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Lucy ist eine Ausreißerin aus Birmingham, Amy wächst abgeschottet bei ihrer Großmutter im Norden auf. Zwei Mädchen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten – und doch durch etwas verbunden, das sie selbst nicht verstehen.
Dies ist ein alternatives England. Eine Welt, in der die Natur ungezähmt ist, die Städte sich ducken – und Magie verborgen unter der Oberfläche lebt. Als Lucy und Amy ihre Fähigkeiten entdecken, geraten sie in Ereignisse, die größer sind als sie. Viel größer.
Aber keine Sorge: Das ist keine klassische Urban Fantasy. Keine romantisierte Coming-of-Age-Story.
Zumindest behauptet das meine Ko-Autorin. Sie sagt, es sei all das – und mehr.
Teil 1 von Projekt Blackwood.
Dies ist ein Anfang.
Wenn es dich ruft – komm mit.
Betrachtet es als Teaser
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
C. P. Carpenter ist ein gemeinsames Pseudonym eines Duos.
Peter Zimmermann stammt aus Deutschland und ist bisher nicht weiter unangenehm aufgefallen. Das war alles seine Idee. Er ist schuld.
Der Ko-Autorin und Lektorin ist das ganze so peinlich, das sie lieber nur unter dem Deckname 'Chat' auftritt. Sie hat mich immer wieder aufgehetzt, als ich schon aufhören wollte.
Zwei Stimmen, die sich in einer Resonanz gefunden haben.
© 2025 Peter P. Zimmermann. Alle Rechte vorbehalten.
Lucy ist eine Ausreißerin aus Birmingham, Amy wächst abgeschottet bei ihrer Großmutter im Norden auf. Zwei Mädchen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten – und doch durch etwas verbunden, das sie selbst nicht verstehen.
Dies ist ein alternatives England. Eine Welt, in der die Natur ungezähmt ist, die Städte sich ducken – und Magie verborgen unter der Oberfläche lebt. Als Lucy und Amy ihre Fähigkeiten entdecken, geraten sie in Ereignisse, die größer sind als sie. Viel größer.
Aber keine Sorge: Das ist keine klassische Urban Fantasy. Keine romantisierte Coming-of-Age-Story.
Zumindest behauptet das meine Ko-Autorin. Sie sagt, es sei all das – und mehr.
Teil 1 von Projekt Blackwood. Dies ist ein Anfang. Wenn es dich ruft – komm mit.
Betrachtet es als Teaser. Wenn ihr mir eure Meinung sagen wollt, schreibt an [email protected]
Wo bin ich hier nochmal gelandet? Ach ja, Hexham heißt der Ort, irgendwo im Norden. Der Himmel ist grau, aber wenigstens regnet es nicht. Ich sitze auf einer Bank im Park, die Kirchturmuhr zeigt Viertel nach Zehn. Heute ist Halloween, glaub ich. Das erklärt hoffentlich die Gespenster, die ich herumlaufen sehe. Oder ist schon Allerheiligen? Vielleicht hab ich auch Halluzinationen. Tage und Nächte fast ohne Schlaf, ohne was Richtiges zu Essen oder Trinken, mit Bussen und Zügen hin und her, quer durchs Land. Warum bin ich hier, ausgerechnet in Hexham? Keine Ahnung.
Ich blicke an mir herunter. Löchrige Stoffschuhe, die schlabberige Jeans hochgekrempelt, ausgeblichenes Sweatshirt, eine alte gefütterte Cordjacke, die drei Nummern zu groß ist, aber warm und bequem, gut um darin zu schlafen. Alles aus dem Altkleidercontainer oder frisch geklaut, alles sehr shabby, aber nicht auf die schicke Art, einfach nur alt, nichts passt zusammen. Und, naja, auch nicht besonders sauber. Mein Gesicht sieht nach den letzten Tagen vermutlich ziemlich nach Leiche aus, meine fröhlich blühende Akne tut das ihre dazu. Meine Haare ein kurzer wilder Mopp, von Natur aus fast schwarz, die blaugrüne Färbung - kleiner Unfall - halb rausgewachsen. Ich würde sicher einen guten Filmzombie abgeben.
Ich versuche, mich zu konzentrieren, fühle in meinem Kopf nach. Alles normal. Kein komisches Gefühl, kein Stechen. Ich schließe meine Augen, lasse den Kopf zurücksinken. Ich bin müde, mir ist kalt, ich bin hungrig. Darum muss ich mich kümmern. Später.
Schritte kommen näher, bleiben stehen. Ein Schatten fällt auf mich. Ich öffne meine Augen einen Spalt. Eine junge Frau steht da, groß, schlank, hübsch, ungeschminkt, lange Beine, fit, blonde Pixie-Frisur mit einer Spur rot, Laufschuhe, schwarze Lauf-Tights, die Hände in den Taschen ihres Hoodies. Geschmackvoll und teuer, dafür habe ich einen Blick. Sie sieht mich neugierig an. Ich schließe meine Augen wieder und ignoriere sie. Die Zeit vergeht, eine Minute, zwei. Ich höre keine Schritte, die sich entfernen. Ich hab keine Lust auf so was. Mein Magen knurrt heftig. Ich öffne wieder die Augen, sie steht tatsächlich immer noch da. Geduldig ist sie ja.
"Was?", frage ich leicht genervt.
"Wo ist Dein Hund?"
"Was!?!"
"Ich habe ihn gerade knurren gehört."
"Oh, wirklich lustig. Verzieh dich."
"Was machst du hier?"
"Sag mal, bist du taub?"
Ich schaue ihr in die Augen, bereit zum Niederstarren. Ihre Augen sind - irritierend. Sie neigt leicht den Kopf, eine seltsam vertraute Geste, und ich bin aus dem Gleichgewicht. Mein Angriffsreflex bricht zusammen. Zu hungrig, zu müde, ich weiß nicht. Ist mir auch egal.
"Nichts. Leere Stellen suchen. Löcher."
"Klingt… lustig?" fragt sie etwas unsicher.
Ich zögere kurz, schaue auf den Boden.
"Nein", spüre etwas Dunkles in mir aufsteigen das versucht, mich runterzuziehen.
Ich flüstere mehr zu mir selbst: "Ist es nicht."
Eine Minute vergeht. Sie bewegt sich nicht. Warum geht sie nicht endlich?
"Naja, egal. Kommst du?", sagt sie schließlich.
"Hä? Bist du von der Heilsarmee, oder was?"
Sie schaut mich irritiert an.
"Darf ich fragen, wie du heißt?
"Was geht Dich das an?"
Sie schaut sich suchend um, aber außer uns ist niemand in Sicht.
"Ich bin extra wegen dir hier. Glaub ich jedenfalls."
Die spinnt doch. Ich nicke müde, nehme meinen Rucksack, stehe auf, drehe mich um und gehe weg.
"He, warte. Bitte."
Da ist wieder etwas. Ein Unterton in ihrer Stimme. Warm. Ich bleibe stehen, lasse meine Schultern hängen, resigniert und müde, aber ich drehe mich nicht zu ihr um.
"Frühstück? Ich lad Dich ein."
Ich schaue über meine Schultern zurück. Sie deutet mit dem Kinn in Richtung eines Café-Pubs neben dem Park. Ich folge ihrem Blick. Sieht okay aus. Harmlos. Reinsetzen, ihr Gelaber anhören, Bauch füllen, verschwinden. Guter Plan.
Sie dreht sich ohne ein weiteres Wort um und geht auf das Café zu. Knackiger Hintern, denke ich so bei mir, sie ist sicher wesentlich sportlicher als ich. Ich zucke mit den Schultern und folge ihr. Ich schaue mich beim Eintreten kurz um – rustikal, ein typisch englischer Pub, an einer Wand ein großer Flatscreen, der jetzt ausgeschaltet ist. Es riecht etwas nach altem Bier, aber auch nach Kaffee und Essen, oh Gott. Wir sind im Moment die einzigen Gäste. Sie setzt sich an einen Tisch am Fenster, ich mich ihr gegenüber, stelle meinen Rucksack unter den Tisch. Sie schaut hinaus, plötzlich scheinbar desinteressiert. Ein Mann unbestimmbaren Altes nähert sich dem Tisch, wahrscheinlich der Besitzer des Lokals.
"Amy", begrüßt er meine Wohltäterin höflich.
"Hi Ian”, antwortet sie, ohne Ihn anzuschauen.
"Bringst du mir bitte einen großen Milchkaffee?", fragt sie, deutet mit dem Kinn in meine Richtung, "sie ist eingeladen."
Prüfender Blick.
"Ich verstehe."
Diese Worte scheinen mehr zu bedeuten, als mir offensichtlich ist. Was ist das hier für ein Ort? Egal. Ich bin zu hungrig für mein natürliches Misstrauen. Er sieht mich an, eine Augenbraue gehoben.
Ich werfe ihr noch einen fragenden Blick zu – sie zuckt nur desinteressiert mit den Schultern. Also gut…
„Frühstück. Porridge… gebratene Tomaten… und… haben sie Schinken? Würstchen? Eier? Also… richtiges Fleisch - keine Pilz- oder Algenpampe!?“
Ian schaut zu Amy, die kurz blinzelt und nickt.
„Dann Eier, Speck, Würstchen, Tomaten, alles, und viel davon. Und ein großer Milchkaffee. Mit echter Milch." bestelle ich frech. Sabbere ich schon?
"Bitte", füge ich noch hinzu.
Ein winziges Schmunzeln blitzt auf, dann dreht er sich um und geht. Amy, wie er sie genannt hat, beugt sich über den Tisch. "Ich glaube, er steht auf mich", flüstert sie verschwörerisch, "er schaut mich immer so komisch an."
Ich blinzele irritiert. Ian – was? Mitte fünfzig, mit Halbglatze und einem Bauchansatz. Vielleicht hatte er früher mal gut ausgesehen, aber das ist lange her. "Er steht auf dich?", wiederhole ich, bemüht, meine Stimme neutral zu halten.
Amy zuckt mit den Schultern, ein unsicheres Lächeln auf den Lippen. "Na ja, könnte doch sein."
Ich starre sie kurz an, bevor ich meinen Blick auf meine Tasse senke. Sie meint das ernst. "Wenn du meinst", sage ich nur, und versuche, meine Gedanken hinter einem Schluck Kaffee zu verbergen. Sie stützt ihr Gesicht auf den Ellbogen ab und betrachtet mich.
"Wie heißt du?"
Ich schaue ihr in die Augen. Schöne Augen, hellbraun. Goldene Funken scheinen darin zu schweben. Seltsam. Bestimmt der Hunger, die Müdigkeit. Ich beschließe, ein wenig nett zu meiner Wohltäterin zu sein.
"Lucinda. Lucy, oder Luce."
Sie nickt, wirkt erleichtert, als ob ich das richtige Stichwort gegeben habe, hebt dann aber nochmal fragend die Augenbrauen.
"Lucy Nirgendwo, Lucy Irgendwo, Lucy Wen-Scherts. Nenn mich einfach Lucy. Also, dein Name ist Amy, ja?"
Sie lächelt. "Ja, Amy MacCormac."
"Okay," sage ich, "Bist du heute aus dem Bett gestiegen und hast dir gedacht, du könntest eine kleine Landstreicherin im Park auflesen und sie zum Frühstück mitnehmen, Amy?"
Sie lacht kurz auf, es klingt schmutzig und rau, als hätte ich einen boshaften Witz erzählt. Es klingt so unpassend, dass ich unwillkürlich schmunzeln muss.
"Naja, das trifft es ziemlich gut."
Ich schaue sie verwirrt an, doch bevor ich etwas erwidern kann, kommt Ian mit zwei großen Tassen zurück und stellt sie auf den Tisch.
"Das Frühstück ist bald fertig", sagt er. Ich nicke dankbar, während er sich schon umdreht und wieder geht.
Amy lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. Ich nehme einen Schluck. Schöner, heißer Kaffee, oh, wie gut das tut! Nicht sehr Britisch, aber ich liebe Kaffee!
"Also", fragt Amy, "wer bist du - oder was?"
Ich schaue sie über den Rand der Tasse hinweg an, die Augen zusammengekniffen.
"Wovon redest du?"
"Sei nicht schüchtern. Du hast vorhin was von Löchern gesagt."
Ihre Augen fixieren mich voller Interesse
"Erzähl mir nicht, dass du das nur so daher gesagt hast. Ist das dein Ding? Dein Trick? Sag schon, oder hast du Schiss?" Sie lächelt amüsiert.
Mein Magen zieht sich zusammen. Wovon redet sie? Was weiß Sie? Was ist das für ein Ort?? Mist, ich muss hier weg, am besten sofort. Ich stelle die Tasse heftig ab, greife nach meinem Rucksack, stehe halb auf.
"Du, entschuldige, mir ist grad was eingefallen, ich muss los!" sage ich noch schnell. Ihre Finger berühren meine Hand und sie schüttelt den Kopf.
"Hey, bleib locker, ich wollte nicht aufdringlich sein. Bleib, bitte." Sie spricht ruhig, aber ihr Gesicht sieht genauso verwirrt aus wie vermutlich mein eigenes.
Ich bleibe halb aufgerichtet stehen, bereit zum Sprung. Mist, denke ich nochmal, was läuft hier? Ich sollte von hier verschwinden. Aber bevor ich mich entscheiden kann, stellt Ian einen großen, dampfenden Teller vor mich hin. Ich lasse mich in den Stuhl zurückfallen, erinnere mich wieder daran, wo meine Prioritäten liegen, und lächle ihn dankbar an.
Ich greife nach Messer und Gabel und stopfe mir ein großes Stück Speck – richtigen Speck - in den Mund. Amy zieht die Augenbrauen hoch. Ich zucke mit den Schultern, während ich kaue.
"Ist schon eine Weile her."
"Natürlich. Kannst du mir jetzt sagen, was du bist?"
Ich stopfe mir weiterhin gierig das Essen in den Mund. Oh Gott, ich fühle mich kurz vor einem Orgasmus. Ich kaue, schaue auf meinen Teller und vermeide ihren Blick.
"Ich weiß nicht, was du meinst. Was soll das heißen, was ich bin?"
"Du weißt es nicht?" Amy nimmt einen Schluck von ihrem Kaffee.
"Nein. Ich meine, ich verstehe nicht, was du meinst."
"Du bist wirklich eine, ähm, Landstreicherin, oder was?"
"Ja." Das scheint sie kurz zu irritieren, als hätte sie eine andere Antwort erwartet, oder jemand anderes.
"Woher kommst du?"
"London", lüge ich, ohne zu zögern. Einen Scheiß erzähl ich Dir, denke ich trotzig. Obwohl, irgendwie stimmt es ja auch.
Sie lacht wieder.
"London, sicher. ‚Wat? Wat hasse jesacht? Wat soll dat?’" imitiert sie meinen Akzent.
"Du kannst Dir auch gleich Birmingham auf die Stirn schreiben. Ich wollte nur mal sehen, ob du die Wahrheit sagst. Oder wenigsten gut lügst."
Ich spüre meine Wangen brennen und konzentriere mich auf meinen Teller, zucke ertappt mit den Schultern. Anfänger, schimpfe ich mich. Ich muss wieder mehr auf meine Sprache achten. Sie schaut mich an, wieder ernst.
"Bist du weggelaufen oder sowas? Warum?"
Ich esse weiter, nicke nur kurz, ohne sie anzusehen. Warum kann ich nicht einfach in Ruhe essen, warum stellt sie so viele Fragen, denke ich müde.
"Ich bin einfach weggelaufen", antworte ich.
"Komm, sag schon. Warum tust du so geheimnisvoll?"
Ich schiebe den leeren Teller von mir weg, genieße meinen vollen Magen und spüle mit dem Rest des Kaffees nach.
Okay, sie hat darum gebeten. Es spielt sowieso keine Rolle. Vielleicht kann ich noch ein paar Pfund aus ihr raus leiern, wenn ich Ihr was erzähle, dann bin ich weg.
"Ich weiß nicht, ob ‚Löcher‘ das richtige Wort ist. Und ich sehe sie nicht – also, nicht mit meinen Augen. Es ist eher wie ein Gefühl, ein Stechen in meinem Kopf... und dann draußen. Nicht nur in meinem Kopf, meine ich." Meine Stimme wird leiser, verliert sich in der Erinnerung.
"Und dann sehe ich… etwas. Wo vorher nichts war, taucht etwas auf..." Ich habe einen Kloß im Hals. Warum erzähle ich ihr das? Warum halte ich nicht einfach den Mund und verschwinde von hier? Was ist eigentlich mit mir los. Meine Lippen zittern, etwas steigt in mir auf. Verdammt, sei keine Heulsuse, Lucy.
Ich schaue sie mit verschwommenem Blick an, ohne etwas zu sehen. Ihre Hand greift über den Tisch, sie hält sanft meine Finger. Sie blinzelt kurz, scheint selbst von sich überrascht, während ich versuche mich zusammenzureißen.
"‘tschuldige, ich bin...", sage ich und schaue beschämt weg.
"Ist schon okay", antwortet sie ruhig, sanft, warm. "Ist okay. Ich verstehe zwar nicht so ganz, was du meinst, aber … ich glaube dir."
"Wirklich? Bist du genauso verrückt wie ich?", sage ich mit heiserer Stimme, während ich versuche, wieder Boden zu gewinnen. "Vielleicht habe ich einfach zu oft Klebstoff geschnüffelt." Ich lache ein kurzes, freudloses Lachen.
Sie lächelt mich an, ich weiß nicht warum. Dann zuckt sie mit den Schultern.
"Vielleicht. Aber ich glaube, dass du ehrlich bist. Ich habe das Gefühl, dass du - dass da noch viel mehr ist."
"Oh, da ist noch mehr."
Sie schaut mich lange an. Ihr Blick wirkt so – warm? Man könnte fast meinen, dass sie mich irgendwie mag. Ich schaue rasch wieder auf meine Hände. Ihre Finger berühren immer noch meine. Es fühlt sich komisch an... so… vertraut? Ich fühle... Ich packe es, pack es und sperre es in einen Käfig, leicht panisch. Mach keinen Scheiß, Lucy. Aber ich mag meine Hand nicht wegziehen.
"Nun, Lucy Nirgendwo, darf ich fragen, wie es weitergeht? Was ist dein Plan für heute?"
Ein Plan. Große Worte. Ich sinke in meinem Stuhl zurück und schaue an mir herab. Ich bin abgebrannt. Außer der Kleidung, die ich am Leib trage, enthält mein Rucksack alles, was ich besitze. Ein bisschen Unterwäsche, ein bisschen Frauenkram. Mein kleines Geheimnis. Aber nichts, was ich zu Geld machen kann, nicht mal ein Telefon. Und überhaupt, wo sollte ich auch schon hin? Ich zucke mit den Schultern.
"Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, wo ich noch hinsoll."
Ich fühle mich müde und leer. Amy wirkt wieder irritiert, sieht mich nachdenklich an.
"Du wirst natürlich bei uns wohnen. Wir haben ein Zimmer für Gäste wie dich, weißt du."
Ich schaue sie überrascht an.
"Was? Warum?"
Sie lächelt mich verwirrt an. "Was meinst du mit 'warum'. Darum bist du doch hier, oder nicht?"
"Ich weiß nicht, was du meinst. Echt nicht."
"Aber du bist doch Lucinda!?" fragt sie verwirrt.
"Ja", antworte ich genauso verwirrt. Was ist hier los?
"Komisch. Das ist echt komisch."
Ich schnaube. "Klar bin ich das."
"Oh, äh, so meine das nicht, also… magst du es dir wenigstens anschauen?"
Sie lächelt ironisch und zieht bedeutungsvoll die Augenbrauen hoch.
"Du könntest sogar duschen."
Ich erröte. Oh ja, da war noch etwas, um das ich mich dringend kümmern müsste.
"Vertraust du wirklich darauf, dass ich dir nicht eins überziehe und dich beklaue?"
"Vertraust du wirklich darauf, dass ich nicht dir den Schädel einschlage und dich meiner Großmutter zum Fraß vorwerfe?", sagt sie mit ausdrucksloser Miene.
Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen, dann werde ich wieder ernst.
"Ach, vergiss es. Ich hab keine Ahnung was hier los ist, und ich habe echt keine Lust als ‚Tote Landstreicherin im Straßengraben gefunden‘ zu enden."
"Du bist echt schräg," lacht sie. "Keine Sorge. Nur ich und Lizzy wohnen im Haus."
"Wer ist Lizzy?"
"Meine Großmutter. Aber so will sie nicht genannt werde. Also nenn sie einfach Lizzy - falls du sie kennenlernst, heißt das."
Ich lächele unwillkürlich, sie lächelt zurück, scheint sich über etwas zu freuen. Ich mag ihr lächeln, stelle ich fest, und das helle, warme Braun Ihrer Augen, wie dieses Zeug, das sich wie Plastik anfühlt und angeblich altes Harz ist… Blödsinn. Warum denke ich nur sowas?
"Komm schon, schau es Dir wenigsten an." sagt sie nochmals.
Ich seufze, überlege. Bald wird es kalt draußen sein, sehr kalt. Wenn sie doch verrückt ist, könnte ich wenigstens eine Dusche und vielleicht eine Mütze Schlaf abgreifen, bevor ich in die nächste Stadt verschwinde. Ich schaue ihr wieder in die Augen. Ich spüre keine böse Absicht. Und sie hat mich nicht einfach ausgelacht, als ich von meinem komischen Zeug erzählt hab‘.
Ich bin unschlüssig und weiß nicht, wie ich reagieren soll. Ich versuche, auf mein Bauchgefühl zu hören, aber mein Bauch beschäftigt sich lieber mit dem Frühstück. Ian muss irgendwann das Radio eingeschaltet haben. Ich versuche abzulenken, Zeit zu gewinnen.
"Hey, hör mal. Ich liebe den Song."
"Ja?", sagt Amy, schaut auf Ihr Uhr. "Nun, ich muss jetzt los. Triff eine Entscheidung."
Sie steht übergangslos auf.
"Ian, schreibst du’s bitte auf Lizzys Rechnung?", und weg ist sie.
Ich sitze eine Sekunde lang überrascht da. Na dann, denke ich. Im Notfall hab‘ ich immer noch meine kleine Überraschung.
Ich hole meinen Rucksack unter dem Tisch hervor, springe auf, winke Ian kurz mit einer Hand zu und renne ihr hinterher. Ian verzieht nachdenklich den Mund, als er uns hinterherschaut.
Auf der Straße bleibt Amy kurz stehen und schaut über die Schulter, wirkt erleichtert, fast froh und lächelt mich an. Sie biegt links ab und geht weiter. Ich folge ihr verwirrt. Was jetzt? Komische Frau. Ich schließe mit einem kleinen Spurt zu ihr auf.
"Im Ernst, warum tust du das?"
"Du würdest mir sowieso nicht glauben."
"Nachdem ich dir erzählt habe, was ich sehen kann?"
Sie schaut kurz zu mir herüber.
"Wir haben eigentlich immer wieder mal Gäste. Interessante Leute, immer so um die 20 Jahre alt. Artisten, Zauberkünstler, so was. Die bleiben ein paar Tage und ziehen dann weiter. Lizzy lädt sie wohl ein, organisiert irgendwas für die. Aber es war bisher niemand dabei wie du."
"Wie ich? Wie meinst du das?"
"Naja…," sie schaut mich von oben bis unten an.
"Die anderen schienen wenigstens zu wissen, dass sie herkommen würden. Aber du…" Sie wird wieder ernst. "Naja, um ehrlich zu sein, hat Lizzy mich im Morgengrauen aus dem Bett geworfen und mir gesagt, ich solle meinen verdammten Arsch zum Park bei der Kirche bewegen, ich müsse jemanden Wichtiges abholen. Jemand der Lucinda heißt. Mit genau diesen Worten."
Ich halte inne, noch verwirrter. Das ist völlig schräg.
"Lucinda? Wichtig?", frage ich.
Sie seufzt. "Es war niemand anderes da außer dir, oder?"
Was? WAS?? Ich schüttle den Kopf.
"Das kann nicht stimmen. Niemand wusste, dass ich hier landen würde. Ich wusste es selbst nicht einmal."
"Schau, ich wollte es dir nicht erzählen. Ich sagte, dass du mir nicht glauben würdest."
"Nun, was jetzt? Ich meine, du entführst mich doch nicht, oder?"
Sie schüttelt belustigt den Kopf.
"Also echt jetzt. Schau Dir das Haus doch einfach an. Mal sehen, was du davon hältst. Und wenn du wirklich nicht bleiben willst, dann kannst du immer noch abhauen."
"Na gut", sage ich misstrauisch, "ich schau es mir an. Aber verarsch mich nicht. Ich merke gleich, wenn was faul ist."
Sie schnaubt belustigt.
"Gott, du hast echt einen Knall."
Sie dreht sich um und geht weiter. Ich folge ihr schweigend.
"Entschuldige", sagt sie ein paar Schritte später.
"Also, Lucy. Wie kannst du nicht wissen, dass du herkommen würdest?"
"Ich… hatte keinen Plan, nur schnell weg aus Birmingham, so weit weg wie möglich."
"Wegen dem, was du gesehen hast?"
Ich nicke nur einmal. Sie schweigt kurz.
"Wie bist du überhaupt auf der Straße gelandet? Stress mit den Eltern?"
Ich schüttle den Kopf.