Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Dieser Band beinhaltet die folgenden Novellen des dänischen Schriftstellers: Tagebuch eines Dorfküsters Der Pfarrer von Torning Der Pfarrer von Vejlby Der Strumpfwarenhändler Der Himmelberg Die Weihnachtsferien Die drei Feiertagsabende
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 314
Veröffentlichungsjahr: 2012
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Dänische Erzählungen
Steen Steensen Blicher
Inhalt:
Steen Steensen Blicher – Biografie und Bibliografie
Einleitung
Tagebuch eines Dorfküsters
Der Pfarrer von Torning
Der Pfarrer von Vejlby
Der Strumpfwarenhändler
Der Himmelberg
Die Weihnachtsferien
Die drei Feiertagsabende
Dänische Erzählungen, Stehen Steensen Blicher
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849607029
www.jazzybee-verlag.de
Dän. Lyriker und Novellist, geb. 11. Okt. 1782 bei Wiborg, gest. 26. März 1848, konnte wegen andauernder Kränklichkeit erst 1809 das theologische Amtsexamen absolvieren, heiratete die 17jährige Witwe seines Onkels, pachtete das Pfarrgut seines Vaters und wurde endlich selbst, stets mit großen ökonomischen Schwierigkeiten kämpfend, 1819 Pfarrer in Thorning, 1826 in Spentrup, unweit Wiborg. Sein erstes Werk war eine vorzügliche Übersetzung Ossians (1807–1809); Sammlungen eigner Gedichte folgten 1814 (2 Bde.) und 1817. Bekannt wurde er erst durch das »Tagebuch eines Landküsters« (1824), den Almanach »Sneeklokken« (1826), die »Jütländischen Romanzen« und die »Nationalnovellen«, z. T. in jütländischer Mundart (in Zeitschriften 1827–29). Eine Auswahl seiner Werke (1833–36) füllt 7 Bände. Neue Sammlungen erschienen 1837 (»Swithiod«) und 1838 die »Zugvögel«, treffliche, ernst-patriotische Gedichte. 1842 erwarb er sich durch sein Meisterwerk: »Die Spinnstube« (jütländisch »E Bindstouw«), Novellen und Gedichte voll herzigen Humors und Poesie, für immer den Ruhm eines Nationaldichters, der zuerst Jütland, die Jüten und ihre Mundart dichterisch ergründet hat. Auf sein Wirken lassen sich die für das dänische Volksleben charakteristischen Volksfeste zurückführen. 1866 wurde ihm ein Standbild in Wiborg errichtet. Neuausgaben seiner Werke besorgte Professor P. Hansen: »Digte« (Kopenh. 1870), »Samlede Noveller og Skizzer« (2. Aufl., das. 1893–94, 20 Bdchn.; deutsch unter andern von Diezmann, Leipz. 1849, 6 Bde.). Vgl. seine Biographie von Kristensen und Lund (Kopenhagen 1882) und H. Hansen, S. S. Blichers barndom og ungdom (das. 1902).
Steen Steensen Blicher geb. 11. Oktober 1782, † 26. März 1848
Gewisse Schriftsteller werden in ganz besonderem Grade Ausdruck für die Eigenart und besondere Lebensanschauung eines Volkes sein.
Die Literatur eines Landes ist wie ein Garten neben einer Reihe anderer Gärten; viele Blumen sind überall vertreten und ähneln einander, aber einige wenige sind charakteristisch für die Stelle, wo sie wachsen.
Wollen wir uns einen Eindruck davon schaffen, was im Garten Dänemarks zu sehen ist, so ist Steen Steensen Blichers Name einer von denen, die man sofort wird nennen müssen. Man kann nicht von dänischer Literatur und ihrem besonderen Einsatze sprechen, ohne seinen Namen zu nennen; nicht daß er Dänemark und seine Bedeutung in hohen Tönen gepriesen hätte, nein, vielmehr seiner gedämpften Stimme wegen.
Die dänische Heide – die großen unbewohnten Strecken in der Mitte Jütlands – haben auf Steen Steensen Blicher und seine Lebensauffassung entscheidenden Einfluß gehabt. Überall begegnen wir einem eigenen ruhigen Wesen, das die dänische Literatur kennzeichnet. St. St. Blicher spricht nicht große Worte. Es ist charakteristisch für die Jütländer – und Blicher gehörte zu ihnen –, daß sie sich nicht gern direkt über eine Sache äußern. Die jütländische Mundart ist gefüllt mit Umwegen und indirekten Ausdrücken. Die Jütländer haben eine innerliche Freude an ihrer Sprache und lieben es mit den "Worten zu spielen", nur wegen des Vergnügens sich spaßig auszudrücken. Diese Eigenschaft, Humor und Sittsamkeit sind gepaart mit einem starken Sinn, dem die tiefen Gefühle und starken Spannungen großer Tragödien sehr zugänglich sind. Deswegen ist über St. St. Blicher eine unwiderstehliche Macht, wenn er über bewegte Ereignisse und Schicksale erzählt, eine Macht, die zum Herzen geht, selbst wenn seine Werke in andere Sprache übertragen gelesen werden.
Blicher war Sohn eines Bauern, er hatte sich akademische Bildung angeeignet, indem er das Examen zum Theologen machte. Die Veränderung in seiner gesellschaftlichen Stellung entfernte ihn jedoch nicht vom kleinen Manne. Deshalb war er einer der großen Dichter, weil er verstand, daß man das beste nur schaffen kann durch Respekt vor der Denkart und den Gebräuchen des Volkes, einen Respekt, der nie ermüden oder seine lauschende Haltung aufgeben darf.
Blicher war ein leidenschaftlicher Jäger, und seine besten Arbeiten hat er auf Wanderungen geformt. Mit der Büchse an der Schulter ging er und machte dort Halt, wo Zeit und Gelegenheit und die stets bereite jütländische Gastfreiheit sich boten. Er hat mit Bauern und mit reisenden Handwerksburschen und Handelsleuten Seite an Seite gesessen, nicht um ihnen als der studierte Geistliche etwas zu lehren, sondern um durch ihre einfachen Weisheiten und heilige Einfalt selbst in das Mysterium des Lebens einzudringen.
In seinen besten Novellen läßt Blicher auch die einfache Seele, die er kannte und liebte, selbst sprechen. Er hat nichts zu dem hinzuzufügen, was sie sagen. Er hält sich nicht für klüger als sie es sind. Er weiß zu viel vom Leben um zu meinen, daß alles mit einer geistreichen Bemerkung abgetan werden kann.
In seiner Dichtung wird Blicher ein Mensch, dessen Berichte für jeden Bedeutung haben, der das Leben mit dem Wunsche lebt, zu verstehen und zu verzeihen. Er wird zum Pastor, der inmitten der leidenden Menschen geht und keinen andern Rat weiß, als sich schweigend zu ihnen zu setzen und ihnen zuzuhören, während sie sprechen.
St. St. Blicher genaß bei Lebzeiten kein besonderes Ansehen. Die damaligen Kritiker fanden nichts Eigentümliches oder Bedeutendes an ihm.
Erst das folgende Geschlecht verstand den Dichter zu würdigen, und heute sind sich alle einig, daß er zu den bedeutendsten dänischen Schriftstellern, die gelebt haben, zu zählen ist.
Blichers Dichtung besteht aus recht verschiedenartigen Werken. Er hat traurige Sachen, wie auch witzige Erzählungen geschrieben; aber der bleibende Wert dieses Dichters ist die Kunst, so zu erzählen und so zu singen, daß alle mitfolgen können und es treffend und vollkommen zu tun innerhalb der kurzbemessenen Zeit, die das eilende Dasein uns Menschen zur Beschäftigung mit Sagen und Gedichten gönnt.
Steen Steensen Blichers Größe liegt in der Sicherheit, mit der er die kurze Form beherrscht. Er hat niemals einen Roman geschrieben, und doch gibt er uns immer alles, was das Thema uns geben kann.
Es wird Blicher gehen wie andern Dichtern, das Unwesentliche und weniger Bedeutende wird mit der Zeit wegfallen. Zurückbleibt, was diesem Dichter ewiges Leben sichert, seine Kunst, so zu schreiben, daß man ihn selbst vergißt und von dem Leben bezaubert wird, das man in seinen Schriften trifft.
Wenn wir das Buch schließen, so werden wir uns des Mannes erinnern, der uns die gute und schöne Freude bereitete – und beständig werden wir uns zu denen rechnen, die Steen Steensen Blicher lieben.
Föulum, den 1. Januar 1708.
Gott schenke uns allen ein frohes Neues Jahr und bewahre unsern guten Herrn Sören! Er löschte gestern abend das Licht und Mutter sagte, er lebt nicht mehr bis nächstes Neujahr; aber das hat wohl nichts zu bedeuten. –
Es war sonst ein vergnüglicher Abend. Als Herr Sören nach der Mahlzeit seine Kappe abnahm und wie gewöhnlich sagte: "agamus gratias!" zeigte er auf mich, anstatt auf Jens. Es war das erstemal, daß ich unser lateinisches Tischgebet lesen durfte. Heute vor einem Jahr hat Jens es gelesen; aber ich machte große Augen, denn damals verstand ich kein Wort davon, und jetzt kann ich den halben Cornelius.
Es ahnt mir so, als sollte ich Pastor in Föulum werden. Ach, wie würden sich meine lieben Eltern freuen, wenn sie den Tag erleben! Und Pfarrers Jens Bischof in Viborg werden könnte, wie sein Vater sagt! Nun, wer kann es wissen? Gott lenkt alles. Sein Wille geschehe! Amen in nomine Jesu!
Föulum, den 3. September 1708.
Gestern habe ich mit Gottes Gnade mein fünfzehntes Jahr vollendet. Jetzt ist Jens mir im Latein nicht mehr über. Zu Hause bin ich fleißiger als er; ich lerne und er läuft mit Jäger Peer über die Felder. Auf die Weise wird er wohl kaum Bischof werden. Der arme Herr Sören! Er sieht das wohl. Die Tränen treten ihm in die Augen, wenn er bisweilen zu ihm sagt: "Mi fili! Mi fili! Otium est pulvinar diaboli!" –
Neujahr fangen wir mit Griechisch an. Herr Sören hat mir ein griechisches Testament gegeben. "Sind das nicht seltsame Krähenfüße? Das ist noch wie ein Schleifstein für deine Augen", sagte er freundlich zu mir und kniff mich in das Ohr, wie immer, wenn er guter Laune ist. Aber lieber Gott, was wird er sagen, wenn er hört, daß ich schon fließend lesen kann.
Föulum, die St. Martini.
Es steht faul um Jens. – Herr Sören war so wütend auf ihn, daß er den ganzen Tag mit ihm dänisch sprach. Mit mir sprach er lateinisch. Einmal hörte ich, daß er wie zu sich selbst sagte: "vellen hunc esse filium meum." Damit meinte er mich. Aber wie jämmerlich auch Jens in seinem Cicero stümperte! Ich weiß wohl, woran das liegt; denn vorgestern, als sein Vater auf Hochzeit in Vinge war, war er mit Jäger Peer im Linduner Wald und da hat – Gott bewahre uns! – ein Wildschwein ihm die Hosen zerrissen. Seiner Mutter log er vor, der Stier aus Tjele hätte es gemacht; aber sie gab ihm eine ordentliche Maulschelle – habeat!
Föulum, Calendis Januar 1709.
Proh dolor! Herr Sören ist tot! vae me miserum! Als wir uns am Heiligabend zu Tisch gesetzt hatten, legte er den Löffel hin und sah Jens sehr lange wehmütig an – "fregisti cor meum!" sagte er seufzend und ging in die Schlafstube. Ach! er ist nicht mehr aufgestanden. Ich habe ihn seitdem jeden Tag besucht und er gab mir viele gute Ermahnungen und Lehren; aber nun sehe ich ihn nie mehr wieder.
Donnerstag habe ich ihn das letztemal gesehen. Nie werde ich vergessen, was er sagte, als er mir eine sehr bewegliche Rede gehalten hatte: "Gott, gib meinem Sohne ein rechtschaffenes Herz!" Er faltete seine mageren Hände und legte sich in das Kissen zurück: "pater, in manus tuas committo spiritum meum!
Das waren seine letzten Worte. Als ich sah, daß die Alte die Schürze vor die Augen hielt, lief ich hinaus, gar betrübten Muts. Draußen vor der Tür stand Jens und weinte, "seras dat poenas turpi poenitentia", dachte ich; aber er fiel mir um den Hals und schluchzte. Gott vergebe ihm seine Wildheit! Sie hat mich am meisten betrübt.
Föulum, Pridie Iduum Januarii MDCCIX.
Gestern ging mein lieber Vater nach Viborg, um mir einen Mittagstisch zu verschaffen, wenn ich in die Schule komme. Wie sehne ich mich nach der Zeit! Ich lerne ja den ganzen Tag, aber der ist jetzt so kurz, und Mutter sagt, es reicht nicht aus, bei Licht zu lernen. – Ich kann mit dem Brief an Tuticanus nicht zurechtkommen – nein, das war doch anders, als der gute Herr Sören noch lebte! eheu! mortuss est!
Es ist ein schrecklicher Winter! Himmel und Erde sind eins: eine Schneewehe liegt bis ans Dach unserer Scheune. Vorige Nacht hat Jens zwei Hasen in unserem Krautgarten geschossen – er hat seinen armen Vater bald vergessen. Aber wenn das Jäger Jens erfährt, dann sieht es schlimm aus.
Föulum, Idibus Januarii MDCCIX.
Vater ist noch nicht nach Hause gekommen, und das Wetter ist immer noch so schlecht – wenn er sich nur nicht verirrt hat! Drüben an der Scheune geht Jens mit seiner Büchse und ein paar Vögeln in der Hand – er kommt herein. –
Er hatte Rebhühner auf Mads Madsens Düngerhaufen geschossen. Er wollte, Mutter sollte sie braten, aber sie wagte es nicht; die Herrschaft könnte es erfahren.
Föulum, XVIII Calend. Feb. 1709.
Ach, ach, ach! Mein lieber Vater ist erfroren! Der Mann von Kokholm hat ihn in einer Schneewehe gefunden und kam mit ihm angefahren – ich bin so verheult, daß ich nicht aus den Augen sehen kann – Mutter auch – Gott helfe uns beiden!
Föulum, den 18ten Februar.
Ich hätte Jens beinahe nicht wieder erkannt. Einen grünen Rock hatte er anbekommen und eine grüne Feder am Hut.
"Siehst du", sagte er, "jetzt bin ich ein Jäger! Und was bist du? Ein Schuljunge, ein Lateiner!" –
"Ja, Gott helfe uns," erwiderte ich. "Mit dem Latein ist es vorbei! Ich kann da Pfarrer werden, wo du Bischof bist!" Meine Mutter soll nicht verhungern, wenn ich in Viborg vor den Türen singe. Ich muß zu Hause bleiben und für sie Brot verdienen. – Ach Jens, wäre doch dein Vater noch am Leben!"
"Sprechen wir nicht davon!" sagte er. "Ich hätte doch mein Lebtag kein Latein gelernt – zum Teufel mit dem dummen Zeug! Nein, hör mal, du solltest auf den Hof kommen! Da hat man gute Tage und ein herrliches Leben!"
"Wie sollte ich das machen?" erwiderte ich.
"Wir wollen es mal versuchen!" rief er und lief davon.
Er hat doch ein gutes Herz, der Jens; aber wild und verrückt ist er. Vor sechs Wochen haben sie seinen seligen Vater begraben, und vor drei Wochen folgte seine Mutter nach. Aber jetzt ist nichts mehr davon zu verspüren. Die eine Stunde kann er weinen und die andere lachen.
Tjele, den 1ten Mai 1709.
Nun bin ich also Diener bei der gnädigen Herrschaft. Lebwohl, geistlicher Stand! Lebwohl, Latein! Oh, meine lieben Bücher! Valete plurimum! vendidi libertatem für zwölf Taler. Acht soll meine arme Mutter haben, und der gnädige Herr hat ihr außerdem Deputat versprochen; da wird sie weder hungern noch frieren. Jens hat mir wirklich diese Stellung verschafft. Er hat sehr viel hier auf dem Hof zu sagen. Er ist ein Teufelskerl oder richtiger ein Mädelskerl. Die Wirtschafterin hat ihm ein großes Stück Kuchen zugesteckt; die Meierin schmunzelte ihm so freundlich zu; das Kammermädchen ebenso – ja, selbst eins der gnädigen Fräulein nickte freundlich, als sie an ihm vorbeiging. Es sieht so aus, als ob er Jäger an Stelle Peers wird. Das Schlimmste ist, daß er sich angewöhnt hat zu fluchen, schlimmer als ein Matrose.
Tjele, den 12ten Mai 1709.
Es geht mir gottlob recht gut! Wir sind sechs Diener für den Herrn, für gnädige Frau, den Junker und die beiden Fräulein. Ich habe Zeit genug zu lernen, und ich versäume auch nicht meine lieben Bücher. Allerdings habe ich keinen Nutzen davon; aber ich kann es doch nicht lassen. Gestern wurden die Bücher des seligen Herrn Sören verkauft. Ich kaufte für zwei Taler, ich bekam so viel, wie ich tragen konnte, darunter einen großen Haufen Ovidius. Eins hat den Titel "ars amoris", ein anderes "remedium amoris". Die will ich zuerst lesen; denn ich möchte doch wissen, wovon sie handeln. Einmal hatte ich sie in Herrn Sörens Studierstube gehabt, aber da kam er und nahm sie mir fort und sagte: "abstine Manus! Finger weg! Das ist nichts für dich!"
Tjele, den 3ten Juni 1709.
Wenn man doch französisch verstünde! Die Herrschaft spricht nichts anderes, wenn sie essen, und ich verstehe kein Wort. Heute sprachen sie von mir; denn sie sahen oft zu mir hin. Einmal hätte ich beinah den Teller fallen lassen; ich stand hinter Fräulein Sophies Stuhl, sie drehte sich um und sah mir gerade ins Gesicht – es ist ein reizendes Fräulein, das Fräulein Sophie! Ich habe eine große Freude, sie anzusehen.
Tjele, den 13ten September 1709.
Gestern war ein sehr unruhiger Tag. Die Viskumer waren hier und hier war große Jagd. Ich war auch dabei und hatte eine von den Büchsen des gnädigen Herrn bekommen. Zuerst ging es ganz gut, aber dann kam ein Wolf bei mir vorbei. Ich hätte beinahe vor Schreck die Büchse fallen lassen und vergaß ganz zu schießen. Jens stand neben mir und schoß den Wolf.
"Du bist ein Rindvieh!" sagte er. "Aber ich will dich nicht verraten!"
Gleich darauf kam der gnädige Herr bei mir vorbei. "Du bist ein Tropf, Marteng!" rief er, "du nimmst Schmiergelder."
"Ich bitte alleruntertänigst um Vergebung!" erwiderte ich, "ich bin ganz unschuldig; aber ich habe jedenfalls schlechte Fürsprecher beim gnädigen Herrn gehabt. Ich will mit Gottes Hilfe Ihnen ehrlich und treu dienen!"
Da lachte er allergnädigst und sagte: "Du bist ein großer Tropf!"
Aber damit war es nicht vorbei. Als die Herrschaften bei Tisch waren, fingen sie wieder vom Wolf an und fragten mich, wieviel er mir gegeben hätte und dergleichen mehr. Ich verstand nicht recht, was sie meinten; aber das konnte ich verstehen, daß sie mich zum besten hatten sowohl auf französisch wie auf dänisch. Und was Fräulein Sophie anging, so lachte sie mir gerade ins Gesicht – das tat mir am meisten weh. Ob ich nicht diese Näselsprache lernen könnte? Sie kann doch nicht schwerer als Latein sein.
Tjele, den 2ten Oktober 1709.
Es ist nicht unmöglich – das sehe ich schon. Französisch ist nichts anderes als schlechtes Latein. In einer Kiste mit alten Büchern, die ich gekauft habe, war auch ein Metamorphoses auf französisch – das traf sich ausgezeichnet! Das lateinische verstand ich ja schon. Aber eins ist doch wunderlich: wenn ich sie da oben französisch reden höre, scheint mir kein französisches Wort darunter zu sein – über Ovid unterhalten sie sich nicht.
Ich will jetzt auch ordentlich schießen lernen. Der gnädige Herr will mich mit auf die Jagd nehmen, aber ich kann es ihm nie recht machen; entweder schimpft oder lacht er – manchmal beides gleichzeitig: ich halte die Büchse verkehrt, ich lade sie falsch, ich ziele falsch und ich schieße falsch. Ich muß es mir von Jens zeigen lassen. "Sieh Jens an", sagt der gnädige Herr, "das ist ein Jäger! Du trägst die Büchse, als hättest du einen Hobel auf dem Rücken, und wenn du zielst, sieht es aus, als wolltest du hintenüber fallen."
Fräulein Sophie lacht auch über mich – das steht ihr aber gut an – sie hat so reizende Zähne.
Tjele, den 7ten November 1709.
Gestern habe ich einen Fuchs geschossen; der gnädige Herr nannte mich einen braven Garcong und schenkte mir ein eingelegtes Pulverhorn. Jensens Unterricht hat gut gefruchtet. Es ist schon ganz munter mit der Jägerei. Mit dem Französischen geht es jetzt besser; ich fange an hinter die Aussprache zu kommen. Neulich hörte ich an der Tür zu, wie die Mamsell die Fräulein unterrichtete.
Als sie fertig waren und gingen, stahl ich mich dazu, um zu sehen, was für ein Buch sie wohl benutzten. Mein Gott, wie wurde ich erstaunt! Es war gerade eins, das ich auch habe und das L'école du monde heißt. Nun stehe ich jeden Tag mit meinem Buch in der Hand draußen und höre zu – es geht sehr gut. Die französische Sprache ist doch schöner, als ich dachte; Fräulein Sophie läßt es so artig an, wenn sie es spricht.
Tjele, den 13ten September 1709.
Gestern hat Gott meinen gnädigen Herrn durch meine Hand errettet. Wir hatten Treibjagd im Lindumer Wald. Als wir am Graumoor waren, kommt ein Wildschwein heraus und gerade auf den gnädigen Herrn los. Er schoß und traf es auch ganz richtig; aber es reichte nicht aus, und das Wildschwein geht auf ihn los. Der gnädige Herr war nicht furchtsam; er zieht seinen Hirschfänger und will ihn dem Schwein in die Brust jagen; aber der bricht mitten durch. Nun war guter Rat teuer – all das ging auch im Handumdrehn vor sich, so daß niemand zu Hilfe kommen konnte. Gerade in dem Augenblick, als ich dazu will, sehe ich den gnädigen Herrn auf dem Rücken des Wildschweins, und das mit ihm davon.
"Schieß!" ruft er dem Verwalter zu, der links neben ihm stand; aber er wagte es nicht. "Schieß in drei Teufels Namen!" ruft er Jens zu; indem er an ihm vorbeisaust; Jens Büchse versagte jedoch.
Nun drehte das Wildschwein ab und gerade an mir vorbei.
"Schieß, Morten! Sonst reitet die Sau mit mir zur Hölle!" schrie er.
In Gottes Namen, dachte ich, hielt auf sein Hinterteil und traf so glücklich, daß ich dem Tier beide Hinterschenkel zerschoß. Froh wurde ich und froh wurden wir alle, aber am meisten doch der gnädige Herr.
"Das war ein Meisterschuß", sagte er, "und behalte du nun auch die Büchse, die du so gut geführt hast! Und Ihr altes Weib", sagte er zum Verwalter, "stempelt mir die größte Buche im Walde für seine alte Mutter! Jens soll zu Hause einen besseren Stein in seine Büchse setzen!"
Als wir spät abends nach Hause kamen, gab es ein Fragen und Erzählen. Der gnädige Herr klopfte mich auf die Schulter und Fräulein Sophie lächelte mir so freundlich zu, daß mir das Herz im Halse saß.
Tjele, den 11ten Januar 1711.
Ein plaisantes Wetter! Die Sonne geht so rot auf wie brennende Glut! Es sieht recht curieux aus, wenn sie so durch die weißen Bäume scheint. Und alle die Bäume sehen aus, als wären sie gepudert, und die Zweige hängen rings herum bis auf die Erde. Um den alten Grand Richard ist es eine Schande, ein paar Zweige sind schon geknickt. Akkurat, solches Wetter war es heut vor acht Tagen, als wir mit Schlitten nach Fussingö fuhren und ich hinten auf Fräulein Sophies aufstand. Sie wollte selbst fahren; aber als eine Viertelstunde vergangen war, fing sie an, an den kleinen Fingern zu frieren.
"J'ai froid", sagte sie zu sich selbst.
"Soll ich nicht fahren, gnädiges Fräulein?" sagte ich.
"Comment!" sagte sie: "Verstehst du französisch?"
"Un peu, Mademoiselle!" erwiderte ich.
Da drehte sie sich um und sah mir gerade in die Augen. Ich nahm ein Lenkseil in jede Hand und hielt meine beiden Arme um sie. Ich streckte sie weit aus, um ihr nicht zu nah zu kommen; aber jedesmal, wenn der Schlitten schleuderte und ich sie berührte, war es mir, als ob ich einen warmen Ofen berührt hätte. Es kam mir so vor, als ob ich mit ihr durch die Luft flog, und ehe ich es ahnte, waren wir in Fussingö.
Wenn sie nicht gerufen hätte: "Tenez, Martin! arrêtez-vous!" wäre ich vorbeigefahren bis nach Randers oder bis ans Ende der Welt. Ob sie heute nicht wieder ausfahren will? Aber da kommt Jens mit der Büchse des gnädigen Herrn, die er gereinigt hat – wir müssen also auf Jagd.
Tjele, den 13ten Februar 1710.
Ich bin nicht ganz wohl. Mir ist, als läge mir ein schwerer Stein auf der Brust. Das Essen widersteht mir, und des Nachts kann ich nicht schlafen. Letzte Nacht hatte ich einen merkwürdigen Traum: es war mir, als stünde ich hinten auf Fräulein Sophies Schlitten, aber plötzlich saß ich drinnen im Schlitten und sie auf meinen Schoß. Ich hatte meinen rechten Arm um ihren Leib, und sie ihren linken um meinen Hals. Sie beugte sich nieder und küßte mich; aber da erwachte ich. Ach, ich hätte so gern weitergeträumt! – Das war ein schönes Buch, das sie mir gegeben hat; ich divertiere mich damit jeden Abend – wer doch auch einmal so glücklich werden könnte wie der tartarische Prinz! – Je mehr französisch ich lerne, desto besser gefällt es mir; ich vergesse beinahe mein Latein darüber.
Tjele, den 13ten März 1710.
Gestern, als wir von der Schnepfenjagd nach Hause kamen, sagte der gnädige Herr zu mir: "Ich höre ja, daß du französisch verstehst?"
"Ein bißchen, gnädiger Herr!" versetzte ich.
"Dann kannst du ja nicht mehr bei Tisch aufwarten; wir können ja in deiner Gegenwart nicht mehr den Mund auftun."
"Ach," rief ich aus, "der gnädige Herr wird mich doch nicht verstoßen?"
"Point du tout", versetzte er, "du wirst von jetzt an mein valet du chambre sein! Und wenn Junker Kresten nach Paris reist, dann begleitest du ihn – was hältst du davon?"
Ich wurde so erregt, daß ich kein Wort sagen konnte, sondern nur seine Hand küßte. Wenn ich mich auch recht sehr freue, so finde ich doch, daß ich nur ungern von hier fort will, und ich glaube wirklich, daß meine Gesundheit seitdem schlechter geworden ist.
Tjele, den 1ten Mai 1710.
Ach, ich elender Mensch! Nun weiß ich, was mir fehlt. Ovidius hat es mir gesagt, er hat mir meine Krankheit ganz genau beschrieben. Wenn ich nicht fehlgehe, so heißt sie Amor oder Liebe, und die, von der ich charmiert bin, muß ohne Zweifel Fräulein Sophie sein. Ach, ich armer Tropf! Wohin soll das führen? Ich muß seine remedia amoris versuchen!
Neulich sah ich sie auf dem Gange stehen und freundlich mit Jens sprechen: das ging mir wie ein Messerstich durch das Herz. Es war mir, als sollte ich ihn vor die Stirn schießen, aber da lief sie mit einem Lächeln an mir vorbei. Mir war zu Mute, als sei ich auf der Treibjagd und ein Wild käme mir in den Schuß. Mein Herz schlägt mir gegen die Rippen, ich kann kaum Atem holen, und meine Augen sind wie festgewachsen auf dem Tier – ah, malheureux, que je suis!
Tjele, den 17ten Juni 1710.
Wie öde und verdrießlich mir der Hof jetzt vorkommt. Die gnädige Herrschaft ist fort und kommt erst in acht Tagen wieder. Wie soll ich das durchmachen? Zu nichts habe ich Lust. Meine Büchse hängt voller Staub und Rost, und ich habe keine Lust sie zu reinigen. Ich kann nicht verstehn, wie Jens und die andern so froh und lustig sein können; die schwatzen und lachen, daß es in den Wirtschaftsgebäuden einen Widerhall gibt – ich seufzte wie eine Rohrdommel. Ach, Fräulein Sophie! Wenn du doch ein Bauernmädchen wärst oder ich ein Prinz.
Tjele, den 28ten Juni 1710.
Der Hof liegt vor meinen Augen, neu geweißt und geputzt. Die Bäume im Garten haben eine schöne hellgrüne Couleur bekommen, und alle Leute sehen so sanft aus. – Fräulein Sophie ist wieder nach Haus gekommen; sie kam durch das Tor wie die Sonne durch eine Wolke. Aber dennoch zitterte ich wie Espenlaub. Es ist gut und auch schlimm verliebt zu sein.
Tjele, den 4ten Oktober 1710.
Eine magnifique Jagd haben wir heut gehabt! Das Hviddinger Holz war mit über dreihundert Treibern umstellt; von Viskum und Fussingö waren sie hier mit allen ihren Hunden. Bei Tagesanbruch waren wir aus Tjele schon da. Es war ganz still in der Luft und ein dichter Nebel bedeckte die ganze Gegend; nur die Spitzen der Feuerhügel konnte man aufragen sehn. In der Ferne konnten wir die stampfenden Fußtritte der Treiber hören und vereinzeltes Hundegebell.
"Nun kommen die Viskumer", sagte der gnädige Herr, "ich kann Chasseur anschlagen hören."
"Da kommen auch die Fussingöer", sagte Jens, "da bellt Perdrix."
Noch konnten wir vor Nebel nichts sehn, aber als sie näher kamen, hörten wir das Poltern der Wagen, das Schnaufen der Pferde, das Schwatzen und Lachen der Jäger. Nun kam die Sonne vor und der Nebel hob sich. Da wurde es lebendig auf allen Seiten. Die Förster begannen schon die Treiber aufzustellen; man hörte sie flüstern und Schweigen gebieten, und bisweilen traten die Stöcke in Tätigkeit. Aus Westen und Süden kamen die Jäger angefahren und hinter ihnen die Wagen mit den Hunden; ihre Schwänze ringelten sich über den Wagenrand und bisweilen tauchte ein Kopf auf, der auch gleich von den Jägerburschen eins drauf bekam. Nun saß der gnädige Herr selbst ab, in dem langen Tal mitten im Holz. Als er fertig war, stieß er in seine Pfeife und sofort begannen die Hornbläser ein lustiges Stück. Die Hunde wurden losgekoppelt, und es dauerte nicht lange, so schlugen sie an, erst einer, dann zwei, dann die ganze Koppel. Hasen, Füchse und Rehe liefen hin und her auf den bewaldeten Hügeln. Ab und zu fiel ein Schuß und der Knall gab einen Widerhall durch das ganze Tal. Die Treiber konnten wir nicht sehn, wohl aber ihr Zurufen und Schreien hören, wenn ein Reh oder ein Hase durchbrechen wollte. Ich war auf meinem Platz und schoß zwei Füchse und einen Bock vor dem Frühstück.
Derweilen wurden die Hunde zusammengerufen und angekoppelt, und die Hornbläser spielten, und als es vorbei war, ging es wieder an. Da hielten mit einemmal zwei Wagen am Ende des Tals mit all den gnädigen Frauen und Fräulein und darunter Fräulein Sophie. Das rettete einen Fuchs; während ich dahin sah, schlüpfte er an mir vorbei. Ein paar Stunden vor Abend war das Holz von Wild gesäubert und die Jagd war zu Ende. Wir bekamen wohl gegen dreißig Stück, und Junker Kresten, der die meisten Füchse geschossen hatte, wurde mit einem Stück auf dem Waldhorn gefeiert.
Tjele, den 17ten Dezember 1710.
Gestern begleitete ich meine liebe Mutter zu ihrer Ruhestätte. Der neue Pfarrer – Gott lohne es ihm! – ehrte ihr Hinscheiden mit einer Leichenpredigt, die sieben Viertelstunden währte. Sie war mir eine gute und liebe Mutter – der Herr gebe ihr eine selige Auferstehung!
Tjele, den 23ten Januar 1711.
Ein elender Winter! Noch keine Schlittenbahn! Darauf habe ich seit Martini gewartet, jedoch vergebens. Regen und Wind und trauriges Wetter. Im vorigen Jahr um diese Zeit fuhren wir nach Fussingö. Wenn ich an den Abend denke! Der Mond schien so blank wie ein silberner Teller auf dem blauen Himmel und warf unsre Schatten neben den Weg auf den weißen Schnee. Ich beugte mich manchmal so weit vor, daß mein Schatten mit Fräulein Sophies zusammenstieß; da war es mir, als wären wir beide eins. Ein kalter Wind stand uns gerade entgegen, er wehte ihren süßen Atem zurück – ich verschlang ihn wie Wein – ach, ich Narr! Ich verliebter Narr! Was helfen mir all diese Considerationen? Sonntag reise ich mit Junker Kresten nach Kopenhagen, und da sollen wir den ganzen Sommer bleiben. Ich glaube, bis zum Mai bin ich tot. – Ah, Mademoiselle Sophie! Adieu! Un éternel adieu!
Auf See zwischen Samsö und Seeland, den 3ten Februar 1711.
Die Sonne geht unter hinter meinem lieben Jütland; ihr Widerschein legt sich über das ruhige Meer wie ein unendlicher Feuerweg. Mir ist es, als grüße sie mich von meiner Heimat – ach, sie ist weit fort, und immer mehr entferne ich mich von ihr.
Was mögen sie nun auf Tjele treiben? Mein rechtes Ohr klingt. – Ist das Fräulein Sophie, die jetzt von mir spricht? Ach nein, ich bin ja nur ein armer Diener, wie sollte sie an mich denken? Ebensowenig wie der Schiffer, der auf dem Deck hin und her geht mit übergeschlagenen Armen – er sieht so oft nach Norden aus – was ist da wohl zu sehn? Ein Schwede! sagt er. Gott helfe uns wohl in Gnaden!
Kalundborg, den 4ten Februar 1711.
Nun weiß ich, was Krieg ist – ich bin in Bataille gewesen, und – der Herre Zebaoth sei gepriesen! – wir behielten den Sieg. Es war so, wie der Schiffer sagte, ein schwedischer Kaper. Morgens, sobald es tagte, sahen wir ihn auf eine halbe Meile Abstand; sie sagten, er mache Jagd auf uns.
"Ist da einer unter euch Passaschiers", sagte der Schiffer, "der Mut und Mannsherz und Lust hat, mit dem schwedischen Gast anzulegen?"
"Ich habe ein gutes Gewehr", versetzte Junker Kresten, "und mein Diener hat eins; wollen wir mal die Jagd versuchen, Morten?"
"Wie der Junker befehlen!" sagte ich, lief in die Kajüte, lud unsre Gewehre, brachte sie mit Pulver und Kugeln an Deck.
Zwei jütländische Soldaten waren auch heraufgekommen; die hatten jeder ihre Büchse und der Schiffer ein spanisches Gewehr, so lang wie er selbst; der Steuermann und die Matrosen brachten Äxte und Handspaken.
"Können wir ihm nicht entkommen, lieber Schiffer?" fragte ich.
"Den Teufel können wir", versetzte er, "du siehst doch, wie er aus allen Kräften auf uns zuhält. Du wirst seine Stücke bald zu hören bekommen; aber wenn du Angst hast, dann geh nach Hause und leg dich in Mutters Truhe."
Damit wälzte sich der Rauch aus dem schwedischen Schiff und gleich darauf hörten wir ein fürchterliches Gebuller und ein Sausen über unsern Köpfen. Es dauerte auch nicht lange, da kam noch ein Knall und noch einer, und die letzte Kugel riß einen Splitter aus unserm Mast. Da wurde mir ganz seltsam zu Mute; mein Herz schlug immer stärker und es sauste und brauste vor meinen Ohren. Als aber der Schwede so dicht herangekommen war, daß wir ihn mit unsern Gewehren erreichen konnten und ich den ersten Schuß getan hatte, da war es, als wäre ich auf Treibjagd. Der Schwede kam immer näher und wir standen gedeckt hinter der Kajüte und feuerten von hinten auf ihn, was wir nur konnten. Da fielen mehrere von seinen Leuten, besonders von des Junkers und meinen Schüssen.
"Wenn wir eine Schnepfe schießen können, Morten, können wir wohl auch einen Schweden treffen, wenn er still steht!" sagte er.
"Braver Bursche!" rief der Schiffer, "seht ihr den schwedischen Kapitän, der da mit dem großen Säbel hin und her geht? Holt euch den heraus, dann haben wir das Spiel gewonnen!"
Da legte ich auf ihn an und drückte ab, und als ich mein Gewehr von der Wange nahm, sah ich, wie er mit der Nase auf das Deck schlug.
"Hurra", rief der Schiffer, und wir andern alle auch; aber der Kaper drehte ab und nahm seinen Kurs wieder auf. Mit der dänischen Flagge am Topp fuhren wir in die Kalundborger Förde ein, stolz und froh; denn nicht ein Mann war verwundet, obwohl die Kugeln über und durch das Schiff gegangen waren. Der Hofmeister, Monsieur Hartmann, war der einzige, der sein Blut zu sehen bekam, und das auf schnurrige Weise: er lag in der Koje des Schiffers und rauchte seine Pfeife, als die Schlacht begann. Kurz darauf ging ich hinunter, um Leinwand für die Kugeln zu holen.
"Martine!" sagte er, "quid hoc sibi vult?" Aber bevor ich antworten konnte, fuhr eine Kugel durch das Kajütfenster, nahm die Pfeife mit – die er aus der Koje heraushielt – und das Mundstück riß ihm ein Loch in den Gaumen.
Nun sind wir im Hafen und auf trockenem Lande; wie süß die Ruhe nach solchem Lüftchen ist!
Kopenhagen, den 2ten Juni 1711.
Mein Kopf ist ganz voll von all den schönen Dingen, die ich gesehn und gehört habe. Ich kann es in meinen Gedanken nicht zusammenhalten, denn das eine verjagt das andre, wie die Wolken einander im Wind. Aber das Kurioseste ist doch, daß ich meine Verliebtheit beinahe loswerde. Je länger ich hier bin, desto weniger scheine ich mich nach Fräulein Sophie zu sehnen, und ich möchte beinahe glauben, daß es eben so schöne Mädchen in Kopenhagen gibt. Hätte ich Anmerkungen zu Ovidii remedium amoris zu schreiben, würde ich eine Reise nach der Hauptstadt als eins der besten Mittel gegen diese gefährliche Maladie rekommandieren.
Vor Anker vor Kronborg, den 12ten Septbr. 1711.
Ach du barmherziger Himmel! Was habe ich erlebt! Welch' Jammer und Elend habe ich mit diesen meinen Augen gesehn! Gott hat uns heimgesucht um unsrer Sünden willen und das Volk mit Beulen geschlagen. Sie fallen wie Fliegen um mich herum, aber ich Unwürdiger wurde errettet vor dem Würger Tod. Ach, mein lieber Junker! Was soll ich sagen, wenn ich heimkomme ohne ihn? Aber ich verließ ihn nicht, ehe er nicht seinen letzten Seufzer ausgehaucht hatte; ich wagte mein Leben für ihn, doch Gott schonte es – sein Name sei gelobt! Wenn ich an diese Schreckenstage denke, ist mein Herz darin zu brechen.
Furchtsam und traurig saßen wir von Morgen bis Abend in unsrer einsamen Wohnung, sahen einander an und seufzten. Nur selten sahen wir hinab auf die leeren Straßen, die früher von Menschen wimmelten. Nur eine oder die andre triste figure schlicht sich über das Pflaster wie ein Gespenst; aber hinter den Fenstern sah man Leute sitzen wie Arrestanten, die meisten unbeweglich, als wären es gemalte Porträts. Hörte man dann das hohle Gepolter von den Wagen der Pestträger, wie fuhren da alle von den Fenstern zurück, um nicht den schreckenvollen Anblick zu sehn! Ich sah ihn nur einmal; mich verlangte nicht öfter danach. Da fuhren diese schwarzen Todesengel mit den langen Wagen voller Leichen; durcheinander geworfen wie Vieh lagen sie da. Hinten aus dem Wagen heraus hingen Kopf und Arme einer jungen Frauensperson; die Augen starrten grimm aus dem gelbschwarzen Gesicht, und das lange Haupthaar fegte die Straße.
Da erfaßte es den Junker zum erstenmal; er wankte in seine Schlafkammer und streckte sich auf das Todeslager. Ich aber seufzte in meinem Herzen: "Sie sollen in das Grab gelegt werden wie Schafe, der Tod wird sie verzehren; aber Gott wird meine Seele erlösen aus der Gewalt des Grabes, denn er hat sich meiner angenommen, Sela!"
Tjele, den 29ten September 1711.
Nun bin ich also wieder hier! Als ich durch die Tür schritt, klopfte mein Herz ungefähr so wie an dem Tage, als wir uns mit dem Schweden schlugen. Und als ich zu der gnädigen Herrschaft hineintrat und sie alle in Schwarz sah, da weinte ich wie ein Kind und sie weinten mit. Ich könnte vor Weinen fast nicht sprechen, und bevor ich die affreuse Geschichte beendet hatte, wandte sich der gnädige Herr ab und ging in seine Kammer – Gott tröste sie in seiner Barmherzigkeit, Amen!
Tjele, den 8ten Oktober 1711.
Heute waren wir zum erstenmal auf Jagd nach meiner Rückkehr. Ach es war nicht wie in früheren Tagen, sie gab nur wenig Satisfaktion. "Morten", sagte der gnädige Herr mehrmals zu mir, "uns fehlt Junker Kresten", und dann seufzte er, so daß es mir ins Herz schnitt. Lange vor Abend kamen wir nach Haus mit einem elenden Hasen.
Tjele, den 2ten November 1711.
Es fängt wieder an auf dem Hofe lebendig zu werden. Wir erwarten hochvornehme Gäste: Seine Exzellenz Herrn Gyldenlöve mit Suite. Er will einige Wochen hier bleiben und sich mit Jagd divertieren. Gestern sprach die gnädige Herrschaft bei Tisch davon:
"Er ist von hochköniglichem Geblüt und ein vollkommener Kavalier", sagte die gnädige Frau und sah dabei Fräulein Sophie an.
Sie wurde rot, sah auf ihren Teller und lächelte, aber ich wurde kalt wie Eis am ganzen Körper – ach, ach, ich dachte, ich wäre von meiner üblen Inklination kuriert, aber ich fühle, daß die Krankheit mit größerer Force wiedergekehrt ist. Ich zappele wie ein Rebhuhn im Netz, aber es hilft nichts – ach, wäre ich doch tausend Meilen von hier!
Tjele, den 14ten Novbr. 1711.