Dampfer Titanic: Eisberg voraus - Susanne Störmer - E-Book

Dampfer Titanic: Eisberg voraus E-Book

Susanne Störmer

0,0

Beschreibung

14. April 1912: Noch nie war ein Schiff dieser Größer mit dieser Geschwindigkeit mitten durch ein Eisfeld gefahren - dann kam die Titanic. Der Ausgang ist bekannt. Die Überlieferung jedoch passt in vielen Punkten nicht zu den Aussagen und Beobachtungen Überlebender. "Dampfer Titanic: Eisberg voraus" untersucht die letzten Stunden vor der Kollision hinsichtlich der Fragestellungen: - Welche Eiswarnungen waren der Schiffsführung bekannt? - Was geschah während der letzten Wache, als die Titanic mitten durch ein Seegebiet fuhr, in dem andere Schiffe zahlreiche Eisberge und Treibeis gesichtet hatten? - Was passierte beim Ausweichmanöver? - Es gibt zu den Befehlen widersprüchliche Angaben und Beobachtungen. Die Analyse basiert in erster Linie auf den Aussagen vor den Untersuchungsausschüssen aus dem Jahr 1912, als die Erinnerungen bei den Zeugen noch frisch waren. Und es gibt verblüffende Erkenntnisse, die in diesem Buch präsentiert werden.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 205

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Vorwort von Günter Bäbler

Vorwort von Malte Fiebing-Petersen

Vorwort zur 2. Auflage

Kapitän, Offiziere und Mannschaft

Die Untersuchungsausschüsse

Glossar

Einleitung

Die Eiswarnungen

Die letzte Wache

Das Ausweichmanöver

Zusammenfassung

Der Rest der Geschichte

Wie spät war es?

Lightollers Geheimnis

Nachwort

Quellenangabe

Am 20. April 1912 passierte der deutsche Dampfer Bremen die Unglücksstelle. Am Horizont ist ein Eisberg zu erkennen. (Sammlung Henning Pfeiffer)

Vorwort von Günter Bäbler

Die wenigen Titanic-Bücher, die in den letzten Jahren auf dem deutschen Buchmarkt erschienen, waren fast ausnahmslos angepasst und beinhalteten wenige oder keine brauchbaren, neuen Informationen. Nun macht Susanne Störmer ein Kapitel der Titanic-Geschichte für die Leser in unserem Sprachraum zugänglich, das noch nie in dieser Form publiziert wurde. Der Inhalt dieses Buches ist Titanic-Forschung pur auf höchstem Niveau – und somit ein Muss für alle, die sich ernsthaft mit dem Thema auseinander setzen.

Susanne Störmer hat den Mut, konsequente Fragen zu stellen. Und vor allem denkt sie weiter, als es die Geschichte der Titanic bis heute hergab. Seit ich Störmer 1993 kennen lernte, fordert sie mich immer wieder zum Weiterdenken auf. Von diesen Auseinandersetzungen zeugen hunderte E-Mails, Briefe und Erinnerungen an Diskussionen. Dieses Buch ermöglicht dem Leser, an diesen Diskussionen teilzuhaben und dabei die Faszination eines alten Themas neu zu entdecken und weiter zu führen.

Titanic-Interessierte, die nicht bereit sind die „offizielle“ Darstellung der Ereignisse jener meistbeschriebenen Nacht der Seefahrt selber zu überdenken, die sollen sich spätestens an dieser Stelle gegen diese Lektüre entscheiden. Wer jetzt weiter liest, begibt sich nicht auf die Suche nach einer Verschwörung, sondern auf die Suche nach der eigentlichen Wahrheit.

Mit spitzem Skalpell seziert Störmer die Aussagen der wichtigsten Protagonisten. Sie fragt, warum sich Zeugen plötzlich selber widersprechen oder gar belasten? Mir stellte sich beim Lesen unweigerlich die Frage, ob und – wenn ja – warum gewisse Aussagen den Eindruck erwecken, manipuliert zu sein? Wer hatte 1912 ein Interesse die Wahrheit zu vertuschen? Gab es Absprachen unter den Überlebenden? Wurden einige Zeugen dabei vergessen? Störmer überlässt dem Leser die Entscheidung. Sie arbeitet strikt nach Quellen und für eine Manipulation der Aussagen gibt es natürlich keine Beweise mehr.

Viele Zeugenaussagen werden in diesem Buch neu geordnet und sorgfältig aufbereitet. Bald entdeckt der Leser, welche augenfälligen Widersprüche die Titanic-Geschichte belasten. Einen kompetenten Zeugen einem ranghohen (zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht anwesendem) vorzuziehen ist eigentlich selbstverständlich. Umso kurioser ist, dass die heute bekannte Titanic-Geschichte in einer aufgeklärten Welt Bestand haben kann. Bisher.

Anfänglich versuchte ich, Susanne Störmer zu bewegen, plausible „Lösungen“ zu präsentieren und den Leser nicht mit den Lösungsansätzen alleine zu lassen. Inzwischen sehe ich ein, dass der Leser dieses Buches spätestens nach dieser ebenso aufschlussreichen wie spannenden Lektüre die Kompetenz haben wird zu eigenen, richtigeren Schlüssen zu gelangen.

In diesem Sinne wünsche ich gutes Weiterlesen – und vor allem Weiterdenken.

Günter Bäbler

Präsident Titanic-Verein Schweiz

Vorwort von Malte Fiebing-Petersen

"Die Erde ist eine Scheibe" – Jahrtausende lang hatte die Menschheit keinen Grund, an dieser Tatsache zu zweifeln. Und doch war sie falsch. Immer wieder in seiner Geschichte beschreitet der Mensch Pfade, die vor ihm schon viele erkundet haben und dann gegangen sind – ohne darüber nachzudenken, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist.

Das ist auch bei der Geschichte des berühmtesten Schiffes der Welt nicht anders. Seit jeher hat es in der Menschheitsgeschichte Katastrophen gegeben. Jedoch sind diese immer besonders interessant und der Forschung wert, wenn eine Verkettung von unglücklichen Umständen und vielen unbeantworteten Fragen Ereignisse solchen Ausmaßes begleitet haben. Hier liegen Verdacht technischen und Spekulation menschlichen Versagens ausgesprochen dicht beieinander. Und genau dieses Zusammenspiel lässt Theorien zu vermeintlich unumgänglichen Fakten werden.

Jahrzehntelang stand es scheinbar fest, was sich in jener berühmt gewordenen Nacht weit auf dem Nordatlantik im April 1912 auf der Brücke der Titanic abgespielt hat.

Susanne Störmer hat die bislang erforschten Tatsachen in Frage gestellt. Damit ist sie eine Pionierin auf dem Weg zu einer neuen Wahrheit des Titanic-Unterganges. Dies bewies sie eindrucksvoll an einem Vortragsabend im Juli 2007 in der Kieler Ostseehalle im Rahmen der Ausstellung „Titanic: Einladung zu einer Zeitreise“. Erstmalig offenbarte Störmer dem Publikum, was sich ihrer Meinung nach wirklich auf der Brücke der Titanic abgespielt haben muss, als diese auf ein gefährliches Eisfeld zusteuerte.

Mit diesem Buch macht Susanne Störmer die umfassenden Ergebnisse ihrer neusten Forschungen nun einem noch breiterem Publikum zugänglich und beweist, dass die bisherigen Forschungsergebnisse revidiert werden müssen.

Störmers neustes Werk erscheint mit dem zehnjährigen Vereinsjubiläum des von ihr mitbegründeten „Titanic Informations Center Deutschland e.V.“ (2013 in Deutscher Titanic-Verein von 1997 e. V. umbenannt) Auch 95 Jahre nach dem Untergang des White Star Liners sind wieder neue Fakten und damit neue Ergebnisse an die Oberfläche eines (tragischen)Weltereignisses gefördert worden. Und das sind nicht nur für Titanic-Vereine und Titanic-Interessierte weltweit ebenso spannende wie bereichernde Tatsachen!

Malte Fiebing-Petersen

Vorsitzender Deutscher Titanic-Verein von 1997 e. V.

Wissenschaftlicher Berater von

„Titanic: Einladung zu einer Zeitreise“ (Ostseehalle Kiel, 16.06.-12.08.2007)

„Titanic Die Ausstellung. Echte Funde. Wahre Schicksale“ (Historisches Museum der Pfalz, Speyer, 21. Dezember 2014 – 26. Juli 2015 und Tabakfabrik Linz, 24. März – 3. Juli 2016)

Vorwort zur 2. Auflage

Seit dem ersten Erscheinen dieses Buches im Jahr 2007 konnten durch die internationale Titanic-Forschung einige der damals noch offenen Fragen geklärt werden. So wurde z. B. der Zeitunterschied zwischen Schiffszeit Titanic und Greenwich-Zeit von diversen Titanic-Forschern nachvollziehbar ermittelt. Und auch hinsichtlich der Geschwindigkeit der Titanic in den Stunden vor der Kollision gibt es transparente Berechnungen. Beide Aspekte sind wiederum wichtig für die in diesem Buch durchgeführten Untersuchungen, so dass mir allein schon deswegen eine Neuauflage unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse sinnvoll erschien.

Eine weitere Erkenntnis ist, dass die wesentlichen Inhalte von „Eisberg voraus“ immer noch aktuell sind. Die Widersprüche der Aussagen von 1912 zur scheinbar festgeschriebenen Geschichte bestehen fort und konnten auch 2012, als anlässlich des 100. Jahrestags des Untergangs der Titanic viele Publikationen erschienen, nicht aufgelöst werden.

Eine interessante Veröffentlichung gab es im Jahr 2010, als Louise Patten, Enkelin von Charles Herbert Lightoller, 2. Offizier der Titanic und ranghöchster Überlebender, ein Familiengeheimnis in ihrem Roman „Good as Gold“ publik machte. In „Good as Gold“ liefert Patten zudem eine Begründung für die Aussagen überlebender Besatzungsmitglieder vor den Untersuchungsausschüssen, die nicht zu dem passen, was andere Überlebende berichtet haben: Laut Lightollers Ehefrau wurde dem 2. Offizier bereits auf der Carpathia durch Joseph Bruce Ismay, Generaldirektor der White Star Line, klar gemacht, dass es um das Überleben der Reederei und damit auch um Lightollers Arbeitsplatz ging. Dementsprechend wurden die Aussagen vor den Untersuchungsausschüssen gestaltet. Pattens Großmutter. Lightollers Ehefrau, hatte laut Patten wiederholt betont, dass es letztendlich eine Versicherungsfrage gewesen sei: Wäre der Untergang der Titanic auf Fahrlässigkeit zurückgeführt worden, hätte die Reederei haften müssen. Das wäre ihr Ruin gewesen. Lightoller, der eine Familie zu ernähren hatte, spielte das Spiel mit, da er es für seine Pflicht hielt, Schaden von seinem Arbeitgeber abzuhalten, auch wenn das zu Lasten von Kameraden ging, die ihr Leben verloren hatten und deswegen nicht mehr für sich selbst sprechen konnten. Das Familiengeheimnis der Lightollers wird in einem neu eingefügten Kapitel näher betrachtet.

Auch die überarbeitete und erweiterte Neuauflage basiert in erster Linie auf den Zeugenaussagen vor den Untersuchungsausschüssen von 1912. Wer diese Aussagen nachlesen möchte, findet sie im Internet unter der URL www.titanicinquiry.org. Für eigene Recherchen sowie Nachprüfung meiner Schlussfolgerungen weise ich auf die Quellenangabe in diesem Buch hin.

Ergänzende Informationen zu diesem Buch werden im Internet unter www.titanicfiles.de bereitgestellt.

Wie schon 2007 verzichte ich darauf, über die Gründe für die Unterschiede zwischen der bekannten Darstellung und den Aussagen zu spekulieren. Ich vertraue nicht nur in diesem Punkt auf die Fähigkeiten der Leserschaft, eigene Schlüsse zu ziehen und sich mit den angebotenen sowie möglicherweise an anderer Stelle selbst eingeholten Informationen ein eigenes Urteil zu bilden.

Susanne Störmer

Die Titanic verlässt Belfast am 2. April 1912. (Sammlung Susanne Störmer)

Kapitän, Offiziere und Mannschaft

Eine Aufstellung der Personen, die häufiger genannt werden.

Namen in kursiver Schrift: Person gehört zu den Opfern.

Kapitän und Offiziere (nach Rang)

NameRangAltervorheriges SchiffSmith, Edward JohnKapitän62OlympicWilde, Henry TingleChief Officer39OlympicMurdoch, William McMaster1. Offizier39OlympicLightoller, Charles Herbert2. Offizier38OceanicPitman, Herbert John3. Offizier34OceanicBoxhall, Joseph Groves4. Offizier28ArabicLowe, Harold Godfrey5. Offizier29BelgicMoody, James Paul6. Offizier24Oceanic

Mannschaft (alphabetisch)

NameRangAltervorheriges SchiffBride, Harold SidneyFunker22AnselmFleet, FrederickAusguck24OceanicHichens, RobertQuartermaster30DongolaLee, Reginald R.Ausguck42OlympicPhillips, John GeorgeFunker25OceanicOlliver, AlfredQuartermaster27Olympic

Die Untersuchungsausschüsse

Nach dem Untergang der Titanic gab es zwei Untersuchungsausschüsse – einen in den USA, initiiert durch den US-Senat, und einen in Großbritannien, ausgelöst durch das britische Handelsministerium. Da die Titanic in Liverpool (England) registriert war, war die Untersuchung des Untergangs in Großbritannien zu erwarten gewesen. Überraschender war der Untersuchungsausschuss in den USA, wo die Zeugen britischer Nationalität unter Strafandrohung vorgeladen wurden, um ihre Aussagen vor dem Ausschuss zu machen.

Der amerikanische Untersuchungsausschuss begann am 19. April 1912 mit seinen Anhörungen; einen Tag nachdem die Überlebenden New York erreicht hatten. Der Abschlussbericht wurde am 28. Mai 1912 dem Senat vorgestellt. Dazwischen lagen 18 Verhandlungstage.

Der britische Untersuchungsausschuss tagte an 36 Tagen zwischen dem 2. Mai und dem 3. Juli 1912, der Abschlussbericht wurde am 30. Juli 1912 veröffentlicht.

In den USA waren es Politiker aus unterschiedlichen Fachgebieten, die die Fragen stellten, in Großbritannien hatte der Wreck Commissioner Fachleute um sich geschart. Juristen, die Interessengruppen vertraten, konnten, wenn sie vom Wreck Commissioner zugelassen worden waren, die Zeugen ins Kreuzverhör nehmen, so dass die Überlebenden von verschiedensten Personen befragt wurden. Erwähnt werden in diesem Buch:

Amerikanischer Untersuchungsausschuss:

Burton, Senator Theodore

Mitglied

Fletcher, Senator Duncan

Mitglied

Smith, Senator William Alden

Vorsitzender

Britischer Untersuchungsausschuss:

Attorney-General

Sir Rufus Isaacs

Interessenvertreter

- der White Star Line

Sir Robert Finlay

- der Gewerkschaft der Seemänner

und Heizer

Thomas Scanlan

Solicitor-General

Sir John Simon

Wreck Commissioner

Lord Mersey

Glossar
Generelle Anmerkungen

Alle erwähnten Zeiten sind, sofern nicht anders gekennzeichnet, Schiffszeit Titanic.

*

Die Abkürzung "US" steht für den Untersuchungsausschuss des amerikanischen Senats zum Untergang der Titanic.

*

Die Abkürzung "GB" steht für die Untersuchung des Untergangs der Titanic durch das britische Handelsministerium.

*

Die Protokolle der beiden Untersuchungsausschüsse sind zu finden in Public Record Office (1999) sowie im Internet unter der URL www.titanicinquiry.org

*

Ich habe die Aussagen und Zitate aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. Diese Übersetzungen haben keine gesonderte Kennzeichnung. Der Quellenverweis bezieht sich auf das Original, das der Quellenangabe zu entnehmen ist.

*

Eine Skizze mit dem Kurs der letzten Stunden der Titanic sowie den Eiswarnungen des 14. April 1912 befindet sich auf der letzten Seite.

Datenblatt RMS Titanic:

Reederei:

White Star Line, Liverpool

Werft:

Harland & Wolff, Belfast

Kiellegung:

22. März 1909

1

Stapellauf:

31. Mai 1911

Jungfernfahrt:

10. April 1912

Untergang:

15. April 1912

Länge über alles:

269m

Rauminhalt:

46.329 BRT

Reisegeschwindigkeit

21 Knoten

Höchstgeschwindigkeit

nie erreicht, geschätzt auf bis 24 Knoten

Kapazität

1. Klasse: 787; 2. Klasse: 676;

3. Klasse: 1008; Besatzung: mind. 885

Die Titanic verlässt Southampton am 10. April 1912. (Sammlung Susanne Störmer)

1 Datum lt. Baubuch der Werft Harland & Wolff, das im Public Record Office of Northern Ireland (PRONI) in Belfast einsehbar ist. Die entsprechende Seite wurde vom Deutschen Titanic-Verein in der Ausgabe Nr. 81 der Vereinszeitschrift Der Navigator, S. 23, veröffentlicht.

Einleitung

Die Planungen für den Bau der Schiffe, die als "olympische Klasse" bekannt werden sollten, müssen schon etwa 1902/03 begonnen haben2. Im Juni 1911 brach dann die Olympic zu ihrer Jungfernfahrt auf und erfreute sich schnell großer Beliebtheit3. Eigentlich hätte das zweite Schiff dieser Baureihe bereits Ende 1911 den Atlantik-Dienst der White Star Line verstärken sollen, doch aus bisher unbekannten Gründen verzögerte sich die Fertigstellung der Titanic bis zum April 19124.

Die Titanic legte am 10. April 1912 mittags aus dem englischen Southampton ab und erreichte am gleichen Abend Cherbourg in Frankreich, wo sie weitere Passagiere und Fracht übernahm. Von dort aus nahm die Titanic Kurs auf Queenstown in Irland, wo erneut Passagiere und Post an Bord genommen wurden und sich damit insgesamt 22085 Menschen an Bord befanden, die mit ihr den Atlantik überqueren wollten oder mussten.

Auf dem für die Jahreszeit üblichen Südkurs fuhr die Titanic in Richtung New York, und die Passagiere konnten einige Tage das Bordleben genießen, während für die Besatzung die Seeroutine eines Passagierschiffes den Tagesablauf bestimmte. Auch wenn das Schiff neu war: Viele der Crew waren "alte Hasen" und konnten zum Teil auf jahrelange Erfahrung auf dieser Route zurückblicken, wenn auch nicht auf Schiffen dieser Größe. – Häufig dargestellt aber aufgrund der Quellenlage fraglich ist, ob der Reeder Joseph Bruce Ismay den Kapitän der Titanic unter Druck setzte, New York bereits am Dienstag zu erreichen6.

Das Blaue Band war für die Titanic von Anfang an unerreichbar, denn die Titanic war als Luxusdampfer konzipiert worden. Im Vergleich zu den beiden rund 32.000 BRT großen Schnelldampfern Lusitania und Mauretania, die die damals schnellsten Schiffe der Welt waren und auf eine Maschinenleistung von 70.000 PS zurückgreifen konnten, verfügte die Titanic über 46.329 BRT und 46.000 PS7, war also größer bei schwächerer Maschinenleistung.

Der 14. April 1912 war ein Sonntag. Statt des täglichen Inspektionsganges des Kapitäns gab es einen Gottesdienst. Die eigentlich vorgesehene Übung mit den Rettungsbooten wurde abgesagt, die Gründe dafür sind bis heute unklar. Allerdings ist es fraglich, wie diese Übung ausgesehen hätte: Hätte man nur die Boote ausgeschwungen? Wären auch noch Mannschaften und womöglich Passagiere hinein geklettert? Hätte man das Schiff abgestoppt, um die Boote fieren und wieder einsammeln zu können? – So dampfte die Titanic weiter nach Westen, dem Eis entgegen, das auf ihrem Kurs lag.

Die Olympic erreichte New York erstmals am 21. Juni 1911. Im Hintergrund erkennt man die auslaufende Lusitania der Cunard Line, damals das weltweit zweitschnellste Schiff nach der Mauretania und das drittgrößte Schiff nach der Olympic und der Mauretania . (Library of Congress)

2 Bäbler (2000)

3 Chirnside (2004)

4 Bäbler (2005)

5 Unter anderem:. Hermann Söldner (2000), RMS Titanic. Passenger and Crew List (10 April 1912 – 15 April 1912), Rüti: ä wie Ärger Verlag; Halpern (2011); Fitch et al (2012)

6 Linnecker (2004)

7 PS-Zahl lt. Halpern (2011)

Die Eiswarnungen

Einige Eiswarnungen von anderen Schiffen erreichten die Titanic während ihrer Jungfernfahrt, so auch am 14. April 1912. Am Ende des Tages kollidierte die Titanic mit einem Eisberg, womit ihre erste Fahrt vorzeitig und tragisch endete.

Die Eiswarnungen des 14. April 1912 sind von besonderem Interesse, weil zwei von ihnen Flächen bedeckt mit Eis meldeten, durch die der geplante Kurs der Titanic führen würde; drei andere berichteten von Eis oder Eisbergen nördlich vom und relativ nahe am Kurs. Eine Meldung berichtete von Eisbergen südlich vom Kurs der Titanic. Wussten Kapitän und Offiziere, auf was sie zu steuerten? Oder wurden sie von der Gefahr überrascht?

Die dienstälteren Offiziere waren Chief Officer, 1. und 2. Offizier, die während ihrer jeweiligen Wache das Kommando auf der Brücke hatten, wenn der Kapitän sich nicht auf der Brücke befand. Die eigenverantwortliche Schiffsführung geschah selbstverständlich unter den Anweisungen des Kapitäns, die dieser hinterlassen hatte und die bei Wachübergabe weiter gegeben wurden. Die Interpretation der Anweisungen oblag dem jeweiligen dienstälteren Offizier der Wache.

Die dienstjüngeren Offiziere waren 3., 4., 5. und 6. Offizier, von denen der 3. und 5. Offizier ein Wachduo bildeten und der 4. und 6. Offizier das andere Paar. Die dienstjüngeren Offiziere unterstanden dem dienstälteren Offizier.

Zum Thema Offiziere ist auch noch wichtig zu wissen, dass die dienstälteren Offiziere im Drei-Wachen-System arbeiteten, d. h. vier Stunden Wache und acht Stunden Freiwache, während die dienstjüngeren Offiziere wie auch die Seeleute Wache um Wache gingen, d. h. vier Stunden Wache, vier Stunden Freiwache sowie die so genannte Hundewache am Nachmittag, die auf englischen Schiffen zwei Stunden je Hundewache dauerte.

Interessant ist zudem, dass die dienstälteren Offiziere bei der White Star Line einen anderen Wachrhythmus als auf anderen Schiffen üblich gingen – sie lösten sich bei vier Glasen ab, also um 2 Uhr, 6 Uhr, 10 Uhr, 14 Uhr, 18 Uhr und 22 Uhr, wobei der Chief Officer die Wache von 2 Uhr bis 6 Uhr und von 14 Uhr bis 18 Uhr, der 1. Offizier die Wache von 10 Uhr bis 14 Uhr und von 22 Uhr bis 2 Uhr sowie der 2. Offizier die Wache von 6 Uhr bis 10 Uhr und von 18 Uhr bis 22 Uhr hatte.

Diese Fragen spielten auch vor den Untersuchungsausschüssen eine wichtige Rolle. Denn es machte zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung einen Unterschied, ob man auf der Titanic ahnungslos ins Verderben gefahren oder bei voller Kenntnis der Lage mit unverändertem Kurs und voller Kraft voraus durch die Eisregion gejagt war. Hier war der 2. Offizier Lightoller als ranghöchster überlebender Offizier ein wichtiger Zeuge. Allerdings sind seine Aussagen nicht immer völlig unproblematisch und widerspruchsfrei, wie folgendes Beispiel zeigt:

Vor dem britischen Untersuchungsausschuss berichtete Lightoller, dass er dem 6. Offizier Moody den Auftrag gegeben hatte auszurechnen, wann die Titanic das Eis erreicht haben würde, als der 2. Offizier die Wache am 14. April um 18 Uhr übernahm8. Eine Stunde später überbrachte Moody ihm das Ergebnis, doch Lightoller war damit nicht zufrieden: Moody war zu dem Schluss gekommen, dass das Eis gegen 23 Uhr erreicht werden müsste, während Lightoller selbst auf 21:30 Uhr gekommen war.

Das größte Problem bei dieser Aussage ist die Tatsache, dass Moody aufgrund des Wachsystems auf der Titanic gar nicht auf der Brücke war, als Lightoller um 18 Uhr die Wache übernahm – und auch um 19 Uhr noch Freiwache hatte. Also war es Moody unmöglich, zu der von Lightoller behaupteten Zeit diese Berechnungen angestellt zu haben (siehe Wachschema auf der Seite gegenüber).

James Paul Moody, 6. Offizier der Titanic (Sammlung Günter Bäbler)

An dieser Stelle ist ein kleiner Vorgriff erforderlich, um die ganze Problematik dieser Aussage deutlich zu machen:

Um 23 Uhr würde die Titanic die Längengrade erreichen, die in einer Eiswarnung von der Baltic an die Titanic gemeldet wurden. Wenn Moody 23 Uhr als Ergebnis seiner Berechnungen nannte, ist davon auszugehen, dass Moody sie anhand dieser Eiswarnung ermittelt hat. Allerdings steckte diese Warnung den Nachmittag in der Tasche von Joseph Bruce Ismay, dem Generaldirektor der White Star Line, der als Passagier während der Jungfernfahrt an Bord war. Die Eiswarnung wurde dem Kapitän nicht vor 19 Uhr zurückgegeben9, also zu dem Zeitpunkt, an dem Moody laut Lightollers Aussage bereits das von der Kenntnis der Warnung abhängige Ergebnis lieferte.

Die von Lightoller erwähnten 21:30 Uhr für das Erreichen der Eisregion passen ziemlich gut zu den Längengraden, die in einer Eiswarnung von einem anderen Schiff, der Caronia, genannt wurden, weswegen es meiner Meinung nach angemessen ist, Lightoller zu unterstellen, die Eiswarnung der Caronia gekannt zu haben.

Und nun wird es richtig konfus bei Lightollers Erinnerungen:

Vor dem amerikanischen Untersuchungsausschuss sagte Lightoller bereits am 19. April 1912 aus, dass er nicht erwartete, dass die Titanic vor 23 Uhr auf Eis treffen könnte. Das legt für mich den Schluss nahe, dass Lightoller die Eiswarnung der Baltic gekannt hat. Vor dem britischen Untersuchungsausschuss dagegen sagte der 2. Offizier eindeutig, dass er davon ausging, dass die Titanic ab 21:30 Uhr in der Eisregion sein würde, was sich mit den in der Caronia-Meldung genannten Positionen deckt – und interessanterweise auch mit der Eiswarnung der Mesaba, die gegen Ende von Lightollers Wache die Funkstation der Titanic erreichte. Gleichzeitig bestritt Lightoller vor dem britischen Untersuchungsausschuss, dass er irgendwelche Eiswarnungen kannte, die nahe legten, die Titanic würde gegen 23 Uhr in der Nähe von Eis sein10.

Nach den Aussageorten sortiert ergibt sich daraus folgende Zusammenstellung:

In den USA sagte Lightoller am 19. April 1912 aus, dass

er davon ausging, dass die

Titanic

nicht vor 23 Uhr auf Eis treffen würde In Großbritannien sagte Lightoller am 20., 21. und 23. Mai 1912 aus, dass

er eine Eiswarnung kannte, die Längengrade erwähnte, die die

Titanic

gegen 21:30 Uhr am 14. April 1912 erreichen sollte;

ihm keine Eiswarnung bekannt war, die nahe legte, dass die

Titanic

gegen 23 Uhr in der Nähe von Eis sein würde.

Leider können wir Lightoller nicht mehr direkt zu dieser Diskrepanz befragen. Schauen wir uns deswegen weitere Erinnerungen Lightollers zum Thema Eiswarnungen an, die vielleicht Licht in dieses Dunkel bringen können:

Vor dem amerikanischen Untersuchungsausschuss sagte er an einer Stelle: „Ich habe einige [Eiswarnungen] gesehen“ und später legte er sich dann doch auf eine einzige fest, wobei er, wie oben dargestellt, in Abhängigkeit vom Untersuchungsausschuss die Zeiten und Schiffe variierte. Und dann gab es noch folgenden Dialog vor dem amerikanischen Untersuchungsausschuss:

Senator Smith:Von wem erhielten Sie die Information [Eiswarnung]?

Mr. Lightoller:Vom Kapitän.

Senator Smith:Jene Nacht?

Mr. Lightoller:Ja.

Senator Smith:Um welche Uhrzeit erhielten Sie diese Information?

Mr. Lightoller:Ich glaube, es war an jenem Nachmittag.

Senator Smith:Wann?

Mr. Lightoller:Gegen 13 Uhr.

Senator Smith:Wo waren Sie da?

Mr. Lightoller:Auf der Brücke.

Zwischen „Nacht“ über „Nachmittag“ bis letztendlich „13 Uhr“ ist eine recht große Variationsbreite enthalten, so dass für mich die Vermutung nahe liegt, dass Lightoller über den Tag verteilt mehrere Eiswarnungen zu Gesicht bekommen hat. Damit stellt sich die Frage, welche Eiswarnungen der Schiffsführung der Titanic bekannt waren. Die Antwort darauf sollte möglich sein, wenn klar ist, welche Eiswarnungen wann auf der Brücke der Titanic bekannt wurden.

Im Zusammenhang mit den Eiswarnungen gibt es einen weiteren interessanten Zeugen: Joseph Groves Boxhall, 4. Offizier der Titanic und einziger überlebender Offizier der Wache, die zum Zeitpunkt der Kollision Dienst hatte. Außerdem war Boxhall derjenige, der nach eigenen Angaben die meisten Kalkulationen durchgeführt hat. Vor den Untersuchungsausschüssen war Boxhall sehr bemüht, die Aufmerksamkeit der Vernehmenden auf die Eiswarnung der La Touraine zu lenken, die am 12. April 1912 empfangen wurde und die anzeigt, dass sich der französische Dampfer weit nördlich von der festgelegten Dampferroute nach New York befand11. Außerdem erwähnte der 4. Offizier eine Diskussion zwischen Kapitän Smith, Chief Officer Wilde und ihm selbst über die in der Eiswarnung angegebene Position, die sich offenbar auf Paris als Meridian bezieht und nicht auf Greenwich12.

Joseph Groves Boxhall, 4. Offizier der Titanic. Diese Zeichnung entstand während des amerikanischen Untersuchungsausschuss. (Sammlung Günter Bäbler)

Und in Boxhalls Aussagen stecken einige extrem wichtige Angaben zu den Eiswarnungen:

So berichtete der 4. Offizier, dass er am 14. April 1912 entweder eine Position oder mehrere Positionen während der ersten Hundewache in die Seekarte einzeichnete13. Und letztendlich gab Boxhall zu, dass „the whole lot“ (= „der ganze Haufen“) von Eiswarnungen anzeigte, dass die Titanic in absehbarer Zeit die Eisregion erreichen würde14. Im weiteren Verlauf der Befragung ruderte Boxhall jedoch zurück und bezeichnete einzig und allein die Eiswarnung der Caronia als diejenige, die für ihn „the whole lot of them“15 also der „ganze Haufen davon“ war16. An dieser Stelle ist der gesunde Menschenverstand gefragt: Wer würde von „der ganze Haufen“ sprechen, wenn eigentlich nur eine Eiswarnung gemeint ist?