fremden Blicken zu schützen.
Ein paar Leute vom Entwicklungsteam sind früh da. Das Neonlicht ist besonders unangenehm und lässt den entzündeten Pickel an meinem Kinn noch deutlicher hervortreten. Es ist erst kurz nach acht, und schon jetzt funktioniert die Klimaanlage nicht richtig.
Meine To-do-Liste ist kilometerlang. Ich muss einen Traffic-Report für Deco Cinemas erstellen und habe ein Meeting mit dem total unkooperativen Marketingleiter von Clean Juice Co. Außerdem muss ich einen der Entwickler geradezu bezirzen, damit die Terminplanungs-API bis heute Abend auf der Website von Jackson & Smith Reality online ist. Lieber würde ich mir die Bikinizone wachsen lassen.
Ich werfe meine Tasche auf den Boden, lasse mich in den Stuhl fallen und wappne mich, bevor ich meinen Posteingang öffne. Mal sehen, was alles schiefgelaufen ist. Es ist die übliche Flut technischer Updates von den Entwicklern, von Aktivitätsberichten und Conversion Rates für einige Websites und, hurra, eine frostige E-Mail von einem Kunden. Jemand hat ihm eine Ein-Stern-Bewertung gegeben, und er ist verärgert, dass ich das nicht über Nacht vertuschen konnte. Und er hat Margot ins cc gesetzt. Na toll.
Das Büro soll luftig und modern sein wie ein Flugzeughangar, aber die Reihen von Kieferschreibtischen und Möbeln zum Selbstzusammenbauen lassen es eher wie ein skandinavisches Gefängnis wirken. Sitzsäcke und der gelegentliche Bürohund sollen uns jung und cool erscheinen lassen, und die legere Kleiderordnung und die Freitagsdrinks sollen uns für die vielen Überstunden und die sub-(sub-sub-)optimale Bezahlung entschädigen.
Früher habe ich in einer großen Werbeagentur mit riesigen Teams für alles gearbeitet. Obwohl sie allerhand bekannte Kunden hatte und die Arbeit viel Aufmerksamkeit erregte, gingen mir irgendwann die witzigen Ideen aus, um Hundeleckerlis zu verkaufen. Außerdem war ich frustriert, dass ich jede Entscheidung erst mit zwölf Leuten absprechen musste, bevor ich etwas veröffentlichen konnte. Es wurde ein bisschen zu stumpfsinnig, und ich sehnte mich nach einer Veränderung. Ich wollte etwas tun, das Spaß macht, eine Herausforderung darstellt und kreativ ist, also bewarb ich mich hier bei Scout Digital für eine Stelle als Account Managerin. Ich hatte ein Vorstellungsgespräch bei Margot, in dem wir ungefähr zwölf Sekunden lang meinen Lebenslauf besprachen, eine halbe Stunde über Highlighter von Fenty redeten und uns danach über The Crown austauschten, eine Serie, nach der wir beide gerade verrückt waren. Noch ehe ich den Bahnhof erreichte, klingelte mein Telefon, und sie bot mir den Job an. Das bedeutete zwar eine Gehaltseinbuße für mich, aber sie versicherte mir, dass ich diese Differenz mehr als wettmachen könnte, wenn ich am Ende meiner Probezeit zum Account Director befördert würde.
An das halsbrecherische Tempo dort musste ich mich erst gewöhnen. In meinem alten Job, in dem ich Slogans für Schulhefte und Ähnliches schrieb und Fallstudien für Pharmaunternehmen ausarbeitete, war die Arbeit so langweilig, dass ich sie praktisch im Wachkoma erledigte. Hier werde ich von Anfragen bombardiert und muss mich öfter für eine Not-Meditation auf die Toilette zurückziehen, als ich zugeben möchte.
Außerdem sind Margot und ich nicht mehr ganz so dicke wie anfangs. Wenn ich mich mit ihr unterhalte, bekommt sie manchmal diesen leeren Blick, als würde sie in ihrer Handtasche nach den Schlüsseln suchen. Und wenn sie meint, ich unterhielte mich schon zu lange mit jemandem in der Küche, sucht sie meinen Blick und tippt energisch auf ihre Apple Watch. Es ist mir auch noch nicht gelungen, die Demütigung zu verarbeiten, dass sie mir letzte Woche bei meinem eigenen Pitch über den Mund gefahren ist. In letzter Zeit dreht sich mir schon der Magen um, wenn ich nur an ihren Namen denke. Ich muss mir immer wieder sagen, dass ich mir all das nur einbilde.
Während ich die Uhr im Blick behalte und um siebzehn Uhr aus der Tür sprinte, muss sie es jedem auf die Nase binden, wenn sie am Vorabend fast bis Mitternacht hier war. Sie kann einen Raum mit einem Blick zum Schweigen bringen, und nach einem Meeting hat sie immer einen Tipp dazu in petto, was ich hätte besser machen können. Aber es ist alles konstruktiv. Man muss nicht die beste Freundin seiner Chefin sein.
In meinem Hinterkopf hat sich eine kleine Fantasie festgesetzt, die so geheim ist, dass ich sie möglichst nicht beachte. Ich stelle mir gern vor, dass die letzten paar Monate eine Art perverses Schikaneritual waren. Dass Margot mich bewusst provoziert hat, um zu sehen, ob ich mich für eine Führungsposition eigne. In der Fantasie trage ich etwas Fabelhaftes und Knitterfreies – ein bedrucktes Kleid, in dem ich feminin, mächtig, mühelos schick und sehr, sehr schlau aussehe –, und ich halte eine Präsentation und werfe mit Statistiken, Fakten und Ideen nur so um mich, sodass die Kunden mit offenem Mund staunen (und vielleicht ein bisschen angetörnt sind; natürlich ist das Kleid schuld), und Margot lächelt und nickt mir beeindruckt zu. Ich bekomme eine fünfstellige Gehaltserhöhung und werde zu einer Frau, wie ich sie immer sein wollte. Auf meinem Schreibtisch stehen frische Blumen, die Ellbogen meiner Blazer sind nicht ständig zerdrückt, meine Ponyfrisur erweist sich jeden Tag als kooperativ, und ich kann nach einem Abend mit meinen Freundinnen die Rechnung übernehmen und muss nicht mit dem iPhone-Rechner rausfinden, wie viel dreiundsiebzig Dollar durch drei ist.
Aber Margot kann nicht lächeln, das verhindert ihr Botox. Und ich weiß nicht, ob es dieses Kleid überhaupt gibt, denn ich habe mein ganzes Leben lang danach gesucht.
Allerdings hat sie mir bei meinem Vorstellungsgespräch die Position als Account Director so gut wie fest zugesagt. Vier meiner Kunden zahlen Agenturhonorare, die mehr als ein Drittel unseres monatlichen Umsatzes ausmachen. Und erst letzten Monat habe ich einen neuen E-Store zwei Wochen vor der offiziellen Deadline und mit vierzehn Stunden weniger als kalkuliert gelauncht. Vielleicht sollte ich noch einmal auf The Iconic gehen und nach diesem schwer zu findenden Powerkleid suchen.
Nein!
Halt!
Daran denken wir nicht. Hör sofort damit auf.
Scheiß drauf, ich brauche einen Kaffee. Koffein wird meine Leiden lindern.
Penelope Moore (08:09):@Bec Cooper Kaffee?
Bec Cooper (08:11):In 5 Minuten x
Praktischerweise arbeitet Bec in der Nähe, sonst würde ich sie vielleicht nie sehen. Sie und Evan arbeiten nebeneinander in einem Coworking Space hinter dem Richmond Bahnhof. Sie ist Grafikdesignerin und er Unternehmer, was auch immer das heißen mag. Ich weiß nicht, wie sie das hinkriegt. Jeden Tag neben seinem Partner zu arbeiten klingt nach dem ultimativen Beziehungskiller. Was, wenn die Liebe deines Lebens Fisch in der Mikrowelle brät oder einen albernen Bürojargon verwendet wie »Ist noch auf Hold, wird aber asap eingegleist« oder »Lass uns ein Brainstorming reinloopen«.
Als sie sich vor eineinhalb Jahren bei einer (halb ironischen) Speeddating-Veranstaltung kennengelernt haben, ging ihre Beziehung sofort von null auf hundert. Fast hätte man an Liebe auf den ersten Blick glauben können (würg). Aber jetzt kriegen wir Bec kaum noch zu sehen, und wenn, dann hat sie stets ihr Handy im Blick. Sie hat ihr Partyleben an den Nagel gehängt, um das ganze Wochenende durch Möbelhäuser zu spazieren, und wie oft sie »wir« sagt, ist rekordverdächtig. Was sollen Annie und ich tun? Sie bitten, sich weniger um ihren Freund zu kümmern? Ich war auch bei diesem Speeddating-Abend. Aber ich habe mir da nur einen Herpes eingefangen.
Ich hoffe, ich habe jede weitere Diskussion über die gestrige Date-tastrophe im Keim erstickt. Eigentlich möchte ich nicht darüber reden, nicht mit Bec, die von ihrem eigenen Glück so geblendet ist, dass sie vergessen hat, wie beschissen die meisten ersten Dates sind. Es war eine solche Zeitverschwendung, dass ich es schon verdrängt habe. Gedächtnisverlust nach schlechten Dates ist ein offiziell anerkanntes Syndrom, wisst ihr? Seht auf WebMD nach.
Ich muss erst um neun an meinem Schreibtisch sein, also treffen wir uns in unserem Café. Wir mögen es vor allem wegen des sexy Barista, der sich immer an unsere Bestellungen erinnert. Wir wissen nicht, wie er heißt, aber jetzt ist es zu spät, um ihn nach seinem Namen zu fragen, also heißt er einfach Sexy Barista. Ich stand noch nie auf Männer in Uniform, aber wenn sie Connections zu Espresso-Großhändlern und Croissant-Lieferanten haben? Oh, là, là.
»Ist es möglich, sich sexuell zu einem Toast hingezogen zu fühlen?«
»Auf jeden Fall«, sagt Bec, den Mund voll Brot, Käse und Tomate.
»Ich liebe Sexy Barista. Wenn ich einen Zucker sage, weiß er, dass ich eigentlich zwei will.«
»Du solltest mit ihm ausgehen!«
»Auf keinen Fall«, stöhne ich. »Wollen anderer Leute Freundinnen eigentlich auch immer, dass sie Sex haben? Hört das nie auf?«
Ich weiß, es ist dumm, aber der einzige sexy Barista, den ich will, ist Max. Er arbeitet in einem Café in Collingwood, in dem ich noch nie war, und mir fällt nie eine gute Ausrede ein, um einfach mal vorbeizuschauen.
»Du kannst nicht dein ganzes Leben lang mit Tinder-Dates und Katern jonglieren.«
»Warum nicht? Bis jetzt läuft es doch super. Letzte Woche hat mich jemand gebeten, ihm Fotos von meinen Füßen zum Wichsen zu schicken.«
Sie verzieht das Gesicht.
»Er hat mir fünfzig Dollar geboten! Ich hab echt darüber nachgedacht.«
»Falls Evan und ich uns jemals trennen sollten, werde ich Nonne«, erklärt Bec. »Warum tust du dir das alles an?«
»Was hab ich denn für eine Wahl? Wenn jemand in einer Bar versuchen würde, mich anzumachen, hätte ich den Verdacht, dass er mir was in den Drink getan hat.«
»Du bist nicht offen genug.«
»Ich bin doch offen.« Ich runzle die Stirn. »Ich benutze die Apps. Ich gehe ständig mit Männern aus. Mir gefällt nur keiner.«
»Weil deine Ansprüche zu hoch sind. Was ist mit dem Finanztypen, mit dem du ein Date hattest? Im November? Der war doch süß.«
»Er kam fünfundzwanzig Minuten zu spät und hat mir eine Geschichte von seinem Kaninchen erzählt, das sich ertränkt hatte.«
»Und?«
»Selbst sein Kaninchen wollte nicht mit ihm zusammen sein! Warum sollte ich das wollen?«
»Wenn ich Evan mit deinen unmöglichen Maßstäben messen würde, wären wir nicht zusammen«, sagt sie, und ich runzle noch mehr die Stirn. »In dem Buch, das ich gerade lese, steht, dass man sich darauf einlassen muss, den ganzen Menschen zu lieben. Macht es mir Spaß, das halbe Wochenende mit ihm auf dem Golfplatz zu verbringen? Nein, aber ich finde es herrlich, jemanden zu haben, mit dem ich MasterChef schauen kann. Kompromiss. Akzeptanz. Zweisamkeit. Du bist mitschuldig an deinem Unglück.«
»Mir geht es gut. Ich ertränke mich nicht in meinem Wassernapf.«
»Eines Tages«, sagt Bec mit selbstgefälliger Miene und hochgezogenen Augenbrauen, »wirst du eine echte Beziehung finden und etwas über Opfer und Kompromisse lernen. Liebe ist ein Tu-Wort.«
Ich weiß, dass dieser Satz aus einem ihrer Selbsthilfebücher stammt, und sie ist sehr stolz darauf. Ich vermeide eine Antwort, indem ich einen großen Schluck von meinem Milchkaffee trinke.
Sollten Freundinnen einen nicht aufmuntern und einem sagen, dass man das Beste vom Besten vom Besten verdient? Welche beste Freundin sagt einem, man soll seine Ansprüche runterschrauben?
Vielleicht hat sie recht. Vielleicht ist Golf nur die Spitze des Eisbergs aus all den nervigen, unattraktiven Seiten von Evan, und sie muss über unendlich vieles hinwegsehen, damit ihre Beziehung funktioniert. Aber muss ich, wenn ich jemanden kennenlerne, von der ersten Minute an Kompromisse eingehen? Kommt das nicht erst später, wenn ich mich schon in denjenigen verliebt habe und einfach akzeptieren muss, dass er sich auf der Toilette die Fußnägel schneidet oder jeden Abend vor dem Schlafengehen seine Mutter anruft?
»Wir wollen nur, dass du glücklich bist«, sagt sie und verdreht übertrieben die Augen.
»Niemand ist glücklich«, entgegne ich. »Das hier ist kein Nancy-Meyers-Film. Das Glück ist kein Flugzeug, in das man einsteigt und davonfliegt. Die Menschen erleben nur deshalb ab und zu schöne Momente, damit sie sich nicht auf die Gleise werfen.«
Offenbar rede ich schon vor neun Uhr morgens mehr von Selbstmord als die meisten Menschen den ganzen Tag über. Sogar das ganze Jahr.
»Glaubst du das wirklich?«, fragt sie.
Ich setze eine unverbindliche Miene auf.
»Wann hast du den Termin bei dieser Therapeutin?«
Das finde ich etwas herablassend, als wäre ich automatisch psychisch krank, wenn ich nicht ihrer Meinung bin. Aber es hat keinen Sinn zu streiten. Laut Bec ist sie die Einzige, die begreift, wie komplex es ist, sich ein lebenswertes Leben aufzubauen, und meine anhaltenden Kopfschmerzen rauben mir jegliche Energie, ihr zu widersprechen. Sie verkündet, dass sie in zehn Minuten eine Telefonkonferenz hat, und ich muss sowieso ins Büro zu einem Team-Meeting. Also geben wir uns zum Abschied einen Kuss auf die Wange, der vielleicht etwas weniger enthusiastisch ausfällt als sonst.
Sie meint es nur gut. Ich sollte lernen, es als Zeichen der Zuneigung zu sehen und es dabei zu belassen.
Ich sollte meine Energie besser darauf verwenden, Margot mit meinen tadellosen Social-Media-Management-Fähigkeiten oder mit wohlüberlegten Komplimenten über ihr heutiges Outfit zu beeindrucken. Vielleicht kann ich sie bei einem Drink im Büro festnageln und in eine intensive Diskussion über unsere gemeinsame Liebe zu Lippenstiften von NARS verstricken, und jedes unangenehme Gefühl wird sich in Wohlgefallen auflösen, und alles endet in einer Büroheirat. Dann wird sie anerkennen müssen, wie gut ich in meinem Job bin. Ich könnte auch gleich meine E-Mail-Signatur in Penny Moore, Account Director ändern.
Kurze Zeit später, ich bin gerade bei meinem dritten Instantkaffee und stehe vor der Mammutaufgabe, mich zwischen einem Banh Mi und einer Ofenkartoffel zum Mittagessen zu entscheiden, erscheint Margot an meinem Schreibtisch.
»Kann ich dich sprechen?«, fragt sie. Vor Überraschung stockt mir der Atem, und ich verbrühe mir die Kehle an einem Schluck kochend heißem Blend 43. Eigentlich ist es keine Frage. Bevor ich mehr als ein »Ja« keuchen kann, hat sie bereits auf dem Absatz kehrtgemacht und ist zum Konferenzraum gegangen, in der Erwartung, dass ich ihr folge.
Margot kompensiert ihre geringe Körpergröße durch das Tragen von Stöckelschuhen, selbst freitags, und macht fünf kleine Schritte, während ich einen langen mache. Ich will sie fragen, ob sie am Wochenende was Tolles vorhat, aber ich klinge heiser und versuche, das Ganze mit einem Husten zu überspielen.
»Also …«, sagt sie vom Kopfende des Tisches aus. Sie hätte sich überall hinsetzen können, aber sie ist fünfzehn Schritte weitergetrippelt, um ihren Standpunkt deutlich zu machen. Hier geht es um Macht.
»Also!« Ich setze ein Lächeln auf, das Zuversicht und Optimismus ausstrahlt, doch meine Kehle schnürt sich zu.
»Das ist unangenehm«, sagt sie, und ich lache höflich.
»Ja, ist es …«
»Ich weiß, dass wir zu Beginn deiner Tätigkeit darüber gesprochen haben, dass du am Ende deiner Probezeit eine leitende Position übernimmst.«
»Ja! Ich bin so …«
»Ich weiß dein Interesse zu schätzen, Penelope«, sagt sie.
Ich wünschte, sie würde mich aussprechen lassen. Und ich wünschte, sie würde mich nicht Penelope nennen.
»Aber …«
»Oh.«
Mir sinkt der Mut. Der Knoten in meiner Kehle wird immer dicker.
»Der Vorstand ist der Meinung, dass du noch etwas zu unerfahren für diese Rolle bist.«
»Oh.«
»Wir wissen dein Interesse zu schätzen«, wiederholt sie.
»Okay.«
»Vielleicht in ein paar Jahren«, sagt sie und tätschelt mir kurz die Hand. Ihre Hände sind erschreckend kalt für ein Büro mit so einer schlechten Klimaanlage.
In ein paar Jahren? In ein paar Jahren?
»Okay.«
»Okay?«
»Ja, nein, ja, ich verstehe.«
»Sonst noch etwas?«
»Nein«, sage ich automatisch. »Nein, also – wenn ich irgendetwas tun kann. Um, ähm, dich davon zu überzeugen, dass ich den Job machen kann.«
»Ich werde darüber nachdenken.« Sie lächelt sparsam.
Ich versuche, es ihr gleichzutun, und scheitere.
Margot entschuldigt sich, und ich stelle überrascht fest, dass ich die Zähne zusammenbeiße.
Deshalb wollte ich nicht darüber nachdenken. Ich wusste, dass es nicht passieren würde. Wenn man schon überlegt, ob etwas passiert, lautet die Antwort immer Nein. Vielleicht sollte ich meine E-Mail-Signatur stattdessen ändern in Penny Moore, Trottel.
Wegen Becs Unfähigkeit-Schrägstrich-Weigerung, aus ihrem Pärchenkokon herauszukommen, Annies unerbittlichem Streben danach, jeden beruflichen Meilenstein vorzeitig zu erreichen, und meiner erbärmlichen Abneigung, mich festzulegen, für den Fall, dass Max in letzter Minute anruft und mich sehen will, sind wir seit Wochen nicht mehr alle zur selben Zeit am selben Ort gewesen. Als Bec uns also schreibt, dass sie am Mittwochabend mit uns essen gehen will, und sagt, es sei sehr, sehr wichtig, bin ich gerne bereit, mir die Zeit zu nehmen.
Normalerweise essen wir abends Dumplings in der Stadt, weil man dort seinen eigenen Wein mitbringen kann und es bei meinem mageren Gehalt eigentlich nicht drin ist, dass ich mehr als dreißig Dollar ausgebe. Aber Bec hat uns bereits einen Tisch im Entrecôte in South Yarra reserviert. Ihre Nachricht müsse an einem schönen Ort überbracht werden, hat sie gesagt.
Ich muss Zug und Straßenbahn fahren, um hinzukommen, eingekeilt zwischen den verschwitzten Rücken anderer Pendler und der Tür. Mein Leben ist so glamourös.
Mein Handy summt, und um niemandem meinen Ellbogen ins Gesicht zu rammen, fische ich es vorsichtig aus der Tasche und sehe eine Nachricht von Max. Schlagartig wird mir klar, dass ich vier Tage lang nicht an ihn gedacht habe. So lange habe ich vielleicht noch nie nicht an ihn gedacht. Ich fühle mich auf seltsame Weise schuldig. Ich blicke auf seine Nachricht – (Max Fitzgerald (17:40):Hast du Lust zu kiffen und Four Corners zu sehen? Miss you beautiful xx) – und bin überrascht über diese ungewöhnliche Zuneigungsbekundung und zugleich verwirrt, was sie bedeuten könnte. Entschuldigt er sich dafür, dass er mich neulich Abend rausgeschmissen hat?
Davon darf ich meinen Freundinnen nichts erzählen. Mittlerweile haben sie es satt, jede Kleinigkeit zu analysieren, die er tut. Ich will es ihnen nicht sagen, weil ich gar nicht so sein möchte: darauf fixiert, einen Freund zu finden, so versessen darauf, Bestätigung von Männern zu bekommen, dass ich über nichts anderes mehr reden kann. Nein, danke, nicht heute, niemals.
Außerdem weiß ich, ich sollte nicht an diesen ganzen Scheiß glauben. Ich sollte nicht glauben, dass der Schlüssel zum Glück ein Ehemann ist oder dass ein geringes Selbstwertgefühl mit dem richtigen Lippenstift und fünfhundert Dollar bei Agent Provocateur gelöst werden kann. Das hier ist das wahre Leben. Ich bin nicht die verdammte Carrie Bradshaw.
Wenn eine Spinne im Haus ist, nehme ich ein Glas und ein Stück Papier und bringe sie nach draußen. Um ein fest verschlossenes Glas zu öffnen, übergieße ich es mit heißem Wasser oder schlage es kräftig auf die Tischplatte. Mithilfe eines YouTube-Tutorials habe ich mir selbst beigebracht, wie man einen undichten Wasserhahn repariert. Ich besitze keine Kleider, bei denen ich nicht allein den Reißverschluss schließen kann. Glaubt mir, ich hab’s drauf. Ich habe diese ganze Single-Sache im Griff.
Aber manchmal werde ich ein bisschen traurig. Ab und zu – kommt ganz nah, damit ich es euch zuflüstern kann – wünsche ich mir, ich hätte jemanden.
Es ist, als ob ich darauf wartete, dass mein Leben beginnt. Bis jetzt sind diese Situationships und Rückschläge Teil eines Films, der mittendrin beginnt, und von mir aus könnte allmählich mal der Vorspann kommen. Ich habe es satt zu warten.
Wenn ich verkatert bin, mir vor einer weiteren Arbeitswoche graut und ich mich aufgebläht und niedergeschlagen fühle, frage ich mich: Warum nicht ich? Ich habe mich so sehr um Max bemüht, so viele Stunden auf mein Handy gestarrt, so viele Liebesfilme durchgestanden und meine Tinder-Bio so oft überarbeitet. Es ist so einfach, mich selbst runterzumachen. Hätte ich nur Becs Schlüsselbeine oder Annies Schlagfertigkeit. Hätte ich mehr interessante Hobbys, würde ich nur nicht so oft nervös sein und den Faden verlieren, könnte ich coolere Sprüche klopfen. Wenn ich mehr aus mir herausgehen würde, wenn ich lernen würde, wie man seinen Körper strafft, wenn ich öfter laufen gehen würde. Manchmal sinkt der Serotoninspiegel, und die Sonne verdunkelt sich, und ich bin mir sicher, dass ich in Wahrheit einfach nicht liebenswert bin. Dann ist es allzu leicht, mich ins Bett zu verkriechen, dort eine Woche zu bleiben, in diese hässlichen Gedanken einzutauchen und nach anderen schrecklichen Wahrheiten zu suchen, die mich dort verankern.
Aber mit alledem darf ich mich nicht an einem Mittwochabend befassen. Nicht dass meine Freundinnen mir nicht sofort sagen würden, dass ich falschliege, das würden sie. Ich weiß nur, dass ich nicht über einen Teil davon sprechen kann, ohne direkt alles rauszulassen. Ich beschließe, ein Embargo über alle Gespräche über Max zu verhängen, zumindest bis morgen.
»Mach dir keine Sorgen!«, rufe ich, als ich Annie in der Ecke des Botanical entdecke, der schicken Bar neben dem Entrecôte. Sie wartet mit einem eiskalten Gin Tonic auf mich, und ich habe sie nie mehr geliebt. »Die schönste Frau, die du kennst, ist da.«
»Wovon redest du?«, antwortet sie. »Ich bin vor zehn Minuten gekommen.«
»Ich sagte, die schönste, nicht die unausstehlichste.«
Sie schnippt Kondenswasser von ihrem Glas in meine Richtung.
Ich schwöre, bei dreißig Grad sind Gin Tonics im Grunde wie Gatorade. Wir brauchen sie. Wegen der Elektrolyte. Ich leere meinen mit einem Schluck bis zur Hälfte, und wir fangen an, Neuigkeiten auszutauschen, während wir auf die chronisch verspätete Bec warten.
»Also«, beginnt Annie und wirft ihr perfekt geföhntes Haar über die Schulter, »wie fühlt es sich an, wenn man erfährt, dass die beste Freundin bald Senior Partnerin wird?« Sie ist Anwältin, macht ihr morgendliches Work-out schon, bevor ich überhaupt wach bin, und hat jede Woche einen Termin im Nagelstudio nebenan. Wenn ich erwachsen bin, möchte ich so sein wie sie.
»Hör auf!«, rufe ich. »Jetzt schon?«
»Ich bin meiner Zeit voraus, Süße.« Sie zuckt mit den Schultern und ist entzückt von sich selbst. »Ich bin einfach ziemlich clever und gut in meinem Job. Ich klettere die Karriereleiter hoch. Oh! Sollen wir Champagner bestellen? Lass uns feiern.«
»Wir sollten auf Bec warten«, sage ich ihr, denn ich würde lieber nur ein Drittel der Flasche bezahlen als die Hälfte. Schon dieses Abendessen wird mich für eine Woche auf eine Diät aus Dosenspaghetti auf Toast setzen.
»Stimmt.« Annie schaut auf ihrem Handy nach der Uhrzeit. »Also, es ist nicht offiziell oder so, aber meine Chefin, Lydia, hat es angedeutet …«
»Drei Meter groß, Wangenknochen, Furcht einflößend?«
»Sie hat mich zu diesem großen Fall hinzugezogen, der bis zum Obersten Gerichtshof gehen wird …«