Dana und das Geheimnis des magischen Kristalls - Thomas L. Hunter - E-Book

Dana und das Geheimnis des magischen Kristalls E-Book

Thomas L Hunter

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Beschreibung

Inhaltsangabe: Vor langer Zeit ist ein magisches Experiment schiefgegangen. Ein uraltes Volk, das es durchgeführt hatte, musste die Konsequenzen tragen. Die magische Explosion hat alle aus ihrer Zeit gerissen. Dana wurde als Baby dann von Zwergen gefunden und aufgezogen. Dort erfährt sie an ihrem zehnten Geburtstag von ihrer Herkunft und der ihres Volkes, das nicht nur sehr alt wurde, sondern auch außergewöhnliche Fähigkeiten besaß. Neugierig und voller Begeisterung versucht sie nun, mehr über sich und ihr Volk zu herauszubekommen. Während der Suche nach ihrer Vergangenheit trifft sie auf einen Geist. Dieser ist aus ihrem Volk, der sie anleitet und ihre Ausbildung zur Magierin überwacht. Sie lernt die alten Bücher zu lesen und wie sie Magie einsetzen kann. Er erzählt ihr, was damals passiert ist und sie möchte natürlich nach ihren Eltern und ihrem Volk suchen - selbst wenn sie die Zeit überlisten muss. Natürlich lernt sie auch, das Leben zu achten. Während der Ausbildung bekommt sie vom König der Zwerge den Auftrag, ihnen bei einem Problem im Gebirge zu helfen. Nach einer Katastrophe vor über einhundert Jahren kann keiner den Berg verlassen. Jeder, der sich damit beschäftigt hatte, war daran gescheitert. Die Zwerge hoffen nun, dass sie mit ihren magischen Fähigkeiten dieses Problem beheben könnte. Bei der Suche nach einer Lösung und nach ihrer Vergangenheit muss sie viele Abenteuer überstehen. Sie erfährt immer mehr von ihrer Herkunft und lernt bei ihren Nachforschungen immer mehr Charaktere kennen, die Kontakt zu ihrem Volk hatten und sie bei ihren Aufgaben mit Rat und Tat unterstützen. Zum Glück ist sie nicht alleine. Shari, ihre kleine Fee, und Gomek, der Zwergenjunge, begleiten und unterstützen sie tatkräftig. Ist diese Aufgabe überhaupt von einer Zehnjährigen und ihren jungen Freunden zu schaffen? Sie lassen sich jedenfalls nicht abschrecken und versuchen alles, um ihr Ziel zu erreichen.

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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Das Findelkind
Kapitel 2
Am Anfang steht immer eine Frage
Kapitel 3
Die Geburtstagsüberraschung
Kapitel 4
Das Museum
Kapitel 5
Aufbruch zu den Höhlen
Kapitel 6
Bedrohung aus dem Dunkeln
Kapitel 7
Ich mich wichtig sein
Kapitel 8
Erogat
Kapitel 9
Die Ausbildung beginnt
Kapitel 10
Eine neue Spur
Kapitel 11
Der Berg ruft!
Kapizel 12
Der magische Kristall
Kapitel 13
Die Höhle der Yetis
Kapitel 14
Die Rüstung des Gehorsams
Kapitel 15
Das erste Teil der Rüstung
Kapitel 16
Der Baumpalast
Kapitel 17
Das Puppenhaus
Kapitel 18
Einfach zu viel Sand
Kapitel 19
Des Königs Geheimnis
Kapitel 20
Die Zwergenmine
Kapitel 21
Licht und Schatten
Kapitel 22
Schöne neue, alte Zeit

 

Meine Frau gab mir den Anstoß für dieses Buch.

Liebe Leser, ich hoffe,

ihr habt ebenso viel Spaß beim Lesen

und Schmökern,

Thomas L. Hunter

D a n a

© 2016 Thomas L. Hunter

https://thomas-l-hunter.de

SOURCES:

https://www.facebook.com/azraelscoverwelten/

Cover design: Azrael ap Cwanderay

Korrektorat: Malte Eppert

Friederun Baudach Jäger

Britta Rose

Renate Lammel

Publisher: Hunter Verlag

Printed in Germany by Createspace

ISBN-13: 9781503253490

ISBN-10: 150325349X

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

inhaltsverzeichnis

Kapitel   1 - Das Findelkind 8

Kapitel   2 - Am Anfang steht immer eine Frage 12

Kapitel   3 - Die Geburtstagsüberraschung 20

Kapitel   4 - Das Museum 32

Kapitel   5 - Aufbruch zu den Höhlen 38

Kapitel   6 - Bedrohung aus dem Dunkeln 52

Kapitel   7 - Ich mich wichtig sein 68

Kapitel   8 - Erogat 80

Kapitel   9 - Die Ausbildung beginnt 97

Kapitel 10 - Eine neue Spur 107

Kapitel 11 - Der Berg ruft! 114

Kapitel 12 - Der magische Kristall 130

Kapitel 13 - Die Höhle der Yetis 139

Kapitel 14 - Die Rüstung des Gehorsams 157

Kapitel 15 - Das erste Teil der Rüstung 173

Kapitel 16 - Der Baumpalast 194

Kapitel 17 - Das Puppenhaus 212

Kapitel 18 - Einfach zu viel Sand 223

Kapitel 19 - Des Königs Geheimnis 234

Kapitel 20 - Die Zwergenmine 248

Kapitel 21 - Licht und Schatten 256

Kapitel 22 - Schöne neue, alte Zeit 269

Glossar: 277

Weitere Bücher des Autors 281

Die Höhle lag im Halbdunkel und viele Magier hatten sich zu einer Zeremonie eingefunden. Sie bildeten einen großen Kreis um ein Pentagramm, das in ihrer Mitte auf dem Boden eingemeißelt war. Jede der fünf Spitzen zeigte auf einen übermannshohen pechschwarzen Monolithen, hinter dem sich jeweils ein weiterer Magier aufgestellt hatte. Sie alle zelebrierten ein mächtiges Ritual, das aus dem Ruder zu laufen begann.

Mit einer gewaltigen, geräuschlosen Explosion wurde die Höhle in gleißendes Licht getaucht. Als das grelle Leuchten erloschen war, stand ein Magier einsam und verlassen in der Mitte des Pentagramms und sah sich verstört um.

»Hallo? Ist hier jemand?«

Kapitel 1

Das Findelkind

Es war ein schöner, lauer Abend. Olo, ein Zwerg in den allerbesten Jahren und vor kurzem 648 Jahre alt geworden, befand sich mit seinem besten Freund und Arbeitskollegen Toben, der gerade einmal zweiundvierzig Jahre jünger war als er, auf dem Weg nach Hause. Sie kamen aus der Altstadt, genauer gesagt aus ihrer Stammgaststätte »Zum goldenen Amboss«. Dort hatten sie wie jeden Abend ihr Feierabendbier genossen und schlenderten nun gut gelaunt und den Abend genießend nebeneinander her.

Die beiden waren schon ewig gute Freunde und Kollegen; sie arbeiteten in der Behörde für Wissenschaft und Forschung, genauer gesagt in der Abteilung für Metalle, Schmiedekunst und Erfindungen, eng zusammen. Dort wurden sie von ihren Arbeitskollegen als hervorragende Mitarbeiter und Tüftler geschätzt.

Jetzt in der Abenddämmerung hatte die »Verwaltungsbehörde für Wetter, Licht und Umweltkontrolle«, von den Zwergen auch kurz WeLiUm genannt, die Laternen eingeschaltet. Sie erhellten mittlerweile die ganze Gegend und tauchten die Umgebung in ein angenehm warmes Licht. In eine anregende Unterhaltung vertieft, überquerten die beiden den großen Versammlungsplatz, der sich vor der Regierungspyramide erstreckte. Auf der einen Seite lagen, derzeit im Dunkeln, ihr Arbeitsplatz und eben die WeLiUm. Auf der anderen Seite erstreckte sich, um diese Zeit hell erleuchtet, das Gewerbegebiet mit seinen kleinen Läden, Gaststätten und Pensionen. Sie unterhielten sich über einige Veränderungen in ihrer Zwergenkolonie, die ein bescheidener Teil eines ausgedehnteren Höhlensystems war.

»Fantastisch, einfach fantastisch.« Toben war stehen geblieben und betrachtete die Decke über seinem Kopf.

Olo hatte nicht mitbekommen, dass Toben ihm nicht gefolgt war, und brummte nur müde: »Was?«

»Was die WeLiUm alles schafft. Schau dir die Höhlendecke an, tausende von Sternen! Ist das nicht immer wieder ein erhebender Anblick? Und erst das Flackern dieser kleinen Dinger! Wie am richtigen Nachthimmel.«

Olo sah genervt nach oben. Er war erschöpft und wollte nur schnell nach Hause. Allerdings musste er Toben recht geben. Es war schon ein herrlicher Anblick. Neben den nun abgeschalteten großen Tageslichtkristallen gab es viele kleine Leuchtkristalle an der Decke, die einem den Eindruck eines echten Sternenhimmels vermittelten. Etwas allerdings war ihm unbehaglich. »Dieses Geflacker … ob das normal ist?« Ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken. Etwas Unbekanntes, Bedrohliches braute sich über ihren Köpfen zusammen. Er spürte es in seinen Knochen.Beunruhigt knurrte er: »Komm, lass uns weitergehen. Irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht. Das spüre ich genau. Morgen Abend kannst du ja weiter die Decke anstarren.«

Toben riss sich von dem Anblick los und sah seinem Freund zunächst irritiert hinterher. Dann sputete er sich, um Olo einzuholen. »Was hast du gesagt? ›Hier stimmt was nicht?‹ Was meinst du damit?«, wollte er wissen.

»Nur ein Gefühl. Mehr nicht«, brummte Olo und legte einen Zahn zu. Nachdenklich passte Toben sein Schritttempo dem des Freundes an. Die beiden Zwerge hatten den Platz fast überquert, als sie plötzlich erschrocken zusammenzuckten. Ein heller Lichtblitz hatte sie geblendet. Irritiert blieben sie stehen.

Als Toben sich etwas gefangen hatte, wandte er sich verwirrt an Olo: »Wow! Was war denn das? Ich wusste nicht, dass die WeLiUm in der Lage ist, Blitze zu machen! Kommen jetzt auch noch Donner und Regen hinzu?«

»So’n Quatsch« brummte Olo und sah ihn kurz entgeistert an, ehe er sich umblickte, um die Quelle der Lichterscheinung auszumachen. Sein Blick fiel auf den riesigen Monolithen, ein pechschwarzes, kegelförmiges Objekt, das sich im hinteren Bereich des Platzes genau gegenüber der Regierungspyramide befand. Ein merkwürdiges Glimmen ging vom Fuß dieses Gebildes aus, das dort schon seit Zwergengedenken stand. Die beiden Freunde sahen sich erstaunt an und hörten im selben Augenblick einen ohrenbetäubenden Lärm. Zuerst erschraken sie. Als jedoch der erste Schock überwunden war, bewegten sie sich langsam auf das Geräusch zu. Zwerge waren zwar mutig, konnten allerdings auch sehr vorsichtig sein, wenn es notwendig war. Immer näher kamen sie der Lärmquelle, bis es ihnen vor Erstaunen einen Moment lang die Sprache verschlug und sie hörbar nach Luft schnappten. Damit hatten sie nicht gerechnet!

Ein Körbchen, reich verziert und mit edelster Seide ausgekleidet, stand vor dem Monolithen. Und noch etwas entdeckten sie: ein kleines, goldfarbenes, fliegendes Wesen. Es umkreiste ohne Unterlass den Korb, in dem ein Säugling mit weißblondem Haarschopf, hellblauen Augen und einem weit aufgerissenen Mund lag. Aus diesem kam der ohrenbetäubende Krach.

Immerhin, sie hatten die Quelle des Radaus aufgespürt, der sie hierhergelockt hatte.

Das Kind lag in Samt und Seide gehüllt, schreiend und strampelnd vor den beiden. Zu Füßen des kleinen Wesens erkannten Olo und Toben die Überreste eines zerbrochenen goldenen Eies, die mit Hieroglyphen übersät waren. Am Kopfende über dem Schreihals pendelte ein reich verziertes Medaillon.

Die beiden sahen sich hilflos an, denn sie wussten nicht, was zu tun war. Nur eines war ihnen klar: Dem Winzling musste geholfen werden.

Olo näherte sich vorsichtig dem Korb und hob den stimmgewaltigen Säugling behutsam heraus. Nachdenklich betrachtete er das kleine Wesen, während er versuchte, es zu beruhigen. Da kam ihm die Idee: Woher auch immer das Kleine stammen mochte, er würde es adoptieren und als sein eigenes Kind großziehen. Olo und seine Frau Tala hatten sich immer eins gewünscht – leider war ihre Ehe aber bis heute kinderlos geblieben. Nun aber hatte das Schicksal ihnen ein Baby geschenkt.

Und was für eines …

Kapitel 2

Am Anfang steht immer eine Frage

Es war früh. Sehr früh. Viel zu früh. Dana, ein weißblondes, mit dem heutigen Tag zehnjähriges wunderschönes Mädchen, wurde aus dem Schlaf gerissen. Sie konnte wegen des Drucks, den ein kleines Wesen auf ihre Brust ausübte, und wegen des Krachs, den dieses niedliche Ding veranstaltete, nicht mehr weiterschlafen. Der Lärm, lautstark, disharmonisch und mit einer piepsigen Stimme vorgetragen, entpuppte sich als Geburtstagsständchen.

»Alles Gute zum zehnten Geburtstag,

Dein großer Tag ist heute,

es kommen viele Leute.

Du bist auf dieser Welt das liebste Wesen,

drum schenkt Shari dir auch einen schönen Besen.

Werden blau auch deine Haare

oder lang die kleine Nase,

heut hat Shari dich besonders lieb

und schenkt Dana noch einen kleinen Hieb.

Das Geburtstagsmenü verrät Shari dir nicht –

nun steh auf und tu deine Pflicht!«

Um ihrem Gedicht Nachdruck zu verleihen, knuffte das kleine Wesen Dana zwischendurch sanft auf die hübsche Nase. Shari hieß eigentlich Naya Shari, wurde aber höchstens dann so genannt, wenn sie mal wieder Unfug angestellt hatte. Ihren Namen hatte sich das kleine geflügelte Wesen quasi selbst gegeben: Als sie mit Dana gefunden worden war, hatte sie undeutlich immerzu etwas Ähnliches wie »Naya Shari« gewispert. Da aber alle die Kurzform ihres Namens besser fanden, wurde sie einfach nur Shari gerufen.

Nach der dritten Wiederholung des Geburtstagsständchens entschloss sich Dana, dem gutgemeinten Treiben von Shari ein Ende zu setzen. Sie öffnete die Augen und rief theatralisch: »Aua!«, um dann Shari anzustrahlen und lachend zu sagen: »Danke für das Ständchen – ich wünsche dir ebenfalls alles Gute zum Geburtstag!« Sie rieb sich die malträtierte Nase. »Hast du das selbst gedichtet?«

»Klar«, trällerte Shari und strahlte in einem wundervollen Weiß. Man konnte an der Farbe und der Helligkeit ihres Leuchtens leicht die Stimmung und die Laune des kleinen Wesens ablesen. War sie glücklich und guter Laune, strahlte sie in einem herrlichen weißen Licht. Je schlechter sie sich fühlte oder wenn sie übel gelaunt war, wurde ihr Leuchten immer dunkler, bis hin zu Rot. Bei Dunkelrot war es besser, sie nicht mehr anzusprechen, sondern nur noch den Kopf einzuziehen und in Deckung zu gehen.

Dana ließ ihren Blick durch den Raum wandern und schaute über die Bettkante in die Tiefe der Wohnhöhle, die, wie sie heute fand, recht groß wirkte. Jeder in der Familie hatte seine eigene Schlafbucht, sogar Shari. Natürlich war ihre viel kleiner, aber es war immerhin ihre eigene. Ihr Zuhause war nichts Besonderes: ein Wohnraum mit einer offenen Feuerstelle, einem Bad und einem Durchgang zum Garten. Ein großer Tisch nahm den Großteil des Raumes ein. Die Höhle endete gegenüber von Danas Schlafbucht an einer schweren Holztür, die in die Zwergenstadt führte. Das war es auch schon. Wie gesagt, nichts Umwerfendes, aber sie liebte diesen Ort.

Von der Feuerstelle her zog ein wohlriechender Duft durch den Raum. Tala, ihre Ziehmutter, kochte etwas Leckeres. Sie war klein und grauhaarig, hatte leuchtend silbergraue Augen und trug die typische Zwergenmontur: klobige Schuhe, Lederhose, Lederweste und ein kariertes Hemd. Zwerge hatten es nicht so mit der Mode, Kleidung sollte vor allem praktisch sein. Die Zwergin hatte erst vor kurzem ihren 502ten Geburtstag gefeiert, fühlte sich entsprechend jung und legte besonderen Wert darauf, dass andere dies auch so sahen. Vor fast zehn Jahren, als Olo auf einmal mit dem kleinen Säugling vor der Tür gestanden hatte, hatten sie sich gemeinsam entschlossen, Dana als ihr eigenes Kind aufzuziehen, weil ihnen selbst das Glück eigener Kinder verwehrt geblieben war. Niemand hatte eine Ahnung, woher Dana und Shari gekommen waren oder welcher Art sie angehörten. Man wusste nur, sie waren keine Zwerge.

Tala war gerade dabei, für ihre Geburtstagskinder den Tisch zu decken und das Frühstück vorzubereiten. Über dem Feuer hing ein großer Kessel, dessen herrlich duftender Inhalt leise vor sich hin köchelte. Sie hantierte dort mit Töpfen, Tellern, Tassen und Pfannen und schimpfte wie jeden Morgen leise vor sich hin. »So ein junges Ding … kaum zweihundertzwölf Jahre alt und macht meinen Job – mindestens vierhundert sollte man sein, aber mindestens!« Seit sie aus dem Schuldienst entlassen worden war, wirkte sie unzufrieden und zog immer wieder über ihre Nachfolgerin her, wenn sie meinte allein zu sein. Doch die nun reichlich bemessene Freizeit hatte auch ihr Gutes, denn diese kam nun Danas Ausbildung zugute, die dadurch sehr viel Wissen vermittelt bekam. Dass Tala kaum noch Zeit für sich selbst hatte, störte sie kaum, denn wie jede Zwergenmutter würde sie jederzeit alles für ihre Kinder tun – und ihre Kinder waren eben Dana und Shari.

Olo musste wohl schon zur Arbeit gegangen sein, denn er war nirgends zu sehen. Dana schubste Shari von ihrer Brust herunter und schwang ihre schlanken Beine aus der Schlafbucht heraus auf den schmalen Sims, der vor den Schlafplätzen verlief. Danach balancierte sie, sportlich wie sie nun einmal war, geschickt zu ihren Kleidern hin, die wie gewöhnlich neben ihrer Schlafbucht hingen. Anschließend kletterte sie hinunter zu Tala und fiel ihr um den Hals. Das war nicht allzu schwierig, da die Zwergin fast genauso groß war wie sie.

»Guten Morgen, Ma!« Dana war seit langem bewusst, dass Olo und Tala nicht ihre Eltern waren. Es hielt sie aber nicht davon ab, die beiden Ma und Paps zu nennen. »Was gibt es heute Besonderes?«, erkundigte sie sich nach der stürmischen Begrüßung und verschwand im Badezimmer, ohne die Antwort abzuwarten. „Badezimmer“ war vielleicht etwas übertrieben, es war eher ein schlichter Waschraum mit Schüsseln, Kannen, einem winzigen Spiegel und einem Plumpsklo.

Zehn Minuten später saß Dana am Küchentisch. Shari, die dafür natürlich zu klein war, hatte von Olo einen Tisch mit einem Stuhl in Miniaturgröße angefertigt bekommen. Diese Möbel waren so bemessen, dass sie hervorragend auf den großen Tisch passten. So hatte auch Shari alles im Blick. Beide harrten nun der Dinge, die da kommen würden.

Den beiden Geburtstagskindern gegenüber stand ein stattliches, sauber verpacktes Paket. Shari, die sehr neugierig war, wollte es sofort untersuchen. Sie wurde aber zu ihrem Leidwesen immer wieder mit den Worten »Es ist kein Geburtstagsgeschenk!« von Tala verjagt und musste sich zurück an ihren Tisch setzen. Verärgert darüber, dass sie zum x-ten mal auf ihren Platz gescheucht wurde, veränderte sich zusehends ihr Gemütszustand. Ihr strahlendes Leuchten verblasste und wechselte zu einem hellen Grau. Dies bedeutete nichts Gutes: Zusehends verschlechterte sich mit der Farbveränderung die Laune der kleinen Fee.

Zum Glück war Tala eine sehr gute Köchin, so dass Shari abgelenkt wurde und ihr schnell verzieh. Denn was sie heute wieder zubereitet hatte, war einfach königlich. Sie zählte auf:

»Als Vorspeise: Ranunkelsuppe.

Danach als Hauptspeise:

Erdäpfelschnitzel in Honigsoße,

dazu ein besonderes Getränk:

Eiskakao mit Sahne und Schnittlauchröllchenstreuseln.

Als dritter Gang:

Möhrenkuchen mit Erbsenstreuseln.

Und zum Abschluss die Krönung des Ganzen, das Dessert:

Karamellbonbon in Pfefferminzhülle.«

Der Nachtisch entlockte Dana und Shari Jubelschreie, da es solche Süßigkeiten recht selten gab.

Nachdem sie zu Ende gefrühstückt hatten und das Geschirr abgeräumt war, stellte Dana wie schon so oft all die wichtigen Fragen, die ihr schon so lange auf dem Herzen lagen: »Ma, wer bin ich, woher komme ich und warum bin ich nicht so wie die anderen?«

Früher war Tala diesen Fragen jedes Mal ausgewichen. Heute jedoch war sie endlich bereit, ihrer Tochter Rede und Antwort zu stehen. Sie sah ihre Tochter eine Weile schweigend an, räusperte sich dann kurz und begann zu erzählen, während sie anfing, das stattliche Paket von dem Papier zu befreien. »Wie du ja weißt, wurdest du vor fast zehn Jahren unter mysteriösen Umständen von Olo und seinem Freund Toben neben dem großen Monolithen gefunden. Du und Naya Shari, ihr seid zusammen hierher gekommen. Keiner weiß, wie und warum. Wir haben in den Zwergenarchiven nach Anhaltspunkten zu eurer Herkunft geforscht und nichts gefunden. Nur zu deinem Medaillon gab es etwas. Es gehört anscheinend zu einer uralten Zaubererkaste, die vor einigen tausend Jahren eine lange Zeit mit uns zusammen in diesem Höhlensystem lebte. Eines Tages verschwanden sie, ohne eine Spur zu hinterlassen. Du und Shari, ihr scheint eine Einheit zu sein – doch wie ihr zusammengehört?Keiner weiß es … zumindest noch nicht! Vielleicht bekommst du es ja irgendwann heraus.«

Hier legte sie eine kurze Pause ein, bevor sie weitersprach: »So haben wir euch aufgenommen, nachdem der Große Rat der Zwerge uns die Zustimmung gegeben und die Verantwortung für euch übertragen hat. Auf jeden Fall gehören das Medaillon, das kaputte, goldene, mit Hieroglyphen verzierte Ei, aus dem wohl Shari geschlüpft ist, der Korb und du zusammen. Jetzt bist du alt genug, um mehr zu erfahren und die Utensilien deiner Vergangenheit und wahrscheinlich auch deiner Zukunft zu erhalten.«

Nach diesem Vortrag schob Tala Dana einen prächtig verzierten Korb entgegen, den sie mittlerweile ausgepackt hatte. Sofort lag eine greifbare Spannung in der Luft.

Dana wusste schon seit einiger Zeit, dass sie etwas Besonderes war. Kurz nach ihrem neunten Geburtstag waren die ersten Eigentümlichkeiten aufgetreten. So konnte sie zum Beispiel mit Tieren sprechen. Es hatte zunächst mit einem leisen Wispern begonnen. Mit der Zeit hatte sie dann immer besser verstehen können, was Tiere sagten, und schließlich verstand sie deren Sprache so gut wie ihre eigene.

Dana und Shari sahen Tala eine Zeitlang schweigend an. Darauf begannen die beiden Geburtstagskinder, den Inhalt des Korbes behutsam auszupacken. Als Erstes fiel Dana ein wunderschönes Schmuckstück auf, das sie sofort in die Hand nahm. Es fühlte sich warm an und bestand aus einem in Gold eingefassten, pechschwarzen, flachen Stein. »Er scheint dem Monolithen auf dem Versammlungsplatz sehr ähnlich zu sein«, murmelte Dana ehrfurchtsvoll.

Sobald sie es berührte, schien das Medaillon zum Leben zu erwachen. In ihm begannen kleine »Sterne« zu leuchten und zu blinken, verschwanden nach kurzer Zeit wieder, um dann von neuem ihr Lichterspiel zu beginnen. In das Schmuckstück waren zwei Wesen aus purem Gold mit rubinroten Augen eingearbeitet. Man sah einen geflügelten Löwen mit einem Adlerkopf und einen feuerspeienden Drachen, die miteinander kämpften.

Dana sah Tala fragend an. »Darf ich es anlegen?«, wollte sie aufgeregt wissen.

»Aber ja«, flüsterte Tala mit Tränen in den Augen. Irgendwie fühlte sie, dass nun das Leben ihrer Tochter komplizierter und vielleicht auch gefährlicher werden würde. Wer weiß, was Dana in der Zukunft alles erwartete … Sie kannte ihr Kind ja recht gut und wusste um ihre Neugier.

Als Dana das Medaillon anlegte, bemerkte sie unmittelbar eine Veränderung. Sie war nach außen hin nicht zu sehen, doch sie und Shari spürten es sofort: Beide konnten sich jetzt verständigen, ohne auch nur ein Wort laut auszusprechen. Sie waren geistig miteinander verbunden!

Dana hatte sich gewünscht, vielleicht sogar erwartet, dass sie zu ihrem zehnten Geburtstag neue Fähigkeiten bekommen würde – womöglich mit Blumen sprechen zu können oder so etwas. Aber Gedankenvereinigung, das war um einiges besser, als was sie sich erhofft hatte! Eifrig und in freudiger Erwartung packten beide den Korb weiter aus. Abgesehen von den mit Hieroglyphen bedeckten goldenen Eierschalen fanden sie jedoch nicht viel. Da war nur noch ein seidenes, rosafarbenes Kopfkissen mit gleichfarbiger Bettdecke, in dem ein mit goldenen Fäden eingestickter Name stand:

Dana

Tala begab sich schwermütig in die Küche und überließ die Geburtstagskinder sich selbst. Die beiden untersuchten unterdessen aufgeregt die Reste des goldfarbenen Eies, während sie sich lebhaft unterhielten. Irgendwann begann Dana damit, die Hieroglyphen auf der Eierschale auf einen Zettel zu übertragen. Anschließend verstaute sie ihn sorgfältig. Damit nichts von den Bruchstücken kaputt oder verloren gehen konnte, deponierte sie diese in einer mit Wolle ausgelegten Schachtel.

Es gab ein großes Rätsel und es betraf sie und ihre kleine fliegende Freundin. Und sie, Dana, würde es irgendwie und irgendwann lösen.

Kapitel 3

Die Geburtstagsüberraschung

Es klopfte an der Tür. Noch bevor jemand »herein« sagen konnte, wurde die Tür aufgerissen und ein junger, dunkelhaariger Zwerg stürmte in den Wohnraum. Es war Gomek, ein neununddreißigjähriger Prachtkerl seines Stammes. Von der Statur her glich er mehr einem Menschen, mehr Dana. Sportlich und zu seinem Leidwesen auch noch gut aussehend, ließen ihn die jugendlichen Zwerge häufig spüren, dass dies unter ihresgleichen als Makel galt.

Bei den Zwergen wurde Schönheit schon immer mit Grobschlächtigkeit und derbem Erscheinungsbild verwechselt. Das störte hier in Danas Zuhause aber niemanden. Er war schließlich ihr bester und einziger Freund. Sie beide wurden von den Zwergenkindern und -jugendlichen gemieden oder gehänselt, da man sie missverständlicherweise für neunmalklug und unansehnlich hielt.

Ein Zwerg galt bis zu seinem 40. Geburtstag als Kind und konnte erst dann zur Schule gehen. Man hatte versucht, junge Zwerge früher an die Schule zu gewöhnen, aber sie waren einfach zu hibbelig und unkonzentriert. Also schulte man sie danach ein.

Auf ihre Schulzeit folgte anschließend eine vierzigjährige Ausbildung, die Vorbereitung auf einen Beruf. Dann erst galten sie als halbwüchsig, um schließlich irgendwann zum Erwachsenenanwärter aufzusteigen.

Nach einer weiteren 40 Jahre andauernden Anwartschaft, in der sie sich in ihrem Handwerk fortbildeten, erreichten sie schließlich die Volljährigkeit.

Diesen Maßstäben nach war Gomek folglich noch ein junger Springinsfeld.

Er begrüßte Tala kurz und fiel dann Dana um den Hals, um ihr zum Ehrentag zu gratulieren.

Sharis Aura verdunkelte sich. Sie hielt nichts von Gomek und meinte, er sei ein Spinner.

Durch ihre neue Fähigkeit der Gedankenübertragung bekam Dana dies sofort mit und rief sie zur Ordnung. Sie sollte heute mit keinem aneinandergeraten, schon gar nicht mit Gomek, mit dem die kleine Fee sonst gern einmal einen Streit vom Zaun brach.

»Alles Gute zum Geburtstag«, begrüßte sie der Zwerg.

Dana sah ihn strahlend an und freute sich über den unverhofften Besuch. »Vielen Dank! Aber … musst du heute denn gar nicht zur Arbeit oder hast du dir freigenommen?«

Gomek war da nicht anders als seine Altersgenossen. Zwerge brauchten die Arbeit wie die Luft zum Leben. Sie durften und wollten unbedingt ab dem zehnten Lebensjahr und auch danach bis zu ihrer Einschulung einer Beschäftigung nachgehen. Außerdem werkelten sie gerne für die Gemeinschaft.

»Nein, ich muss gleich los. Ich wollte dir nur zum Geburtstag gratulieren. Wir sehen uns ja heute Nachmittag!« Schnell übergab er ihr sein Geburtstagsgeschenk und war auch schon wieder weg.

»Nun habe ich mich gar nicht für sein Geschenk bedankt … Na ja, ich treffe ihn ja später noch einmal«, murmelte Dana leise vor sich hin und wandte sich dabei ihrer Mutter zu, die gerade Anstalten machte, mit ihr zu sprechen.

»Dana, dein Vater hat noch eine Überraschung für dich. Er erwartet dich im Ministerium und wird dir dort alles selber erzählen.«

Dana fiel Tala um den Hals, verabschiedete sich von ihr, stürmte zur Wohnungstür und riss sie, dicht gefolgt von Shari, auf, um anschließend im Halbdunkel der Tunnelbeleuchtung zu verschwinden.

Äußerst beunruhigt sah Tala den beiden hinterher. »Hoffentlich passt sie gut auf sich auf«, murmelte sie traurig. Langsam schloss sie die Tür und wandte sich wieder ihrer Hausarbeit zu.

Draußen sah sich Dana um. Sie befand sich am Ende einer engen Sackgasse mit einer Steindecke, also in einem ausgebauten Tunnel, der einer Gasse nicht unähnlich war. An beiden Seiten des Durchgangs zweigten weitere Unterkünfte ab, deren Türen allerdings geschlossen waren. Ihr Gässchen lag im ältesten Teil der Zwergenstadt. Es war ebenso wie die abzweigenden Wohnungen kunstvoll aus dem uralten Kalksandstein herausgehauen worden. Das Ministerium hatte Olo und seiner Frau zwar schon des Öfteren eine »Neubauwohnung« angeboten, er hatte es aber immer abgelehnt und gesagt, dass er und seine Familie an diesem Ort schon seit Ewigkeiten wohnen würden und dies auch so bleiben solle.

Kleine Straßenlaternen an den Häuserwänden tauchten den Weg in ein warmes Licht. Shari strahlte so hell vor Ungeduld, dass die Straßenbeleuchtungen neben ihr etwas blass wirkten. Das war ihre Art sich zu freuen, wenn sie mit Dana zum Stadtzentrum und zum großen Versammlungsplatz aufbrach. Es war dort immer wieder neu und interessant.

Von ihrem Zuhause »Alte Gasse Nr. 7« aus brauchten Dana und Shari nur durch drei weitere Gassen zu laufen und erreichten innerhalb von fünfzehn Minuten den Platz. Dann bogen sie um eine Ecke und schon lag die weitläufige Fläche in ihrer ganzen Pracht vor ihnen.

Die entsprechende Höhle war mindestens vierzig Meter hoch und erstreckte sich weiträumig zu ihrer Linken bis weit über ihr Blickfeld hinaus. Die Häuser beidseitig des Platzes waren mit prachtvollen Verzierungen aus dem Stein herausgearbeitet worden. Stattliche Bögen trugen die umlaufenden Balkone der ersten Etage, so dass die Gehwege überdacht unter ihnen hindurchführten. Alle Gebäude besaßen eine reichlich mit Gold und Edelsteinen verzierte Fassade. Es war allgemein bekannt, dass Zwerge keinerlei Wert auf die Anhäufung materieller Güter legten. Da es im Reich für jeden eine Beschäftigung gab und alle sich für die Gemeinschaft betätigten, benötigte niemand Geld, Gold oder Edelsteine, außer für den Handel mit Außenstehenden. So verwendeten die Zwerge die bei ihren Erdarbeiten gefundenen überschüssigen Edelsteine und das Gold einfach zur Verschönerung ihrer Stadt. Alle Fenster und Türen waren mit Holzschnitzereien aufwendig verziert und mit Blattgold ausgelegt. Kleinformatige, wunderschön geschliffene Brillanten unterbrachen in regelmäßigen Abständen die Schnitzereien.

Links vom großen Platz schloss sich hinter der ersten Häuserzeile mit kleinen Läden, Pensionen und Gaststätten das Handwerkerviertel an. In den dortigen schmalen Gässchen hatten sich viele Handwerker niedergelassen. Vom Goldschmied über den Edelsteinschleifer, vom Tischler bis zum Schneider – hier war alles vertreten. Im Anschluss daran kam das »Neubauviertel«, die Oberstadt. Es war ein herrlicher Anblick, den Dana jedes Mal von neuem genoss, während Sharis Interesse mehr den Ladenzeilen galt. Sie flog jedes Mal sofort zu einem bestimmten Laden, in dem es etliche Sorten von Honig gab, um etwas Süßes abzustauben. Dana folgte ihr nicht. Sie wusste, Shari würde ihr auch etwas zum Naschen mitbringen. Sie setzte sich lieber auf eine Bank am Rande des ausgedehnten Platzes und beobachtete das Treiben vor der Regierungspyramide. Hinter ihr ragte, pechschwarz und ein wenig bedrohlich, der große Monolith auf. Hier saß sie immer wieder gerne und betrachtete die atemberaubende Kulisse.

Majestätisch fügten sich die gewaltigen Säulen der imposanten Höhle in dieses märchenhafte Bild ein. Dana bewunderte die Leistung der Zwerge, die diese Stützen in regelmäßigen Abständen aus dem Felsen gehauen hatten. Sie bildeten durch ihre Positionen zueinander riesige Vierecke, die sich gegenseitig stabilisierten und so die Decke hervorragend abstützten. In der Mitte jedes Quadrates befand sich ein großer Leuchtkristall, der taghelles, mildes und behagliches Licht in der Höhle verbreitete. »Die Kristalle sind ein guter Ersatz für die Sonne«, murmelte Dana. »Tolle Erfindung! Diese Dinger wärmen nicht nur, sondern lassen auch die Pflanzen blühen und gedeihen.« Das wusste sie aus Erzählungen der Erwachsenen, denn sie selbst hatte die Energie, die die Sonne ausstrahlte, noch nie gespürt.

Ihr Blick fiel wieder auf die Stufenpyramide, den Sitz der Regierung und des Königs. Das überwältigende Gebäude bildete den Abschluss des Platzes. Es überragte die umliegenden Gebäude um ein Mehrfaches und wurde, wie es sich für eine gute Pyramide gehört, über mehrere Etagen hinweg nach oben hin immer schlanker. Das Bauwerk war etwas Besonderes. Die Erbauer, vermutlich Zwerge, hatten lediglich die Vorder- und die Seitenteile vor der Höhlenwand errichtet. Die Absätze der Stufenpyramide ermöglichten den Zugang zur rückwärtigen Felswand – von jeder dieser Terrassen führte jeweils links und rechts ein in den Felsen getriebener Eingang zu den einzelnen Regierungsbüros. Die Spitze der Pyramide bildete ein reich verzierter, goldener Torbogen. Dieser war der Durchgang zum Thronsaal und zu den Privatgemächern des Zwergenkönigs.

Dana verglich, wie so oft zuvor, im Geiste die Pyramide mit den anderen Gebäuden in der Stadt. Es gab jedoch nichts Vergleichbares. »Woher hatten die Zwerge bloß die Idee zu diesem Bauwerk?«, sinnierte sie.

Auf der rechten Seite lagen die Behördengebäude. Ja, auch Zwerge benötigten Verwaltung. Dort hatte auch Olo seinen Arbeitsplatz. Dicht daneben, durch eine kleine Gasse getrennt, lag verschlafen das Museum mit der alten Bibliothek. Folgte man der Gasse, erreichte man die Labore, Minen und Lagerräume. Man musste ja schließlich für schlechte Zeiten gerüstet sein. Traurig betrachtete Dana das Museum. Dort durfte sie nicht hinein, sie war noch zu jung dafür.

Mittlerweile langweilte sie sich. Da Shari immer noch nicht zurück war, begann sie, die gusseisernen Laternen zu zählen, die den Platz umsäumten. Danach betrachtete sie die beeindruckenden Mosaike, die überall auf dem Boden des Platzes zu sehen waren: durchweg angefertigt aus winzigen, verschiedenfarbigen Schmucksteinen. Die Bilder erzählten die Geschichte der Zwerge, wie sie vor vielen tausenden von Jahren das Gebirge fanden und diesen Teil des weitläufigen Höhlensystems für sich als Lebensraum erschlossen hatten. Es gab Bildergeschichten, die Zwerge darstellten, wie sie gegen Ungeheuer und Drachen, Goblins und Trolle kämpften und natürlich siegten. Weitere Darstellungen zeigten Zwerge, die Berg- und Ackerbau und Viehzucht betrieben, und wiederum andere berichteten von Begegnungen mit Völkern aus der Außenwelt. Es gab auch Bilder von Tieren, die es nur in der Welt außerhalb des Gebirges gab.

»Es musste eine wilde Zeit gewesen sein«, überlegte Dana. Noch während sie die Bilder betrachtete, spürte sie ein leichtes Kribbeln im Nacken und das Medaillon erwärmte sich ein bisschen. Sie fasste nach dem Schmuckstück und sah sich um. Hinter ihr befand sich aber nur der Monolith, in dessen Nähe sie sich die ganze Zeit aufgehalten hatte. Dieser schien kurz aufzuleuchten – oder hatte sie sich das nur eingebildet?

Noch bevor Dana darauf reagieren konnte, kam Shari mit einer Handvoll Honigdrops zurück. Als die kleine Fee sie anstupste und ihr ein paar Drops in die Hand drückte, schreckte sie aus ihren Gedanken hoch. Das merkwürdige Gefühl und die Wärme des Medaillons waren indes verschwunden. Erst jetzt merkte sie, wie spät es bereits war. Sie sprang von der Bank hoch und lief auf das Bürogebäude zu, in dem ihr Vater arbeitete.

Ein goldenes Schild im Eingangsbereich wies das Gebäude als »Behörde für Wissenschaft« aus. In der Eingangshalle hing eine weitere, viel größere Tafel, auf der die einzelnen Fachrichtungen und ihre Mitarbeiter aufgeführt waren, um den Weg zu weisen. Olos Abteilung war natürlich auch aufgelistet:

Schmiede und Erfindung

Erster Stock, Bereich 2, Zimmer 4

Dana kannte den Weg dorthin gut und brauchte die auf der Tafel abgebildete Wegbeschreibung nicht. Sie sah sich kurz in der Halle um. Das ganze Gebäude war in einem Stück mit viel Liebe zum Detail aus dem Felsen herausgearbeitet worden. Der Fußboden war wie auch der große Platz mit alten, aus bunten Steinen hergestellten Bildern verziert. Die Abbildungen zeigten Zwerge mit ihren Errungenschaften aus Wissenschaft und Technik. An den Wänden stellten Bilder, unterbrochen von Verzierungen aus Gold und Edelsteinen, die Vorsitzenden dieser Behörde dar.

Dana und Shari stiegen die Treppen hoch, wobei Shari natürlich flog. Die beiden wandten sich nach links und folgten dem Gang fast bis zum Ende. Immer wieder blieb Dana stehen und betrachtete die herrlichen Wandgemälde. Sie glichen jenen in der Vorhalle, doch zeigten diese ausnahmslos Zwerge mit ihren Erfindungen und wissenschaftlichen Entdeckungen. Es gab dabei auch Bilder von Zwergen, deren Entwicklungen ein wenig missraten waren, wie die von »Zeg dem Unterbelichteten«, der einen Steinhobel erfand, um Sand herzustellen, oder von seinem Bruder »Zog dem Hohlen«, der danach den Sand in Amphoren abfüllte, um ihn so »platzsparend« zu stapeln.

Dana erreichte die Tür zu den Räumlichkeiten ihres Vaters, klopfte an und wartete, dass jemand sie hereinbitten würde. Es verging nicht viel Zeit, bis die Tür aufging. Toben, Olos Freund und Arbeitskollege sowie Danas »Pate«, ließ sie eintreten. Im selben Augenblick erscholl ein Chor aus kräftigen Zwergenstimmen, die ein Geburtstagslied zum Besten gaben – keinesfalls schön, aber dafür laut. Zwerge konnten unzählige Dinge, Singen gehörte allerdings nicht unbedingt dazu.

Dana blieb gerührt in der Tür stehen und wartete geduldig, bis das Ständchen der Zwerge beendet war. Sie war der Liebling der ganzen Abteilung und hatte mit ihren jugendlichen Ideen bereits einige Erfindungen und Experimente vorangebracht. Shari war hingegen viel zu aufgeregt um zu warten und flog zu einer Maschine in der Ecke, die große, bunte Seifenblasen produzierte. Es war eine von Danas Erfindungen.

Beunruhigt schaute das Mädchen ihrer kleinen Freundin hinterher. »Hoffentlich kann sie sich heute benehmen …«, wünschte sie sich, beobachtete Shari dabei weiter und erfreute sich gleichzeitig an den Seifenblasen, um sich von dem immer lauter werdenden, gut gemeinten „Lied“ abzulenken. »Paps hat das Problem mit der Beständigkeit der Blasen wohl gelöst. Sie gehen nicht sofort kaputt, wenn man sie berührt, sondern lösen sich erst nach einiger Zeit auf. Klasse!«, dachte sie, während der Gesang unangenehm in ihren Ohren schmerzte. Sie zwang sich dennoch ein Lächeln ab.

Inzwischen hatte der Chor der Mitarbeiter zu Ende gesungen. Die Sänger bedrängten nun Dana, um ihr persönlich zu gratulieren. Zuletzt kam Olo und schloss sie in seine kurzen, aber kräftigen Arme. »Alles Liebe und Gute zu deinem Geburtstag!«, sagte er mit einer angenehm tiefen Stimme und sprach mit einem Augenzwinkern weiter: »Wir haben auf Wunsch einer kleinen Lady die Blasenmaschine perfektioniert. Freust du dich darüber? Es ist ja deine Erfindung.«

»Perfekt, Paps!«, freute sich Dana. »Woher wusstest du, dass wir …?«

»Mutter hat uns gewieselt.«

»Aha, und wo ist Frau Hurtig jetzt?« Dana sah sich suchend um.

»Sie wird sich wohl irgendwo den Bauch vollschlagen!«, entgegnete Olo.

Frau Hurtig war ein Wiesel und gehörte zur Familie. Wiesel, Iltisse und Frettchen beförderten bei den Zwergen die Post und private Mitteilungen. Wer sich keines hielt, ging zur „Nagerpost“. Dort konnte man sich die Tiere zur Nachrichtenübermittlung ausleihen.

Olo sah sich suchend um. »Und wo ist dein kleines goldenes Libellchen? Wir haben ein paar kleine Geschenke für euch beide!« Hier in der Abteilung war Sharis Spitzname »Gold-Libellchen«, weil keiner wusste, welcher Art sie angehörte, und weil ihre Flügel an Libellenflügel erinnerten.

Dana sah sich nach Shari um und entdeckte sie, wie sie mit den Seifenblasen spielte und ihnen hinterherjagte. Sie rief Shari mit ihrer neuen Fähigkeit. Trotzig, wie sie nun mal war, folgte Shari nur widerwillig, kam schließlich aber doch angeflattert. Sie setzte sich auf Danas Schulter und ließ sich tragen. Das Herumtollen mit den Blasen hatte sie wohl tatsächlich etwas ermüdet. So folgten beide Olo zu einem hübsch geschmückten Tisch, wo ein paar kleine Aufmerksamkeiten und ein Kuchen auf sie warteten. Shari, die viel zu aufgeregt war, um sich zu gedulden, durfte ihr Geschenk als Erste aufmachen. Es war eine aus Spinnenseide gefertigte Kombination, bestehend aus einer silbrig-weißen Weste und der dazu passenden Hose. Shari musste sie sofort anprobieren und sie passte wie angegossen. Selbst die Löcher für die Flügel saßen an der richtigen Stelle. Dana, die währenddessen ihr Geschenk ausgepackt hatte, hielt nun ihrerseits einen Zweiteiler in Händen, selbstverständlich in ihrer Größe und aus ein paar Lagen dickerer Seide.

Olo erklärte ihnen: »Das Geheimnis um die Verarbeitung von Spinnenseide und die Herstellung von Kleidern aus diesem besonderen Naturmaterial kennt nur noch eine Zwergin im ganzen Reich. Die Seide haben meine Kollegen und ich über Jahre in den Höhlen gesammelt. Sie ist absolut reißfest, feuerbeständig, schmutzabweisend und wächst mit euch mit. Die Kleidung ist wirklich ›unkaputtbar‹, also ideal für euch beide. Außerdem kann Shari nicht ewig halbnackt durch die Gegend fliegen.«

Da nicht viele nahe genug an Shari herankamen, wussten nur wenige, dass sie mit einem sehr kurzen goldfarbenen Fell bedeckt war. Das Haarkleid reichte vom Hals bis zu den Fußknöcheln. Es sah von weitem wirklich so aus, als wäre sie unbekleidet. Die einzigen „nackten Stellen“ an ihr waren das Gesicht, die Hände und die Füße, die aber auch golden glänzten.

Nachdem beide ihre neuen Sachen angezogen hatten, mussten sie sich von allen bewundern lassen. Selbstredend passte Dana die Kombination ebenfalls wie angegossen und sie betonte zusätzlich ihre durchtrainierte Figur. Nach dieser Modenschau wurde der Kuchen angeschnitten und ein süßes Honiggetränk dazu serviert. Danach öffnete Dana die beiden Umschläge, die außerdem noch auf dem Tisch lagen. Der erste enthielt ein Einladungsschreiben zum Besuch des Museums – Dana wusste, dass der Aufenthalt dort eigentlich nur erwachsenen Zwergen oder Schulklassen gestattet war. Der zweite beinhaltete eine weitere Einladung zur nächsten Expedition in die Tiefen der Höhlen.

Nachdem sie die beiden Schreiben feierlich vorgelesen hatte, kam ein Mitarbeiter von Olo und überreichte ihr einen kleinen Rucksack. Dieser enthielt einige Utensilien für Geologen. Geologie war eins von Danas Steckenpferden, das wussten alle. Der Ranzen bot neben Sachen, die Geologen nun einmal brauchen, wie Pinsel, Lupe und einem kleinen Hammer zusätzlich Platz für Essen und Getränke. Dana war richtig stolz und bedankte sich überschwänglich bei ihrem Vater und seinen Mitarbeitern. Sie sah sich nach Shari um. Die düste immer noch durch den großen Saal und jagte hinter den Seifenblasen her, um sie zu fangen.

Viele der Mitarbeiter waren mittlerweile an ihre Arbeit zurückgekehrt. Sie bedienten auf den verschiedenen Tischen verteilte Glaskolben, Rädchen und Kompressoren, waren also wieder mit unterschiedlichen Experimenten beschäftigt. Dana sah sich das Treiben schon eine Weile an, als sie von Toben angesprochen wurde: »Wie sieht es mit dir aus, bist du bereit für das Museum? Ich bin heute dein Begleiter, Olo muss leider noch einige Vorbereitungen treffen, da wir heute Nachmittag gemeinsam mit dir auf Expedition gehen. Freust du dich schon darauf – aufs Museum, meine ich?«

Dana sah Toben grinsend an. »Klar! Schade nur, dass Paps so beschäftigt ist. Na, dafür habe ich ihn ja heute Nachmittag für mich … Was ist eigentlich mit Gomek? Ich hatte ihm versprochen, dass er den Nachmittag mit uns verbringen kann.«

Der Zwerg erwiderte schmunzelnd: »Mein Neffe hat für die Expedition freibekommen. Also wird er uns heute Nachmittag auch begleiten.«

Nachdem das geklärt war, freute sich Dana auf das, was vor ihr lag. Sie rief Shari und ergriff Tobens Hand. »Lass uns gehen und erkläre mir bitte alles!«

Kapitel 4

Das Museum

 

Sie verließen die Abteilung und nahmen den gleichen Weg zurück, den Dana vor knapp zwei Stunden gekommen war. Mittlerweile hatte sich auch Shari wieder eingefunden. Total erschöpft saß sie nun auf Danas Schulter und freute sich auf den Museumsbesuch, sie war schließlich ebenfalls noch nie dort gewesen. Sie durchschritten die Vorhalle und betraten den großen Platz, wo der Kristall sein warmes Licht verbreitete. Toben blieb stehen, wandte sich Dana zu und bot ihr höflich seinen Arm an. Freudig hakte sie sich unter und ging mit ihm auf den Haupteingang des Nachbargebäudes zu. Sie blieben kurz davor stehen und lasen, was auf dem goldenen Schild stand:

Museum und Bibliothek

Durchgehend geöffnet außer an Feiertagen

Einlass nur für Erwachsene ab 120 Jahren,

Schulklassen in Begleitung erwachsener Zwerge

und für D A N A

 

Dana las es laut vor und gluckste vor Glück. Sie sah Toben aufgeregt an. »Wie habt ihr denn das geschafft? Muss da nicht die Regierung zustimmen?«

Toben grinste. »Wir sind die Besten und uns kann man kaum einen Wunsch abschlagen. Nun komm!«

Sie betraten den mit weißem Marmor gepflasterten Vorraum. Dana blieb augenblicklich stehen, um die an beiden Seiten des Raumes befindlichen, riesigen Wandgemälde zu betrachten. An der linken Seite war ein schneeweißer fliegender Pegasus abgebildet. Er flog in den leuchtend blauen Himmel hinein. Das Königsblau im Hintergrund wurde durch kleine kreideweiße Wölkchen aufgelockert. Auf der anderen Seite erblickte sie ein strahlend weißes Einhorn, das seine Mähne stolz zurückwarf. Es stand an einem schmalen dunkelblauen Weiher, der wiederum in einem märchenhaft schönen Wald lag.

»Wow, sind das fantastische Bilder …«, murmelte sie, um dann Toben hinterherzutrotten.