Das Alpenkorps an der Dolomitenfront - Immanuel Voigt - E-Book

Das Alpenkorps an der Dolomitenfront E-Book

Immanuel Voigt

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Beschreibung

Wie konnte aus den bisher im Gebirge unerfahrenen Männern des Alpenkorps eine schlagfertige, „elitäre“ Truppe werden? Welche Rolle spielte dabei der Einsatz in Südtirol, und wie wurden die deutschen „Bundesbrüder“ in der Erinnerung der Zwischenkriegs- und NS-Zeit dargestellt? Das vorliegende Buch stellt erstmals die Frage nach der Wahrnehmung des Alpenkorps in der Literatur zwischen 1916 und 1939 und setzt sie in Beziehung zu den vorhandenen Archivmaterialien. Die Untersuchung liefert eine realistische Einschätzung der Verhältnisse, unter denen das Alpenkorps 1915 in Südtirol eingesetzt wurde, und rückt damit den „Mythos“, mit dem die erste deutsche Gebirgstruppe bis heute umgeben wird, zurecht.

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Die Drucklegung dieses Buches wurde ermöglicht durch die Südtiroler Landesregierung/Abteilung Deutsche Kultur, die Nordtiroler Landesregierung/Abteilung Kultur und durch die Autonome Region Trentino-Südtirol in Zusammenarbeit mit dem Tiroler Geschichtsverein.

Zur Erinnerung an Paul Voigt

(1889–1919)

Inhalt

Vorwort von Hans Heiss:

„Bayerisch-tirolische Waffenbrüderschaft“? Das Alpenkorps 1915 in Tirol.

Einleitung

Die Situation am Vorabend des italienischen „Intervento“

Die Verhandlungen zwischen Österreich-Ungarn und Italien bis zur Kriegserklärung

Italiens Kriegsvorbereitungen und Kriegsziele

Österreich-Ungarns Reaktionen auf die Verhandlungen mit Italien

Kriegsschauplatz Hochgebirge

Besonderheiten und Herausforderungen des Gebirgskrieges

Der Frontverlauf

Die Aufstellung des Alpenkorps

Die deutsche Gebirgstruppe entsteht

Die Verbände des Alpenkorps 1915

Konrad Krafft von Dellmensingen „Führer des Alpenkorps“

Erster Einsatz in Südtirol

Die militärische Lage der Mittelmächte nach dem „Intervento“

Ankunft in Südtirol, Streit um die Verwendung des Alpenkorps und erste Kampfhandlungen

Die Haltung der deutschen Soldaten zur Südtiroler Zivilbevölkerung, zu den Italienern und die persönlichen Wahrnehmungen der Männer während des Einsatzes in Tirol

Exkurs „Edelweiß“

Schwierigkeiten und Probleme im Gebirge

Exkurs „deutsch-österreichische Waffenbrüderschaft“

Abschied aus Südtirol. Oktober 1915

Die Ablösung des Alpenkorps in Südtirol

Die Erinnerung in Literatur und Film

Das Bild des Alpenkorps in der Erinnerungsliteratur

Das Bild des Alpenkorps im Film („Standschütze Bruggler“)

Schlussbetrachtung

Anmerkungen

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Quellen- und Literaturverzeichnis

Bildnachweis

Dank

„Bayerisch-tirolische Waffenbrüderschaft“? Das Alpenkorps 1915 in Tirol.

Nach der Kriegserklärung des Königreichs Italien an Österreich-Ungarn erhielten die schwachen österreichischen Truppenverbände und die einrückenden Standschützen unerwartete, aber willkommene Verstärkung. Bereits am letzten Maitag 1915 schilderte Zeitzeuge Anton von Mörl, später Sicherheitsdirektor von Tirol, fasziniert das Eintreffen einer motivierten Truppe, die den Tirolern den Rücken stärkte:

„Am Morgen des 31. Mai kam ein bayerisches Jägerbataillon gegen Sexten anmarschiert. Für uns ein ungewohntes Bild. Die Kompanien dicht geschlossen, jede Doppelreihe mit der Nase beinahe auf dem Tornister der Vorderen. Die Kompanien in strengem Schritt und gleichen Abständen. […] Die hohen Stiefel rauschten im Takt einer Maschine durch den grundlosen Kot der Sextener Straße […]. Uns allen aber schien diese unentwegt durch Regen und Kot marschierendeTruppe mit dem unwiderstehlichen Rhythmus ihres Marsches wie ein Symbol der deutschen Armee.“

Es waren Verbände des Alpenkorps, die den jungen Mörl beeindruckten. Sie waren in kürzester Zeit aus der deutschen Westfront herausgelöst und nach Tirol abtransportiert worden. Regisseur der Operation war der deutsche Oberkommandant Erich von Falkenhayn, der die im Süden von Italien kalt überraschten österreichischen „Waffenbrüder“ zu stärken suchte, aber auch Süddeutschland decken sollte. Zugleich zielte die Aktion Falkenhayns nicht nur auf militärische Bundeshilfe: Seit geraumer Zeit war er in Konflikt mit dem bayerischen General Konrad Krafft von Dellmensingen. Der Einsatz eines großen, überwiegend bayerischen Verbandes unter dem Kommando Kraffts schaffte Falkenhayn einen lästigen Partner vom Hals, der mit der neuen Aufgabe sogar avanciert schien. Die Bayern nahmen das als Beförderung getarnte Abschieben durchaus positiv auf: Für das bayerische Könighaus und Generalleutnant Krafft von Dellmensingen bot der Einsatz im Süden eigene Gestaltungschancen und Freiräume.

Um solche Hintergründe scherte man sich in Tirol wenig, sondern freute sich vor allem über die unerwartete Verstärkung. Zug um Zug rollte das rasch formierte Alpenkorps bereits Ende Mai von Bayern in Richtung Brenner, bis die Einheiten in Bozen und Brixen auswaggoniert wurden. Neben dem Bahntransport kamen die Deutschen auf vielen Lastwagen und Motorfahrzeugen ins Land, da das Alpenkorps zu den bestmotorisierten Truppen zählte.

Das Korps erreichte eine Stärke von rund 26000 Mann, die sich in 13 Bataillonen formierten. Der „Führer des Alpenkorps“, Generalleutnant Krafft von Dellmensingen, kannte Tirol und seine Berge von Jugend an, zumal seine Eltern in Meran begraben waren. Sein Stab bezog vorerst Quartier im Hotel zum „Elephanten“ in Brixen, wo sich im Gästebuch von 1915 heute noch seine markante Unterschrift findet.

Das Buch des jungen, aus Jena stammenden Historikers Immanuel Voigt schildert in seiner knappen, alle wichtigen Fragen behandelnden Darstellung den Einsatz des Alpenkorps in Tirol: die großen strategischen Voraussetzungen im Mai 1915, die keinesfalls einfache Aufstellung des Korps, das sich erst zur Gebirgstruppe formieren musste, zumal es eine solche Einheit im Deutschen Heer bisher nicht gab. In der Darstellung von Immanuel Voigt gewinnen die Herausforderungen des Gebirgskrieges besondere Anschaulichkeit, da hier deutlich wird, mit welchen Schwierigkeiten ein Einsatz im Hochgebirge verbunden war. Der Autor beschreibt mit besonderer Sorgsamkeit die sensible Position des Alpenkorps als militärische Einheit des Deutschen Reiches, das sich mit Italien noch nicht im Krieg befand. Dies war erst 1916 der Fall. Die nur bis Oktober 1915 währende Mission des Korps zwischen Deckung und echtem Gefechtseinsatz war eine stete Gratwanderung, zumal seine Einheiten und sein Kommando sich auch mit den Verbündeten der k. u. k. Armee und den Verbänden der Tiroler Standschützen abstimmen mussten.

Umso mehr Bedeutung gewann der Kommandierende des Alpenkorps, Konrad Krafft von Dellmensingen, dessen Biografie und Profil als „Führer des Alpenkorps“ der Autor Voigt ausführlich würdigt. „Exzellenz Krafft“ war ein schneidiger und entschiedener Befehlshaber, mit dem Gebirge vertraut, für die „österreichischen Waffenbrüder“ nicht durchwegs pflegeleicht, aber von großer Effizienz, wie er dann später auch in weiteren Einsätzen des Alpenkorps in Serbien, vor Verdun oder in Rumänien bewies. Sein militärischer Ruhm wurde freilich durch seine Rolle im Dritten Reich dauerhaft verdunkelt, zumal er auch durch einen aggressiven Antisemitismus auffiel, auf den der Krafft-Biograf Thomas Müller hingewiesen hat.

Die Arbeit von Immanuel Voigt besticht durch eine sorgsame Analyse der Erinnerung an den Einsatz des Alpenkorps. Die ideologische Verklärung als „deutsch-österreichische Waffenbrüderschaft“ und als Ausdruck der Verbindung Tirol-Bayern wird durch den eingehenden Blick auf die Erinnerungsliteratur und von deutschnational gefärbten Filmen wie „Standschütze Bruggler“ kritisch hinterfragt.

Immanuel Voigt wagt sich auf sorgfältig erschlossener Quellengrundlage erneut an das vielfach behandelte Thema des Alpenkorps heran. Seine Verbindung von Fragen der Militärgeschichte und Landeshistorie mit dem großen Umfeld des Ersten Weltkriegs ist ebenso verdienstvoll wie die erinnerungs- und kulturgeschichtliche Dimension, die er in seinen Band einbringt. Besondere Anerkennung gilt dem ausführlichen Bildteil, der mit zahlreichen, bisher unveröffentlichten Fotografien aus privaten Archiven und eigener Sammlung aufwartet.

Im Rahmen des Großen Krieges war der Tiroler Einsatz des Alpenkorps eine Episode, die sich im Vergleich zu späteren Kämpfen nur allzu leicht verklären ließ. Immanuel Voigt legt nun ein Buch vor, das sich durch sachliche Argumentation überzeugend gegen solche Verklärung und Verzerrung richtet, dem ich eine große Leserschaft wünsche.

Hans Heiss

Das Bild zeigt Angehörige des Jäger-Regiments Nr. 3 beim Anmarsch in Südtirol 1915, in der Nähe von Kardaun. Bei dem Kirchlein handelt es sich um die St.-Justina-Kirche oberhalb von Bozen in Richtung Ritten.

Einleitung

Am Pfingstsonntag 1915 begann sich der Erste Weltkrieg auch auf die Berge der Alpen auszuweiten. Keine der kriegführenden Nationen war auf diese Situation ausreichend vorbereitet, da die Erfahrung für solch einen Fall gänzlich fehlte. Nie zuvor wurde im Hochgebirge über einen längeren Zeitraum Krieg geführt. Bisher versuchten die Militärs derartiges Gebiet zu meiden, da die Meinung vorherrschte, dass ein Krieg im Gebirge schwierig zu führen sei und wenig Erfolg verspreche. Das Deutsche Reich verfügte bis 1915 über keine Gebirgstruppe, da man diese für unnötig hielt. Als sich allerdings 1915 die Lage zuzuspitzen begann und ein drohender Krieg mit Italien unvermeidlich schien, entschloss man sich, auch in Deutschland eine Gebirgstruppe aufzustellen, um die eigenen Grenzen im Süden im Falle eines Falles zu schützen sowie den Österreichern gegen Italien Unterstützung zu gewähren. Somit stellt die Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn zugleich die Geburtsstunde der deutschen Gebirgstruppe und speziell des Alpenkorps dar.

Das vorliegende Buch zeigt und bewertet in den ersten Kapiteln die Eigenheiten des Kriegsschauplatzes Hochgebirge, um den Unterschied zum ebenen Kriegsschauplatz hervorzuheben. Zudem unterscheidet sich das Alpenkorps von anderen Einheiten des deutschen Heeres im Ersten Weltkrieg. Diese Unterschiede und Besonderheiten werden ebenfalls verdeutlicht. Um dem Leser ein besseres Verständnis für die Zeit der Entstehung und den ersten Einsatz des Alpenkorps zu geben, wird zu Beginn der historische Zusammenhang aufgezeigt.

In diesem Kontext führt das Buch das Verhältnis zwischen Italien und Österreich-Ungarn am Vorabend der italienischen Kriegserklärung vor Augen, beschäftigt sich daneben mit der militärischen Lage der Mittelmächte im Frühjahr 1915 und analysiert spezielle Aspekte, welche im unmittelbaren Zusammenhang mit dem sogenannten „Einsatz in Tirol“ stehen. So findet sich zum Beispiel eine Betrachtung über das „Edelweiß“-Abzeichen an der Kopfbedeckung der Soldaten des Alpenkorps, welches die Männer deutlich vom Rest der deutschen Armee abhob, oder eine Analyse über die schon während des Krieges viel gerühmte „deutsch-österreichische Waffenbrüderschaft“ ebenfalls in diesem Buch. Der „Führer des Alpenkorps“, Generalleutnant Konrad Krafft von Dellmensingen, wird dem Leser in einem eigenen Abschnitt nähergebracht. Vor allem sein persönliches Kriegstagebuch, welches er über den Einsatz in Tirol schrieb, ist äußerst aufschlussreich und bildet eine sehr interessante, zeitgenössische Quelle.

Männer der Kraftwagen-Kolonne 695 stehen vor dem „Gasthaus Ladinien“ in Stern (La Villa).

Darüber hinaus ist der Einsatz in Tirol operationsgeschichtlich dargestellt, das heißt, der Leser findet einzelne Aspekte zu den Einsatzbereichen des Alpenkorps. Dabei werden besonders Aufgaben und Probleme berücksichtigt, deren Bewältigung half, aus dem Alpenkorps eine Gebirgstruppe entstehen zu lassen.

Der Gebirgskrieg in den Alpen von 1915 bis 1917 spielt in der deutschen Weltkriegsforschung bis heute eine sehr geringe Rolle. Ebenso finden sich nur recht wenige wissenschaftliche Werke, die sich mit der ersten deutschen Gebirgstruppe, dem Alpenkorps, beschäftigen. Vornehmlich populärwissenschaftliche Literatur bestimmte lange das Bild über den Alpenkrieg und ebenso über das Alpenkorps. Dagegen ist der Krieg im Alpenraum und dessen Wahrnehmung an der sogenannten „Heimatfront“ in den letzten Jahren vor allem in Österreich (speziell in Tirol) in den Fokus der Forschung gerückt.

Im zweiten Teil versucht das vorliegende Buch, eine Lücke zu schließen, in dem mittels ausgewählter Werke das Bild untersucht wird, welches in der Zwischenkriegszeit über das Alpenkorps entstand und vermittelt wurde. Dieses Bild trug vornehmlich dazu bei, einen „Mythos“ über das Alpenkorps zu tradieren, der sich sehr lange unreflektiert halten konnte. Deshalb werden die Motive der Autoren betrachtet, um diese an Hand einzelner Textbeispiele nachzuweisen und zu bewerten.

Die abschließende Untersuchung zur Darstellung des Alpenkorps befasst sich mit dem Film „Standschütze Bruggler“ von 1936 und analysiert die darin enthaltenen Szenen über das Alpenkorps. Der Film bildet die einzige kinematografische Quelle dieser Art, in welcher das Alpenkorps während seines Einsatzes in Tirol verarbeitet wurde.

Die Artilleriebeobachtungsstelle der Garde-Feldartillerie-Abteilung 204 auf dem Hexenstein (Sasso di Stria). Beachtenswert ist, dass beide Männer mit der Bronzenen Tapferkeitsmedaille der Österreicher ausgezeichnet wurden.

Das vorliegende Buch entstand aus der für eine breite Leserschaft überarbeiteten und erweiterten Magisterarbeit des Verfassers aus dem Jahr 2010/11. Es versucht, einen neuen Blick auf die Wahrnehmung der ersten deutschen Gebirgstruppe zu schaffen und den „Mythos“ des Alpenkorps genauer zu untersuchen und zu korrigieren. Dabei steht der erste Einsatz des Alpenkorps in Südtirol 1915 im Mittelpunkt. Gleichzeitig möchte diese Arbeit eine realistische Einschätzung der Verhältnisse liefern, unter denen das Alpenkorps zwischen Mai und Oktober 1915 in Südtirol eingesetzt wurde, um dem Leser zu zeigen, dass auch das Alpenkorps eine Lern- und Ausbildungsphase durchlaufen musste und keineswegs von Beginn an eine ausgezeichnete und ausgereifte Gebirgstruppe darstellte, wie dies bisher sehr oft behauptet wurde.

Immanuel Voigt

Jena, im Sommer 2014

Die Situation am Vorabend des italienischen „Intervento“

Die Verhandlungen zwischen Österreich-Ungarn und Italien bis zur Kriegserklärung

Im Folgenden wird dem Leser die Situation der Mittelmächte und Italiens bis zur Kriegserklärung am 23. Mai 1915 aufgezeigt. Zunächst werden die Verhandlungen zwischen Österreich-Ungarn und Italien im Mittelpunkt stehen. Im Anschluss sollen die Kriegsvorbereitungen und Kriegsziele Italiens verdeutlicht werden. Abschließend wird der Fokus auf Österreich-Ungarn gelegt und es werden dessen Reaktionen und erste Maßnahmen betrachtet.

Nachdem im August 1914 der Erste Weltkrieg ausgebrochen war, verhielt sich Italien zunächst neutral. Dennoch war der Dreibund, in dem Italien mit Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich seit 1882 vereint war, faktisch schon 1914 „virtuell tot“1. Das von einem wenig freundschaftlichen Verhältnis geprägte Bündnis, vor allem zwischen Italien und Österreich-Ungarn, verstärkte das Misstrauen beider Länder zusehends. So rechnete man von österreichischer Seite bereits kurz nach Kriegsbeginn im August 1914 damit, dass trotz der Neutralitätsbekundungen Italiens ein Angriff auf Südtirol erfolgen könnte. Dies zeigt deutlich, dass sich Italien schon in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zunehmend vom Dreibund abgegrenzte. Bereits vor 1914 hatten die italienischsprachigen Gebiete um Trient und Triest als Bezugspunkte der Irredenta (Ideologie, welche das Ziel hat, möglichst alle Gebiete, die zu einer Ethnie gehören, in einem gemeinsamen Staat zu vereinigen) eine besondere Bedeutung für Italien. Sie sollten dem italienischen Staat hinzugefügt werden, um die nationale Einheit, das Risorgimento, zu vollenden. Auf italienischer Seite war man der Auffassung, dieses Ziel in einem kurzen und begrenzten Feldzug gegen Österreich-Ungarn relativ leicht durchführen zu können. Hans-Jürgen Pantenius bemerkt: „Es war eine Art Theorie des begrenzten Konfliktes mit der Absicht, die Kriege des Risorgimento mit einem letzten leichten Erfolg zu krönen und die ‚Unerlösten Gebiete‘ ohne große Blutopfer den bisherigen Erwerbungen hinzuzufügen.“2

Daher schien der Kriegsausbruch 1914 einen willkommenen Anlass zu liefern, dieses Ziel durchzusetzen. Obwohl Italien offiziell seine Neutralität bekundete, arbeitete es insgeheim an der Kriegsvorbereitung seines Heeres sowie an einer allgemeinen Aufrüstung. Die Beziehungen zwischen Italien und der Habsburgermonarchie begannen sich weiter zuzuspitzen, nachdem die Italiener im September 1914 für den Einmarsch in Serbien Kompensationen nach Artikel VII des Dreibundvertrages von Österreich-Ungarn forderten. Bereits zu diesem Zeitpunkt war man sich auf italienischer Seite einig, dass ein Kriegseintritt und die Vollendung des Risorgimento nur an der Seite der Entente-Mächte erfolgen könne. Vor allem der für die Mittelmächte bis dahin ungünstige Kriegsverlauf, der nicht mit einem schnellen Sieg geendet hatte, trug zu dieser Entscheidung maßgeblich bei.

Im Oktober 1914 sprach der italienische Ministerpräsident Antonio Salandra von einem „sacro egoismo“, welcher künftig das Handeln Italiens bestimmen werde. Zu Beginn des Jahres 1915 erneuerten die Italiener ihre Forderungen nach der Abtretung des Trentino, der Grenze bis zum Brenner sowie Teilen Istriens. Der weiterhin ungünstig verlaufende und kräftezehrende Krieg für die Mittelmächte hatte Italien in diesen Forderungen erneut bestärkt. Der österreich-ungarische Außenminister Baron Burián lehnte die Forderungen, welche in den Augen Österreich-Ungarns als „Erpressungsversuch“ gesehen wurden, dagegen strikt ab. Die Regierung in Rom verlor hingegen die Geduld und begann die Verhandlungen um einen möglichen Kriegseintritt aufseiten der Entente. Um auch weiterhin die Neutralität Italiens zu sichern, kam man auf deutscher Seite zu der Überzeugung, dass dies nur durch die Bewilligung weiterer Zugeständnisse gelingen würde. Somit drängte das Deutsche Reich Österreich-Ungarn Anfang März 1915, die Verhandlungen mit Italien über Gebietsabtretungen wiederaufzunehmen. Cletus Pichler, seines Zeichens ehemaliger Generalstabschef des Landesverteidigungskommandos Tirol, drückt die Situation aus Sicht der Österreicher drastisch aus: „Von Deutschland rücksichtslos gedrängt, die Neutralität des falschen Bundesgenossen zu erkaufen, mußte Österreich-Ungarn zustimmen […].“3

Ende März 1915 verlangte Italien die sofortige Abtretung ganz Südtirols bis zum Brenner sowie der Städte Görz und Gradiska. Von österreichischer Seite war man keinesfalls gewillt, diesen Forderungen nachzukommen. Vor allem die sofortige Abtretung ließ Zweifel aufkommen, dass Italien seine Neutralität wahren würde. Zudem versuchte Wien, diese Forderung weiter zu verzögern, indem man auf die juristischen und administrativen Probleme einer sofortigen Abtretung verwies. Das Deutsche Reich beharrte hingegen weiterhin darauf, zumindest einen Kompromissvorschlag durchzusetzen, um den drohenden Krieg zu vermeiden. Auf deutscher Seite war man sich sicher, dass ein Krieg mit Italien in einer Katastrophe enden würde. Generalstabschef Erich von Falkenhayn, aber auch der deutsche Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg teilten diese Ansicht.

Unterdessen wurden die Verhandlungen der Entente mit Italien immer intensiver. Italien sollte schlussendlich mit der Zusage der betreffenden Gebiete zu einem Kriegseintritt bewegt werden. Darüber hinaus versprachen die Entente-Staaten weiteren Gebiets-sowie Machtzuwachs für Italien. Matthias Rettenwander schlussfolgert ebenfalls aus österreichischer Perspektive: „Die Entente hatte die österreichisch-ungarischen Zugeständnisse bei Weitem überboten und erhielt im Länderschacher schließlich den Zuschlag. Es war ein Zuschlag an den Meistbietenden, ganz im Sinne des sacro egoismo Salandras.“4

Am 26. April 1915 unterzeichnete Italien den „Londoner Geheimvertrag“ mit den Entente-Mächten. In diesem Abkommen versicherte Italien, dass es binnen eines Monats an der Seite der Entente in den Krieg eintreten würde. Im Gegenzug sollte das savoyische Königreich umfassende Territorialgewinne erhalten, etwa das bereits erwähnte Südtirol bis zum Brenner, ferner Gebiete in Istrien, Dalmatien sowie einige adriatische Inseln. Bereits vor dem Vertragsabschluss hatte man Italien aufgefordert, Anfang April 1915 den Kriegseintritt aufseiten der Entente zu erklären. Allerdings zwangen zum einen die Roh stoffabhängigkeit von England und zum anderen das bis dahin noch nicht voll ausgerüstete und mobilisierte Heer Italien dazu, den Kriegseintritt für frühestens Mitte Mai 1915 zu versichern.

„Todesanzeige für den Bundesgenossen Italien“ – aus deutscher Sicht dargestellt: Obwohl an das Deutsche Reich 1915 noch keine Kriegserklärung ergangen war, nutzte man das Ereignis dennoch für die eigene Kriegspropaganda gegen Italien.

Österreich-Ungarn und auch Deutschland war bekannt, dass Italien am 26. April 1915 einen Vertrag mit der Entente unterzeichnet hatte. Die Annahme ging allerdings dahin, dass Italien sich eine vierwöchige Frist erbeten habe, um das Inkrafttreten des Vertrages zu überdenken. Diese Annahme erwies sich als krasse Fehleinschätzung, da Italien unverzüglich zum Krieg rüstete. Die letzten Wochen vor der Kriegserklärung waren auf österreichisch-ungarischer Seite von der schwachen und ungewissen Hoffnung geprägt, dass sich der drohende Krieg noch verhindern ließe. Dies führte aber auch zu einem äußerst vorsichtigen Verhalten gegenüber Italien. Ein Beispiel dafür, auf das später noch genauer eingegangen wird, stellt die Befestigung der Grenze zu Italien dar. Aus Angst, Italien könne vorzeitig den Krieg erklären, wurde die gemeinsame Grenze kaum oder gar nicht befestigt, in dem Sinne, dass Schützengräben, Drahtverhaue, Unterstände und dergleichen errichtet wurden. Darunter zählen allerdings nicht die Festungen und Sperrforts, welche die wichtigsten Zugangswege nach Tirol sicherten, da diese bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts errichtet wurden.

„Traueranzeige für Italien“ – aus österreichisch-ungarischer Sicht dargestellt: Österreich-Ungarn nutzte die Kriegserklärung Italiens für propagandistische Stimmungsmache im eigenen Volk, für einen „gerechten“ und „aufgezwungenen“ Krieg.

Erst kurz vor Ablauf der vierwöchigen Frist war die Unausweichlichkeit des Kriegseintritts Italiens den Militärs bewusst geworden. General Krafft notiert am 20. Mai 1915 in sein Tagebuch: „Man scheint zu lange gehofft zu haben, der Krieg würde sich vermeiden lassen. Nun ist Tirol eigentlich schutzlos.“5 Er behielt recht. Am 23. Mai 1915 erklärte Italien Österreich-Ungarn den Krieg. Eine Kriegserklärung an das Deutsche Reich erfolgte vorerst nicht.

Italiens Kriegsvorbereitungen und Kriegsziele

Bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte es sowohl auf italienischer als auch auf österreichisch-ungarischer Seite geheime Pläne für einen Angriff auf den jeweils anderen Verbündeten gegeben. Allein dieser Umstand zeigt deutlich das schlechte Verhältnis zwischen den beiden Staaten, welches durch gegenseitiges Misstrauen geprägt war. 1912 erstellte der damalige italienische Generalstabschef Alberto Pollio einen Angriffsplan für einen Krieg gegen Österreich-Ungarn. Dieser Plan wurde 1913 nur wenig verändert und sah folgende Gliederung vor: Italien greift mit vier Armeen in zwei Richtungen an. Die 1. und 4. Armee sollten Südtirol bis ins obere Cadore angreifen, wobei die 4. Armee den Auftrag zum Angriff erhielt und die 1. Armee defensiv bleiben sollte. Für die 2. und 3. Armee war der Einsatzraum vom Piave bis zur Adria vorgesehen. Die 2. und 3. Armee sollten die Hauptstreitkräfte bilden. Zusätzlich sollte ein Korps als Heeresreserve bei Padua bereitgehalten werden, ein weiteres Korps war für einen etwaigen Einsatz gegen die Schweiz gedacht, und schließlich verblieben ein Korps und eine Division in Inneritalien, welche etwaige Landungsunternehmen vereiteln sollten. Als Pollio im Sommer 1914 starb, wurde Graf Luigi Cadorna sein Nachfolger und blieb bis 1918 Generalstabschef des italienischen Heeres. Der fortschreitende Kriegsverlauf veranlasste Cadorna dazu, den Angriffsplan folgendermaßen den Gegebenheiten anzupassen: Die zweieinhalb Korps, welche an der Grenze zur Schweiz und an der Adriaküste zurückgehalten wurden, sollten nun ebenfalls zur 2. und 3. Armee hinzustoßen. Auch die Stoßrichtung der 2. und 3. Armee wurde in Richtung Isonzo vorverlegt. Zusätzlich sollte eine neu aufgestellte 5. Armee im Raum Toblach die 4. Armee bei deren Vorgehen unterstützen.

Somit lagen die Hauptstoßrichtungen der Italiener am Isonzo und gegen das Pustertal. Beide Vorstöße sollten nach Ansicht Cadornas einen leichten Durchbruch der Front ermöglichen. In der Theorie waren die Angriffspläne Cadornas freilich ausgereift und hätten sicherlich auch den gewünschten Erfolg erzielen können. Jedoch wurden die Pläne praktisch anders ausgeführt, als sie gedacht waren, was Cadorna und die Italiener im Nachhinein betrachtet wohl einen schnellen Sieg kostete. Der entscheidende Punkt des Planes lag im Angriff und Durchbruchsversuch am Isonzo. Die Italiener versteiften sich darauf, gerade dort die österreichisch-ungarische Front zu durchbrechen. Dies führte dazu, dass am Isonzo zwölf Schlachten ausgetragen wurden, welche in der Weltkriegsforschung vornehmlich mit dem Krieg in den Alpen assoziiert werden. Die 12. und gleichzeitig letzte Schlacht im Oktober 1917 endete für die Italiener in einem Desaster. Der deutsch-österreichische Durchbruch bei Flitsch und Tolmein brachte Italien fast an den Rand einer Niederlage. Vielen Italienern sollte diese Schlacht, welche sie „Caporetto“ nannten, noch lange im Gedächtnis bleiben.