Da Vincis Fälle Doppelband mit den Folgen 3 und 4 - Leonardo und das Verlies der schwarzen Reiter/Leonardo und das Rätsel des Alchimisten - Alfred Bekker - E-Book

Da Vincis Fälle Doppelband mit den Folgen 3 und 4 - Leonardo und das Verlies der schwarzen Reiter/Leonardo und das Rätsel des Alchimisten E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Band 3 und 4 der mysteriösen Abenteuer des jungen Leonardo da Vinci In dem kleinen Dorf Vinci bei Florenz, 1462: Der Alchimist Vincente will seine Farbrezeptur "Vincentes Blau" dem zehnjährigen Leonardo vererben. Wenig später ist das Testament mitsamt der Rezeptur verschwunden. Hat vielleicht der unheimliche blauhändige Reiter etwas mit der Sache zu tun? Leonardo und Carlo sind sich einig: Der geheimnisvolle Farbendieb muss auf der Stelle geschnappt werden! Inhalt: Leonardo und das Rätsel des Alchimisten Leonardo und das Verlies der schwarzen Reiter Gesamtumfang (nach den gedruckten Buchausgaben): ca. 300 Seiten Alle Teile sind auch einzeln als eBook lieferbar. Die deutschsprachigen Printausgaben erschienen 2008/2009 im Arena Taschenbuchverlag; Übersetzungen liegen auf Türkisch, Indonesisch, Dänisch und Bulgarisch vor. Neu durchgesehene Fassung

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Alfred Bekker

Da Vincis Fälle

Doppelband mit den Folgen 3 + 4

INHALT

Leonardo und das Rätsel des Alchimisten

Leonardo und das Verlies der schwarzen Reiter

Alle Teile sind auch einzeln als eBook lieferbar.

Die deutschsprachigen Printausgaben erschienen 2008/2009 im Arena Taschenbuchverlag;

Übersetzungen liegen auf Türkisch, Indonesisch, Dänisch und Bulgarisch vor.

Neu durchgesehene Fassung

© 2008, 2009 by Alfred Bekker

© 2010,2012 der Digitalausgabe AlfredBekker/CassiopeiaPress

Ein CassiopeiaPress E-Book

www.AlfredBekker.de

1. digitale Auflage 2015 Zeilenwert GmbH

ISBN 9783956174186

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Band 3 Leonardo und das Rätsel des Alchimisten

1. Kapitel:

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

Band 4 Leonardo und das Verlies der schwarzen Reiter

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

Band 3 Leonardo und das Rätsel des Alchimisten

Inhalt

1. Kapitel: Unsichtbare Tinte

2. Kapitel: Das Testament des wunderlichen Vincente

3. Kapitel: Der blauhändige Reiter

4. Kapitel: Wer war der Dieb?

5. Kapitel: Detektiv Leonardo

6. Kapitel: Auf den Spuren des Farbendiebs

7. Kapitel: Der Reiter

8. Kapitel: In der Falle

9. Kapitel: Der Überfall der Straßenbande

10. Kapitel: In der Villa Darenzio

11. Kapitel: „Haltet den Dieb!“

1. Kapitel:

Unsichtbare Tinte

Der Himmel war grau geworden. Wolken türmten sich zu dunklen Himmelsungeheuern auf und die ersten Regentropfen fielen auf den völlig ausgetrockneten Boden.

Der Reiter zügelte sein Pferd, als er den Hügelkamm erreichte und auf das Dorf Vinci hinabblickte.

Er trug einen Umhang, den er sich enger um die Schulter zog, als der Regen jetzt heftiger wurde. Die Kapuze des Mantels hatte er so tief ins Gesicht gezogen, dass man nur die Spitze seines Kinns sehen konnte. Ein Spitzbart, der an eine Ziege erinnerte, wuchs dort. Und die Hände, mit denen er die Zügel hielt, waren fast vollkommen blau.

„Vorwärts!“, murmelte der Reiter und ließ sein Pferd auf das Dorf zupreschen.

„Jetzt schaut mal alle genau her! Ein großer Augenblick ist gekommen! Der Magier und Alchimist Leonardo da Vinci wird euch jetzt eine einmalige Kostprobe seines Genies geben!“

Der zehnjährige Leonardo machte eine große, ausholende Geste und nahm dann den Federkiel zwischen Daumen-, Zeige-und Mittelfinger.

Genau in diesem Moment donnerte es von draußen dumpf. Durch das offene Fenster des Dachzimmers im Haus von Leonardos Großvater blies ein angenehm kühler Wind. Weitere Blitze zuckten und der Regen prasselte. Es war wahrscheinlich eines der letzten Sommergewitter und normalerweise saß Leonardo dann immer wie gebannt am Fenster, um die Blitze zu beobachten. Aber er hatte die Hoffnung schon so gut wie aufgegeben, dass endlich mal wieder ein Baum getroffen wurde und er mit ansehen konnte, wie er durch den Blitz gespalten wurde.

Sein Freund Carlo deutete mit dem Zeigefinger in die Höhe.

„Vielleicht hat ja jemand da oben etwas gegen deine Magie einzuwenden!“, meinte er. Schließlich hatte es ja genau in dem Moment angefangen zu donnern, in dem Leonardo die Feder aus dem Tintenfass genommen hatte, das auf der rechten Seite des Tisches stand.

„Kann ja sein, dass es sogar Schwarze Magie ist, was Leonardo da macht!“, meldete sich nun Gianna zu Wort. Sie war an diesem Nachmittag die Dritte im Bund. Eine tiefe Furche erschien mitten auf ihrer Stirn. Offenbar war sie ziemlich besorgt. Leonardo kratzte mit der Feder über ein Pergament. Allerdings war dort anschließend nicht ein einziger Buchstabe zu sehen. „Es hat weder etwas mit Weißer Magie noch mit Schwarzer Magie zu tun“, erwiderte Leonardo. „Man nutzt nur ganz einfach die Eigenschaften aus, die ein Stoff ohnehin schon von Natur aus hat!“

Carlo kratzte sich am Kopf und zuckte schließlich mit den Schultern.

„Ich sehe nichts“, bekannte er.

Leonardo konnte sich ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen.

„Kein Wunder!“, tönte er großspurig. „Dies ist ja auch unsichtbare Tinte!“

„Bei Sachen, die ich mir nur ausgedacht habe und die es in Wirklichkeit gar nicht gibt, würde ich auch immer sagen, dass sie in Wahrheit unsichtbar sind“, meinte Gianna.

„Sei still!“, sagte Leonardo.

„Das willst du wohl nicht wahr haben, was?“, stichelte Gianna.

„Nein, ich muss mich nur konzentrieren, weil ich ja nicht sehen kann, was ich schon geschrieben habe.“

Leonardo tunkte die Feder noch einmal ins Tintenfass und schrieb das nächste Wort.

„Fertig!“, stieß er dann hervor.

„Eine fantastische Handschrift!“, spottete Gianna. „Und dieser Schwung der Linien!“

Auf dem Blatt war überhaupt nichts zu sehen. Einige Stellen wirkten etwas feucht und Carlo versuchte aus der Nässe Linien, Buchstaben und Worte zu erkennen. Aber es gelang ihm nicht. Ein paar Augenblicke noch und die Flüssigkeit, die Leonardo mit seiner Feder auf das Blatt gebracht hatte, würde völlig getrocknet sein. Leonardo legte ein zweites Blatt auf die Stelle, auf die er geschrieben hatte.

„Und was soll das jetzt?“, fragte Carlo ziemlich ratlos.

„Ich will ja nicht, dass irgendetwas verschmiert“, antwortete Leonardo.

„Ist schon klar“, grinste Gianna. „Bei uns im Gasthof war mal eine Gaukler-Truppe, die dort eine Nacht verbracht hat. Einer der Gaukler führte immer etwas vor, was er Flohzirkus nannte. Dabei tat er mit seinen Bewegungen und Blicken so, als würde er dressierte Flöhe herumhüpfen lassen.“

„Und was hat das mit meiner unsichtbaren Tinte zu tun?“, fragte Leonardo.

„Das kommt mir ähnlich vor. Du machst eine Menge Zirkus um die Sache, aber ich glaube nicht, dass irgendetwas dahinter steckt!“

Der Wind blies nun ziemlich heftig durch das Dachfenster. Er wehte ein paar Blätter durcheinander auf denen Leonardo Farben ausprobiert hatte. Er hatte verschiedene Blautöne zu mischen versucht und sie nebeneinander gelegt, um herauszufinden, welche dem Himmel am ähnlichsten sahen. Jetzt waren sie mit einem Windstoß alle durcheinander geraten.

„Lass uns die Fensterläden schließen“, schlug Carlo vor. „Es regnet schon herein.“

„Dann wird es hier aber ziemlich dunkel“, wandte Gianna ein.

„Ich werde eine Kerze anzünden“, kündigte Leonardo an. „Außerdem brauche ich sowieso etwas Feuer, um die Schrift der unsichtbaren Tinte wieder sichtbar zu machen.“

„Hat dein Großvater dir nicht verboten, jemals wieder ein Feuer hier im Zimmer zu machen?“, erinnerte ihn Carlo. „Nachdem du bei einem deiner letzten Experimente fast das Haus in Brand gesteckt hast, kann man das ja wohl auch verstehen.“

„Ich mache doch kein Feuer!“, erwiderte Leonardo. „Ich zünde nur eine Kerze an – und auch mein Großvater wird wohl nicht von mir erwarten, dass ich bei geschlossenen Fensterläden im Dunkeln sitze!“

Leonardo holte aus einem Tonkrug, in dem sich allerlei Kleinigkeiten befanden, die man nicht so genau zuordnen konnte, einen Feuerstein. Nachdem er in dem Krug noch etwas herumgesucht hatte, kippte er dessen Inhalt schließlich aus. Eine eingetrocknete tote Maus war darunter, außerdem zerkratzte Brillengläser, die man aber trotzdem noch als Vergrößerungsgläser und zum Feuermachen benutzen konnte, indem man das Sonnenlicht hindurch fallen ließ. Zusätzlich waren da noch eine tote Hornisse und ein angefangenes Wespennest sowie ein paar inzwischen vertrocknete Pflanzensamen, die Leonardo eigentlich mal einpflanzen wollte. Allerdings hatte er das wohl zwischendurch vergessen. Ein Dutzend abgewetzter Bleistiftstummel kamen noch zum Vorschein. Leonardo wollte nämlich eigentlich das Blei darin einschmelzen und daraus einen neuen Stift gießen. Aber das Ganze war misslungen. Das Blei war nicht geschmolzen. Es war nur das Holz um die Bleimine herum verkohlt.

Dann war da noch ein zweiter Feuerstein, den Leonardo jetzt unbedingt brauchte. Außerdem noch etwas Zunder – ein leicht brennbarer Pilz, den man allgemein zum Feuermachen benutzte und den man mit etwas Glück im Wald fand. Leonardo war immer auf der Suche danach, denn um Zunder zu kaufen, fehlte ihm das Geld. Leonardo nahm Zunder und Feuersteine. Den Rest der Sachen tat er zurück in den Krug. In einer selbst gezimmerten Holzkiste bewahrte er Späne und gut getrocknete kleine Holzstücke auf. Die hatte er vom alten Frederico, dem Tischler des Dorfes. Damit ließ sich wunderbar Feuer machen, was Großvater ihm eigentlich streng verboten hatte. Aber Leonardo hatte die Späne trotzdem mitgenommen. Der Tischler war froh, sie loszuwerden und Leonardo hatte überlegt, dass sie sich vielleicht ja doch noch irgendwann zu irgendeinem, Zweck benutzen ließ.

Im Zweifelsfall war Leonardo immer dafür, alles aufzubewahren. Man konnte ja nie wissen … Irgendwann konnte man alles noch einmal gebrauchen!

Auf einem etwas größeren Stein, den Leonardo von draußen mitgebracht hatte, begann er dann Feuer zu machen. Der Stein gehörte eigentlich in die verfallende Umgrenzungsmauer des Dorfes Vinci. Ursprünglich war dieses Dorf nämlich mal ein römisches Kastell gewesen. Aber inzwischen wurden die Reste der verfallenden Mauer als Steinbruch benutzt. Immer, wenn man einen schönen Brocken, mit einigermaßen gerade gehauener Kante brauchte, ging man zur Mauer und holte sich, was man brauchte. Carlo und Gianna sahen Leonardo dabei zu, wie er Feuer machte, schließlich einen Holzspan zum brennen brachte und an dem die Kerze anzündete.

Jetzt konnte man die Fensterläden schließen.

Draußen prasselte der Regen immer heftiger und ein immer stärkerer Wind begann zu tosen. Die Fensterläden anderer Häuser in der Umgebung klapperten.

Innen tauchte nun das Licht der Kerze das ganze Zimmer in ein unheimliches Licht. Die Flamme flackerte, weil es durch viele Ritzen in den Fensterläden zog.

Leonardo stellte die Kerze mitten auf den Tisch. Die anderen sahen gespannt zu.

„Jetzt werdet ihr das Wunder erleben, wie unsichtbare Tinte wieder sichtbar wird!“, verkündete Leonardo feierlich. Gianna verdrehte die Augen.

„Angeber!“, meinte sie.

Aber Carlo war da anderer Ansicht. „Mal abwarten, Gianna“, meinte er. „Leonardo hat eine Menge Tricks auf Lager, von denen ich nie gedacht hätte, dass so etwas überhaupt möglich ist! Also würde ich nicht zu schnell urteilen.“

Gianna zuckte mit den Schultern und blieb skeptisch. Leonardo hielt das Blatt, auf das er mit unsichtbarer Tinte geschrieben hatte über die Flamme. „Man muss die Tinte erhitzen“, sagte er. „Dann wird die Schrift wieder sichtbar.“

Es dauerte eine Weile und tatsächlich wurden nach und nach Buchstaben erkennbar.

„Jetzt lest selbst!“, forderte Leonardo die beiden anderen auf. Er legte das Blatt auf den Tisch und strich es glatt.

„Diese Tinte war unsichtbar“, las Carlo zögernd. Er wandte sich an Gianna. „Du kannst es nicht abstreiten: Leonardo hat es wirklich geschafft!“

Gianna starrte auf die Buchstaben und schüttelte fassungslos den Kopf. „Wie hast du das hingekriegt?“, fragte sie.

„Ein Geheimrezept!“, behauptete Leonardo. „Man verwendet es an vielen Fürstenhöfen Europas. Diese Tinte nennt man auch eine sympathetische Tinte.“

„Eine was bitte?“ Carlo runzelte die Stirn.

„Der Name kommt daher, dass man damit geheime Botschaften an Menschen schicken kann, die man sympathisch findet.“

„Geheime Liebesbriefe also“, schloss Gianna.

„Genau. Aber ich nehme mal an, dass sie nicht nur für Liebesbriefe, sondern auch von Botschaftern, Spionen und Verbrechern benutzt wird! Und natürlich von jedem anderen, der ein Geheimnis aufschreiben möchte, das niemand erfahren darf.“

„Du könntest diese Tinte für deine Konstruktionspläne nehmen!“, schlug Carlo vor. „Damit keiner deine Maschinen einfach nachbaut und hinterher behauptet, dass er der Erfinder sei!“

„Daran habe ich auch schon gedacht!“, nickte Leonardo. Er verbrachte ganze Nachmittage damit, sich fantastische Maschinen auszudenken, die fliegen konnten oder auf Rädern fuhren, ohne dass sie von Pferden gezogen werden mussten. Allerdings war es schon schwierig genug für ihn, ein Wort zu schreiben, dass er nicht sehen konnte. Noch schwieriger war es, eine komplizierte Zeichnung zu erstellen, ohne zwischendurch einen Blick auf die Einzelheiten werfen zu können. Deswegen hatte Leonardo diesen Gedanken erst einmal wieder aufgegeben und baute stattdessen absichtlich kleine Fehler in seine Zeichnungen ein, damit niemand Unbefugtes die Maschinen nachbauen konnte.

„Wollt ihr das auch mal probieren?“, fragte Leonardo, nahm die Feder aus dem Tintenfass und reichte sie zuerst Gianna. Aber die schüttelte entschieden den Kopf.

„Nein“, sagte sie schaudernd. „Das riecht mir doch alles zu sehr nach Schwarzer Magie! Und am Ende werde ich dann deswegen angeklagt und man verbrennt mich auf dem Scheiterhaufen als Hexe!“

„Das ist keine Magie!“, widersprach Leonardo. „Das Geheimnis ist so einfach … Ich weiß es vom wunderlichen Vincente.“

„Meinst du den weißhaarigen Mann mit dem fleckigen Gewand, der in das alte Haus des Bauern Alessandro gezogen ist?“

„Genau den meine ich“, bestätigte Leonardo. „Ich war schon ein paar Mal bei ihm. Vincente ist Farbenmacher und fabriziert auch Tinte. Es ist sehr interessant in seiner Werkstatt. Viele Maler aus Florenz kommen dort hin, um bei ihm Farben zu bestellen …“

Carlo deutete auf die Blätter, die mit verschiedenen Blautönen angemalt worden waren.

„Man sieht es, wie sehr dich der Mann beeindruckt hat! Offenbar versucht du schon, ihm nachzueifern …“

„Und was ist jetzt das Geheimnis der unsichtbaren Tinte, wenn es angeblich keine Magie ist?“, hakte Gianna nach.

„Ich will es euch gerne verraten. Dann können wir uns in Zukunft gegenseitig Botschaften schreiben, ohne dass sie jemand anders lesen kann. Man nimmt einfach …“

Irgendwo klapperte ein Fensterladen in Untergeschoss. Deswegen hatte Leonardo zunächst nicht so sehr auf die anderen Geräusche im Haus geachtet. Aber jetzt knarrte die Treppe. Schritte waren zu hören.

„Leonardo?“, fragte eine tiefe Stimme.

„Was ist Großvater?“, rief der Junge.

Er überlegte, ob er die Kerze löschen sollte. Schließlich hatte ihm sein Großvater ja strikt verboten, Feuer zu machen. Aber dann hätten sie alle drei in einem fast stockdunklen Zimmer gesessen. Einen Moment lang zögerte er – und dann war es auch schon zu spät. Die Tür öffnete sich und Leonardos Großvater stand dort. Ein großer, breitschultriger Mann mit freundlichen Augen. Da Leonardo weder bei seinem Vater, dem Notar Ser Piero D’Antonio, noch bei seiner Mutter, der Bäuerin Catarina leben konnte, wohnte er im Haus seines Großvaters, was den Vorteil hatte, dass er dort erstens jede Menge Platz und zweitens viel Freiheit hatte.

Aber so duldsam und nachsichtig Großvater auch war – gewisse Grenzen gab es doch.

Großvater sah auf die Kerze. Noch bevor er etwas sagen konnte, gab Leonardo zu bedenken: „Wir hätten sonst im Dunkeln sitzen müssen!“

„Ihr hättet auch in die Stube im Erdgeschoss kommen können. Da brennt das Kaminfeuer!“

„Ja, schon …“

„Die Kerzen brauchen wir für den Winter, wenn die Tage kürzer werden. Allzu lang dauert das ja nicht mehr … Alles andere ist pure Verschwendung, Leonardo! Ich bin gerade dabei, das Abendessen zuzubereiten und suche den Essig …“ Sein Blick glitt durch Leonardos Zimmer. Das Kerzenlicht flackerte. Schatten tanzten an der Wand. Der Blick des Großvaters blieb an einer Flasche haften, die mit einem Korken verschlossen war. „Ah, da ist er ja!“, stellte Großvater fest, ging hin und hob die Flasche auf. „Ich hatte den Essig schon überall gesucht. Du hast doch nicht etwas dazugemischt, oder?“

„Nein.“

„Dann ist es ja gut. Macht die Kerze aus und kommt herunter, bis das Gewitter vorbei ist. Ihr seid dann auch sicherer, wenn der Blitz ins Haus einschlagen sollte!“

Großvater ging wieder die Treppe hinunter.

„Tja, eigentlich wollte ich euch ja auch mal mit der unsichtbaren Tinte schreiben lassen“, meinte Leonardo, der stirnrunzelnd mit dem Federkiel im Tintenfass herumstocherte. Da war offensichtlich nicht mehr genug drin, um damit schreiben zu können.

„Hattest du denn nur so wenig von dieser Geheimtinte?“, fragte Gianna.

Leonardo schüttelte den Kopf. „Nein, aber mein Großvater hat gerade den Rest mitgenommen.“

Gianna und Carlo wechselten einen erstaunten, ungläubigen Blick. Carlo nahm daraufhin das Tintenfass und roch daran.

„Tatsächlich!“, stieß er hervor. „Leonardo hat mit Essig geschrieben!“

„Ich sagte ja, dass es ganz einfach ist und mit Magie nichts zu tun hat“, sagte Leonardo. „Man kann Essig nehmen, aber es funktioniert auch mit Milch. Der wunderliche Vincente hat allerdings noch ein paar andere Tintenrezepte auf Lager! Bei manchen sieht man zuerst die Schrift, dann verschwindet sie nach einer Weile und wenn man sie erhitzt kommt sie wieder – aber nur für kurze Zeit.“

Von unten rief Großvater.

„Kommt ihr jetzt herunter?“, rief er.

Leonardo seufzte. „Ja, ja …“

Wenig später saßen sie in der Kaminstube des Hauses. Der Großvater hatte einen Braten über dem Feuer, während sich draußen das Wetter nach und nach beruhigte. Aber es regnete immer noch in Strömen, sodass man keinen Fuß vor die Tür setzen konnte. Eine befestigte Straße gab es in Vinci nicht und so hatten sich nun alle Wege in Schlammlöcher verwandelt, in die man mindestens bis zu den Knöcheln einsank.

Damit der Braten nicht anbrannte, drehte Großvater ihn über dem Feuer. Zwischenzeitlich stach er mal mit einer langen Gabel in das Fleisch hinein um zu testen, ob der Braten schon durch war.

„Heute Abend kommt auch dein Vater zum Essen“, sagte Großvater an Leonardo gewandt, der aus seinem Zimmer das Blatt mitgenommen hatte, auf dem er Gianna und Carlo die Wirkung der Geheimtinte gezeigt hatte. Leonardos Eltern waren nicht verheiratet. Sein Vater lebte in einem eigenen Haus am Rande von Vinci als Notar, der für die Leute der Gegend Verträge und Urkunden schrieb. Ursprünglich war Ser Piero mit seiner sehr jungen, erst 15 Jahre alten Frau dort eingezogen, während Leonardos Mutter Catarina einen Bauern geheiratet hatte. Leonardo konnte jedoch bei keinem der beiden Familien bleiben. Inzwischen war Ser Pieros junge Frau allerdings schon verstorben. Eine Krankheit hatte sie in ein paar Wochen dahingerafft und kein Arzt hatte ihr helfen können. Seit dem aß Ser Piero des Öfteren bei Großvater – wenn er nicht gerade in den Dorfgasthof ging. Denn um selbst zu kochen hatte er bei seiner vielen Arbeit keine Zeit – vor allem seit er für Cosimo de’ Medici, den mächtigsten Mann der Stadt Florenz arbeitete, zu deren Herrschaftsgebiet auch das Dorf Vinci gehörte.

„Komm, dreh du mal den Braten!“, wies der Großvater Leonardo an. Der alte Mann schien einfach zu ungeduldig zu sein. Leonardo gehorchte. Eher lustlos drehte er den Spieß. Großvater stocherte indessen in der Ofenglut herum. Ein paar kleine glühende Holzspäne wurden empor gewirbelt und schwebten weiter hinauf. Sie sahen aus wie Glühwürmchen, die schließlich verloschen.

Was trägt sie hoch?, fragte sich Leonardo. Die Wärme vielleicht?

Leonardo hielt das Blatt, auf dem er mit Geheimtinte geschrieben hatte, über die Flammen und tatsächlich wurde jenes Ende, das er nicht mit den Fingen festhielt, von der Warmluft empor getragen. Es fing Feuer, weil er zu nahe herangekommen war. Leonardo ließ das Blatt los. Die Flammen verschlangen es und ein paar brennende Schnipsel flogen durch die Luft.

„Was machst du denn da für einen Unsinn!“, schimpfte Großvater, der erst jetzt mitbekommen hatte, was Leonardo tat. „Du und das Feuer, das ist auch wirklich ein eigenes Kapitel! Kannst du nicht einfach den Braten herumdrehen, wie ich es dir gesagt habe? Schau dir das an, jetzt ist da eine angebrannte Stelle! Und Papier ist auch zu schade, um es zu verbrennen und damit irgendwelche Feuerspielchen zu veranstalten, bei denen es am Ende passieren kann, dass das ganze Haus abbrennt.“

Großvater stemmte die Arme in die Hüften und Leonardo wurde aus seinen Gedanken gerissen.

Er stammelte: „Nein, Großvater ich wollte nur …“

Großvater hob eine Hand und unterbrach ihn. „Sag jetzt besser nichts! Es ist noch gar nicht so lange her, da hast du uns beinahe das Dach über dem Kopf angezündet.“

„Das war keine Absicht!“, versicherte Leonardo. Großvater seufzte.

„Das glaube ich dir, Leonardo, aber diese Entschuldigung hätte mir mein Haus auch nicht ersetzt!“

Leonardo hörte gar nicht mehr richtig zu, denn er hatte eine Idee. Sie war so stark, dass er im Moment an gar nichts anderes denken konnte. Eine Idee, durch die man nie wieder einen Braten zu wenden brauchte …

Wenn es wirklich so war, dass die warme Luft aufstieg und dabei die Kraft hatte, ein Papier oder kleine brennende Holzstückchen zu tragen – wieso sollte sie dann nicht auch die stark genug sein, einen Braten herum zu wenden?

Diese lästige Arbeit musste doch auch von einer Maschine zu erledigen sein!

Dieser Gedanke ließ Leonardo einfach nicht los. Eine Maschine, die den Braten wendete und durch aufsteigende Warmluft angetrieben wurde. Da musste doch eigentlich etwas zu machen sein …

2. Kapitel

Das Testament des wunderlichen Vincente

Als der Regen nachließ, gingen Gianna und Carlo schließlich nach Hause.

Leonardo bemerkte kaum, dass sie gingen, denn er dachte die ganze Zeit angestrengt darüber nach, wie man eine Maschine konstruieren könnte, die einem die lästige Arbeit des Bratenwendens abnehmen konnte. Es gab im Haushalt des Großvaters nicht oft einen Braten, - aber wenn doch, dann lief es meistens darauf hinaus, dass Leonardo den Spieß drehen musste.

Doch das sollte in Zukunft dein Ende haben!

Ich hätte mir da schon längst mal eine andere Lösung überlegen müssen!, ging es dem Jungen durch den Kopf.

Später saßen Großvater und Leonardo dann gemeinsam am Tisch. Ser Piero fehlte noch.

Er verspätete sich etwas. Das Unwetter hatte auch ihn aufgehalten. Er war geschäftlich in einer der Ortschaften in der Umgebung beschäftigt gewesen und zunächst zu seinem Haus geritten, um dort die völlig durchnässten Kleider zu wechseln.

Als er dann schließlich doch mit ihnen am Tisch saß, berichtete er von seinem Tag. „Heute Morgen kam Vincente della Croce zu mir“, sagte Ser Piero.

„Du meinst den Kerl, den man auch den wunderlichen Vincente nennt“, sagte Großvater.

Ser Piero nickte.

Er wandte sich an Leonardo. „Du bist öfter mal bei ihm?“

„Er kann malen und hat mir ein paar Tricks verraten. Aber vor allem kennt er sich mit Farben und Tinten aus. Er hat mir gezeigt, wie man mit unsichtbarer Tinte schreibt …“

„Er war heute Morgen bei mir, um sein Testament zu machen“, erklärte Ser Piero. „Eigentlich hatte ich gar keine Zeit, weil ich schon zu meinem geschäftlichen Termin aufbrechen musste. Aber er sagte mir, dass das nicht länger aufschieben könnte, und er eigentlich nur einen einzigen wertvollen Besitz habe, über dessen Verbleib er verfügen wolle.“

„Das Rezept zu Vincentes Blau!“, stieß Leonardo hervor. Ser Piero sah ihn ernst an. „Wie ich sehe, weißt du Bescheid!“

Vincentes Blau war ein besonders Farb-Rezept, dessen Zusammensetzung das Geheimnis des wunderlichen Mannes war. Maler aus Florenz oder Pisa – und manchmal auch aus noch weiter entfernten Städten kamen zu Vincente, um sich von ihm dieses Blau herstellen zu lassen. Es hatte einen ganz besonderen Glanz und ließ jeden gemalten Himmel gleich viel beeindruckender erscheinen. Selbst dann, wenn der Maler gar nicht so genial war.

„Ich bin in letzter Zeit oft bei ihm gewesen“, sagte Leonardo.

„Das hat er mir erzählt“, bestätigte Ser Piero. „Du bist wohl ziemlich wissbegierig gewesen und hast ihn mit allen möglichen Fragen gelöchert.“

„Er hat mir einiges über Malerei erklärt und mir gezeigt, man Farben mischt und sie so auf die Leinwand bringt, dass sie wirklich leuchten. Dafür musste ich ihm seine Pinsel und Tongefäße säubern … Ich habe versucht, sein Blau nachzumachen, aber leider wollte er mir das Geheimnis nicht verraten.“

„Du wirst nach seinem Tod das Rezept erben“, sagte Ser Piero. „Er hat bei mir ein entsprechendes Testament aufsetzen lassen, dem ein versiegeltes Pergament beigegeben ist, auf dem er das Rezept aufgeschrieben hat.“

„Hast du es gelesen?“

„Natürlich nicht! Das wirst du eines Tages! Du allein, denn für dich ist es bestimmt!“

„Für mich?“, murmelte Leonardo erstaunt. „Warum ich?

Ser Piero zuckte mit den Schultern. „Frag nicht mich sondern ihn.“

Nach dem Essen hatte der Regen aufgehört. Ser Piero hatte es sehr eilig, weil er noch ein paar Dokumente mit der Hand kopieren musste.

Leonardo wäre natürlich auch gerne sofort aufgebrochen, um den wunderlichen Vincente näher darüber auszufragen, weshalb er ihm das Rezept vererben wollte. Aber Großvater bestand darauf, dass Leonardo ihm erst noch beim Abräumen half.

Ser Piero schwang sich inzwischen auf sein Pferd, das er so lange in Großvaters Stall gelassen hatte und ritt über den Dorfplatz. Dann nahm er den Weg am Gasthof vorbei, wo Gianna und ihre Eltern wohnten und erreichte schließlich ein das kleine Haus, in dem er gleichzeitig wohnte und sein Schreibbüro als Notar eingerichtet hatte. Ser Piero stieg vom Pferd und machte es an der Querstange vor dem Haus fest. Eigentlich hätte er es zuerst in den Stall gebracht, aber ihm fiel auf, dass die Tür einen Spalt breit offen stand. Hatte er etwa in der Eile vergessen, sie abzuschließen?

Ser Piero schob die Tür etwas an. Sie knarrte ziemlich laut. Er hätte die Scharniere schon längst mal wieder einfetten müssen!

Er trat ein.

Er sah gerade noch einen Schatten.

Dann kam eine blaue Faust sehr schnell von der Seite auf ihn zu. Sie traf ihn hart am Kopf. Alles drehte sich vor Ser Pieros Augen. Er hatte das Gefühl, den Boden unter seinen Füßen zu verlieren und zu fallen.

Sehr undeutlich und wie aus weiter Ferne hörte er Schritte. Dann wurde es schwarz vor seinen Augen.

Es dämmerte schon. Leonardo machte sich schließlich doch noch auf den Weg zu Vincentes Werkstatt, die etwas außerhalb von Vinci lag. Dass nach dem Regen alle Wege aufgeweicht waren, störte ihn nicht besonders. Er lief im Sommer und weit in den Herbst hinein sowieso barfuss - und Füße konnte man leicht waschen. Vincente bewohnte das Haus des Bauern Alessandro, der im letzten Jahr das Dorf Vinci verlassen hatte, um sein Glück anderswo zu machen. Seitdem stand das verfallene Haus leer und Vincente hatte sich einfach dort einquartiert.

Wenige hundert Schritt entfernt lagen der Bauernhof und die Töpferei, wo Leonardos Mutter mit ihrem Mann seit fünf Jahren lebte. In dieser Zeit hatte sie noch vier weitere Kinder bekommen und ein fünftes war unterwegs. Leonardo hatte es damals bedauert, dass er nicht in der neuen Familie seiner Mutter leben konnte. Aber inzwischen glaubte er, bei seinem Großvater das bessere Los gezogen zu haben. Schließlich wuchs er dort wie ein Einzelkind auf und hatte sehr viel Freiheit – und das war ganz bestimmt besser für ihn, als mit vier – bald fünf – Halbgeschwistern auf einem Bauernhof groß zu werden, wo man von klein auf mit anfassen musste. Die Tür von Vincentes Haus stand offen, als Leonardo dort ankam. Innen herrschte Halbdunkel. Ein Kaminfeuer brannte. Im Dach waren ein paar Löcher, aber anstatt es zu reparieren, hatte der wunderliche Vincente einfach ein paar Holzkübel unter die Löcher gestellt. Die waren nach dem letzten Regenguss bis zum Rand mit Wasser gefüllt. Er brauchte ständig Wasser, um irgendwelche Farben zu verdünnen. Das nahm er dann aus den Kübeln.

Ansonsten waren überall in der Werkstatt Tongefäße, Tiegel, Döschen und Holzkisten aller Art und Größe zu sehen. Darin lagerten die Zutaten für die Farbmischungen, für die Vincente bis nach Florenz berühmt war. Eine paar Leinwände hatte er auch aufgestellt. Nicht, weil er selbst ein großer Künstler gewesen wäre! Er probierte dort vielmehr seine Farbrezepte aus. Oft musste man erst abwarten, bis eine Farbe richtig getrocknet war, um sehen zu können, wie sie am Ende wirkte. Es gab auch verschiedene Steinblöcke, die bemalt worden waren. Vincente hatte sie sich von einem Fuhrmann herbeischaffen lassen. Schließlich war es ein Unterschied, ob eine Farbe auf Leinwand, auf Papier oder für eine Wandmalerei auf Stein aufgebracht werden sollte.

„Leonardo! Schön dich zu sehen“, sagte Vincente, der gerade in einem Topf über dem Feuer etwas zusammenrührte. Leonardo war sich dabei nicht sicher, ob es sich um eine Suppe oder vielleicht doch um eine Farbe handelte.

Oder vielleicht auch um etwas ganz anders …

Eigentlich war Vincente nämlich kein Maler und Farben mischte er auch nur deshalb, weil ihm die so gut abgekauft wurden. Er war Alchimist und sein Wissen über die Eigenschaften vieler Stoffe hatte er durch seine Versuche erworben, aus Dreck Gold zu machen. Einst hatte ihn der Rat der Stadt Genua deswegen angestellt. Da es Vincente aber nicht gelang, Gold herzustellen, hielt man ihn für einen Betrüger und er musste auf das Gebiet der Republik Florenz fliehen. So hatte er sich in Vinci niedergelassen.

Vincente hatte Leonardo diese Geschichte ausführlich erzählt und der Junge konnte gar nicht genug von diesen Schilderungen bekommen, denn er interessierte sich für alles, was mit fernen Ländern und Städten zu tun hatte.

„Hat dein Vater dir schon von meinem Testament erzählt?“, fragte Vincente.

Leonardo druckste etwas herum, denn er wusste, dass ein Notar eigentlich nicht über solche Dinge sprechen sollte. „Falls ja, dann hat er nichts Unrechtes getan“, fuhr Vincente fort. „Ich habe es ihm nämlich ausdrücklich erlaubt.“

„Warum?“, fragte Leonardo.

„Damit du einen Ansporn hast weiterzumalen und dein Talent zu vervollkommnen! Im Moment bist du noch nicht so weit, dass dir mein Blau überhaupt etwas nützen würde! Aber das wird in ein paar Jahren schon anders sein! Du hast wirklich Talent als Maler – ich nicht. Ich kann nur Farben zusammenmischen. Das ist meine einzige Begabung. Aber was dich angeht, solltest du sehen, dass dein Vater dich möglichst bald in einer Maler-Werkstatt anmeldet! Du bist zwar im Moment noch etwas jung …“

„Mein Vater hat sich schon in Florenz erkundigt. In ein paar Jahren habe ich eine Chance!“

„Und wenn man dieser Werkstatt dann das Rezept von ‚Vicentes Blau’ anbieten kann, würde dich jeder Meister auch dann nehmen, wenn du zwei linke Hände hättest und nicht mal wüsstest, wo beim Pinsel vorne und hinten ist!“

„Das will ich nicht“, sagte Leonardo. „Wenn ich in eine Maler-Werkstatt gehe, dann nur deshalb, weil ich gut genug bin!“

„Das ist sehr ehrenwert“, sagte Vincente. „Aber vielleicht auch dumm.“

„Wieso?“

„In einer Werkstatt für Malerei wird man doch Lehrling, um gut zu werden, nicht weil man schon gut ist. Ein gewisses Talent ist natürlich die Voraussetzung, sonst hat es gar keinen Sinn. “ Er lächelte. „Bei mir zum Beispiel hätte des wohl wenig genützt, selbst wenn ich hundert Jahre lang bei den größten Meistern in die Lehre gegangen wäre!“

„Man muss natürlich auch das Lehrgeld aufbringen können“, gab Leonardo zu bedenken. „Und gerade bei den besten Meistern kann das sehr hoch sein …“

Vincente machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Darüber würde ich mir keine Sorgen machen“, sagte er.

„Wieso nicht? Ein reicher Mann ist mein Vater nicht gerade!“

„Aber er wird es. Früher oder später jedenfalls – und da nehme ich eher früher an. Er arbeitet doch jetzt schon für den Stadtherrn von Florenz und das wird sicher bald auszahlen. Außerdem lernt er dadurch viele wichtige Leute kennen. Und nicht zu vergessen: Dein Vater ist noch jung! Der kann noch einmal heiraten! Wer weiß, die Hochzeit mit einer Tochter aus einem guten Haus in Florenz … Das könnte seinen Aufstieg beschleunigen!“

Leonardo war da weniger optimistisch. „Das hat er ja schon mal versucht!“, sagte er. „Seine letzte Frau kam ja auch aus Florenz – aber sie ist dann sehr schnell gestorben!“

„Es werden schon nicht alle florentinischen Frauen so kränklich sein, Leonardo … Jedenfalls solltest du aufhören, deine Zeit damit zu verschwenden, tote Tiere auseinander zu schneiden, um zu sehen, wie sie von innen aussehen oder diese eigenartigen Maschinen zu zeichnen, mit denen man fliegen kann … Damit verschwendest du nur deine Zeit! Mach lieber damit weiter!“ Dabei deutete er auf ein Bild, das Leonardo begonnen hatte. Anstatt einer richtigen Leinwand hatte Leonardo ein altes, löcheriges Laken über einen Holzrahmen gespannt. Das angefangene Bild zeigte das Gesicht einer lächelnden Frau. Es sollte seine Mutter sein. „Gut, die Formen stimmen noch nicht so richtig“, sagte Vincente. „Aber die Farben sind schon großartig eingesetzt. Und wenn du den Himmel machst, spendiere ich dir etwas von meinem besonderen Blau!“ Er zwinkerte Leonardo zu und tickte sich dabei mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe. „Ein Blau, dessen Geheimnis es nur an zwei Orten gibt: Hier oben in meinem Kopf und in dem Brief, den ich deinem Vater zur Aufbewahrung gegeben habe.“

„Ist es nicht ein Risiko, das Rezept aufzuschreiben?“, fragte Leonardo.

Aber Vincente zuckte nur mit den Schultern. „Natürlich ist das ein Risiko und jahrelang habe ich meine wichtigsten Rezepte alle nur im Kopf behalten, aus Angst, dass sie mir jemand stehlen könnte. Aber ich bin inzwischen alt geworden und die eine oder Krankheit plagt mich, gegen die es keine Medizin gibt, sodass …“ Vincente unterbrach seinen Satz, weil er ganz fürchterlich husten musste. Diesen Husten hatte er schon gehabt, als er nach Vinci gezogen war – und er war seitdem kein bisschen besser geworden, sondern immer nur schlimmer. Er war wohl nicht mehr heilbar. „Du hörst es ja. Es kann durchaus sein, dass ich eines Tages nicht mehr aufwache. Und es wäre doch ein Jammer, wenn man dieses wunderbare Blau, dass ich erfunden habe, nicht mehr benutzen könnte! Stell dir all die Gemälde vor, die jetzt in den Malerwerkstätten von Florenz mit meinem Blau angefangen worden sind und die vielleicht nie vollendet werden können, weil es von dieser Farbe eines Tages keinen Nachschub mehr gibt!“

„Na ja, ich denke, die würden dann ein anderes Blau nehmen“, vermutete Leonardo.

Aber dafür erntete er vom wunderlichen Vincente nur einen ärgerlichen Blick. „Das kann doch nicht dein Ernst sein, Junge!“, meinte er. „Du hast dieses Blau gesehen und weißt, wie es leuchtet!

Wie es selbst einen schlecht gemalten Himmel zum Strahlen bringt! Wie es Augen so erscheinen lässt, als würden sie einen wirklich aus dem Bild heraus ansehen! Den Unterschied sähe man doch sofort! Was glaubst du denn, weshalb die ganzen Maler wohl hier her kommen und mich auf Knien und mit ein paar Silberstücken in den Händen darum bitten, dass ich ihnen noch etwas mehr von dieser Farbe anrühre?“ Der wunderliche Vincente schüttelte energisch den Kopf und deutete dann noch einmal auf das angefangene Bild von der lächelnden Frau. „Also wirklich! Etwas mehr Stilempfinden hatte ich dir inzwischen allerdings zugetraut!“ Er zwinkerte Leonardo zu.

„Nicht, dass ich meine Erbschaft noch mal rückgängig machen muss! Einem Banausen würde ich das Rezept nämlich niemals vermachen!“

Leonardo hob die Augenbrauen. „Was ist ein Banause?“

„Jemand, der nichts von Kunst versteht und kein Empfinden dafür hat!“

Der Alchemist trat in eine Pfütze, die sich neben einem der Wasserbottiche gebildet hatte, als dieser etwas übergelaufen war. Vincente blickte zu dem darüber liegenden Loch im Dach auf und meinte schließlich: „Vielleicht sollte ich mir dafür auch noch etwas anders überlegen.“

„Es gibt hier im Dorf einen Mann, der heißt Marco. Man nennt ihn Marco den Älteren, weil es auch noch einen jüngeren Marco und einen Marco ohne Haare in Vinci gibt. Marco der Ältere kann Dächer reparieren.“

„Aber dessen Dienste sind nicht billig!“