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Ein misslungener Anschlag auf ein Mitglied einer privaten Pokerrunde stellt Major Joschi Bernauer, Leiter der Salzburger Mordkommission, zunächst vor ein Rätsel. Was könnte das Motiv des Attentäters gewesen sein? Kurz darauf geschieht ein Mord und bildet den Auftakt zu einer ganzen Serie von tödlichen Gewaltverbrechen. Bernauer gerät unter Druck, denn die Zeit läuft ihm davon.
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Seitenzahl: 269
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Ingeborg Mistlberger ist Verfassungsjuristin und begeisterte Bridgespielerin. Sie studierte Rechtswissenschaft und Katholische Theologie in Linz/Donau. Bekannt wurde sie mit der Vorstellung ihres ersten Romans „Mörderischer Kontrakt, Die Fälle des Major Joschi Bernauer“ auf der Leipziger Buchmesse 2016, die das Interesse von Fernsehen und Presse nach sich zog.
Alle in diesem Buch vorkommenden Personen, Schauplätze und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder Ereignissen sind rein zufällig.
Major Dr. Joschi Bernauer, Leiter der
Mordkommission Salzburg
Hofrat Dr. Sassmann, Polizeidirektor Salzburg
Dr. Iris Adler, Primaria im LKH Salzburg,
Bernauers Freundin
Dr. Armand Lombard, Psychiater
Ronald Kranach, alias Ron, Pfarrer
Dietrich Moosbrugger, alias Didi, Starfotograf, Journalist
Walter Altgraf zu Stetten, Schlossherr und
Immobilienhändler
Lothar zu Stetten, Bruder des Altgrafen
Frigga zu Stetten, seine Tochter (Nichte des Altgrafen)
Ernest Sacher, alias Ernie, Golfprofi,
Josef Mölzer, alias Beppo, Starcoiffeur
Nina Herbst, Model, Gesellschaftsdame
Anton Eigner, alias Toni, Stadtrat
Risa Walther, Chefredakteurin und Eigentümerin
des Magazins CLOU
Jakob Berner, Journalist
Albert Kellner, Wirtschaftstreuhänder und
Steuerberater aus Linz
Die Luft im geräumigen, eleganten Wohnzimmer war grau von Zigarren- und Zigarettenrauch.
Dies schien aber niemanden zu stören, denn die acht Menschen, die um den großen runden Tisch in der Mitte des geräumigen Salons saßen, hatten nur Augen für die Karten auf dem grünen Filztuch.
Die Aschenbecher gingen über, eine Whiskyflasche war in die Mitte geschoben worden, auf einem fahrbaren Tischchen standen Gläser und weiteres Hochprozentiges zur Selbstbedienung.
Dr. Armand Lombard, in dessen Villa am Stadtrand die wöchentliche Pokerrunde stattfand, war eben wieder in den Raum gekommen und hatte Pizzastücke auf einem Tablett vor sich her balanciert. Er zog den schweren rohseidenen Vorhang zurück und schob die Glastür zur Terrasse auf. Augenblicklich drang laute Musik den Hang herauf in den Raum.
Risa Walther, Chefredakteurin des Hochglanzmagazins CLOU, legte zweihundert Euro in die Mitte des Tisches.
„Ich will sehen“, sagte sie und hatte damit für diesen Abend das letzte Bargeld gesetzt und verspielt.
Sie stand auf und lockerte die verspannten Schultern.
„Faschingsdienstag“, bedeutete sie abschätzig und legte die Handflächen an ihre Ohren, „und die Plebs vergnügt sich unüberhörbar.“
„Ja, leider, wird wohl wieder schwierig sein, mit dem Wagen durch die entfesselte Meute zu kommen.“
Ernie Sacher, professioneller Golfspieler und Liebling der Society, straffte die Bügelfalten seiner dunkelgrauen Kaschmirhose und angelte nach dem Sakko von Burberry.
„Vermutlich sogar unmöglich“, stellte Risa fest, „wir könnten aber weitermachen, wenn Ihr einen Schuldschein akzeptiert?“
„Aber natürlich, schöne Schwester“, antwortete Ron Kranach, der allgegenwärtige Pfarrer der nahen Pilgerkirche, „fünftes Buch Mose 15/7: Du sollst deinem armen Bruder deine Hand weit auftun und ihm willig auf Pfand leihen.“
„Zu Wucherzinsen oder mit Pfandverfall?“, fragte der Fotograf Didi Moosbrugger ironisch.
„Weder noch. Es steht auch geschrieben, dass Du, wenn Du einem Armen Geld leihst, keinen Wucher an ihm treiben sollst“, näselte der Pfarrer.
„Nun ja“, konterte Didi, „ich denke da eher an den Evangelisten Lukas. Zum Beispiel die Aufforderung des Königsanwärters an die Knechte, mit seinen Talenten zu wuchern und dann belohnt der Mann die Wucherer sogar noch.“
„Es geht nichts über gesunde Halbbildung“, giftete der Pfarrer, entgegen seiner sonstigen salbungsvollen Art, unbeherrscht.
Die Musik von draußen wurde lauter, vermutlich marschierte eine Gruppe Maskierter durch die Straßen unter der Felswand.
„Also, ich genieße das enthemmte Volk“, grinste Didi spöttisch. „Die Mädchen sind dann williger und das Vergnügen plötzlich billiger. Sie drängen sich förmlich vor meine Linse und was mir vor das Rohr kommt, wird grundsätzlich abgeschossen. Bums-Trallala.“
„Diese einfältigen Wesen verkaufen sich also für weniger als ein Linsengericht?“, brachte es der Pfarrer ungerührt auf den Punkt.
„Das nicht, aber für wesentlich weniger als eine Titelseite in meinem Magazin“, berichtigte Risa, „unglaublich wie die Gänse auf Fotografen fliegen und nicht sehen wollen, dass ihre Karriere von Anfang an eine Totgeburt ist.“
„Was Pfäffchen Ron meint ist, dass Menschen, die sich nicht an die Weisungen der Kirche halten, in Gefahr sind, Linsen fressen zu müssen, oder so ähnlich“, grinste Beppo Mölzer.
„Ganz und gar nicht. Jeder ist für sich selbst verantwortlich“, stellte Pfarrer Kranach verstimmt fest, „die Kirche hat nur den Auftrag der diakonischen Begleitung, nicht aber der Verurteilung.“
„Seit wann denn so was?“, fragte Nina. „Ihr geißelt doch alles und jeden von der Kanzel her gnadenlos ab.“
„Gab es da nicht einen Fall, wo Du sogar einen Glaubensbruder vernichtet hast?“, fragte Didi grinsend.
„Ich habe ihn nicht vernichtet, er wurde nur abgezogen.“
„In den Orden zurück versetzt, weit weg von den Jugendlichen“, ließ Didi nicht locker.
„Welchen Jugendlichen?“, Nina hob gespannt den Kopf.
„Ich habe immer nur meine Pflicht getan“, sagte Kranach säuerlich, „und es ging nicht nur um die Schüler der Mittelschule, der Mann wurde damals auch auf verwahrloste Jugendliche aus einer Sozialeinrichtung losgelassen.“
„Völlig richtig“, kam Albert, Steuerberater aus Linz, seinem Cousin zu Hilfe, „das ganze ungesunde Gesindel müsste ausgemerzt werden. Verdirbt unsere Jugend, besonders ein schwarzes Schaf unter dem Schutz der Kutte. Für mich hast Du sehr ehrenwert gehandelt.“
„Natürlich“, pflichtete Ernie Sacher bei, „obwohl bei dem Pack aus den Sozialeinrichtungen spielt auch das wenig Rolle, lauter kriminelles Potenzial, mit dem ich kurzen Prozess machen würde.“
„Ist das wirklich jetzt ein Thema?“, fragte Beppo beschwichtigend, „sicherlich ist das lange her.“
„Fünfundzwanzig Jahre“, sagte der Pfarrer, „es war notwendig zum Schutz von Kindern, die sonst keiner schützt.“
„Wie edel“, spöttelte Nina, „Ron Kranach, der zornige Erzengel mit dem Flammenschwert.“
„Also zumindest ich verlasse Euch jetzt.“
Stadtrat Toni Eigner nahm das letzte Pizzastück vom Teller.
„Mein Chauffeur wartet sicherlich schon seit einer Stunde im Wagen auf mich.“
Er wandte sich an Beppo Möller, den Starfriseur einer Klientel, die es sich leisten konnte für die einmalige Verschönerung ihrer Haarpracht mindestens sechshundert Euro hinzulegen.
„Elsa braucht morgen nicht zu erfahren wie viel ich heute verloren habe.“
Ärgerlich fügte er hinzu: „Glaub aber deswegen nicht, es wäre mir entgangen, dass Ihr wieder einmal alle gegen mich gespielt habt. Auch wenn ich gutmütig bin, es war ein bisschen zu auffällig.“
„Von mir kein Wort zu Elsa“, versicherte Beppo, „obwohl morgen Haarschnitt und Haarfarbe Deiner Eheliebsten fällig sind und sie daher ausreichend Zeit haben wird, mich zu löchern.“
Wie immer ertrugen alle stoisch das ewige Gejammer, mit dem der Stadtrat allem und jedem die Schuld an der eigenen Unfähigkeit gab, die tatsächlich aber Folge seiner unendlicher Trägheit waren, während seine Frau die Umwelt nervte und ihrem Mann unverhohlen nachspionierte.
„Das ist nun einmal die Natur der weiblichen Wesen, schnattern, spionieren und immer schön laut, damit muss man sich abfinden.“
Albert Kellner, Wirtschaftstreuhänder und hochmotiviertes Politmitglied hatte, wie er es gerne tat, unvorsichtig eine seiner rein rhetorisch einzustufenden Behauptungen zum Besten gegeben, doch Nina Herbst, Model und ‚Hutgesicht des Jahres 2000‘, war hinter ihm gestanden und bemerkte jetzt säuerlich: „Vielleicht liegt es nur an Deinem Umgang Albert, wie man sich bettet, so liegt man.“
Dr. Lombard schloss die Terrassentür sofort, als die Gäste das Haus verlassen hatten, denn er hatte keinerlei Interesse zuzuhören, wenn sie über die Gartenterrassen hinunter bis zum Tor noch ihre Debatten führten.
Die Spuren des Abends würde am nächsten Morgen seine Haushälterin beseitigen und dann auch gründlich lüften.
Er selbst war seit dem späteren Abend nicht mehr ganz bei der Sache gewesen. Ein beinahe zur Gewohnheit gewordener Kopfschmerz hatte seine Merkfähigkeit beeinträchtigt und die öffentlichen Belustigungen auf den Straßen, mit ihrem Lärm, fielen ihm ohnedies immer auf die Nerven. So war er heilfroh, nicht mehr außer Haus gehen zu müssen, denn auch die aufdringliche Dreistigkeit der undurchsichtigen Masken löste Ärger in ihm aus.
Menschen, die sich verbrüderten und aneinanderklammerten, was hatten sie denn schon von so viel vorgetäuschter Einigkeit? Sie waren zwar alle jederzeit bereit sich gegenseitig auszunutzen, besaßen aber im Umgang miteinander weniger Stolz als eine Affenhorde.
Zurzeit setzten Lombard auch noch die Föhnstürme zu und das musste wohl der Grund sein, dass er an diesem Abend mehr Geld verloren hatte, als in den gesamten letzten Wochen zusammen.
Genervt hatte er dann auch den Stadtrat wegen einer Terminvereinbarung für die Praxis auf den nächsten Tag verwiesen, denn natürlich erwartete dieser als Politiker überall vorgezogen zu werden und heute schien Stadtrat Eigner zusätzlich noch etwas gereizt zu sein.
Die Pokerrunde Lombards bestand grundsätzlich aus zwölf Personen, war jedoch nie vollzählig anwesend.
Es waren gute Freunde darunter, andere stießen über geschäftliche Verbindungen dazu und Teile der Gruppe zählten zu seinen langjährigen Patienten.
Dr. Armand Lombard, Doktor der Psychiatrie, hatte einen illustren Kreis an Patienten, der ähnlich honorig war, wie die gutbetuchte Kundschaft des Meisterfigaros Beppo Möller.
Als Gegenleistung für die gepfefferten Honorarnoten war der Arzt aber fast immer für seine Klientel zu erreichen. Die gehobenen Positionen seiner Patienten waren eben verbunden mit höheren Anforderungen und letzten Endes lief es meist ohnehin nur darauf hinaus, dass sie ununterbrochen über sich selbst und das gefesselte Tier tief in ihrem Inneren redeten, während er seine exorbitanten Forderungen vor sich selbst mit der angemessen vergoltenen Langweile des Zuhörens rechtfertigte.
Da er selbst ein völlig unspektakulärer, durchschnittlicher Mensch war, gaukelte er seiner Umwelt Originalität und künstlerisch elitären Intellekt vor, indem er seine Praxis mit verrückten Farben und undefinierbarem Kram ausstattete, dafür aber so gut wie keine Möbel hatte.
Nur eine grüne Futon Liege und ein Stuhl in leuchtendem Blau verloren sich im Kaleidoskop der Wände.
Seine Anzüge samt Rollkragenpullover trug er stets in Schwarz und das Haar streng gescheitelt.
Ohne seine gewohnte abendliche Dusche und leicht deprimiert schlüpfte er etwas später in den schwarzen Seidenpyjama, spülte den Mund mit kaltem Wasser und stieg ins Bett, als die Türglocke im Dauerton zu schrillen begann.
Angeekelt beschloss er nicht zu reagieren, egal welches Anliegen der Störende auch vorzubringen hatte.
Zudem verspürte er eine bleierne Müdigkeit, beinahe als würde er das Bewusstsein verlieren.
Der schrille Ton der Klingel riss nicht ab, die Hunde auf dem Nachbargrundstück begannen lauthals zu bellen und als er sich mühsam erhob und die Terrassentür öffnete, um nach dem Grund des Lärmterrors zu sehen, fiel wieder das heillose Musikgetöse aus der Stadt unter ihm quälend über ihn her. Mühsam unterdrückte er das flaue Gefühl in seinem Magen und blickte über das Gartentor hinunter auf die Straße.
Inzwischen war ein Wagen der Funkstreife mit Blaulicht vorgefahren und das Birkenwäldchen vor seinem Grundstück belebte sich zusehends.
Er rief den Beamten zu, dass er kommen würde und betätigte außerdem den Toröffner.
Worum es auch gehen mochte, er verspürte jetzt keinerlei Lust mehr sich anzukleiden und schlüpfte lediglich in den Mantel, der an der Garderobe hing. In Pantoffeln und ohne Socken schlurfte er lustlos zum Tor und um nicht noch weitere Unruhe zu verursachen, lief er dann die letzten Stufen hinunter bis auf die Straße.
Blitzlichter flammten auf und er legte instinktiv die Hand über die Augen.
Angenehm überrascht stellte er dann allerdings fest, dass dieser Empfang nicht seiner Person gegolten hatte, sondern von einem der Polizisten verursacht worden war, der das dunkelblaue Maybach-Landaulet Albert Kellners von einigen Seiten her aufnahm.
„Kommen Sie Doktor, schnell“, schnarrte der zweite uniformierte Beamte, „hier werden Sie gebraucht.“
In der beinahe sträflich schlechten Beleuchtung der Sackgasse sah Armand Lombard erst jetzt den Mann auf der Seite des Beifahrersitzes liegen.
„Ich wollte eben einsteigen“, erklärte sofort Pfarrer Kranach, „mein Cousin hatte sich nicht wohl gefühlt, daher sollte ich das Steuer seines Wagens übernehmen. Plötzlich fühlte ich einen leichten Schlag am Ärmel und sah gleichzeitig, wie Albert neben dem Wagen niederfiel.“
Er hob anschaulich seinen rechten Arm.
„Es muss ein Schuss gewesen sein“, stellte er fest, wurde aber durch das Erscheinen der Bewohner aus den luxuriösen Nebenvillen in seiner Schilderung abgelenkt, da sie den Grund für den ungewöhnlichen Lärm in dieser stillen Oase zu erkunden versuchten.
Nun bot sich dem medienbekannten Geistlichen Ron Kranach die stets ersehnte Chance, seiner seelsorgerischen Tätigkeit publikumswirksam nachzukommen.
Er beruhigte die neugierigen Umstehenden, trug mit gedämpfter Stimme den hochinteressanten Hergang vor und betonte immer wieder, dass er der Cousin des Verletzten wäre und Dr. Lombard sich als Arzt sofort des Opfers annehmen würde.
„Ich bin Psychiater und kein Allgemeinmediziner“, erklärte Lombard dem Polizisten, „ich praktiziere nicht in solchen Fällen.“
„Sehen Sie ihn sich wenigstens an“, ersuchte der Beamte, „der Notarzt ist bereits verständigt.“
Wenn es also sein musste.
Lombard legte einen Finger an die Halsschlagader des Steuerberaters, drückte leicht die blutüberströmte Kopfhälfte des Mannes zur Seite und zog das malträtierte Augenlid nach oben.
„Es dürfte sich um einen glatten Durchschuss der rechten Wange handeln, allerdings mit hohem Blutverlust. Der Mann hat mächtiges Glück gehabt und steht sichtlich unter Schock, doch in Lebensgefahr befindet er sich nicht, zumindest nicht durch diese Verwundung.“
Kurz darauf erschien auch die Ambulanz und obwohl die Gegend etwas abgelegen war, hatten es bereits die Fotografen einiger Zeitungen geschafft zu den begleitenden Worten des Pfarrers auch das exklusive Haus des Psychiaters und den Abtransport des Verwundeten neben dem Maybach festzuhalten.
„Ich möchte ja die Aufklärung des Falles nicht behindern“, sagte Dr. Lombard zu dem Zivilisten, der dem nun ebenfalls erschienen Polizeifahrzeug entstieg, „aber ich bin kein Zeuge dieses Anschlags gewesen, man hat mich lediglich aus dem Bett geholt. Mein heutiger Tag war ziemlich stark und genau genommen ist mir ziemlich übel. Wäre es zu viel verlangt, wenn ich morgen Vormittag im Präsidium erscheinen würde?
Außerdem, kennt mich hier ohnehin jeder.“
„Dies hier übernehme ich jetzt selbstverständlich für Dich“, mischte sich Pfarrer Kranach ein, „ich bin ein enger Freund des Hauses“, worauf sich Lombard angewidert zurückziehen durfte.
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Am nächsten Tag brachten Rundfunk und Fernsehen bereits den Anschlag auf den Wirtschaftstreuhänder vor der Villa des prominenten Psychiaters, für die Presse war es bereits zu spät gewesen, aber der Polizeiakt landete sofort, als dringlich eingestuft, bei Dr.
Joschi Bernauer, dem Leiter der Salzburger Mordkommission.
Als der Psychiater Dr. Lombard daher gegen zehn Uhr zur Aussage im Präsidium eintraf, lag bereits das Protokoll des Beamten vor, der den nächtlichen Einsatz geleitet hatte.
„Eigentlich kann ich kaum etwas zur Klärung beitragen“, sagte Lombard, als er Major Dr. Joschi Bernauer gegenüber saß. „Ich war bereits zu Bett gegangen und wurde erst durch das unaufhörliche Schrillen meiner Türglocke, das ich anfänglich ignoriert habe, aufmerksam.“
„Es war Ihr Gast, Pfarrer Kranach, der Sie zu Hilfe rufen wollte.“
„Ich weiß, ich habe bereits mit ihm gesprochen. Sicherlich hat er Ihnen alles schon deutlichst und anschaulich dargelegt.“
„Sie wissen natürlich, dass Herr Kellner im Spital liegt, jetzt aber außer Lebensgefahr ist?“
„Selbstverständlich, aber ich kann keinerlei Grund sehen, warum man auf ihn geschossen hat. Dass er in unserer Pokerrunde spielt, ist äußerst selten, da er seine Steuerkanzlei in Linz hat, aber er ist der Cousin unseres Pfarrers.“
„Und auch Ihr Steuerberater, sowie der von Herrn Beppo Möller, Altgraf zu Stetten und Frau Risa Walther.“
„Spielt das eine Rolle?“
„Vielleicht. Gab es Probleme geschäftlicher Art oder private Streitigkeiten?“
„Wieso fragen Sie?“
„Es wurde aus Ihrem Garten geschossen. Ihr Haus liegt auf einem leichten Abhang und der Schuss kam aus dem unteren Drittel.“
„Woher wissen Sie denn das so genau?“
„Es ist die Aufgabe unserer Ballistik, so etwas festzustellen. Dass Herr Kellner genau zur richtigen Sekunde die Wagentüre öffnen wollte, rettete ihm vermutlich das Leben, sonst hätte ihn der Schuss mitten ins Gesicht getroffen. Da Pfarrer Kranach angab, er hätte keinen Knall gehört, musste der Schütze einen Schalldämpfer benutzt haben und da das Projektil auch den Ärmel des Pfarrers gestreift hat, ist es vermutlich im Seerosenteich am Rande des Birkenwäldchens verschwunden.“
„Das mag ja alles sein“, konzedierte Lombard, „aber ich war zu der Zeit bereits im Bett.“
„Dem Protokoll zufolge hatten Sie gestern bei der Pokerrunde acht Gäste?“
„Ja.“
„Gab es irgendwelchen Ärger oder Streitigkeiten vielleicht?“
„Uneinigkeit gibt es beim Poker immer wieder, aber nicht so, dass man sich deswegen gegenseitig erschießen würde, in unseren Kreisen hat man subtilere Möglichkeiten jemanden zu vernichten“, kam es etwas hochnäsig von Lombard.
„Die da wären?“
Der Psychiater lächelte mild: „Kennen Sie die sieben Todsünden, Major, diese dämonischen Abgründe in uns?“
„Ich kenne einige mehr“, antwortete Bernauer bedauernd.
„Dann sind Sie mit meiner Klientel ja bestens bedient.
Von der Schmutzkübelkampagne aus dem Hinterhalt über Verleumdung bis zur Bekanntmachung schmieriger kleiner Sexgeheimnisse oder Betriebsangelegenheiten, alles da und Sie können noch beliebig erweitern, ganz nach Bedarf.“
„In welcher Reihenfolge haben denn Ihre Gäste nach dem Pokerabend das Haus verlassen?“
„Ich habe keine Ahnung, das geht immer fließend vor sich. Der letzte, den ich an meiner Haustür gesprochen habe, war auf jeden Fall Stadtrat Eigner, der einen Ordinationstermin für nächsten Tag vereinbaren wollte.
Weil aber weder er noch sonst jemand ein Gewehr bei sich trug, dürfte der Schütze dann doch keiner meiner Gäste gewesen sein.“
„Da man Sie aber bereits aus dem Bett klingeln musste, als der Schuss gefallen war, dürfte schon einige Zeit zwischen der Verabschiedung der Gäste und dem Attentat vergangen sein.“
„Kann schon sein. Ich habe doch gesagt, dass ich Kopfschmerzen hatte und unkonzentriert war. Bei geschlossener Terrassentür ist es außerdem im Haus so still wie auf dem Friedhof. Wer sich also mit wem und eventuell wie lange noch unterhalten hat, bis dann auf Kellner geschossen wurde, weiß ich wirklich nicht.“
Lombard griff nach seinem eleganten Aktenköfferchen und entnahm ihm einen grauen Schnellhefter. Er reichte ihn Bernauer.
„Hier haben Sie eine Liste mit den gestern bei mir anwesenden Personen und ungefähr eine halbe Stunde, bevor wir unser Spiel beendet hatten, kam zudem der Pizzadienst.“
„Und?“
„Und was? Ein Pizzamann eben, er brachte mir die Schachteln in die Küche, ich bezahlte und der Junge verschwand wieder.“
„Sind Sie da sicher?“
„Zum Teufel ja, oder nein, jedenfalls war er dann verschwunden.“
„Wie ist denn Ihre persönliche Beziehung zu dem Verletzten, er ist doch Ihr Steuerberater?“
„Mein langjähriger Parteifreund ist ein Streithammel, gutmütig und oft zur unrechten Zeit tollpatschig, aber ein Selfmademan mit hervorragendem Ruf für seine Wirtschaftskanzlei. Außer Poker spielt er auch Bridge, aber ich glaube nicht, dass ihn deswegen jemand erschießen wollte.“
„Und Ihre anderen Gäste?“
„Harmlose Leute. Risa Walther, die Chefredakteurin eines Modemagazins, bissig und hochelegant, ihre Tatwaffe ist ausschließlich die Zunge. Sie ist der Schrecken ihrer Angestellten und es gibt sicherlich eine Menge Anwärter, die die Lady weit lieber geißeln als erschießen würden. Nur so allgemein gesagt.“
„Wer zum Beispiel?“
Lombard hob vage den Kopf.
„Halten Sie Ihren Finger in die Kreissäge und sagen mir dann, welcher Zahn Sie geschnitten hat.“
„Wer noch?“
„Ron Kranach, unser Pfarrer und Cousin Kellners.
Predigt erbaulich und kontemplativ. Er liebt die Medien und ist ein akribischer Vertreter biblischen Hochmuts.“
„Unter Umständen dadurch gefährlich?“
Lombard seufzte und lächelte schief.
„Er fühlt sich zwar als der Vertreter göttlichen Zorns auf Erden, ist aber andererseits sehr auf milde Wirkung bedacht. Er würde nie etwas tun, womit er sich dann nicht produzieren kann.“
„Und Ernest Sacher?“
„Ein Playboy und Golfprofi, der fürstlich von den Zuwendungen seiner Tante lebt. Umgibt sich gerne mit schönen Frauen, raucht seine Joints und ist jedermanns Darling. Auf alle Fälle ist er genau das Gegenteil von Altgraf Walter zu Stetten.
Walter ist habgierig und geizig gegen sich und andere.
Es wäre also eher anzunehmen, dass die Umwelt auf ihn schießen würde, statt umgekehrt.“
„Ihre Schilderungen erinnern mich verdächtig an eine Kindergesellschaft, die zwar nicht immer nett ist, aber trotzdem unschuldig und ohne jedes Motiv.“
„Das tut mir leid“, sagte Lombard etwas überheblich, „aber da wäre dann noch Dietrich Moosbrugger, der Starfotograf. Seine Erfolge, außer den beruflichen natürlich, liegen einzig und allein in wollüstigen Genüssen, Frauen sind seine Welt.
Und Beppo! Beppo Mölzer, Haarstylist der Reichen und Schönen, mein schärfster Konkurrent.“
„Ihr Konkurrent?“
„Ja, sehen Sie Dr. Bernauer, zu mir kommen die Menschen um für nicht gerade wenig Geld ihr belangloses Innerstes preiszugeben, tun es aber bei gewissen Dingen trotzdem nur widerwillig. Ihrem Friseur allerdings drängen sie gerne und freiwillig ihre dunkelsten und bestgehüteten Geheimnisse auf.“
„Und ist Herr Mölzer auch so verschwiegen wie ein Arzt?“, lächelte Bernauer.
„Ich hätte da keinen Zweifel. In erster Linie ist er Geschäftsmann und außerdem glaube ich, dass er innerlich zu überhaupt nichts wirklich Stellung nimmt. Wir unterhalten uns nämlich gelegentlich ganz gern auf freundschaftlichem Niveau, aber ich habe immer wieder erstaunt festgestellt, dass für ihn, obwohl er selbst ein anständiger Kerl ist, Moral oder Unmoral anderer Menschen bestenfalls Unterhaltungswert haben, so ferne er nämlich seinen Kunden überhaupt richtig zuhört.“
„Obwohl die Aufmerksamkeit gegenüber dem Kunden und damit auch die Notwendigkeit ihm zuzuhören, Begleitmusik des Berufes sind, und zwar keine unwichtige“, stellte Bernauer fest, war aber überzeugt, dass diese Technik zum Großteil ebenso bei Psychiatern und Beichtvätern üblich war.
„Auf jeden Fall“, bekräftigte Lombard, „zudem wuchs Beppo unter übelsten Umständen dort auf, wo Kinder nie Kinder sein durften und leider dann abgebrühter sind als die meisten Erwachsenen. Als Klagemauer ist er geradezu prädestiniert und lässt sich dafür auch fürstlich bezahlen. Für die Kosten eines Haarschnitts bei ihm können sie bei mir ungefähr drei Sitzungen buchen. Aber zur Mentalität seiner Klientel fragen Sie ihn am besten selbst.“
„Über deren Mordpläne?“
„Keine erstgemeinten jedenfalls, nein, fragen Sie ihn wer Schulden hat, seine Frau betrügt oder den Mann, wer einen falschen Busen hat oder zu wenig Haare am Kopf und, last but not least, wer einen Dildo benutzt und welchen.“
„Ist das alles?“
„Nein“, grinste Lombard, „seit gestern ist Beppo auch wieder Geheimnisträger in Sachen Stadtrat Eigner.
Dessen Frau hat nämlich heute in seinem Salon einen Termin und darf nicht erfahren, wie viele ihrer geizig gehüteten Moneten der Stadtrat gestern Abend wieder verzockt hat.“
„Geht es da um Stadtrat Toni Eigner?“
„Genau um den. Seine Frau hat das Geld, managt seine Karriere und bespitzelt ihn, auch mit Hilfe seines Chauffeurs, rund um die Uhr.
So gesehen hätte er nicht einmal die Möglichkeit jemanden zu ermorden, außerdem wäre er in seiner trägen Lustlosigkeit sogar unfähig, selbständig einen Plan auszuarbeiten, geschweige denn, ihn zu verwirklichen. Vielleicht sollten Sie sich da eher mit Nina Herbst beschäftigen.
Sie ist Model, böswillig und neidisch. Wenn sie schon den Schützen nicht gesehen hat, wäre sie doch die einzige, die, wenn es Unangenehmes zu wissen gibt, sicherlich so firm ist, es auch zu erfahren.“
„Gehe ich recht in der Annahme“, fragte Bernauer, „dass Sie keinen aus Ihrer Runde für den Täter halten?“
„So müsste man es ausdrücken“, antwortete Dr. Lombard, „nicht nur, dass ich für niemanden ein Motiv sehen kann, es erscheint mir eine Gewalttat auch mit der Mentalität dieser Menschen nicht vereinbar. Heiße Luft ja, aber mit einer Tat dazu stehen? Nein. Außerdem müsste dann derjenige, der den Anschlag verübt hat, das Gewehr in meinem Garten bereits vorher platziert haben. Außer natürlich, ein Outsider hätte es mitgebracht.
Meiner Meinung nach galt der Schuss aber auf keinen Fall dem Steuerberater, da niemand vorher wissen konnte, dass er anwesend sein würde. Haben Ihre Leute keine Hülse gefunden?“
„Nein, aber der Schütze musste ungefähr hinter dem steinernen Brunnen gestanden haben. Spuren hat er nicht hinterlassen.“
„Wäre auch ziemlich ungewöhnlich, auf den Betonplatten.“
Als Dr. Lombard etwas später in seine Praxis kam, saß Albert Kellner bereits beim Kaffee und schäkerte mit Lombards Sekretärin. Wie bei ihm leider zu vermuten gewesen war, hatte er sich selbst aus dem Krankenhaus entlassen.
„Natürlich habe ich einen Verdacht“, sagte er, „aber dem werde ich zuerst einmal selbst nachgehen, mein kann sich seine Feinde zwar nicht aussuchen, aber locken kann man sie.“
„Ich weiß nicht recht“, meinte Lombard ungläubig, „aber meinst Du wirklich, das man absichtlich auf Dich geschossen hat.“
„Vielleicht bin ich auch der einzige, bei dem es sich lohnen würde.“
Dr. Lombard sah ihn zweifelnd an.
„Dann kann es niemand aus der Pokerrunde gewesen sein.“
„Wieso nicht?“
„Weil Du gestern nämlich ganz schön verloren hast.
Die Gans, die goldene Eier legt, wird niemand abschießen wollen.“
Kellner zog seine Oberlippe hinauf und die Schultern ein. Eine Pose, die er, im Gegensatz zu seiner sonstige straffen Haltung, einzunehmen pflegte, wenn er keine passende Antwort parat hatte. Sein Häschengesicht, pflegten es weibliche Wesen zu nennen.
„Wenn Du mir die fehlenden Unterlagen der letzten Monate mitgibst, werde ich mich jetzt auf den Weg machen“, lenkte er ab.
„Du wirst doch wohl nicht selbst mit dem Wagen nach Linz zurückfahren wollen?“
„Doch“, sagte Kellner grinsend, „so halten wir es bei der CIA und beim Mossad auch.“
Seine gelegentlich faschistoid anmutenden Witze brachten ihn zwar immer wieder auf Konfrontationskurs mit Gutmenschen jeder Spezies, aber wenn es um Streit ging, lief er ohnedies zur Hochform auf und gab kein Jota nach. In Wirklichkeit war er jedoch ein gutmütiger, freundlicher Riese, der dies aber liebend gern zu verbergen suchte.
Wie nicht anders zu erwarten, nahm er jetzt die Akten in Empfang, bestieg seinen Wagen und machte sich auf den Heimweg nach Linz.
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„Hallo Joschi“, sagte Nina Herbst, die für ihren Auftritt am Polizeipräsidium die Aufmachung eines Starmodels gewählt hatte und Bernauer immer irgendwie an die mondäne Jerry Hall, eine der Exfrauen Mick Jaggers, erinnerte.
Zum schwarzen engen Kostüm trug Nina High Heels und unter dem breitrandigen schwarzen Hut glänzte der lange blonde Bob mit zarten helleren Strähnen.
„Wie Du ohnehin weißt, bin ich aus der Pokerrunde Dr.
Lombards, vor dessen Villa gestern ein namhafter Steuerberater aus Linz angeschossen worden ist.“
Forschend sah sie ihn an, aber als Bernauer ziemlich gleichgültig nickte, fuhr sie rasch fort: „Da ich gewisse Beobachtungen gemacht habe, dachte ich, es wäre meine Staatsbürgerpflicht Dir diese heute gleich mitzuteilen, bevor generell die Ermittlungen beginnen. Genauer gesagt, es besteht auch eine zweite, nicht so leicht zu erfassende Ebene.“
Da Bernauer noch keine Zeugen vorgeladen hatte, war also anzunehmen, dass ihm Nina, die er aus seinem Bridge-Club kannte, eine besonders wichtige Wahrnehmung mitzuteilen hatte.
„Dann nimm doch bitte Platz“, sagte er interessiert.
Nachdem sie sich, die Brauen hochmütig gehoben, auf dem bescheidenen Holzstuhl, seitlich neben seinem Schreibtisch niedergelassen hatte, schlug sie die Beine übereinander und saß so in aufrechter Pose, gespannt wie eine Feder bis in die Zehenspitzen.
„Wie eine Königin, deren Thron abhanden gekommen ist“, dachte Bernauer amüsiert, denn auch jede ihrer Bewegungen war derart auf Wirkung ausgerichtet, als würde eben eine Cover-Aufnahme für Vogue anstehen.
„Das ganze ist ein Irrtum“, sagte sie überlegen, „nicht Albert sollte erschossen werden, sondern der Pfarrer.“
„Und wer soll geschossen haben?“
„Didi Moosbrugger natürlich und zwar aus Dr. Lombards Garten.“
„Der Fotograf? Wie kommst Du denn darauf?“
„Ganz einfach, es gab gestern abends nicht die erste gespannte Situation zwischen Didi und dem Pfarrer.
Der Pfarrer verachtet Moosbrugger unter anderem wegen seiner lasterhaften und ausschweifenden Lebensart und kritisiert ihn ständig vor Zeugen. Der Fotograf wiederum beschuldigt den Pfarrer unterschwellig bis eindeutig der Scheinheiligkeit und des Missbrauchs seines Amtes. Es soll außerdem noch von früher her eine private Sache geben, in der der Pfarrer mit dem Fotografen ziemlich auf Kriegsfuß gestanden haben dürfte.“
Sie schwieg einen Moment.
„Was es gewesen ist, habe ich bis heute nicht herausgefunden.“
Ein Umstand, den Bernauer kaum zu fassen vermochte.
„Also gut“, fuhr sie fort, „gestern ist die Sache eskaliert und man brauchte kein besonderer Kenner der Bibel zu sein, sogar der Laie konnte bemerken, dass Didi dem Pfarrer regelrecht gedroht hat. Zusammen mit meinen Beobachtungen ergibt das ganze natürlich erst richtig Sinn.“
„Gedroht?“
„Ja, die unangenehme Szene spielte sich bei diesen beiden Wichtigtuern, wie fast immer, in Bibelzitaten ab, woraufhin der Pfarrer Didi als Mann mit gesunder Halbbildung bezeichnet hat.“
Ihre Miene verzog sich verächtlich.
„Dabei haben sie sich da gegenseitig nichts vorzuwerfen. Ein windiger Fotograf, der seine Bedeutung weit überschätzt und ein Pfarrer, der jede Möglichkeit sich in den Vordergrund zu spielen, um damit alle Vorteile zu genießen, wahrnimmt. Auch nicht unbedingt im Sinne der Kirche.“
„Ja, aber Du sagtest der Moosbrugger hätte ihm gedroht. Wie droht man denn in Bibelsprüchen?“, fragte Bernauer verständnislos.
„Der Pfarrer hatte der Chefredakteurin Walther im Spaß und unvorsichtiger Weise einen Kredit beziehungsweise eine Pfandleihe für einen neuerlichen Poker-Spieleinsatz angeboten und daraufhin behauptete Didi, dass die Bibel den Zinswucher empfehlen würde.
Dazu hielt er dem Pfarrer Passagen aus den Evangelien vor, in denen der Königsanwärter auf eine Reise geht und seinen Knechten befiehlt inzwischen mit seinem Vermögen zu wuchern. Letztlich belohnt er sogar noch die Wucherer und erklärt: Denn dem, der nichts hat, wird auch das genommen werden.“
In Bernauer keimte langsam der Verdacht, dass sich Nina in der Aufregung ein wenig am Sektglas gestärkt hätte. Außerdem fand er, dass nach dieser vorher geführten Diskussion eher der beleidigte Pfarrer auf Didi geschossen hätte, statt umgekehrt.
„Und genau dieses Gleichnis vom Vermögenswucher erzählt nämlich Jesus im Evangelium, als er sich auf dem Weg nach Jerusalem befindet, wo dann seine Leiden beginnen“, sagte Nina belehrend.
„Da sich der Königsanwärter aber ebenfalls auf den Weg macht um eine Reise anzutreten, ergibt sich die Nähe zu Jesus und gleichzeitig die metaphorische Ankündigung seines Leidens und Sterbens. Bei der Erwähnung Didis vom Pfandwucher müsste sich der Pfarrer also bereits mit dem Königsanwärter identifiziert haben und die unabwendbaren Folgen des Zusammenhanges fürchten.“
„Das kann schon sein“, warf Bernauer mühsam beherrscht ein, „aber hier geht es nicht um metaphorische Nähe sondern einen ganz realen Mordanschlag.
Du hast von Beobachtungen gesprochen.“
Sie schüttelte verständnislos den Kopf.
„Jetzt erkläre ich Dir das noch einmal“, sagte sie betont nachsichtig.
„Nachdem der Pfarrer für seinen früheren Verrat an einem Glaubensbruder und eine persönliche Gemeinheit, die Kranach Didi angetan hatte, von seinem Cousin aus Linz auch noch Schützenhilfe erhalten hat, war Didi so verärgert, dass er die Passage aus der Bibel, die auf den Tod Jesu zusteuerte, erwähnte. Dies war aber auch bereits die Androhung eines ebenso gewaltsamen Endes für Kranach.
Außer mir und dem Geistlichen selbst verstand diese Andeutung wohl kaum jemand, denn auch in unseren Kreisen ist die Bildung nicht immer so breit gefächert, wie man es annehmen sollte.“
Sie hob die rechte Hand und wies in Bernauers Richtung.
„Und jetzt kommen wir zur greifbaren Realität“, erklärte sie, „Didi Moosbrugger hat im Laufe des Gesprächs auch noch provokativ von seinen Eroberungen bei den dümmlichen Mädchen gesprochen, die billig und willig wären und sich vor seine Linse drängten und dass er alles, was ihm vor das Rohr käme, genussvoll abschießen würde. Damit hat er natürlich nicht mehr die Mädchen vor der Kamera gemeint, sondern eindeutig den Pfarrer, ohne dass es jemand anderem aufgefallen wäre.“
„Aber Dir schon.“
„Ja natürlich, mir macht der nichts vor. Moosbrugger ist nämlich Sportschütze, muss man wissen, und ich habe gestern gesehen, dass er sein Gewehr im Auto liegen hatte. Jetzt wird wohl schon deutlich klarer, warum der Pfarrer seinem Cousin angeboten hat für ihn zu fahren und warum er sofort auf die Fahrerseite zueilte. Es war eine erfolgreiche Vorsichtsmaßnahme.“
„Das grenzt aber an Hellseherei“, warf Bernauer beinahe belustigt ein.
„Nicht für einen intelligenten Menschen, warum seid Ihr Polizisten denn immer so eindimensional ausgerichtet?“, ereiferte sich Nina und fuhr ärgerlich fort: „In der sträflichen Dunkelheit vor Dr. Lombards Haus war bei einem Anschlag ganz sicher nicht zu erkennen, dass ausnahmsweise der Steuerberater auf der Beifahrerseite stand, außerdem haben beide Männer die gleiche Figur. Also wurde, wie vorauszusehen war, der falsche Mann angeschossen.“
Nachdem sie triumphierend geendet hatte und seine Antwort erwartete, wusste Bernauer nicht, was er denken oder möglicherweise sagen sollte.
„Du meinst also, dass beim Streit in Bibelzitaten Didi dem Pfarrer bereits explizit mit dem Umbringen gedroht hat und zusätzlich die Erwähnung des Abschießens vor seinem Rohr nicht auf die Kamera, sondern ein Gewehr gemünzt war und auch nicht den Mädchen, sondern dem Pfarrer gegolten hat? Du folgerst also auch, dass dieser die Drohung erkannt und sofort ernst genommen hat?“
Nina nickte überheblich.
„Ich halte ihn zwar für einen Angeber, aber ich habe nicht gesagt, dass er unintelligent ist. Ron hat den Sinn natürlich umgehend erkannt, mit einem Anschlag gerechnet und sich in Sicherheit gebracht. Ich denke, wir verstehen uns jetzt.“
Natürlich kamen Bernauer die Behauptungen Ninas geradezu irreal und lächerlich vor, andererseits konnte er sich dem Gedanken nicht gänzlich verschließen, dass der Steuerberater Opfer einer Verwechslung geworden war, wer auch immer der Schütze gewesen sein sollte.
„Wann hast denn Du die Runde verlassen?“, fragte er Nina.
„Ich war eine der ersten.“
„Hast Du da Moosbruggers Wagen noch gesehen.“
„Ja, unsere Fahrzeuge waren nämlich weiter oben auf halber Höhe des Birkenwäldchens geparkt. Ich bin am Abend schon etwas zu spät zum Poker gekommen, aber dann doch noch knapp vor Didi Moosbrugger eingetroffen.“
„Und sein Gewehr lag im Wagen?“
„Ja, es lag auf den hinteren Sitzen seines SUVs.“
„Und hast Du es es dort auch dann noch gesehen, als Du heimgefahren bist?“
„Da habe ich nicht mehr darauf geachtet. Wer erwartet denn schon so etwas?“
„Deiner eigenen Behauptung nach der Pfarrer und Du.“
Sie nickte und überlegte kurz.