Dandelia Dorca und der Drachenkönig von Anterra - Marlies Lüer - E-Book

Dandelia Dorca und der Drachenkönig von Anterra E-Book

Marlies Lüer

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Beschreibung

„Irgendwas stimmt hier nicht.“
(Glewlwyd, Wächter von Avalon)

Seit die Avalonier in ihrer neuen Heimat sind, fällt nicht nur dem Wächter Seltsames auf. Die Zufriedenheit ist einfach zu groß, viele geben sich Tagträumereien hin. Selbst der Wächter und Dandelias Familie haben Mühe, ganz in der Realität zu bleiben. Als die ersten Todesfälle auftreten und Leichen spurlos verschwinden, erwacht der Wille zum Widerstand.

Leider richtet sich der Zorn des Volkes gegen den Drachenkönig – und der steckt in Artan, dem kleinen Sohn von Dandelia und Oliver.

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Dandelia Dorca und der Drachenkönig von Anterra

 

Band 4 von 4

 

 

 

 

 

 

© 2020 Marlies Lüer

Esslinger Str. 22, 70736 Fellbach

www.silberworte.de

Cover: Dream Design, Renee Rott

 

 

 

 

 

Bd. 1 Das wahre Leben der Dandelia Dorca

Bd. 2 Dandelia Dorca und die Wunschkekse

Bd. 3 Dandelia Dorca und das Ungeheuer von Loch Ness

 

Inhaltsverzeichnis

 

Inhaltsverzeichnis

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Es waren ungefähr drei Wochen vergangen seit dem denkwürdigen Tag, als das Volk von Avalon nach Anterra geholt worden war. Hier gab es keine Kalender, keine Uhren. Man lebte von Tag zu Tag. Dara, die Hohepriesterin, hatte sich seit der Ankunft nicht mehr blicken lassen. Gelegentlich statteten die beiden Tempeltöchter den Avaloniern Besuche ab und beantworteten Fragen, gaben Rat, hörten sich Beschwerden an. Dann verschwanden sie wieder. Immer auf dieselbe Art: Harfenklang, leises Grollen– und weg! Wenn sie kamen, war es umgekehrt. Erst das leise Grollen, das von harfenähnlichen Tönen abgelöst wurde – und sie waren da, tauchten wie aus dem Nichts auf. Aber, von wo waren sie gekommen? Und wie? Darüber schwiegen sie sich beharrlich aus.

„Es ist an der Zeit, dass wir etwas unternehmen“, sagte Glewlwyd zu den anderen. „Irgendwas stimmt hier nicht.“ Missmutig starrte er in seinen Becher und schnupperte daran. Doria hatte ihm schon wieder heimlich etwas in den Tee gemischt. Das ist nur zu deinem Besten, mein guter Wächter, hatte sie gesagt, als er sie neulich darauf angesprochen hatte. Das mindert den Groll und schont dein Herz, mein lieber Wächter. Wann hatten die Avalonier eigentlich aufgehört, ihm Respekt zu zollen? Er hatte schließlich schon unter König Artus gedient! Doria schien ihn wie einen eigenen Sohn zu behandeln. Als er ihr vorwarf, ihn in diesem Sinne verhätscheln zu wollen, lächelte sie nur und meinte „eher wie den eigenen Enkel“. Sie sah in ihm also ein Kind! Dabei war er im besten Mannesalter. Hatte er sich jemals kindisch verhalten?

Kyrian, der gemeinsam mit Afalja und Talantha bei ihm am Tisch saß, winkte nur ab und himmelte wie ein verliebter Knabe seine „Jaja“ an. Jaja, sei so gut und sing mir noch ein Lied vor. Jaja-Schätzchen, sei so gut und massiere mir meine Schultern … Dieses Gesäusel ging Glewlwyd mächtig auf den Geist. Der Mann war zu nichts mehr zu gebrauchen! Seit er hier war und sich, bildlich gesehen, bereitwillig in die „Anterra-Hängematte“ gelegt hatte, war er nichts weiter als ein alter Narr, der seinen zweiten Frühling erlebte und seine Ruhe haben wollte. Die Meisten waren hier zufrieden. Sie genossen das ruhige Leben, feierten die neue Heimat, wo alles so leicht und schön war. Man gab ihnen reichlich zu essen, hatte ihnen nette Häuser gebaut – genauer gesagt: wachsen lassen; die Holzhäuser lebten und passten sich ihren Wünschen an – außerdem hatte man ihnen Diener zugeteilt, die fast alle Arbeit übernahmen und sogar Ausflüge in die nähere Umgebung veranstalteten zu den landschaftlichen Sehenswürdigkeiten Anterras. Wer wollte, konnte auch einen kleinen Garten haben. Es war hier wirklich wunderschön und selbst für ein Hexenvolk ausgesprochen „magisch“. Dennoch, er konnte sich nur wiederholen und tat es sogleich: „Irgendwas stimmt hier nicht.“

„Was du immer hast … genieße doch einfach mal den Tag. Mach einen Spaziergang! Oder besuche den Drachenkönig. Vielleicht gewährt er dir eine Audienz!“ Kyrian lachte schallend über seinen Witz. Dass der Wächter sich zurückgesetzt fühlte, weil er seine Führungsposition an ein Kind abgetreten hatte, war allgemein bekannt. Und für Kyrians Geschmack war Glewlwyd immer schon etwas zu martialisch und ernst gewesen. Andererseits – als er damals den Dämon in seine Schranken wies und Artan das Leben rettete, das war wirklich eindrucksvoll! Auch für den Sieg über Chrysantha standen ihm Ruhm und Ehre zu. Aber ansonsten war Glewlwyd wenig brauchbar, fand Kyrian. Der mochte ja nicht mal Karten spielen oder magische Mini-Duelle bestreiten. Das war für den ja nur „Vergeudung von magischen Ressourcen“. Man konnte mit ihm einfach keinen Spaß haben und von Frauen hielt er sich auch fern. Alles in allem nicht der richtige Umgang für Kyrian.

Glewlwyd setzte heftiger als nötig den Steingutbecher auf den Tisch. Talantha schaute ihn wissend und einen Hauch zu mitleidig an. Es reichte dem Wächter. Er brauchte andere Gesellschaft. Jüngere Leute! „In der Tat werde ich jetzt einen Spaziergang machen.“ Er nahm seinen Eichenstab, verließ grußlos das Haus und blieb auf der Dorfstraße stehen, schaute nach allen Seiten. Wohin nun? Egal, wohin. Hauptsache, es sah danach aus, als hätte er ein konkretes Ziel. Der Wächter folgte dem Weg an der wasserbetriebenen Mühle vorbei, wo in einem Nebengebäude Getreide lagerte. Eine Schar halbwilder Katzen hielt die Gegend mäusefrei. Unwillig schüttelte Glewlwyd seinen Kopf. Anterra! Anderer Planet! Alles Unsinn. Es gab die Erde, den Mond und die Sonne. Dazwischen viele Sterne am Himmel, die man in der Nacht sehen konnte. Und sonst nichts. Natürlich waren sie immer noch in ihrer eigenen Welt. Bloß, dass diese Ecke hier durch und durch magisch war. Die Erde war groß! Vielleicht war dies einfach nur ein unentdecktes Land. Ebenso wie sein Avalon, verborgen vor der restlichen Welt. Ja, so musste es sein. Alles andere wäre … durch und durch beängstigend. Glewlwyd wehrte sich vergeblich gegen die Erinnerungen, die schon wieder in seinem Geiste wichtigtuend aufstiegen. Er hatte natürlich die Entwicklung der Welt von Zeit zu Zeit mitverfolgt, immer, wenn er sich einem seiner Träger besonders nahe fühlte und sich fast an die Oberfläche dessen Bewusstseins wagte und die Welt durch seine Augen betrachtete. Daher wusste er von der Mondlandung. Diese Amerikaner waren doch größenwahnsinnig! So weit hinaus zu fliegen! Und, dass sie lebend heimgekehrt waren, konnte er sich nur damit erklären, dass die Götter ihre schützende Hand über die Mondreisenden gehalten haben mussten. Vielleicht war auch ein Zauberer mitgeflogen, von dem er keine Kenntnis hatte. Es mochte andere Blutlinien geben, andere Blutreisende, wie er selbst einer war. Nie hatte er davon gehört, dass es bewohnbare andere Erden gab. Wie er vorhin schon gesagt hatte: Irgendwas stimmt hier nicht! Unbewusst wiederholte er hörbar diese Worte und ballte seine Fäuste. Niemals würde er der Hohepriesterin glauben, dass er und sein Volk in einem winzigen Moment den ganzen Sternenraum durchquert hätten, bis hin zu einer anderen Erde, einem anderen Planeten. Nein, das konnte nicht sein. Sie hätten doch unterwegs ersticken müssen, so ganz ohne Luft! Oder, sie wären blitzartig erfroren. Er wünschte, er hätte damals besser zugehört, mehr gelernt, mehr Interesse an der neuen Zeit gehabt. Glewlwyd hätte sich jetzt am liebsten wie ein nasser Hund geschüttelt, all diese lästigen Gedanken und Ängste abgeschüttelt wie gewöhnliche Nässe. Doch da er noch in Sichtweite der Siedlung war, riss er sich zusammen und beschleunigte stattdessen seine Schritte. Er hatte jetzt auch ein Ziel gefunden: die Bergkette! Es war noch früh genug, bis zum Abend würde er wieder zurück sein, wenn er die Entfernung richtig abschätzte. Er folgte dem Bachlauf, denn er vermutete dessen Quelle oben in den Bergen. Gegen Mittag, als die Sonne ihr Bestes gab ihn auszudörren, bereute er seine spontane Wanderschaft, denn sein Magen knurrte und der Schweiß floss wie der Bach, der neben ihm ins Tal rauschte. Wenigstens musste er nicht dürsten, denn das Wasser war sauber und schmeckte vorzüglich. Zu seiner Freude fand er am Ufer etwas Brunnenkresse und erfrischte sich mit dieser Speise. Wenn er außer Acht ließ, dass er hierzulande irgendwie überflüssig und ohne Aufgabe war, nichts bewachen oder schützen konnte, nicht mal ein lumpiges Tor, dann war es hier eigentlich ganz nett. Die Landschaft war ebenso lieblich wie einst in Albion. Nur mit dem Unterschied, dass er hier Einhörner zu sehen bekam. Sein Herzschlag beschleunigte sich vor Freude. Eine kleine Herde dieser herrlichen Geschöpfe graste friedlich unter einer Baumgruppe, gar nicht weit entfernt von ihm. Er stützte sich auf seinen langen Wanderstab und schaute ihnen mit verklärtem Lächeln zu. Seine Großmutter hatte ihm Märchen von gütigen Einhörnern erzählt, als er noch ein kleiner Junge war. Auch von anderen Fabelwesen. Wie sehr er das genossen hatte! Für einen kurzen Moment, der von einem leisen, schmerzlichen Ziehen in der Herzgegend begleitet wurde, wünschte er sich Enkelkinder, damit er die Geschichten weitergeben konnte. Glewlwyd malte sich aus, wie er mit seinen Enkeln einen kleinen Ausflug unternehmen würde – wieso Enkel, er wollte eigene Kinder! Genau hierher, um dann wahrhaftige Einhörner mit Rosenblättern zu füttern, sie zu streicheln … Moment! Vielleicht wäre das ein Fehler? Er musste erst erkunden, ob sie im echten Leben harmlos oder gefährlich waren. Nanas Märchen hin oder her – bei ihr waren die gehörnten Pferde immer gutmütige Geschöpfe gewesen – doch hierzulande mochte ihr Wesen anders geartet sein. Also setzte er sich in Bewegung, hielt auf sie zu. Sein Wanderstab hatte unterdessen kleine, frische Zweige ausgetrieben, was er gar nicht beabsichtigt hatte, aber der Anblick gefiel ihm; zeigte es doch, dass er immer noch in Saft und Kraft war, als Zauberer und als Mann. Ein Lächeln huschte über seine Lippen, als er zwei Fohlen entdeckte, die bis zu diesem Moment von ihren Müttern und Tanten verdeckt gewesen waren. Zauberhaft! Doch der schöne Anblick wurde schnell Vergangenheit, denn ein Bergtroll schlich sich an. Sein säuerlicher Gestank war bis hier zu riechen. Glewlwyd sah nur die spitzen Ohren und die struppige Haartracht des Unholds, denn das Gras wuchs hoch und verdeckte ihn fast völlig. Glewlwyd rannte los, den Stab erhoben und er brüllte, so laut er nur konnte. Die Einhornherde schreckte auf, muhte laut und ging über in eine halsbrecherische Flucht, denn sie fühlten sich nun von zwei Seiten bedroht. Der Troll hatte jetzt seine Deckung aufgegeben und lief ihnen hinterher. Ein Jungtier stürzte. Glewlwyd fühlte Angst um das zarte Fohlen, das nicht schnell genug wieder auf den Beinen war. Jetzt war er endlich nahe genug, um einen schmerzlichen Energiestrahl auf den Troll zu werfen. Leider verfehlte er ihn, denn als er in den Matsch trat, der sich als frischer Kuhfladen entpuppte, war es aus mit seiner Konzentration. Fassungslos schaute Glewlwyd auf seine nunmehr verdorbenen, stinkenden Schuhe. Müssten Einhörner denn nicht äppeln wie Pferde? Und … allem anderen voran: Und wieso muhten sie wie Kühe? Des Wächters Atmung beschleunigte sich mehr und mehr. Zu spät! Der Troll hatte das Fohlen fest im Griff und biss ihm die Kehle durch. Warmes Blut lief ihm übers Kinn, als er mit einem Stein nach dem Wächter warf und einen schrillen Warnschrei ausstieß – das hier war seine Mahlzeit, seine! Glewlwyd sah ihm in Verwirrung hinterher, wie der mit großer Kraft das tote … Kalb hinter sich her schleifte. In einiger Entfernung kam die Herde wieder zum Stehen. Weiße Kühe. Mit je zwei weißen Hörnern, die in der Sonne glänzten. Der Wächter starrte sie fassungslos an. Aber er hatte doch Einhörner gesehen! Glewlwyd trat einige Schritte zurück, bewegte seine Füße schleifend durchs Gras, um den gröbsten, braungrünen Dreck abzuwischen. Unschlüssig blieb er stehen, schaute zwischen der Rinderherde, die sich nun langsam beruhigte, und dem Troll, der seine Beute bergauf brachte, hin und her. Eine Kuh muhte klagend ihre Trauer und Angst in die Welt. Der Mann fühlte sich plötzlich fehl am Platze. Er hatte die Lust am Wandern verloren. Die Berge konnten ihm fürs Erste gestohlen bleiben. Und Nanas Einhörner auch!

Irgendwas stimmte hier nicht! Irgendwas stimmte hier ganz und gar nicht und stank förmlich zum Himmel.

-2-

 

 

Als Glewlwyd erschöpft und aufgewühlt ins Dorf zurückkam, sah er auf dem Hauptweg als erstes Dondarth, Morrans Sohn, ihm gegenüber stand eingeschüchtert der kleine Artan. Er hatte es befürchtet, dass es zu einer Konfrontation kommen würde, jetzt, wo sie wieder alle vereint unter einem Himmelszelt lebten. Dondarth, der nur sehr einfache Zauber zustande brachte und unter diesem Versagen seit je her litt, hielt einen Gegenstand in der Hand, bereit zum Wurf. Der Wächter vermutete einen Stein, aber es mochte auch ein magisch komprimiertes Wespennest sein – ihm war vieles zuzutrauen an Gemeinheiten, denn sein Charakter war ebenso verdorben wie der seines Vaters, den Glewlwyd im Zweikampf besiegt und unter die Erde gebracht hatte. Wobei, wenn man es genau nahm, hatte Morran sich selbst in die Tiefe gestürzt. Das Ergebnis war allerdings dasselbe.

Der 25jährige versperrte Artan den Weg, seine körperliche Überlegenheit ausnutzend. Er trat einen Schritt vor und stupste Artan kräftig, so dass dieser zurücktaumelte.

„Du schon wieder! Du Bastard machst nichts als Ärger und bringst Unglück. Ich sag dir eins: Bei der nächsten Gelegenheit, wenn ich dich außerhalb des Dorfes erwische, dann töte ich dich. Ich bringe zu Ende, was mein Vater angefangen hat. Verlass dich drauf.“

Glewlwyd wollte eben Dondarth mit einem Windwirbel zu Fall bringen, hatte die Hände schon erhoben und das richtige Wort auf der Zunge – aber Artans Drache sprang jetzt, aus einem Nebenweg kommend, zwischen Angreifer und Kind. Wütend fletschte er die Zähne und ließ ein bedrohliches Grollen hören. Seine Krallen strichen erregt über die Pflastersteine. Der goldene Stirnreif wechselte über vom Drachen zum Kind und einen Atemzug später stand der Drachenkönig auf dem Weg. Artan wirkte sofort größer und älter, seine machtvolle Aura versetzte Dondarth in große Angst. Er war schon immer ein Feigling gewesen.

„Denk immer daran, du bist jetzt mein Untertan. Wenn du dem Kind Artan ein Leid zufügst, dann greifst du auch deinen König an. Glaub mir, das würde dir nicht gut bekommen. Ich habe keine Probleme damit, dich zu deinem Vater zu schicken. Möchtest du gern bei lebendigem Leibe begraben sein? Oder soll mein Drache deinen Kopf abbeißen? Nein? Dann reiß dich zusammen und gehe dem Kind aus dem Weg. Ebenso seinen Eltern und deren Schulterdrachen. Höre ich auch nur die geringste Klage über dich, egal von wem, egal weswegen, wird die Konsequenz hart sein. Ich dulde keine Kerle wie dich: Dumm, grausam und hinterhältig. Das ist die erste und letzte Warnung. Verstanden?“

Mit hasserfülltem Gesicht wandte Dondarth sich um und lief davon.

Glewlwyd wich ihm geschickt aus, um nicht überrannt zu werden und wandte sich wieder dem Drachenkönig zu. Respektvoll neigte er sein Haupt. Auch ein König in der Gestalt eines Knaben war ein König! „Ich wollte gerade einschreiten und Artan beschützen, aber dann kam der Drache mir zuvor. Darf ich einen Vorschlag machen?“

Der Drachenkönig nickte, merkwürdigerweise tat der Drache genau dasselbe. Glewlwyd sah das Tier erstaunt an. War der Geist des Anterraners etwa gleichzeitig im Jungen und im Drachen?

„Ich werde mit dem Rat darüber sprechen, ob wir nicht besser Dondarth einer endgültigen Persönlichkeitsveränderung unterziehen. Ähnlich, wie wir es mit Olarion gemacht haben.“

„Der Rat in seiner alten Form existiert nicht mehr. Hier herrschen andere Mächte. Aber besprecht Euch ruhig, Ihr und Eure Vertrauten. Ich werde es als eine interne Angelegenheit der Avalonier betrachten, zumal ich über einen Olarion keine Kenntnisse habe. Ich weiß über Euch nur, was das Kind Artan weiß. Es ist nicht mein oberstes Ziel, Dondarth zu töten, sondern den Träger meines Geistes zu schützen. Ich werde gleich wieder überwechseln. Erklärt Artan bitte, weshalb er eben von dem Dreckskerl bedroht worden ist und wie er sich verhalten soll, bis Ihr die Sache geklärt habt. Ich ziehe mich jetzt zurück, Wächter Avalons. Gehabt Euch wohl.“

Mit einer Mischung aus Faszination und Unbehagen schaute Glewlwyd zu, wie der Stirnreif übergangslos zum Laufdrachen wechselte und aus dem König wieder ein normaler, kleiner Junge wurde, der aufatmete, als er Glewlwyd sah.

„Wächter! Ich bin so froh, dass du gekommen bist. Hier war eben ein böser Mann, der mich umbringen wollte. Ist er wirklich weg?“

„Keine Sorge, mein Kleiner. Wir werden uns um den kümmern. Ich weiß, wer das ist. Der wird dich kein zweites Mal bedrohen, das verspreche ich dir.“ Glewlwyd strich dem Kind freundlich über den Kopf und setzte ihn mit Schwung auf den Rücken des Drachen. „Gehe vorerst nicht mehr alleine nach draußen, nur in Begleitung Erwachsener.“

„Was hat er denn gegen mich?“

„Weißt du noch, damals auf Avalon, wie der Separatist Morran dich entführt hat und dem Dämon opfern wollte? Dondarth ist sein Sohn. Im Grunde ist er wütend auf mich, aber er ist auch ein Feigling, der seine Wut lieber an einem Schwächeren auslassen will. Vermutlich wollte er dir vor allem Angst machen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er dich wirklich töten will. Er muss doch wissen, dass mit dieser Tat auch sein eigenes Leben verwirkt wäre. Doch nun, ab nach Hause zu deinen Eltern! Sag ihnen, ich komme heute Abend noch vorbei und spreche mit ihnen darüber.“

Glewlwyd versetzte dem Drachen einen kleinen Klaps, woraufhin dieser sich in Bewegung setzte. Als er sich umwandte, um ins Haus des Rates zu gehen, wo er sich frischmachen und etwas stärken wollte, fiel ihm ein, dass er im Grunde eben dem Drachenkönig einen Klaps versetzt hatte. Oha.

 

***

 

„Wir müssen reden.“

Kyrian setzte zu einer flapsigen Bemerkung an, merkte dann aber, dass Glewlwyd noch ernster als sonst aussah, geradezu finster. Irgendwas musste vorgefallen sein. „Was ist passiert? Du siehst elend aus, als wärest du in Trollscheiße getreten.“

Der Wächter erstarrte und blickte auf seine Schuhe. Wortlos zog er sie aus, ging vor die Tür und warf sie in die Mülltonne und die Socken gleich hinterher.

„So war das aber nicht gemeint“, sagte Kyrian, als Glewlwyd das Haus wieder betreten hatte. „Obwohl …“

„Kuhfladen. Ich bin in Kuhfladen getreten, obwohl es Einhorndung hätte sein müssen, und was den Troll angeht, liegst du gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt, alter Mann. Habt ihr noch was vom Abendessen übrig?“

Kyrian klatschte in die Hände. Sofort kam eine Dienerin herbeigeeilt. „Essen und Trinken für Avalons Wächter!“, befahl er großspurig und schaute den Heimkehrenden erneut skeptisch an. Einhörner?

„Ich finde, du solltest die Anterranerin nicht so umherscheuchen. Ich hätte mir auch selber was aus der Küche holen können. Wollte doch nur wissen, ob was übrig ist. Sind die Frauen da? Wir müssen reden.“

„Das sagtest du eingangs. Ich werde sie holen, sie sind bei Dandelia und Oliver.“

„Nein, hol sie nicht! Das ist perfekt. Genau dort wollte ich mit euch allen hin. Bitte geh schon mal vor, sie sollen alle dableiben. Ich komme hinterher, wenn ich gewaschen bin und einen Happen gegessen haben. Artan ist eben von Dondarth ernsthaft bedroht worden.“

„Was?“ Kyrian erstarrte für einen Moment. Die Vorstellung war schrecklich. „Das ist ja, also, da fehlen mir die Worte! Ich werde sofort hinübergehen. Geht es dem Kind gut?“

„Ja. Der Drache ist rechtzeitig eingeschritten, sonst hätte ich es getan. Nun geh bitte, damit alle an einem Ort bleiben, sie sollen auf mich warten.“

Glewlwyd eilte in das Wasch- und Badehaus, das der Mittelpunkt der vier umliegenden Häuser war. Dort lag auch frische Kleidung in verschiedenen Farben und Schnitten für jedermann aus, die er nach dem kurzen Bad eilig anzog. Das Oberhemd, weich wie Rehleder, war ihm etwas zu groß. Mit einem kleinen Zauberspruch passte er es seinem Körper an. Wenn er nicht seit einiger Zeit das unbestimmte Gefühl hätte, dass hierzulande etwas im Busche war, dann würde er sich hier richtig wohlfühlen können. Für alles war gesorgt, es gab keinerlei Mangel an wichtigen Dingen. Doch – was hatten die Anterraner davon, sie derartig freigebig und großzügig zu versorgen? Der Gedanke verflüchtigte sich im Knurren seines Magens. Seit dem Morgen hatte er nichts gegessen außer Brunnenkresse. Und so eilte er erneut barfuß über den Hof, zurück in das Gemeinschaftshaus von Kyrian, Afalja, Doria und Talantha. Sein eigenes, wesentlich kleineres Haus, zwei Wege weiter gelegen, suchte er meist nur zum Schlafen auf. Auf dem Tisch fand er eine Schüssel mit Gemüseeintopf vor, dazu gab es eine Scheibe Brot. Es duftete so unwiderstehlich, dass Glewlwyd sofort davon abbiss. Diese krosse Kruste! Herrlich! Fast schon gierig schaufelte er sich die Suppe rein, aber schließlich war hier niemand außer ihm … Moment, die Dienerin! Wo war sie? Er lauschte, hörte aber kein Geräusch außer dem sehr leisen Rascheln und Knatschen, wenn das Holz wieder mal „arbeitete“. Ihm kam der Gedanke, dass es ein interessantes Experiment wäre, sich mit dem Haus geistig zu verbinden, denn irgendeine lenkende, denkende Entität musste doch dahinterstecken. Doch das war jetzt nicht wichtig. Es galt, das Kind zu schützen. Das einzige Kind, das die Avalonier derzeit hatten. Es hatte viel zu lange keine Schwangerschaften mehr gegeben. Hastig löffelte er die Schale leer, trank den letzten Rest Brühe direkt aus der Schale und stellte sie mit Schwung auf den Tisch. Vermutlich würde das Geschirr sauber und trocken im Küchenregal stehen, wenn die Bewohner zurückkamen, obwohl es den Anschein hatte, dass die Dienerin sich längst zurückgezogen hatte. Wohin eigentlich? Auch dies hatte Zeit, er setzte dieses Rätsel auf seine innere imaginäre Liste und machte sich endlich auf den Weg ins hellblaue Nachbarhaus, das die Familie Jones mit Nora und Balian Dorca bewohnte. Die Haustür war nur angelehnt. Glewlwyd klopfte dennoch kurz an und trat ein. Die lebhafte Diskussion verstummte, als er in den Wohnraum kam. Alle Augen richteten sich auf ihn, nur Artan spielte seelenruhig mit den Katzen und Drachen und tat so, als ginge ihn das alles gar nichts an. Kein gutes Zeichen, er stand wohl doch unter Schock.

„Bitte, nimm Platz. Danke, dass du gekommen bist“, sagte Oliver und deutete auf einen leeren Stuhl. Doria, Kyrian, Afalja und Talantha hatten sich auf die gepolsterte Holzbank unter dem Fenster gequetscht und sahen aus wie drei Hühner und ein Hahn auf der Stange. Oliver und Dandelia saßen auf Stühlen am Esstisch, einen freien nahm nun der Wächter in Beschlag.

„Wir können offen reden“, begann Doria. „Talantha und ich haben Artans Erinnerung an den Vorfall gelöscht und ihn für eine Weile geistig verschlossen. Er kann frei agieren, wird aber nicht mitbekommen, worüber wir jetzt reden.“

„Gut.“ Glewlwyd nickte grimmig, denn die Wut auf Dondarth stieg in ihm wieder hoch. Offenbar ging es Dandelia nicht anders, auch Oliver sah zu allem entschlossen aus.

„Und ich sage nochmals: Lasst mich gehen und ich schaffe das Problem auf die gute, alte Art aus der Welt. Niemand bedroht mein Kind und kommt ungestraft davon.“

Der Wächter Avalons verstand sofort, was sie damit meinte. „Das kommt gar nicht infrage, dass du dir deine Hexenfinger an dem Mistkerl schmutzig machst. Ich weiß, es ist euer gutes Recht, ihn zu einem Duell zu fordern, aber …“

„Wer sagt denn was von Duell? Ich will ihn umbringen. Und ich hätte es auch schon getan, wenn die anderen mich nicht an den Stuhl gefesselt hätten.“

Glewlwyd blickte überrascht in die Runde. „Stimmt das?“

„Na und wie, verlass dich drauf. Unsere Kleine hier kann sich nicht vom Fleck rühren“, sagte Talantha gelassen. „Und mit Oliver machen wir es genauso, wenn nötig“, ergänzte Afalja. Kyrian ließ ein tiefes, zustimmendes Brummen hören. „Ihr wäret nicht viel besser als Dondarth, wenn ihr euch zu einem Mord hinreißen lasst. Eurem Jungen ist nichts geschehen.“

„Aber es hätte sein können! Wenn nicht der Drache hinterhergelaufen wäre … dann, dann … ich kann es nicht aussprechen! Warum verteidigt ihr Dondarth?“, rief Oliver wütend.

„Das tun wir ganz und gar nicht. Wir beschützen euch vor euch selbst.“

„Glaubt uns, der Mann kommt nicht ungestraft davon“, sagte Glewlwyd. „Wir haben die feste Absicht, ihn zu depersonalisieren, ähnlich, wie wir es damals mit Olarion getan haben. Olarion ist nun ein geachteter avalonischer Bürger, dessen größter Wunsch es ist, der Gemeinschaft dienlich zu sein.“

„Und was ist, wenn was schiefgeht dabei? Wenn er doch unterschwellig seine Mordlust behält?“ Dandelia rang nach Luft. Die Angst schnürte ihre Atemwege zu. „Artan wird nie völlig sicher sein.“

„Doch, glaub mir, das wird er“, sagte Kyrian gedehnt. Doria sah ihn von der Seite an und zog ganz leicht ihre rechte Augenbraue hoch. Für einen ganz kurzen Moment legte sie ihre Hand auf sein Knie und deutete ein Nicken an.

---ENDE DER LESEPROBE---