Das Arbeitserziehungslager Römhild 1943-1945 - Gert Stoi - E-Book

Das Arbeitserziehungslager Römhild 1943-1945 E-Book

Gert Stoi

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Beschreibung

Während der NS-Herrschaft befand sich nahe der thüringisch-bayerischen Grenze im Basaltsteinbruch der Stadt Römhild auf dem Großen Gleichberg ein so genanntes Arbeitserziehungslager der Gestapo Weimar. Hier mussten Arbeitsunwillige in einer sechs- bis achtwöchigen Haft Zwangsarbeit leisten. Zahlreiche Häftlinge fielen dabei den unmenschlichen Lagerbedingungen zum Opfer. Der Historiker Gert Stoi dokumentiert in seinem Buch erstmals umfänglich die Entstehung, Lage und Einrichtung des AEL Römhild. Ehemalige Häftlinge kommen zu Wort und schildern die qualvollen Arbeits- und Lebensbedingungen. Bei der Auflösung des Lagers im April 1945 kam es zu Massenerschießungen. Den sich anschließenden Todesmarsch überlebten nur wenige Häftlinge. Der Autor geht in seiner Dokumentation auch auf die juristische Aufarbeitung dieses in der Öffentlichkeit wenig bekannten NS-Verbrechens ein. Die bisherigen Bemühungen der Stadt Römhild und ihrer Bevölkerung, einen würdigen Umgang mit dem schweren historischen Erbe zu finden, ist ebenfalls Gegenstand seiner Analyse.

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Seitenzahl: 355

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DAS ARBEITSERZIEHUNGSLAGER RÖMHILD 1943–1945

Dokumentation eines Verbrechens

GERT STOI

Print: ISBN 978-3-939611-41-7

eBook EPUB: 978-3-96285-180-4

1. Auflage 2010

Copyright © by Salier Verlag, Leipzig und Hildburghausen

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Christine Friedrich-Leye, Leipzig

Herstellung: Salier Verlag, Bosestr. 5, 04109 Leipzig

www.salierverlag.de

Geschrieben – damit Erlebnisse und Erinnerungen an eine schreckliche Zeit nicht verloren gehen.

Inhalt

1. Einleitung

2. Arbeitserziehungslager im NS-Staat

Grundlage für die Errichtung von AEL

3. Das AEL Römhild

3.1 Die Vorgeschichte des Lagers

3.2 Lage und Einrichtung des Lagers

Erweiterung des Lagers

3.3 Lagerleitung, Wachpersonal und Kapos

Die Personalentwicklung des AEL

Die Lagerleitung

Lagerleitung allgemein

Lagerleiter

Stellvertretender Lagerleiter

Lagerverwaltung

Wachleiter

Die Wachmannschaft allgemein

Die Kapos oder Vormänner

Ausländische Wachmannschaft

3.4 Die Häftlinge – Einlieferungsgründe und Belegungszahlen

Einlieferungsgründe

Belegungszahlen

3.5 Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Häftlinge

Allgemein

3.5.1 Ankunft und Unterbringung

3.5.2 Die Verpflegung

3.5.3 Die ärztliche Versorgung

Hygienische Bedingungen

3.5.4 Der Tagesablauf

3.5.5 Die Arbeitskommandos

3.5.6 Lagerstrafen

3.5.7 Fluchtversuche

3.6 Die Toten des Lagers

3.6.1 Die Totenlisten

3.6.2 Todesursachen

3.6.3 Statistik der Toten

3.7 Die Friedhöfe

3.8. Die Auflösung des Lagers

3.8.1 Der Evakuierungsmarsch

4. Amerikaner und Sowjets in Römhild

5. Das Massengrab in der Sandhöhle

6. Die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen

7. Friedhöfe, Mahnmal und Weg des Gedenkens – Der schwere Umgang mit dem Erbe

8. Erlebnisberichte ehemaliger Häftlinge

9. Quellen, Literatur

Archivbestände

10. Anlagen – Abbildungen, Pläne, Diagramme, Tabellen

I. Exkurs zu den Vormännern

II. CIC Fahndungskartei

III. Vernehmungsprotokoll Schmidts vor französischem Untersuchungsrichter

IV. Plan des AEL Römhild nach Entwürfen des Architekten Roth, Suhl

V. Plan der tatsächlich vorhandenen Gebäude

VI. Plan der Desinfektions- und Krankenbaracke

VII. Karte der Route des Evakuierungsmarsches

VIII. Tabelle – Belegung des AEL von August bis Dezember 1943

IX. Tabelle – monatliche Sterbefälle von 1943 – 1945

X. Tabelle – Alter der Toten

XI. Tabelle – Nationalität der Toten

XII. Tabellen Todesursachen und Liste der Toten

XIII. Bild Großer Gleichberg mit dem Steinbruch

XIV. Bilder Unterkunftshaus/große Gefangenenbaracke

XV. Bild Brucharbeiterhaus/Kantine

XVI. Bild Bahnhof und Basaltwerk Römhild

XVII. Lebensmittelbezugsschein

XVIII. Totenschein Samochwalow

XIX. Entlassungsschein Dolf van de Ven

XIXa. Verordnung der amerikanischen Stadtkommandantur Römhild 1945

XX. Bilder Stollen (1)

XXI. Bilder Stollen (2)

XXII. Waldfriedhöfe 50er Jahre (1)

XXIII. Waldfriedhöfe 50er Jahre (2)

XXIV. Bild Ehrenmal Römhild

XXV. Bild Tafel Weg des Gedenkens

XXVI. Bilder Sandhöhle

XXVII. Bilder Oberer und Unterer Waldfriedhof

XXVIII. Bilder Neugestaltung der Gedenkstätten

Bildnachweis

Über den Autor

Anmerkungen

1

Einleitung

Jedes Jahr am letzten Donnerstag im Januar begehen die Römhilder Bürger und viele Bewohner des Umlandes ihren „Kalter Markt“ genannten Kram- und Taubenmarkt. Es gab nur wenige Fälle in der 200-jährigen Tradition, in denen dieser Markt ausfiel. Der „Kalte Markt“ im Januar 1947 war ein solcher Fall. Wenige Tage vorher hatte man am Großen Gleichberg bei Römhild in einer Sandhöhle ein Massengrab geöffnet. Schlagartig wurde es allen Römhilder Bürgern bewusst, dass in der Zeit des Naziregimes im Basaltsteinbruch der Stadt Römhild auf dem Großen Gleichberg Schreckliches geschehen war. Man wusste in Römhild von der Existenz eines Häftlingslagers und mutmaßte, es solle ein Außenlager des KZ-Buchenwald sein. Man sah die Häftlinge bei ihren Arbeitseinsätzen in Römhild und der Umgebung und wusste auch von Verstorbenen, die auf dem Friedhof in Römhild begraben wurden. Man kannte auch die beiden Waldfriedhöfe am Osthang des Großen Gleichberges; über das Geschehen im Lager auf dem Bruch wusste man wenig - und die, die es gewusst haben, wie das ehemalige Wachpersonal, schwiegen aus verständlichen Gründen. Über den Hinweis eines der im Lager Buchenwald II Inhaftierten des Wachpersonals hatten Offiziere der SMAD von dem Massengrab erfahren. Sie ließen die Höhle öffnen, die Leichen wurden umgebettet und auf dem Ehrenfriedhof in Hildburghausen begraben.

1952 fand vor der Großen Strafkammer 1 des Landgerichts Meiningen ein Prozess gegen den ehemaligen Nazi-Bürgermeister der Stadt Römhild, Alfred Schmidt, statt. Ihm wurden maßgeblich die Geschehnisse im Lager auf dem Großen Gleichberg angelastet und er wurde in Abwesenheit zu einer lebenslänglichen Haft verurteilt. In der Urteilsbegründung wird auch auf die Aussage eines der ehemaligen AEL-Häftlinge, des Polen Josef Zurek, Bezug genommen. Die Prozessakten sind leider bis auf die Aussage Zureks und das Gerichtsurteil in den Thüringer Archiven nicht mehr vorhanden.

Das Geschehen um das Lager, die Waldfriedhöfe und die Sandhöhle gerieten bald wieder in Vergessenheit, besser gesagt die Erinnerung an dieses grausame Geschehen wurde von der einheimischen Bevölkerung verdrängt. Im Jahre 1962 wurde in einer Aktennotiz der Kreisleitung Meiningen der SED der unverantwortliche Zustand der Grabstätten (Waldfriedhöfe) bemängelt. Es wurde von der SED-Parteileitung in Römhild gefordert, dass eine örtliche Kommission zur Erforschung dieser nazistischen Verbrechen gebildet wird. Unter der Leitung des damaligen Schuldirektors Rolf Schilling sollten Zeugen aus Römhild, wie ein Steinbrucharbeiter, der von 1933 bis 1945 im Römhilder Steinbruch als Aufseher arbeitete, befragt werden.

„Alle noch auffindbaren Zeugen sollen verhört und befragt werden und möglichst ihre Erinnerungen niederschreiben oder mündlich zu Protokoll geben, um somit einem breiten Kreis von Augenzeugen diese grausame Geschichte der faschistischen Verbrechen unter Wahrheitsbeweis zu stellen.“

Im September 1963 erschien im „Meininger Rundblick“ auf Seite 1 ein Artikel „Die Toten suchen ihre Mörder“ und auf Seite 2 ein Artikel von Herbert König, damals Geschichtslehrer an der Römhilder Schule, „Wo halten sich die Mörder auf?“ Am gleichen Tag erschien daraufhin bei der SED-Kreisleitung Meiningen eine Frau Magda Herder und meinte: „Der Artikel hätte heißen müssen: Die Mörder sind unter uns.“ Sie nannte dabei Namen von Männern des ehemaligen Wachpersonals des Lagers und weitere Begebenheiten.

Im Jahre 1966 wurde als Ergebnis der Forschungsarbeit der örtlichen Kommission in Römhild auf einem Platz an der Stadtmauer gegenüber dem bestehenden Friedhof ein Mahnmal für die Opfer des AEL Römhild angelegt und 1967 zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution feierlich eingeweiht.

1968 legte Gertraude Heusinger aus Heldburg an der Pädagogischen Hochschule Dresden im Rahmen ihres Staatsexamens eine Hausarbeit über „Das Arbeitserziehungslager auf dem Großen Gleichberg bei Römhild“ vor.1Es ist bisher die einzige fundierte umfangreiche Arbeit über das AEL Römhild. Sie bezieht die damals erreichbaren und vorhandenen archivarischen Quellen, Zeugenberichte, Fotos und Dokumente in ihre Arbeit ein. Unter anderem den Bericht des ehemaligen Häftlings Wladimir Schipkowski der 1964 und 1967 Römhild besuchte. Die von der 1962 gebildeten örtlichen Kommission gesammelten Berichte und Zeugenaussagen finden sich leider nicht in dieser Arbeit. Dafür bezieht sich Gertraude Heusinger in zahlreichen Fußnoten auf ein „Privatarchiv“ Herbert König.

Anfang der 70er Jahre gerieten die Waldfriedhöfe, wie der Verfasser aus eigener Anschauung feststellen konnte, wieder in Vergessenheit. Schlagartig änderte sich die Situation, als 1978 im damaligen Bezirk Suhl die Arbeiterfestspiele für die ganze Republik durchgeführt wurden. Römhild war Festspielort für die „Sozialistischen Festtage der Landwirtschaft“. Hans Kroll Ortsparteisekretär von Römhild und Karl Köhler Vorsitzender der „Fördergemeinschaft Steinsburg“ des Kulturbundes der DDR ergriffen die Initiative zur Anlegung eines „Weges des Gedenkens“ am Osthang des Großen Gleichberges. Anfang der 80er Jahre weilte auch noch einmal der ehemalige Häftling Wladimir Schipkowski in Römhild nun gemeinsam mit seinem Haftgefährten und Leidensgenossen Wladimir Chesin und dem tschechischen ehemaligen Häftling Karel Cigler.

Über die Gespräche dieser Zeitzeugen, in gebrochenem Deutsch gesprochen, sind in Römhild Tonbandaufnahmen gemacht worden. Diese sind leider beim Rat der Stadt oder im Museum Schloß Glücksburg nicht aufbewahrt worden, und es gibt keine Hinweise über ihren Verbleib.

Die Kreisleitung der SED gab nach Eröffnung des Gedenkweges 1980 ein Faltblatt und später eine achtseitige Broschüre mit Fotos über den Weg des Gedenkens heraus. In diesen Informationsblättern wurde als Anlaufpunkt für weitere Hinweise auch das Steinsburgmuseum angegeben. Um eine einheitliche Konzeption für die Führungen am Weg des Gedenkens zur Verfügung zu haben, stellte Alfred Seidel, damals Leiter am Stadtmuseum in Römhild und seit vielen Jahren mit der Erforschung der Geschichte des AEL befasst, im Auftrag der Arbeitsgruppe „Weg des Gedenkens“ der Ortsleitung der SED eine Führungskonzeption mit der Zusammenfassung des bisherigen Kenntnisstandes zusammen.2

Gleich nach der Wende 1989 erschienen eine ganze Reihe Zeitungsartikel und kleinere Aufsätze über die Geschehnisse des AEL von Herbert König bzw. wird als Informationsquelle H. König genannt, der „…die Geschichte des AEL völlig neu schreiben wollte“.

Der Weg des Gedenkens selbst wurde seit 1989 nur noch sporadisch aufgesucht, die Aufarbeitung der Geschichte des AEL Römhild geriet in Vergessenheit.

Das änderte sich, als im September 2005 eine Sonderausstellung im Museum Schloss Glücksburg Römhild über die Gestapo im NS-Gau Thüringen gezeigt wurde. Die Autoren der gleichnamigen Arbeit Marlies Gräfe, Bernhardt Post und Andreas Schneider hatten bei ihren

Recherchen auch das AEL Römhild als Einrichtung der Gestapo erfasst. A. Schneider legte noch im selben Jahr einen Entwurf über die Geschichte des AEL vor.3Er arbeitet speziell über das Personal der Gestapo und stellte zum ersten Mal eine Liste der Leitung und des Wachpersonals des Lagers zusammen.

Zuletzt gab 2007 das Jugendzentrum/Schullandheim Römhild nach Vorbild der Faltblätter von 1980 zwei farbige Broschüren heraus.

Der Verfasser beschäftigt sich seit Anfang der 80er Jahre als Anrainer mit den Geschehnissen um das AEL. Nach der Wende kamen ehemalige Häftlinge vor allem aus den westlichen Ländern nach Römhild. Für viele war das Steinsburgmuseum eine erste Anlaufstelle. So konnte der Verfasser mit ihnen Kontakt aufnehmen, ihnen das ehemalige Lager, die Waldfriedhöfe und die Sandhöhle zeigen. Im Gespräch erfuhr er auch von den Erinnerungen der Häftlinge an das AEL. Mit einigen entwickelte sich ein mehr oder weniger intensiver Briefwechsel, der für die Erforschung der Geschichte des AEL von großem Nutzen ist. Umfangreiche Bemühungen wurden vom Verfasser auch unternommen, um das Archivmaterial der westlichen Bundesländer nach Quellen zum AEL Römhild zu durchsuchen. Durch die neuen Erkenntnisse und die nun zum ersten Mal zusammengefassten Quellen wird es möglich sein, die Geschichte des AEL Römhild umfassend darzustellen.

Grundanliegen des Verfassers ist es, zum Andenken an die Toten und Überlebenden des Lagers sowie für ihre Angehörigen die Geschichte dieses AEL Römhild niederzuschreiben.

Ich möchte hier auch die Gelegenheit nutzen, Dank zu sagen für die hilfreiche und freundliche Unterstützung durch das Bundesarchiv Ludwigsburg, die Staatsarchive Coburg, Meiningen und München, die Kreisarchive Hildburghausen und Meiningen sowie das Stadtarchiv Römhild.

Ein besonderer Dank gilt auch meiner Frau, die aus ihrer Haushaltskasse die notwendigen Mittel für Fahrtkosten, Kopierrechnungen und andere Auslagen beisteuerte sowie bei den verschiedensten Arbeiten hilfreich zur Seite stand.

Römhild, im Frühjahr 2010

2

Arbeitserziehungslager im NS-Staat

Die Geschichte der AEL ist erst in den letzten Jahren in den Blickpunkt der Forschung gerückt. Es gab zwar vorher schon regionale Studien zu einzelnen AEL, besonders dort wo genügend Quellenmaterial zur Verfügung stand. Eine umfassende Bearbeitung erfolgte aber erst mit dem Einsetzen einer grundlegenden Forschung über Zwangsarbeiter im „Dritten Reich“, ausgelöst durch Entschädigungsforderungen ehemaliger Zwangsarbeiter.1

Im Jahr 2000 erschien das heute als Standardwerk zu diesem Thema bezeichnete Buch „KZ der Gestapo. Arbeitserziehungslager im Dritten Reich“ von Gabriele Lotfi.2Nach ihren Angaben wurden reichsweit 200 solcher Lager eingerichtet, in denen mehrere Hunderttausend Häftlinge inhaftiert waren.

2003 erschien eine weitere zusammenfassende Arbeit „Arbeitserziehungslager in Nordwestdeutschland 1940 – 1945“ von Andrea Tech.32004 dann eine umfangreiche Arbeit über „Das Arbeitserziehungslager Breitenau (1940 – 1945)“ von Gunnar Richter.4

In der Zeit des Nationalsozialismus wurden während des Zweiten Weltkrieges zwischen sieben und elf Millionen Menschen zur Zwangsarbeit überall in Deutschland eingesetzt. Für die Zuführung der entsprechenden Arbeitskräfte wurde der Gauleiter von Thüringen, Fritz Sauckel, 1942 zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz ernannt.

Im Spätsommer 1944 waren etwa ein Viertel der Arbeitskräfte in der gesamten deutschen Wirtschaft Zwangsarbeiter. Sie wurden in den meisten Industrie- und in vielen mittelständischen und Landwirtschaftsbetrieben eingesetzt und stammten aus allen von der Wehrmacht besetzten Ländern Europas, die meisten aus Polen und der damaligen Sowjetunion.5

Als Reaktion auf die Verschärfung der Arbeits- und Lebensbedingungen mit Beginn des Zweiten Weltkrieges kam es vielfach zu Verweigerungshandlungen der Zwangsarbeiter, sodass viele Unternehmen über mangelnde Arbeitsdisziplin vor allem der ausländischen Zwangsarbeiter klagten. War die Justiz bei der Verfolgung von Arbeitsvertragsbrüchigen zu langsam, und eine Verurteilung zu einer Haftstrafe, die nur Kosten und keinen Gewinn aus der Arbeitskraft erzielte, keine Lösung, so war andererseits die KZ-Haft zu einschneidend, da der Unternehmer davon ausgehen konnte, die Arbeitskräfte nie wieder zu sehen. In dieser Situation wurden durch lokale Gestapostellen mit Hilfe von Einrichtungen der Wirtschaft sowie der Kommunen seit 1940, nach Vorbild bestehender SS-Sonderlager, sogenannte Arbeitserziehungslager eingerichtet.

Diese AEL waren polizeiliche Straflager, in denen Personen inhaftiert wurden, die sich nicht im Sinne der geforderten Arbeitsdisziplin der Kriegswirtschaft verhielten. Durch harte Arbeit und ebensolche Haftbedingungen sollten Verstöße bestraft und eine Abschreckungswirkung erzielt werden, ganz im Sinne eines polizeilichen „Erziehungsanspruchs“ im Dienste der „Volksgemeinschaft“. Die Häftlinge waren in den AEL sehr häufig KZ-ähnlichen Bedingungen ausgesetzt.

Dazu der Chef der Sicherheitspolizei Ernst Kaltenbrunner im Mai 1944:

„Zunächst darf ich feststellen, daß die Arbeitserziehungslager der Sicherheitspolizei alles andere als ein Erholungsaufenthalt sind. Die Arbeitsbedingungen und Lebensverhältnisse für die Insassen sind im allgemeinem härter, als in einem Konzentrationslager. Dies ist notwendig, um den gewünschten Zweck zu erreichen und möglich, da die Unterbringung der einzelnen Schutzhäftlinge im allgemeinem nur einige Wochen, höchstens wenige Monate dauert.“6

Die Gestapo wies Zwangsarbeiter aufgrund von Anzeigen und Denunziation von Arbeitgebern und Behörden in ein AEL ein, indem sie vom Instrument der „vorläufigen Schutzhaft“ Gebrauch machte. Die Menschen wurden bei der Einlieferung zu Nummern und rechtlosen Personen.

Die normale Haftzeit betrug bis zu zwei Monate. Willkürlich konnte aber der Lagerleiter die Haftzeit verlängern oder sogar die Einweisung in ein KZ verfügen. Funktionshäftlinge wurden oft länger als die erlaubten 56 Tage festgehalten, sodass eine ausgeprägte Häftlingshierarchie in den Lagern entstehen konnte.

Die von der Gestapo(leit)stelle eingesetzte Lagerleitung hatte in den Lagern überwiegend absolute Herrschaftsbefugnisse. Viele der Lagerleiter handelten eigenmächtig und selbstherrlich, die gesonderte Stellung erlaubte ihnen Freiheiten und die Vorgesetzten griffen nur selten ein. Mit der sich verschärfenden Kriegslage entfielen auf Seiten der AEL-Leitung immer mehr auch die Hemmungen, gegenüber den Häftlingen mit drastischen Strafen zu reagieren.

Es gibt Hinweise, dass die Gestapo die AEL auch als Hinrichtungsstätten nutzte.

Gegen Ende des Krieges wurden die AEL auch zu erweiterten Polizeigefängnissen und fungierten als Auffanglager für Häftlinge aus anderen Gefängnissen sowie zur Unterbringung von Personen, die durch die Gestapo verhaftet wurden und ohne Anklage von Seiten der Justiz festgehalten worden waren.

In der Kriegsendphase wurden viele dieser Lager aufgelöst und die Häftlinge evakuiert. Dabei kam es in mehreren Fällen zu Erschießungen marschunfähiger Häftlinge.

Im Laufe der Zeit bildeten sich verschiedene Formen der AEL heraus:

AEL als Einrichtungen des Polizeigewahrsams zur Disziplinierung von Zwangsarbeitern,von der Wirtschaft geforderte und geförderte AEL in der Nähe von Firmen,AEL in Verbindung oder im direkten Bereich von Konzentrationslagern.

Darüber hinaus gab es noch spezielle AEL für Frauen.

Grundlage für die Errichtung von AEL

Für die Einrichtung von Arbeitserziehungslagern war vom Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei Heinrich Himmler am 28. Mai 1941 eine Anweisung mit konkreten Festlegungen und Bedingungen ergangen. Die wichtigsten Punkte seien hier vorgestellt.7

Einleitend wird der Sinn und Zweck solcher AEL beschrieben:

Mit dem verstärkten Arbeitseinsatz von Ausländern und anderen Arbeitskräften in wehr- und volkswirtschaftlich wichtigen Betrieben mehren sich die Fälle von Arbeitsverweigerung, denen im Interesse der Wehrkraft des deutschen Volkes mit allen Mitteln entgegengetreten werden muss. Arbeitskräfte, die die Arbeit verweigern oder in sonstiger Weise die Arbeitsmoral gefährden und zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit in polizeilichen Gewahrsam genommen werden müssen, sind in besonderen Arbeitserziehungslagern zusammenzufassen und dort zu geregelter Arbeit anzuhalten. Die Arbeitserziehungslager sind ausschließlich zur Aufnahme von Arbeitsverweigerern und arbeitsunlustigen Elementen, deren Verhalten einer Arbeitssabotage gleichkommt, bestimmt. Die Einweisung verfolgt einen Erziehungszweck, sie gilt nicht als Strafmaßnahme und darf als solche auch nicht amtlich vermerkt werden.

I. Einrichtung des Lagers

Inspekteure der Sicherheitspolizei und des SD können Staatspolizei(leit)stellen mit der Errichtung von AEL beauftragen. Die wirtschaftliche Betreuung solcher AEL ist den Staatspolizei(leit)stellen zu übertragen. Die Einrichtung erfolgt auf Reichskosten oder durch Anmietung bzw. Anpachtung geeigneter Räume oder Baracken.

Die AEL haben den Charakter eines Polizeigewahrsams.

II. Antrag auf Genehmigung eines Lagers

Die Einrichtung bedarf der Genehmigung Himmlers unter Darlegung –

aus welchen Gründenwie Unterkunft, Bewachung und Verpflegung geregelt sind und welche Ausgaben anstehendie Belegungsfähigkeit und Belegungsstärkewelche Arbeit die Häftlinge ausführen, für welches Unternehmen, für welchen Arbeitslohnwelche Staatspolizei(leit)stelle ist für die Einweisung von Häftlingen zuständig.

III. Bewachung und Dienstbetrieb

Für das Lager ist ein Beamter oder Angestellter der Gestapo als Leiter zuständig, der für den Dienstbetrieb verantwortlich ist. Sein Vertreter sollte ebenfalls Angehöriger der Gestapo sein. Die Bewachungskräfte sollen von der Gestapo, und ist dies nicht möglich als Notdienstverpflichtete eingestellt werden.

Für jedes Lager ist eine Lagerordnung, die den Dienstbetrieb, die Arbeitszeit, Lagerstrafen, Aufnahme, Entlassung, Aufbewahrung der häftlingseigenen Gegenstände, die Behandlung von deutschen und ausländischen Häftlingen usw. regelt, aufzustellen.

IV. Einweisung und Haftdauer

Die Einweisung der Häftlinge erfolgt durch die Staatspolizei(leit)stellen.

Die Dauer der Haft darf höchstens 56 Tage dauern, ist der Haftzweck nicht erfüllt, erfolgt die Verhängung einer Schutzhaft und die Einweisung in ein KZ.

V. Arbeit und Arbeitslohn

Die Häftlinge sind zu strenger Arbeit anzuhalten, ihre Haft soll für die Anderen ein warnendes und abschreckendes Beispiel geben. Die tägliche Arbeitszeit soll nicht weniger als 10 und darf nicht mehr als 12 Stunden betragen. Arbeit an Sonn- und Feiertagen ist gestattet.

Die Häftlinge erhalten eine Arbeitsbelohnung von 0,50 RM je Arbeitstag.

VI. Arbeitsvertrag

Die Häftlinge werden Unternehmen durch Vertrag zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt.

VII. Bewirtschaftung

Sämtliche Kosten für die Verwaltung und Bewirtschaftung des Lagers sowie für den Unterhalt der Gefangenen sind zu verbuchen. Die Einnahmen aus der Beschäftigung der Gefangenen werden als allgemeine Haushaltsentnahmen verrechnet.

VIII. Unfall- und Sozialversicherung

Die Häftlinge sind gegen Unfall versichert. Jeder Gefangene ist bei der Aufnahme und Entlassung auf seine volle Arbeitsfähigkeit zu untersuchen. Die Häftlinge erhalten im Lager freie Heilfürsorge. Für die Betreuung ist ein Arzt vertraglich zu verpflichten.

X. Bücher und Listen

Für jeden Unternehmer dem Häftlinge zur Verfügung gestellt werden, ist eine Beschäftigungsliste zu führen. Der Unternehmer erhält monatlich eine Rechnung, der Betrag ist an die Amtskasse einzuzahlen.

Außer der Beschäftigungsliste sind im AEL folgende Bücher und Listen zu führen:

Gefangenenbuch BVerzeichnis der den Häftlingen abgenommenen GegenständeKassenbuch der abgelieferten Gelder und WertsachenKrankenbuchStrafbuchEntlassungs- und TerminkalenderNamensverzeichnis der HäftlingeGefangenenstandbuch

XI. Lebensmittelbewirtschaftung

Die Höchstmenge der für die Gefangenen vorgesehenen Verpflegung und die Anforderung der Lebensmittelberechtigungsscheine beim Ernährungsamt ist durch Erlass geregelt.

Im August 1943, also relativ spät, wurde für den NS-Gau Thüringen ein solches zentrales AEL der Gestapo eingerichtet.

Der in Römhild auf dem Großen Gleichberg abgelegen befindliche große Steinbruch war nach Meinung der Gestapo bestens für ein solches Arbeitserziehungslager geeignet.