Das Archiv des Körpers - Hannelore Bublitz - E-Book

Das Archiv des Körpers E-Book

Hannelore Bublitz

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Beschreibung

Der Körper ist mehr als eine physische Materialität. Als zentrales »Organ« der Gesellschaft verweist er auf etwas, das er nie war: Natur und Natürlichkeit. Stattdessen sind Körper immer schon Techno-Körper: natürlich künstlich. Neben der Maschinenmetaphorik, dem Phantasma der Kontrollierbarkeit und der ingenieurtechnischen Machbarkeit unterliegt der Körper als visueller Attraktor einer libidinösen Ökonomie. An ihm fasziniert, was er als physischer Körper jenseits technischer Körpermodifikationen nicht ist oder sein kann: eine (Selbstvervollkommnungs-)Maschine. Der Band von Hannelore Bublitz rekonstruiert, wie sich Diskurse, Technik(en) und Phantasmen im Körper materialisieren.

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Seitenzahl: 301

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Hannelore Bublitz (Prof. Dr.), geb. 1947, lehrt Soziologie an der Universität Paderborn. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Gegenwartsanalysen post- und spätmoderner Gesellschaften und Subjekte, Technologien des Körpers, des Geschlechts sowie Selbsttechnologien. Zu ihren Veröffentlichungen zählen »Diskurs« (Einsichten. Theorien der Soziologie, 2003), »Im Beichtstuhl der Medien« (2010) sowie »Judith Butler zur Einführung« (5., ergänzte Auflage, 2018).

HANNELORE BUBLITZ

Das Archiv des Körpers

Konstruktionsapparate, Materialitäten und Phantasmen

© 2018 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Covergestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Coverabbildung: kentoh – fotolia.com (Detail) Korrektorat: Evin Ay, Bielefeld Print-ISBN 978-3-8376-4278-0 PDF-ISBN 978-3-8394-4278-4 EPUB-ISBN 978-3-7328-4278-0

Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1Einleitung
2Materialität des Körpers – oder Materie tritt nie ohne ihr Schema auf
3Konturen des Körpers als sichtbares und durchsichtiges Objekt – das Phantasma einer physischen Selbstvervollkommnungsmaschine
4Das Archiv des Körpers – Körper-Diskurse
4.1Körper-Techniken I: Figurationen des politischen Körpers
4.2Die Maschinenmetapher als Chiffre des Lebendigen
4.3Körper-Techniken II: Zwangsprozeduren, Blick-Regime, Körper – integriert in einen geräuschlosen Apparat
4.4Konstruierte Sichtbarkeiten – Visualisierung und Messung von Körper-Teilen
4.5Der Körper als Maschine I: Reizbare Maschinen oder die Logik des hygienischen Imaginären
4.6Der Körper als Maschine II: Architektur eines nachrichtentechnischen Apparats
4.7Strategien der Menschenökonomie I: Der produzierende Fortpflanzungsund der konsumierende Lustkörper
4.8Der Körper als Maschine III: Biokybernetischer Organismus und maschinenlesbarer Text
4.9Strategien der Menschenökonomie II: Postsoziale Wunschkörper?
5Körper-Techniken III: Natürlichkünstlich
5.1Verkörperung(en) des Sozialen (Zwangs)
5.2Soziale Magie
5.3Stillschweigende Performativität (Butler)
6Psychodynamik(en) fragmentierter Körper
7Körper nach Maß I: Body Extensions – Nahkörper – Technologien – Smart Machines
7.1Techno-Körper
7.2Der – verdatete – Körper im Visier von invasiven Überwachungstechnologien
7.3Körper nach Maß II: Superabled Bodies – Digital Beauties
8Schluss
Literatur

1Einleitung

Der Körper ist kein Ding, wie ein Baum oder ein Haus; er ist nicht bloß ein physisches Organ oder Objekt, sondern weist – durch die Formen seiner Materialisierung, durch das System der Zeichen, durch imaginäre und phantasmatische Dimensionen – über sich hinaus.1 In seiner (Metaphern-)Geschichte verbergen sich nicht nur (Körper-)Konzepte und Muster, Wunschökonomien und -territorien, sondern an ihm zeigen sich auch das Selbstverständnis und die Geschichte der Moderne. Es geht aber nicht darum, einen – umfassenden – Abriss der Geschichte der Moderne oder des modernen Körpers zu präsentieren. Die folgenden Ausführungen richten sich vielmehr auf Körperrhetoriken, -praktiken und -technologien im Archiv des Körpers, das spezifische Körperbilder und -konzepte sowie ein spezifisches Körperwissen ermöglicht und hervorbringt. Dabei geht es auch um Praktiken der – öffentlichen – Sichtbarmachung und Zurschaustellung, die personifizierte und repräsentative Verkörperung physischer und symbolischer Anforderungen und die entsprechende Modellierung des Körpers. Gemeint sind mit dem ›Archiv‹ nicht Praktiken des archivierenden Sammelns oder etwa Orte des Speicherns wie »die Einrichtungen, die in einer gegebenen Gesellschaft gestatten, die Diskurse zu registrieren und zu konservieren […], die man im Gedächtnis behalten will«2. Die folgenden Betrachtungen schließen an Foucaults einflussreiche Überlegungen an, der den geläufigen Begriff des Archivs im Grunde in sein Gegenteil verkehrt und gegen den institutionalisierten Aspekt der passiven Ablegung und neutralen Speicherung die Zeitlichkeit des Wissens ins Spiel bringt: Es sind die historisch variablen Faktoren, die spezifischen historischen Formen des Wissens und »das Spiel der Regeln, die in einer Kultur das Auftreten und das Verschwinden von Aussagen […] bestimmen«3, die Foucault Archiv nennt. Das Archiv ist also nicht der Ort, an dem Dokumente gelagert oder gespeichert werden, sondern es ist »das, was die Diskurse in ihrer vielfachen Existenz differenziert«4. Diskurse sind aber nicht lediglich Ent-Faltungen einer epistemischen Logik oder Struktur, die die historischen Faltungen diskursiver Formationen festlegt und damit die Offenheit und Unabgeschlossenheit von Diskursen leugnet. Ebenso wenig wie das Archiv ein statischer Speicher von Aussagen und Diskursformationen ist, bildet es eine festgelegte Regel. Vielmehr ist es ein dynamisches System, in dem das Gesagte immer wieder be- und überarbeitet wird, und das damit wiederholten Umschichtungen und Transformationen unterliegt.5

Die Moderne aus der Perspektive des Archivs des Körpers zu rekonstruieren, heißt, den Blick auf die technisch-medialen Konstruktions- und Regulierungsapparate sowie die Phantasmen, aber auch die biopolitischen Technologien, die paradigmatisch in eine Körperkultur der Lebens- und Leistungssteigerung und deren permanente Optimierung münden, zu richten. Damit zugleich richtet sich der Blick auch auf das Verhältnis von Körper-Technik(en), die Materialisierung von Körperwissen und Sozialität. Diese Perspektive schließt den Körper als natürliche Ressource gewissermaßen aus. Der Körper kann nicht als vorgeschichtliches Medium verstanden werden. Stattdessen wird auf die Historizität des Körpers verwiesen. Das bedeutet, zu zeigen, dass Dinge, die als evident oder gar natürlich erscheinen, »zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt in der Geschichte hervorgebracht worden sind«6 und deshalb auch die Umdeutung und Verschiebung gewohnter Denkweisen mit sich bringt. Geschichte erzeugt und hinterlässt Spuren am Körper, performative Umschriften, die immer wieder überschrieben werden; »sie schreibt sich in das Nervensystem, in das Temperament, in den Verdauungsapparat ein«7, »am Leib findet man das Stigma der vergangenen Ereignisse […], dem Leib prägen sich die Ereignisse ein«8. Die Geneaologie rekonstruiert – als machttheoretisches, historisches Verfahren – die Verschränkung von Körper und Geschichte. Das heißt aber auch: Es gibt nichts Feststehendes; der Körper vereinigt als Schauplatz der Verschränkung historischer und körperlich-leiblicher Ereignisse und Prozesse »alle Anzeichen von Überwältigungsprozessen und den jedes Mal dagegen aufgewendeten Widerständen auf sich. Seine (Körper-)Geschichte ist zugleich ein untrügliches An-Zeichen einer ›fortgesetzten Zeichen-Kette von immer neuen Interpretationen und Zurechtmachungen‹, die seine Gestalt immer wieder verflüssigen«.9 Mit dem Körper ist aber nicht nur die ›Leibhaftigkeit‹ von Geschichte verbunden, »sondern auch das Phantasma des Körpers als fiktiver Ort dessen, was er nie gewesen ist: Natur oder besser noch Natürlichkeit, Abstammung, Geschlecht, Integrationsmedium heterogener Eindrücke, Selbstvervollkommnungsinstrument. Erst recht der Sozial-, Volks- oder Gesellschaftskörper verweist auf eine Leerstelle, dort, wo der Ein-Druck einer Homogenität entsteht«.10

Der Körper ist gewissermaßen das ›Zentralorgan‹ der Gesellschaft. Und auch wenn die Disziplinierung des Körpers und die räumlich-geometrische Anordnung von Körperbewegungen nicht erst mit der Moderne beginnen, hat der Körper erst in der Moderne zentrale Bedeutung für die Machbarkeit und Gestaltbarkeit der Gesellschaft und des Menschen (als Individuen und Kollektive).11 »Ausgangspunkt und Zielscheibe einer Objektivierung, Metrisierung und Fragmentierung von Bewegung […] ist der menschliche Körper, dessen Bewegungen zunächst an geometrische Raummuster angeglichen und dann einer linearen Zeitordnung unterworfen werden«.12 Der Körper wird – in der Moderne – wie eine Landkarte vermessen und kartografiert. Er ist, was er ist, nicht von Natur aus. Semantisch entzifferbare Codes versehen ihn mit Bedeutung(en);13 so wird er gelesen und decodiert wie eine Schrift, ein Buch.14 Von sich aus bedeutet der Körper nichts, er hat selbst keine eigenständige Bedeutung. Es ist ein Supplement, das ihm (hin-)zugefügt wird und seine physischen Grenzen, nicht erst als Techno-Körper, überschreitet. Das Supplement ergänzt, es fügt (sich) hinzu, »es ist ein Surplus […]«15, ein Überschuss, der über das Wesen(tliche oder Notwendige) hinausgeht oder gar auf einen Mangel oder eine Leere verweist. Aber auch der Körper selbst ist solch ein Supplement, das hinzukommt oder sich an die Stelle setzt; Körper füllen eine Leere, sie repräsentieren ein Abwesendes, das sonst nicht präsent oder sichtbar wäre. »Das Supplement […] gesellt sich nur bei, um zu ersetzen. Es kommt hinzu oder setzt sich an-(die)-Stelle von; wenn es auffüllt, dann so, wie man eine Leere füllt. Wenn es repräsentiert und Bild wird, dann wird es Bild durch das vorangegangene Fehlen einer Präsenz«.16

Am Körper zeigt sich, was sich dem Auge entzieht, eher unauffällig oder verborgen bleibt: Machtausübung und -fülle ebenso wie Unterwerfung, soziale Regeln und Ordnung, abzulesen an seiner Topografie und Morphologie, seinen Haltungen und Gesten. Am Körper und seiner Oberfläche wird aber auch ›gesehen‹, abgelesen und (ab-)gemessen, was nicht unmittelbar evident ist und sein kann, sondern, an und mit ihm hervorgebracht, nur dem strukturierten Beobachterblick zugänglich ist, der den Körper zerlegt, re-strukturiert und rastert und ihn dadurch für Be- und Zuschreibungen zurichtet. Geschlecht und Rasse sind Beispiele dafür.

Der Körper ist uns als Bild-Körper zugänglich, der über die bloße Abbildung der Physis hinausgeht. Im Bild-Körper erscheint das, was ›abwesend‹ ist, als Repräsentation, nicht im Sinne einer Abbildung, sondern im Sinne einer stellvertretenden Repräsentation, die den dargestellten Körper figuriert und dabei Fiktives und Imaginäres hinzufügt. Insofern beinhaltet der gezeigte Bild-Körper immer einen (Bild-)Überschuss. Diese (Bild-)Überschüsse produzieren fiktive Körperbilder, die die Choreografie der Personen, die sie verkörpern (wollen oder sollen), durch die Inszenierung von Bewegungsabläufen, Gesten, Mimiken und Posen diktieren. Politisch und gesellschaftlich repräsentiert der Körper Ordnung und Macht. Als Bevölkerungs- und Gesellschaftskörper politisch angeordnet und ökonomisch organisiert, bildet er gewissermaßen das zentrale Medium der Repräsentation der sozialen Ordnung, die »Physis des Gesellschaftslebens«17. Als politischer, symbolischer Körper konfiguriert er symbolisch den ›künstlichen‹ Menschen des Staates, die Bevölkerung. Macht konstituiert sich nicht primär über souveränes Recht, sondern durch Haltungen, durch Mechanismen der Disziplin und einer Souveränität, die sich am Körper zeigt. Auf der anderen Seite Ohnmacht, Unterordnung und Hinfälligkeit; auch sie zeigen sich in Körperbewegungen, -haltungen und Gesten. Als Kollektivkörper, der von der (Versammlungs-)Masse gebildet wird, repräsentiert er, wie diese, willenloses Handeln und triebgesteuerte Bewegungsabläufe; als solches geht von ihm, wirft man einen Blick auf die Diskurse zu Masse und Körper, Gefahr für die soziale Ordnung aus.18 Der Massenmensch ist, so scheint es, bloßer physikalischer Körper, ein Aggregatzustand, ein Automat, der programmiert ist und vom Kollektiv gesteuert wird.19 Er bildet den Gegenpol und das Gegenbild zum bürgerlichen Subjekt, das sich in ihm aufzulösen scheint und seine Autonomie verliert.20

Der visuellen Inszenierung ökonomischer Macht durch möglichst detailgetreue Abbildung von Insignien, materiellen Gütern und Körper-Posen entspricht die Visualisierung sozialer Ausschließungen – am Körper. Eingegliedert in eine Ökonomie körperlicher Bewegung(sabläufe) und ökonomischer Kalküle rückt seine Funktion als Bewegungsapparat und Beschleunigungsinstrument in den Vordergrund. Auch wird er zum Zentrum der Bewegung, zum Ort, an dem Bewegung(en) gespeichert und quasi unbewusst abgerufen werden, aber auch zum Ort, an dem Bewegungsbilder anschaulich transportiert werden. Und schließlich veranschaulicht der Körper als Körpermaschine, wie sich tayloristische Fabrikarbeit in die Technisierung körperlicher Abläufe übersetzt und zur modernen Form der technologischen Erweiterung und Kontrollierbarkeit des Körpers avanciert; dies nicht zuletzt auch im Kontext der gegenwärtigen biopolitischen Durchdringung des Körpers mithilfe von Technologien, als Techno-Körper, Cyborg.

Die Archäologie körperlicher Haltungen und Posen gibt Aufschluss über kulturelle Gewohnheiten und soziale Zwänge, aber sie zeigt auch, dass der Körper sich nicht immer und überall umstandslos einfügt in das Arsenal gesellschaftlicher Ordnung(en), sondern sich widersetzt, oft präreflexiv oder unbewusst.

Aus dieser Perspektive erscheinen ›Selfies‹ wie Bilder einer Ausstellung, deren Objekte sich der Anonymität einer gesichtslosen Masse widersetzen. Sie geben der Masse der Vielen ein Gesicht – und erscheinen gewissermaßen als Doppelgänger einer lebendigen physischen Person, »Identifikationsfiktionen«, dem Betrachter zum Verwechseln ähnlich, »Instrumente für simulierte Ähnlichkeiten«21, – künstlich. Und sie bilden nicht einfach ab, sondern produzieren performative Entwürfe, die ständig revidieren, was sie abbilden und damit Bewegung in eine Sache bringen, die, wie das Bild und das Foto, fixiert, Stillstand produziert. Selfies sind Fotos, die als flüchtiger Schnappschuss Beschleunigung festhalten, und da sie ständig produziert werden, immer wieder auswechseln und ablösen, was gerade produziert wurde. Produziert wird schnell und zum Verbrauch, Konsum auf der Ebene der Körper-Bilder. Das Selfie ist eine Signatur unserer Zeit. »Die mit ausgestreckten Armen geschossenen und auf allen Social Networks geteilten ›Selfies‹ haben sich in unsere visuelle Alltagskultur eingeschrieben«.22 Grundlegende Figur der Selbstdarstellung in der medialen Gegenwarts-Öffentlichkeit ist die Person, die sich in einem Raum realisiert, in dem die einzelnen sind und sein wollen, was sie darstellen. Zentrales Medium dieser Selbstdarstellung ist der Körper. Am Körper zeigen sich Haltungen, zeigen sich das Geschlecht und die Geschichte. Der Körper verweist auf etwas, das ihm (hin-)zugefügt wird, das er erleidet, erduldet oder von sich aus wählt. Angeordnet mit Objekten der Konsumwelt, präsentiert der Körper, was er noch nicht ist. Was er darstellt, ist ein Image, eine Imago, die über das hinausgeht, was er ist. »Bei der Imagepflege steht weniger die Authentizität des Selbst im Vordergrund, sondern vielmehr die Erzeugung eines solchen Eindrucks«.23 Hier geht es vor allem darum, »sich als ein sozial attraktives Subjekt zu stilisieren«24 – und das geschieht über den Körper, seine Posen und Objekte, mit denen er sich zusammenschließt. Die Objekte des Alltags, Personen und Situationen gehören gewissermaßen dazu. Gegenstände, materieller Besitz, nicht transzendente Dimensionen des eigenen Ich, werden Bestandteil des eigenen Körpers, sie werden, wie Baudrillard annimmt, »verpersönlicht«:

»Der Gegenstand lässt sich am leichtesten ›verpersönlichen‹ und verbuchen. Und von dieser subjektiven Buchhaltung ist nichts ausgenommen, alles kann besessen und investiert, in eine Kollektion geordnet, klassiert und verteilt werden. Der Gegenstand ist so, streng genommen, wie ein Spiegel: Die Bilder, die er widerstrahlt, können nur aufeinander folgen, einander aber nicht widersprechen«.25

Die Bilder verschmelzen den Körper mit den Objekten der Alltagswelt; er überschreitet, nicht nur wegen der Beziehung zu Objekten, sich selbst. Der so in Szene gesetzte Körper ist mehr als seine physische Erscheinung; was er verspricht sind, angeordnet im Sinne einer Werbekampagne, Zukunft, Erfolg, wenn möglich Reichtum und Vergnügen. Das Augenmerk richtet sich auf die Visualisierung des Möglichen. Auf die Frage nach den Beweggründen, antworten viele: »Das ist, was wir sein wollen«. Alles, was auf Instagram fotografiert und auf Facebook geliked wird, ist Gegenstand eines sozialen Rankings, das eine Person bewertet, die sich überindividuell und persönlich zugleich präsentiert und der Anonymisierung des Individuums in der modernen Gesellschaft durch Praktiken des demonstrativen Konsums und mit ästhetischen Körperpraktiken begegnet. In der Kultur der Gegenwart bilden Körper quasi demonstrative künstliche Aufmerksamkeitsmaschinen, die, wie zuvor Waren, Werbung machen für ihre Besitzer, singuläre, unternehmerische Subjekte, die, einem ›click‹-Fetischismus verfallen, Aufmerksamkeiten wie eine Währung einsammeln und akkumulieren. Darüber hinaus aber kommt es zu einem paradoxen Prozess der ›Refeudalisierung‹ in der Gegenwartsgesellschaft, in dessen Vollzug sich »tradierte Muster der Sozialordnung in neuartiger Weise aktualisieren«26, die die alte Struktur des Öffentlichen als bloße Repräsentation gesellschaftlicher Macht wiedererstehen lassen. Die Frage ist, ob nicht auch die Körper-Bilder Ausdruck einer Refeudalisierung sind; allerdings in einem anderen Sinne, nämlich in dem, dass hier die Vielen, die noch im Leviathan, dem Betrachter abgewandt, gesichtslos bleiben, ein Gesicht bekommen. Diese Refeudalisierung verbindet sich mit postmodernen Selbsttechnologien. Gegenwartsanalysen (post-)moderner Gesellschaften machen deutlich, dass postdisziplinäre Selbsttechnologien – kompetitiver Singularitäten – nicht aus der Perspektive disziplinärer Kontrolltechnologien zu erschließen sind, sondern auf Formen gouvernementaler (Selbst-)Führung beruhen, die feedbackgesteuerte Kontrollkreisläufe ins Subjekt verlagern und sich auf laufend aktualisierte Profile richten. Auch hier, auf visuell-ästhetischer Ebene, findet also gewissermaßen eine ›Refeudalisierung‹ der Gesellschaft statt, in der die Person demonstrativ-feudal darstellt und verkörpert, was die Gesellschaft und die neuen Feudalherren einer globalen Finanzordnung vorgeben zu sein. Dabei zeigen die auf Instagram und anderen sozialen Medien präsentierten Motive eigentlich nur, was uns umgibt: Konsumwelten oder besser, »aktuelle Taxonomien des demonstrativen Konsums«27. Der Körper wird zum Medium, das dafür sorgt, dass der Austausch von Finanzströmen unsichtbar bleibt und stattdessen der Körper zum Schau-Objekt wird, an dem sich unablässig das Maskenspiel von ›natürlich erscheinen und verstellt zu sein‹, gesellschaftlichem Ausschluss und sozialer Zugehörigkeit vollzieht. Der ›Gesellschaftskörper‹, der gleichsam die ›Physis des Gesellschaftslebens‹ ausmacht und die Choreografie der Personen steuert, lässt sich kaum noch als ein Gesellschaftskörper beschreiben, wie er für die bürgerliche Moderne und begrenzt, auch für die standardisierte Massenkultur, wenn auch als Imagination einer homogenen Masse, beschreibbar war. Vielmehr scheint es, dass sich in der Gesellschaft eine körperorientierte Kultur(ästhetik) entfaltet, die den Körper als Gegenstand eines singulären Lebensstils, der darin eingeschlossenen Pflicht zur Selbstoptimierung und Attraktivität sowie einer expressiven medialen Körperpräsentation singularisiert. Dass es dabei durchaus zu kollektiven Mustern und Musterbildungen kommt, wird nicht – mehr – einem Kollektivsubjekt oder -körper zugeschrieben, sondern an mediale Infrastrukturen und Algorithmen delegiert. Alles ist künstlich inszeniert. Die spezifische historisch-gesellschaftliche Konzeption und Codierung des Körpers und das, was über den Körper gedacht und gesagt wird, bildet den Gegenstand der folgenden Betrachtungen.

Im Feld der Sichtbarkeit angeordnet, verweist der Körper auf Prozesse, die sich der bloßen Oberflächenwahrnehmung entziehen. Dabei war der Körper selbst in der abendländischen Kulturgeschichte lange Zeit ›unsichtbar‹, wie traumhafte Gebilde verdrängt, dem Geist und der Vernunft untergeordnet, die ihn beherrschen, wenn nicht unterwerfen, zumindest aber bewusst handhaben, kontrollieren und steuern sollten. Als Inbegriff triebhafter Natur und gewaltförmiger Unmittelbarkeit ein Unding. Von Descartes über Kant bis zur Dialektik der Aufklärung bildet der Körper das Andere der Vernunft.28 Der Körper trug – nicht nur als Automat und Maschine – das Stigma des Minderwertigen, Rohen und Primitiven und war als Denkfigur abendländischen Denkens diskreditiert. Der hier vorgeschlagene Weg ist ein anderer. Gegen den Körper-Geist-Dualismus gerichtet wird körperliche Materialität nicht als Gegensatz zu Geist und Form betrachtet, vielmehr richtet sich der Blick gewissermaßen vom Körper auf die Konstruktionsapparate physisch-körperlicher Materialitäten ebenso wie auf die phantasmatischen Dimensionen, die den Körper in einen imaginären Raum stellen und über den Rahmen des bloß physischen Körpers hinausgehend in Körperbildern anwesend sind, ohne für den objektiven Betrachter wirklich sichtbar zu sein; Physisches und Phantasmatisches greifen im Archiv des Körpers ineinander. Des Weiteren fällt der Blick auf die gesellschaftliche Anatomie des Körpers, dessen Haltungen und Handlungen im Sinne einer ›sozialen Magie‹ operieren, wonach komplexe soziale Situationen durch eine Eigendynamik präreflexiver, performativer Prozesse gesteuert werden und nicht durch absichtsvolle Intentionen, die im Willen und Bewusstsein handelnder Subjekte ihren Ursprung haben. Das Augenmerk richtet sich hier auf die – unbewusste – Inkorporierung, Verkörperung von Praktiken und deren körperlich-materielle Ausübung.

Das Archiv des Körpers bildet, wie eingangs schon deutlich gemacht, den historisch situierten epistemischen Diskursraum, in dem spezifische Körperkonzepte, Körperbilder und Codierungen des Körpers hervorgebracht werden und sich Topografien des Körpers verändern. Es zeigt ein historisches Körperwissen, das sich in Körpermodellen und -praktiken wie auch in spezifischen Körperdispositionen und Formen der Sozialität materialisiert. Damit markiert es zugleich die Grenze zu anderen Wissensräumen. Gegen die Vorstellung, der Körper sei bloße Natur, wird im Folgenden davon ausgegangen, dass der Körper sich historisch im Kontext spezifischer Konstruktionsapparate, Medien und Techniken materialisiert; allerdings aufgrund seiner Evidenz als Natur erscheint. Aufgrund von Naturalisierungsprozessen erscheint auch Kultur, erscheinen soziale Einteilungen und Klassifikationen als natürliche.29 Das heißt dann aber auch, dass kulturelle Körpermodelle und Körpercodes in spezifischen historischen (Wissens-)Regimen entstehen, die gewissermaßen das Repertoire möglicher Materialisierungen bilden. ›Der Körper‹ bildet also durchaus ein historisches Spektrum heterogener Elemente, das jeweils konkrete historische Formen annimmt. Dieses Spektrum soll für die Moderne in groben Zügen entfaltet werden; insbesondere soll deutlich werden, welches Bild vom Körper jeweils produziert wird.

Die ersten beiden Kapitel befassen sich mit theoretischen Zugängen zum Körper, seiner Materialisierung und Materialität. Zunächst wird angenommen, dass Materie immer in einer bestimmten Form auftritt. Im Anschluss an Butlers sprachtheoretisches und Foucaults diskurstheoretisches Programm wird davon ausgegangen, dass der Körper sich performativ, in der ständigen Wiederholung diskursiver Praktiken und in bestimmten historischen Formen materialisiert, die unabgeschlossen bleiben. Damit verbunden ist die Infragestellung des Körpers als der sprachlichen Benennung und diskursiven Formation vorgängige Naturressource – und die Rekonstruktion seiner Historizität und erzwungenen Materialisierung.

In einem weiteren Schritt wird skizziert, wie der Körper, der in die christlich-abendländische Kulturgeschichte als Objekt einer Leidens- und Erlösungsgeschichte eingeschrieben ist, dem öffentlichen Spektakel und dem Kreuz der permanenten Sichtbarkeit ausgesetzt wird. Der Körper bildet aus dieser Perspektive ein Massenmedium der (Vor-)Moderne, dessen Marter, wie Foucault historisch anschaulich macht, in der Vormoderne öffentlich zur Schau gestellt wird, um dann hinter den Gefängnismauern zu verschwinden.

Die weitere historische Rekonstruktion des Körpers im Archiv zeigt, dass die Formen der Sichtbarmachung des Körpers nicht nur immer technischer und abstrakter werden und zunehmend automatisiert und anonymisiert durch Apparate, Institutionen und (Daten-)Technologien erfolgen, sondern darüber hinaus auch eine phantasmatische Funktion erfüllen. Der Körper wird, als modellierbares Objekt und leistungsfähige Selbstvervollkommnungsmaschine, auch hier Leidenskörper, mithilfe von technischen (Konstruktions-)Apparaten (re-)konstruiert und medial präsentiert. Er wird Teil eines imaginären, phantasmatischen Raums, in dem die Grenzen des physischen Körpers fließend sind und sich mit Techniken und Technologien der Körpermodifikation verbinden. Was der sichtbare Körper verbirgt, ist die Ökonomie, sind die ökonomischen Beziehungen, die die Gesellschaft regeln, aber intransparent bleiben.

Kapitel 4 befasst sich mit dem Archiv des Körpers in der Moderne in verschiedenen historischen und sozialen Kontexten. Der diskurstheoretische Zugang zum Archiv des Körpers rekonstruiert exemplarisch historische Körpermodelle, Formen der Repräsentation, der Codierung und Modellierung des Körpers. Hier zeigt sich, dass die Körperkonzepte in der Moderne sich vom Leib als lebendiger Materie verabschieden. Stattdessen rekurrieren sie auf eine körperliche Materialität, die im Sinne einer technischen Konfiguration modellierbar ist. Dies gilt auch für das Verhältnis von Körper und Sozialität.

Zunächst fällt der Blick auf den politischen Körper im klassischen Zeitalter der Vormoderne; er zeigt den Körper des Souveräns als repräsentativ im öffentlichen Raum zur Schau gestellten Körper, der sich in einen vergänglichen, sterblichen Körper und einen symbolischen, unsterblichen Körper verdoppelt. Er personifiziert und repräsentiert Macht im öffentlichen Raum. Kehrseite seiner öffentlichen Sichtbarkeit, die einen demonstrativen Teil der souveränen Herrschaft bildet, ist die dem Zuschauer/Betrachter abgewandte Seite, nämlich die Bevölkerung, die weder Gesicht noch Körper hat und insofern entmaterialisiert ist. Dann wendet sich das Blatt – und die Bevölkerung und ihr Körper werden, wie jeder einzelne, sichtbarer Gegenstand einer politischen Ökonomie, die die Kräfte des Körpers nicht nur verwaltet, sondern sie – bis in die ›Automatik der Gewohnheiten‹ – steigert. Der Blick richtet sich nun auf den Körper der Unterworfenen, deren Disziplin nicht freiwillig erbracht, sondern institutionell erzwungen wird. Dass die Optimierung der Körperkräfte Grenzen hat, zeigt sich zwar am lebendigen Körpermaterial; allerdings um den Preis, dass der Körper, nun angeordnet im Feld der Sichtbarkeit und ausgerichtet an einer anonymen Beobachtungsmaschinerie, selbst wie eine Maschine funktioniert, also auch hier entkörpert wird. Dem entspricht, dass Sozialität quasi als Körper gedacht wird, dessen Prozesse scheinbar durch ›unsichtbare Hände‹ gesteuert werden. Letztlich verdoppelt sich auch der souveräne Volkskörper der modernen Gesellschaft in den sterblichen Körper biologischer Prozesse auf der einen Seite, dessen begrenzte Nutzung und Lebensdauer Gegenstand einer staatlich regulierten Biopolitik der Vor- und Fürsorge wird und auf der anderen Seite in den, so scheint es zumindest, symbolisch unsterblichen Gesellschafts- und Staatskörper sowie der Nation. Auch hier ist der sterbliche Körper Leidenskörper, symbolisch im männlichen Heldentod überhöht, der als verwundeter, zerstückelter Körper Zeugnis ablegt vom Leiden und Opfer, im weiblichen Körper als ›Gebärmaschine‹, aber auch in den Apparaturen der Reproduktionstechnologien eingebunden in eine Leidens- und Erlösungsgeschichte, die in den Experimenten einer bioästhetischen Gouvernementalität für beide Geschlechter im biotechnisch modifizierten ›Auferstehungsleib‹ ihren Ausdruck findet. Aber darum geht es hier nicht. Es geht um die körperliche Figuration des Politischen – und das, was in der öffentlichen Sichtbarkeit und Zurschaustellung unsichtbar bleibt oder wird.

Anschließend geht es um konstruierte Sichtbarkeiten, die Visualisierung und Messung von Körperteilen. Hier wird die Aufteilung des Körpers in Partialobjekte, die Vermessung und das willkürliche Zusammenfügen von Körper-Teilen zu einem Körper zur Methode der Bestimmung von Geschlecht und Rasse.

Im weiteren Fortgang zeigt sich, dass der Körper, gegen alle Widerstände, als Automat und Maschine zur Signatur der Moderne und zur Chiffre des Lebendigen wird. Technisch und gesellschaftlich automatisierten Beobachtungssystemen und Kontrollapparaturen unterworfen, wird der Körper im Detail selbst zum Automat. Unablässig wird der Körper metrisiert und registriert. Die Abstände zwischen den Körpern und die Proportionen und Haltungen am Körper werden an Messwerten und technischen Details ausgerichtet. Es entwickelt sich ein umfassendes Netz von Prozeduren zur Kontrolle und Korrektur von Körperbewegungen und -tätigkeiten, die eingeschrieben sind in das Register vom Menschen als Maschine und ihn einbetten in eine politische Anatomie der ökonomischen Nutzung des Körpers. Sie überzieht und durchdringt den Körper mit einem Netz von Disziplinarmaßnahmen, das ihn als Kräftediagramm aus einzelnen Körperteilen, Bewegungen und Gesten zusammensetzt.

Zugleich konstituieren Diskurse und Praktiken den Körper als ›reizbare Maschine‹, die die Gesellschaft gegen die ›gefährlichen‹, ›verkommenen‹ Populationen und den krankmachenden ›Dreck‹, den sie am und im Leib haben, immunisieren soll. Eingebunden in eine »Physiologie der sozialen Ordnung« erscheint der hygienische Körper gewissermaßen als zivilisatorische Lebensversicherung der Gesellschaft. Wasser und Frottierhandschuh erscheinen als ihre Werkzeuge. Die Reinigung der Körper und die Reinhaltung des öffentlichen Raums von körperlichen Ausscheidungen bilden die zentralen Elemente eines hygienischen Imaginären. Haut, Muskeln und Nerven werden zu den wichtigsten Körperteilen, die nicht nur als Demarkation sozialer Hierarchien, sondern auch als Instrumente der Arbeitsökonomie eingesetzt werden.

Technisch codiert, wird der Körper analog zu einem Nerven-Nachrichtensystem entworfen, dessen ›Informationen‹, die Reize, wie in einem Stromnetz zur Überlastung und zum Zusammenbruch des ›nervösen‹ Körpers führen können. Nervenschwäche erscheint als Körper und Gesellschaft gefährdender Zustand, der letztlich, so der eugenische und rassenhygienische Diskurs im 19. Jahrhundert, zur Degeneration führen könnte. Auch die Sexualität liefert ihren Beitrag zur Gefährdung des individuellen und kollektiven Gesellschaftskörpers; sie erscheint, nicht fortpflanzungsorientiert, als krankmachender Faktor.

Und der Körper der Hysterikerin und des Neurasthenikers legt, sich aufbäumend und nervös, Zeugnis ab von einer gesellschaftlichen (Körper-)Ordnung, die ihn überfordert, beunruhigt und nervös macht. Als ›untaugliche‹ und kranke Körper dechiffriert, bäumen sie sich auf gegen ihre funktionstüchtige Domestifizierung und Zurichtung auf eine fortpflanzungsorientierte Sexualität, gegen die Technik(en) der Kontrolle und des – abwesenden – Beobachterblicks, der sie durchdringt und sie Praktiken der Einsperrung, der modifizierenden Intervention und Besserung unterstellt. Der Körper wird zum physischen Gefängnis einer anonym, sozial operierenden Kontrollmacht, die ihn überwältigt und aus dem Ausbruchsversuche nur schwer gelingen.

Dieses biotechnisch ausgerichtete Körperkonzept findet sich, in ganz anderer Form, im 20./21. Jahrhundert wieder, wo der Körper, von ›Bio- und Lebensingenieuren‹ programmiert, quasi-religiöse Züge annimmt. Aus dem Korsett des biologischen, vergänglichen Körpers befreit, nun von einem ›genetischen Pastorat‹ vom Leiden wie von einer Sünde befreit, wird er zum unsterblichen ›Auferstehungsleib‹. Neu an diesem Körpermodell ist die – möglichst – friktionslose Verbindung von biologisch-organischen und technisch-kybernetischen Komponenten. Technik wird – auch hier – zur Metapher eines vollständig modellierbaren und (re-)konstruierbaren Körpers, dessen Bausteine, die DNA, biotechnologisch austauschbar sind. Dieses DNA-Modell löst den christlichen Leidenskörper ab; es lässt den lebendigen Leib gewissermaßen hinter sich und löst sich von körperlicher Materie. Dabei bildet die DNA gewissermaßen die Kommando- und Kontrollzentrale des Körpergeschehens. Die Molekularbiologie, die Informatik und die synthetische Biologie werden zu Programm(ier)wissenschaften eines Körpers, der von Bio-/Lebensingenieuren geschaffen wird.

Der maschinenlesbare Körper der Informatik und Molekularbiologie ist ein Nachfolgemodell des eugenischen Körperkonzepts, dem durchaus eine Neucodierung des Körpers als produktivistischer Fortpflanzungs- und konsumistischer Lustkörper wie auch entsprechende Praktiken der Rassenhygiene und der ›freien Sexualität‹ entsprachen. Im 20./21. Jahrhundert verbindet sich Marktökonomie mit eugenischen Maßnahmen, die als individuelle Optimierung und Selbsttechnologie vonstattengehen, um ›Wunschkörper‹ zu produzieren. Beide Aspekte werden in den letzten Abschnitten des 4. Kapitels thematisiert.

Das 5. Kapitel befasst sich mit dem Verhältnis von körperlicher Materialisierung, Performativität und Sozialität. Zunächst geht es darum, den Körper als Element einer artifiziellen Architektur der – modernen – Gesellschaft und die Techniken des Körpers als Teil automatisierter Abläufe zu präsentieren. Mit Bourdieus Theorie des Körperwissens wird davon ausgegangen, dass sich soziale Hierarchien und Machtverhältnisse körperlich sedimentieren und sich im Zusammenspiel mit komplexen sozialen Situationen quasi-automatisch aktualisieren. Der Körper handelt demnach nicht nur in Übereinstimmung mit bestimmten Regeln und ritualisierten Praktiken, sondern er ist, wie Butler annimmt, diese sedimentierte Praxis, die auf einem verkörperten praktischen Wissen und Gedächtnis des Körpers beruht. Es gibt demnach einen Kreislauf gesellschaftlicher Konventionen und körperlicher Praktiken, die jene reproduzieren und ritualisieren. Der körperliche Habitus ist Teil einer sozialen Magie, die bestätigt, was ihn ins Leben gerufen hat; er setzt alle Hebel in Bewegung, um Gefolgschaften zu organisieren. Butlers Konzept der Materialisierung sieht den Körper und seine soziale Magie dagegen als stillschweigende Form der Performativität von Sprechakten; sie ist das Mittel, Dinge wie den Körper, bezogen auf eine kulturelle Matrix, zu fertigen. Der Körper ist darüber hinaus nicht nur Sedimentierung der Strukturen, die ihn hervorgebracht haben; vielmehr überschreitet er, so Butler, die Normen, die ihn hervorbringen, durch Fehlaneignung und Widerstand, durch die Inkongruenz des Körpers, die Bourdieu vernachlässigt.

Kapitel 6 und 7 befassen sich mit aktuellen Formen der Überschreitung, mit Konzepten der Fragmentierung und Erweiterung des Körpers. Technisch aufgerüstet und schier endlos modifiziert, wird der Körper, einem ständigen ›upgrading‹ und ›body enhancement‹ unterworfen, zum Cyborg, zum Techno-Körper, der sich zusammenschließt mit den Technologien, die ihn erweitern. Wenn die Körpergrenzen fehlen, zerfällt der Körper in Partialobjekte oder er erweitert sich zum Körper, dessen biologische Elemente mit technischen kommunizieren. Zunächst geht es im 6. Kapitel um das triebdynamische Körperkonzept (von Freud), das von einem Körperganzen und der Dynamik eines Spannungsausgleichs ausgeht. Das Fehlen von festen Körpergrenzen setzt, so Theweleit im Rückgriff auf seine an einem triebdynamischen Konzept ausgerichteten Ausführungen zum Körper-Ich des soldatischen Mannes und dessen ›Wiedergeburt‹ im Terrorismus der Gegenwart, gewissermaßen eine Tötungsmaschinerie in Gang, die paradoxerweise den Körper, zumindest fiktiv, ganz macht. Unterstellt wird hier ein Körperganzes, ein Phantasma, das sich als folgenreich erweist: Zerstückelt in Partialobjekte, schließt der Körper sich, wie Foucault es für die Körpermaschine der Disziplin beschreibt, mit der Waffe zusammen und operiert gewissermaßen als ›Techno-Körper‹. Dieser Aspekt kehrt im 7. Kapitel wieder, wo skizziert wird, wie sich der Körper, den die Technowissenschaften als dynamischen konzipieren, mit Technologien zusammenschließt: Die Frage ist, gibt es eine Differenz zwischen diesen beiden Konzepten und worin besteht sie? Eine weitere Frage, die sich hier anschließt, ist, ob dieser Aspekt in der Konsummaschinerie, von Reckwitz als »Kulturmaschine« bezeichnet, die den Körper wie Konsumobjekte affektiv besetzt, wiederkehrt: Auch hier zerfällt der Körper in Partialobjekte, auch hier wird er mithilfe von Technologien wieder zu einem Ganzen zusammengesetzt.

Kapitel 7 befasst sich mit der Erweiterung der Körpergrenzen durch (Nahkörper-)Technologien (u.a. auch smart textiles) und technisch-medial produzierte Wunschkörper, ›digital beauties‹, die als verdatete Körper im Visier post-panoptischer Verdatungs- und Über- sowie Unterwachungstechnologien stehen.

Es scheint, als unterliege der Körper, je technischer und perfekter er scheint, einer fortgesetzten Leidensgeschichte, die ihn immer wieder, losgelöst von seiner physischen Materialität, verwundet, zerstückelt und, wie den Auferstehungsleib, wieder ganz macht und erstrahlen lässt. Das technologische Unbewusste schließt sich mit den unbewussten körperlichen Praktiken und Techniken zusammen. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist der Hunger – der Industrie, der digitalen Infrastrukturen und des begehrenden Subjekts – nach Gestaltung und Umgestaltung, nach mehr Möglichkeiten, die gefallen und zu gefallen, einem selbst und vor allem den vielen anderen. Alles im Plural, auch das eigene Selbst, das sich und die Objekte um sich herum, singularisiert und personalisiert. Dabei werden die Muster, die sich in der Datenspur der – singularisierten – Vielen bilden und die es hinter (sich) lässt, unsichtbar, ebenso wie die Tatsache, dass die Unternehmen von der Singularität der Vielen profitieren. Dieses Begehren nach Mehr, folgt nicht – nur – einer technischen Fortschrittslogik, sondern einer Logik der Ökonomie des Begehrens und Wünschens, die nie zu befriedigen ist. Der Körper ist, wie Konsumobjekte, die Trophäe, das, was wir sein wollen, aber nie erreichen werden. Im Spiegel technisch optimierter Bilder verschwindet die Differenz zwischen Physis und Technik. Es ist die technologische Wiedergeburt des Auferstehungsleibs, der uns von den digitalisierten Körper-Bildern entgegenblickt.

Für die kompetente inhaltliche Unterstützung danke ich Dr. Jana Eichmann, die das Manuskript gelesen und nützliche Hinweise gegeben hat. Das Buch wäre in der vorliegenden Form letztlich nicht ohne Svenja Grothe, die sowohl die Formatierung als auch – letzte – Korrekturen vorgenommen hat, zustande gekommen. Beiden danke ich an dieser Stelle mehr als ich es mit Worten ausdrücken kann.

1 | Slavoj Zizek weist am Beispiel von Patricia Highsmiths Geschichte Black House darauf hin, wie ein Objekt als phantasmatischer Raum, als eine Art Leinwand für die Projektion von Begehren funktioniert, das Objekt (»Objekt a«) erscheint von einem nüchternen, unbeteiligten Standpunkt aus als leerer Raum, mit einem vom Begehren getragenen Blick erscheint es als phantasmatischer Raum, als phantasmatisches Objekt a, »das nur mit dem durch das Begehren ›verzerrten‹ Blick wahrgenommen werden kann, ein Objekt, das für einen objektiven Blick nicht existiert. Mit anderen Worten, das objet petit a wird immer, per Definitionem, ›verzerrt‹ wahrgenommen, da es außerhalb dieser Einstellung ›an sich‹, nicht existiert, d.h., da es nichts ist als die Verkörperung, die Materialisierung dieser Entstellung, dieses Mehrs an Verwirrung und Unruhe, die das Begehren in die sogenannte ›objektive Realität‹ bringt« (Zizek, Slavoj: Mehr-Genießen. Lacan in der Populärkultur, 3. unveränderte Auflage. Wien: Turia + Kant 2000, S. 18-28, hier bes. S. 27). Die Logik des Begehrens macht aus dem Objekt, das an sich nichts bedeutet, ein Objekt, das Bedeutung hat; d.h., das Begehren löst »eine ganze Kette von Konsequenzen aus, die unser ›materielles‹, ›wirkliches‹ Leben und Handeln bestimmen« (ebd., S. 28).

2 | Foucault, Michel: Archäologie des Wissens. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1973, hier S. 187.

3 | Foucault, Michel: Dits et Ecrits. Schriften in vier Bänden, Bd. 1, 1954-1969. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001, hier S. 902; vgl. dazu Foucaults Ausführungen zum Feld diskursiver Ereignisse und zum Archiv: M. Foucault: Achäologie des Wissens, S. 183-190; vgl dazu auch Knut Ebelings Ausführungen zum ›Archiv‹ in: Clemens Kammler/Rolf Parr/Ulrich Johannes Schneider (Hg.): Foucault-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart Metzler 2008, hier S. 221-222.

4 | M. Foucault: Archäologie des Wissens, S. 188

5 | Vgl. Bublitz, Hannelore: Foucaults Archäologie des kulturellen Unbewussten. Zum Wissensarchiv und Wissensbegehren moderner Gesellschaften. Frankfurt a.M.: Campus 1999, hier S. 222-227; Bublitz, Hannelore.: »Differenz und Integration. Zur diskursanalytischen Rekonstruktion der Regelstrukturen sozialer Wirklichkeit.«, in: Reiner Keller/Andreas Hirseland/Werner Schneider/Willy Viehöver (Hg.): Handbuch sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, Bd. 1: Theorien und Methoden, 3. erweiterte Auflage. Opladen: Leske+Budrich 2011, S. 245-282; zur Problematik der Dynamisierung des Archivbegriffs und der – machtpolitischen – Implikationen sowohl der Umschreibungsprozesse als auch der Bedeutung der Medien, die dabei zum Einsatz kommen vgl. Alexander Roesler/Bernd Stiegler (Hg.): Grundbegriffe der Medientheorie. München: Fink 2005, S. 17-27.

6 | Foucault, Michel. »Wahrheit, Macht, Selbst. Ein Gespräch zwischen Rux Martin und Michel Foucault (25. Oktober 1982)«, in: L.H. Martin/H. Gutmann/P.H. Hutton (Hg.): Technologien des Selbst. Frankfurt a.M.: Fischer 1993, hier S. 16. Foucault entwickelt sein genealogisches Verfahren der Geschichtsrekonstruktion in Anlehnung an Nietzsches Genealogie der Moral. In seinem Aufsatz »Nietzsche, die Genealogie, die Historie.« geht Foucault von der »Ereignis- und Leibhaftigkeit« historischer Prozesse aus. In der Absage an jegliche Metaphysik des Ursprungs, der Kausalität und Teleologie beschreibt Foucault »die Geschichte mit ihren Mächten und Ohnmachten, mit ihren geheimen Rasereien und Fieberstürmen« als »Leib des Werdens« (Foucault, Michel: »Nietzsche, die Genealogie, die Historie.«, in: Michel Foucault: Von der Subversion des Wissens. München: Hanser 1974, hier S. 88). An die Stelle metaphysischen Ursprungsdenkens setzt die Genealogie unzählige Anfänge, diskursive Kreuzungen und Ereignishaftigkeit, Zwischen- und Zufälle statt Kontinuität; vgl. dazu auch Bublitz, Hannelore: »Geheime Rasereien und Fieberstürme: Diskurstheoretisch-genealogische Betrachtungen zur Historie.«, in: Jürgen Martschukat (Hg.): Geschichte schreiben mit Foucault. Frankfurt a.M.: Campus 2002, S. 29-41 und Nietzsche, Friedrich: »Genealogie der Moral.«, in: Kritische Studienausgabe in 15 Bänden. Herausgegeben von G.Colli/M. Montinari. München: dtv 1999.

7 | M. Foucault: Nietzsche, die Genealogie, die Historie, S. 90.

8 | Ebd., S. 91.

9 | H. Bublitz: Geheime Rasereien und Fieberstürme, S. 40; F. Nietzsche: Genealogie der Moral, S. 314 (Anm. 14).

10 | H. Bublitz: Geheime Rasereien und Fieberstürme, S. 40-41.

11 | Vgl. dazu ausführlich Elias, Norbert: Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, 2 Bde. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1997; Lippe, Rudolf zur: Naturbeherrschung am Menschen, 2 Bde. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1974; vgl. kritisch dazu: Duerr, Hans Peter: Nacktheit und Scham. Der Mythos vom Zivilisationsprozess. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1988. Duerr wendet sich gegen die Linearität der historischen Entwicklung, vor allem gegen die Annahme (von Elias), dass sich ein Körperschamgefühl erst in der modernen Gesellschaft herausbilde und das Problem der Entblößung, Nacktheit und Scham in der mittelalterlichen Gesellschaft gänzlich anders, nämlich freier gehandhabt wurde als in der modernen. Duerr geht davon aus, dass es auch im Mittelalter ein in den Blick integriertes Schamgefühl gab.

12 | Klein, Gabriele (Hg.): Bewegung. Sozial- und kulturwissenschaftliche Konzepte. Bielefeld: transcript 2004, hier S. 8.

13 | Vgl. u.a. Sarasin, Philipp: »›Mapping the body‹. Körpergeschichte zwischen Konstruktivismus, Politik und ›Erfahrung‹.«, in: Historische Anthropologie 7, Heft 3 (1999), S. 437-451; Wilk, Nicole: Körpercodes. Die vielen Gesichter der Weiblichkeit in der Werbung. Frankfurt a.M.: Campus 2002.

14 | Das ›Buch des Lebens‹ (Craig Venter) lässt sich, so argumentiert die Molekularbiologie, im Körper ablesen und entziffern; aber die wissenschaftshistorische Lesart ist die, dass diese Form der Entzifferung des Lebens, die dem ›genetischen Code‹ einen zentralen Stellenwert zuschreibt, in Wirklichkeit, unter dem Einfluss der Informatik, eine Kommunikation der ForscherInnen mit dem Körper ist, die den Körper wie einen Text betrachtet. Die ›Entzifferung‹ des Körpers ist dann gewissermaßen der ›Schreibprozeß‹, der dem Körper einschreibt, was er an ihm abliest. Es geht also hier nicht um die Decodierung, sondern um eine Codierung des Körpers; der Körper wird als Träger – von Genen – codiert und entziffert. Das bedeutet, der Körper spricht nicht zu uns, sondern er wird – durch Einschreibungen – zum Sprechen gebracht; vgl. dazu Fox-Keller, Evelyn: Das Leben neu denken. München: Kunstmann 1998; dies.: Das Jahrhundert des Gens. Frankfurt a.M.: Campus 2001; Kay, Lily E.: Who Wrote the Book of Life? A History of the Genetic Code. Stanford: Stanford University Press 2000.

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