Die Frau für alle Fälle. - Gesine Schulz - E-Book

Die Frau für alle Fälle. E-Book

Gesine Schulz

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ganz gleich, ob sie einen Mord aufklären soll, hinter Wollmäusen her ist oder Blutegel jagt – Karo Rutkowsky, Privatdetektivin mit schwacher Auftragslage sowie erfolgreiche Putzfrau von Villen und Lofts, erledigt ihre Fälle mit Schwung. Nicht immer legal, aber gründlich. – ◊ „Ich habe laut gelacht beim Lesen“ (Andrew McAleer, Boston Mystery Review) – ◊ „Nassforsch und unternehmungslustig … die perfekte Symbiose von Privatdetektivin und Putzfrau!“ (Krimiautorin Tatjana Kruse) – ◊ „Das Lesen der Geschichten macht Spaß“ (Rita Scholz, Privatdetektivin, Hagen) – ◊ ◊ ◊ Diese elf Kurzkrimis sind mit dreizehn weiteren enthalten in den Taschenbüchern "Grab mit Aussicht" sowie in "Der Beuys von Borbeck" von Gesine Schulz. Die beiden E-Books "Die Frau für alle Fälle" und "Die Mordsfrau!" enthalten (teils in anderer Reihenfolge) ebenfalls sämtliche Karo-Krimis. ◊ ◊ ◊

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch

Ganz gleich, ob sie einen Mord aufklären soll, hinter Wollmäusen her ist oder Blutegel jagt – Karo Rutkowsky, Privatdetektivin mit schwacher Auftragslage sowie erfolgreiche Putzfrau von Villen und Lofts, erledigt ihre Fälle mit Schwung. Nicht immer legal, aber gründlich.

„Ich habe laut gelacht beim Lesen“ – Andrew McAleer, Boston Mystery Review

„Ihre von Leichtigkeit und trockenem Humor geprägten Kurzkrimis …“ – Dagmar Schwalm, Westdeutsche Allgemeine Zeitung

„Das Lesen der Geschichten macht Spaß“ – Rita Scholz, Privatdetektivin, Hagen

DIE FRAU FÜR ALLE FÄLLE

Privatdetektivin & Putzfrau Karo Rutkowsky. Kurzkrimis.

GESINE SCHULZ

Dickmadam lacht

Karo versuchte, in dem kleinen Taschenspiegel zu beurteilen, welchen Einfluss das aufgeschlagene Kinn auf ihr Erscheinungsbild hatte. Sah sie verwegen aus oder nur ungeschickt? Sie tupfte etwas Parfum auf die Wunde. Es brannte höllisch und der Duft stieg ihr unangenehm intensiv in die Nase.

Sie hoffte, potenzielle Kundschaft würde annehmen, Karo habe sich die Verletzung im Dienst zugezogen. Das Leben einer Privatdetektivin war nicht immer ungefährlich. Vor allem, wenn das Linoleum in ihrem Büro ein Loch aufwies. Und die Detektivin so blöd war, mit dem Absatz darin hängenzubleiben und ihr Kinn an der Schreibtischkante aufzuschlagen.

Das Telefon klingelte. „Detektivbüro Karola Rutkowsky“, meldete Karo sich.

„Nicole Hooger hier. Zwei ‚o‘. Ich würde gerne Frau Rutkowsky sprechen.“

„Am Apparat.“

„Ah ja. Gut. Also, Frau Rutkowsky, ich brauche jemanden, dringend. Eine Frau, genauer gesagt. Für diskrete Nachforschungen. Diskret, aber gründlich. Und schnell.“

„Eine Frau“, wiederholte Karo.

„Ja, unbedingt. Welche Größe tragen Sie?“

Karo hob ihre Brauen. „Nach zwanzig Uhr berechne ich Nachtzuschlag, Frau Hooger.“

„Ja ja. Aber welche Größe tragen Sie?“

„Achtunddreißig, vierzig. Je nachdem. Ich nehme an, das ist relevant?“

Frau Hooger seufzte. „Und wahrscheinlich sind Sie über einssechzig groß?“

„So ist es.“

„Haben Sie keine Mitarbeiterin, die etwas runder ist?“

„Leider nein, Frau Hooger.“

„Dann hat es keinen Zweck. Sie waren meine letzte Hoffnung.“

Letzte Hoffnung! Das klang verzweifelt. Das klang nach Honorar. Karo setzte sich auf und zog den Schreibblock heran. „Ich bin sicher, ich kann Ihnen helfen, Frau Hooger. Warum erzählen Sie mir nicht, worum es geht?“

„Nicht am Telefon. Können Sie zu mir in den Club kommen? Jetzt?“

„In den Club?“

„Der Phoenix-Damen-Club in Haarzopf. Ein Fitness- und Diät-Club speziell für übergewichtige Frauen. Exklusiv, diskret, wirkungsvoll.“

Und bestimmt teuer.

„Hätten Sie Zeit, Frau Rutkowsky?“

„Lassen Sie mich sehen …“ Karo blickte auf ihren leeren Terminkalender. „Ja … das ließe sich einrichten. Die Adresse? Gut. In einer halben Stunde bin ich bei Ihnen.“

Karo warf den Hörer auf die Gabel, griff ihre Sachen und knallte die Bürotür hinter sich zu. Eine Etage tiefer, in der Film-Bar der Lichtburg, machte sie halt.

„Schorschi, ich muss weg. Potenzielle Kundin. Falls jemand nach mir fragt –“

„Notiere ich Namen und Nummer und sage, du bist aus und verfolgst eine heiße Spur. Alles klar.“ Giorgio, der Barkeeper, winkte mit dem Gläsertuch.

„Danke, Schorschi. Bis dann.“

Eine halbe Stunde später stand sie vor der angegebenen Adresse, einer weißen Villa aus den 1920er Jahren. Ein schmaler Rasenstreifen, riesige Rhododendronsträucher und neben der Eingangstür ein diskretes Emailleschild:

Der Phoenix-Damen-Club

Für Damen von Format

Inhaberin: Nicole Hooger

Karo öffnete die Tür und betrat die Eingangshalle. Eine gepflegte Frau um die vierzig eilte auf sie zu.

„Frau Rutkowsky? Nicole Hooger. Danke, dass Sie so rasch gekommen sind. Hier, gehen wir doch in mein Büro.“

Karo ließ sich in einen mit türkisfarbenem Wildleder bezogenen Sessel sinken. Sie sah sich um. Minimalistisch und sehr modern eingerichtet. Weiß, Grau, Chrom, etwas Türkis.

„Unsere Farben“, erläuterte Frau Hooger, „im ganzen Haus. Leicht und kühl. Gefällt es Ihnen?“

Karo nickte. Dies war mehrere Lichtjahre entfernt von ihrem schäbigen Fünfziger-Jahre-Büro in dem alten Filmpalast.

„Also“, sagte Frau Hooger und fuhr mit einer Hand über ihre untadelige grau-schwarz-melierte Kurzhaarfrisur. „Seit etwa zwei Wochen haben wir Probleme mit Vandalismus. Es fing recht harmlos an. Kritzeleien in den Toiletten, in Umkleidekabinen. Schnell entdeckt und schnell beseitigt. Dann wurden Plakate unseres Sponsors verunstaltet. Flugblätter mit dummen Sprüchen tauchten auf. Gestern, in einem Einführungs-Dia-Vortrag … furchtbar. Eine ganze Reihe von Fotos von magersüchtigen jungen Frauen. Bis es von uns bemerkt wurde – die neuen Klientinnen waren entsetzt, verunsichert. Heute Mittag wurde entdeckt, dass drei Personenwaagen zerstört worden sind. Neuestes Design und beste Technik. Irreparabel. So darf es nicht weitergehen.“

„Hm“, machte Karo. „Haben Sie irgendeinen Verdacht?“

Frau Hooger hob ihre Arme, graziös wie eine Tänzerin, und zuckte mit den Schultern. „Nein. Ich habe unbedingtes Vertrauen in mein Team. Und die Klientinnen? Es ergibt keinen Sinn. Jemand muss derangiert sein. Sehen Sie, ich hatte gehofft, Sie könnten hier als Klientin auftauchen und die Angelegenheit untersuchen.“

„Scheint mir eine gute Idee“, sagte Karo.

„Aber Sie sind doch viel zu schlank! Das fiele sofort auf. Könnten Sie sich verkleiden, dicker machen? So etwas gibt es doch?“

Karo nickte. In dem Fernkurs In sechs Wochen zum erfolgreichen Privatdetektiv hatte sie den Verwandlungs-Koffer („nicht in der Kursgebühr enthalten“) bestellt. Er stammte aus ehemaligen Stasi-Beständen für die OPM (operative Personenmaskierung) und enthielt Brillen mit Fensterglas, Sonnenbrillen, falsche Augenbrauen und Schnurrbärte, Nasenformen, Haarteile, Florena Action Haarspray, Coloran Schläfenweiß, Hüte, schmierige Schminke sowie Körper- und Wangenpolster, mit denen man in Minuten zum Dickerchen werden konnte.

Karo hatte die Polster für eine der im Kurs empfohlenen Übungs-Beschattungen angelegt. Sie hatte geschwitzt wie ein Schwein. Die Wangenpolster schmeckten so eklig rosa, wie sie aussahen. Außerdem waren sie andauernd verrutscht.

Karo schüttelte den Kopf. Nie wieder.

„Aber noch besser wäre es, Frau Hooger, wenn ich als Angestellte des Clubs gelten könnte. Ich wäre beweglicher innerhalb des Hauses und wahrscheinlich auch unauffälliger. Teil des Mobiliars, sozusagen.“

„Ja, genau. Das ist brillant, Frau Rutkowsky, absolut brillant. Dass ich nicht selbst drauf gekommen bin! Sie könnten einen Kurs geben. Wie wäre es mit Selbstverteidigung? Darin sind Sie in Ihrem Beruf gewiss eine Expertin. Nichts Kompliziertes für unsere Damen, natürlich. Ein paar einfache, aber effektive Übungen. Na?“

Karo schluckte.

Den Selbstverteidigungskurs in der Volkshochschule hatte sie eher sporadisch besucht. Sie konnte sich aus einer Umklammerung befreien, einem Mann in die Eier treten und mit den Fingern in die Augen stechen. Unterrichten konnte sie das keinesfalls.

„Das wäre eine Möglichkeit“, sagte sie. „Durchaus. Allerdings stelle ich mir vor, dass ich in einer anderen Funktion meinen Nachforschungen besser nachgehen könnte. Wie wäre es, wenn ich als Putzfrau auftreten würde?“

Zumindest würde sie in dieser Rolle überzeugend wirken. Ihr Haupteinkommen bezog sie immer noch aus ihrem zweiten Job als exklusive schwarzarbeitende Putzfrau in einigen Villen des Essener Südens.

Frau Hooger winkte ab. „Nein, nein, da wäre Frau Franke, unsere Raumpflegerin, zu Tode beleidigt. Das Risiko kann ich nicht eingehen.“

Karo nickte. Eine erstklassige Putzfrau hatte ihre Arbeitgeberinnen voll in der Hand.

„Ich weiß!“, rief Frau Hooger. „Ich werde Sie einfach als allgemeine Assistentin vorstellen. Sie können in der Aqua-Bar nach dem Rechten sehen, überall ein bisschen aufräumen und so weiter. Ist ja egal. Die Hauptsache ist, Sie finden die Täterin!“

„Eins sollte ich noch erwähnen“, sagte sie, als sie Karo durch die Villa führte. „In letzter Zeit tönt manchmal so ein Lachen durchs Haus …“

„Ein Lachen? Woher und von wem?“

„Woher, ist schwer zu sagen. Es hallt durch die Treppenhäuser, über die Flure. Es ist ein bisschen unheimlich. Trällernd, aber freudlos, verstehen Sie? Einmal nur und dann ist Stille. Ein paar Klientinnen haben sich schon verwundert darüber geäußert. Ich habe irgendeinen Scherz dazu gemacht. Aber ich bin besorgt. Nach jedem Vorfall haben wir früher oder später eine Schmiererei oder sonst etwas entdeckt.“

Karo nickte. „Ein triumphierendes Lachen nach vollbrachter Tat. Könnte sein.“

Sie folgte Frau Hooger ein Treppenhaus hinauf bis zum zweiten Stock, das andere hinunter. Überall begegneten ihnen Frauen – stabile, mollige, dicke und auch äußerst korpulente Klientinnen; im Untergeschoss auf dem Weg zu den Umkleidekabinen und im Becken für Wassergymnastik; auf den oberen Etagen in den Gymnastikräumen, im Fitnessraum an Folterinstrumenten, auf der Massagebank, bei der Diätberatung.

Eine kleine Boutique bot Sportkleidung von Größe vierundvierzig steil aufwärts. Leggings, Sweatshirts, Badeanzüge mit Röckchen und dezent farbige Gymnastikkombinationen („stark formend, dennoch elastisch“). An den Wänden warben Plakate für die Diätprodukte der Firma Schlankoform. Schlanke bis magere Fotomodelle lächelten zum Motto Schlankoform verwandelt Ihre Figur und Ihr Leben.

„Die Firma sponsert den Club“, erklärte Frau Hooger. „Zu unserem Programm gehört auch eine Diätberatung, die auf den Diätdrinks und Diätsuppen von Schlankoform beruht.“ Sie stieß eine Schwingtür auf. „Hier ist unsere Aqua-Bar, der entspannende soziale Treffpunkt des Clubs.“

Die silbergrauen Barhocker vor der türkisfarbenen Theke waren fast alle besetzt. Die Damen plauderten, nippten aus Sektgläsern Wasser und knabberten Rohkost. Sie winkten oder lächelten Frau Hooger zu.

„Ich bin jetzt zwei Kleidergrößen runter“, rief ihr eine pummelige Blondine zu. „Ist das nicht toll?“

„Großartig“, sagte Frau Hooger. „Weiter so. Nur nicht nachlassen.“

„Glauben Sie, Sie werden die Täterin finden, Frau Rutkowsky?“, fragte sie, als sie nach dem Rundgang wieder in dem eleganten Büro angekommen waren.

„Nun ja, ich denke schon. Es sollte nicht zu schwierig sein. Ich werde morgen früh anfangen. Was die Schmierereien angeht, können Sie sich an einige der Sprüche erinnern?“

Frau Hooger zuckte mit den Schultern. „Nicht im Detail. Lauter blödes Zeug. Aber ich habe einige der bekritzelten Plakate aufgehoben. Hier, sehen Sie.“

Karo rollte vier Plakate auf dem Teppichboden aus und beschwerte die Ecken mit Gerätschaften von Frau Hoogers Schreibtisch.

Neben den glücklich lächelnden schlanken Frauen und unter dem Motto Schlankoform verwandelt Ihre Figur und Ihr Leben standen in Druckschrift Zusätze in schwarzem Filzstift oder blauem Kugelschreiber.

DIE VENUS VON MILO – EIN MÄNNERTRAUM – GRÖSSE 46!!

LIEBER EINEN RUNDEN HINTERN ALS FALTEN IM GESICHT!

Karo grinste. „Ist das nicht von Catherine Deneuve?“

„Weiß ich nicht“, sagte Frau Hooger. „Ist genauso ein Blödsinn wie der erste Spruch. Die Venus hat Größe vierundvierzig, soweit ich informiert bin. Mehr Sorgen macht mir, was auf den beiden anderen Plakaten steht.“

Karo las:

SCHLANKOFORM – DIE FIGUR LACHT – ABER DIE LEBER WEINT!

DIE GESUNDHEITSMINISTERIN WARNT: SCHLANKOFORM SCHADET IHRER GESUNDHEIT!

„Eine unserer Klientinnen hat sich dadurch verunsichern lassen und hat an den Hersteller geschrieben. Ich habe einen äußerst unerfreulichen Brief von der Geschäftsleitung erhalten. Wenn ich der Sache nicht in kürzester Zeit auf den Grund gehe und sie unterbinde, überlegt man dort ernsthaft, mir das Sponsoring zu entziehen.“

„Drastisch“, bemerkte Karo.

„Ja. Aber wenn solche Gerüchte entstehen und sich verbreiten, kann das einem Produkt erheblich schaden. Und ohne die finanzielle Beteiligung von Schlankoform … ich weiß nicht, ob ich den Club halten könnte. Eine Krise zumindest wäre vorprogrammiert.“

„Ich verstehe, Frau Hooger. Ich werde mein Bestes tun.“ Beim Zusammenrollen des letzten Plakats fiel Karo etwas auf. Eine Art Unterschrift, ganz klein, unten in der Ecke. Sie prüfte die anderen Plakate. „Unsere Freundin hat einen Namen.“ Karo lächelte.

„Nein! Wer ist es? Habe ich gar nicht gesehen!“

„Ein Deckname nur, aber immerhin.“

„Und? Was steht da?“

„Dickmadam.“

„Dickmadam … Das hilft kaum weiter.“

„Vielleicht doch. Ich denke, wir können nun mit Sicherheit sagen, dass das unheimliche Lachen von der Täterin stammt. Dieser Kindervers, wie geht er noch? … Eine kleine Dickmadam fährt mit der Eisenbahn – die Eisenbahn kracht – und Dickmadam lacht. So oder so ähnlich, nicht?“

„Dickmadam lacht! Genau. Sie lacht. Und sie ist dick. Es ist eine Klientin, nicht wahr?“

„Gut möglich. Ich komme dann morgen um neun, Frau Hooger. Auf Wiedersehen.“

Ein Kinderspiel wahrscheinlich, dachte Karo auf der Rückfahrt. Ein paar Tage im Club und die Sache würde erledigt sein.

Aber nach einer Woche war sie keinen Schritt weiter. Sie kannte inzwischen das ganze Team. Die vier Gymnastiklehrerinnen, Tana, die Masseurin, die Raumpflegerin Frau Franke und Erika Meyer, die Sekretärin. Frau Duvenhage-Kenninghofen, die Diätberaterin, war eine Angestellte der Firma Schlankoform und hatte an drei Vormittagen in der Woche Sprechstunde mit Produktverkauf.

Der einzige Mann, der in dieser Zeit die Schwelle übertrat, war Herr Rupert Kayser, dem die Boutique gehörte. Sie wurde von der Sekretärin mitbetreut, man bezahlte bei ihr. Aber er kam gerne vorbei, brachte Nachschub, plauderte mit Frau Hooger und scherzte mit den Damen in der Aqua-Bar.

Tana deutete an, der Besitzer von drei großen Sportbekleidungsgeschäften im Ruhrgebiet sei ein enger Freund von Frau Hooger. „Sehr eng, Sie verstehen? Und ich glaube ja auch, dass er Geld in den Club gesteckt hat. Sonst würde sie ihm hier nicht so freien Auslauf gewähren. Gerne sehen tut sie es nämlich nicht. Die meisten Klientinnen mögen ihn. Er macht seine Witzchen, ist immer gut gelaunt. Und bringt neue Modelle erfolgreich an die Frau.“

„Ein guter Verkäufer also.“

„Und ein Kneifer“, sagte Tana. „Ich habe ihm mal eine gelangt. Alter Knacker. Ist doch mindestens fünfzig.“

Karo nickte abwesend. Sie war frustriert. Sie half in den Geräteräumen, sorgte für Nachschub bei den Handtüchern, betreute die Musik in den Gymnastikklassen, beobachtete die Flure, hielt sich in der Aqua-Bar auf und hatte immer ein unauffälliges Auge auf die Klientinnen. Manche von ihnen kamen jeden Tag, nicht immer zur gleichen Zeit, und ohne Anmeldung, außer zur Massage. Es war unmöglich, per Zeitplan einzelne Frauen mit den Vorfällen in Verbindung zu bringen.

Immerhin hatte Karo einen Spanner entdeckt. Das gab ihr ein kleines Hochgefühl, wenn es auch mit dem Fall nichts zu tun hatte. In einer Aerobicstunde („Wir springen! Höher! Schneller! Wir schütteln uns!“) war ihr Blick von den schwitzenden Körpern zu den großen Fenstern geschweift und in den Garten. Zwischen den Baumkronen war mehrmals etwas aufgeblitzt. Karo hatte schnell ihr Fernglas geholt und ihn entdeckt.

Aus dem zweiten Stock der Nachbarvilla beobachtete ein älterer Mann bequem in einem Sessel sitzend per Fernglas den Gymnastikraum!

Zu ihrer Enttäuschung war Frau Hooger uninteressiert.

„Mein Gott, wenn es ihm Spaß macht. Solange die Klientinnen es nicht bemerken, werde ich nichts unternehmen. Es ist eine sehr respektable Nachbarschaft und ich werde keinen unnötigen Ärger heraufbeschwören.“

Karo ging in die Aqua-Bar, zog sich drei Selleriestangen rein und kippte ein Glas italienisches Mineralwasser hinterher. Sie beobachtete die Kundinnen auf den Barhockern. War Dickmadam darunter? Warum unternahm sie nichts mehr?

Die meisten Frauen kannte Karo inzwischen vom Sehen, viele auch mit Namen. Nele Rademacher war mit sechzehn die jüngste, die vierundsechzigjährige Frau Semrau die älteste Klientin.

Frau Plassmann und Frau Koehnen betraten die Bar. Die Koehnen wie immer, trotz ihrer Pfunde, im modischen Lycra-Outfit, tomatenrot diesmal, ein ungewöhnlicher Kontrast zu ihren rot getönten Haaren. Die schüchterne Frau Plassmann trug wie üblich einen dunkelblauen Trainingsanzug, den sie sehr gut ausfüllte. Diese Hüften! Dieser Po! Und diese Haare!

Jemand sollte Frau Plassmann mal einen Tipp geben, dachte Karo. Wer die Clubgebühren zahlen konnte, sollte sich eine bessere Perücke leisten können. Selbst, wenn man sie vielleicht nur zum Sport trug.

Frau Hooger stand in der Tür und winkte Karo zu sich heran.

„Mein Gott, ich suche Sie überall!“, zischte sie. „Haben Sie es nicht gehört? Setzen Sie sich in Bewegung! Suchen Sie! Finden Sie sie! Sie hat gelacht. Vor ein paar Minuten!“

Karo sprintete los. Was mochte Dickmadam diesmal angestellt haben? Vielleicht könnte sie es wenigstens verschwinden lassen, ehe Klientinnen aufmerksam wurden.

In der zweiten Etage war nichts. In der ersten hörte sie das Tuscheln und Kichern schon von weitem. Eine kleine Gruppe von Klientinnen stand vor einem Schlankoform-Plakat. Karo blickte ihnen über die Schultern. Die Abbildung einer wohlgerundeten bunten Nana von Niki de Saint Phalle klebte neben dem Fotomodell und ließ es schwach und blass aussehen. In rotem Filzstift auf dem Plakat:

KURVEN! FARBEN! LEBENSLUST!

WANN AßEN SIE IHRE LETZTE

MOUSSE AU CHOCOLAT?

„Mousse au Chocolat“, murmelte eine Klientin sehnsuchtsvoll. „Ich werde dicker, wenn ich nur daran denke.“

„Mmmmh …“, seufzte eine andere.

„Oder Erdbeereis … Ich bin den Schlankoform-Schlamm so leid.“

„Ist es das alles wert, frage ich mich manchmal“, sagte eine dralle Schwarzhaarige. „Was gäbe ich nicht für ein anständiges Mittagessen.“

Als sie zum Geräteraum abzogen, entfernte Karo rasch das Plakat. „Dickmadam“ stand klein in der unteren Ecke. Natürlich.

Frau Hooger war nach wie vor der Meinung, dass nur eine Verrückte diese Taten begangen haben könnte. „Derangiert und auf den Club fixiert.“

Karo fühlte sich mehr und mehr an die Aktionen der Guerilla Girls erinnert, jener Gruppe feministischer Künstlerinnen, die gegen die Diskriminierung von Frauen auf dem Kunstmarkt protestierten. Um ihre Anonymität zu wahren, trugen sie in der Öffentlichkeit Gorilla-Masken. „Vielleicht protestiert Dickmadam auf ihre Weise gegen das von Mode und Medien propagierte magersüchtige Frauenbild. Könnte doch sein.“

„Unsinn“, sagte Frau Hooger. „Die Frau ist eine ganz gewöhnliche Kriminelle. Entwickeln Sie nur keine sentimentale Sympathie für das Weib. Finden Sie sie einfach.“

„Von einfach kann hier keine Rede sein“, murmelte Karo sich in den Bart. Ihr Vorschlag, Überwachungskameras anzubringen, war als zu kostspielig abgelehnt worden.

Am nächsten Tag hörte Karo das trällernde Lachen zum ersten Mal selbst. Es kam aus dem Untergeschoss und hallte von den Kacheln wieder. Sie nahm drei Stufen auf einmal und war im Nu unten.

„Hat jemand gesehen, wer da gelacht hat?“, fragte sie die Frauen vor den Umkleidekabinen.

Sie hatten es nur gehört.

„Mir ist es kalt den Rücken runtergelaufen“, behauptete eine.

„Es kam aus einer Kabine“, meinte eine andere Frau. „Von links.“

„Nein, von rechts hinten!“

„Ich glaube, es kam aus dem Schwimmbad.“

Es befanden sich etwa zwanzig Frauen im Becken, vor und in den Kabinen. Karo zog ihren Notizblock hervor, um die Namen zu notieren, als ein Chor spitzer Schreie zu ihnen drang. Das kam eindeutig von oben.

Karo rannte die Treppe hinauf in den zweiten Stock. Das Kreischen kam aus der Aqua-Bar. Es klang hysterisch. Hatte Dickmadam ihren ersten Mord begangen?

Auf alles gefasst, stieß Karo die Schwingtür auf. „Ruhe!“, brüllte sie. „Was ist passiert?“

Das runde Dutzend dicker Frauen verstummte, als sei ihnen der Ton abgedreht worden. Sie blickten auf Karo, hilfesuchend, hoffnungsvoll, als könne sie alle aus einem kollektiven Albtraum befreien. In ihren Gesichtern standen Verzweiflung, Unglauben, Entsetzen.

Frau Koehnen war nicht die Einzige, deren Wangen schwarz gestreift waren. Tränen hatten die Wimperntusche verlaufen lassen. Alle hatten braun umschmierte Lippen. Sie sahen aus wie missglückte Clowns.

Frau Hooger stand wie erstarrt abseits von der Gruppe. Ihr Gesicht war unversehrt.

„Was ist passiert?“, wiederholte Karo.

Frau Hooger deutete auf die Theke. Ein paar Frauen traten zur Seite, um Karo freie Sicht zu gewähren.

Zwei Tortenplatten standen da, leer bis auf einige braune Krümel und fettglänzende Streifen. Zwischen den Platten war ein kleines Schild aufgestellt.

Karo trat näher.

DIE NEUE SCHLANKOFORM-SCHOKOTORTE:

SÜß – SAFTIG – SENSATIONELL

NUR 10 KALORIEN PRO STÜCK!

TESTEN SIE EIN STÜCK!

Karo fuhr mit einem Zeigefinger über eine Tortenplatte und leckte ihn ab. Sie unterdrückte ein genussreiches Stöhnen. Das war sündhaft gut.

„Keine Schlankoform-Torte“, stellte sie fest.

„Natürlich nicht!“, rief Frau Hooger. „Eine Kalorienbombe! Ein Attentat auf den Club! Ein Versuch, die Moral unserer Klientinnen zu zerstören! Entsetzlich …“

„Seit zwei Monaten bin ich auf der Diät“, sagte Frau Koehnen. „Schwerste Disziplin. Jede Kalorie gezählt. Die fürchterlichen Drinks geschluckt. Und jetzt … das waren doch bestimmt zweitausend Kalorien.“

„Mindestens dreitausend“, sagte eine andere Frau. „Köstliche, köstliche Kalorien.“ Sie fuhr mit ihrer Zunge über die Lippen und brach in Tränen aus.

Andere Frauen fingen an zu schniefeln. Sie waren vom Pfad der Tugend abgekommen. Sie hatten gesündigt. Im besten Glauben natürlich. Sie waren unschuldig.

Sie guckten anklagend auf Frau Hooger.

„Wie konnte das geschehen?“, fragte Frau Koehnen, wieder ganz die befehlsgewohnte Generaldirektorsgattin.

Frau Hooger schüttelte hilflos den Kopf. „Wir werden der Sache nachgehen, meine Damen. Ich kann mich nur in aller Form für den Vorfall entschuldigen. Frau Rutkowsky, kann ich Sie in meinem Büro sprechen?“

„Das Lachen kam aus dem Untergeschoss“, erklärte Karo der erschöpft in ihrem Schreibtischsessel hängenden Frau Hooger. „Dickmadam hat die Torten abgestellt und ist dann runtergegangen, um zu lachen. Nicht ungeschickt. Aber es schränkt den Kreis ein. Die Frauen in der Aqua-Bar können wir von der Liste der Verdächtigen streichen.“

„Finden Sie sie, Frau Rutkowsky. Meine Nerven machen das nicht länger mit. Wenn Schlankoform davon erfährt, bin ich erledigt … Wie konnte sie überhaupt unentdeckt mit zwei Torten durchs Haus laufen?“

Karo zuckte mit den Schultern. „Zwei Tupperware-Tortenbehälter in einer voluminösen Sporttasche – kein Problem. Ich könnte alle Kabinen und Taschen durchsuchen …“

Frau Hooger winkte ab. „Zu viel Aufsehen. Außerdem haben wir kein Recht dazu. Und die Polizei kommt nicht infrage.“

„Ja, vielleicht hat sie das Haus auch schon verlassen. Oder hat die Behälter in einen Abstellraum oder aus dem Fenster geworfen.“

Weder noch, wie sich bald herausstellte. Die Plastikhauben wurden im Pool gefunden, harmlos auf dem Wasser tanzend.

Auf Karos Drängen informierte Frau Hooger das ganze Team über den Zusammenhang der Vorfälle und enthüllte auch Karos wahre Identität.

„Sie meinen, wegen so einer dicken Madam und ihrer … ihrer Streiche ist der ganze Club in Gefahr?“, fragte Tana.

„So weit wird es hoffentlich nicht kommen“, sagte Frau Hooger. „Aber Sie wissen alle, was Schlankoform als Sponsor für den Club bedeutet. Sollte die Firma sich zurückziehen, würde es eng werden. Außerdem untergraben die Vorfälle das Vertrauen und die Disziplin der Klientinnen. Drei von ihnen sind gestern zu einer Tortenschlacht ins nächste Café gezogen. Auf ein paar mehr Stücke käme es nach der Schokoladentorte nicht mehr an, meinten sie.“ Sie verschwieg, dass eine andere Frau die Clubmitgliedschaft in Karos Beisein gekündigt hatte.

„Ich schäme mich, wenn ich daran denke, wie wir uns auf diese Torten gestürzt haben. Wie hysterische ausgehungerte Hyänen. Es war würdelos. Ich mag nicht, was hier aus mir geworden ist.“

Frau Hooger forderte alle Mitglieder ihres Teams zur besonderen Wachsamkeit auf, um Karo zu unterstützen. Den Opfern des Schokoladentorten-Anschlags ließ sie mit einem charmant formulierten Entschuldigungsschreiben Gutscheine für fünf Massagen zukommen. Und alle Klientinnen wurden für den folgenden Samstag nach der letzten Klasse zu einer Party in die Aqua-Bar eingeladen. Offiziell, um ein neues Schlankoform-Produkt vorzustellen (fettloses Popcorn in vier Geschmacksrichtungen: Butter, Käse, Schoko und Kirsch), inoffiziell, um das angeschlagene Vertrauen in den Club und die Schlankoform-Produkte zu festigen. Aus diesem Grund wurde auch Rupert Kayser für die Party dienstverpflichtet.

Er war an diesem Samstag besonders guter Laune, falls das überhaupt vorstellbar war. Frau Hooger war dankbar für alles, das die Stimmung ihrer Damen hob, und so flirtete er etwas offener, legte hier einen freundschaftlichen Arm um eine runde Schulter, dort drückte er mit einem Lachen eine imaginäre Taille.

Die Klientinnen genossen seine harmlosen Aufmerksamkeiten, plauderten entspannt miteinander, lachten, knabberten das neue Popcorn („Der Genuss ohne Reue“) und tranken Mineralwasser.

Frau Hooger war erleichtert.

Karo kam von einem Rundgang zurück. Alles war ruhig auf den Fluren. Sie trank irisches Mineralwasser auf Eis und betrachtete die Menge.

Frau Koehnen trug heute einen kanarienvogelgelben Gymnastikanzug und sah gewaltig aus, aber irgendwie toll.

Frau Plassmann im marineblauen Trainingsanzug stand still in einer Ecke und nippte an ihrem Mineralwasser. Herr Kayser warf einen Kennerblick auf ihre Formen. Karo beobachtete, wie seine Hand sich unauffällig, aber zielsicher ihrem runden Po näherte. Kayser schloss genüsslich die Augen, als er hineinkniff. Mit einem Grinsen verschwand er nach vollbrachter Tat Richtung Bartheke. Frau Plassmann nippte weiter an ihrem Mineralwasser, als sei nichts geschehen.

Oder als habe sie nichts bemerkt? Karo stellte ihr Glas ab und bewegte sich wie zufällig in Frau Plassmanns Richtung.

Als sie hinter ihr stand, sah Karo sich kurz um und grapschte dann Frau Plassmanns Po.

Wie eine eiserne Klammer legte sich Frau Hoogers Arm um Karos Schultern.

„Frau Rutkowsky!“, flüsterte sie in eisigem Tonfall und mit süßlichem Lächeln. „Darf ich Sie kurz sprechen!“

Sie bugsierte Karo in den nächstgelegenen Gymnastikraum. „Frau Rutkowsky! Ich bin ein toleranter Mensch. Was Sie in Ihrer Freizeit machen, ist mir gleichgültig. Aber ich hätte doch so viel Professionalität von Ihnen erwartet, dass Sie sich während Ihres Auftrags nicht an meine Klientinnen ranmachen. Ich kann nicht glauben, was ich gerade gesehen habe! Wie –“

„Haben Sie bemerkt, wie Frau Plassmann reagiert hat?“

„Wie? Nein. Ich kann –“

„Sie hat gar nicht reagiert. Das ist signifikant. Wie der Hund, der nicht bellte.“

Frau Hooger betrachtete Karo misstrauisch. „Haben Sie getrunken? Hier ist kein Hund.“

„Vergessen Sie den Hund. Seit wann ist Frau Plassmann Mitglied?“

„Seit etwas über einem Monat.“

„Und vor fast vier Wochen begannen die Vorfälle.“

Karo eilte zurück in die Aqua-Bar. Noch ein Test. Aber eigentlich war sie sich sicher.

Aus einer Schublade hinter der Theke nahm sie ein Gemüsemesser. Sie näherte sich Frau Plassmann von hinten. Was, wenn sie sich irrte? Karo pikste kurz mit dem Zeigefinger in Frau Plassmanns Rücken, nickte befriedigt, holte aus und stach ihr das Messer zwischen die Schulterblätter.

„Nei-ei-ein!!“, kreischte eine Frau. Sie deutete mit ausgestrecktem Arm auf den Messergriff, der aus Frau Plassmanns Rücken ragte.

Andere Frauen drehten sich um, trauten ihren Augen kaum, verstummten oder schrien auf, je nach Temperament. Frau Hooger stand in der Schwingtür und raufte sich die Frisur.

Es dauerte einen Moment, bis Frau Plassmann begriff, dass man auf sie starrte. Sie lächelte verlegen. „Ist was?“

„Sie wurden soeben ermordet … Dickmadam“, sagte Karo. Sie zog das Messer aus dem weichen Rücken und zeigte es Frau Plassmann.

„Oh! … Oh. Ja, dann …“

Karo rief: „Bitte beruhigen Sie sich, meine Damen. Ein dummer Scherz. Tut mir leid.“

Sie begleitete Frau Plassmann hinaus. Eine noch blasse Frau Hooger schloss sich ihnen an.

„Darf ich um die Perücke und die Polster bitten“, sagte Karo, als sie im Büro angekommen waren.

Frau Plassmann nahm ihre Lockenfrisur ab, zog Schulter-, Rücken- und Hüftpolster aus ihrem Trainingsanzug und spuckte die Wangenpolster in den Papierkorb.

Frau Hooger starrte stumm auf die verwandelte Frau Plassmann: dunkle Kurzhaarfrisur, schmales Gesicht, schlanke Figur in schlabberndem Trainingsanzug. „Ja, aber Frau Plassmann! Ich verstehe nicht … Sie waren das alles? Warum?“

Frau Plassmann presste ihre Lippen aufeinander und schwieg.

„Ihr Ziel war es, den Club zu ruinieren, ihn zur Schließung zu zwingen“, sagte Karo.

Frau Plassmann nickte kurz.

„Das wäre Ihnen ja auch bald gelungen“, rief Frau Hooger erbittert. „Aber warum? Ich habe Ihnen doch nichts getan, oder?“

„Haben Ihre Taten einen gesellschaftskritischen Hintergrund?“, fragte Karo. „Wollten Sie gegen den von den Medien verbreiteten Schlankheitswahn protestieren, den Institute wie dieses unterstützen?“

„Frau Rutkowsky, ich muss doch sehr bitten“, sagte Frau Hooger.

Dickmadam aber lachte. Trällernd. Und anhaltend. „Wenn Sie es unbedingt wissen wollen“, sagte sie schließlich. „Ich habe es wegen meines Mannes getan.“

„Cherchez l’homme“, murmelte Karo.

„Seit einem Jahr ist er pensioniert. Und da erwische ich ihn vor einiger Zeit, wie er mit dem Fernglas diesen Club beobachtet. Aerobic-Klassen. Er kann genau in den großen Gymnastikraum sehen.“

„Der Spanner!“, rief Karo.

„Eine recht harmlose Beschäftigung“, sagte Frau Hooger.

„Dicke Frauen!“, rief Frau Plassmann. „Er liebt Frauen, die etwas Fleisch auf den Rippen haben! Sinnlicher findet er sie. Weiblicher! Es hat mich so erbost. Es hat mich erbittert! Ich geriet außer mich!“

„Aber warum?“, fragte Frau Hooger.

„Weil ich eigentlich ein … ein vollschlanker Typ bin“, schrie Frau Plassmann. „Mollig als Kind, rundlich als junge Frau. ‚Dickmadam‘ nannte er mich in den ersten Ehejahren zärtlich, wie mein Vater früher. Dann kam sein beruflicher Aufstieg bei Ruhr-Stahl. Repräsentationspflichten für mich. Er drängte mich, abzunehmen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich tat es. Ihm zuliebe. Diäten, Gesundheitsfarmen, strengste Disziplin. Jahrelang der Verzicht auf Lieblingsgerichte. Ein Blick auf eine Nudel und ich musste einen Tag fasten. Er kann essen, was er will, und nimmt nicht zu. So viel Verlust an Lebensfreude. Na ja. Ich dachte, ich räche mich. Er ist jetzt stark gehbehindert. Sitzt meist in diesem Sessel. Dieser Club wird schließen, sagte ich ihm. Und er wurde so richtig blass. – Das wäre es. Die Perücke setzte ich auf, damit er mich nicht erkennt durch sein Fernglas.“

„Soll ich jetzt die Polizei rufen?“, fragte Karo.

„Wie? Ach nein“, sagte Frau Hooger. „Das Aufsehen würde uns wahrscheinlich schaden. Vielen Dank, Frau Rutkowsky. Sie können dann gehen. Schicken Sie mir die Rechnung zu.“

Karo nickte und nahm ihre Sachen. Im Hinausgehen hörte sie noch, wie Frau Hooger der Plassmann einen Deal anbot. Verzicht auf eine Anzeige gegen Erstattung des Schadens.

„Scheint mir sehr fair“, sagte Frau Plassmann. „Ich bin einverstanden unter der Bedingung, dass Sie im großen Gymnastikraum blickdichte Vorhänge oder Jalousien anbringen. Ich zahle.“

Frau Hooger hatte wohl zustimmend genickt, denn noch am Gartentor hörte Karo, wie Dickmadam lachte.

Blaubart im Schnee

„… let it snow“, sang Bing Crosby unnachahmlich und zudem passend. Noch drei Wochen bis Weihnachten und es schneite. Dicke Flocken fielen, lautlos, unaufhörlich, seit dem späten Vormittag, und würden weiter fallen, wenn man dem Wetterbericht von Radio Essen Glauben schenken konnte.

Karo ließ die Tür zu ihrem Büro auf, um die Musik, die aus der Film-Bar herauf driftete, nicht auszuschließen. Etwas vorweihnachtliche Stimmung war auch in einem Detektivbüro angebracht, selbst wenn es klein war und etwas schäbig und einzig die Detektivin darin nicht aus den fünfziger Jahren stammte.

Karo setzte sich auf den Drehstuhl, legte die Füße auf den Schreibtisch und griff nach dem Glas.

„Mmmhhh …“ Schon das Aroma … Aber erst der Geschmack … Sie konnte nicht widerstehen. Seit Beginn des Weihnachtsfilm-Festivals in der Lichtburg gab es in der Film-Bar winterliche Getränke, die sie alle durchprobiert hatte. Von Glühwein über Tee mit Rum und Kandis bis zu heißer Schokolade mit Schlagsahne. Alles ganz lecker. Aber seit dem ersten Schluck letzte Woche war Karo dem Eggnog verfallen.

„Einfach himmlisch, Schorschi“, hatte sie geflüstert, und Giorgio hatte gestrahlt.

Nun nahm sie jeden Nachmittag, wenn sie auf dem Weg nach oben an der Film-Bar vorbeikam, ein Glas mit ins Büro. Teuer. Aber köstlich. Sie ließ es anschreiben.

Und irgendwie sah der Eggnog ganz gesund aus, war sicher gesund. Kaum mehr als ein heißer Eier-Milchshake mit Gewürzen, na ja, und Kognak. Der ihr zugegebenermaßen ein bisschen in die Beine ging. Und in den Kopf. Vielleicht sollte sie etwas essen.

Karo öffnete die oberste Schreibtischschublade und nahm einen Zimtstern heraus. Manche ihrer Putzkundinnen waren sehr backfreudig und in der Adventszeit fielen alle Hemmungen von ihnen ab. Haselnussbaisers, Spritzgebäck, Honigkuchen, Mandelspekulatius, Berliner Brot – in Karos Schreibtisch fehlte nichts. Sie bekam diese Köstlichkeiten nicht aus reiner weihnachtlicher Nächstenliebe, das war ihr klar. Es waren kleine Bestechungsversuche.

Wenn ihre Detektei weiterhin so gut lief wie in der letzten Zeit, würde sie die Liste ihrer Putzkundschaft kürzen können. Das verbreitete eine Unruhe, die sich positiv auf deren Gebefreudigkeit auswirkte.

Karo war schon auf die Geschenke und Geldumschläge gespannt, die man ihr in den nächsten Wochen überreichen würde. Sie ging davon aus, dass sie keine Schwierigkeiten haben würde, ihr Eggnog-Konto auszugleichen.

Doris Day sang „I’ll be home for Christmas“ und Karo schloss die Augen für ein Nickerchen, als das Telefon zweimal klingelte – Giorgios Signal, dass jemand auf dem Weg nach oben war, um Karola Rutkowsky, Privatdetektivin, zu konsultieren.

Karo riss ihre Augen auf, nahm die Beine vom Schreibtisch, knallte die Gebäckschublade zu und fegte die Krümel mit einer Handbewegung auf den Boden. Auf dem alten Linoleum fielen sie kaum auf. In Augenblicken wie diesen war sie froh darüber, dass ihr Büro nicht wie die meisten anderen in der Lichtburg mit Teppichboden ausgelegt war. Gegen das schöne alte Parkett in Bernies Büro hätte sie allerdings nichts einzuwenden gehabt.

Sie hatte gerade das Strafgesetzbuch vom Aktenschrank gefischt und aufgeschlagen auf den Schreibtisch gelegt, als es leise an die geöffnete Tür klopfte. Karo sah auf. Ihr „Herein“ erstarb.

Im Türrahmen stand ein Rauschgoldengel. Tauende Schneeflocken glitzerten im blonden Haar und auf dem wadenlangen mitternachtsblauen Samtcape.

Karo schüttelte den Kopf. Nicht nach nur einem Eggnog. Obwohl ein starker Kaffee jetzt nicht schlecht wäre.

„Äh – guten Tag“, sagte Karo mit einem Versuch von Festigkeit in der Stimme. Ob der Engel zu dem Weihnachtsmann gehörte, der unten vor der Kindervorstellung Süßigkeiten und freche Sprüche verteilte? „Wenn Sie ins Kino wollen –“

„Wie? Nein. Entschuldigen Sie. Es ist hier nur genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Oh, ist das der Sessel, in dem Romy Schneider gesessen hat? Darf ich?“

Sie ließ sich in dem apricotfarbenen Cocktailsessel nieder, den Karo aus der Film-Bar entführt hatte.

„Hm, klasse. Wann war sie hier? Zu einer Sissi-Premiere? Also, ich fand sie toll. Die Spaziergängerin von Sans-Souci, kennen Sie den? Er kam letzte Woche im Fernsehen – und ein richtiges Telefon! Funktioniert das?“

Karo nickte. Sie brauchte diesen Kaffee. „Sagen Sie, kann ich etwas für Sie tun?“

„Ja, natürlich. Jedenfalls hoffe ich das. Frau Rogalla sagt, Sie sind sehr gut und genau die Richtige.

---ENDE DER LESEPROBE---