Darker - Fifty Shades of Grey. Gefährliche Liebe von Christian selbst erzählt - E L James - E-Book
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Darker - Fifty Shades of Grey. Gefährliche Liebe von Christian selbst erzählt E-Book

E L James

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Beschreibung

E L James kehrt in die Welt von »Fifty Shades« zurück – mit einer intensiveren und dunkleren Version der Liebesgeschichte, die Millionen von Menschen auf der ganzen Welt in ihren Bann gezogen hat.

Ihre leidenschaftliche, sinnliche Affäre endete in Schuldzuweisungen und gebrochenen Herzen, aber Christian Grey kann Anastasia Steele nicht vergessen. Fest entschlossen sie zurückzugewinnen, versucht er, seine dunkelsten Begierden und sein Bedürfnis nach absoluter Kontrolle zu unterdrücken und Ana die Liebe zu geben, nach der sie sich sehnt. Aber die Schrecken seiner Kindheit verfolgen ihn noch immer, und Anas intriganter Boss, Jack Hyde, will sie ganz für sich. Kann Christians Vertrauter und Therapeut Dr. Flynn ihm helfen, sich seinen inneren Dämonen zu stellen? Oder wird die krankhafte Obsession seiner beiden ehemaligen Geliebten, Elena und Leila, Christian zum Verhängnis? Und wenn Christian es wirklich schaffen sollte, Ana zurückzuerobern, hätte ihre Liebe angesichts seiner dunklen Vergangenheit überhaupt eine Chance?

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EL James

––––––––––––––––––––––––––

DARKER

Fifty Shades of Grey Gefährliche Liebevon Christian selbst erzählt

Roman

Deutsch von Andrea Brandl, Karin Dufner, Sonja Hauser, Christine Heinzius und Ulrike Laszlo

Buch

Ihre leidenschaftliche, sinnliche Affäre endete in Schuldzuweisungen und gebrochenen Herzen, aber Christian Grey kann Anastasia Steele nicht vergessen. Fest entschlossen, sie zurückzugewinnen, versucht er, seine dunkelsten Begierden und sein Bedürfnis nach absoluter Kontrolle zu unterdrücken und Ana die Liebe zu geben, nach der sie sich sehnt. Aber die Schrecken seiner Kindheit verfolgen ihn noch immer, und Anas intriganter Boss, Jack Hyde, will sie ganz für sich. Kann Christians Vertrauter und Therapeut Dr. Flynn ihm helfen, sich seinen inneren Dämonen zu stellen? Oder wird die krankhafte Obsession seiner beiden ehemaligen Geliebten, Elena und Leila, Christian zum Verhängnis? Und wenn Christian es wirklich schaffen sollte, Ana zurückzuerobern, hätte ihre Liebe angesichts seiner dunklen Vergangenheit überhaupt eine Chance?

Autorin

Nachdem sie 25 Jahre für das Fernsehen gearbeitet hatte, beschloss E L James, Geschichten zu schreiben, in die sich die Leser verlieben sollten. Das Ergebnis war die mittlerweile weltberühmte »Fifty Shades of Grey«-Trilogie, die sich global mehr als 150 Millionen Mal verkaufte und in 52 Sprachen übersetzt wurde. Die Verfilmungen sowohl von Band eins als auch von Band zwei, an denen die Autorin als Produzentin mitgewirkt hat, haben alle Rekorde gebrochen. 2015 erschien der Bestseller »GREY – Fifty Shades of Grey von Christian selbst erzählt«. E L James lebt in Westlondon mit ihrem Ehemann, dem Schriftsteller und Drehbuchautor Niall Leonard, und ihren beiden Söhnen.

Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel

»Darker: Fifty Shades Darker as Told by Christian« bei Arrow Books, The Random House Group Limited, London, und Vintage Books, a division of Penguin Random House LLC, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © der Originalausgabe 2011, 2017 by Fifty Shades Ltd.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Gestaltung des Umschlags und der Umschlaginnenseiten: UNO Werbeagentur, ­München, unter Verwendung eines Designs von Sqicedragon und Megan Wilson

Umschlagfoto: U1 © Peter Djordjevic/Penguin Random House, U4 © Shutterstock

Redaktion: Regina Carstensen

BH · Herstellung: kw

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-22977-1V008

www.goldmann-verlag.de

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Für meine Leserinnen und Leser.Danke für eure Unterstützung.Dieses Buch ist für euch.

DONNERSTAG, 9. JUNI 2011

Ich sitze und warte. Das Herz klopft mir bis zum Hals. Es ist 17:36 Uhr, und ich schaue in der Zurückgezogenheit meines Audi auf die Tür des Gebäudes, in dem sie arbeitet. Ich weiß, ich bin zu früh dran, aber auf diesen Augenblick habe ich mich schon den ganzen Tag gefreut.

Gleich sehe ich sie.

Unruhig rutsche ich auf dem Rücksitz meines Wagens herum, Vorfreude und Angst schnüren mir den Magen zu und liegen schwer auf meiner Brust. Taylor blickt, gelassen wie immer, vom Fahrersitz aus schweigend geradeaus, während ich kaum Luft bekomme. Das ärgert mich.

Verdammt. Wo steckt sie?

Sie ist drinnen – in dem heruntergekommenen Verlagsgebäude von Seattle Independent Publishing, das etwas zurückgesetzt an einem breiten, offenen Gehsteig steht. Der Firmenname ist lieblos ins Glas geätzt und die Milchglasfolie auf dem Fenster löst sich an manchen Stellen ab. Hinter diesen verschlossenen Türen könnte sich gut und gern eine Versicherung oder Steuerkanzlei befinden; sie präsentieren ihre Waren nicht im Schaufenster. Das werde ich ändern, sobald ich hier das Sagen habe. SIP gehört mir. Fast. Den Vorvertrag habe ich bereits unterzeichnet.

Taylor räuspert sich und sieht mich im Rückspiegel an. »Ich warte draußen, Sir«, sagt er zu meiner Überraschung und steigt aus, bevor ich ihn daran hindern kann.

Möglicherweise spürt er meine Anspannung stärker, als ich dachte. Ist sie mir so deutlich anzusehen? Vielleicht ist er ja unruhig. Aber warum? Immerhin musste er in der vergangenen Woche meine ständig wechselnden Launen ertragen, und ich weiß, dass es mit mir nicht leicht war.

Doch heute war alles anders. So voller Hoffnung. Es ist mein erster produktiver Tag, seit sie mich verlassen hat. So fühlt es sich zumindest an. Mein Optimismus hat mich meine Termine mit Schwung absolvieren lassen. Noch zehn Stunden. Neun. Acht. Sieben … Meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, während die Sekunden bis zu meiner Wiedervereinigung mit Miss Anastasia Steele heruntertickten.

Aber jetzt, da ich allein hier sitze und warte, verflüchtigen sich Entschlossenheit und Zuversicht, die mich tagsüber begleitet ­haben.

Vielleicht hat sie es sich anders überlegt.

Wird es überhaupt eine Wiedervereinigung? Oder bin ich nur das Taxi nach Portland?

Wieder schaue ich auf die Uhr.

17:38.

Scheiße. Warum vergeht die Zeit so langsam?

Ich spiele mit dem Gedanken, ihr eine E-Mail zu schicken, ihr mitzuteilen, dass ich draußen warte, aber als ich nach meinem Handy greife, merke ich, dass ich den Blick nicht von der Tür wenden kann. Also lehne ich mich zurück und rufe mir ihre letzten Mails in Erinnerung. Ich kenne sie auswendig; sie sind alle freundlich und sachlich, ohne jeden Hinweis darauf, dass ich ihr fehle.

Möglicherweise bin ich tatsächlich nur das Taxi.

Ich schiebe den Gedanken beiseite, starre weiter die Tür an und versuche, Ana mit Willenskraft dazu zu bringen, dass sie auftaucht.

Anastasia Steele, ich warte.

Da geht die Tür auf, und mein Herz hebt sich in schwindelerregende Höhen, stürzt aber gleich wieder ab. Was für eine Enttäuschung! Es ist nicht sie.

Verdammt.

Sie hat mich immer warten lassen. Jedes Mal eine freudlose Angelegenheit: bei Clayton’s, nach dem Fotoshooting im Heathman und sogar, als ich ihr Erstausgaben von Thomas Hardy geschickt habe.

Tess …

Ob sie sie noch hat? Sie wollte sie mir zurückgeben; sie wollte sie einer wohltätigen Organisation überlassen.

Ich will nichts, das mich an dich erinnert.

Anas Bild hat sich in mein Hirn eingebrannt: ihr trauriges, aschfahles Gesicht, verletzt und verwirrt. Die Erinnerung ist mir nicht willkommen. Sie schmerzt.

Ich bin schuld, dass es ihr so schlecht geht. Ich bin zu weit gegangen, zu schnell. Und das bedauere ich. Seit sie mich verlassen hat, ist die Verzweiflung mein ständiger Begleiter. Ich schließe die Augen, versuche, meine Mitte zu finden, werde aber nur mit meiner tiefsten, dunkelsten Angst konfrontiert: Sie hat einen anderen kennengelernt. Sie teilt ihr kleines weißes Bett und ihren wunderbaren Körper mit einem beschissenen Fremden.

Verdammt. Grey. Bleib positiv.

Vergiss es. Noch ist nicht alles verloren. Du wirst sie bald sehen. Du bist vorbereitet. Du wirst sie zurückgewinnen. Während ich die Augen aufmache, starre ich die Tür durch die dunkel getönten Scheiben meines Audi an. Die Fenster spiegeln meine Stimmung wider. Weitere Leute verlassen das Gebäude, Ana ist nicht dabei.

Wo steckt sie?

Taylor geht draußen auf und ab und schaut zur Tür hinüber. Er wirkt genauso nervös, wie ich mich fühle. Was zum Teufel ist los mit ihm?

17:43. Sie muss jeden Moment herauskommen. Ich hole tief Luft, zupfe an meinen Manschetten. Als ich meine Krawatte kontrollieren will, stelle ich fest, dass ich keine trage. O Mann. Während ich mir mit der Hand durch die Haare fahre, bemühe ich mich, meine Zweifel beiseitezuschieben, aber sie lassen mir keine Ruhe. Bin ich nur ihr Taxi? Habe ich ihr gefehlt? Will sie mich überhaupt zurückhaben? Ist da ein anderer? Ich habe keine Ahnung. Das ist schlimmer als das Warten damals in der Marble Bar vom ­Heathman. Die Situation ist nicht ohne Ironie. Ich hatte gedacht, das sei der wichtigste Deal, den ich je mit ihr aushandeln würde. Doch es hatte sich nicht wie erwartet entwickelt. Mit Miss ­Anastasia Steele entwickelt sich nie etwas so, wie ich es erwarte. Ich spüre nun, wie blanke Panik aufkommt. Heute werde ich einen noch viel wichtigeren Deal aushandeln müssen.

Ich will sie zurück.

Sie hat gesagt, sie liebt mich …

Mein Puls beschleunigt sich, Adrenalin durchströmt meinen Körper.

Nein. Nein. Denk nicht daran. Sie kann mir keine solchen Gefühle entgegenbringen.

Beruhige dich, Grey. Konzentrier dich.

Ich sehe noch einmal zum Eingang von Seattle Independent Publishing hinüber, und da ist sie. Sie kommt auf mich zu.

Fuck.

Ana.

Bei ihrem Anblick schnappe ich nach Luft, als hätte mir ­jemand einen Tritt in den Solarplexus verpasst. Unter einem schwarzen Blazer trägt sie eines meiner Lieblingskleider, das lilafarbene, dazu schwarze hochhackige Schuhe. Ihr Haar, das die frühabend­liche Sonne erglänzen lässt, schwingt beim Gehen. Doch nicht ihr ­Outfit oder ihre Frisur ziehen meine Aufmerksamkeit auf sich. Ihr Gesicht ist blass, fast durchsichtig. Unter ihren Augen sind dunkle Ringe, und sie ist schmaler geworden.

Schmaler.

Ich werde von Schmerz und Schuldgefühlen gepackt.

O Mann.

Auch sie hat gelitten.

Meine Sorge schlägt in Verärgerung um.

Nein. In Zorn.

Sie hat nichts gegessen. In den vergangenen Tagen hat sie fünf, möglicherweise sogar sechs Pfund verloren. Sie wendet sich irgend­einem Typen zu, der sich mit einem breiten Lächeln bedankt. Gut aussehender Kerl, ziemlich eingebildet. Arschloch. Ihre freundlichen Blicke machen mich noch wütender. Er sieht ihr mit unverhohlener Bewunderung nach, als sie zu meinem Wagen geht. Mit jedem ihrer Schritte spüre ich, wie Rachegelüste in mir aufsteigen.

Taylor öffnet ihr die Tür und hält ihr die Hand hin, um ihr beim Einsteigen zu helfen. Endlich sitzt sie neben mir.

»Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?« Ich bin kaum in der Lage, mich zu beherrschen. Ihre blauen Augen schauen mich an, ziehen mich nackt aus. Ich bin wieder so hilflos wie bei unserer ersten Begegnung.

»Hallo, Christian. Mich freut’s auch, dich wiederzusehen«, sagt sie.

Wie bitte?

»Ich habe jetzt keine Lust auf deine spitze Zunge. Antworte mir.«

Sie blickt auf ihre Hände in ihrem Schoß und liefert mir dann eine fadenscheinige Ausrede. Von wegen, sie habe eben einen Joghurt und eine Banane gegessen.

Das ist doch kein richtiges Essen!

Ich bemühe mich nach Kräften, meine Wut zu zügeln.

»Und die letzte richtige Mahlzeit?«, hake ich nach. Doch sie ignoriert meine Frage und schaut wortlos aus dem Fenster. Als ­Taylor losfährt, winkt Ana dem Arschloch zu, das ihr aus dem ­Gebäude gefolgt ist.

»Wer ist das?«

»Mein Chef.«

Das also ist Jack Hyde. Ich erinnere mich an die Personalakte, die ich heute Morgen durchgegangen bin: stammt aus ­Detroit, Princeton-Stipendium, hat sich in einem New Yorker Verlag hochgearbeitet, ist alle paar Jahre weitergezogen, durchs ganze Land. Seine Assistentinnen behält er nie länger als drei Monate. Ich habe ein Auge auf ihn. Welch wird mehr über ihn herausfinden.

Konzentrier dich auf das, was jetzt ansteht, Grey.

»Und? Deine letzte Mahlzeit?«

»Christian, das geht dich wirklich nichts an«, flüstert sie.

»Alles, was mit dir zu tun hat, geht mich etwas an. Antworte mir.« Schreib mich nicht ab, Anastasia. Bitte.

Ich bin also tatsächlich nur das Taxi.

Sie stöhnt frustriert auf und verdreht die Augen, nur um mich zu ärgern. Da sehe ich es – das kleine Lächeln, das ihre Mundwinkel umspielt. Sie strengt sich an, nicht zu lachen. Nicht über mich zu lachen. Nach all meinem Kummer ist das so erfrischend, dass mein Zorn nachlässt. Typisch Ana. Ich ertappe mich dabei, wie ich sie nachmache, wie ich versuche, mein Lächeln zu kaschieren.

»Und?«, frage ich in sanfterem Tonfall.

»Pasta alle vongole, vergangenen Freitag«, antwortet sie mit ­gedämpfter Stimme.

Herrgott, sie hat seit unserer letzten gemeinsamen Mahlzeit nichts mehr gegessen! Am liebsten würde ich sie hier und jetzt übers Knie legen, auf dem Rücksitz des SUV – aber ich weiß, dass ich sie nie wieder so anfassen darf.

Was soll ich bloß mit ihr machen?

Sie mustert ihre Hände. Ihr Gesicht wirkt noch blasser und trauriger als zuvor. Ich kann den Blick nicht von ihr wenden, ertrinke in ihr. Dabei möchte ich mir darüber klar werden, was ich tun soll. Ein Gefühl steigt in mir hoch, eins, das ich nicht will, denn es droht, mich zu überwältigen. Ich verdränge es, schenke ihm keine Beachtung, stattdessen schaue ich sie weiter an. Da wird mir bewusst, dass meine Angst unbegründet ist. Sie hat sich nicht betrunken und dann jemand anderen kennengelernt. So wie sie aussieht, hat sie allein in ihrem Bett gelegen und sich die Seele aus dem Leib geheult. Der Gedanke ist tröstlich und betrüblich zugleich. Ich bin schuld an ihrem Leid.

Ich.

Ich bin das Monster, das ihr das angetan hat. Wie soll ich sie je zurückgewinnen?

»Aha«, murmle ich und bemühe mich weiter, meine Gefühle in den Griff zu bekommen. »Du siehst aus, als hättest du mindestens fünf Pfund abgenommen. Du musst etwas essen, Anastasia.« Ich bin hilflos. Was soll ich dieser wunderbaren jungen Frau noch ­sagen, damit sie etwas isst?

Sie blickt mich nicht an. Das gibt mir Zeit, ihr Profil zu betrachten. Sie ist genauso elfenhaft hübsch, wie ich sie in Erinnerung hatte. Ich würde so gern die Hand ausstrecken und ihre Wange streicheln. Ihre weiche Haut spüren … mich vergewissern, dass sie real ist. Ich wende mich ihr zu. Mich juckt es in den Fingern, sie zu berühren.

»Wie geht es dir?«, frage ich, weil ich ihre Stimme hören möchte.

»Gut wäre gelogen.«

Verdammt. Ich habe mich nicht getäuscht. Sie hat gelitten – und ich bin schuld daran. Doch ihre Worte geben mir ein wenig Hoffnung. Vielleicht habe ich ihr gefehlt. Vielleicht? Ich klammere mich verzweifelt an diesen Gedanken.

»Ja, geht mir auch so«, gestehe ich und greife nach ihrer Hand, weil ich es nicht mehr aushalte, sie nicht zu berühren. Ihre Finger fühlen sich klein und eiskalt an.

»Christian, ich …« Sie verstummt, doch sie entzieht mir ihre Hand nicht.

»Ana, bitte. Wir müssen reden.«

»Christian, ich … bitte … ich habe viel geweint«, flüstert sie. Ihre Worte und wie sie gegen ihre Tränen ankämpft, versetzen mir einen Stich ins Herz, von dem nicht mehr viel übrig ist.

»O Baby, das sollst du nicht.« Ich ziehe sie zu mir heran, und bevor sie protestieren kann, hebe ich sie auf meinen Schoß und schlinge die Arme um sie.

Gott, wie gut sich das anfühlt!

»Du hast mir so gefehlt, Anastasia.« Sie ist zu leicht, zu zerbrechlich. Am liebsten würde ich laut aufschreien, aber stattdessen vergrabe ich die Nase in ihren Haaren, überwältigt von ihrem berauschenden Ana-Duft. Er erinnert mich an glücklichere Zeiten: an einen Obstgarten im Herbst. An Lachen zu Hause. An leuch­tende Augen, in denen der Schalk sitzt … und an Begehren. Meine süße, süße Ana.

Sie gehört mir.

Anfangs ist sie starr und abweisend, doch schon bald entspannt sie sich und legt den Kopf an meine Schulter. Mit geschlossenen Augen küsse ich ihre Haare. Und bin erleichtert, denn noch immer hat sie sich nicht meiner Umarmung entzogen. Wie ich mich nach dieser Frau gesehnt habe! Aber ich muss behutsam sein. Ich genieße es, sie in meinen Armen zu halten, diesen einfachen ­Moment der Ruhe.

Doch das Glück ist nicht von Dauer – Taylor erreicht den Hubschrauberlandeplatz in der Stadtmitte von Seattle in Rekordzeit.

»Komm.« Widerwillig hebe ich sie von meinem Schoß. »Wir sind da.«

Sie sieht mich erstaunt an.

»Der Hubschrauberlandeplatz – oben auf dem Dach«, erkläre ich. Wie hatte sie sich denn vorgestellt, nach Portland zu kommen? Mit dem Auto würde die Fahrt mindestens drei Stunden dauern. Taylor öffnet ihr die Tür, und ich steige auf meiner Seite aus.

»Ich sollte Ihnen Ihr Taschentuch zurückgeben«, sagt sie mit ­einem schüchternen Lächeln zu Taylor.

»Behalten Sie’s, Miss Steele. Mit meinen besten Wünschen.«

Was zum Teufel läuft da zwischen den beiden?

»Um neun?«, mische ich mich ein, nicht nur, um ihn daran zu erinnern, wann er uns in Portland abholen soll, sondern auch, um ihn daran zu hindern, dass er weiter mit Ana redet.

»Ja, Sir«, antwortet er mit ruhiger Stimme.

Genau. Das Mädchen gehört mir. Taschentücher sind meine Sache. Nicht seine.

Bilder, wie sie sich übergab, wie ich ihr die Haare aus dem Gesicht hielt, gehen mir durch den Kopf. Damals habe ich ihr mein Taschentuch gegeben. Und später in jener Nacht habe ich sie ­neben mir im Schlaf beobachtet.

Hör auf damit. Sofort. Grey.

Ich nehme ihre Hand – sie fühlt sich nach wie vor kühl an – und führe sie in das Gebäude. Als wir den Aufzug erreichen, muss ich an unsere Begegnung im Heathman denken. An den ersten Kuss.

Ja. Der erste Kuss.

Bei dem Gedanken regt sich etwas.

Die Türen öffnen sich, lenken mich ab. Ich lasse Ana widerstrebend los, um sie in den Lift zu schieben.

Der Aufzug ist klein, wir berühren uns nicht mehr. Trotzdem spüre ich sie.

Alles an ihr.

Ganz. Hier.

Jetzt.

Scheiße. Ich schlucke.

Liegt es daran, dass sie so nahe ist? Ihre dunkler werdenden ­Augen sehen mich an.

O Ana.

Ihre Nähe ist erregend. Sie saugt scharf den Atem ein, senkt den Blick.

»Ich spüre es auch«, flüstere ich, greife wieder nach ihrer Hand und streichle ihre Fingerknöchel mit meinem Daumen. Sie hebt den Blick. In ihren tiefblauen Augen erkenne ich Begierde.

Fuck. Ich will sie.

Sie kaut an ihrer Lippe.

»Bitte kau nicht auf deiner Lippe, Anastasia.« Meine Stimme ist leise, voller Sehnsucht. Wird es mit ihr immer so sein? Ich möchte sie küssen, sie gegen die Wand des Aufzugs drücken wie bei unserem ersten Kuss. Ich will sie ficken, hier, und sie wieder zu der meinen machen. Sie blinzelt. Ihr Mund ist leicht geöffnet. Ich unterdrücke ein Stöhnen. Wie macht sie das? Wie bringt sie mich mit einem einzigen Blick aus der Fassung? Ich muss immer alles unter Kontrolle haben – und nun fange ich fast zu geifern an, bloß weil sie an ihrer Lippe nagt.

»Du weißt, was dann passiert.« Ich würde dich gern in diesem Lift nehmen, Baby, aber ich glaube nicht, dass du das zulässt.

Als die Türen sich öffnen und kalte Luft hereinströmt, kehre ich in die Realität zurück. Wir sind auf dem Dach, und obwohl der Tag warm war, weht nun ein frischer Wind. Anastasia zittert. Ich lege den Arm um sie, und sie schmiegt sich an mich. Sie fühlt sich schmal an, zu schmal, doch ihre zierliche Figur passt genau in meinen Arm.

Wir passen so gut zusammen, Ana.

Wir bewegen uns in Richtung Hubschrauberlandeplatz, zu Charlie Tango. Die Rotorblätter drehen sich langsam, der Helikop­ter ist bereit zum Start. Stephan, mein Pilot, eilt geduckt zu uns. Wir geben uns die Hand, dabei lasse ich Anastasia nicht los.

»Startklar, Sir!«, brüllt er mir zu, um das Hubschraubergeräusch zu übertönen.

»Alle Checks erledigt?«

»Ja, Sir.«

»Sie holen ihn gegen halb neun ab?«

»Ja, Sir.«

»Taylor wartet unten auf Sie.«

»Danke, Mr. Grey. Ich wünsche einen sicheren Flug nach Portland. Ma’am.« Er salutiert und nickt Anastasia zu und macht sich auf den Weg zum Aufzug. Wir laufen jetzt selbst geduckt unter den Rotorblättern hindurch, dann öffne ich die Tür und helfe ihr an Bord.

Als ich ihren Sicherheitsgurt festzurre, schnappt sie nach Luft. Das Geräusch fährt mir geradewegs in meine Leisten.

Ich ziehe den Gurt an und versuche, die Reaktion meines Körpers auf sie auszublenden.

»Das sollte genügen, um dich an den Sitz zu fesseln.« Der Gedanke geht mir durch den Kopf, wobei ich schließlich realisiere, dass ich ihn auch laut geäußert habe. »Das Geschirr gefällt mir wirklich sehr gut an dir. Lass die Finger von den Instrumenten.«

Ein tiefes Rot überzieht ihr Gesicht. Endlich bekommt sie Farbe – und ich kann nicht widerstehen. Mein Zeigefinger gleitet ihre Wange entlang, zeichnet die Röte nach.

Gott, wie ich diese Frau begehre!

Ihre Miene ist mürrisch. Ich weiß, das liegt daran, dass sie sich nicht bewegen kann. Ich reiche ihr den Kopfhörer, nehme meinen Platz ein und lege den Sicherheitsgurt an.

Anschließend führe ich die Vorflugkontrollen durch. Alles in Ordnung. Ich setze den Kopfhörer auf, schalte die Funkgeräte ein, überprüfe die Rotorgeschwindigkeit.

Als ich mich Ana zuwende, mustert sie mich eingehend. »Bereit, Baby?«

»Ja.«

Vor Aufregung macht sie große Augen. Als ich die Luftverkehrskontrolle anfunke, kann ich mir ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen.

Sobald ich die Starterlaubnis habe, führe ich die letzten Checks durch. Wieder alles in Ordnung. Charlie Tango erhebt sich elegant in die Lüfte.

Wie ich das liebe!

Je höher wir hinaufsteigen, desto sicherer fühle ich mich. Ich sehe Miss Steele neben mir an.

Zeit, sie zu beeindrucken.

Showtime, Grey.

»Letztes Mal sind wir in die Morgendämmerung geflogen, Anastasia, jetzt fliegen wir in die Abenddämmerung.« Mein Grinsen wird mit einem scheuen Lächeln belohnt, das ihr Gesicht erstrahlen lässt. Bei ihrem Anblick keimt Hoffnung in mir auf. Ich habe sie hier, bei mir, obwohl ich schon alles verloren glaubte. Ihr scheint es zu gefallen, und sie wirkt glücklicher als vorhin, als sie aus dem Gebäude von SIP trat. Vielleicht bin ich nur das Taxi, aber ich werde mich bemühen, jede Minute dieses Flugs mit ihr zu genießen.

Dr. Flynn wäre stolz auf mich.

Ich lebe ganz im Moment. Und ich bin optimistisch.

Ich schaffe das. Ich kann sie zurückgewinnen.

Erste zaghafte Schritte, Grey. Nichts übereilen.

»Und die Abendsonne. Diesmal gibt’s mehr zu sehen«, sage ich, um die Stille zu unterbrechen. »Das Escala ist dort. Da drüben siehst du Boeing und da hinten die Space Needle.«

Sie reckt den schlanken Hals. »Da war ich noch nie.«

»Wir gehen mal zum Essen hin.«

»Christian, wir haben uns getrennt«, protestiert sie.

Das will ich natürlich nicht hören. Ich bemühe mich, ruhig zu bleiben. »Ich weiß. Trotzdem kann ich dich zum Essen einladen.« Ich schaue sie vielsagend an, und sie errötet auf höchst attraktive Weise.

»Es ist sehr, sehr schön hier oben, danke.« Sie wechselt das Thema.

»Beeindruckend, nicht?« Ich kann mich nicht sattsehen an ­diesem Ausblick.

»Ich finde dich beeindruckend.« Ihr Kompliment überrascht mich.

»Schmeicheleien von Ihnen, Miss Steele? Ich bin ein Mann mit vielen Fähigkeiten.«

»Das weiß ich, Mr. Grey«, erwidert sie schroff, und mir ist klar, worauf sie anspielt. Ich verkneife mir eine spöttische Bemerkung. Genau das hat mir gefehlt: ihre Impertinenz, die mich immer ­wieder entwaffnet.

Sorg dafür, dass sie weiterredet, Grey.

»Wie läuft’s im neuen Job?«

»Gut, danke.«

»Und dein Chef?«

»Ach, der ist ganz okay.« Enthusiastisch klingt das nicht gerade. Ein Anflug von Besorgnis kommt in mir auf. Hat Jack Hyde versucht, sich an sie heranzumachen?

»Was ist los?« Ich will es wissen – hat das Arschloch sie angemacht? Falls ja, feuere ich ihn auf der Stelle.

»Abgesehen von den bekannten Problemen? Nichts.«

»Die bekannten Probleme?«

»Christian, manchmal bist du wirklich verdammt schwer von Begriff.« Sie sieht mich mit einer Mischung aus Belustigung und Verachtung an.

»Schwer von Begriff? Ich? Vergreifen Sie sich da nicht ein ­wenig im Ton, Miss Steele?«

»Meinen Sie?«, entgegnet sie, sichtlich zufrieden mit sich. Ich muss grinsen. Mir gefällt es, dass sie sich über mich lustig macht. Mit einem einzigen Blick oder Lächeln kann sie mir das Gefühl geben, sechzig Zentimeter oder auch drei Meter groß zu sein – das ist erfrischend und ganz anders als alles, was ich kenne.

»Deine spitze Zunge hat mir gefehlt, Anastasia.« Ein Bild von ihr, sie auf den Knien vor mir, kommt mir in den Sinn. Ich werde unruhig auf meinem Sitz.

Scheiße. Herrgott, konzentrier dich, Grey.

Sie wendet den Kopf ab, um ihr Lächeln zu verbergen, und sieht hinunter auf die Vororte, während ich den Kurs überprüfe – alles gut. Wir sind weiter unterwegs nach Portland.

Sie schweigt. Hin und wieder schaue ich zu ihr hinüber. Sie wirkt neugierig und erstaunt, als sie die Landschaft unter uns und den opalfarbenen Himmel betrachtet. Ihre weichen Wangen schimmern im Abendlicht. Ihrer Blässe und den dunklen Ringen unter ihren Augen zum Trotz – Beweise für das Leid, das ich ihr zugefügt habe – sieht sie atemberaubend aus. Wie habe ich es nur zulassen können, dass sie aus meinem Leben verschwindet? Was habe ich mir dabei gedacht?

Während wir hoch über den Wolken dahinschweben, wächst mein Optimismus und das Chaos der vergangenen Wochen tritt in den Hintergrund. Allmählich fange ich an, mich zu entspannen und verspüre eine Gelassenheit, die ich seit der Trennung von ihr nicht mehr gekannt habe.

Doch als wir uns unserem Ziel nähern, beginnt meine Zuversicht zu bröckeln. Ich bete zu Gott, dass mein Plan funktioniert. Ich muss sie an einen Ort bringen, an dem wir allein sind. Vielleicht mit ihr essen gehen. Verdammt. Ich hätte irgendwo einen Tisch bestellen sollen.

Sie muss etwas essen. Wenn ich es schaffe, sie zu überreden, mit mir in ein Restaurant zu gehen, muss ich nur noch die richtigen Worte finden. Die letzten Tage haben mir gezeigt, dass ich ­jemanden brauche – ich brauche sie. Ich will sie, aber will sie mich ebenfalls? Kann ich sie davon überzeugen, dass sie mir eine zweite Chance gibt?

Das wird die Zeit zeigen, Grey – immer mit der Ruhe. Vergraul sie nicht wieder.

Fünfzehn Minuten später landen wir auf Portlands einzigem Hubschrauberlandeplatz. Als ich Charlie Tango aufsetze und den ­Motor ausschalte, kehrt die Unsicherheit zurück, die ich wahrnehme, seit ich beschlossen habe, sie zurückzugewinnen. Ich muss ihr sagen, was ich empfinde, und das wird schwierig – weil ich meine Gefühle für sie nicht begreife. Ich weiß, dass sie mir gefehlt hat, dass es mir ohne sie schlecht ging und dass ich bereit bin, eine Beziehung auf ihre Art zu versuchen. Doch wird ihr das genügen? Wird es mir genügen?

Auch das wird die Zeit zeigen, Grey.

Ich öffne meinen Sicherheitsgurt und beuge mich anschließend zu ihr hinüber, um ihren zu lösen. Dabei steigt mir ihr wunderbarer Duft in die Nase. Sie riecht so gut. Immer. Ana sieht mich verstohlen an, als würden ihr unanständige Gedanken durch den Kopf gehen. Wie üblich würde ich gern erfahren, was sie denkt.

»Hatten Sie einen guten Flug, Miss Steele?«, frage ich, ohne ­ihren Blick weiter zu beachten.

»Ja, danke, Mr. Grey.«

»Dann lass uns runtergehen, die Fotos von dem Jungen anschauen.« Ich öffne die Tür und springe hinaus, während Ana ihre Tür aufmacht. Ich halte ihr meine Hand hin.

Joe, der Verwalter des Hubschrauberlandeplatzes, erwartet uns schon. Er ist ein Urgestein: ein Veteran aus dem Koreakrieg, ­jedoch fit wie ein Fünfzigjähriger. Seinen wachen Augen entgeht nichts. Sie leuchten, als er mich mit einem schiefen Grinsen begrüßt.

»Halten Sie den Helikopter für Stephan bereit. Er kommt zwischen acht und neun.«

»Wird gemacht, Mr. Grey. Ma’am. Ihr Wagen wartet unten, Sir. Ach, und der Lift ist kaputt. Sie müssen leider die Treppe nehmen.«

»Danke, Joe.«

Auf dem Weg zur Treppe registriere ich Anastasias hohe Absätze, und mir fällt ihr wenig damenhafter Sturz in meinem Büro ein.

»Zum Glück sind’s nur drei Stockwerke.« Ich verberge mein Lächeln.

»Gefallen dir die Schuhe nicht?«, fragt sie und schaut auf ihre Füße. Mit einem wohligen Schauer stelle ich mir vor, wie sie sie um meinen Nacken schlingt.

»Doch, sogar sehr, Anastasia.« Ich hoffe, dass mein Gesichtsausdruck meine Gedanken nicht verrät. »Komm, aber langsam. Ich möchte nicht riskieren, dass du hinfällst und dir den Hals brichst.«

Ich lege den Arm um ihre Taille, dankbar dafür, dass der Aufzug kaputt ist – das verschafft mir einen Grund, sie zu halten. Ich ziehe sie näher zu mir, und so steigen wir die Treppe hinunter.

Im Wagen, auf dem Weg zur Galerie, verstärkt sich meine Angst. Schließlich wollen wir zur Vernissage ihres sogenannten Freundes. Des Mannes, der das letzte Mal, als ich ihn gesehen habe, versucht hat, ihr die Zunge in den Hals zu schieben. Vielleicht haben sie in den vergangenen Tagen miteinander geredet. Vielleicht ist dies ein Rendezvous, auf das sich die beiden freuen.

Fuck. Das hatte ich nicht bedacht. Ich hoffe, dass es darum nicht geht.

»José ist wirklich nur ein Freund«, erklärt Ana.

Wie bitte? Sie kann meine Gedanken lesen? Ist das so deutlich? Seit wann?

Seit sie mir meine Rüstung geraubt hat. Seit ich gemerkt habe, dass ich sie brauche.

Als sie mich anschaut, flattern Schmetterlinge in meinem Bauch. »Diese wunderschönen Augen wirken viel zu groß in deinem Gesicht, Anastasia. Bitte versprich mir, dass du mehr isst.«

»Ja, Christian, das werde ich«, antwortet sie, ein wenig genervt.

»Es ist mein Ernst.«

»Tatsächlich?« Nun klingt sie sarkastisch, und ich muss mich bremsen.

Fuck.

Es ist Zeit, mich ihr zu offenbaren.

»Ich will mich nicht mit dir streiten, Anastasia. Ich möchte dich zurück, und zwar gesund und munter.« Schockiert blickt sie mich an.

»Aber es ist alles beim Alten.« Sie runzelt die Stirn.

O nein, Ana – in mir hat ein Erdbeben stattgefunden. Wir erreichen die Galerie. Mir bleibt keine Zeit mehr, ihr vor der Ausstellung alles zu erklären.

»Lass uns auf dem Rückweg darüber reden. Wir sind da.«

Bevor sie etwas entgegnen kann, steige ich aus dem Wagen, laufe auf ihre Seite und öffne die Tür. Sie wirkt wütend.

»Warum tust du das?«, herrscht sie mich an.

»Was?« Fuck – was soll das jetzt?

»Warum sagst du so etwas. Und verstummst dann?«

Ist es das – bist du deswegen wütend?

»Anastasia, wir sind da. Wo du hinwolltest. Lass uns hineingehen und hinterher weiterreden. Ich habe keine Lust, das hier auf der Straße zu diskutieren.«

Sie presst ihre Lippen zusammen. »Okay«, sagt sie widerwillig.

Ich nehme ihre Hand, eile in die Galerie, und sie stolpert hinter mir her.

Der Raum in einem dieser umgestalteten Lagerhäuser, die momentan so in sind, wirkt mit seinen Holzfußböden und Ziegelwänden sehr hell und luftig. Portlands Kenner trinken billigen Wein und unterhalten sich mit gedämpfter Stimme, während sie die Exponate bewundern.

Eine junge Frau begrüßt uns. »Herzlich willkommen bei der Vernissage von José Rodriguez.« Sie mustert mich.

Du siehst nur die Oberfläche, Schätzchen. Such dir lieber ­einen anderen.

Sie wirkt nervös, scheint sich aber zu fangen, als ihr Blick auf Anastasia fällt. »Ach, Sie sind das, Ana. Wir sind schon gespannt auf Ihre Meinung.« Sie reicht ihr eine Broschüre und deutet in Richtung der improvisierten Bar. Ana runzelt die Stirn. Über ihrer Nasenwurzel bildet sich das kleine V, das ich so sehr liebe. Gern würde ich es küssen wie früher.

»Kennst du sie?«, frage ich. Sie schüttelt den Kopf, und ihre Stirn legt sich noch stärker in Falten. Ich zucke mit den Achseln. Tja, das ist Portland. »Was möchtest du trinken?«

»Ein Glas Weißwein, bitte.«

Als ich mich der Bar nähere, höre ich jemanden freudig »Ana!« rufen.

Und als ich mich umdrehe, sehe ich, dass dieser Junge die Arme um meine Ana gelegt hat.

Zur Hölle mit ihm.

Ich kann nicht hören, was sie sagen, aber Ana macht die Augen zu, und einen kurzen Moment fürchte ich, sie könnte in Tränen ausbrechen. Doch sie reißt sich zusammen. Er tritt einen Schritt zurück und mustert sie.

Ja, sie hat abgenommen, und ich bin schuld.

Ich kämpfe gegen mein schlechtes Gewissen an, obwohl sie ihn sichtbar beruhigt. Er ist total auf sie fixiert. Viel zu sehr. Wut steigt in mir hoch. Sie behauptet, er sei nur ein Freund, aber er sieht das anders. Er will mehr.

Zieh Leine, Kumpel, sie gehört mir.

»Toll, die Fotos, was?« Ein junger Typ mit Halbglatze und grellem Hemd spricht mich an.

»Ich habe mich noch nicht umgeschaut«, erwidere ich und wende mich dem Mann an der Bar zu. »Ist das alles, was Sie ­haben?«, frage ich und deute auf die Weinflaschen.

»Ja. Rot oder weiß?«, erkundigt er sich ziemlich desinteressiert.

»Zwei Gläser Weißwein«, brumme ich.

»Sie werden beeindruckt sein. Rodriguez ist ein Superfotograf«, meint der nervige Typ mit dem nervigen Hemd. Ich versuche ihn zu ignorieren und beobachte Ana. Sie sieht mich mit großen, leuchtenden Augen an. Mein Puls beschleunigt sich, ich kann den Blick nicht abwenden. Sie ist wunderschön, sticht aus der Menge heraus. Ihre Haare, die ihr bis zur Brust reichen, ihr Gesicht ein Rahmen aus dichten Locken. Ihr Kleid, das lockerer sitzt als bei unserem letzten Treffen, betont nach wie vor ihre Kurven. Trägt sie es absichtlich, weil sie weiß, dass es mein Lieblingsoutfit ist? ­Heißes Kleid, heiße Schuhe …

Fuck, reiß dich am Riemen, Grey.

Rodriguez fragt Ana etwas, weswegen sie den Blickkontakt mit mir unterbrechen muss. Ich spüre, dass sie das nur ungern tut, und das freut mich. Aber der Bursche hat strahlend weiße Zähne, breite Schultern und trägt einen schicken Anzug. Ein richtiges Sahneschnittchen, das muss ich ihm lassen. Sie kommentiert eine Bemerkung von ihm mit einem Nicken und schenkt ihm ein freundliches, gelöstes Lächeln.

Mich soll sie auch so anlächeln! Er küsst sie auf die Wange. Mistkerl.

Ich sehe den Mann an der Bar finster an.

Nun mach schon. Der unfähige Trottel braucht ewig, um den Wein einzuschenken.

Endlich ist er fertig. Ich nehme die Gläser, zeige dem nervigen jungen Typ neben mir, der gerade über einen weiteren Fotografen oder irgendeinen anderen Quatsch schwadroniert, die kalte Schulter und eile zu Ana zurück.

Immerhin hat Rodriguez sich inzwischen vom Acker gemacht. Sie betrachtet gedankenverloren eines seiner Landschaftsfotos von einem See. Es ist gar nicht so schlecht, finde ich. Als ich ihr ein Glas reiche, wendet sie sich mir zögernd zu. Ich nehme einen Schluck Wein. Igitt, was für ein grässliches Gesöff, ein lauwarmer Chardonnay, bei dem man das Eichenfass viel zu stark schmeckt.

»Entspricht er deinen Erwartungen?«, erkundigt sie sich belustigt. Ich habe keine Ahnung, was sie meint – den Raum, den Künstler? »Der Wein«, erklärt sie.

»Nein. Aber das ist bei solchen Anlässen nur selten der Fall.« Ich wechsle das Thema. »Der Junge hat Talent, findest du nicht?«

»Glaubst du, ich hätte ihn sonst gebeten, Porträts von dir zu machen?« Dass sie stolz auf seine Arbeit ist, ärgert mich. Sie bewundert ihn und freut sich über seinen Erfolg, weil sie ihn mag. Zu sehr. Ein hässliches Gefühl steigt in mir hoch. Eifersucht, eine ungewohnte Empfindung, stellt sich bei mir ein – und das gefällt mir nicht.

»Mr. Grey?« Ein Typ, der aussieht wie ein Penner, reißt mich aus meinen düsteren Gedanken, indem er mir eine Kamera vor die Nase hält. »Darf ich Sie ablichten, Sir?«

Scheißpaparazzi. Am liebsten würde ich ihm sagen, dass er sich verpissen soll, aber ich beschließe, höflich zu sein. Ich will ja nicht, dass Sam, mein Faktotum für die Öffentlichkeitsarbeit, sich mit einer Beschwerde der Presse herumschlagen muss.

»Gern.« Ich ziehe Ana näher zu mir heran. Alle sollen wissen, dass sie mir gehört – wenn sie mich will.

Nicht vorgreifen, Grey.

Der Typ macht ein paar Bilder von uns. »Danke, Mr. Grey.« Immer­hin weiß er es zu würdigen, dass ich ihm das Fotografieren erlaubt habe. »Miss …?«, fragt er Ana.

»Steele«, antwortet sie schüchtern.

»Danke, Miss Steele.« Er verschwindet, und Anastasia löst sich aus meiner Umarmung. Ich balle enttäuscht die Fäuste.

Sie sieht mich an. »Ich habe im Internet nach Bildern von dir in Begleitung gesucht und keine gefunden. Deshalb hat Kate wohl gedacht, du wärst schwul.«

»Das erklärt deine dreiste Frage.« Ich muss grinsen, als ich mich an ihre Unbeholfenheit bei unserer ersten Begegnung und an ihre ungeschickten Fragen erinnere. Sind Sie schwul, Mr. Grey? Und an meine Verärgerung.

Wie lange das her ist! Ich schüttle den Kopf. »Nein, ich bin nie in Begleitung, Anastasia, nur mit dir. Aber das weißt du ja.«

Und das wäre ich gern noch viel öfter.

»Dann hast du deine …«, sie senkt die Stimme und blickt über die Schulter, um sicher zu sein, dass niemand sie hört, »… Subs niemals ausgeführt?«

»Manchmal war ich mit ihnen unterwegs, jedoch nie offiziell. Beim Shoppen.« Solche gelegentlichen Ausflüge dienten der Ablenkung oder auch als Belohnung für gutes Sub-Betragen. Die einzige Frau, mit der ich mehr teilen möchte, ist Ana. »Nur mit dir, Anastasia«, flüstere ich. Ich muss herausfinden, was sie von meinem Vorschlag hält und was sie empfindet, ob sie mich zurück­haben will.

Doch dafür sind in der Galerie zu viele Menschen. Anas Wangen erröten auf diese köstliche Weise, die ich so sehr liebe, und sie senkt den Blick auf ihre Hände. Hoffentlich weil ihr das, was ich sage, gefällt, aber sicher kann ich mir da nicht sein. Wir müssen weg hier, ich muss mit ihr allein sein, ernsthaft mit ihr reden und etwas mit ihr essen. Je schneller wir uns die Fotos des Jungen ansehen, desto schneller können wir gehen.

»Dein Freund scheint eher auf Landschaften als auf Porträts spezialisiert zu sein. Lass uns seine Bilder anschauen.« Ich strecke ihr die Hand hin, und zu meiner Freude ergreift sie sie.

Wir schlendern durch die Räume der Galerie, halten kurz vor jeder Aufnahme. Obwohl ich den Jungen nicht leiden kann und die Gefühle hasse, die er in Ana weckt, muss ich zugeben, dass er Talent hat. Wir biegen um eine Ecke – und bleiben wie angewurzelt stehen.

Sie. Sieben riesige Porträts von Anastasia Steele. Darauf ist sie atemberaubend schön, natürlich und entspannt. Sie lacht, schaut finster, macht einen Schmollmund, wirkt nachdenklich, belustigt oder wehmütig. Beim Betrachten der Fotos wird mir noch klarer, dass er gern mehr wäre als nur ein Freund. »Ich scheine nicht der Einzige zu sein«, murmle ich. Die Bilder sind seine Huldigung an sie – seine Liebeserklärung –, und sie hängen ganz offen an den Wänden der Galerie. Jedes x-beliebige Arschloch kann sich daran sattsehen.

Ana starrt sie verblüfft an; sie ist genauso überrascht wie ich. Diese Fotos wird niemand anders bekommen. Die will ich. Hoffentlich sind sie verkäuflich.

»Entschuldige mich einen Augenblick.« Ich marschiere Richtung Empfang.

»Wie kann ich Ihnen helfen?«, erkundigt sich die Frau, die uns am Eingang begrüßt hat.

Ohne auf ihren aufreizenden Augenaufschlag und das laszive Lächeln ihrer zu roten Lippen zu achten, frage ich: »Die sieben Porträts im hinteren Teil, kann man die kaufen?«

Ihre offensichtliche Enttäuschung verwandelt sich in ein breites Lächeln. »Die Anastasia-Serie? Die ist fantastisch.«

Ist ja auch ein fantastisches Modell.

»Natürlich kann man sie kaufen. Ich sage Ihnen gleich, was die Bilder kosten«, meint sie.

»Ich will sie alle.« Ich zücke meine Brieftasche.

»Alle?«, wiederholt sie überrascht.

»Ja.« Die Frau nervt.

»Die ganze Serie kostet vierzehntausend Dollar.«

»Die Fotos sollen mir so schnell wie möglich geliefert werden.«

»Aber sie müssen doch bis zum Ende der Ausstellung hier hängen bleiben«, jammert sie.

Keine Chance.

Ich schenke ihr mein bestes Tausend-Watt-Lächeln, und sie sagt nervös: »Na ja, da lässt sich bestimmt etwas machen.« Dann zieht sie meine Kreditkarte ungeschickt durch die Maschine.

Als ich zu Ana zurückkehre, redet ein blonder Typ mit ihr. »Die Bilder sind super«, bemerkt er. Ich lege besitzergreifend eine Hand auf Anas Ellbogen und bedeute ihm mit einem finsteren Blick, dass er verschwinden soll. »Glückspilz«, brummt der Blondschopf und weicht einen Schritt zurück.

»Er hat recht«, raune ich Ana zu und ziehe sie weg.

»Hast du eins der Fotos gekauft?« Ana nickt in Richtung der Porträts.

»Eins?« Ich schnaube verächtlich. Eins? Ist das dein Ernst?

»Mehr als eins?«

»Alle, Anastasia.« Ich weiß, das klingt herablassend, doch die Vorstellung, dass jemand anders diese Bilder besitzen und sich daran erfreuen könnte, ertrage ich nicht. Sie macht erstaunt den Mund auf. Ich versuche, mich nicht davon ablenken zu lassen. »Ich will nicht, dass irgendein Fremder dich bei sich zu Hause nach Herzenslust angaffen kann.«

»Das darfst also nur du?«, kontert sie.

Ihr Tadel belustigt mich. »Offen gestanden, ja.«

»Perversling«, flüstert sie und beißt sich auf die Unterlippe, vermutlich, um ein Lachen zu unterdrücken.

Herr im Himmel, sie provoziert mich, sie ist witzig und hat recht. »Dem habe ich nichts entgegenzusetzen, Anastasia.«

»Ich würde mich gern weiter mit dir über dieses Thema unterhalten, aber leider habe ich eine Verschwiegenheitsvereinbarung unterschrieben.« Mit einem hochmütigen Blick wendet sie sich wieder den Fotos zu.

Nicht zum ersten Mal macht sie sich über mich und meinen Lebensstil lustig. Gott, wie gern ich sie sofort in die Schranken weisen würde – ich stelle mir sie auf Knien vor und flüstere ihr ins Ohr: »Was ich jetzt am liebsten mit deiner spitzen Zunge anstellen würde.«

»Was fällt dir ein?«, fragt sie entrüstet, und ihre Ohren laufen auf höchst attraktive Weise rot an.

Tja, Baby, so bin ich nun mal.

Ich drehe mich zu den Bildern. »Auf den Fotos siehst du so entspannt aus, Anastasia. Ich kenne das eher selten von dir.«

Sie betrachtet ihre Finger, zögernd, als überlege sie, was sie erwidern soll. Weil ich nicht weiß, was sie denkt, strecke ich die Hand aus und hebe ihr Kinn an. Bei der Berührung saugt sie scharf die Luft ein.

Wieder dieses Geräusch; es verfehlt seine Wirkung auf meinen Unterleib nicht.

»Ich möchte, dass du bei mir auch so entspannt bist.« Das klingt hoffnungsvoll.

Verdammt. Zu hoffnungsvoll.

»Wenn du das möchtest, solltest du aufhören, mir Angst zu ­machen«, entgegnet sie. Ihre Heftigkeit überrascht mich.

»Und du solltest lernen, mir zu sagen, wie du dich fühlst«, ­fauche ich zurück.

Scheiße, wollen wir das wirklich hier diskutieren? Mir wäre es ­lieber unter vier Augen. Sie räuspert sich und strafft die Schultern.

»Christian, du wolltest mich als Sub«, sagt sie leise. »Und genau da liegt das Problem. In der Definition, die du mir freundlicherweise einmal gemailt hast.« Sie schweigt kurz. »Die Synonyme waren, wenn ich mich recht entsinne: demütig, ergeben, gefügig, servil, unterwürfig, willfährig, ehrerbietig. Ich durfte dich nicht ansehen und nicht mit dir sprechen, es sei denn, ich hatte deine Erlaubnis. Was erwartest du?«

Darüber müssen wir unter vier Augen reden! Warum fängt sie hier damit an?

»Es ist verdammt verwirrend, mit dir zusammen zu sein«, fährt sie fort. »Einerseits möchtest du nicht, dass ich dir widerspreche, andererseits magst du meine spitze Zunge. Du erwartest Gehorsam, nur nicht dann, wenn du ihn nicht willst, damit du mich bestrafen kannst. Ich weiß nie, woran ich mit dir bin.«

Gut, ihre Verwirrung kann ich nachvollziehen, aber ich möchte das wirklich nicht hier diskutieren.

»Wie üblich gut argumentiert, Miss Steele«, entgegne ich in ­eisigem Tonfall. »Lass uns etwas essen gehen.«

»Wir sind erst eine halbe Stunde hier.«

»Du hast die Fotos gesehen und mit dem Jungen gesprochen.«

»Der Junge heißt José«, erklärt sie, diesmal lauter.

»Du hast mit José gesprochen – mit dem Mann, der neulich, als du betrunken warst, versucht hat, dir gegen deinen Willen die Zunge in den Mund zu schieben«, knurre ich.

»Aber er hat mich nie geschlagen«, erwidert sie wütend.

Wie bitte? Sie will das also tatsächlich sofort ausdiskutieren.

Ist das zu fassen? Sie wollte doch wissen, wie schlimm es werden kann! In mir brodelt Wut hoch wie glühende Lava. »Das ist ein Schlag unter die Gürtellinie, Anastasia.« Sie wird rot, keine ­Ahnung, ob aus Verlegenheit oder Zorn. Ich fahre mir mit der Hand durch die Haare, um sie nicht zu packen und nach draußen zu ziehen, damit wir dieses Gespräch endlich unter vier Augen fortsetzen können. Dann hole ich tief Luft.

»Wir gehen jetzt etwas essen. Du wirst vor meinen Augen ­immer weniger. Verabschiede dich von dem Jungen«, fauche ich sie an, um Beherrschung bemüht, doch sie rührt sich nicht vom Fleck.

»Bitte, können wir nicht noch ein bisschen bleiben?«

»Nein. Geh jetzt und verabschiede dich von ihm.« Es gelingt mir, nicht zu brüllen. Diesen störrischen Zug um ihren Mund kenne ich. Sie ist fuchsteufelswild, und obwohl ich in den letzten Tagen durch die Hölle gegangen bin, ist mir das scheißegal. Wir verschwinden, und wenn ich sie hinaustragen muss. Mit ­einem vernichtenden Blick dreht sie sich so abrupt von mir weg, dass ihre Haare gegen meine Schulter peitschen, und stolziert davon, um ihn zu suchen.

Ich versuche, mein Gleichgewicht wiederzuerlangen. Wie schafft sie es nur immer, solche Reaktionen bei mir auszulösen? Am liebsten würde ich sie zur Schnecke machen, sie versohlen, sie ficken. Hier. Und in dieser Reihenfolge.

Ich sehe mich im Raum um. Der Junge – Rodriguez – ist von Bewunderinnen umringt. Als er Ana bemerkt, vergisst er die ­Damen und geht auf sie zu, als wäre sie der Mittelpunkt seines verdammten Universums. Er packt sie, wirbelt sie herum.

Nimm deine dreckigen Pfoten von Ana.

Den Blick auf mich gerichtet legt sie die Arme um seinen Hals, schmiegt ihre Wange an die seine und flüstert ihm etwas ins Ohr. Sie reden weiter. Nahe beieinander. Seine Arme um sie. Er strahlt.

Ehe ich mich versehe, marschiere ich zu den beiden, bereit, ihn in der Luft zu zerreißen. Zum Glück für ihn lässt er sie los, als ich mich ihnen nähere.

»Melde dich, Ana. Ach, Mr. Grey, guten Abend«, murmelt der Junge verlegen und ein wenig eingeschüchtert.

»Mr. Rodriguez, sehr beeindruckend. Tut mir leid, dass wir nicht länger bleiben können, aber wir müssen zurück nach Seattle. Anastasia?« Ich nehme ihre Hand.

»Bye, José. Noch mal Gratulation.« Sie dreht sich von mir weg, um Rodriguez sanft einen Kuss auf seine errötende Wange zu ­drücken. Es fehlt nicht viel, und ich bekomme einen Herzinfarkt. Ich muss mich sehr zusammenreißen, um sie nicht einfach zu ­packen und über die Schulter zu werfen. Stattdessen zerre ich sie an der Hand zum Eingang und hinaus auf die Straße. Sie stolpert mir nach, hat Mühe, Schritt zu halten, doch das ist mir egal.

Im Moment will ich nur …

Vor uns befindet sich eine Gasse. Ich haste mit ihr hinein und dränge sie gegen eine Mauer. Dann fasse ich ihr Gesicht mit den Händen und presse meinen Körper in einer explosiven, berauschenden Mischung gegen sie. Ich drücke meine Lippen so heftig auf die ihren, dass unsere Zähne gegeneinanderstoßen, und schon ist meine Zunge in ihrem Mund. Sie schmeckt nach billigem Wein und köstlich nach Ana.

Oh, dieser Mund.

Wie sehr er mir gefehlt hat!

Auch sie explodiert förmlich. Ihre Finger sind in meinen ­Haaren, sie reißt daran, stöhnt an meinem Mund, öffnet ihn weiter für mich, erwidert meinen Kuss. Ihre Leidenschaft bricht sich Bahn, ihre Zunge umschlingt die meine. Schmeckt. Nimmt. Gibt.

Mit einer solchen Begierde habe ich nicht gerechnet. Lust entflammt meinen Körper wie ein Waldbrand trockenes Holz. Ich bin über alle Maßen erregt, will sie hier, jetzt, in dieser Gasse. Das, was ursprünglich als strafender Du-gehörst-mir-Kuss gedacht war, wird plötzlich zu etwas anderem.

Sie will es auch.

Ihr hat es auch gefehlt.

Und das ist wahnsinnig erregend.

Ich erwidere ihr Stöhnen, zerfließe.

Während wir uns küssen, schlinge ich eine Hand um ihren ­Nacken. Die andere wandert ihren Körper hinunter und erforscht ihre Kurven: ihre Brust, ihre Taille, ihren Po, ihren Oberschenkel. Als meine Finger den Saum ihres Kleids ertasten und es nach oben zu schieben beginnen, schnappt sie nach Luft. Ich will es ganz hinaufziehen und sie hier ficken. Sie wieder zu der meinen machen.

Wie sie sich anfühlt!

Atemberaubend. Ich begehre sie wie nie zuvor.

In der Ferne, durch den Nebel meiner Lust, höre ich eine Poli­zeisirene.

Nein! Nein! Grey!

Nicht so. Reiß dich zusammen.

Ich löse mich von ihr, schaue ihr schwer atmend in die Augen.

»Du. Gehörst. Mir!«, knurre ich. Allmählich kehrt die Vernunft wieder. Ich stütze die Hände auf die Knie, versuche, meinen aufgewühlten Körper unter Kontrolle zu bekommen. Mein Schwanz pocht vor Erregung.

Habe ich je so auf jemanden reagiert? Jemals?

Jesus! Fast hätte ich sie in einer dunklen Gasse gefickt.

Meine Eifersucht kennt keine Grenzen. Mein Inneres fühlt sich wund an, ich habe vollkommen die Beherrschung verloren. Und das gefällt mir nicht. Kein bisschen.

»Tut mir leid«, flüstert sie.

»Das sollte es auch. Mir war klar, was du gemacht hast. Willst du den Fotografen, Anastasia? Immerhin empfindet er etwas für dich.«

»Nein«, antwortet sie leise und ebenso atemlos wie ich. »Er ist nur ein Freund.« Sie scheint es zu bereuen, und das besänftigt mich ein wenig.

»Ich habe immer versucht, extremen Emotionen aus dem Weg zu gehen. Aber du … Du weckst Gefühle in mir, die mir völlig fremd sind. Es ist sehr … verwirrend. Ich habe gern alles im Griff, Ana, doch bei dir löst sich alles in Luft auf.«

Ihre Augen schimmern lüstern, und die Haare fallen ihr ­zerzaust und sexy auf die Brüste. Ich massiere meinen Nacken, dankbar dafür, wieder so etwas wie Kontrolle über mich selbst zu erlangen.

Schau, was du aus mir machst, Ana.

Ich fahre mir mit der Hand durch die Haare und hole tief Luft, um einen klaren Kopf zu kriegen. Dann ergreife ich ihre Hand. »Komm, lass uns reden. Und du musst etwas essen.«

Ganz in der Nähe befindet sich ein Restaurant. Nicht gerade das, was ich für unsere Wiedervereinigung ausgesucht hätte, falls es eine solche ist, aber es erfüllt seinen Zweck. Mir bleibt nicht viel Zeit, weil Taylor bald eintrifft.

Ich halte ihr die Tür auf. »Was Besseres gibt’s hier in der Gegend nicht. Und wir haben nicht viel Zeit.« Das Lokal sieht aus, als würde es von Galeriebesuchern frequentiert werden, vielleicht auch von Studenten. Ironie des Schicksals: Die Wände haben die gleiche Farbe wie die in meinem Spielzimmer. Ich schiebe den Gedanken beiseite.

Ein reichlich serviler Kellner führt uns zu einem Tisch in ­einer Nische. Bei Anas Anblick hört er gar nicht mehr auf zu lächeln. Ich werfe einen Blick auf die Tafel, auf der mit Kreide die Gerichte des Abends geschrieben stehen. Und ich bestelle, bevor der ­Kellner sich wieder entfernen kann, um ihm zu signalisieren, dass wir nicht viel Zeit haben. »Wir nehmen beide Sirloin-Steak medium, Sauce béarnaise, wenn Sie welche haben, Pommes und grünes Gemüse, was immer der Küchenchef dahat. Und bringen Sie mir die Weinkarte.«

»Gern, Sir«, sagt der Kellner und eilt davon.

Ana schürzt verärgert die Lippen.

Was kommt jetzt?

»Und wenn ich kein Steak mag?«

»Bitte fang nicht wieder damit an, Anastasia.«

»Ich bin kein kleines Kind mehr, Christian.«

»Dann hör auf, dich wie eines zu benehmen.«

»Ich bin ein Kind, weil ich kein Steak mag?«, fragt sie trotzig.

Nein!

»Nein, weil du versucht hast, mich eifersüchtig zu machen. Das ist kindisch. Hast du denn keine Achtung vor den Gefühlen ­deines Freundes?«

Sie wird rot und senkt den Blick.

Ja, sei ruhig verlegen, denn du verwirrst ihn. Das sehe ich deutlich.

Macht sie das auch mit mir? Führt sie mich an der Nase herum?

Vielleicht ist ihr in der Zeit unserer Trennung klar geworden, dass sie Macht besitzt. Macht über mich.

Der Kellner kehrt mit der Weinkarte zurück und gibt mir Gelegenheit, wieder die Oberhand zu gewinnen. Das Angebot ist bestenfalls mittelmäßig: Auf der Karte finde ich nur einen einzigen genießbaren Wein. Ich schaue Anastasia an. Sie scheint zu schmollen, den Gesichtsausdruck kenne ich. Vielleicht hätte sie ihr Essen gern selbst gewählt. Ich weiß, dass sie sich mit Weinen nicht auskennt, und kann es mir nicht verkneifen, mit ihr zu spielen. »Möchtest du den Wein aussuchen?«

»Such du ihn aus.« Sie presst die Lippen aufeinander.

Ja. Keine Spielchen mehr mit mir, Baby.

»Zwei Gläser Barossa Valley Shiraz, bitte«, sage ich dem ­Kellner, der auf unsere Bestellung wartet.

»Äh, den gibt es nur in der Flasche, Sir.«

»Dann eben eine Flasche.« Idiot.

»Sir.« Er entfernt sich.

»Du bist ganz schön schlecht drauf«, bemerkt sie. Bestimmt tut der Kellner ihr leid.

»Warum wohl?« Ich bemühe mich, meine Verärgerung zu verbergen, merke aber selbst, wie kindisch ich klinge.

»Für ein aufrichtiges Gespräch über die Zukunft sollte man den richtigen Ton treffen, findest du nicht?« Sie bedenkt mich mit ­einem zuckersüßen Lächeln.

Aha, wie du mir, so ich dir. Wieder einmal geht sie in die ­Offensive; ich muss ihren Mumm bewundern. Aber diese Zankerei bringt uns nicht weiter.

Außerdem führe ich mich auf wie ein Arschloch.

Verdirb’s nicht, Grey.

»Sorry«, sage ich, weil sie recht hat.

»Entschuldigung angenommen. Und ich darf dir mitteilen, dass ich seit unserem letzten gemeinsamen Essen keine Vegetarierin geworden bin.«

»Da das das letzte Mal war, dass du überhaupt etwas gegessen hast, ist das ja wohl noch nicht endgültig raus.«

»Wieder mal ist was nicht endgültig raus.«

»Ja«, pflichte ich ihr bei. Wie an jenem Samstagmorgen, als wir über unsere Abmachung diskutierten. An dem Tag, an dem meine Welt zusammenbrach.

Scheiße. Denk jetzt nicht daran und reiß dich zusammen, Grey. Sag ihr, was du dir vorstellst.

»Ana, nach dem Vorfall im Spielzimmer hast du mich verlassen. Ich bin nervös. Du weißt, dass ich dich zurückhaben möchte, aber bis jetzt ist mir nicht klar, wie du dazu stehst.« Sie kaut auf ihrer Lippe, und die Farbe weicht aus ihrem Gesicht.

O nein.

»Du hast mir gefehlt … echt gefehlt, Christian«, gesteht sie mit leiser Stimme. »Die letzten Tage waren … die Hölle.«

Hölle? Die Untertreibung des Jahrhunderts!

Sie schluckt und holt tief Luft, um sich zu beruhigen. Das klingt nicht gut. Hat mein Verhalten in der letzten Stunde sie endgültig vergrault? Ich bekomme ein flaues Gefühl im Magen. Was denkt sie?

»Es hat sich nichts geändert. Ich kann nicht so sein, wie du mich möchtest.« Ihre Miene verrät mir nichts.

Nein. Nein. Nein.

»Du bist, wie ich dich möchte.« Genau so.

»Nein, Christian, das bin ich nicht.«

Bitte, Baby, glaub mir. »Was letztes Mal passiert ist, hat dich aus der Fassung gebracht. Ich habe mich dumm verhalten und du … auch. Warum hast du nicht das Safeword benutzt, Anastasia?«

Sie sieht mich erstaunt an, als wäre ihr das überhaupt nicht in den Sinn gekommen.

»Antworte mir.«

Diese Frage lässt mir seitdem keine Ruhe. Warum hast du das Safeword nicht benutzt, Ana?

Sie sinkt in sich zusammen.

»Keine Ahnung«, flüstert sie.

Wie bitte?

WIE BITTE?

Mir verschlägt es die Sprache. Ich bin durch die Hölle gegangen, weil sie das Safeword nicht benutzt hat. Noch bevor ich mich von meiner Bestürzung erhole, sprudeln die Worte nur so aus ihr heraus. Leise, eine verschämte Beichte. »Das war alles zu viel für mich. Ich habe versucht, so zu sein, wie du mich willst, hab versucht, den Schmerz zu bewältigen, und nicht mehr dran gedacht.« Sie sieht mich mit großen Augen an und zuckt verlegen mit den Achseln. »Ich hab’s einfach … vergessen.«

Was sagst du da?

»Du hast es vergessen!«, rufe ich entsetzt aus. Die ganze Scheiße nur, weil sie es vergessen hat?

Ist das zu fassen? Ich umklammere die Tischkante, um mich im Hier und Jetzt zu verankern, während ich diese erschreckende Neuigkeit verarbeite.

Habe ich sie denn nicht an die Safewords erinnert? Himmel. Ich weiß es nicht mehr. Die E-Mail, die sie mir geschickt hat, nachdem ich sie das erste Mal versohlt hatte, fällt mir ein.

Damals hat sie mich nicht gestoppt.

Ich Idiot! Ich hätte sie erinnern sollen.

Moment. Sie kennt die Safewords. Ich habe sie ihr mehr als einmal gesagt, das weiß ich genau.

»Noch haben wir den Vertrag nicht unterschrieben, Anastasia. Aber die Grenzen haben wir bereits festgelegt. Und ich will dich an unsere Safe­words erinnern.«

Sie blinzelt ein paarmal, ohne etwas zu sagen.

»Wie lauten sie?«, frage ich.

Sie zögert.

»Wie lauten die Safewords, Anastasia?«

»Gelb.«

»Und?«

»Rot.«

»Vergiss sie nicht.«

Sie hebt verächtlich eine Augenbraue und macht den Mund auf, um etwas zu sagen.

»Zügeln Sie Ihr vorlautes Mundwerk, solange wir hier drin sind, Miss Steele, sonst werde ich es Ihnen mit meinem Schwanz stopfen, während Sie vor mir knien. Verstanden?«

»Wie soll ich dir da je vertrauen?« Haben wir überhaupt eine Chance, wenn sie nicht ehrlich zu mir sein kann? Sie soll mir nicht sagen, was ich ihrer Ansicht nach von ihr hören möchte. Was für eine Beziehung wäre das denn? Mir sinkt der Mut. Das ist genau das Problem mit jemandem, der keine Ahnung von diesem ­Lebensstil hat. Sie begreift ihn nicht.

Ich hätte nie etwas mit ihr anfangen sollen.

Der Kellner kehrt mit dem Wein zurück.

Vielleicht hätte ich es ihr besser erklären müssen.

Verdammt, Grey, nicht so negativ.

Ja. Das ist jetzt nicht mehr wichtig. Wenn sie es zulässt, werde ich versuchen, auf ihre Art eine Beziehung mit ihr zu führen.

Der Idiot lässt sich viel Zeit mit dem Öffnen der Flasche. Jesus. Will er uns beeindrucken? Oder nur Ana? Endlich ist der Korken heraus, und er schenkt mir einen Schluck zum Probieren ein. Ich nippe daran. Der Wein muss noch atmen, ist aber ganz passabel.

»In Ordnung.« Und jetzt verschwinde. Bitte. Er füllt die Gläser und entfernt sich.

Ana und ich haben uns die ganze Zeit über angesehen. Dabei hat jeder für sich herauszufinden versucht, was der andere denkt. Sie wendet den Blick als Erste ab, trinkt etwas Wein, schließt die Augen, als würde ihr das beim Überlegen helfen. Als sie sie wieder aufmacht, sehe ich darin Verzweiflung. »Tut mir leid«, flüstert sie.

»Was tut dir leid?« Himmel. Hat sie mich abgeschrieben? Besteht noch Hoffnung?

»Dass ich das Safeword nicht verwendet habe«, antwortet sie.

Gott sei Dank. Ich hatte schon befürchtet, dass alles aus ist.

»Den ganzen Kummer hätten wir uns ersparen können«, murmle ich, bemüht, meine Erleichterung zu verbergen.

»Man merkt dir den Kummer nicht an«, meint sie mit bebender Stimme.

»Der äußere Schein kann trügen. Mir geht es alles andere als gut. Es kommt mir vor, als wäre die Sonne unter- und fünf Tage lang nicht mehr aufgegangen, Ana. Als wäre ich in ewiger Dunkelheit gefangen.«

Sie seufzt kaum hörbar.

Was dachte sie denn, wie ich mich fühle? Schließlich hat sie mich verlassen, obwohl ich sie fast auf Knien angefleht habe zu bleiben. »Du hast gesagt, du würdest mich nie verlassen, aber sobald es beginnt, schwierig zu werden, bist du weg.«

»Wann habe ich das gesagt?«

»Im Schlaf. Das war das Tröstendste, was ich seit Langem ­gehört habe, Ana. Es hat mir Sicherheit gegeben.«

Sie saugt scharf die Luft ein. Ana empfindet aufrichtiges Mitgefühl, als sie die Hand nach dem Weinglas ausstreckt, das sehe ich. Ich wittere meine Chance.

Los, frag sie, Grey.

Ich muss ihr die Frage stellen, über die ich mir nicht nachzudenken gestattet habe, weil ich mich vor der Antwort, wie sie auch immer ausfallen mag, fürchte. Aber ich muss es wissen.

»Du hast gesagt, du liebst mich.« Ich bringe die Worte kaum heraus. Bestimmt haben sich ihre Gefühle für mich verändert. Oder doch nicht? »Gilt das jetzt nicht mehr?«

»Doch, Christian.« Erleichterung durchströmt meinen Körper. Aber sie vermischt sich mit Angst. Eine verstörende Kombination, weil ich eigentlich nicht möchte, dass sie ein Ungeheuer liebt.

»Gut«, murmle ich verwirrt. Ich will nicht mehr über dieses Thema nachdenken. Wie aufs Stichwort serviert der Kellner ­unser Essen.

»Iss«, fordere ich Ana auf. Sie muss etwas zu sich nehmen.

Sie beäugt das, was auf ihrem Teller liegt, mit Widerwillen.

»Ana, wenn du nicht isst, lege ich dich hier in diesem Restaurant übers Knie, und das hat dann nichts mit Lustbefriedigung zu tun. Iss!«

»Okay, ich werde etwas essen. Aber bitte lass deine juckende Hand in der Hosentasche.« Sie versucht zu scherzen, doch ich ­lache nicht. Sie ist viel zu schmal. Ana nimmt zögernd das Besteck in die Hand, isst einen Bissen, schließt die Augen und leckt sich genüsslich die Lippen. Mein Körper, der nach unserem Kuss in der Gasse immer noch erregt ist, reagiert beim Anblick ihrer Zunge sofort.

Herr im Himmel, nicht schon wieder! Ich reiße mich zusammen. Dafür wird später Zeit sein, vorausgesetzt, sie willigt ein. Sie nimmt einen zweiten Bissen und noch einen. Nun weiß ich, dass sie weiteressen wird. Ich bin dankbar für die Ablenkung, die die Mahlzeit bietet, schneide ein Stück von meinem Steak ab und schiebe es in den Mund. Gar nicht schlecht.

Wir beobachten einander schweigend.

Sie hat mich nicht zum Teufel geschickt. Das ist gut. Ich merke, wie sehr ich einfach nur ihre Gesellschaft genieße. Okay, in mir kämpfen allerlei widersprüchliche Gefühle gegeneinander, aber immerhin ist sie da. Hier bei mir, und sie isst. Ich hoffe, dass wir meinen Vorschlag in die Tat umsetzen können. Ihre Reaktion auf den Kuss in der Gasse war … intensiv. Sie begehrt mich nach wie vor. Ich weiß, dass ich sie auf der Stelle hätte ficken können, ohne von ihr daran gehindert zu werden.

Sie reißt mich aus meinen Tagträumen. »Weißt du, wer da singt?« Aus den Lautsprechern des Restaurants dringt die sanfte, eindringliche Stimme einer jungen Frau. Ich habe keine Ahnung, wer sie ist. Ihr Gesang gefällt uns beiden.

Die Musik erinnert mich an das iPad für Ana. Hoffentlich nimmt sie es an und freut sich darüber. Ich habe gestern Musik und heute Vormittag weitere Dinge daraufgeladen – Fotos von dem Segelflugzeug auf meinem Schreibtisch und von uns beiden bei ihrer Uni-Abschlussfeier sowie einige Apps. Das ist meine Entschuldigung. Ich bin optimistisch, dass die schlichte Botschaft, die ich auf die Rückseite eingravieren habe lassen, meinen Gefühlen Ausdruck verleiht. Hoffentlich findet sie sie nicht zu kitschig. Erst einmal muss sie das iPad allerdings kriegen, und ich weiß nicht, ob wir überhaupt so weit kommen. Ich unterdrücke ein Seufzen, weil sie Geschenke von mir nur widerwillig annimmt.

»Was ist?«, erkundigt sie sich. Sie spürt, dass mich etwas beschäftigt. Nicht zum ersten Mal frage ich mich, ob sie meine Gedanken lesen kann.

Ich schüttle den Kopf. »Iss auf.«

Sie sieht mich mit ihren strahlend blauen Augen an. »Mehr schaffe ich nicht. Habe ich Ihrer Meinung nach genug gegessen, Sir?«