Damion - Andrea Mertz - E-Book

Damion E-Book

Andrea Mertz

4,8

Beschreibung

Spionageaktivitäten im Inland und Ausland, geheime Kampfeinsätze, Terror- und Spionageabwehr - die Agenten der britischen Eliteeinheit Shadow Force sind immer dort im Einsatz, wo andere Einheiten versagen oder nicht weiter vorstoßen dürfen. Für CIA Agent Damion Reece ist seit dem Tod seiner Familie und seiner großen Liebe am 11. September 2001 nur noch eins geblieben. Sein Job. Doch nachdem er bei der CIA in Ungnade gefallen ist, ist das überraschende Angebot, ein Agent der britischen Eliteeinheit Shadow Force zu werden, zunächst indiskutabel. Als er jedoch mehrfach angegriffen wird und sich ein unbekannter Gegner an seine Fersen heftet, muss er nicht nur Kopf und Kragen riskieren, sondern auch lernen, der sexy verführerischen Spionin Scarlett "Buzz" Hawkins vom Team der Shadow Force, zu vertrauen.   Für Buzz ist die Shadow Force Job und Familie zugleich. Für ihr Team geht sie durchs Feuer. Nach außen hin zeigt sie der Welt ihre starke Seite, doch in ihrem Innersten wünscht sie sich eine glückliche Beziehung. Zu Damion fühlt sie sich magisch hingezogen und die Funken sprühen. Aber sie hat Angst, dass ihre schnell wachsenden Gefühle nicht erwidert werden.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 465

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,8 (18 Bewertungen)
15
3
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Damion

Shadow Force 2

Andrea Mertz

Damion – Shadow Force2

Andrea Mertz

Copyright © 2014 Sieben Verlag, 64354 Reinheim

Umschlaggestaltung: © Andrea Gunschera

ISBN-Taschenbuch: 9783864434136

ISBN-eBook-PDF: 9783864434143

ISBN-eBook-epub: 9783864434150

www.sieben-verlag.de

Für alle, die ich liebe!

“And maybe, I'll find out

A way to make it back someday

To watch you, to guide you

Through the darkest of your days

If a great wave shall fall and fall upon us all

Then I hope there's someone out there

Who can bring me back to you

If I could, then I would

I'll go wherever you will go

Way up high or down low

I'll go wherever you will go.”

(The Calling)

Inhaltsverzeichnis

1. New York, 2013

2. Ungefähr drei Monate später

3. Ajax, Ontario Kanada, 25 Kilometer von Toronto entfernt

4. New York, USA

5. Long Island, The Hamptons, USA

6. London, England

7. Hafen Gioia Tauro, Italien

Die Autorin

Tödliche Vision – SGU Teil 2 - Lisa Gibbs

Bodyguard - Spezialauftrag: Liebe - Corinna Bach

New York, 2013

Der frühe Abend war für einen späten Septembertag erstaunlich mild. Der Indian Summer zeigte sich von seiner besten Seite und zeichnete das Laub im letzten Aufbäumen vor dem Zerfall in einem rötlich gelben Farbenrausch.

Auf den Bänken im Park saßen noch immer Dutzende New Yorker. Einige aßen italienisches Eis aus einer Gelateria in der Nähe, andereBurger von Wimpy’s, manche lasen Zeitung, hielten ein Pläuschchen und genossen die letzten Sonnenstrahlen. Zwei kleine Mädchen fütterten verbotenerweise die Tauben, die in Massen in den blauen Himmel stoben, sobald man ihnen zu nahe kam. Nur wenige Kinder tollten noch auf dem ovalen Wiesenstück, das von bunten Blumen umrahmt wurde, beobachtet von ihren Müttern. Ein beinahe idyllischer Ort direkt in der City. Eine grüne Oase, dem steinernen, stinkenden Moloch abgetrotzt. Bald würde sich jedoch die Dunkelheit wie ein dicker, erstickender Mantel über die Stadt legen. Dann würde es auch hier nicht mehr sicher sein. Denn mit der Nacht war die Stunde derer gekommen, die gewohnheitsmäßig das helle Tageslicht mieden. Die Kriminellen, die Banden, die Junkies, die Obdachlosen, dazu einige Party- und Müßiggänger. Damion Reece selbst fühlte sich seit Jahren der Dunkelheit verbunden. Licht und Farben hatten ihren Reiz verloren, vermischten sich zu einem tristen Einheitsgrau. Er hasste diese Stadt. Nicht erst seit heute. Sie machte weiter, als sei nichts geschehen. Er aber konnte und würde nicht vergessen. Damals war er gestorben und neu geboren worden. Als der, der er heute war. Aber das war eine andere Geschichte, die er niemandem erzählte. Damionlehnte an einem der vielen Bäume, die sich zu einem der kleinen, vermeintlich lauschigen Stadtparks der nördlichen Bezirke gruppierten. Die Schatten wurden bereits lang. Seinen doppelten Espresso von Starbucks hatte er getrunken, während er denMann im hellen Anzug observierte, der seit einigen Minuten in der Nähe eines marmorierten Springbrunnens stand. Der immer wieder auf seine Uhr blickte und von einem Fuß auf den anderen trat. Damion wusste genau, auf wen der Typ so ungeduldig wartete. Er war Phil Dixon, seinem direkten Vorgesetzten bei der CIA, bereits eine ganze Weile gefolgt. Eventuelle Begleitpersonen hatte er dabei nicht ausmachen können. Damion musste dennoch auf der Hut sein. Bei Dixon konnte man nie wissen, was er im Schilde führte. Als die letzten Kinder endlich verschwunden waren, setzte Damion sich in Bewegung. Dixon hatte ihn noch immer nicht bemerkt. Anstatt aufzupassen und sich umzublicken, schaute er geraume Zeit in eine bestimmte Richtung. Dort unterhielten sich zwei attraktive Frauen, bekleidet mit kurzen Röcken, in High Heels und bepackt mit diversen Einkaufstüten bekannter Labels. Eine brünett, die größere blondiert. Typisch Dixon. Schon stand Damion dicht hinter dem Mann Anfang fünfzig, dessen schütteres Haar wenig vorteilhaft und schräg über den Kopf frisiert war. Dixon hatte ihn kurzfristig zu diesem friedlichen Ort beordert. Damion roch das billige Aftershave, das Dixon stets umgab. Ein Geruch, der den Gestank von Blut und Tod allerdings nicht überdecken konnte. Dieser schien direkt aus seinem Inneren, seinen übergroßen Poren zu dringen. Was für eine Beleidigung für Damions feine Nase. Ein Schwall Übelkeit überkam ihn. Der Gedanke, Dixon sofort die Hände um den Hals zu legen und zuzudrücken, bis das Leben den aufgeschwemmten Körper verlassen hatte, war nicht erst heute unglaublich verlockend. Er war selten auf einen durchtriebeneren, derart verrohten und emotional degenerierten Menschen gestoßen. Und das sollte in seinem Job etwas heißen.

„Genießen Sie die schöne Aussicht?“ Dixon wirbelte für seine Masse erstaunlich schnell herum. Er wirkte erschrocken. Ertappt. Aber nur kurz.

„Reece! Was schleichen Sie sich an wie ein verdammter Sioux-Indianer?“

Damion ging nicht auf die Frage ein. „Sie haben gelogen, Dixon.“

„Was meinen Sie?“ Dixon zupfte an seiner schlecht gebundenen Krawatte, auf der ein milchig weißer Fleck zu sehen war. Wahrscheinlich die Cremefüllung eines Donuts. Dixon liebte alles, was klebrig und fettig war. Oder zwei Beine und eineMuschi hatte.

„Den Job gestern. Es waren keine Terroristen. Nicht einer von ihnen.“ Damions betont entspannte Haltung drohte gleich zu Beginn der Unterredung in sich zusammenzubrechen. Er war noch immer stinkwütend. Diese Wut pulsierte in seinen Adern und ließ seinen Blutdruck sicherlich bedenklich ansteigen. Vielleicht hätte er anstelle von Espresso Latte macchiato bestellen sollen. Entkoffeiniert und mit fettarmer Milch.

„Es war ein Job, den Sie wie gewohnt professionell erledigt haben.“ Phil Dixon hatte sich vom Schreck schnell erholt und schien jetzt die Ruhe selbst zu sein. Das Zucken seines rechten Augenlids war jedoch verdächtig. „Einer von vielen. Das Haus galt sowieso als einsturzgefährdet und sollte geräumt werden.“

„Danke für die Blumen. Es gab keine Gegenwehr. Aber das wissen Sie ja bereits.“

Dixons Blick folgte einer vollbusigen jungen Frau und blieb auf ihrer Kehrseite kleben wie ein Kaugummi. Was er dabei dachte, war nicht schwer zu erahnen. Manchmal konnte man in ihm blättern wie in einem offenen Buch.

„Nur darum geht es, Reece. Die professionelle Erledigung des Jobs, unsere Befehle auszuführen und dabei erfolgreiche Arbeit zu leisten. Alles andere dürfen Sie getrost mir überlassen. Oder plagen Sie plötzlich Skrupel?“ Sein Lachen klang wie das Grunzen eines Yorkshire-Schweins. Diese Überheblichkeit war gezielte Provokation. Vielleicht war Damion auch etwas dünnhäutiger als sonst. Erneut rief er sich zur Ordnung, um seinen gewaltorientierten Gefühlen keinen Raum zur Entfaltung zu bieten. Heute war ein Tag, da es ihm besonders schwerfiel, nach außen hin cool und gelassen zu bleiben. Acht Menschen waren durch seine Hand gestorben. Nicht die ersten, sehr wahrscheinlich nicht die letzten. Aber die vermeintlichen Terroristen waren unschuldige Personen gewesen. Das hatte Damion allerdings erst festgestellt, nachdem er das Haus in Schutt und Asche gelegt hatte. Nachdem die Zielpersonen unter den Trümmern begraben worden waren. Der Einsatz war fehlerhaft geplant gewesen. Und nicht nur das. Gut, dass Dixon für ihr Treffen heute einen öffentlichen Park im New Yorker Norden gewählt hatte. Hier pulsierte auch zu einer späteren Tageszeit das Leben und es gab zu viele Zeugen, sollte Damion Gefahr laufen, die Kontrolle zu verlieren. Was ihm an und für sich nie passierte. Er hatte gelernt, sich im Griff zu haben. Seine Emotionen zu unterdrücken. Gefühle waren schädlich und hinderlich in seinem Job. Heute kochte es allerdings in ihm und er überlegte, ob er sich wirklich zurückhalten sollte. Und wollte. Dazu konnte er nicht ausschließen, dass Dixon seinerseits irgendwo Leute postiert hatte, die ihn wie einen Feldhasen abschießen würden, wenn er es ihnen signalisierte. Damion ließ seinen Blick schweifen, was absolut unauffällig geschehen musste. Einige Gebäude befanden sich in der Umgebung. Die Dachhöhen zweier Häuser schienen ideal als Versteck für Scharfschützen. Das Treffen fand auf Dixons Initiative hin statt und war außerplanmäßig. Damion musste mit allem rechnen und aufmerksam sein. Dabei hatte er nicht übel Lust, seinemGegenüber die Faust ins Gesicht zu schlagen oder ihm direkt eine Kugel aus seiner modifizierten Glock in den grinsenden Schädel zu jagen. Es war nichts Neues, dass er und Dixon aneinandergerieten. Seitdem der aalglatte Schnösel sein Vorgesetzter war, schienen sich die Aufträge geändert zu haben und immer fragwürdiger zu werden. Er hatte kein Problem damit, für sein Land zu kämpfen, zu töten oder getötet zu werden. Für eine gerechte und ehrenvolle Sache, zum Schutz der Nation. Aber was war ehrenvoll daran, wenn unschuldige Frauen und Kinder eliminiert wurden? Kollateralschäden nannte man sie. Verbündete von gemeingefährlichen Terrorzellen, die sich im Umfeld von Washington eingenistet hatten. Eine unverschämte Lüge! Damion wusste, sie waren nicht zum ersten Mal zu weit übers Ziel hinausgeschossen und hatten unrecht getan. Geplant, mit Vorsatz. Und Dixon wusste es auch. Es konnte nicht verborgen geblieben sein, dass Damion sich längst mit Abwanderungsgedanken trug und den Job bei der CIA am liebsten hingeschmissen hätte. Besonders nach dem letzten Einsatz. Wenn das bloß so einfach gewesen wäre. Die Firma war wie eine riesige, gierige Krake, die ihre Arme über alle Kontinente der Erde gebreitet hatte, immer bereit, zuzudrückenund nicht mehr loszulassen. Er hatte sich vor Jahren mit diesem Kraken verbündet, hatte sich zum Helfershelfer machen lassen. Zum Henker. Aber genug war genug. Vielleicht meldete sich der klägliche RestGewissen in seinem Inneren, vielleicht war es auch nur Müdigkeit und Verdruss. Aber so weitermachen? Nein, keine Chance. Bis hierher und nicht weiter.

„Ihre Informationen waren inkorrekt“, fuhr Damion fort und fixierte Dixon aus erhöhter Position. Er überragte seinen Vorgesetzten um gut einen Kopf. „Das war schlampige Arbeit. Ich werde nicht mithelfen, diese Sache zu vertuschen. Dafür werden Sie sich verantworten müssen, Dixon. Sie und Ihre speziellen Freunde.“

„Ach, Reece …“ Dixon stemmte die Hände in die Hüften und gab sich jovial. „Wir sitzen doch alle in einem Boot. Vergessen Sie nur nicht, wer der Steuermann ist.“

„Das habe ich nicht.“ Der Kerl war so widerlich abgebrüht, dass die Anschuldigung an ihm abprallte.

„Na also. Die Firma hat viel Geld in Sie investiert. Wir haben Sie ausgebildet, mit allen notwendigen Mitteln versorgt. Sie sind unser bester Problemlöser.“

„Sie meinen abgerichtet und dressiert?“ Er spürte, wie sich seine Mundwinkel minimal verzogen. Er nutzte die Begriffe, mit denen sein Chef seinen Wortschatz gern ausstaffierte.

Dixon schenkte ihm einen langen Blick. „Vielleicht auch das. Sie sind unser Produkt, Reece. Unser Eigentum.“

„Ich bezeichne es eher als Liaison auf Zeit.“

„Falsch“, korrigierte ihn Dixon sofort. „Ich rede von einer lebenslänglichen Verbindung.“

„Bis dass der Tod uns scheidet also.“

Dixon nickte. „Einmal dabei, immer dabei.“ Er machte eine wichtigtuerische Geste. „Bis zum Ende. Die Firma hat Sie damals aufgelesen, als Sie am Ende waren. Vergessen Sie das nicht.“

Ein dunkles Lachen löste sich aus Damions Kehle. Sein Chef hatte schon immer zur Theatralik geneigt. Dabei vergaß er, dass er selbst nur ein Rädchen im System war und ausgetauscht werden würde, wenn er sein Team nicht im Griff hatte. Jeder war ersetzbar. Fehler wurden bestraft. Sauber und endgültig. Die CIA brauchte daher ständig frisches Blut und verbrannte menschliches Material, wie andere Menschen das Benzin in ihren Autos.

„Meine Schulden sind längst abgearbeitet.“

„Versauen Sie es nicht durch plötzliche Menschlichkeit. Das steht Ihnen nicht, Reece. Sie sind ein zum Töten abgerichteter Killer. Und selbst nicht unsterblich.“ Dixons Stimme klang wie das Zischen einer Schlange. „Bis jetzt haben Sie vielleichtGlück gehabt, aber jede Glückssträhne endet irgendwann.“

„Sie drohen mir?“

„Ich stelle nur fest.“ Dixon maß ihn von oben bis unten, als erwarte er eine Reaktion. Diesen Gefallen tat ihm Damion nicht. Er hörte nichts, was ihn schockierte. Dazu war er zu lang dabei. Hatte zu viel gesehen und erlebt. „Die Sache gestern war nicht ganz sauber, meinetwegen …“

„Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts, Dixon. Sie haben für einen Erfolg auf dem Papier das Leben unschuldiger Menschen in Kauf genommen.“

„Manchmal muss man Opfer bringen für ein höheres Ziel. Die Sicherheit und Zufriedenheit der Nation zum Beispiel. Die Leute wollen sich keine Sorgen machen. Sie wünschen sich eine heile Welt. So ist das nun mal.“

„Selbst Ihnen dürfte es schwerfallen, diese Schweinerei zu erklären.“ Damion legte Schärfe und Überheblichkeit in seine Stimme.

„Sie glauben doch nicht, dass ich irgendetwas ohne Deckung von oben mache?“ Dieses Mal zuckte Dixons Augenlid nicht. Er fühlte sich scheinbar sicher. Zu sicher. Unwahrscheinlich, dass er allein hier war und große Töne spuckte. Letztlich war Dixon nicht nur ein Arschloch, sondern auch feige bis zu den Zehenspitzen. Erneut sondierte Damion das Terrain. Falls Dixon in Begleitung gekommen war, hatte er sich gut versteckt.

„Dann steckt Whitman mit in der Sache?“ Sollte sein Boss ruhig plaudern und auf seinem hohen Ross sitzen, solange es dauerte. Je mehr er wusste, destobesser.

„Gehen Sie ruhig weiter nach oben.“

Ja, mehr, Damion frohlockte innerlich. Dixon war die geborene Plaudertasche, wenn man an den richtigen Rädchen drehte.

„Masterson?“ Damion tat irritiert.

„Wissen Sie …“ Dixon legte ihm die Hand auf die Schultern. Damions Muskeln versteiften sich augenblicklich. „Je höher man baut, desto stabiler und breiter muss das Fundament sein. Wird das Fundament wackelig, stürzt das ganze Bauwerk wie ein verdammtes Kartenhaus zusammen. Man rüttelt nicht an den Grundsteinen. Das weiß auch Masterson. Sein Sturz wäre tief. Morsches Gebälk muss allerdings ausgetauscht werden. Auch das weiß er.“

Damion schwieg. Die Ansage war deutlich, aber nicht unerwartet. Seine Hände ballten sich in der Jackentasche zu Fäusten. Die Agenten der CIA bewegten sich in Grauzonen, tauchten immer wieder in die Dunkelheit der anderen Seite ein. Daran hatte er sich gewöhnt. Er war kein guter Mensch, kein Heilsbringer. Vielleicht war er mit dieser dunklen Seite längst verschmolzen, aber es gab kein Zurück. Es musste Leute wie ihn geben, die die Drecksarbeit machten, damit das System funktionierte. Das redete er sich wenigstens seit Jahren erfolgreich ein. Aber bislang hatte er einen Sinn in seiner Arbeit gesehen. Eine Rechtfertigung für sein Tun, obwohl er das viele vergossene Blut an seinen Händen nie würde abwaschen können. Viele Jahre lang hatte er einen Sinn in seiner Arbeit gesehen.Dixon und der ganze Verein waren ihm mittlerweile zuwider. Die größte Abscheu hegte er jedoch gegen sich selbst. Es war an der Zeit, die Sache zu beenden. Für immer.

„Die Leute wollen Erfolge sehen, Reece. Sie fordern sogar den Tod von Terroristen, Schläfern, Sympathisanten und ein hartes Durchgreifen der Regierung. Nicht erst seit dem 11. September 2001, als es hier mächtig geknallt hat.“ Er klatschte die Hände zusammen und zischte, als würde ein Kessel mit heißem Wasser explodieren. „Das wissen Sie selbst doch am besten, oder?“

In Damions Innersten zuckte etwas zusammen. Nein, an diesen Tag wollte er nicht erinnert werden. Er drängte alle plötzlich aufkommenden Bilder und Gedanken dahin zurück, wo sie ihn weder heimsuchen noch schmerzen konnten. Glücklicherweise bemerkte Dixon nicht, was seine einfachen Worte in ihm ausgelöst hatten. Der Mann war kaum zu bremsen in seinem Redefluss und bot Damion damit unbewusst die Chance, innerlich erneut abzusterben und sich zu fokussieren.

„Lesen Sie die Zeitungen, schalten Sie den Fernseher ein. Ihre Mission wird auf allen Kanälen gefeiert, macht das Land sicherer und zufriedener. So wie es sein sollte. Trinken Sie ein paar Biere auf unseren Erfolg.“

„Erfolg?“

Dixons Niveau lag niedriger, als er angenommen hatte. Der Kerl war moralisch vollkommen verkorkst.

„Aber ja, seien Sie doch nicht engstirnig. Niemand kräht diesen paar getöteten Afghanen nach, die sich in unserem Land einnisten.“

„Es waren Pakistanis“, korrigierte Damion.

„Und wenn schon.“ Dixons Wangen blähten sich abfällig.

„Frauen und Kinder waren dabei.“

„Die uns nun nicht mehr auf der Tasche liegen.“

„Ich werde auf etwas anderes trinken.“ Damion baute sich in voller Größe vor Dixon auf und lächelte auf ihn hinab.

„Auf was?“

„Unsere Scheidung natürlich.“

„Überlegen Sie sich gut, was Sie sagen.“ Dixons Gesicht verfärbte sich augenblicklich zornesrot. Vielleicht hatte er seine blutdrucksenkenden Medikamente vergessen.

„Das habe ich.“

„Das wird weder den Bossen noch unseren Freunden von Blackwater gefallen.“ Dixon schnalzte anzüglich mit der Zunge.

„Wovon ich ausgehe.“ Er war Realist genug, um zu wissen, dass die Firma ihn niemals gehen lassen würde. Nicht lebendig. Die Jungs von Blackwater, mit denen er phasenweise zusammengearbeitet hatte, waren noch übler in ihren Methoden und Ansichten. Sie hatten damals Dreierteams gebildet, kleine, kampfkräftige Elitetruppen, um die schmutzigen Dinge zu tun, die niemals bekannt werden durften. Für geheime Aufträge, die es offiziell nicht gab und die niemals zugegeben werden würden. Mit Menschen, nach denen kein einziger Hahn krähte, wenn sie plötzlich verschwanden und starben.

„Sie wissen also, was Ihr Entschluss bedeutet?“ Dixons Gesichtszüge entglitten ihm immer mehr und spiegelten jetzt seinen Hass, seine blanke Wut. Sekunden später hatte er sich wieder im Griff. Er war nicht umsonst in die Position gekommen, in der er aktuell auf bequemen Sesseln saß. Dixon war nur ein Wolf unter vielen, die in der gleichen Stimmlage heulten. Ob sich die miesen Typen bereits am Geruch erkannten?

Damion nickte bestätigend.

„Das werden Sie bereuen. Selbst Ihre außerordentlichen Fähigkeiten und speziellen Tricks werden Ihnen nicht helfen.“ Abscheu schwang in Dixons Worten. Daran war Damion gewöhnt. Aber Abschaum konnte ihn nicht beleidigen.

„Ich wusste schon immer, dass sie nicht ganz normal sind. Ein gefährlicher Psychopath.“ Dixon spuckte auf den Boden. Solcherlei Angriffe prallten an Damion ab. Die Dinge waren jetzt klar und das wirkte sogar befreiend. Sollte der kleine Dicke ruhig toben und Gift und Galle ausspeien.

„Wir werden Sie überall aufspüren. Es gibt keinen Ort, der sicher sein wird.“

„Wir werden sehen.“

„Schneller als Sie denken, Reece.“

In diesem Moment spürte Damion die unmittelbar drohende Gefahr. Seine ausgeprägten Sinne reagierten wie ein Frühwarnsystem mit bunten Lämpchen, die in seinem Gehirn Sturm leuchteten. Sein Blick registrierte eine winzige Bewegung auf einem der Dächer, die er zuvor als gefährlich eingestuft hatte. Blitzschnell machte er einen Schritt zur Seite und zog Dixon wie einen Schutzschild vor sich. Eine Sekunde später schlug ein Projektil in den Körper des Mannes ein, der unter der Wucht des Einschlags erbebte. Dixon quiekte wie ein verletztes Schwein, obwohl er nur an der Schulter erwischt worden war. Blut spritzte. Zu wenig für Damions Geschmack. Passanten schrien auf, einige stoben in Panik davon. Eine erneute Bewegung. Er positionierte Dixon neu zwischen sich und dem Scharfschützen, der ihm ans Leder wollte.

„Wir sehen uns wieder“, versprach Damion mit leiser Stimme und gönnte Dixon einen dunklen Blick, in den er seine ganze Verachtung legte.

„Ich mache dich kalt, du Bastard“, zeterte Dixon und versuchte, sich aus dem festen Griff zu befreien. Damion zog ihnenger an sich und presste seine Hände zusammen, als könne er ihn wie eine gekochte Kartoffel ausquetschen. Der Mann wimmerte jämmerlich.

„Sie sollten sich zukünftig überlegen, was Sie ausplaudern, Dixon.“ Er zeigte ihm sein Smartphone, mit dem er das Gespräch aufgezeichnet hatte. Er hatte es zusammen mit seiner Waffe in der Innentasche seiner Lederjacke verborgen gehalten, die er über einem T-Shirt trug. Dixons Gesicht verformte sich zu einer hässlichen Grimasse, die hilflose Wut, Schmerz und puren Hass zeigte. Schön sah anders aus.

„Das überlebst du nicht, Reece. Das schwöre ich!“

„Vielleicht nicht, aber wenn ich getötet werde, wird die Aufnahme in die richtigen Hände gelangen.“ Mit diesen Worten stieß er den jämmerlichen Waschlappen von sich. Nicht mal eine Falle konnte der Mann geschickt und erfolgreich aufbauen.

Damion hechtete zur Seite, rollte sich hinter eine Parkbank und lief dann, jede Deckung nutzend, weiter. Ein weiterer Schuss wurde abgegeben. Die Kugel schlug nur Zentimeter neben ihm in einen Baum ein. Seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. Der Scharfschütze hätte besser Zielwasser trinken sollen. Pures Adrenalin ließ Damions Sinne noch intensiver reagieren. Er liebte diesen Zustand. Es war wie ein extremer Rausch, in Gang gesetzt durch unmittelbare Gefahr und Unmengen von Adrenalin, das durch seinen Körper raste. Seine Haut prickelte, als würde er in perlendem Champagner baden. Heute würden sie ihn nicht erwischen. Der Anschlag war allzu plump und überstürzt ausgeführt worden. Auch das passte zu Dixon. Er hatte nachgelassen, war überheblich und unvorsichtig geworden und verweichlicht. Er selbst hätte besser gezielt und das Problem beseitigt. Mit einem einzigen Schuss. Bullseye. Das Terrain war glücklicherweise zu unübersichtlich für einen neuen Versuch des Scharfschützen, der mit seinem ersten Versuch das falsche Zielobjekt getroffen hatte. Damion rannte so schnell er konnte durch den Park, sprang mit Riesensätzen über Blumenbeete und Parkbänke. Dann lief er in eine Seitenstraße. Seine übermenschliche Schnelligkeit sowie sein Reaktionsvermögen hatten ihm nicht zum ersten Mal das Leben gerettet. Dort tauchte er gut fünfzig Meter weiter in einer Traube von lebhaft schwatzenden Touristen unter, die die Stadt besichtigten und den Ausführungen einer brünetten Reiseleiterin lauschten. Sie hatten in dem Trubel von dem kurzen Schusswechsel nichts mitbekommen. Jetzt boten sie ihm unbewusst Schutz und Deckung. Der Scharfschütze würde sich hüten, eventuelle Kollateralschäden unter harmlosen Zivilisten in Kauf zu nehmen. Nicht an diesem Ort und schon gar keine Ausländer oder Touristen. Das würde zu politischen und diplomatischen Irritationen führen. Sein eigenes Leben war von diesem Moment an allerdings keinen Cent mehr wert. Die CIA würde ihn jagen, bis er sich die Radieschen von unten ansehen konnte. Es war lediglich eine Frage der Zeit, bis sie ihn erwischen und töten würden. Es ging dabei nicht wirklich nur um die Aufnahme, die viel zu wenig Aussagekraft besaß und wahrscheinlich als manipuliert dargestellt werden würde, sollte er sie an die Presse oder andere Stellen weiterleiten. Es war jetzt eine persönliche Sache für Dixon geworden. Niemand wendete sich dazu gegen die mächtige Firma. Genauso wenig wie gegen einen sizilianischen Mafia-Clan. Nicht, wenn er lebensmüde war. Damion hastete durch eine belebte Ladenpassage, während sein Herzschlag langsam ruhiger wurde. Es war im Prinzip unwichtig, dass er sehr wahrscheinlich bald den Löffel abgeben musste. Dieser Weg war unweigerlich und eines Tages traf es fast jeden Agenten. Dafür wurden sie gut bezahlt und kannten ihr Risiko. Er war zu lang in diese Richtung gegangen, hatte bewusst oder unbewusst mögliche Abzweigungen ausgelassen. Es gab für ihn keine Aufgaben mehr, die zu erfüllen waren. Auch niemanden, der irgendwo auf ihn wartete. Wichtig war nur, dass er vorher Dixon erledigen konnte. Die Welt würde um eine fette, miese Ratte erleichtert sein. Das war er seinem Land und sich selbst schuldig. Dann würde er sogar gerne abtreten und endlich seine Ruhe haben. Ruhe und Frieden. Damion fürchtete sich nicht vor dem Tod. Man wurde verbrannt oder verscharrt und das war es. Leben und überleben als Wolf unter Wölfen war definitiv schwerer.

Ungefähr drei Monate später …

Lieutenant Colonel Frank Morgan, genannt ‚Eagle‘, lehnte sich in den bequemen Sitz des Fliegers zurück und löschte das Nachtlicht.

Seine Muskeln lockerten sich und er sank in eine entspannte Schwere, ohne die Augen zu schließen. Er wollte nicht schlafen. Zu viele Gedanken kreisten durch seine Gehirnwindungen. Frank drückte sich tiefer in den Sitz und konzentrierte sich auf seine Bauchatmung. Es hatte ganz klar Vorteile, neuer Bereichs- und Einsatzleiter der ShadowForce zu sein, wenn man,stattin einem engen Militärhelikopter zu reisen, einen feudalen Flug im Jumbojet nehmen konnte. Man wurde von attraktiven Flugbegleiterinnen bedient, die annähernd genießbare Mahlzeiten servierten, und konnte schlafen, ohne gestört zu werden. So wie ‚Buzz‘ Scarlett Hawkins neben ihm, der wenige Minuten nach dem Start in London Heathrow die Augen zugefallen waren. Kein Wunder. In den letzten Wochen und Monaten hatte es viel zu tun gegeben. Sie alle waren kaum zur Ruhe gekommen. Die Abteilung war umstrukturiert worden und einige Köpfe waren gerollt. Aber noch war nicht alles in Ordnung. Er hatte die Freigabe bekommen, die Force auszubauen. Die Aufgabe, neue Agenten zu rekrutieren. Weltweit. Sein neuer Job forderte ganzen Einsatz und Konzentration. Dann war noch ein ungeplanter Einsatz im Nahen Osten dazwischen gekommen, der glücklicherweise ohne Verluste und reibungslos verlaufen war. Das Jahresende hatte er sich anders vorgestellt, aber daran war nichts zu machen. So war sein Leben und er konnte sich kein anderes vorstellen. Buzz schnarchte leise. Irgendwie süß, wie sich ihre Nase dabei kräuselte. Süß? Das Wort kam in seinem Repertoire selten vor. Eigentlich niemals. Ihr Kopf war gegen seine Schulter gesackt und er betrachtete nachdenklich ihr schönes Gesicht, das in diesem Moment sehr weich und weiblich wirkte, von langem schwarzem Haar wie bei einem Porträt umrahmt. Im Einsatz sah es anders aus. Da zeigte sie Härte, Entschlossenheit und Engagement wie jeder gute Mann. Es war absonderlich, dass eine attraktive Frau wie sie kein echtes Begehren in ihm streuen konnte. Oder machte er sich etwas vor, weil er ihr Vorgesetzter war und sie seit Jahren eine gute Kollegin und enge Freundin? Die Begegnung mit dieser elfengleichen Kristina Balakov vor einigen Monaten hatte seine sonst so geordnete Gefühlswelt in ein heilloses Chaos gestürzt. Bis heute hatte er sich nicht davon erholt geschweige denn vergessen, was sie in ihm ausgelöst hatte. Sie spukte jeden verdammten Tag durch seinen Kopf und nachts durch seine wirren Träume. Dabei war sie eine Verbrecherin ersten Ranges und zweifellos als gefährlich einzustufen. Dennoch war sie auch weich, anschmiegsam und auf eine surreale Art und Weise betörend wie die Sünde. Er dachte an ihre sinnlichen Lippen. Ihre unvergesslichen Küsse. Die Momente, in denen sie sich geliebt hatten, hatten ihn sogar temporär die Folter vergessen lassen und all das, was sie anfangs getan hatte. Beinahe meinte er, ihren einnehmenden Duft wahrzunehmen, der sich um ihn gelegt hatte wie ein Schleier. Seine Haut überzog sich mit einem aufrüttelnden Schauder, als er an sie dachte. Frank fuhr sich mit der Hand über das angespannte Gesicht und schloss für einen kurzen Moment die Augen. An sie zu denken war Wahnsinn. Irrsinn. Das brachte alles nichts. Er war verkorkst, ganz klar. In Liebesdingen nicht zurechnungsfähig. Außerdem würde er nie schlau aus ihr werden und sie sehr wahrscheinlich niemals wiedersehen. Und ihren Bruder Zoran hoffentlich auch nicht. Aber die anfängliche Euphorie über den vermeintlichen Sieg über den Ausnahmeverbrecher Zoran Balakov und seine Männer, seine Entführer und Folterer, war verflogen. Sie hatten Balakovs Leiche damals in London nicht bergen können. Ob er es doch irgendwie geschafft hatte, das Inferno in dem Theater zu überleben? Bislang war er wenigstens nicht wieder in Erscheinung getreten und Frank hoffte, dass das so bleiben würde. Um ein Haar wären sie alle dabei draufgegangen. John ‚Raven‘ McDermott hatte sie damals gerettet und sich dabei beinahe selbst geopfert. Ein echter Teufelskerl. Seine Gedanken wanderten zurück nach England und zu seiner Familie. Seitdem seine Schwester Li vor drei Wochen den kleinen Jasper zur Welt gebracht hatte, wurde ihr Leben und das seines Schwagers sowie besten Freundes Raven schier auf den Kopf gestellt. Jasper war glücklicherweise kerngesund, ein echter Sonnenschein dazu, der allerdings über eine beachtlich laute Stimme verfügte und seine geplagten Eltern nächtelang um Schlaf und nötige Erholung brachte. Mit einem lachenden, aber auch einem weinenden Auge hatte Frank Ravens Entschluss akzeptiert, nur noch in Ausnahmefällen an direkten Kampfeinsätzen teilzunehmen und als Ausbildungsleiter der Force neue Agenten fit für ihre gefährlichen Einsätze zu machen. Nicht zuletzt Lianne zuliebe hatte Frank der Versetzung seines Freundes in diese Position zugestimmt. Die beiden waren so glücklich, dass es kaum zum aushalten war. Nichts anderes hatte er sich jedoch für Li und Raven gewünscht. Der herbe Verlust für die Kampfkraft der Truppe würde allerdings kaum zu kompensieren sein. Gerade jetzt, wo endlich Gelder flossen und Erweiterungsmaßnahmen anstanden. Diese mussten jedoch wohl gewählt sowie selektiert sein und das bedurfte Zeit und war ein Riesenaufwand. Und gerade deshalb waren er und Buzz auf dem Weg nach New York und würden von dort aus weiter nach Toronto fliegen. Dann ging es mit einem gemieteten Van weiter bis zu ihrem Bestimmungsort. Ein Freund hatte alles arrangiert. Sie reisten verdeckt, als Ehepaar auf Urlaubsreise in den USA getarnt. Ihr Vorhaben war schwierig, besser gesagt delikat. Eine Rekrutierung der besonderen Art dazu, denn die Zielperson würde höchstwahrscheinlich wenig Entgegenkommen zeigen und sie im schlimmsten Fall als Feinde ansehen. Auch der CIA oder dem FBI durften sie nicht ins Gehege kommen. Bloß nicht auffallen. Sonstwürde es für Buzz und ihn gefährlich werden. Aber wenn alles gut lief, würde er ein neues handverlesenes Teammitglied gewinnen und ein weiteres internes Problem lösen können. Frank hatte einen Tipp von seinem alten Freund Samuel Moffitt erhalten, der seit Jahren beim FBI tätig war. Offenkundig hatte die gesamte CIA zur tödlichen Hatz auf einen abtrünnigen Ex-Agenten geblasen, was auch dem FBI nicht verborgen geblieben war. Die Aktivitäten der Firma wurden vom FBI und auch vom britischen MI6 seit jeher argwöhnisch betrachtet. Aber es war nicht nur das. Der Gejagte sollte einer ihrer besten Männer gewesen sein, hochdekoriert und ein perfekter Killer mit speziellen Fähigkeiten, eiskalt und skrupellos. Letzteres konnte sich Frank nicht vorstellen, wenn er Moffitts Insider-Informationen in seine Überlegungen einfließen ließ.

Dass der Agent die CIA verlassen hatte, untergetaucht war und seinen ehemaligen Arbeitgeber schon seit Wochen narrte, dazu ein Übersinnlicher wie die Mitglieder der Force zu sein schien, machte ihn für Frank interessant. Er wusste, dass die CIA Damion Reece tot sehen wollte, auch wenn mit Sicherheit Unsummen in die Ausbildung des Spezialagenten geflossen waren. Er galt jetzt als Sicherheitsrisiko, war vogelfrei. Für die groß angelegte Jagd gab es scheinbar auch persönliche Gründe seines früheren Vorgesetzten Phil Dixon. Reece konnte sich nicht ewig verstecken. Und wenn die CIA ihn vor ihnen erwischen würde, würde es einen ungeklärten Mordfall mehr geben. Wenn überhaupt irgendwelche Spuren blieben. Die CIA war fraglos bestens aufgestellt für diese blutigen Aktionen und das klebrige Netz des Geheimdienstes zog sich enger und enger um den Verfolgten. Ein Wunder, dass sie ihn nicht längst erwischt hatten. Reece musste verdammt gut sein. Aber war er gut genug für die Shadow Force? War es möglich, ihn anzuwerben und in das Team zu integrieren?

Als ein starkes Rucken durch den Rumpf des Flugzeugs lief und die Anschnall-Lichter aufleuchteten, wurde es unruhig in der Maschine. Starke Turbulenzen warfen das schwere Flugzeug hin und her, als sei es eine Feder und Spielball der Naturgewalten. Frank wurde es flau im Magen. Mit Mühe unterdrückte er den Wunsch, sich einen Fallschirm umzuschnallen und diesen Stahlkoloss umgehend zu verlassen. Seine Hände krallten sichfest um die Kanten der Armauflagen. Nur nicht die Kontrolle verlieren und ruhig durchatmen. Ein und aus. Ein und aus. Erst Minuten später erwachte Buzz und rieb sich die Augen. Teufel auch. Sie brachte so schnell nichts aus der Ruhe. Von sich selbst konnte er das gerade nicht behaupten.

„Sind wir schon da?“ Ihre Stimme klang beinahe gelangweilt. Sie reckte sich und gähnte ausgiebig.

„Noch gut zwei Stunden“, informierte Frank sie und versuchte, ein lockeres und betont männliches Grinsen auf seinem Gesicht zu platzieren, um seine Nervosität zu überspielen. Er vermutete zu seinem Verdruss, dass das Ergebnis seiner Mimik-Korrektur eher kläglich war.

„Wo sind die Flugbegleiter? Ich habe Hunger.“ Sie tat ihm den Gefallen, seinen angeschlagenen Zustand zu ignorieren. Ihr Magen knurrte deutlich hörbar.

Er deutete auf die eingeschalteten Warnsignale. „Sie sitzen hinten. Angeschnallt.“

Sie verdrehte die Augen. „Ist doch nur etwas Schaukelei.“

„Mir reicht’s.“

„Das sehe ich. Stell dir einfach vor, du würdest auf dem Jahrmarkt in einem dieser lustigen Karussells sitzen“, schlug sie vor und zog aus ihrem Rucksack einen Schokoriegel. „Das macht Spaß.“

„In diese wackeligen Dinger kriegen mich keine zehn Pferde.“ Seine Stimme glich einem bissigen Knurren.

Buzz lachte vergnügt. „Soll ich deine kalte Hand halten? Ich meine, so als besorgte Ehefrau?“

„Nein, danke.“

Dieses kleine Biest. Während sie sich über ihn amüsierte, litt er Höllenqualen. Aber es war gut, dass sie wieder locker miteinander umgehen konnten. Nachdem ihm Li die Augen geöffnet und er verstanden hatte, was alle gesehen hatten, nur nicht er, hatte er sich mit Buzz ausgesprochen. Oder wenigstens die Fronten geklärt, wie man es auch immer nennen wollte. Auch ihr zuliebe. Und um selbst Klarheit zu erlangen. Irgendwann vielleicht. Es wäre nicht richtig gewesen, Hoffnungen zu nähren, die er vielleicht nicht erfüllen konnte. Er hatte ihr daher gesagt, dass er als Teamleiter unmöglich eine Beziehung mit einem Teammitglied eingehen konnte. Dass er ihre Freundschaft nicht gefährden wollte. Und vieles mehr. Sie hatte verstanden, was zwischen den Zeilen gestanden hatte. Natürlich hatte sie. Sie konnte mehr fühlen, als er zu sagen imstande war. Vielleicht kannte sie ihn besser, als er sich selbst. Das Gespräch hatte Buzz zuerst ganz sicher ernüchtert und sichtlich betrübt, dann Wochen später jedoch scheinbar wie eine Befreiung gewirkt und ihr letztlich Klarheit gegeben. Klarheit, die er selbst nicht gefunden hatte. Frank fragte sich seitdem immer wieder, ob er nicht eine einzigartige Gelegenheit ausgelassen hatte, eine ideale und dazu aufregende Partnerin an seiner Seite zu wissen. Eine toughe Frau, die ihn verstand, unterstützte und seinen gefährlichen Job akzeptierte. Warum war er nur so blind und begriffsstutzig gewesen? Es machte keinen Sinn, nach funkelnden Sternen greifen zu wollen, die unerreichbar waren. Er war kein idiotischer Träumer, sondern Realist. Wahrscheinlich war es sowieso anders. Er war schlichtweg nicht gut genug für Buzz. Oder beziehungsunfähig für alle Zeiten. Dennoch … Er fühlte sich wohl an ihrer Seite und in ihrer Nähe. Das hatte sich nie geändert. Sie würde immer eine wichtige Rolle in seinem Leben spielen und als enge Freundin ausgesprochen bedeutend und außerordentlich wertvoll für ihn sein. Er konnte nur hoffen, ihr immer ein ebenbürtiger Freund zu sein, auf den sie sich verlassen konnte. Ob jemals mehr daraus werden würde? Ganz sicher nicht, solange ihm Kristina im Schädel herumspukte. Im Mittelalter hätte man eine Frau wie Kristina sicherlich Hexe genannt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Sie konnte einen Mann bezirzen wie eine Sirene und ihm die Sinne rauben.

„Spucktüte?“ Buzz forschte in seinem Gesicht. Die besorgte Medizinerin in ihr kam durch. „Ich habe auch ein paar Pillen gegen Reisekrankheit.“

„Nein.“ Frank atmete tief durch, als sie in ein weiteres Luftloch fielen. „Es geht schon.“

Er hasste es, keine Kontrolle zu haben und nicht selbst am Steuer zu sitzen. Hier war er dem Können eines ihm unbekannten Piloten ausgeliefert. Manchmal ging es ihm so auf Linienflügen.

„Ich verstehe das nicht, du fliegst selbst wie ein Teufel, springst mit dem Fallschirm aus größten Höhen …“ Sie biss in ihren Schokoriegel und drückte sich vollkommen entspannt in ihren Sitz. Er verstand diese Panik selbst nicht. Vielleicht würde ihn Arbeit ablenken. Er musste auf jeden Fall Fassung und Fassade wahren. Schon um sein eigenes Ego zu streicheln und vor Buzz nicht als Weichei dazustehen. „Was sagt dir der Begriff Blackwater?“

„Soweit ich weiß, ist das der Name einer privaten Sicherheitsfirma, die nach dem al-Qaida-Angriff auf das World Trade Center vom 11. September 2001 vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush und seinem Vize Dick Cheney in großem Stil für Sicherheitsdienste eingesetzt wurde.“

Buzz war also im Bilde. Sie war nicht nur ausgesprochen klug, sondern auch wie erwartet gut informiert.

„Richtig. Aus der Firma Blackwater wurde nahezu über Nacht ein Imperium, das vom US-Steuerzahler mehr als eine Milliarde Dollar erhielt. 70 Prozent dieser Aufträge konnte Blackwater ohne reguläre Ausschreibung einstreichen. Blackwater arbeitet aktuell auch mit der Obama-Regierung zusammen. Die Firma ist derzeit für die Sicherheit aller US-Diplomaten in Afghanistan zuständig.“

„Aber es gibt doch politischen Widerstand, oder?“ Sie hatte die Stirn in leichte Falten gelegt.

„Ja, immer mehr Demokraten auf Capitol Hill fordern, diese Zusammenarbeit zu beenden. Die CIA beauftragte laut einem geheimen Memo Blackwater und deren Tochterfirmen mit dem Transport von Terrorismus-Verdächtigen aus Guantanamo zu Verhören in geheime Gefangenenlager in Pakistan, Afghanistan und Usbekistan. Das Papier identifiziert Flugbewegungen und enthüllt, wie die Flüge von der CIA getarnt wurden. Jede schmutzige Einzelheit.“

„Das ist übel.“ Buzz pfiff leise durch die Zähne. „Richtig übel.“

Frank blätterte durch die Unterlagen. „Auch bei einer anderen brisanten Aktivität der Bush-Jahre hat Blackwater den Geheimdienst unterstützt, heißt es in dem Memo. Die CIA heuerte Blackwater an, um Attentate auf Ziele in Afghanistan zu verüben. Der von Obama eingesetzte CIA-Chef Leon Panetta hatte den Parlamentariern in vertraulicher Sitzung von einem Tötungsprogramm berichtet, das vor mehr als acht Jahren gestartet wurde. Dieses Programm sollte dazu dienen, Spezialkommandos zu rekrutieren und auszubilden, die dann Attentate auf das Führungspersonal von al-Qaida verüben sollten.“

„Das ist selbst für amerikanische Verhältnisse heftig. Eine private Söldnerarmee im Dienste und Sold eines Staates, der seine Hände so gern in Unschuld wäscht. Aber was hat unser Mann damit zu tun?“

„Er war einer von ihnen.“

Buzz klappte der Mund auf. „Ich habe mich bislang immer auf dein Urteil verlassen, Frank, auf dein Gespür vertraut, aber …“

„Ich habe ein gutes Gefühl bei ihm, Scarlett. Und ich denke, jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient, oder?“

„Das schon“, warf sie ein und legte den Kopf schräg, wie sie es immer tat, wenn sie angestrengt nachdachte. „Wenn diese Person eine zweite Chancebekommen und nutzen will.“ Vielleicht dachte sie an einige der Jungs aus dem Team. Nicht alle hatten eine saubere Weste gehabt. Okay, die wenigsten von ihnen. Niemand ein einfaches Schicksal. Auch sie nicht. Doch sie hatten sich zusammengerauft und bildeten jetzt eine verschworene Einheit, in der jeder für jeden durchs Feuer gehen würde. Das machte ihn unglaublich stolz. Für ihn war es ein Privileg, dieses Team anführen zu dürfen.

„Wir müssen nur etwas an ihm arbeiten.“

„Klingt nach einem harten Stück Arbeit.“

„Daran sind wir doch gewöhnt, oder?“

Buzz lächelte. Er hätte zu gern gewusst, was ihr die ganze Zeitdurch den Kopf ging, aber sie schwieg. Frank wies auf die Akte, die auf seinem ausgeklappten Tablett lag.

„Alles brav durchlesen, bis wir in New York sind. Und lass dich nicht abschrecken, okay?“

„Okay, Chef.“

Schon nach ein paar Sekunden pfiff sie durch die Zähne und betrachtete eingehend die drei Fotos in der Mappe.

„Was ist?“

„Der Typ ist sexy.“

„Sexy?“ Eine neue Welle von Übelkeit überkam ihn, die er mit seinem Galgenhumor zu überspielen suchte. „Du meinst, in etwa so wie ich?“ Vielleicht war Damion Reece in den Augen einer Frau attraktiv, ihn interessierten jedoch allein dessen außergewöhnliche Fähigkeiten. Wobei das sicherlich seiner sexuellen Ausrichtung geschuldet war. Klar schaute er auch mal hin, wenn er eine attraktive Frau sah. Wer nicht?

„Beinahe. Man kann ein Lagerfeuer schlecht mit der flüssigen Lava des Mount St. Helens vergleichen.“ Sie schnitt ihm eine Grimasse.

„Noch so eine Antwort und du sortierst die Akten im Keller neu“, versprach er ihr mit betont ungnädiger Stimme. „Ein ganzes Jahr lang ohne Urlaub.“

„Bist du etwa … eifersüchtig?“ Buzz suchte seinen Blick.

„Quatsch. Ich will nur nicht noch ein Teammitglied an tonnenweise Endorphine, Serotonin und Adrenalin verlieren.“

Sie lachte. „Schuld an Lis und Ravens Liebe sind also die Nervenzellen, die unsere Gefühle und Emotionen beeinflussen und dabei einen Cocktail an chemischen Botenstoffen ausschütten?“

Er nickte zustimmend.

„Nur Männer können derart unromantisch sein.“

War er unromantisch? Vielleicht. Aber leider nicht unempfänglich für diese Botenstoffe. Und obwohl er sich hätte freuen sollen, dass sie die Schwärmerei für ihn offenkundig überwunden hatte, wurmte ihn ihre Antwort. Vielleicht wurde er auf seine alten Tage eitel. Oder Buzz hatte doch einen größeren Teil seines Herzens erobert, als er sich selbst zugestehen wollte. Diese miesen, winzigen Hormone brachten selbst die stärksten Männer zu Fall und machten aus ihnen zahme Bettvorleger und Staubfänger.

„Steck die Nase wieder in die Akten, verstanden?“

„Zu Befehl, Chef.“ Sie begann erneut und stutzte nach wenigen Minuten. „Er hat in Harvard studiert? Kunsthistorik, Philosophie und Politikwissenschaft? Und davor mehrere Jahre der Highschool übersprungen?“

„Korrekt. Er soll einen außerordentlich hohen IQ besitzen. Ähnlich wie du.“

Ihre Stirn legte sich in leichte Falten und sie schnaufte abfällig. „Eine erstaunliche Karriere. Dann hat er sein Talent ganz klar vergeudet.“

Das war das Letzte, was Frank von ihr bis zur Landung hörte.

Ajax, Ontario Kanada, 25 Kilometer von Toronto entfernt

Damion schlug den Kragen an seinem dunklen Wollmantel hoch und vergrub die klammen Hände in den Taschen. Seine Finger schienen sich in starre Eisstäbchen verwandelt zu haben und die Narbe in seinem Gesicht, ein Erinnerungsstück an einen Messerangriff, stach wie tausend Nadelspitzen. Es schneite heftig und die eisige Kälte kroch ihm unangenehm in die Knochen.

Obwohl es Abend war, tummelte sich eine beachtliche Anzahl Menschen auf den Straßen und in den wenigen Läden. Viele trugen Tüten mit Einkäufen oder Geschenken. Die meisten von ihnen hatten ein Lächeln auf den Lippen. Liedfetzen, Stimmen und Gelächter drangen aus allen möglichen Ecken an sein Ohr. Der Duft von frisch gebackenen Plätzchen, kandierten Früchten und Punsch war überall wahrnehmbar, tränkte die schneidend kalte Luft mit einer süßlichen Note. Augenblicklich knurrte sein Magen. Er hatte über den Tag schlichtweg vergessen, feste Nahrung zu sich zu nehmen. Nicht zum ersten Mal. Wirklichen Genuss beim Essen verspürte er schon lange nicht mehr. Nahrung erhielt seine Kräfte und war daher notwendig. Nicht mehr, nicht weniger. Eine Gruppe lärmender Teenager drängte an ihm vorbei. Rosige Wangen, strahlende Augen und unbekümmertes Geschnatter. Die Leute hier in Ajax schienen gute Laune gepachtet zu haben. Kein Wunder. Das nahende Fest warf seine mächtigen Schatten voraus. Nur noch sieben Tage bis Weihnachten. Dann spätestens würden die letzten Nachzügler in eine kollektiv friedliche, familiäre und fröhliche Stimmung verfallen und so tun, als wäre die Welt der wunderbarste Ort im Universum.

Dixons Familie, vielmehr der gut betuchte, streng katholische Zweig seiner aus Kanada stammenden Ehefrau, besaß ganz in der Nähe ein beachtliches, streng bewachtes Anwesen, auf dem die ganze Sippschaft zu Weihnachten zusammenkam. Dieser Tradition würde Dixon auch in diesem Jahr nachkommen. Das hatte Damion in Erfahrung gebracht. Dixon würde also den guten Christen, unbescholtenen Bürger und fürsorglichen Familienvater spielen. Nicht mehr lange. Damion lächelte in sich hinein. Sein Tag war erfolgreich verlaufen. Die akribischen Recherchen hatten ihn zu einem renommierten Cateringservice geführt, der unter anderem von Dixons Familie für die Festlichkeiten an den Feiertagen gebucht worden war. Reiche Menschen kochten nicht, sondern ließen arbeiten. Seine Bewerbung als Butler mit exquisit gefälschten Referenzen auf eine seit vier Tagen geschaltete Annonce war wie erwartet erfolgreich verlaufen. Zwei mögliche Konkurrenten hatte er kurzerhand aus dem Weg geräumt. Bis auf ein paar Blessuren und Kopfschmerzen würden sie bald wieder okay sein. Die Firmeninhaberin war leicht zu überzeugen gewesen. Sie hatte ihm aus der Hand gefressen und bereits nach einer halben Stunde deutliche Avancen gemacht. Wenn er wollte, wirkte er auf Frauen und ließ seinen Charme spielen. Das war sein Eintrittsticket für den nächsten Tag. Die Dame des Hauses, Dixons Ehefrau Dolores, würde ihn persönlich empfangen, um alle Details zu besprechen. Natürlich. Ihr lüsterner Blick hatte ihn von oben bis unten abgetastet. Er würde allerdings nicht die geladenen Gäste wie erwartet empfangen und zur reichhaltigen Tafel geleiten, er hatte vielmehr vor, ihren Ehemann ins Jenseits zu befördern. Wie gut, dass Neureiche durch besonders originelle Ideen und kitschigen Pomp zu beeindrucken suchten. Ein persönlicher Butler. Das passte zu Dixons gesteigertem Ego. Und wie er nun wusste, auch zu seinem wahrscheinlich vernachlässigten Eheweib. Damion überquerte die Straße und blickte sich um. Er hatte, so glaubte er, alle Verfolger abgehängt. Wenigstens für den Moment. Ganz sicher sein konnte man sichnie. Viermal hatte er in der Zwischenzeit seinen Standort gewechselt und war in andere Identitäten geschlüpft. Dreimal hatten ihn die Agenten der CIA geortet, doch ihm war jedes Mal die Flucht geglückt. Er hatte vorgesorgt, sich mit Geld, Fahrzeugen, Waffen und Munition eingedeckt, teilweise in Schließfächern über das ganze Land verteilt. Selbst verschiedene Wohnungen hatte er im Vorfeld und unter anderen Namen angemietet. Telegrafische Anweisungen waren anonym. Das kam ihm nun zugute. Besonders hartnäckig bei der Verfolgung waren die speziellen Agenten der Firma, die über besondere Fähigkeiten und Kräfte verfügten. Die Übersinnlichen. Die Spinner. Zugegeben, auch seine eigenen Sinne waren ausgeprägter als bei anderen Menschen. Dieser Vorteil war bei der Verfolgung durch Übersinnliche allerdings zum größten Teil dahin. Diese Leute setzten sich wie perfekte Bluthunde auf eine Fährte, versuchten telepathischen Kontakt herzustellen, sich in das Unterbewusstsein der Zielperson einzuklinken oder Gedankenfetzen zu orten, die ihnen die Richtung wiesen.

Er durfte nie unbedacht handeln, nie die Kontrolle über seine Gedanken verlieren und lief immer wieder Gefahr, sich zu verraten. Wenn er schlief zum Beispiel und keine Kontrolle über Unterbewusstsein und Gedankengänge besaß. Daher hatte er seine Schlafintervalle auf ein Minimum beschränkt. Der Schlafentzug über mehrere Monate nagte an seiner Kraft und seinem Willen. Einfacher wäre es gewesen, hätte er sein Ziel, Dixon zu vernichten, aufgegeben. Sich vielleicht nach Europa oder in den Nahen Osten abgesetzt. Ein Mann mit seinen Fähigkeiten fand wahrscheinlich überall schmutzige Arbeit. Je näher er den Spürhunden der CIA war, destogefährlicher war die Situation. Und er hatte sich in die Nähe der Höhle des Löwen begeben. Lange würde das nicht gutgehen. Schon bald würde er zuschlagen. Vielleicht war es das Letzte, was er tun würde. Die Warterei auf den passenden Moment war vorbei. Seine Zähne rieben so stark aufeinander, dass sie ein knirschendes Geräusch von sich gaben. Dixons Tod würde die acht pakistanischen Getöteten nicht wieder lebendig machen. Dafür hatte schließlich er selbst gesorgt, als er das Gebäude in der Nähe von Washington in die Luft gejagt hatte, in der sicheren Annahme, eine terroristische Zelle unschädlich zu machen. Unterlagen waren gefälscht worden, Auskünfte inkorrekt weitergegeben. Mit Absicht, daran gab es kein Rütteln. Damion wusste genau, dass Dixon ganz klar im Bilde gewesen war. Er hatte ihn damals aufgefordert, kurzfristig den Auftrag eines anderen Agenten zu übernehmen. Allein das hätte verdächtig genug sein müssen. Zeitdruck, seine Befehle, eine von anderen Personen vorbereitete Aktion, das waren alles schlechte Vorboten gewesen. Er hätte sich niemals darauf einlassen dürfen. Mit dieser Schuld musste er nun leben. Das alles, um einen getürkten Erfolg zu präsentieren, der sogar in der Presse gefeiert worden war. Den sensationsgeilen Medien konnten sie alles verkaufen, wenn es nur gut und plausibel verpackt war. Mit Schleife, Zuckerguss und Glitter überzogen. Scheißspiel.

Von einer blinkenden Reklame angezogen, ging er auf eine Bar zu, die in einer dunklen Seitenstraße in der Nähe des Stadtzentrums lag. In der winzigen, für einen Monat angemieteten Wohnung, eher ein Wohnklosett ohne Möbel, fiel ihm die Decke auf den Kopf. Das Warten auf die finale Konfrontation mit Dixon in der Stille machtemürbe. Etwas trinken würde nicht schaden und die Wirkung der Medikamente verstärken, mit denen er später drei Stunden Schlaf wagen würde. Die Pillen hielten die Träume fern und er hatte festgestellt, dass die Tiefschlafphasen und somit das Risiko geringer waren. Dazu würden seine Verfolger wahrscheinlich einer gelegten Fährte folgen, die sie mit viel Glück in Richtung Mexiko führen würde. Hoffentlich lange genug, bis er das erledigt hatte, was er vor seinem Ableben erledigen wollte. Dann sollten sie mit ihm machen, was sie wollten.

Dixon würde sich hinter seinen hohen Zäunen, streng bewacht von bewaffneten Soldaten, sicher fühlen. Das lag ganz in der überheblichen Natur seines ehemaligen Vorgesetzten. Der Mann fühlte sich unangreifbar und würde nicht annehmen, dass Damion vor Ort in Selbstmordmanier auftauchen würde. Selbstmord? Er stutzte und forschte seinem Gedanken nach. Nein, er war nicht lebensmüde, mit seinem Tod konnte er sich dazu nicht entschulden. Oder doch? Irgendwann würde er in die Hölle fahren für all die Menschen, die er auf dem Gewissen hatte. Nichts und niemand würde ihn vom Teufel freikaufen können, so wie früher, als sich vermeintlich gute Christen wie Dixon einen Ablass bei den Pfaffen erkaufen konnten. Die Kirche war seit jeher ein Paradebeispiel dafür, wie man aus Religion und Glauben klimpernden Kommerz schlagen konnte.

Eine kleine, goldfarbene Glocke läutete an der Tür, als er die Bar betrat. Die Luft, die ihm entgegenschlug, war abgestanden. Nur wenige Gesichter blickten ihm entgegen. Er ging grußlos bis zum Ende des Tresens, setzte sich an einen Tisch in einer der hinteren Nischen. Hier hatte er alles im Blick und fiel nicht weiter auf. Wenigstens war es warm hier und leise Musik erklang.

„Was darf’s sein?“ Die weibliche Bedienung war jung, brünett und etwas zu grell geschminkt. Ihr Pullover schmiegte sich unvorteilhaft eng um den üppigen Körper. Viele Männer würden sie dennoch anziehend finden und auf ein Bier einladen. Sie vielleicht für eine Nacht mit in ihr Bett nehmen.

„Ein großes Bier.“ Damion zwinkerte ihr zu und sie erwiderte seine kleine Aufmerksamkeit mit einem strahlenden Lächeln.

„Nichts zu essen?“ Sie lehnte sich zu ihm über den Tisch und gab den Blick auf ihr üppiges Dekolleté preis. „Wir haben Sandwiches oder Burger …“

„Nein, danke.“ Der Alkohol würde schneller wirken, wenn er nichts aß und der schmuddelige Zustand der Bar war wenig appetitanregend. Er trank sowieso selten und wenn, keine harten Sachen.

„Okay, wenn Sie noch etwas brauchen, ich heiße Ginny.“

Damion nickte nur. Endlich trollte sie sich mit wiegendem Gang, der wahrscheinlich sexy aussehen sollte. Geschmackssache.

Nach drei großen Bieren fand Damion die Bar einladender und auch die anwesenden Frauen attraktiver. Der Alkohol entspannte ihn. Er lauschte den Gesprächen dreier Männer, die am Tresen saßen und mit Ginny und ihrer Kollegin Lou Anne flirteten. Es ging hauptsächlich um Fischfang und natürlich Weihnachten. Damit hatte er nichts mehr am Hut. Es hatte einmal eine andere Zeit gegeben, eine unschuldige Zeit, in einem anderen Leben. Mit Weihnachtsbaum, Geschenken, Punsch, aufgehängten Socken, einem Mistelzweig, unter dem er geküsst worden war und eine vom anstehenden Fest fröhlich beseelte Familie. Geblieben war ein riesiger Trümmerhaufen, gespickt mit Leichenteilen. Und er. Allein. Lebendig. Wie ein Feigling. Er hätte mit ihnen sterben sollen an diesem unheiligen Tag. Das massive Glas in seinen Fingern brach entzwei und verletzte seine Hand. Sein Blut mischte sich mit dem Bier, doch er fühlte nichts. Die Erinnerung traf ihn nur kurz wie eine Riesenwelle, die verebbte und verschwand. Zurück blieben die übliche Leere und innere Abgestorbenheit.

„O mein Gott.“ Ginny eilte mit einem Tuch herbei und wickelte es ihm um die Hand. „Wie konnte das passieren?“

„Keine Ahnung.“ Es kam ihm vor, als wäre er gerade aus einem Albtraum erwacht. Er brauchte Sekunden, um wieder klar denken zu können. Diese kleinen Blackouts waren selten geworden. Aber wenn sie auftraten, trafen sie ihn wie teuflische Heimsuchungen. Wirre Fratzenmonster, die mit messerscharfen Zähnen Stücke aus seiner Seele bissen. Klar, zu wenig Schlaf, das Bier und keine Nahrungsaufnahme. Wenn er seine Gedanken in die Vergangenheit reisen ließ und nicht akribisch kontrollierte, passierte sowas. Selbst schuld. Er hatte sich heute Abend gehen lassen.

„Wir müssen irgendwo einen Verbandskasten …“

„Nicht nötig.“ Seine Stimme klang schroffer als gewollt.

„Nicht?“ Ihre Augen waren riesengroß, der Blick spiegelte Schreck und Bedauern.

„Es sieht schlimmer aus, als es ist.“ Damion zwang sich zu einem Lächeln. Die Kleine konnte nichts dafür, dass sich seine Stimmung schlagartig verschlechtert hatte. Irgendetwas war nicht mehr in Ordnung. Das fühlte er. Doch es lag weder an den lächerlichen Schnitten, der unangenehmen Erinnerung noch an den Menschen hier in der Bar. Irgendetwas kam auf ihn zu. Seine Sinne schärften sich erneut und er tastete instinktiv nach der geladenen Glock in seiner Jackentasche.

„Ich bringe Ihnen gleich ein neues Bier, das Glas hatte sicher einen Sprung, es tut mir so leid.“ Ginny plapperte weiter, sammelte mit hektischen Flecken im Gesicht die Scherben ein und wischte den Tisch sauber.

„Kein Problem“, wiegelte Damion erneut ab. „Ich war ungeschickt.“

„Muss das nicht genäht werden?“, mischte sich die blonde Lou Anne ein.