DAS ACHTE MESSER - Victor Gunn - E-Book

DAS ACHTE MESSER E-Book

Victor Gunn

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Eines nach dem anderen sausten die Messer durch die Luft - Inspektor Cromwell zählte unbewusst mit. Sechs... sieben... DAS ACHTE MESSER traf schließlich das Mädchen in den Hals. Der Inspizient trat vor den Vorhang. "Meine Damen und Herren! Leider hat sich ein Unglücksfall ereignet..." Ein Unglückfall? Mord, sagt Inspektor Cromwell... Der Roman DAS ACHTE MESSER von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) - ein weiterer Fall für Chefinspektor Cromwell - erschien erstmals im Jahr 1957; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr. Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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VICTOR GUNN

 

 

Das achte Messer

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 113

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DAS ACHTE MESSER 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Eines nach dem anderen sausten die Messer durch die Luft - Inspektor Cromwell zählte unbewusst mit. Sechs... sieben... Das achte Messer traf schließlich das Mädchen in den Hals.

Der Inspizient trat vor den Vorhang. »Meine Damen und Herren! Leider hat sich ein Unglücksfall ereignet...«

Ein Unglückfall?

Mord, sagt Inspektor Cromwell...

 

Der Roman Das achte Messer von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) - ein weiterer Fall für Chefinspektor Cromwell - erschien erstmals im Jahr 1957; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.  

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

   DAS ACHTE MESSER

 

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Als Chefinspektor Bill Cromwell von Scotland Yard seinen Platz in der ersten Parkettreihe des Varietés Olymp einnahm, hatte sein Gesicht einen so bösartigen Ausdruck, dass die Platzanweiserin erschreckt die Eintrittskarten fallen ließ und sich eiligst davonmachte.

»Musst du deine Visage so verzerren, dass du wie ein zweiter Mr. Hyde aussiehst?«, fragte Johnny Lister verärgert, als er die Karten vom Boden aufhob. »Siehst du denn nicht, was für einen Schrecken du dem armen Mädchen eingejagt hast? Hat sie dir vielleicht was getan?«

»Ein Platz in der ersten Reihe!«, murmelte Cromwell ärgerlich und ließ sich auf seinen Sitz fallen. »Musstest du gerade Plätze nehmen, auf denen man wie auf dem Präsentierteller sitzt? Aber ich hätte mir ja denken können, dass du schon etwas Idiotisches anstellen wirst!«

Der elegante junge Sergeant unterdrückte die grobe Antwort, die ihm auf der Zunge lag. Er hatte seine ganze Überredungskunst spielen lassen müssen, um Ironsides überhaupt zu bewegen, ins Varieté zu gehen. Er hatte gehofft, ein Abend in Londons berühmtestem Varieté werde vielleicht seinen übelgelaunten Vorgesetzten in bessere Stimmung bringen. Schon seit Wochen war Cromwell so mürrisch und gereizt, dass das Leben mit ihm schwer erträglich geworden war. Cromwell war nie ein besonders liebenswürdiger Partner, aber jetzt, in seiner gegenwärtigen Laune, fiel er Johnny auf die Nerven.

Wenn es sich nur um die Zusammenarbeit im Büro gehandelt hätte, wäre das schon unangenehm genug gewesen. Aber Johnny bewohnte mit seinem Vorgesetzten gemeinsam auch eine Junggesellenwohnung in der Victoria Street; in letzter Zeit war die Spannung zwischen ihnen so stark geworden, dass jede harmlose Unterhaltung zu etwas Unmöglichem geworden war.

»Und wer ist dieser Mr. Hyde?«, fragte Cromwell. »Ich kenne niemanden dieses Namens...«

»Musst du schon wieder deine phänomenale Unwissenheit beweisen?«, unterbrach ihn Johnny. »Willst du wirklich sagen, dass du noch nie etwas von Dr. Jekyll und Mr. Hyde gehört hast?«

»Ach, von den beiden!«           

»Wieso von den beiden? Die beiden sind doch nur einer! Aber wozu lange Erklärungen«, meinte Johnny hilflos. »Hör nur auf zu brummen, Old Iron. Wir sind doch hier, um uns zu amüsieren.«   

»So nahe der Bühne?«, höhnte Cromwell. »Ganz abgesehen davon, dass uns das Orchester in die Ohren dröhnt, werden wir jeden Schminkfleck auf den Gesichtern der Artisten sehen...« Er brach ab; seine Augen fielen auf die mit einem Läufer belegten Stufen, die ein paar Schritte von seinem Platz entfernt zur Bühne hinaufführten. »Ich möchte wetten, auf dem Programm steht auch eine Zaubernummer; man wird also Leute aus dem Zuschauerraum auffordern, auf die Bühne zu kommen und sich dort zum Narren halten zu lassen. Aber wenn mich jemand zu so etwas auffordern sollte...«

»Mach dir keine Sorgen«, unterbrach ihn Johnny ärgerlich. »Ein einziger Blick in dein Gesicht scheucht jeden fort. Es tut mir nur leid, dass ich dich überhaupt hierhergebracht habe.«

Es war ihm mit seinen Worten ernst, denn der Abend entwickelte sich nicht so, wie er gehofft hatte. Der Chefinspektor war vielleicht noch gereizter als sonst; aber Johnny kannte ja den Grund seiner üblen Laune. Seit mehr als einem Monat waren beide ununterbrochen mit langweiliger Routinearbeit beschäftigt gewesen, und Cromwell konnte nur gutgelaunt sein, wenn er einen kniffligen Fall zu bearbeiten hatte. Büroarbeit hingegen reizte ihn stets zu Wutausbrüchen.

Heute war ein Donnerstagabend, und sie hatten dienstfrei. Der Wintertag war grau und kalt gewesen; Johnny hatte gehofft, ein paar Stunden im Varieté könnten seinen Begleiter zerstreuen und aufheitern.

»Der Bauchredner, der hier auftritt, ist geradezu die Sensation von London, Old Iron«, meinte Johnny, lehnte sich in seinem Sitz zurück und bemühte sich, die unmelodiösen Laute aus dem Orchester zu übertönen, wo die Musiker ihre Instrumente stimmten. »Hast du je erlebt, dass hier im Olymp ein Bauchredner die Hauptattraktion ist? Aber der Bursche muss wirklich Ungewöhnliches leisten. Ganz London spricht ja von nichts anderem. Der Affe, mit dem er arbeitet, wirkt so unheimlich menschlich...«

»Du meinst wohl, seine Puppe?«

»Mein Gott, liest du denn überhaupt keine Zeitung? Am Montag begann Valentine mit seiner Nummer hier, und schön am Dienstag berichteten alle Londoner Zeitungen ganz groß auf der ersten Seite über ihn. Sein Schimpanse muss geradezu unglaublich gut sein. - Aber wir können uns nicht weiter unterhalten, denn jetzt fängt die Vorstellung an.«

Cromwell zuckte schmerzlich berührt zusammen, denn das Orchester hatte mit einer solchen Lautstärke eingesetzt, dass die Töne betäubend an sein Trommelfell schlugen. In der ersten Parkettreihe war die Musik wirklich allzu geräuschvoll.

»Mein Gott!«, stöhnte Ironsides Johnny ins Ohr. »Habe ich dir das nicht vorher gesagt?«

Johnny presste die Lippen zusammen und gab keine Antwort. Er wollte sich nicht damit entschuldigen, dass nur noch diese beiden Plätze in der ersten Reihe zu haben gewesen waren - und auch diese Plätze hatte er nur bekommen, weil sie gerade fünf Minuten vorher jemand zurückgegeben hatte. Seit dem Auftreten von Valentine war eben das Varieté für viele Tage im Voraus ausverkauft.

Der Vorhang hob sich, und im strahlenden Licht der Scheinwerfer erschienen die sechzehn Tanzgirls des Olymp. Sie schwangen ihre schlanken Beine in vollendetem Gleichtakt.

»Darum also hast du Plätze in der ersten Reihe genommen! Du wolltest so nahe wie möglich bei diesen halbnackten Mädchen sitzen! Hm - aber sie tanzen wirklich gar nicht schlecht.«

Johnny Lister grinste. Die Gereiztheit in Cromwells Stimme klang bereits gemildert, und auch die Falten seines Gesichts begannen sich zu. glätten. So viel weiblicher Charme in so großer Nähe blieb eben auch auf ihn nicht ohne Wirkung.

Die Mädchen vollendeten ihren Tanz mit der exakten Präzision, für die sie berühmt waren. Sie erhielten stürmischen Applaus.

Die nächste Nummer war ein junger Sänger, dessen Name von Schallplatten her bekannt war. Er trat in einem blutroten Frack auf. Der Chefinspektor schloss die Augen und stöhnte - und diesmal war Johnny mit ihm einer Meinung. Der hübsche junge Mann mochte zwar ein Liebling des jugendlichen Publikums sein und konnte auch den Teenagern Rufe des Entzückens entlocken, aber nach Johnnys Geschmack war er nicht. Der Sergeant atmete auf, als diese Nummer zu Ende war und die nächste begann. Es war eine dänische Akrobatentruppe, die wahre Wunder an Gelenkigkeit vollbrachte. Leider muss jedoch festgestellt werden, dass Bill Cromwells Interesse an ihren Darbietungen nur dadurch aufrechterhalten wurde, dass zwei Mitglieder der Truppe hübsche junge Mädchen waren, die noch weniger anhatten als die Tanzgirls.

»Nicht schlecht, mein Junge - ganz und gar nicht schlecht!«, bemerkte Ironsides, beifällig schmunzelnd.

Der Conférencier erzählte nun, um die Zeit auszufüllen, ein paar Witze und kündigte dann die Glanznummer des Programms an - Valentine und Vick. Als sich der Vorhang hob, stand auf der Bühne ein untersetzter, breitschultriger Mann mittleren Alters, der die bei Bauchrednern übliche Puppe im Arm trug. Die Nummer war gut, die Unterhaltung zwischen dem Bauchredner und seiner Puppe sehr spaßig.

»Du hast mir doch gesagt, dass der Kerl mit einem Affen arbeitet, nicht?«, wandte sich Ironsides leise an Johnny. »Das hier ist aber doch nur eine ganz gewöhnliche Bauchrednernummer - an sich nicht schlecht, aber...«

»Halt doch den Mund, das ist ja nur das Vorspiel!«, zischte Johnny zurück. »Warte doch ab!«

Cromwell brummte. Ohne, dass er es hätte begründen können, war ihm Valentine unsympathisch. Sein öliges schwarzes Haar, seine dunklen, verschlagen blickenden Augen und der grausame Zug um seinen sinnlichen Mund waren nicht nach Cromwells Geschmack. Es gehörte zu seinem Beruf, ein guter Kenner des menschlichen Charakters zu sein, und er hatte gelernt, Menschen nach ihrer äußeren Erscheinung, nach dem Ausdruck ihres Gesichts zu beurteilen. Und bei dieser Beurteilung schnitt Valentine nicht gerade günstig ab.

»Er ist witzig, Johnny, aber sein Witz hat etwas Sadistisches. Ich möchte wetten, dass er jede Zeile dieses Dialogs selbst geschrieben hat«, murmelte der Chefinspektor. »Er passt haargenau zu seinem Wesen.«

Johnny war überrascht. Er hatte mit dem übrigen Publikum Valentines Späße belacht, ohne dass ihm die ätzende Schärfe aufgefallen war, von der Cromwell gesprochen hatte. Erst jetzt - nachdem er darauf hingewiesen worden war - bemerkte er die Grobheit von Valentines Humor.

Der sensationelle Teil der Nummer sollte jedoch noch kommen. Bald verschwand die Puppe in einem Koffer. Zunächst folgte der konventionelle Trick, den schon andere Bauchredner vor Valentine gebracht hatten. Valentine ließ nämlich die Stimme der Puppe schwach und halb erstickt scheinbar aus dem Koffer heraustönen. Eine bekannte Sache, daher machte sich eine leise Unruhe im Zuschauerraum bemerkbar. Aber in Wirklichkeit war dieser Trick eine recht geschickte Überleitung zur Hauptattraktion, denn jetzt wandte sich Valentine in die Kulissen, schnippte mit den Fingern und rief mit einschmeichelnder Stimme.

Eine Woge der Erregung ging durch das Publikum, als Vick, der Schimpanse, daraufhin selbstbewusst die Bühne betrat. Das Tier trug einen Matrosenanzug; ein fesches Käppchen saß schief auf seinem Kopf.

»Komm schneller, mein Junge«, sagte Valentine tadelnd. »Trödle doch nicht so!«

Aber Vick blieb daraufhin stehen und gab nur einen verächtlichen Laut von sich.

»Ach, rutsch mir den Buckel runter!«, sagte er dann mit grober Stimme.

Die Wirkung dieser Worte war phantastisch. Das Publikum brüllte vor Lachen. Scheinbar waren die Worte direkt aus dem Munde des Schimpansen gekommen, und das Tier hatte seine Lippen auch genau entsprechend den Worten bewegt. Donnernder Applaus rauschte auf.

Es war nur eine Kostprobe von Valentines Kunst, aber nun bewies er, dass die enthusiastischen Presseberichte tatsächlich nicht übertrieben waren. Vick überquerte die Bühne, sprang gewandt auf einen Stuhl und streckte Valentine die Zunge heraus.

»Das ist aber sehr ungehörig!«, tadelte ihn Valentine und drohte mit dem Finger.

»Und wer hat mir das beigebracht?«, antwortete der Schimpanse. »Du doch! Etwas Besseres hast du dir eben nicht ausdenken können!«

Auf diese Weise ging das Gespräch weiter. Es war ah sich keineswegs besonders geistreich oder witzig. Aber das Publikum blickte trotzdem wie gebannt auf die Bühne, denn jedes Wort, das aus Vicks Maul zu kommen schien, war von den genau richtigen Lippenbewegungen begleitet. Es war fast unmöglich, auch nur auf den Gedanken zu kommen, es könne nicht der Schimpanse sein, der sprach. Solange Valentine redete, blieb das Gesicht des Tieres völlig unbewegt. Aber wenn der Affe mit seiner groben Stimme antwortete, schien es unmöglich, dass die Worte nicht tatsächlich aus seinem Maul kamen.

»Nun, Old Iron?«, fragteJohnny.              

»Geschickt, mein Junge. In seiner Art das Geschickteste, was ich je gesehen habe«, gab Cromwell zu. »Du weißt doch, was wir hier vor Augen haben, nicht wahr? Das ist das Resultat von Monaten, wahrscheinlich von Jahren der Dressur. Das einzige, was mich dabei beunruhigt, ist: War diese Dressur grausam? Mein Gott! Sieh dir doch das an!«

Der Schimpanse hatte sein Maul zu einem langen Gähnen weit geöffnet. Der Gähnlaut war so natürlich, dass die meisten Leute im Publikum annahmen, dass das Gähnen nicht zu der Nummer gehörte. Wieder gab Valentine dem Affen einen scharfen Verweis und warf ihm vor, sich unanständig zu benehmen. Aber Vick erwiderte prompt, er habe nur gegähnt, weil die Nummer so unerträglich langweilig sei. Er riet Valentine schließlich, sich etwas mehr anzustrengen und ein bisschen mehr Geist hineinzubringen.

»Ich könnte es noch verstehen, dass man einen Affen darauf dressieren kann, ein oder zwei Lippenbewegungen zu machen, die mit gewissen immer wiederkehrenden Worten übereinstimmen; aber Vick redet ja viel mehr als der Bauchredner selbst, und dadurch wird die Leistung nahezu unglaublich«, murmelte Johnny. »Besonders, wenn man berücksichtigt, dass er auch die zu seinen Worten passenden Gesten macht.«

»Ja, ich kann schon verstehen, warum diese Nummer als die große Attraktion des Programms herausgestellt wird«, meinte Ironsides. »Dieses Tier muss ja ein Vermögen wert sein, Johnny.«

»Es bringt jedenfalls Valentine eine Gage von fünfhundert Pfund die Woche ein«, flüsterte Johnny zurück. »Eine Zeitung schrieb von Vick als dem goldenen Affen. Die Nummer war in Australien vor ein oder zwei Monaten die große Sensation, und seitdem ist Valentine mit seinem Tier mit größtem Erfolg in Manchester, Liverpool und Glasgow auf getreten.«

Schließlich war die Nummer zu Ende; sie erntete einen Applaus, wie ihn Johnny in diesem Varieté noch nicht gehört hatte. Immer wieder mussten Valentine und Vick vor den Vorhang treten. Hier verbeugte sich Vick nicht nur gleichzeitig mit seinem Herrn, er winkte dem Publikum auch zu und rief ein paar Bemerkungen ins Parkett.

Dann folgte die große Pause.

»Jetzt können wir wohl nach Hause gehen?«, fragte Cromwell. »Es wird ja wohl nichts Interessantes mehr zu sehen sein.«

»Warum wollen wir unser Geld nicht absitzen?«, wandte Johnny ein. »Jetzt kommt noch eine großartige spanische Tanznummer und ein Messerwerfer.«

Er überredete Ironsides, ihn zum Büfett zu begleiten, wo ein Glas Bier Cromwells Stimmung hob. Als sie nach der Pause wieder ihre Plätze einnahmen, war der brummige Chefinspektor beinahe wohlwollend gestimmt.

»Es tut mir leid, dass ich vorhin so schlecht gelaunt war, Johnny«, meinte Cromwell entschuldigend. »Du hattest ganz recht. Das Ausgehen hat mir gutgetan. Ich bin in letzter Zeit wohl ziemlich schwer zu genießen gewesen, was? - Weißt du, ich muss immer noch über diesen erstaunlichen Schimpansen nachdenken. Hoffentlich habe ich mich in Valentine geirrt...« Er hielt inne und zuckte die Achseln. »Aber das werden wir wohl nie erfahren.«

»Wie meinst du das - geirrt?«

»Nun, weißt du, ich habe so ein vages Gefühl, dass dieser Bauchredner ein übler Bursche ist«, antwortete Ironsides nachdenklich. »Menschen dieses Typs sind mir schon oft begegnet. Das ist eben der Nachteil, wenn man Polizeibeamter ist, Johnny. Man tritt allen Leuten mit einer Masse von Vorurteilen gegenüber.«

Johnny lachte.

»Ich möchte wetten, dass du danebengeraten hast, Old Iron«, erwiderte er. »Kein Mensch kann einen Affen anders als mit Liebe so großartig dressieren. Hast du denn nicht gesehen, dass dem Tier sein Auftreten geradezu Spaß machte?«

Die weitere Unterhaltung wurde dadurch erschwert, dass das Orchester mit einem lauten Tusch den zweiten Teil des Programms ankündigte. Der Conférencier trat vor den Vorhang und erzählte wieder ein paar Witze. Dann trat das spanische Tanzpaar auf, das ausgezeichnet war.

Nach dieser Programmnummer erschien der Conférencier wieder. Er forderte das Publikum auf, sich an den Sitzen festzuhalten; es bekäme jetzt eine Nummer zu sehen, die geradezu atemberaubend wäre.

»Der übliche Quatsch!«, murmelte Cromwell verächtlich. »Wer soll uns denn jetzt das Gruseln beibringen?«

»Rex Dillon, das australische Wunder!«, entgegnete Johnny nach einem Blick auf das Programm grinsend. »Der Messerwerfer, Old Iron!«

»Das sind doch alte Kamellen!«, brummte sein Freund. »Gehen wir lieber.«

»Gib doch Ruh’, verdammt noch mal! Er bringt etwas ganz Neues!« Johnny sah seinen Freund von der Seite an. »Und dann arbeitet er mit einer Partnerin, die praktisch gar nichts anhat.«

Aber auch das machte auf Ironsides keinen Eindruck.

»Was kann denn schon an dem Burschen Besonderes sein?«, fragte er.

»Warte es doch ab! Dillon behauptet, als einziger Mensch folgenden Trick zeigen zu können: Das Mädchen steht, mit Stricken an einen Baum gefesselt, auf der einen Seite der Bühne; Dillon steht auf der anderen Seite und befreit sie aus ihren Fesseln, indem er mit seinen Wurfmessern einen Strick nach dem anderen zerschneidet. Dazu gehört doch wirklich eine phantastisch sichere Hand!«    

»Ich halte das für unmöglich«, brummte Cromwell ungläubig. »Ich möchte wetten, es ist nur ein Trick. Nur. vom Publikum aus gesehen scheint es wohl so, als ob er die Fesseln tatsächlich mit seinen Würfen zerschneiden würde.«

»Schön, sieh es dir selbst an«, meinte Johnny gereizt. »Aber glaubst du etwa, sie würden in diesem Varieté einen gewöhnlichen Messerwerfer auftreten lassen? Dillon zerschneidet eben die Stricke tatsächlich mit den geworfenen Messern.«

Nach einem Tusch des Orchesters betrat Rex Dillon die Bühne. Er war ein gutgewachsener, sympathisch wirkender junger Mann mit blondem, welligem Haar, der als australischer Rinderhirt gekleidet auftrat. Mit freundlichem Lächeln begrüßte er das Publikum und erzählte, mit starkem australischem Akzent, ein paar Witzchen, während er geschickt einen Seiltrick vorführte. Er benutzte diesen Seiltrick nur als Einleitung zu seiner Nummer. Nun riet er den Männern im Publikum, auf ihren Blutdruck, und den Frauen, auf ihre Männer aufzupassen, da jetzt seine atemberaubend schöne Assistentin Nina auftreten werde. Als nun Nina graziös auf die Bühne trippelte, stieß Johnny Ironsides mit dem Ellbogen an.

»Bei Gott, Old Iron - er hat nicht gelogen!«

Das Mädchen Nina war wirklich das Ansehen wert. Sie war schlank, graziös, wunderbar gewachsen und hatte ein bezaubernd hübsches Gesicht. Wie Johnny richtig vorausgesagt hatte, war sie recht spärlich bekleidet - in der Tat trug sie nur einen Bikini, zwei bunte kleine Stoffstreifen, die sich reizvoll von ihrer rosigen Haut abhoben.

Sie lächelte ins Publikum und trat dann an ein großes, rechteckiges Brett heran, das fast senkrecht auf der linken Bühnenseite bei den Stufen stand, die vom Zuschauerraum auf die Bühne führten. Daher waren Johnny Lister und Bill Cromwell in der Lage, sie ganz aus der Nähe zu beobachten. Die Arme fest gegen die Seiten gepresst, lehnte sie sich gegen das Brett.

»Du hast doch etwas von einem Baum gesagt!«, flüsterte Ironsides.

»Später, du altes Ekel! Das ist ja nur der erste Teil der Nummer. Jeder Artist hebt sich doch die wirkliche Sensation bis zum Schluss auf.«

Auf der anderen Seite der Bühne hatte sich jetzt Rex Dillon hinter einem niedrigen Tischchen aufgestellt, auf dem zwölf Messer mit blitzenden Klingen in einer Reihe lagen. Sobald Dillon das erste hochhob, erloschen die Rampenlichter, und der mittlere Teil der Bühne wurde völlig dunkel. Nur zwei Scheinwerfer beleuchteten die Szene - der eine strahlte Dillon und der andere das Mädchen an.

Amüsiert überzeugte sich Johnny durch einen Seitenblick, dass sein gelangweilter Freund plötzlich aufs höchste interessiert war. Die Augen auf das Mädchen gerichtet, beugte sich Cromwell mit angespannten Muskeln in seinem Sitz vor.

»Sie sieht nett aus, wie?«, flüsterte ihm Johnny mit gutmütigem Spott zu.

»Mein Gott, hast du denn gar nichts bemerkt?«, gab sein Freund zurück. »Bist du denn ganz blind?«

»Wie? Was war denn da zu bemerken?«

»Sieh dir doch einmal das Mädchen an!« Cromwells Hand krampfte sich um Johnnys Arm. »Natürlich, für das Publikum hat sie ein süßes Lächeln - aber hast du den Blick bemerkt, den sie Dillon zuwarf, bevor sie an ihren Platz ging? Sieh sie dir doch einmal genauer an! Die Röte ihres Gesichts - das wütende Blitzen ihrer Augen - die zusammengepressten Lippen! Sieh nur, wie sich ihre Brust hebt! Dieses Mädchen kocht ja innerlich vor Wut!«

»Na, das ist aber merkwürdig...«

Johnny musste seinem Freund völlig recht geben. Zwar war ihm bis zu diesem. Augenblick nichts Ungewöhnliches aufgefallen, aber als er jetzt Nina genauer beobachtete, erkannte auch er, dass sie in der Tat aufs höchste erregt sein musste.

Auf ein Zeichen Cromwells wandte er jetzt seine Aufmerksamkeit Dillon zu, der auf der anderen Seite der Bühne im Scheinwerferlicht stand. Und er fuhr beinahe erschrocken von seinem Sitz hoch, als er feststellte, dass auch aus den Augen des Australiers wilde Wut leuchtete. Dillon hatte schon das erste Messer geworfen, und dieses Messer, das unsichtbar die verdunkelte Mitte der Bühne durchflogen hatte, bohrte sich knapp neben der Hüfte des Mädchens in das Holz.

»Mir will das gar nicht gefallen!« Cromwell schüttelte missbilligend den Kopf, »Für solche Kunststücke habe ich überhaupt nichts übrig. Diese Messerwerferei ist ja schon eine verdammt gefährliche Sache, wenn die dabei Beteiligten, der Werfer wie seine Assistentin, ruhig und gelassen sind. Aber die beiden hier sind genau das Gegenteil. Dieser Dillon besitzt nicht die Ruhe, die ein Messerwerfer haben sollte, Johnny. Ich werde froh sein, wenn die Nummer vorüber ist.«

Blitzend fuhr das zweite Messer durch die Luft und schlug, dem ersten genau gegenüber, neben der anderen Hüfte des Mädchens in das Holz. Das nächste Messer landete knapp einen Zentimeter über ihrem Kopf. Vielleicht fühlte das Publikum instinktiv, dass etwas in der Luft lag, denn im Zuschauerraum herrschte atemloses Schweigen. Das Orchester hatte zu spielen aufgehört - nur ein dumpfer Trommelwirbel war zu hören, sobald ein Messer durch die Luft sauste.      

Johnny wollte seinem Freund etwas zuflüstern, unterließ es aber, weil er das Gefühl hatte, dass in dieser Stille auch das leiseste Wort wie ein Schrei klingen müsse. Wenn das die Einleitung war - der harmlose Teil der Nummer -, wie musste dann ihr sensationeller Höhepunkt aussehen! Johnny lief schon im Voraus eine Gänsehaut den Rücken hinunter.

Eins nach dem anderen sausten die Messer durch die Luft - von Cromwell unbewusst gezählt. Er zuckte zusammen, als ein Messer ganz dicht am Hals des jungen Mädchens seine Spitze in das Holz bohrte. Das nächste Messer sollte offenbar auf der anderen Seite neben Ninas Hals einschlagen, und Johnny beobachtete gespannt, wie Dillon sich zum Wurf anschickte.

Verdammt! Warum bricht mir eigentlich der Angstschweiß aus? dachte der junge Sergeant fast wütend. Ich benehme mich ja wirklich wie ein dummer kleiner Junge! Schließlich gehört

doch das alles zu einer langen und genau durchgeprobten Nummer! Der Teufel soll Old Iron holen, weil er mir solch idiotische Gedanken in den Kopf gesetzt hat!

Sausend fuhr das Messer durch die Luft, nachdem seine Klinge einen Augenblick im Scheinwerferlicht aufgeblitzt war. Die Spannung war fast unerträglich - als ob eine Tragödie zu erwarten sei.

Und in der nächsten Sekunde geschah die Tragödie wirklich - schnell und grausig.

Der Aufschlag dieses Messers klang etwas anders als die vorherigen. Es schien Johnny fast, als ob er ihn doppelt hörte. Mit einem heiseren Aufschrei erhob er sich von seinem Sitz, als er sah, was geschehen war.

Das Messer hatte das Mädchen in den Hals getroffen, und das Blut schoss in hohem Bogen aus der Wunde.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Zu Johnny Listers Entsetzen war Bill Cromwell aufgesprungen und raste zu der Treppe hin, die auf die Bühne führte.

»Fassen Sie das Messer nicht an!«, schrie er dabei aus Leibeskräften.

Seine laute, befehlsgewohnte Stimme brach das lähmende Schweigen, das über dem ganzen Zuschauerraum lag. Erst jetzt erhoben sich die Leute von ihren Sitzen, Frauen kreischten und Männer schrien. Auf der Bühne rannte Dillon in verständnisloser Bestürzung vorwärts - und inzwischen blieb das unglückliche Mädchen, wie ein Schmetterling an das Holz geheftet, aufrecht stehen.

»Großer Gott!«, stieß Johnny hervor.

Er hatte in. der Vergangenheit schon mehrfach erlebt, wie schnell sein Chef sein konnte. Aber noch nie hatte er den schlaksigen, hageren Chefinspektor so schnell wie jetzt rennen sehen. Mit einem fast akrobatischen Satz stürmte Cromwell die Stufen hinauf, und er war gerade auf der Bühne, als der Vorhang zu fallen begann und das Orchester eine laute Musik anstimmte.

Noch im letzten Augenblick konnte es auch Johnny schaffen; als er hinter Ironsides die Bühne erreichte, senkte sich der Vorhang hinter ihnen. Auf der Bühne wand sich Rex Dillon, der Messerwerfer, in den Händen von zwei Männern, die aus den Kulissen herausgestürzt waren. Aber Ironsides schenkte ihrem Kampf gar keine Beachtung. Mit wenigen Sätzen erreichte er das Holzbrett, fasste das tödliche Messer an der Klinge unterhalb des Griffes und zog es mit einem energischen Ruck aus dem Hals des Mädchens heraus. Darauf folgte ein neuer Blutsturz, und der Körper des Mädchens sank schlaff zu Boden.

Geschickt vermied es Cromwell, von dem Blut bespritzt zu werden. Johnny konnte undeutlich sehen, dass der Chefinspektor seine ganze Aufmerksamkeit auf das Heft des Messers konzentrierte. Aber einen Augenblick später riss er sein Taschentuch heraus, hüllte das Messer sorgfältig in das Tuch ein und drückte Dolch und Tuch Johnny in die Hand.

»Halte das, aber berühre das Heft nicht!«, rief er ihm zu.

Dann kniete er neben dem Mädchen nieder. Dillon, bleich wie der Tod, kämpfte jetzt wie ein Wahnsinniger, so dass die beiden Männer ihn nur mit Mühe festhalten konnten.

»Das ist doch unmöglich!«, stieß der Australier mit heiserer, höchst erregter Stimme hervor. »Ich sage euch, das ist unmöglich! Ich habe doch noch nie fehlgetroffen... Nina! Ist sie schwer verletzt?«

»Beruhigen Sie sich, mein Junge!« Ironsides war wieder aufgestanden. »Nehmen Sie es mit Fassung auf - das Mädchen ist tot.«

»Nein!«, schrie Dillon, und sein Gesicht verzog sich grauenvoll. »Das kann ich nicht glauben! Verdammt noch mal, lasst mich doch los!«

»Ja, lasst ihn ruhig los«, sagte Cromwell.

Die Männer gaben den unglücklichen Messerwerfer frei, aber einer von ihnen sah Cromwell scharf und fragend an.

»Sie kamen vom Zuschauerraum herauf, nicht wahr?«, erkundigte er sich. »Sind Sie Arzt?«

»Nein.«

»Was, zum Teufel, wollen Sie denn dann hier?«

»Polizei.«

»Ach so!«

»Chefinspektor Cromwell - Scotland Yard«, stellte sich Ironsides vor. »Es traf sich glücklich, dass ich in der ersten Parkettreihe in der Nähe der Treppe saß. Ich werde Ihnen später erklären, warum das ein glücklicher Zufall war. Und wer sind Sie?«

»Wallis - Guy Wallis - der Inspizient.«

»Dann walten Sie Ihres Amtes, Mr. Wallis«, herrschte ihn Cromwell an. »Lassen Sie die nächste Nummer ankündigen...«

»Nicht, bevor ich zum Publikum gesprochen habe«, unterbrach ihn der Inspizient, der schon wieder Herr der Situation war. »Bringt sie weg - schnell! Und alle andern - Bühne frei! Einer von euch muss zu den Camillos gehen und dafür sorgen, dass sie in drei Minuten fertig zum Auftritt sind.«

Er schlug den Vorhang beiseite und trat vor das erregte Publikum. Wallis war ein schlanker Mann mittleren Alters, dessen Haar an den Schläfen schon grau wurde. Er benahm sich ruhig und beherrscht. Er hielt die Hand hoch, um sich Gehör zu verschaffen, und sofort trat völlige Stille ein.

»Bitte beruhigen Sie sich, meine Damen und Herren!« Seine feste Stimme drang bis in die letzte Ecke des Zuschauerraums.

»Leider hat sich ein Unglücksfall ereignet, der aber glücklicherweise nicht ernst ist. Die Assistentin von Mr. Dillon wurde verletzt, aber nur leicht. In wenigen Minuten kann die Vorstellung fortgesetzt werden.«

Hörbare Seufzer der Erleichterung kamen von verschiedenen Stellen des Zuschauerraums, und dann brach Applaus los. Auf eine Handbewegung von Wallis hin begann das Orchester zu spielen, und nun trat der Inspizient wieder hinter den Vorhang zurück.

»Scheußlich!«, murmelte er, zog sein Taschentuch heraus und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich musste dem Publikum ja etwas vorlügen! Etwas anderes blieb mir doch gar nicht übrig. Sind die Camillos zum Auftritt fertig? Ja? Gut!«

Wenige Minuten später lief im Theater dem Anschein nach wieder alles seinen normalen Gang. Ein Clown-Trio mit Musikinstrumenten war aufgetreten. Hinter den Kulissen sah Wallis Rex Dillon neben der Toten knien, die - mit einem Mantel zugedeckt - auf der Erde lag. Dillon zitterte am ganzen Leib und stieß unzusammenhängende Worte aus.

»Nehmen Sie sich doch zusammen«, sagte Wallis freundlich. »Ihnen macht ja niemand einen Vorwurf. Ihre Hand war eben nicht ruhig...«

»Sie war ruhig!« brach es aus Dillon heraus. »In den ganzen Jahren hat sie von den Messern noch nicht einmal einen Kratzer bekommen! Ich weiß gar nicht, wie das möglich war! Sind Sie sicher, dass meine Frau tot ist?«

Bill Cromwell sah ihn scharf an.

»Ihre Frau?«

»Ja, Nina ist meine Frau.«

»Mein Beileid«, sagte Ironsides ruhig. »In ein paar Minuten wird ein Arzt hier sein. Ich kann Ihnen aber keine Hoffnung machen; Ihre Frau war auf der Stelle tot. Das Messer traf die Halsschlagader. Aber sie hat kaum Schmerz gefühlt.«

»Dann sei mir Gott gnädig«, murmelte der Australier gebrochen.

Das Schweigen, das seinen Worten folgte, war umso bedrückender, als von der Bühne die grelle Musik der Clowns, vermischt mit dem Gelächter aus dem Zuschauerraum, tönte. Dann brach Guy Wallis das Schweigen.

»Jim, geh mit Mr. Dillon in seine Garderobe und gib ihm einen großen Cognac zu trinken«, sagte er zu dem Mann, der mit ihm den Messerwerfer festgehalten hatte. »Wir werden Ihre Frau auch bald hinbringen«, fügte er, an Dillon gewandt, hinzu. »Aber zunächst wird die Polizei das wohl noch nicht zulassen.«

Dillon gab ihm keine Antwort; er blieb wie vor den Kopf geschlagen, unfähig, sich zu bewegen, stehen.

»Es war wirklich furchtbar«, sagte Wallis in einem plötzlichen Ausbruch der Erregung. »Wer, sagten Sie, sind Sie?« Er sah Ironsides fragend an. »Von Scotland Yard?«

»Chefinspektor Cromwell. Das ist mein Assistent, Sergeant Lister.«

»Entschuldigen Sie, wenn ich etwas schwer von Begriff bin«, meinte Wallis verwundert. »Aber Sie waren doch schon Sekunden nach dem Unglück auf der Bühne, Mr. Cromwell. Wie kam denn das?«

»Wir sind nicht im Dienst - waren nur zur Vorstellung gekommen und saßen zufällig in der vordersten Reihe«, fiel Johnny Lister ein. »Als das Messer dem Mädchen in den Hals fuhr, stürzte Mr. Cromwell auf die Bühne...«

»Ja, das erklärt natürlich alles«, unterbrach ihn der Inspizient. »Mir war bloß unverständlich, wie so rasch ein hoher Beamter von Scotland Yard auf der Bildfläche erscheinen konnte. Aber Sie können hier ja leider nichts tun, Mr. Cromwell. Hier handelt es sich doch um einen jener unvorhersehbaren Unglücksfälle...« Er brach ab und sah Dillon scharf an. »Es war doch ein Unglücksfall, Mr. Dillon?«

»Ich habe keine Ahnung - kann es mir gar nicht erklären«, murmelte der Australier. »Seit Jahren arbeite ich nun schon als Messerwerfer - lange, bevor ich Nina heiratete und ich habe nie jemanden verletzt.«

Cromwell sah ihn prüfend an, und Johnny wusste, dass der Chefinspektor sich jetzt an die wilde Wut in Dillons Augen bei seinem Auftreten erinnerte. Nun war von dieser Wut allerdings nichts mehr zu sehen; der Artist war nur noch verstört.

Wallis räusperte sich. Er war sich der Gegenwart der Leute bewusst, die hier herumstanden und die alle von der Tragödie ergriffen waren. Einige der spärlich bekleideten Tänzerinnen schluchzten sogar.

»Es ist mir peinlich, davon zu sprechen, Dillon«, sagte der Inspizient, der jetzt die Anrede Mister fallen ließ; in seine Stimme kam ein scharfer, befehlender Ton. »Vielleicht haben Sie vor Ihrem Auftritt getrunken. War das etwa der Fall? Es würde erklären, warum Ihre Hand nicht sicher war.«

»Ich war aber keineswegs betrunken, wenn Sie das annehmen sollten.« Dillon war höchst beleidigt. »Ich habe nur ein Glas Bier getrunken, und das ist auch schon eine Stunde her. Und das Unglück passierte doch während des einfacheren Teils meiner Nummer - ganz zu Anfang, in dem Teil, den ich beinahe im Schlaf kann. Erst das Zerschneiden der Stricke, das später kommt, ist ja wirklich gefährlich, und erst dabei muss ich wirklich vorsichtig sein. Ich kann einfach nicht verstehen, wie so etwas passieren konnte...« Seine Stimme sank zu einem Flüstern herab. »Ich kann es einfach nicht fassen!«

»Jedenfalls traf nun aber das Messer, das Sie warfen, Ihre Frau in den Hals.« Wallis zuckte die Achseln. »Ich muss jetzt Mr. Eccles Bericht erstatten...« Er sah sich um. »Ich verstehe gar nicht, dass er noch nicht hier ist; er muss doch jetzt schon von dem Unglück erfahren haben. - Hören Sie, Dillon«, fügte er ernst hinzu, »Sie sind sich doch ganz sicher, dass es nur ein unglücklicher Zufall war?«

Dillon fuhr auf.

»Was meinen Sie damit?«

»Verdammt, Sie machen es mir wirklich schwer«, erwiderte Wallis ärgerlich. »Hier weiß doch jeder, dass Sie sich vor dem Auftritt mit Ihrer Frau heftig gestritten haben. Hatte dieser Streit vielleicht etwas mit dem - unglücklichen Zufall zu tun? Das Benehmen von Ihnen beiden, als Sie auf die Bühne kamen, gefiel mir gar nicht...«

»Das ist doch zum Wahnsinnigwerden!«, schrie Dillon mit hochrotem Gesicht. »Sie hat mich zwar in Wut gebracht, das falsche Luder...« Er brach ab, wie über seine eigenen Worte betroffen. »Ach, das hätte ich nicht sagen sollen!« Er sah sich verwirrt um. »Ich war ja wirklich erregt, aber das konnte meine Hand nicht unsicher machen.«

»Hören Sie, mein Junge, Sie sollten mit Ihren Worten vorsichtiger sein,«, riet ihm Wallis. »Diese Herren hier sind Beamte von Scotland Yard. Vermeiden Sie, bei ihnen einen falschen Eindruck zu erwecken.«

»Sie meinen... weil ich mit Nina Streit hatte?«             

»Sie schäumten ja geradezu vor Wut, als Sie aus Ihrer. Garderobe kamen«, erinnerte ihn Wallis. »Ich musste Ihnen doch noch verbieten, so laut zu schreien.«

»Gewiss, Mr. Wallis, wir hörten die beiden ja auch!« Eine der Tänzerinnen drängte sich nach vorn. »Wir hörten schon, wie sie sich in ihrer Garderobe zankten. Sie machten gerade die Tür auf, als Joyce und ich dort vorbeikamen, und wir hörten, wie Mr. Dillon so etwas sagte wie: Wenn du dich nicht anständiger benimmst, dann werde ich eben eins meiner Messer ein bisschen ausgleiten lassen. So war es doch, nicht wahr, Joyce?«

»Ja«, bestätigte eine andere Tänzerin. »Das habe ich auch ganz deutlich gehört!«

Auf ihre Feststellung folgte ein betretenes Schweigen.

»Hm...«, meinte Bill Cromwell schließlich. »Das hat Mr. Dillon also gesagt, wie? Haben Sie etwas dazu zu bemerken, Mr. Dillon?«

»Ich mag es gesagt haben - ich weiß es nicht -, ich war eben wütend«, murmelte der Australier. »Aber selbst wenn ich es gesagt habe, so meinte ich das doch nicht im Ernst. Wir reden doch alle wildes Zeug, wenn wir wütend sind. Das Messer, das ich warf, sollte genau neben ihrem Hals einschlagen...«

»Dann war es eben schlecht gezielt, denn es traf sie direkt in den Hals«, bemerkte Wallis ungeduldig. Er sah sich unbehaglich um. »Ich wünschte nur, Mr. Eccles wäre schon hier!«

»Wer ist denn Mr. Eccles?«, fragte Cromwell.

»Mr. Howard Eccles, der Direktor unseres Varietés.«

»Bei den Messern kann kein Versehen vorgekommen sein, Mr. Wallis«, mischte sich hier der Mann ein, der mit Jim angeredet worden war. Es war Jim Sales, der Mann, der für die Requisiten verantwortlich war. »Ich habe nämlich die Messer nachgezählt, als der Vorhang fiel. Zwölf Messer lagen auf dem Tischchen, bevor die Nummer begann. Ich hatte s.ie, wie immer vor Mr. Dillons Auftreten, geordnet hingelegt. Sieben Messer steckten noch im Brett, und das achte wurde aus - wurde von diesem Herrn hier herausgezogen. Als ich zu dem Tischchen trat, lagen noch vier Messer dort. Also vier und sieben und eins - das sind die zwölf Messer.«           

»Das bedeutet also, dass das Messer, das Ihre Frau tötete, Dillon, das achte war, das Sie geworfen haben«, sagte Wallis. »Das ist doch eine Tatsache, um die Sie nicht herumkönnen.«