Darcy - Der Glückskater und der geblitzte Fotograf - Gesine Schulz - E-Book

Darcy - Der Glückskater und der geblitzte Fotograf E-Book

Gesine Schulz

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Beschreibung

Ein neuer Wohlfühlroman für England-Liebhaber und Katzenfans.

Mit achtunddreißig beginnt die ehemalige Tänzerin Lilly Taylor im idyllischen Südengland ein neues Leben als Aqua-Trainerin. Die Arbeit in der Seniorenresidenz Cloisterby Manor gefällt ihr sehr: Sie schließt viele Freundschaften - auch mit Glückskater Darcy, der sich dort trotz eines strengen Haustierverbots eingenistet hat. Alles könnte so schön sein - wäre da nicht Drystan Fox, ein Patient der angeschlossenen Reha-Klinik. Seit der bekannte Fotograf bei einem Fotoshooting vom Blitz getroffen wurde, leidet er unter gesundheitlichen Problemen. Zu seiner Verwunderung hegt Lilly außerdem eine tiefe Abneigung gegen ihn. Kann Glückskater Darcy helfen, die Lage zu entspannen?

»Gesine Schulz hat es geschafft, einen lebensbejahenden und leichten Roman zu schreiben, der nicht seicht ist.« Buchbloggerin Eva Maria Nielsen über »Darcy - Der Glückskater im Buchladen«. (evamarianielsen.com)
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Seitenzahl: 235

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Inhalt

CoverDarcy – Die SerieÜber diese FolgeÜber die AutorinTitelImpressumProlog1. Lilly2. Der Fotograf3. Darcy4. Cloisterby Manor5. Darcy6. Küchenfächer7. Kirstie Pringle8. Mrs. Jordan9. Darcy10. Schrecksekunden11. Premiere12. Drystan13. Die Pudding-Frage14. Darcy15. … alias Merlin16. Kühle Blicke17. Wochenende18. Ein Mitläufer19. Darcy20. Kleine Erpressung am Morgen21. Fenster mit Aussicht22. Der Blitzarzt23. Das Ultimatum24. Darcy25. Tauwetter 26. Diese Waliser27. Im Pub28. Ein Fotograf!29. Darcy30. Brüchiger Frieden31. Das Foto32. Der doppelte Blick33. Es tut sich was34. Darcy35. Ein Dilemma36. Darcy37. Miss Pringle hat eine IdeeIn der nächsten Folge

Darcy – Die Serie

Darcy ist ein Glückskater. Ein Kater, der um die Welt streunt, plötzlich bei dir auftaucht und innerhalb weniger Wochen dein Leben verändern wird.

Denn wo auch immer er hinkommt, bewirkt er ein kleines Wunder – macht das Leben ein bisschen leichter, tröstet oder hilft, endlich loszulassen.

Über diese Folge

Mit achtunddreißig beginnt die ehemalige Tänzerin Lilly Taylor im idyllischen Südengland ein neues Leben als Aqua-Trainerin. Die Arbeit in der Seniorenresidenz Cloisterby Manor gefällt ihr sehr: Sie schließt viele Freundschaften – auch mit Glückskater Darcy, der sich dort trotz eines strengen Haustierverbots eingenistet hat.

Alles könnte so schön sein – wäre da nicht Drystan Fox, ein Patient der angeschlossenen Reha-Klinik. Seit der bekannte Fotograf bei einem Fotoshooting vom Blitz getroffen wurde, leidet er unter gesundheitlichen Problemen. Zu seiner Verwunderung hegt Lilly außerdem eine tiefe Abneigung gegen ihn. Kann Glückskater Darcy helfen, die Lage zu entspannen?

Über die Autorin

Gesine Schulz liebt Katzen, Krimis und Gärten. Ihre Schwäche für klassische Five o’Clock Teas hat sie von einem Großonkel geerbt, der Butler in London war. Derzeit lebt sie als freie Schriftstellerin im Ruhrgebiet. Ihr zweiter Schreibtisch steht in Irland, Schauplatz ihres Erfolgsbuchs »Eine Tüte grüner Wind«.

Gesine Schulz

Der Glückskater und der geblitzte Fotograf

beHEARTBEAT

Digitale Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Dieses Werk wurde vermittelt durch die agentur literatur Gudrun Hebel.

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dorothee Cabras

Lektorat: Anna-Lena Meyhöfer

Covergestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © shutterstock/Evgeny Karandaev, © shutterstock/kryvushchenko, © iStock.com/cgbaldauf, © shutterstock/KAMONRAT, © shutterstock/mubus7

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-3121-9

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Prolog

Im Wurf war er der Kleinste gewesen. Doch schon sieben Wochen nach seiner Geburt hatte er ordentlich zugelegt, und seine unverhältnismäßig großen Tatzen ließen darauf schließen, dass er zu einem stattlichen Kater heranwachsen würde.

Mit drei Monaten nahm er ohne Bedauern Abschied von seiner Mutter und den fünf Geschwistern und zog bei einem Menschenpaar ein, das sich ohne Zögern für ihn, »den kleinen Bunten da«, entschieden hatte.

Nach einigen Diskussionen darüber, welchen Namen er erhalten sollte, setzte sich die junge Frau durch. Sie liebte die Romane von Jane Austen, besonders den, in dem Elizabeth Bennet und Mr. Darcy nach vielen Missverständnissen und Verwicklungen endlich zusammenfinden. »Wenn der Kater nicht Darcy heißen darf, dann nennen wir eben unseren Sohn so.« Sie legte die Hände auf ihren leicht gewölbten Leib. Woraufhin der Ehemann umgehend nachgab.

So war Darcy in einem Haus mit Garten mitten im Grünen aufgewachsen, hatte bei Katerkämpfen erste Blessuren davongetragen, Konkurrenten das Fürchten gelehrt und dafür gesorgt, dass sie die Grenzen seines Reviers respektierten. Als das Baby zur Welt kam und bei ihnen einzog, hatte er es ausgiebig beschnuppert und eine tiefe Zuneigung zu dem kleinen Wesen gefasst.

Im folgenden Sommer fuhr die junge Familie samt Darcy im Wohnwagen in die Ferien. Bei einem seiner Streifzüge über den Campingplatz stieg er frühmorgens in ein Wohnmobil, aus dem es köstlich nach gebratenem Fisch roch. Kurz darauf klappte die Tür zu, der Motor sprang an und das Gefährt rumpelte vom Platz. Als die Tür nach endlos scheinenden Stunden geöffnet wurde, schoss Darcy hinaus ins Freie und verschwand in der Dunkelheit.

Seitdem suchte er den Weg zurück nach Hause. Meist war er auf vier Pfoten unterwegs, manchmal als blinder Passagier. Er hatte Glück.

Immer wieder führte sein Weg ihn zu Menschen, die ihn freundlich aufnahmen. Doch nirgends hielt es ihn lange. Er hatte ein Ziel. Er wollte heim.

1. Lilly

Lilly stand mit ihrem Riesenrollkoffer vor dem ländlichen Bahnhofsgebäude von Kemble. Man hatte doch wohl nicht vergessen, dass sie heute ankam?

»Taxi, Miss?«, rief ein Fahrer durch das geöffnete Fenster seines Wagens. Er hatte Reisende abgeladen.

»Nein, vielen Dank. Ich werde abgeholt.« Hoffte sie jedenfalls. Doch, wurde sie.

Eine dunkelblaue Limousine fuhr vor. Auf der Tür prangte ebenso diskret wie eindrucksvoll ein Wappen, darunter stand in silbernen Lettern Cloisterby Manor. Sie rollte ihr Gepäck an den Bordstein.

Der ältere Fahrer in dunkelblauer Uniform stieg aus und kam auf sie zu. Er tippte mit dem Zeigefinger an den Schirm seiner Kappe. »Miss Taylor?«

»Ja, das bin ich. Guten Tag.«

»Ich bin Mallet, Miss. Guten Tag. Ich hoffe, Sie hatten eine gute Reise.« Er schien keine Antwort zu erwarten und hielt ihr die Beifahrertür auf.

Die Beifahrertür, natürlich. Lilly ließ sich in den Sitz sinken. Sie war eine neue Kollegin, nicht etwa ein neuer Gast für Cloisterby Manor. Als solcher hätte sie gewiss das Privileg genossen, auf dem Rücksitz Platz nehmen zu dürfen. Und wäre versucht gewesen, dem Volk huldvoll zuzuwinken. Sie stellte sich das vor und unterdrückte ein Kichern. Zugegeben, sie war ein bisschen nervös. Zugleich freute sie sich auf ihr neues Leben, das soeben begonnen hatte.

Der Fahrer, dessen Namen sie schon wieder vergessen hatte, verstaute das Gepäck im Kofferraum und setzte sich hinter das Steuer. Der Motor surrte leise. Sie fuhren vom Bahnhofsvorplatz durch das Dorf und hinaus aufs Land.

»Miss Taylor –«

»Lilly.«

»Ich weiß. Ich bedaure, Miss Taylor, dass Sie warten mussten.« Er nahm den Blick nur kurz von der Straße. »Der Zug eines Gastes, den ich vorhin abholte, hatte Verspätung.«

»Das macht doch nichts. Ich habe ja nur ein paar Minuten gewartet.«

»Acht. Ich bin bemüht, meinen Plan einzuhalten, selbst …« Er zögerte.

»… selbst, wenn es sich nur um eine Mitarbeiterin handelt?«

Er nickte und gestattete sich die Andeutung eines Lächelns. Dadurch ermutigt, sagte Lilly: »Darf ich Sie etwas fragen?«

»Gewiss, Miss.«

»Sind unter den Angestellten Vornamen üblich, oder geht es förmlicher zu?« Was zu einem früheren Herzogssitz ja durchaus passen würde, auch wenn sie es ungemütlich fände, zumindest ungewohnt. Steife Umgangsformen im Kollegenkreis waren ihr fremd.

»Nun … das kommt ganz darauf an. Ob Sie das obere Management meinen oder das Hauspersonal und die Gartenleute oder Pfleger, Krankenschwestern und Physiotherapeuten. Und so weiter. Ob man unter seinesgleichen ist oder nicht. Sie verstehen?«

»Ich denke schon.« Wesentlich erhellt fühlte sie sich nicht. Das klang ein wenig kompliziert. Da galt es, nicht gleich in Fettnäpfchen zu treten; vom Theater war sie einen lockeren Umgangston gewohnt. Als Aqua-Trainerin gehörte Lilly vermutlich zur »Kaste« der Schwestern und Physiotherapeuten. Das Ganze hatte etwas vom Einstudieren einer neuen Choreografie. Fehltritte waren nach Möglichkeit zu vermeiden.

Sie lehnte den Hinterkopf gegen das weiche Polster und betrachtete die Gegend, die an ihr vorüberzog. Bei dem Besuch anlässlich des Bewerbungsgesprächs war sie zu aufgeregt gewesen, um der Landschaft mehr als flüchtige Aufmerksamkeit zu schenken. Sanft gewellte Hügel. Ein Bauernhof. Wie hingetupft wirkende Wäldchen. Ein pittoreskes Dorf, die Häuser wie der Bahnhof von Kemble aus goldenem Cotswold-Stein. Weidende Schafe, die wie puschelige Plüschtiere aussahen.

»Cotswold-Schafe«, erläuterte der Fahrer. »Früher bezeichnete man sie auch als die ›Löwen der Cotswolds‹.«

Lilly lächelte. Löwen, denen Rasta-Locken in die Stirn fielen.

An einer einsam gelegenen Kreuzung, die nur von einer roten Telefonzelle belebt wurde, deutete ein Wegweiser links nach Little Biffum und rechts nach Cloisterby Manor und Nether Mickford. Lilly setzte sich auf. Noch dreieinhalb Kilometer und sie wären da.

Beide Flügel des imposanten schmiedeeisernen Tores öffneten sich. Ein hochgewachsener, offensichtlich gut durchtrainierter Mann in Uniform trat aus dem Pförtnerhaus, das wie ein Miniatur-Schloss aussah. Er grüßte mit einer Drehung seiner halb erhobenen Hand und schaute, neugierig, wie Lilly schien, ins Auto. Er lächelte. Ein Sonnenstrahl ließ einen goldenen Eckzahn aufleuchten.

»Ui!«, rutschte es Lilly heraus.

Der Chauffeur fuhr in gemessenem Tempo weiter. »Der Zahn hätte ihn fast den Job gekostet.«

»Im Ernst?«

»Ich scherze nicht.«

»Aber man hat es sich überlegt.«

»Unsere Pförtner sind alle auch ausgebildete Bodyguards, und Ben ist der beste. Das hat ihn gerettet. Er wurde einen Monat lang zum Nachtdienst verdonnert und verwarnt. Doch noch so ein Ausrutscher, und weg ist er.«

»Strenge Sitten«, sagte Lilly, darauf bedacht, sich möglichst bald ein Bild von den ungeschriebenen Gesetzen zu machen, die hier herrschten. Sie hatte die Absicht, ihre dreimonatige Probezeit zu überdauern.

»Cloisterby Manor hat einen Ruf, den es zu erhalten gilt«, erklärte ihr Fahrer. Sie näherten sich dem ehemaligen Herzogssitz durch den ausgedehnten Park, der im achtzehnten Jahrhundert von »Capability« Brown gestaltet worden war, dem berühmtesten aller englischen Landschaftsarchitekten. Vor ihrem Bewerbungsbesuch hatte Lilly die Website von Cloisterby Manor studiert, um im Gespräch einen möglichst informierten Eindruck zu machen und intelligente Fragen stellen zu können. Hatte ja auch geklappt. Sogar den Namen hatte sie sich merken können. »Das Tor ist auch nachts besetzt?«

»Rund um die Uhr. Wenn Bewohner spät von einem Theaterbesuch zurückkehren, zum Beispiel, können sie ja kaum bis zum Morgen vor dem Tor kampieren.«

Lilly reagierte auf die in trockenem Ton geäußerte, wohl humorvoll gemeinte Äußerung mit einem leisen Lachen. »Natürlich nicht. Aber es hätte ja sein können, dass sie einen Schlüssel haben oder eine Fernbedienung …«

»Schlüssel benötigen Bewohner der Seniorenresidenz lediglich für ihre Wohnungen. Und die Patientenzimmer der Reha-Abteilung lassen sich ohnehin nicht abschließen.«

»Verstehe. Die Apartments der Angestellten aber schon, hoffe ich.«

»Selbstverständlich.« Er lenkte den Wagen auf der kreisrunden Auffahrt vor dem imposanten Haupteingang nach rechts und setzte Lilly vor einem Nebeneingang ab. »Ihr Gepäck wird Ihnen einer der Hausdiener hochbringen. Wenn Sie klingeln, schauen Sie in die Kamera.«

»Mache ich. Danke, Mr. … äh …« Sie spähte auf sein Namensschild. »Mr. Mallet.«

»Mallet. Ich bevorzuge ›Mallet‹, Miss.«

»Ach so. Dann vielen Dank fürs Abholen, Mallet.« Sie nahm ihre Handtasche und stieg aus. Lilly straffte die Schultern und ging auf die Haustür zu. Sie drückte fest auf den Klingelknopf und starrte ins runde Auge der Kamera darüber.

»Ja, bitte?«, schnarrte eine Männerstimme.

»Lilly Taylor für Ms. Chilham. Ich bin –«

»Die neue Wasserfrau, ich weiß. Kommen Sie herein und warten Sie im vierten Zimmer auf der rechten Seite. Ich sage Ms. Chilham Bescheid.«

Es klickte leise, und Lilly drückte die Tür auf. Sie ging den mit alten Steinplatten ausgelegten Gang entlang. Ihre Schritte hallten. Neonröhren unter der gerundeten Decke spendeten ein kaltes Licht. Hinter der vierten Tür rechts verbarg sich eine Art Aufenthaltsraum. Schritte erklangen auf dem Flur. Lilly wandte sich um. Ms. Chilham trat durch die Tür.

»Ah, Miss Taylor. Willkommen in Cloisterby Manor! Ich hoffe, mit dem Abholen hat alles geklappt?«

»Guten Tag! Ja, war alles bestens. Ich freue mich, hier zu sein.«

Als hätte sie nichts anderes erwartet, nickte die Direktorin. »Dann begleite ich Sie jetzt hinauf zu Ihrem Apartment. Dieser Raum war in früheren Zeiten übrigens der Karzer. Die Fenstergitter stehen wie ganz Cloisterby Manor unter Denkmalschutz, sonst hätten wir sie längst entfernt. Sie lassen den Pausenraum ein wenig streng erscheinen. Andererseits gewöhnt man sich bald an sie und nimmt sie nicht mehr wahr. Er steht dem Küchen- und Hauspersonal zur Verfügung.«

»Wozu ich …?«

»Wozu Sie nicht gehören. Nein. Kommen Sie!«

Lilly folgte der zügig Dahinschreitenden weiter den Gang entlang, tiefer in den Bauch des Gebäudes, so kam es Lilly vor.

Vor einem Treppenaufgang blieb Ms. Chilham stehen, den Fuß auf der ersten Stufe. »Fahrstuhl oder Treppe? Wir müssen in den vierten Stock.«

»Oh, gern die Treppe«, sagte Lilly und hoffte, die Zeichen richtig gedeutet zu haben.

»Bin ganz Ihrer Meinung«, erwiderte Ms. Chilham und begann mit dem Aufstieg. »Jede Stufe verlängert das Leben um eine Minute, heißt es ja. Abgesehen davon halten all die Treppen hier mich fit.«

Oben angekommen, öffnete sie eine Brandschutztür. Lilly sah einen breiten Flur, Kokosläufer bedeckten die Mitte des Parkettbodens. Rechts und links geschlossene Zimmertüren mit kleinen Namensschildern.

»Diese Etage des Ostflügels gehört den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Bereichen Wellness, Sport und Fitness. Hier befinden sich die Apartments, dort hinten auch zwei Wohnzimmer und eine kleine Küche. Wir legen Wert darauf, dass sich das Personal wohlfühlt. Die Mitarbeiter-Cafeteria befindet sich im Parterre.« Sie blickte auf ihre Armbanduhr. »Lunch ist zwischen zwölf und zwei. Sie haben also Zeit, sich vorher frisch zu machen. Und hier werden Sie wohnen.« Ms. Chilham schloss auf und reichte Lilly das Bund. »Ihre Schlüssel.«

Lilly betrat den Raum. Ihr Apartment. Ihr neues Zuhause. Die Direktorin sah sich kurz um, schaute ins Bad und nickte. »Alles in Ordnung so weit.« Sie zog ein brummendes Handy aus der Rocktasche ihres Kostüms und sah auf das Display. »Ich werde gebraucht. Entschuldigen Sie mich. Kommen Sie nach dem Lunch bitte in mein Büro.«

Und weg war sie. Was Lilly ganz recht war. Sie warf die Handtasche auf einen bequem aussehenden Sessel und drehte sich langsam einmal um sich selbst. Nicht übel. Gar nicht übel. Bestimmt vierzig Quadratmeter. Frisch gestrichen, in hellem Cremeweiß. Ein leichter Farbgeruch hing noch in der Luft, nicht unangenehm, er passte zum Neuanfang. Der Raum war sparsam möbliert, enthielt lediglich eine Grundausstattung. Aus dem Bewerbungsgespräch wusste Lilly, dass es im Dachgeschoss ein Depot mit Möbeln, Bildern und Hausrat gab, aus dem Angestellte sich bedienen durften. Darauf freute sie sich schon.

Die beiden hohen Fenster gingen zur Rückseite von Cloisterby Manor hinaus. Lilly zog die oberen Scheibenrahmen zur Hälfte herab und atmete tief ein. Herrlich.

Welch ein Unterschied zu dem möblierten Zimmer in der WG, das ihr die Chefin der Itsy-Bitsy-Ballettschule in Dulwich für den Anfang vermittelt hatte. Lillys Zimmer war zu einem engen Hof hinausgegangen, gegenüber die Küche eines Billig-Imbisses. Wann immer sie gelüftet hatte, zogen Dünste von verbrauchtem Fett herein. Gleichzeitig die Tür aufzustellen, hatte wenig genützt, da der Flur nach altem Teppich und den Duftanhängern miefte, die der Vermieter alle paar Meter an die Wand genagelt hatte. Gemeinschaftsbad, Gemeinschaftsküche, beides selten aufgeräumt oder gar geputzt von denen, die sich zuletzt darin aufgehalten hatten.

Auf den gelegentlichen Tourneen durch die Provinz hatten sie ja auch in einfachen Pensionen oder Hotels gewohnt, doch darunter war nichts gewesen, das im Entferntesten an die Primitivität dieses Hauses in Dulwich herangereicht hätte.

Und nun: der Blick auf einen ehrwürdigen gepflegten Park und auf Nebengebäude. Hinten rechts ein aus Sträuchern geformter Irrgarten, dessen verschlungene Pfade und Sackgassen von hier gut einsehbar waren, auch wenn sie dabei waren zuzuwachsen. Dahinter wie farbige Pilze die Dächer aufgespannter Sonnenschirme. Jenseits des Parks wieder Weiden an den Hängen sanft geformter Hügel. In der Ferne ragte ein gedrungener quadratischer Kirchturm auf.

Das Bett befand sich in einer Nische. Die Gardinenleiste an der Decke zeigte, dass sich hier ein Vorhang anbringen ließ. Das kleine moderne Badezimmer ließ nichts zu wünschen übrig, außer vielleicht ein Fenster. »Perfekt!« Lilly setzte sich auf das zweisitzige Sofa, breitete die Arme auf der Rückenlehne aus und ließ alles auf sich wirken.

Neue Zeiten waren angebrochen!

2. Der Fotograf

Er war wütend. Einfach nur wütend. Und das vierundzwanzig Stunden am Tag, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass dieses ihn beherrschende Gefühl während seines Schlafs abflaute.

Die Wut hatte ihn hinterrücks gepackt, als ihm klar wurde – klar gemacht wurde –, dass es längere Zeit dauern würde, bis er wieder auf den Beinen sein würde. Zeit, die er nicht hatte, die er sich aber nehmen musste, gezwungenermaßen. Er fühlte sich in Ketten gelegt. Von seinem Körper, den Ärzten, von dem Gedanken an diese dämliche Reha-Klinik – nein, natürlich war sie nicht dämlich, sondern eine der besten, und er musste auch noch froh sein, dass man ihn so kurzfristig hatte aufnehmen können. Seine Wangenmuskeln schmerzten von dem Bemühen, sich zu beherrschen, um seinen Frust nicht an anderen Leuten auszulassen. Was ihm nicht immer gelang. Wie vorhin, als ihn der Fahrer höflich, wenn auch formelhaft gefragt hatte: »Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Fahrt, Sir?«

Warum nicht einfach nicken oder Danke sagen, statt den Mann anzublaffen und auch noch das Hilfsangebot beim Einstieg in den Wagen so rüde abzulehnen? Dann war ihm auch noch der Stock aus der Hand gerutscht. Der Fahrer hatte ihn aufgehoben und ihn Drystan ohne ein weiteres Wort respektvoll auf den Rücksitz gereicht.

Nun auch noch wütend auf sich selbst und beschämt, die Beherrschung verloren zu haben, saß er wie ein nasser Sack auf dem Rücksitz. Er sah aus dem Fenster. Es mochten die grünen Hügel sein, die ihn an das Tal seiner Kindheit denken ließen und an seine Nana mit ihrer strikten Auffassung von dem, was sich für ihren Enkel gehörte. Ihre Worte von einst klangen in seinem Kopf nach: »Sicher willst du dich bei deinem Freund dafür entschuldigen, Drystan-bach?« Selbst in ihren strengen Momenten hatte sie meist die walisische Koseform an seinen Namen gehängt.

Er nickte unmerklich und räusperte sich. »Sorry.«

»Sir?« Die Augen des Fahrers trafen im Rückspiegel seine.

»Tut mir leid, das vorhin. Ich –« Drystan stieß Luft durch die Nase aus. »Ich hätte nicht … Sorry.«

»Schon vergessen, Sir.«

»Danke.« Obwohl es guttat, jedenfalls vorübergehend, jemanden anzufahren. Sich über irgendetwas aufzuregen oder zu beschweren. Es hinderte ihn für kurze Zeit daran, sich der alles überschattenden Sorge zu widmen, was werden würde. Aus seiner Karriere, aus ihm. Seine nächsten Aufträge hatte seine Agentin schon gecancelt. Zwei davon waren an Sluiter gegangen, seinen schärfsten Konkurrenten. Was nicht weiter schlimm wäre, würde er in absehbarer Zeit wieder arbeiten können. Außerdem … Drystan lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen … was wäre er, wenn nicht? Nichts. Er war seine Fotografien, war Drystan Cox, Fotograf. Konnte nichts anderes, wollte nichts anderes, da half all das Geld nichts. Auch wenn es ihm diesen Aufenthalt ermöglichte. Er unterdrückte das Gefühl der Panik, das sich manchmal in ihm breitmachte. Es bestanden gute Aussichten, sagten die Ärzte, dass die durch den Blitzschlag hervorgerufenen Schäden durch die Behandlungen und durch geduldiges Training behoben oder zumindest soweit reduziert würden, dass er wieder arbeitsfähig sein würde. Sagten die Ärzte, nach bestem Wissen und Gewissen. Doch das Schlimmste hatte er ihnen verschwiegen. Er wollte schließlich nicht in einer Klapsmühle landen. Und nicht zum Gespött der Branche werden oder, noch schlimmer, zu einem Objekt des Mitleids. Blieb nur die Hoffnung, dass auch diese Störung verschwinden würde. Er rieb sich das Kinn.

»Wir sind gleich da, Sir.«

Das zweiflügelige Tor glitt auf. Der Pförtner trat vor das Pförtnerhäuschen und grüßte mit beinahe militärischer Präzision, eine Hand an der Uniformkappe. Der hohe Sicherheitsstandard zum Schutz der Privatsphäre von Patienten und Bewohnern war ein weiterer Pluspunkt, der für Cloisterby Manor gesprochen hatte. Der Bursche sah aus, als könnte er mit Paparazzi umgehen, die eventuell losgeschickt würden, sobald Drystans Aufenthaltsort sich herumgesprochen hätte. Zur Bebilderung einiger mittlerer Schlagzeilen in der Klatschpresse würde sich selbst das dekorative Tor mit dem eindrucksvollen Wächter eignen. Drystan sah es beinahe vor sich:

Blitzopfer & Modefotograf Drystan Cox sucht Heilung in der Reha von Cloisterby Manor.

Wird das für die Juli-Ausgabe der Vanity Fair geplante Cover sein letztes gewesen sein?

Und Ähnliches in der Art. Sollte es tatsächlich sein letztes Zeitschriften-Cover sein, wäre es immerhin ein sensationell gutes. Drei seiner Lieblings-Models in Schöpfungen von Hussein Chalayan vor der sich verdüsternden Kulisse walisischer Berge, Gewänder und Haare wehend im plötzlich aufgekommenen Wind – Vorboten der sich rasch nähernden Gewitterfront. Der Himmel grau, sich türmende Wolken, erste Blitze am Horizont.

Drystan hatte das Fotoshooting abbrechen wollen, widerstrebend zwar, doch im Wissen um die Gefahr im Freien hatte er darauf gedrängt – nur um sich vom Art Director davon abhalten zu lassen, einem in der Stadt aufgewachsenen Jüngling, der die Kosten für ein zweites Shooting im Blick hatte und gleichzeitig fasziniert war von dem sich immer dramatischer gestaltenden Hintergrund.

»Nur noch eins, Drystan! Oder zwei. So etwas bietet sich uns nie wieder!«

Ja, er hatte nachgegeben. Auf den Auslöser gedrückt wie auf den Abzug eines Maschinengewehrs. Wie im Rausch, Foto um Foto geschossen, bis die ersten schweren Tropfen fielen und Tränen gleich über die Gesichter der Models rannen. Und dann – brach seine Erinnerung ab.

Plötzlich sei das Gewitter über ihnen gewesen, Blitze seien inmitten der schreienden Crew zu Boden gezuckt, Requisiten von mutwilligen Sturmböen durch die Gegend gewirbelt worden, der Himmel schwarzgrau verdunkelt.

»Hinlegen und zusammenrollen!«, hatte er gegen den Donner angebrüllt, war ihm berichtet worden. Und dann – ob noch stehend oder schon im nassen Gras, wusste keiner mehr –, dann war’s passiert. Ein Blitz hatte ihn getroffen, war ihm durch den Körper gefahren, Drystan hatte das Bewusstsein verloren, weil sein Gehirn kurz ausgesetzt hatte, wie ihm der Arzt später erklärt hatte. Notrufe wurden abgesetzt, das Gewitter verzog sich, und ein Rettungshubschrauber brachte ihn in die Klinik. Und nun erwartete ihn wieder eine Klinik, wenn auch eine für Rehabilitationsmaßnahmen, nachdem die ambulanten Behandlungen in London nicht viel gebracht hatten.

Unter den Rädern knirschte der über den Vorplatz gestreute Kies. Der Fahrer öffnete ihm die Wagentür. Drystan stieg aus und drückte ihm mit einem »Danke« eine Zehn-Pfund-Note in die Hand. Als er dem Mann ins Gesicht sah, passierte es wieder. Drystan kniff die Augen zusammen und blinzelte mehrmals, bis sich alles wieder gerichtet hatte.

»Sir, alles in Ordnung?«, fragte der Fahrer besorgt.

»Äh … nicht wirklich, Mallet, aber sonst wäre ich ja kaum hier, nicht wahr?«

Der Fahrer quittierte diesen matten Versuch mit einem respektvollen Lächeln. »Ich hoffe, es wird Ihnen bald besser gehen, Sir.«

»Danke, das hoffe ich auch.« Drystan fasste den Stockgriff fester, ignorierte die schmale Rampe am Rand und stieg vorsichtig die wenigen Stufen zum Haupteingang empor.

3. Darcy

Von der Sonne beschienen, lag er auf einer weichen Jacke in der Ecke des Rücksitzes. Der warme Fahrtwind erreichte ihn in der Kuhle kaum.

Der Mann vorne pfiff immer mal wieder leise vor sich hin. »Ah, gleich sind wir da«, murmelte er und änderte die Fahrtrichtung.

Das Auto hielt und hupte einmal.

»Sir?«, erklang die tiefe Stimme eines anderen Mannes.

Darcy setzte sich auf und schob den Kopf vorsichtig in die Höhe, bis er über die Seite des Autos nach draußen blicken konnte.

Hinter einem hohen Gittertor stand ein hochgewachsener Mann vor einem kleinen Haus. »Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte er.

»Indem Sie das Tor öffnen, mein Guter«, sagte der Mann, von dem Darcy nur den Rücken und einen Hut sehen konnte. »Indem Sie das Tor öffnen.«

»Darf ich mich nach Ihrem Anliegen erkundigen?«

»Aber klar doch. Ein kleiner Verwandtenbesuch. Onkel und Tantchen eine Freude machen. Familienbande, Sie verstehen? Sollte man nicht vernachlässigen.«

»Sie sind angemeldet?«

»Aber nicht doch! Wo bleibt denn da die Überraschung? Tut den alten Herrschaften sicher gut, vom lange nicht erblickten Neffen aus der Alltagsroutine gerissen zu werden, meinen Sie nicht?«

»Kann ich nicht sagen, Sir. Ihr Name? Und bei wem soll ich anfragen?«

»Verstehe. Strenge Sitten hier, was? Osmington. Ozzie Osmington für Mr. und Doktor Osmington.«

»Einen Augenblick, bitte. Ich werde mich vergewissern.« Der hochgewachsene Mann hob ein Handy ans Ohr, sein Blick fiel auf Darcy. »Was ist denn das?«

Darcy duckte sich.

»Was denn? Wo?«

»Da, hinter Ihnen. Eine Katze? Die können Sie aber nicht mit reinnehmen. Haustiere sind in Cloisterby Manor nicht erlaubt. Hunde von Besuchern nur an der Leine. Doch eine –«

»Eine Katze?« Der Autofahrer drehte sich um und sah auf den Rücksitz, auf Darcy. »Was der Donner …«

Darcy gähnte.

»Sir?«

»Ein blinder Passagier! Noch nie gesehen. So was … Vielleicht ja ein Wink des Himmels? Ein schnurrendes Geschenk für Tantchen. Sie hatte früher immer ein, zwei Katzen. Riesige haarige Dinger mit Stupsnasen. Rufen Sie an, Mann, und öffnen Sie uns.«

»Wie ich schon sagte, Sir: Haustiere sind nicht erlaubt.«

»Stimmt, sagten Sie. Tja. Was tun?«

»Wenn Sie das Dach schließen und die Katze während des Besuchs im Wagen …? Ich denke, dagegen wäre nichts einzuwenden.«

»Vielleicht nicht von Ihnen. Ich habe dagegen einiges einzuwenden. Was, wenn mir das Tier die Polster zerkratzt, weil es raus will? Die sind aus Büffelleder! Und wer bin ich überhaupt, dass ich ein fremdes Tier einsperre?«

Ein Arm streckte sich über die Lehne. Ein Zeigefinger deutete auf Darcy.

»Du! Raus!«

Der Arm schwenkte und zeigte in die Ferne. Darcy verengte die Augen. Er hatte nicht vorgehabt, sein weiches Plätzchen schon zu verlassen. Er mochte es, umhergefahren zu werden, wenn er so bequem lag und es nicht rumpelte, sondern summte. Er mochte auch den Geruch nach feinem Leder.

Der Arm deutete immer noch weg vom Auto. Die Augenbrauen des Mannes hatten sich gehoben. »Also? Hopp und raus!« Die Stimme klang ungeduldig.

Darcy erhob sich langsam. Er streckte sich, war unschlüssig.

Schritte kamen näher. Er stellte die Vorderpfoten auf das offene Fenster. Der andere Mann trat durch ein schmales Tor und kam auf den Wagen zu.

»Soll ich das für Sie übernehmen, Sir?«

»Das wäre nett, aber denken Sie an meine Lederpolster.«

»Kein Problem. Ich habe schon mal eine renitente Bulldogge gebändigt.«

»Nicht Ihr Ernst! Respekt.«

»Na, sie war noch jung. Doch das ist alles Training. Es gibt da so einen Griff …« Darcy fest im Blick, hob der Mann die Arme an, die Finger zu Greifern gespreizt, fletschte die Zähne und beugte sich vor.

Darcy zögerte nicht. Er stieß sich mit den Hinterbeinen ab, schnellte hinaus, streifte den Jackenärmel des Mannes, der ein »Uh-ha-wa?« ausstieß, und rannte los. Er zwängte sich zwischen zwei Streben des großen Tores hindurch, verließ sogleich den asphaltierten Weg, raste über kurzen Rasen und nahm Ziel auf einen der Büsche, die in unregelmäßigen Abständen auf dem riesigen Grün verteilt waren. In einem nahm er Deckung und spähte zurück.

Der eine Mann hatte die Kappe abgenommen, schaute umher, kratzte sich am Kopf, zuckte die Schultern, setzte die Kappe wieder auf und ging zurück in sein kleines Haus. Das Tor öffnete sich weit. Das Auto fuhr hindurch.

Geduckt huschte Darcy zum nächsten Busch. Sicher war sicher.

Das mächtige Gebäude, auf das das Auto zufuhr, würde er später umrunden, um Essbares zu erschnuppern und vielleicht … vielleicht sogar wieder ein Bett zu finden, das ein freundlicher Mensch mit ihm teilen würde.

4. Cloisterby Manor

Die Cafeteria im Erdgeschoss des Ostflügels war in sonnigen Tönen gehalten, die Tischplatten hellgelb, die Wände blassorange. Lilly hatte sich ein Tablett genommen und an der kurzen Schlange vor der Theke angestellt. Sie wählte Lasagne mit Ziegenkäse und gegrillten Zucchini, dazu einen gemischten Salat und als Dessert einen Käsekuchen aus griechischem Joghurt mit Erdbeer-Basilikum-Kompott. Heilige Isadora!, dachte sie, während ihr das Wasser im Munde zusammenlief. Wenn das ein Beispiel für ein normales Lunch-Menü war …

Sie ging zu einem Sechser-Tisch, an dem noch zwei Plätze frei waren, und fragte, ob sie sich dazusetzen dürfe.

»Klar doch«, sagte ein kahl geschorener junger Mann.

»Neu hier, ja?«, wollte eine schmale Frau in Lillys Alter wissen.

»Ja, vorhin angekommen. Ich bin die neue Aqua-Trainerin, Lilly Taylor.« Die anderen nickten, lächelten, murmelten ihre Namen und »Willkommen« oder »Guten Start« und setzten ihr unterbrochenes Gespräch fort. Es ging um Kricket, ein Thema, von dem Lilly so gut wie keine Ahnung hatte. Sie genoss ihr Essen und beobachtete das Kommen und Gehen im Saal. Es würde eine Weile dauern, bis sie die Leute sortiert und sich die Namen eingeprägt haben würde. Es fiel ihr schwer, sich Gesichter zu merken, ehe sie die Menschen nicht mehrere Male gesehen hatte, vorzugsweise in der gleichen Umgebung oder Situation wie zuvor. Ihr Namensgedächtnis funktionierte auch nicht besser. Eher schlechter. Ms. Chilham hatte Lilly aber »intus«. Sie hatte nach dem Bewerbungsgespräch ein Foto der Direktorin im Internet gefunden, es ausgedruckt und an den Badezimmerspiegel geheftet. »Guten Morgen, Ms. Chilham«, »Herrliches Wetter wieder, Ms. Chilham«, »Schon die Zähne geputzt, Ms. Chilham?« und ähnlich hatte sie das Porträt bei jedem Gang ins Bad angesprochen und sich so Gesicht und Namen eingeprägt.

»Entschuldigung«, wandte sie sich in einer Gesprächspause an ihre rundliche Nachbarin, deren Namensschild – an sich eine superhilfreiche Einrichtung! – unlesbar nach unten hing. »Ist … äh … hm! … meine Vorgängerin hier im Raum? Mir ist der Name gerade entfallen.«